Das Unvorstellbare wagen
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Wolfgang Kulow. Das Unvorstellbare wagen
Отрывок из книги
Jedem Radfahrer, der die Worte „Race Across America“ hört, leuchten sofort die Augen. Hat man diese Sportart zu seinem Hobby gemacht, dann will man diesen verrückten Wettkampf unbedingt einmal im Leben fahren: mit dem Rennrad vom Pazifik zum Atlantik, quer durch die USA, knapp 5.000 Kilometer, die man in einem Zeitfenster von zwölf Tagen absolviert haben muss. Es geht durch mindestens zwölf Staaten und drei Zeitzonen, 52.000 Höhenmeter sind zu absolvieren, und das bei Temperaturunterschieden von knapp über dem Gefrierpunkt bis hoch auf über 40 Grad. Das berühmt-berüchtigtste Amateurradrennen der Welt habe ich insgesamt dreimal absolviert, das letzte Mal im Zweierteam mit Jutta Kleinschmidt, der Paris–Dakar-Siegerin. Man wechselt sich ständig ab beim Fahren, doch selbst wenn man Pause macht und im Wohnmobil der Crew seinem Partner hinterherfährt, kommt man kaum zur Ruhe. Das geht nonstop so, jeden Tag, 24 Stunden am Stück.
Die Härtesten, die bei diesem Rennen starten, sind die Solofahrer. Einen davon trafen wir zufällig bei einem Wechselstopp mitten in den Rocky Mountains. Er versuchte gerade krampfhaft, von seinem Rad abzusteigen, und ich erkannte an seinem Shirt, dass er ein Deutscher sein musste. Ich fragte ihn, wie es denn so bei ihm laufe und wie es ihm gehe. Er aber gab mir total kryptische Antworten und erzählte mir stattdessen, dass er ein Riesenproblem mit seiner Crew habe, er wolle nicht mehr trinken, und überhaupt sei das Ganze doch alles überbewertet. Wolfgang Kulow war in seinem eigenen Renntunnel gefangen, hatte die Außenwelt schon komplett abgeschaltet. Nach fünf Tagen auf dem Rad, mit Schlafdefizit und Nahrungsmangel, funktionierte er nur noch, kein Mensch dieser Welt hätte ihn in diesem Moment aus seiner Matrix herausreißen können. Als ich Wolfgang später von unserem ersten Treffen erzählte, konnte er sich zwar schemenhaft an mich erinnern, nicht aber an unser Gespräch. Noch heute wird diese lustige Geschichte unseres Kennenlernens gern hervorgekramt, wenn wir uns treffen.
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Viele der Soldaten tauchten auch in ihrer Freizeit. Einer war sogar schon mal im Mittelmeer unterwegs gewesen. Er schwärmte von der blauen See, der klaren, weiten Sicht unter Wasser und von zahllosen bunten Fischen, die die Taucher neugierig umringten. Davon konnten wir beim Tauchen in der Ostsee nur träumen. Die Sicht war begrenzt und bunte Fische leider Fehlanzeige. Ich hing an seinen Lippen und sog die prächtigen Beschreibungen wie ein Schwamm in mir auf. „Wie tief kann man dort tauchen?“, fragte ich ihn. „Welche Fische hast du gesehen? Gibt es dort auch Schiffswracks?“ Ich konnte gar nicht genug davon kriegen, und mir war sofort klar: Da muss ich auch mal hin! Das will ich auch erleben! Es sollte zwar noch etwas dauern, aber Jahre später tauchte auch ich ein in die farbenfrohe und äußerst beeindruckende Unterwasserwelt von Norwegen, Italien, Spanien, Ägypten, Kenia, Mexiko, Sri Lanka und den Malediven.
So war ich als Kind immer auf Achse und suchte nach Action. Ein Leben vor dem Computer oder der PlayStation wäre für mich undenkbar gewesen, wenn es das damals bereits gegeben hätte. Zuhause herumzusitzen war für mich eine Qual. Ich wollte hinaus, die Welt erleben und meine Abenteuerlust befriedigen. Die Streifzüge in der Natur, die einsame Unterwasserwelt und die spannende Freundschaft mit den Soldaten – all das prägte mich. Dadurch hatte ich schon früh viele Träume und ganz konkrete Vorstellungen von meinem späteren Leben, das in meiner Fantasie selbstverständlich ebenso aufregend und abenteuerlustig weiter verlief. Ganz im Gegensatz zu dem Leben meines Vaters, den ich, wenn ich abends nach Hause kam, todmüde auf der Couch liegen sah. Das Leben als Fischer war hart. Als die gesundheitlichen Probleme stärker und die Fische immer weniger wurden, ließ er sich zum Feinmechaniker umschulen. Davon gab es zum damaligen Zeitpunkt deutschlandweit nur wenige. Sie waren insbesondere in der Kunststoffindustrie heiß begehrt. Ich sehe es noch genau vor mir, wie der zukünftige Chef meines Vaters mit einem großen Wagen eigens von Kopenhagen auf unseren Hof gefahren kam, um meinen Vater für sein Unternehmen zu gewinnen. In Heiligenhafen sollte eine Zweigstelle eröffnet werden, für die händeringend ein Abteilungsleiter gesucht wurde. Vater schlug ein und leitete fortan das stark expandierende Unternehmen.
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