v1.0 – создание FB2 – Ostermann
Dumas (père), Alexandre
La San Felice B14
Vierzehnter Theil
Erstes Capitel.
Wie der Traum Athalia’s hatte auch Nelsons Fest mit einem Donnerschlag geendet.
Emma Lyonna hatte erst vor der schrecklichen Erscheinung fest bleiben wollen, aber die Bewegung der See, welche aus Südosten kam, trieb den Leichnam, wie man deutlich sehen konnte, dem Schiffe zu, und Emma eilte rückwärts davon und fiel halb ohnmächtig in einen Sessel.
Da war es, wo Nelson, welcher ebenso unerschütterlich in seinem Muthe, wie unversöhnlich in seinem Haß war, Harry den Befehl ertheilte, welchen wir gehört haben.
Harry gehorchte augenblicklich, ein Boot ward ausgesetzt, sechs Männer und ein Bootsmann stiegen hinein, während der Capitän Harry ihnen folgte.
Wie ein Schwarm Vögel auseinanderfliegt, wenn ein Geier unter sie fährt, so entfernten sich auch die Boote, wie wir bereits erzählt haben, von dem Leichnam, und glitten ohne Musik, mit ausgelöschten Fackeln auf dem Meere dahin, während bei jedem Ruderschlage eine Funkengarbe aufsprühte.
Die, welche durch den Leichnam vom festen Lande getrennt wurden, machten einen weiten Bogen, um ihn zu umgehen, und bewegten ihre Ruder desto mehr, je größer der Kreis war, den sie zu umfahren hatten.
Auf dem Schiffe hatten sich alle Gäste von der Tafel erhoben und drängten sich nach der hinteren, dem Leichnam gegenüberliegenden Seite, während ein Jeder nach seinen Ruderern rief. Nur die englischen Officiere standen auf der Gallerie, und redeten den Leichnam mit mehr oder minder groben Spottreden an, dem sich der Capitän Harry und seine Leute mit kräftigen Ruderschlägen näherten.
Als man bis zu dem Leichnam gekommen, und als Harry sah, daß seine Leute ihn anzugreifen zögerten, ergriff er ihn bei den Haaren und versuchte ihn aus dem Wasser zu ziehen, aber der Körper war so schwer, daß es war, als würde er durch eine unsichtbare Kraft im Meere zurückgehalten, und der Capitän behielt nur die Haare in der Hand.
Er stieß einen Fluch aus, in dem sich vorherrschend Ekel ausdrückte, wusch die Hand im Meere, und befahl Zweien seiner Leute die Leiche an dem Strick zu fassen, welcher noch um ihren Hals befestigt war, und sie in das Boot zu ziehen.
Aber nur der vom Körper getrennte Kopf, welcher nicht die ganze Last desselben zu tragen vermochte, gehorchte den Anstrengungen der Männer und rollte in das Boot.
Harry stampfte mit dem Fuße.
»Ah, Du Dämon!«, murmelte er, »wehre Dich nur, Du wirst doch hier herein müssen, und sollte ich Dir ein Glied nach dem andern abreißen!«
Der König betete in seiner Cajüte, während er den Caplan am Kragen seines Gewandes gefaßt hielt und in nervösem Zittern schüttelte; Nelson ließ der schönen Emma Lyonna Salze einathmen; Sir William versuchte die Erscheinung auf wissenschaftlichem Wege zu erklären; die Officiere spotteten immer ärger, und die Boote fuhren fort sich zu entfernen.
Die Matrosen hatten auf Harrys Befehl den Strick, welcher Caracciolo den Hals zusammenschnürte, unter seinen Armen durchgezogen, und zogen ihn an sich; aber obgleich die Körper im Wasser beinahe ein Drittel ihrer natürlichen Schwere verlieren, so gelang es doch kaum den vereinten Anstrengungen von vier Männern den Rumpf über den Rand des Bootes zu bringen.
Die englischen Officiere klatschten mit lautem Gelächter in die Hände und schrieen:
»Hurrah, es lebe Harry!«
Das Boot erreichte wieder das Schiff und ward unter dem Bugspriet mit einem Tau festgebunden.
Die Officiere, welche gern die Ursache dieses Wunders erfahren wollten, gingen von dem Spiegel nach dem Bug, während die Gäste das Schiff verstohlen auf den Treppen rechts und links verließen, da sie schnell einem Schauspiel entfliehen wollten, welches für die Mehrzahl von ihnen etwas Diabolisches oder doch wenigstens etwas Uebernatürliches hatte.
Sir William hatte mit der Erklärung das Richtige getroffen, daß nach einer gewissen Zeit die Körper der Ertränkten sich mit Wasser und Luft füllten und natürlich auf die Oberfläche des Meeres zurückkämen; was aber erstaunenerregend, außergewöhnlich und wunderbar wäre, sei, daß der Admiral emporgestiegen wäre, und den König so erschreckt hätte, trotz der zwei Kugeln, welche man an seinen Füßen befestigt.
Der Capitän Harry, dessen Bericht wir diese Einzelheiten entnehmen, wog die beiden Kugeln und versichert, daß sie zweihundertundfünfzig Pfund wogen.
Der Caplan der »Minerva«, derselbe, welcher Caracciolo auf den Tod vorbereitet hatte, ward gerufen und zu Rathe gezogen, was man wohl mit dem Leichnam machen sollte.
»Hat man den König über den Vorfall unterrichtet?« fragte er.
»Der König ist Einer der Ersten gewesen, welche die Erscheinung gesehen haben,« gab man zur Antwort.
»Und was hat er gesagt?«
»Er hat in seinem Schrecken erlaubt, daß die Leiche ein christliches Begräbniß erhalte.«
»Nun, dann müssen wir thun, was uns der König befohlen hat,« sagte der Caplan.
So gab man sich denn weiter nicht mit der Angelegenheit ab, und überließ dem Caplan die Sorgen des Begräbnisses.
Doch sollte diesem bald ein Helfer erscheinen, den er gar nicht erwartet hatte.
Die Leiche des Admirals war im vollständigen Bauernanzug, nur ohne Jacke, da man ihm diese wegen der Hinrichtung ausgezogen, in dem Boote liegen geblieben, in welches man ihn aufgenommen.
Der Caplan hatte sich im Hintertheil des Bootes niedergesetzt, und las beim Scheine einer Laterne Gebete für den Todten, welche er in dieser schönen Juninacht eben so gut beim bloßen Licht des Mondes hätte lesen können.
Bei Tagesanbruch sah er ein Boot auf das einige zukommen, welches von zwei Schiffern gerudert ward, und in dem ein einziger Mönch sich befand. Dieser Mönch, welcher sehr groß war, stand vorn im Boote, und zwar so sicher auf der schmalen Spitze desselben, als ob er selbst Seemann wäre.
Da der wachhabende Officier sofort bemerkte, daß die Ankömmlinge mit dem Boote, in welchem die Leiche lag, zu thun hätten, aber nicht mit dem Schiff, und da Nelson befohlen hatte, wenn man selbst nichts thun wollte, es doch wenigstens Anderen thun zu lassen, so bekümmerte man sich nicht um das Boot, welches übrigens nur einen Mönch mit zwei Schiffern trug.
Wirklich ruderten die zwei Schiffer das Boot gerade auf die Barke zu, neben welcher es anlegte.
Der Mönch wechselte einige Worte mit dem Caplan, sprang in die Barke und betrachtete einen Augenblick schweigend den Leichnam, während dicke Thränen seinen Augen entquollen.
Unterdessen stieg der Caplan in das Boot, in welchem der Mönch gekommen, und begab sich an Bord des »Donnerers«.
Er wollte hier die letzten Befehle Nelsons in Empfang nehmen.
Diese lauteten dahin, daß man mit der Leiche machen könnte, was man wollte, da der König seine Erlaubniß zu einem christlichen Begräbniß gegeben hätte.
Dieser Bescheid ward dem Mönch von dem Caplan überbracht. Der Mönch nahm die Leiche in seine starken Arme und trug sie aus der Barke in das Boot, in welchem er gekommen war.
Der Caplan folgte ihm.
Dann ruderten die beiden Matrosen, welche vom Quai del Piliere gekommen waren, auf den Befehl des Mönches gerade nach Santa-Lucia, dem Kirchspiel, welchem Caracciolo angehörte.
Obgleich in Santa-Lucia fast nur Royalisten wohnten, ward Caracciulo doch dort wegen seiner Wohlthätigkeit angebetet. Ueberdies wohnten in Santa Lucia die besten Matrosen der neapolitanischen Marine, und alle, welche unter dem Admiral gedient hatten, erinnerten sich lebhaft der drei Eigenschaften eines Mannes, welcher Anderen befehlen will, nämlich des Muthes, der Güte und der Gerechtigkeit.
Caracciolo vereinigte diese drei Eigenschaften in hohem Maße.
Kaum hatte der Mönch mit einigen ihm begegnenden, Fischern einige Worte gewechselt, und kaum verbreitete sich das Gerücht, daß der Leichnam des Admirals eine Ruhestätte unter seinen alten Freunden suche, als das ganze Kirchspiel in Bewegung gerieth, und der Mönch brauchte, nur das Haus zu wählen, in welchem die Leiche bis zum Begräbniß liegen sollte.
Man gab einem Hause den Vorzug, welches dem Boote am nächsten stand.
Zwanzig Arme erboten sich, die Leiche zu tragen, aber der Mönch nahm dieselbe, wie er es bereits gethan, in seine Arme, schritt mit der theuern Last über den Quai, legte sie auf ein Lager, kam wieder, und holte den Kopf, um ihn ebenso wie den Rumpf zur Ruhe zu bringen.
Er verlangte ein Tuch, in welches er die Leiche hüllen konnte, und nach fünf Minuten kamen zwanzig Frauen gelaufen, von denen jede rief:
»Er war ein Märtyrer, nehmt mein Tuch, er wird meinem Hause Glück bringen.«
Der Mönch wählte das schönste, neueste, feinste, und während der Caplan fortfuhr Gebete zu lesen, die Frauen im Kreise um das Bett knieten, auf welchem der Admiral lag, während die Männer, welche hinter den Frauen fanden, die Thür versperrten und die übrige Menschenmasse bis auf die Straße hinaus reichte, zog der Mönch mit frommer Hand die Leiche aus, legte das Haupt zum Rumpf und hüllte den Körper in ein doppeltes Tuch.
Aus dem benachbarten Hause, welches einem Tischler gehörte, vernahm man Hammerschläge; man nagelte nämlich in Eile einen Sarg für den Admiral zusammen.
Um 9 Uhr brachte man den Sarg, der Mönch legte die Leiche hinein, dann brachten alle Frauen des Kirchspiels entweder Lorbeerzweige, da ja Lorbeer in allen Gärten Neapels wächst, oder Blumen, wie man sie an allen Fenstern sieht, und so ward die Leiche ganz damit überdeckt.
Jetzt begannen die Glocken der kleinen Kirche von Santa-Lucia traurig zu läuten, und die Geistlichkeit erschien an der Thür.
Man schloß den Sarg, sechs Matrosen nahmen ihn auf die Schultern, der Mönch folgte gleich hinter demselben, und ihm folgten wieder alle Bewohner von Santa-Lucia.
Links vom Altar auf dem Chor hatte man eine Steinplatte aufgehoben und die Grabgesänge begannen.
Die Neapolitaner, welche Alles übertreiben, und welche vielleicht in die Hände geklatscht, als sie Caracciolo hängen sahen, zerflossen jetzt in Thränen und Schluchzen, als die Priester an dem Sarge beteten und sangen.
Die Männer schlugen mit der Faust an die Brust, und die Frauen zerkratzten sich mit den Nägeln das Gesicht.
Es war als ob ein allgemeines Unglück, eine unheilvolle Calamität das Königreich heimsuchte.
Diese Betrübniß erstreckte sich jedoch nur von dem Riesenhügel bis zum Castello d’Uovo, denn hundert Schritte davon erwürgte und verbrannte man die Patrioten.
Die Leiche Caracciolos ward in der schnell für ihn bereiteten Gruft und nicht in der, welche seiner Familie gehörte, beigesetzt. Der Stein ward wieder auf die Oeffnung gelegt, und kein Zeichen deutete an, daß hier das Opfer Nelsons und der Vertheidiger der neapolitanischen Freiheit ruhte.
Die San-Luciaten, Männer wie Frauen, beteten bis zum Abend an dem Grabe und der Mönch mit ihnen.
Als der Abend gekommen, erhob sich der Mönch, nahm seinen Stab aus Lorbeerholz, welchen er hinter der Thür des Hauses hatte stehen lassen, in welchem man Caracciolo in den Sarg gelegt, dann stieg er den Riesenhügel hinan, ging durch die Toledostraße, während ihm von der niedrigen Bevölkerung Zeichen der Verehrung gespendet wurden, trat in ein Kloster, kam nach einer Viertelstunde wieder heraus und trieb vor sich einen Esel her, mit welchem er den Weg nach der Magdalenenbrücke einschlug.
Als er die Vorposten der Armee des Cardinals erreichte, empfing er noch zahlreichere und besonders geräuschvollere Beifallsbezeigungen als in der Stadt, und so gelangte er denn unter großer Bewegung, welche seine Erscheinung verursachte, bis zu dem kleinen Hause des Cardinals, wo er wie ein alter Bekannter Einlaß fand.
Er band seinen Esel an einen der Thürringe und stieg die Treppe hinauf, welche nach dem ersten Stockwerk führte. Der Cardinal befand sich auf der Terrasse, welche an der Meereseite lag, um sich in der Kühle des Abends zu laben.
Beim Geräusch der Schritte des Mönches drehte er sich um.
»Ah, Ihr seid es, Fra Pacifico,« sagte er.
»Ja, ich bin es, Eminenz,« sagte der Mönch und seufzte.
»Ah, ah! ich freue mich, Euch zu sehen. Ihr seid ein guter, braver Diener des Königs während des ganzen Feldzuges gewesen. Wollt Ihr etwas von mir? Wenn das, was Ihr erbitten wollt, zu erfüllen in meiner Macht steht, so will ich es thun. Ich sage Euch aber im Voraus,« fügte der Cardinal mit einem bitteren Lächeln hinzu, »daß meine Macht nicht groß ist.«
Der Mönch schüttelte den Kopf.
»Ich hoffe, daß das, was ich von Ihnen erbitten will,« sagte er, »nicht über die Grenzen Ihrer Macht geht.«
»Dann sprecht.«
»Ich möchte Sie um zwei Dinge bitten, Monsignore; erstens um meinen Abschied, da der Feldzug vorüber ist, und dann um die Bezeichnung des Weges, den ich einzuschlagen habe, um nach Jerusalem zu kommen.«
Der Cardinal sah Fra Pacifico erstaunt an.
»Euren Abschied?«, sagte er. »Es scheint mir, als ob Ihr den genommen hättet, ohne mich darum zu fragen.«
»Monsignore, ich war allerdings wieder in mein Kloster zurückgekehrt, aber ich hielt mich daselbst den Befehlen Eurer Eminenz zur Verfügung.«
Der Cardinal machte eine beistimmende Geberde.
»Was den Weg nach Jerusalem betrifft,« sagte er, so ist nichts leichter, als Euch denselben zu bezeichnen. Aber darf ich Euch noch vorher fragen, lieber Fra Pacifico, ohne unbescheiden zu sein, was Ihr im gelobten Lande zu thun beabsichtigt?«
»Eine Wallfahrt nach dem Grabe Jesu zu unternehmen, Eminenz.«
»Werdet Ihr von eurem Kloster dahin gesandt, oder ist es eine Buße, die Ihr Euch selbst auferlegt?«
»Es ist eine Buße, welche ich mir selbst auferlege.«
Der Cardinal blieb einen Augenblick nachdenklich, dann fragte er:
»Ihr habt wohl irgend eine grobe Sünde begangen?«
»Ja, ich fürchte,« erwiederte der Mönch.
»Ihr wißt wohl,« sagte der Cardinal, »daß ich auch große kirchliche Gewalt besitze?«
Der Mönch schüttelte mit dem Kopfe und sagte:
»Eminenz, ich glaube, daß die Buße, welche man sich selbst auferlegt, Gott wohlgefälliger ist als die, welche man sich auferlegen läßt.«
»Und auf welche Weise beabsichtigt Ihr denn zu reisen?«
»Zu Fuß und bettelnd.«
»Die Reise ist aber lang und beschwerlich.«
»Ich bin kräftig.«
»Sie ist auch gefährlich.«
»Um so besser. Ich werde nicht böse sein, wenn ich während derselben auch einmal auf etwas Anderes als den armen Giacobini schlagen kann.«
»Ihr werdet Euch auch, um nicht zu lange Zeit zu eurer Reise zu brauchen, an Schiffscapitäne mit der Bitte um Ueberfahrt wenden müssen.«
»Ich werde mich an Christen wenden, und sobald ich Ihnen sage, daß ich Christum anbeten will, werden Sie mir Ueberfahrt gewähren.«
»Würdet Ihr es aber nicht wenigstens auf alle Fälle vorziehen, wenn ich Euch irgend einem englischen Schiffe empfähle, welches nach Bairuth oder Saint-Jean-d’Acre segelt?«
»Ich will nichts von den Engländern, das sind Ketzer!«, sagte Fra Pacifico mit einem Gesichte, in dem sich Haß sehr deutlich ausprägte.
»Habt Ihr ihnen weiter nichts vorzuwerfen?« fragte Ruffo, indem er den Mönch mit einem durchbohrenden Blick ansah.
»Und dann,« fügte Fra Pacifico hinzu, indem er mit der geballten Faust nach der britannischen Flotte zeigte, »und dann haben sie auch meinen Admiral gehängt!«
»Und dies ist das Verbrechen, für welches Ihr für sie am Grabe Christi Verzeihung erbitten wollt, nicht wahr?«
»Für mich! – nicht für die Engländer.«
»Für Euch?« fragte Ruffo erstaunt.
»Habe ich denn nicht dazu beigetragen?« sagte der Mönch.
»Inwiefern denn?«
»Indem ich einer schlechten Sache diente.«
Der Cardinal lächelte und sagte:
»So haltet Ihr also des Königs Sache für eine schlechte?«
»Ich glaube, daß die Sache, welche meinen Admiral zum Tode brachte, der doch die verkörperte Gerechtigkeit, Ehre und Rechtschaffenheit war, keine gute sein kann.«
Die Stirn des Cardinals umwölkte sich und er seufzte.
»Dann,« fuhr der Mönch mit dumpfer Stimme fort, »hat der Himmel auch ein Wunder geschehen lassen.«
»Was für eins denn?«, fragte der Cardinal, welchen man bereits von der sonderbaren Erscheinung berichtet, die das Fest gestört, welches man am vorhergehenden Abende auf dem »Donnerer« gegeben.
»Der Leichnam des Märtyrers ist aus dem Meeresgrunde, wo er seit dreizehn Tagen gelegen, aufgestiegen, um dem Könige und dem Admiral Nelson Vorwürfe über seinen Tod zu machen, und gewiß hätte Gott das nicht geschehen lassen, wenn der Tod ein gerechter gewesen wäre.«
Der Cardinal senkte das Haupt und sagte dann nach einem augenblicklichen Schweigen:
»Ich verstehe. Und Ihr wollt euren unfreiwilligen Theil an dieser Schuld büßen?«
»Ja wohl, und deswegen bitte ich Sie, mir den geradesten Weg nach Jerusalem zu bezeichnen.«
»Der kürzeste Weg würde der fein, wenn Ihr Euch in Tarent einschifftet und in Bairuth landetet, aber da Ihr den Engländern keinen Dank schuldig sein wollt —«
»Nein, durchaus nicht, Eminenz.«
»Nun, hier habt Ihr eure Marschroute – Soll ich sie aufschreiben?«
»Nein, ich kann nicht lesen, aber ich habe ein gutes Gedächtniß, fürchten Sie nichts.«
»Nun gut. Von hier begebt Euch über Avellino, Benevent nach Manfredonia, von Manfredonia schifft Euch dann entweder nach Scutari oder Delvino ein, dann setzt über den Piräus, und geht nach Saloniki, hier werdet Ihr ein Schiff finden, welches Euch entweder nach Smyrna, Cypern oder nach Bairuth bringen wird. Seid Ihr dann einmal in Bairuth, so könnt Ihr Jerusalem in drei Tagen erreichen. Dort begebt Euch in das Franciscanerkloster, verrichtet eure Andachten am heiligen Grabe, und wenn Ihr Gott um Verzeihung eurer Sünden anfleht, so bittet ihn zugleich, daß er auch mir meine Sünde vergeben möchte.«
»Eure Eminenz hat also auch eine Sünde begangen?« fragte Fra Pacifico, indem er den Cardinal erstaunt anblickte.
»Ja, eine große Sünde, die mir Gott, der in unseren Herzen lesen kann, vielleicht vergibt, aber die mir die Nachwelt nimmermehr vergeben wird.«
»Welche Sünde ist denn das?«
»Ich habe einen König, welcher wortbrüchig, dumm und grausam ist, und welchen die Vorsehung vom Throne gestürzt, wieder auf denselben gesetzt. Geht, Bruder, geht, und betet für uns Beide.«
Fünf Minuten später saß Fra Pacifico auf seinem Esel und ritt nach Nola, der ersten Station auf seinem Wege nach Jerusalem.
Zweites Capitel.
Man wird sich erinnern, daß am Tage der Ankunft des Königs im Golf von Neapel eine englische Kugel die Tricolore zerschossen, welche vom Castell San Elmo herabwehte, und daß man ihre Stelle durch die Parlamentärflagge ersetzt hatte.
Die letztere hatte dem König so reiche Hoffnung eingeflößt, daß er, wie man sich erinnern wird, nach Palermo schrieb, er hoffe, die Capitulation werde am folgenden Morgen unterzeichnet werden.
Der König irrte sich; um aber dem Obersten Mejean Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, müssen wir sagen, daß es nicht seine Schuld war, wenn er sich am nächsten Morgen nicht ergab, sondern vielmehr die des Königs.
Der König hatte sich so gefürchtet, als ihm am Abend des 10. der Leichnam Caracciolos erschienen war, daß er den ganzen nächsten Morgen im Bett liegen blieb, von Fieberfrost geschüttelt, und stets weigerte er sich auf das Deck zu kommen. Es half alles Reden nichts, auch nicht, daß man ihm sagte, daß, da er es gestattet habe, die Leiche früh um 10 Uhr in der Kirche von Santa-Lucia beigesetzt worden sei, er machte eine Bewegung mit dem Kopf, welche zu jagen schien: »Einem solchen Burschen traue ich nicht.«
Während der Nacht wechselte man den Ankerplatz, und ankerte zwischen dem Castello d’Uovo und dem Castello Nuovo.
Von dieser Veränderung benachrichtigt, willigte der König ein, sein Zimmer zu verlassen, aber ehe er sich auf das Deck begab, erkundigte er sich sorgfältig, ob man nichts oben auf der Meeresoberfläche schwimmen sähe.
Man sah nichts, und keine Welle trübte die azurfarbene Fläche.
Der König athmete bei dieser Nachricht freier auf.
Der Herzog della Salandra, Generallieutenant der Truppen Seiner sicilischen Majestät, erwartete ihn, um ihm die Bedingungen zu unterbreiten, unter welchen Mejean sich erbot, das Castell zu übergeben.
Es waren folgende:
»Artikel 1. Die französische Besatzung des Castells San Elmo übergibt sich Eurer Majestät und den Verbündeten zu Kriegsgefangenen, und wird nicht gegen die Mächte ziehen, welche im Kampfe mit der französischen Republik stehen, so lange sie nicht regelmäßig ausgewechselt ist.
»Artikel 2. Die englischen Grenadiere werden gleich am Tage der Capitulation das Thor des Castells besetzen.
»Artikel 3. Die französische Besatzung wird das Castell den Morgen nach der Capitulation mit Waffen und Gepäck verlassen. Vor den Thoren der Festung wird sie warten, bis ihre Stelle durch eine Abtheilung portugiesischer, englischer, russischer und neapolitanischer Soldaten ersetzt werden wird, welche, sobald die Garnison ausgerückt ist, sofort Besitz von dem Castell nimmt. Dann wird sie die Waffen strecken.
»Artikel 4. Die Officiere behalten ihre Degen.
»Artikel 5. Die Besatzung soll so lange auf den englischen Schiffen untergebracht werden, bis die Schiffe bereit sind, welche sie nach Frankreich bringen sollen.
»Artikel 6. Sobald die englischen Grenadiere die Thore besetzt haben, werden
»Artikel 7. Eine Wachmannschaft französischer Soldaten soll die französische Fahne vor Zerstörung schützen, und so lange dableiben, bis ein englischer Officier und eine englische Wachmannschaft sie ablöst. Erst dann kann das königliche Banner aufgezogen werden.
»Artikel 8, Alles Privateigenthum bleibt dem Eigenthümer, nur alles Staatseigenthum und alle durch Plünderung erlangten Gegenstände werden mit dem Castell übergeben werden.
»Artikel 9. Die Kranken, welche nicht transportiert werden können, bleiben mit französischen Wundärzten in Neapel, wo sie auf Kosten der französischen Regierung erhalten und von wo aus sie nach ihrer Genesung nach Frankreich zurückgeschickt werden.«
Diese am Abend vorher aufgesetzte Capitulation war bereits von Mejean unterzeichnet, und so war nur noch die Einwilligung des Königs nöthig, damit der Herzog della Salandra und die Capitäns Truebridge und Bailly ihre Namen unterzeichnen konnten.
Der König gab auch seine Einwilligung und so wurde diese Capitulation noch an demselben Tage unterzeichnet.
Cardinal Ruffos Unterschrift fehlt jedoch und das beweist eine vollständige Trennung von den Alliierten.
Obgleich die Capitulation das Datum des 11. trug, war sie doch erst, wie wir bereits gesagt haben, den 12. unterzeichnet worden, so daß erst am 13. die Verbündeten vor die Thore des Castells San Elmo rückten, um dieses in Besitz zu nehmen.
Eine Stunde vorher schickte Mejean zu Salvato und ließ diesen bitten, zu ihm auf sein Zimmer zu kommen.
Salvato leistete der Einladung Folge.
Die beiden Männer grüßten sich höflich, aber kalt. Der Oberst bat Salvato, Platz zu nehmen, und dieser setzte sich.
Der Oberst blieb stehen, indem er sich auf die Stuhllehne stützte.
»Herr General,« sagte er zu Salvato, »erinnern Sie sich noch, was hier in diesem Zimmer vorging, als ich das letzte Mal die Ehre hatte, Sie hier zu empfangen?«
»Ja wohl, Oberst, wir schlossen einen Vertrag.«
»Erinnern Sie sich auch noch, wie die Bedingungen dieses Vertrages lauteten?«
»Wir kamen dahin überein, daß Sie uns, die Signora San Felice und mich, für zwanzigtausend Francs die Person, auf französischen Boden bringen sollten.«
»Sind diese Bedingungen nicht erfüllt worden?«
»Nur für eine Person.«
»Ist es Ihnen möglich, diese Bedingungen auch für die andere Person zu erfüllen?«
»Nein.«
»Was ist nun da zu thun?«
»Nun, mir scheint das sehr einfach. Sie wollten mir einen Dienst erweisen, den ich aber nicht von Ihnen annehmen wollte.«
»Nun, das beruhigt mich. Ich sollte vierzigtausend Francs für die Rettung zweier Personen bekommen, da ich aber nur zwanzigtausend Francs bekommen habe, so werde ich nur eine Person retten. Welche von beiden nun ?«
»Die schwächste, welche sich nicht selbst retten könnte.«
»Haben Sie denn Aussicht, daß Sie sich selbst retten können?«
»Ja wohl.«
»Welche denn?«
»Haben Sie nicht das Papier gesehen, welches an Stelle des Geldes in dem Kästchen lag, und welches mir andeutete, daß man mich überwachte?«
»Wollen Sie mir den Schmerz bereiten, Sie ausliefern zu müssen? Der 6. Artikel der Capitulation bedingt, daß alle Unterthanen des Königs den Verbündeten ausgeliefert werden.«
»Beruhigen Sie sich, ich werde mich selbst ausliefern.«
»Ich habe Ihnen nun mitgetheilt, was ich Ihnen mitzutheilen hatte,« sagte Mejean mit einer Bewegung des Kopfes, welche zu sagen schien: »Jetzt können Sie gehen.«
»Ich habe Ihnen aber noch nicht, Alles gesagt,« erwiederte Salvato, ohne daß die geringste Veränderung in seiner Stimme wahrzunehmen gewesen wäre.
»So sprechen Sie.«
»Habe ich das Recht zu fragen, durch welches Mittel Sie die Rettung der Signora San Felice bewirken werden? Denn Sie werden leicht begreifen, wenn ich mich dem Untergange weihe, so geschieht es, damit sie gerettet werde.«
»Das ist nur zu billig, und das Recht steht Ihnen zu, über diesen Punkt die genaueste Auskunft zu verlangen.«
»Nun wohl, ich höre.«
»Der 9. Artikel der Capitulation sagt, daß die Kranken, welche nicht transportiert werden können, in Neapel bleiben werden. Eine unserer Marketenderinnen ist in diesem Falle. Sie wird in Neapel bleiben und die Signora San Felice wird ihre Stelle und Kleidung annehmen, und ich stehe Ihnen dafür, daß ihr kein Haar gekrümmt werden wird.«
»Das ist Alles, was ich wissen wollte, mein Herr,« sagte Salvato, indem er sich erhob. »Es bleibt mir weiter nichts übrig, als Sie zu bitten, so bald als möglich der Signora die Kleider zu schicken, welche sie anlegen soll.«
»Dies soll binnen fünf Minuten geschehen.«
Die beiden Männer grüßten sich, und Salvato ging fort.
Luisa erwartete ihn voll Angst, denn sie wußte wohl, daß Salvato nur die Hälfte der Summe hatte zahlen können, und sie kannte die Habsucht Mejean’s.
Lächelnd trat Salvato in das Zimmer.
»Nun, wie ist es denn?«, fragte ihn Luisa lebhaft.
»Es ist Alles in Ordnung.«
»Er hat dein Wort angenommen?«
»Nein, ich habe ihm ein Versprechen abgenommen. Du verläßt San Elmo als Marketenderin verkleidet unter dem Schutz der französischen Uniform.«
»Und Du?«
»Ich habe erst noch eine kleine Förmlichkeit zu erfüllen, so daß ich mich einen Augenblick von Dir trennen muß.«
»Welche Förmlichkeit hast Du denn zu erfüllen?« fragte Luisa voll Unruhe.
»Ich habe zu beweisen, daß, obgleich ich in Molisa geboren bin, ich in französischen Diensten stehe. Du weißt, daß nichts leichter ist, da alle meine Papiere im Palaste von Angri sind.«
»Du verläßt mich aber?«
»Nur auf einige Stunden.«
»Einige Stunden! Du sagtest doch vorhin einen Augenblick?«
»Augenblick oder Stunden. Der Teufel, wie man genau bei Dir sein muß!«
Luisa schlang die Arme um Salvato und küßte ihn zärtlich, indem sie sagte:
»Du bist ein Mann, Du bist stark, Du bist wie eine Eiche, während ich ein schwaches Rohr bin. Sobald Du Dich von mir entfernt, beuge ich mich jedem Lüftchen. Was willst Du! Deine Liebe ist Hingebung, meine Liebe aber nur Egoismus.«
Salvato drückte Luisa an sein Herz, und wie er sich auch zu bezwingen suchte, so zitterten eine eisenfesten Nerven so heftig, daß Luisa ihn erstaunt ansah.
In diesem Augenblick öffnete sich die Thür, und man brachte Luisa den versprochenen Marketenderanzug.
Salvato benutzte das, um den Gedanken Luisas eine andere Richtung zu geben. Er zeigte ihr lachend die verschiedenen Kleidungsstücke, welche sie anlegen sollte, und die Toilette begann.
An dem heiteren Gesichte Luisas konnte man sehen, daß ihr augenblicklicher Verdacht vergessen war. Sie sah reizend aus in dem kurzen Rock mit den rothen Aufschlägen und in dem mit der dreifarbigen Cocarde geschmückten Hute.
Salvato ward nicht müde sie anzusehen und zu sagen: »Ich liebe Dich! ich liebe Dich! ich liebe Dich!«
Sie lächelte, und ihr Lächeln war beredter als alle Worte.
Die Stunde verging wie eine Sekunde.
Die Trommel wirbelte und das war das Zeichen, daß die englischen Grenadiere das Thor des Castells besetzten.
Unwillkürlich schauderte Salvato, und eine leichte Blässe überzog sein Gesicht.
Er warf einen Blick in den Hof, wo die Besatzung unter den Waffen stand.
»Es ist Zeit, daß wir hinabgehen,« sagte er zu Luisa, »und daß wir uns in die Reihen stellen.«
Beide begaben sich hinunter, aber auf der Schwelle blieb Salvato stehen, und überblickte zum letzten Male seufzend das Zimmer, indem er Luisa an sein Herz drückte.
Hier waren sie ja auch glücklich gewesen.
Mit den Worten:
Mejean bedeutete Salvato, sich zu ihnen zu gesellen und Luisa, sich dahinter zu stellen.
Er postierte sich so nahe als möglich, um ihr im Nothfalle sofortigen Schutz leisten zu können.
Man konnte sich nicht beklagen, denn der Oberst Mejean führte das, wozu er sich verpflichtet hatte, mit der gewissenhaftesten Genauigkeit aus.
Die Trommeln wirbelten, der Ruf »Vorwärts ! Marsch!« ertönte.
Die Reihen öffneten sich, die Geißeln nahmen ihre Plätze ein.
Die Tamboure marschierten zum Festungsthor heraus, während die ganze russische, englische und neapolitanische Armee draußen wartete.
An der Spitze derselben standen die drei Oberofficiere, der Herzog della Salandra und die Capitäne Truebridge und Bailly.
Um die Besatzung zu ehren, hielt jeder von ihnen in der einen Hand den Hut und in der andern den gezogenen Degen.
Als man den bezeichneten Ort erreicht, commandierte der Oberst Mejean: »Halt!«
Die Soldaten blieben stehen, und die Geißeln traten vor.
Dann streckten die Soldaten, wie es in der Capitulation gesagt war, die Waffen, während die Officiere ihre Degen behielten, welche sie wieder in die Scheide steckten.
Dann schritt Mejean auf die Officiere der Verbündeten zu und sagte:
»Meine Herren, kraft des 6. Artikels der Capitulation habe ich die Ehre Ihnen die Geißeln zu übergeben, welche im Castell gefangengehalten wurden.«
»Wir bestätigen hiermit, dieselben empfangen zu haben,« sagte der Herzog della Salandra, und fuhr fort, indem er die sich nähernde Gruppe betrachtete, »wir rechneten jedoch nur auf fünf und hier sind sechs.«
»Der Sechste ist keine Geißel,« sagte Salvato, »der Sechste ist ein Feind.«
Dann, als er bemerkte, daß die drei Officiere ihn fest ansahen, während Mejean, nachdem er auch einen Degen wieder in die Scheide gesteckt, sich wieder an die Spitze der Besatzung stellen wollte, sagte er mit stolzer und lauter Stimme:
»Ich bin Salvato Palmieri, neapolitanischer Unterthan, aber General in französischen Diensten.«
Luisa, welche der ganzen Scene mit dem Blick einer Liebenden gefolgt war, stieß einen Schrei aus.
»Er rennt in sein Verderben, sagte Mejean. »Warum hat er denn gesprochen? Es war doch so einfach nichts zu jagen.«
»Wenn er aber in ein Verderben rennt,« rief Luisa, »so muß ich, so will ich mit ihm zu Grunde gehn! Salvato! mein Salvato! erwarte mich.«
Und indem sie aus den Reihen stürzte, den Oberst Mejean, der ihr den Weg versperrte, auf die Seite drängte, warf sie sich dem jungen Manne in die Arme und rief:
»Ich bin Luisa San Felice, und ihm stets treu im Leben und im Tode!«
»Meine Herren, Sie hören es,« sagte Salvato. »Wir haben Sie nur um eine Gnade zu bitten, nämlich uns während der kurzen Frist, die wir noch bis zu unserem Tode haben, nicht zu trennen.«
Der Herzog della Salandra wendete sich zu den beiden anderen Officieren, als ob er sie zu Rathe ziehen wollte.
Diese betrachteten die beiden jungen Leute mit einem gewissen Mitleid.
»Sie wissen,« sagte der Herzog, »daß der König ganz ausdrücklich den Tod der San Felice befohlen hat.«
»Er hat aber nicht verboten, ihren Geliebten mit zum Tode zu verurtheilen,« bemerkte Truebridge.
»Nein.«
»Nun, dann wollen wir für die Beiden thun, was von uns abhängt, wir wollen ihnen diesen letzten Wunsch erfüllen.«
Der Herzog della Salandra gab ein Zeichen, worauf vier neapolitanische Soldaten vortraten.
»Führt diese beiden Gefangenen in das Castello Nuovo,« sagte er. »Ihr haftet mit eurem Kopf für dieselben.«
»Ist es Madame gestattet, diese Verkleidung abzulegen, und ihre Kleider wieder anzuziehen?« fragte Salvato.
»Wo sind denn diese Kleider?« fragte der Herzog.
»In dem Zimmer der Signora im Castello San Elmo.«
»Wollen Sie schwören, daß dies kein Vorwand zu einem Fluchtversuch ist?«
»Ich schwöre Ihnen, daß wir Beide in einer Viertelstunde wieder hier sein werden.«
»Dann gehen Sie, wir verlassen uns auf Ihr Wort.«
Die beiden Männer grüßten sich, und Luisa und Salvato begaben sich wieder in das Castell.
Als Luisa die Thür des Zimmers öffnete, welches sie in der Hoffnung auf Freiheit, Liebe und Glück verlassen, und welches sie wieder als Gefangene und Verurtheilte betrat, sank sie auf einen Sessel und brach in Schluchzen aus.
Salvato kniete vor ihr nieder.
»Luisa,« sagte er, »Gott ist mein Zeuge, daß ich Alles gethan habe, was nur in meiner Macht stand, um Dich zu retten. Stets hast Du Dich geweigert, mich zu verlassen und gesagt: »Wir leben oder sterben zusammen!« Wir haben zusammen gelebt, sind zusammen glücklich gewesen, und haben in wenigen Monaten mehr Freude genossen, als die Hälfte der Menschen in ihrem ganzen Leben genießen. Heute nun, wo die Stunde der Prüfung gekommen ist, fehlt es Dir wohl an Muth? Armes Kind! hast Du deine Kräfte überschätzt? Theuere Seele, hast Du Dich falsch beurtheilt?«
Luisa erhob den Kopf, welchen sie an Salvato’s Brust verborgen, schüttelte ihr langes Haar zurück, welches in ihr ins Gesicht fiel, und sah Salvato durch ihre Thränen hindurch an.
»Verzeihe mir einen Augenblick der Schwäche, Salvato,« sagte sie; »Du siehst wohl, daß ich mich nicht vor dem Tode fürchte, denn ich habe ihn ja gesucht, als ich gesehen, daß Du mich getäuscht hattest, und ohne mich sterben wolltest, geliebter Salvato. Du hast gesehen, ob ich gezögert habe, und ob der Ruf, welcher uns vereinigen sollte, auf sich hat warten lassen.«
»Theure Luisa!«
»Jetzt aber,« fuhr sie fort, »beim Anblick dieses Zimmers, bei der Erinnerung an die schönen Stunden, die wir hier verlebt, bei dem Gedanken, daß sich die Thore seines Kerkers vielleicht für uns öffnen werden, daß wir vielleicht fern und getrennt voneinander dem Tode entgegengehen, wollte mir das Herz brechen. Aber sieh, bei dem Laute deiner Stimme versiegen die Thränen, und Lächeln umspielt wieder meine Lippen. So lange Blut in unseren Adern fließt, so lange werden wir uns lieben, und so lange wir uns lieben, werden wir glücklich sein. Der Tod mag kommen, denn wenn der Tod die Ewigkeit ist, so wird er für uns ewige Liebe sein.«
»Ah, an diesen Worten erkenne ich meine Luisa,« sagte Salvato.
Dann erhob er sich, umschlang Luisa und sagte, während er sie küßte:
»Steh auf, steh auf, Römerin! Steh’ auf, Aria! Wir haben versprochen in einer Viertelstunde zurückzukommen, und wir wollen keine Secunde auf uns warten lassen.«
Luisa hatte ihren Muth wiedergewonnen. Sie legte eilig ihren Marketenderanzug ab und ihre frühere Toilette an, dann stieg sie mit der Majestät einer Königin, mit dem Schritt, welchen Virgil der Mutter des Aeneas zuschreibt, und an welchem man die Göttinnen erkennt, die Treppe hinunter, über den Hof, verließ auf Salvato’s Arm gestützt die Festung, und ging gerade auf die drei Commandanten der alliierten Armee zu.
»Meine Herren,« sagte sie mit erhabener Anmuth und melodischer Stimme, »empfangen Sie hiermit den Dank einer Frau und zugleich den Segen einer Sterbenden, – denn ich habe Ihnen bereits gesagt, daß ich in Voraus verurtheilt bin – weil Sie gestattet haben, daß man uns nicht trennte! Und wenn Sie es möglich machen können, daß man uns zusammen einkerkert, daß wir zusammen die Todesstrafe erleiden und dasselbe Schaffot besteigen dürfen, so werde ich diesen Segen noch unter dem Beil des Henkers erneuern.«
Salvato band seinen Degen los und reichte diesen Bailly und Truebridge, welche davor zurücktraten, dann dem Herzog della Salandra.
»Ich nehme ihn, weil ich dazu gezwungen bin, mein Herr,« sagte dieser; »Gott aber ist mein Zeuge, daß ich Ihnen Ihren Degen viel lieber lassen möchte. Ich will Ihnen noch mehr sagen, mein Herr, ich bin Soldat und nicht Gendarme, und da ich keinen besonderen Befehl in Bezug auf Sie erhalten —«
Dabei sah er die beiden Officiere an, welche ihm zu verstehen gaben, daß sie Alles in seinen Willen stellten.
»Wenn Sie mir die Freiheit geben, sagte Salvato, welcher wohl wußte, was die unterbrochenen Worte und das Zeichen, welches den Gedanken des Herzogs della Salandra ergänzte, bedeuteten, »wenn Sie mir die Freiheit geben, werden Sie dieselbe auch zugleich der Signora schenken?«
»Das ist unmöglich, mein Herr,« sagte der Herzog, »denn die Signora ist mit ihrem Namen vom Könige bezeichnet, sie soll vor Gericht gestellt werden. Ich selbst wünsche aber von ganzem Herzen, daß man sie nicht verurtheilt.«
Salvato verneigte sich und sagte:
»Was sie für mich gethan, das thue ich auch für sie, und unser Schicksal ist im Tode wie im Leben eins.«
Und Salvato küßte die, mit der er sich für die Ewigkeit verlobte, auf die Stirn.
»Signora,« sagte der Herzog della Salandra, »ich habe einen Wagen kommen lassen, so daß Ihnen die Unannehmlichkeit erspart bleibt, durch die Straßen Neapels zwischen vier Soldaten gehen zu müssen.«
Luisa machte eine Geberde des Dankes.
Sie und Salvato begaben sich dann unter dem Geleit von vier Soldaten den Weg des Petrajo hinunter, bis sie den Vico da Santa Maria-Apparente erreichten. Hier erwartete sie ein Wagen, um welchen eine Menge Neugieriger sich versammelt hatte.
Gleich vorn unter der Menge stand ein Mönch des Sanct-Benedictinerordens.
In dem Augenblick, wo Salvato an ihm vorüberging, hob der Mönch seine Capuze.
Salvato zuckte zusammen.
»Was fehlt Dir denn?« fragte Luisa.
»Mein Vater,« murmelte ihr Salvato ins Ohr; »noch ist nichts verloren!«
Drittes Capitel.
Wenn man im Castello Nuovo den Kerker zu sehen verlangt, welcher der Krokodilgraben heißt, so zeigt der Kerkermeister zuerst das Skelett des riesenhaften Sauriers, von welchem der Kerker den Namen hat, und welchen man der Sage nach hier gefangen. Dann muß man unter der Thür hinweggehen, über welcher das Gerippe sich befindet, dann wird man vom Kerkermeister an eine enge Thür geführt, durch welche man auf eine Treppe von zweiundzwanzig Stufen gelangt, und welche zu einer dritten, massiven, eichenen, mit Eisen beschlagenen Thür führt, durch welche man in eine tiefe und dunkle Höhle gelangt.
In diesem Grab, dem ruchlosen Werk von Menschen, in welchem sie die lebendigen Leichname ihrer Mitmenschen begraben wollen, stößt man sich an einem Granitblock, den man nicht anders fassen kann, als bei der eisernen Stange, die seine Axe bildet. Dieser Granitblock schließt die Mündung eines Brunnens, welcher mit dem Meere in Verbindung steht. In stürmischen Tagen schleudern nun die aufgeregten und tobenden Wellen ihren Schaum durch die Ritzen des schlecht eingesenkten Steines, so daß das salzige Wasser in die Höhle strömt und den Gefangenen bis in den äußersten Winkel seines Kerkers verfolgt.
Durch diese Oeffnung des Abgrundes, sagt die düstere Legende, erschien das scheußliche Unthier, welches dem Graben den Namen gegeben, aus dem Schooße des Meeres hervorkommend.
Fast immer fand es in dem Kerker eine menschliche Beute, und nachdem es dieselbe verschlungen, stürzte es sich wieder in den Abgrund.
Hier herein, sagt die Volkssage, warfen die Spanier die Frau und die vier Kinder Masaniellos, jenes Königs der Lazzaroni, welcher Neapel befreien wollte, und welcher auf seinem Throne ebenso schwindelig ward wie Caligula oder Nero.
Den Vater und Gatten hatte das Volk verschlungen, das Krokodil, welches dem Volke sehr ähnlich ist, verschlang die Mutter mit ihren Kindern.
Der Commandant vom Castello Nuovo befahl, daß man Salvato und Luisa in diesen Kerker bringen sollte.
Beim Scheine einer Lampe, welche von der Decke herabhing, sahen die beiden Liebenden mehrere Gefangene, welche bei ihrem Eintritt in ihrer Unterhaltung innehielten und ängstliche Blicke auf die Ankömmlinge warfen. Da aber ihre Augen mehr an das Halbdunkel des Kerkers gewöhnt waren, so erkannten sie Luisa und Salvato bald, und empfingen sie mit einem Rufe der Freude und zugleich des Mitleids. Ein Mann warf sich Luisa zu Füßen, eine Frau an ihre Brust, drei Gefangene umgaben Salvato und ergriffen seine Hände, und bald bildeten Alle eine Gruppe, aus deren verworrenen Ausrufen schwer zu erkennen war, ob mehr die Freude als der Schmerz dieselben eingab.
Der Mann, welcher sich Luisa zu Füßen geworfen, war Michele, die Frau, welche an ihrem Halse hing, Eleonora Pimentel, die drei Gefangenen, welche Salvato umringten, waren Domenico Cirillo, Manthonnet und Velasco.
»Ach, arme, liebe kleine Schwester!« rief Michele, »wer hätte uns gesagt, daß die Hexe Nanno so richtig und wahr die Zukunft voraussagte?«
Luisa mußte unwillkürlich schaudern, mit einem traurigen Lächeln ließ sie die Hand über ihren so zarten, durchsichtigen Hals gleiten, und schüttelte dabei mit dem Kopf, als ob sie sagen wollte, daß er dem Henker nicht viele Mühe machen würde.
Ach! sie täuschte sich sogar in dieser letzter Hoffnung.
Die Aufregung, welche unter den Gefangenen durch Salvatos und Luisa’s Ankunft entstanden, hatte sich noch nicht gelegt, als die Thür sich wieder öffnete, und auf der düsteren Schwelle ein Mann von hohem Wuchs erschien, welcher das Costüm eines Generals der Republik trug, wie schon Manthonnet es getragen.
»Zum Teufel,« sagte er, als er eintrat, »ich fühle mich versucht mit Jugurtha zu sagen: Die Bäder Roms sind nicht warm.«
»Hektor Caraffa!« riefen zwei oder drei Stimmen.
»Domenico Cirillo! Velasco! Manthonnet! Salvato! Auf alle Fälle ist hier bessere Gesellschaft wie in dem mamertinischen Gefängniß. Ihr Diener, meine Damen! Ah! die Signora Pimentel! Die Signora San Felice! Hier ist ja Alles beisammen: Wissenschaft, Muth, Poesie, Liebe und Musik. Wir werden nicht Zeit zur Langweile haben.«
»Ich glaube gar nicht, daß man uns überhaupt Zeit dazu lassen wird,« sagte Cirillo mit seiner weichen, traurigen Stimme.
»Aber wo kommst Du denn her, mein lieber Hektor?« fragte Manthonnet. »Ich glaubte, Du seiest schon weit von uns entfernt, und hinter den Mauern von Pescara in Sicherheit.«
»Ich bin auch wirklich dort gewesen,« sagte Hektor. »Ihr habt aber capituliert. Der Cardinal Ruffo schickte mir eine Abschrift eurer Capitulation, und schrieb mir, zu thun, was Ihr gethan. Zu derselben Zeit schrieb mir auch der Abt Pronio, mich unter denselben Bedingungen zu ergeben, indem er mir nicht nur das Leben, sondern auch Ermächtigung versprach, mich nach Frankreich zu begeben. Ich hielt es nicht für entehrend, zu thun, was Ihr gethan, ich unterzeichnete die Capitulation und übergab die Stadt, wie Ihr die Castelle übergeben. Am nächsten Morgen kam der Abt den Kopf hängend zu mir, und wußte nicht, wie er mir die Nachricht beibringen sollte, denn diese war allerdings keine gute. Der König hatte ihm geschrieben, daß, da er mit mir ohne Vollmacht unterhandelt hatte, er mich an Händen und Füßen gebunden ausliefern sollte, wenn er nicht mit seinem Kopfe für meinen büßen wollte. Pronio aber hielt auf seinen Kopf, obgleich derselbe nicht schön war, erließ mich an Händen und Füßen binden und mich auf einem Karren nach Neapel schaffen, wie man ein Kalb zu Markte schleppt. Erst im Castello Nuovo, nachdem sich die Thür hinter mir geschlossen, hat man mich meiner Bande entledigt und hierhergeführt. Das ist meine Geschichte, und jetzt ist die Reihe des Erzählens an Euch.«
Ein Jeder erzählte nun seine Geschichte. Luisa und Salvato begannen. Wir kennen ihre Geschichte, wie auch die Cirillo’s, Velascos, Manthonnets und Eleonora Pimentel’s. Alle waren im Vertrauen auf die Verträge in die Felucken gestiegen, wo sie Nelson jedoch zu Gefangenen gemacht.
»Ich habe Euch eine gute Nachricht mitzutheilen,« sagte Ettore Caraffa, als Alle mit dem Erzählen fertig waren, »Nicolino ist gerettet.«
Ein Freudenschrei entschlüpfte Allen, und man verlangte Genaueres zu hören.
Man wird sich erinnern, daß Salvato, vom Cardinal Ruffo benachrichtigt, Nicolino beauftragt hatte, dem Admiral mitzutheilen, daß sein Leben in Gefahr sei. Nicolino hatte den Pachthof erreicht, auf welchem ein Onkel sich verborgen, jedoch eine Stunde nach der Gefangennahme des Letzteren. Er erfuhr den Verrath des Pächters und hatte sich weiter nicht aufgehalten, sondern zu Ettore Caraffa begeben. Dieser hatte ihn bei sich in Pescara aufgenommen, wo er Theil an der Vertheidigung der Stadt in der letzten Zeit genommen, aber als man sich dem Abte Pronio ergeben wollte, hatte Nicolino kein rechtes Vertrauen in die Sache, sondern verkleidete sich als Bauer und gewann das Gebirge. Von den sechs Verschworenen, welche wir im Schlosse der Königin Johanna zu Anfang unserer Erzählung gesehen haben, war er der Einzige, welcher der Reaction nicht in die Hände fiel.
Diese gute Nachricht erfreute denn die Gefangenen auch sehr, dann aber waren sie auch, wie wir bereits gesagt haben, sehr glücklich, vereinigt zu sein. Allem Anscheine nach würde man sie wohl auch zusammen verurtheilen und hinrichten. Den Girondisten war dasselbe Glück zu Theil geworden und man weiß, daß sie es zu benutzen gewußt hatten.
Man brachte das Abendbrot für Alle und Matratzen für die neuen Ankömmlinge. Während des Essens machte Cirillo seine drei neuen Gefährten mit den Gebräuchen und Gewohnheiten im Gefängnisse bekannt, welches er nun bereits dreizehn Tage und dreizehn Nächte bewohnte.
Die Gefängnisse waren überfüllt, der König selbst gab ja in einem seiner Briefe, wie wir gesehen haben, achttausend Gefangene an.
Jeder dieser Cirkel der Hölle, die gut zu beschreiben es eines Dante bedürfte, besaß eine besonderen Teufel, welche die Verurtheilten quälen mußten.
Sie mußten ihnen die schwersten Ketten anlegen, ihren Durst erregen, die Fastenzeiten verlängern, fast alles Licht entfernen, die Speisen besudeln, und während sie das Leben in eine grausame Plage verwandelten, die Gefangenen doch am Sterben hindern.
Und wirklich sollte man meinen, daß die Gefangenen unter den Martern, welche den schimpflichen Todesstrafen vorausgingen, den Selbstmord wie einen rettenden Engel angefleht hätten.
Drei- bis viermal kam man in der Nacht unter dem Vorwande der Durchsuchung in die Kerker, und weckte die, welche schlafen konnten. Alles war verboten, nicht nur Messer und Gabeln, sondern auch Gläser, denn man sagte, daß man sich mit einem Glasscherben die Adern öffnen könnte. Ebenso verboten waren auch Tischtücher und Servietten, da man sie zerschneiden, zusammendrehen und sich ihrer dann als Stricke, ja sogar als Leiter bedienen könnte.
In der Geschichte sind die Namen von dreien dieser Quälgeister erhalten geblieben.
Einer war ein Schweizer, Namens Dunce, welcher zur Entschuldigung seiner Grausamkeit angab, daß er eine zahlreiche Familie zu ernähren habe.
Der zweite war ein Oberst von Gambs, ein Deutscher, welcher unter Mack gestanden hatte und wie dieser geflohen war.
Der dritte endlich war unser alter Bekannter, Scipio Lamarra, der Fahnenträger der Königin, welchen diese dem Cardinal so warm empfohlen, und welcher seiner königlichen Beschützerin dadurch Ehre gemacht, daß er Caracciolo durch Verrath festgenommen und an Bord des »Donnerers« gebracht hatte.
Die Gefangenen aber hatten sich vorgenommen, daß sie ihren Henkern nicht die Freude machen wollten, sich an ihren Qualen weiden zu können. Kamen sie am Tage, so setzten sie ihre Unterhaltung fort, indem sie auf den Befehl der Visitatoren nur die Plätze wechselten, während Velasco, ein entzückender Musiker, dem man gestattet seine Guitarre mit sich zu nehmen, die Haussuchungen mit den fröhlichsten Melodien und heitersten Gesängen begleitete. Kamen die Quäler in der Nacht, so erhob sich ein jeder, ohne zu klagen oder zu murren, und das geschah schnell, da jeder sich angekleidet niederlegte, weil er ja nur eine Matratze zum Lager hatte.
Unterdessen verwandelte man mit der größten Geschwindigkeit das Kloster Monte Oliveto in ein Tribunal. Dieses Kloster war 1411 von Luzella d’Origlia, dem Günstling des Königs Ladislaus, gegründet worden; Tasso hatte hier ein Asyl gefunden und zwischen dem Gefängniß und dem Wahnsinn eine Rast gemacht. Die Angeklagten sollten hier eine Rast zwischen dem Gefängniß und dem Tode machen.
Die Rat war eine kurze, und der Tod ließ nicht lange auf sich warten. Die Staatsjunta handelte nach dem sicilischen Gesetzbuch, das heißt nach dem alten Verfahren der sicilichen rebellischen Barone. Man nahm, um es anzuwenden, ein Gesetz aus dem Gesetzbuch Rogers, und vergaß, daß Roger, weniger eifersüchtig auf seine Gerechtsame als der König Ferdinand, nicht erklärt hatte, daß ein König nicht mit seinen rebellischen Unterthanen unterhandle, sondern im Gegentheil nicht nur einen Vertrag mit den Bewohnern von Bari und Trami, welche sich gegen ihn empört hatten, unterzeichnet und denselben auch genau erfüllt hatte.
Dieses Verfahren, welches dem des »schwarzen Zimmers« sehr ähnelte, war schrecklich, da dasselbe den Angeklagten durchaus keine Sicherheit bot. Die Anklagen und Spionagen galten so viel wie Beweise, und die Ankläger und Spione so viel wie Zeugen. Wenn der Richter es für gut fand, so kam die Tortur der Rache zu Hilfe, und unterstützte dieselbe, denn Kläger und Vertheidiger waren Männer der Junta, das heißt Männer des Königs, aber nie Männer der Angeklagten.
Ueberdies wurden die Belastungszeugen im Geheimen verhört, ohne den Angeklagten gegenübergestellt zu werden, so daß die Entlastungszeugen nicht ein Gegengewicht ausüben konnten, da sie weder öffentlich noch im Geheimen gefordert wurden, und so mußten die Angeklagten die Last der Anklage allein tragen, wie sie auch der Gnade der Richter vollständig überlassen waren.
Das Urtheil, welches von der Gewissenhaftigkeit derjenigen abhing, welche mit dem Ausspruch beauftragt wurden, stand immer unter der verderblichen Willkür des königlichen Hasses, ohne daß der Angeklagte appellieren durfte, ohne daß ihm Frist gestattet ward, ohne daß er von irgendwo Hilfe erwarten durfte. Der Galgen stand an der Thür des Tribunals, das Urtheil ward während der Nacht gefällt, den folgenden Morgen verkündet und am nächsten Tage vollstreckt. Vierundzwanzig Stunden geistliche Vorbereitung, dann das Schaffot.
Für die, welchen der König sich gnädig erwies, blieb die Grube von Favignana, das heißt ein Grab.
Ehe der Reisende, welcher von Ost nach West wandert, Sicilien erreicht, sieht er zwischen Marsala und Trapani aus dem Meere eine Klippe aufsteigen, welche von einem Castell überragt wird. Das ist das Agusa der Römer, eine verhängnißvolle Insel, welche schon zur Zeit der heidnischen Kaiser ein Gefängniß war. Eine in den Felsen gehauene Treppe führt vom Gipfel nach einer Höhle, welche mit dem Meere in gleicher Ebene liegt. Ein unheimliches Licht fällt herein, welches nie von einem Sonnenstrahl erwärmt wird, und von der gewölbten Decke tröpfelt eisiges Wasser, ein ewiger Regen, welcher den härtesten Granit zernagt und den kräftigsten Menschen tödtet.
Dieser Graben, dieses Grab, diese Gruft, das war die Huld des Königs von Neapel. Doch wir wollen zu unserer Erzählung zurückkehren.
Wir haben gesehen, daß an dem Abende, wo der Beccajo, welcher Salvato gefangen hielt, den Henker bis in seiner Höhle suchte, damit er ihn hängen sollte, Meister Donato den Gewinn ausrechnete, den ihm die zahlreichen Hinrichtungen einbringen würden, die er nothwendiger Weise zu vollziehen hatte.
Auf diesem Gewinn beruhte die Mitgift von dreihundert Ducaten, welche er seiner Tochter an dem Tage zu geben versprach, wo sie Giovanni, den ältesten Sohn des alten Fischers Basso Tomeo, heiraten würde.
Meister Donato hatte auch darüber eine Freude an den Tag gelegt, welche nur die des alten Basso Tomeo gleichkam, als er sah, wie in Folge der treulosen Nichterfüllung der Verträge die Kerker sich mit Angeklagten füllten, und als er aus dem Munde des Königs selbst vernahm, daß er den Rebellen durchaus keine Gnade widerfahren lassen würde.
Es waren achttausend Gefangene, und der niedrigsten Annahme nach standen wenigstens viertausend Hinrichtungen in Aussicht.
Viertausend Hinrichtungen, deren jede mit zehn Ducaten bezahlt ward, gaben also vierzigtausend Ducaten, und das waren zweimalhunderttausend Francs.
So saßen denn Meister Donato und sein Gevatter, der Fischer Basso Tomeo, in den ersten Tagen des Juli an demselben Tisch, wo wir sie schon haben sitzen sehen, leerten eine Flasche Wein von Capri, da sie glaubten sich diesen Extragenuß unter den obwaltenden Umständen gestatten zu dürfen, und rechneten an den Fingern aus, was das Minimum der Hinrichtungen wohl einbringen könnte.
Dieses Minimum konnte zur großen Befriedigung Beider nicht weniger als dreißig- bis vierzigtausend Ducaten einbringen.
Zu Gunsten dieser bedeutenden Summe, und wenn man sie erreichte, versprach Meister Donato die Mitgift bis auf sechshundert Ducaten zu erhöhen.
Meister Donato gestand eben diese Bewilligung zu, und war vielleicht in Folge der guten Laune, in welche ihn die Aussicht auf Galgen und Schaffot, die sich in eben so weite Ferne verlor wie die Sphinxstraße in Theben, versetzt hatte, eben im Begriff noch mehr zu gewähren, als die Thür sich öffnete und ein Gerichtsdiener der Vicaria, im Halbdunkel verborgen, fragte:
»Meister Donato?«
»Tretet näher,« erwiederte dieser, da er nicht wußte, mit wem er es zu thun hatte, und von der Heiterkeit mit fortgerissen ward, in welche ihn seine Berechnungen und der Genuß des Weines versetzt.
»Tretet Ihr selbst näher,« sagte der Gerichtsdienerin befehlendem Tone, »denn ich brauche mir nichts von Euch befehlen zu lassen, sondern Ihr müßt einen Befehl von mir entgegennehmen.«
»Oho, oho!« sagte Vater Basso Tomeo, welcher gewöhnt war im Finstern zu sehen, »es ist mir, als ob ich eine silberne Kette auf einem schwarzen Kleide glänzen sehe.«
»Gerichtsdiener der Vicaria,« antwortete hierauf die Stimme.
»Ich komme im Namen des Fiscalprocurators. Ihr habt es mit ihm auszumachen, wenn Ihr ihn warten läßt.«
»Geht schnell, schnell, Gevatter,« sagte Basso Thomeo. »Es kommt mir vor, als ob hier nicht zu spaßen wäre.«
Und er fing an die Tarantella zu dingen, welche mit dem poetischen Vers beginnt:
»Polichinello hat drei Schweine . . .«
»Hier bin ich!« rief Meister Donato, indem er schnell vom Tisch aufstand und nach der Thür lief.
»Wie Sie gesagt haben, Excellenz, Monsignore Guidobaldi darf man nicht warten lassen.«
Und ohne sich die Zeit zu nehmen, seinen Hut aufzusetzen, eilte Meister Donato dem Gerichtsdiener der Vicaria nach.
Der Weg von der Straße der Seufzer des Abgrundes nach der Vicaria ist kurz.
Die Vicaria ist das alte Castell Capuano. Während der neapolitanischen Revolution spielte sie dieselbe Rolle wie die Conciergerie in der französischen Revolution, die diente den Verurtheilten zur Rast zwischen der Verurtheilung und dem Tode.
Hier wurden die Verurtheilten, um uns des in Neapel geheiligten Ausdrucks zu bedienen, in die
Diese Capelle, die nichts Anderes als der Betsaal des Gefängnisses ist, war seit der Hinrichtung von Emmanuele de Deo, von Galiani und Vitagliano nicht benutzt worden.
Der Fiscalprocurator Guidobaldi begab sich daher in dieselbe, um sie zu untersuchen und Reparaturen vornehmen zu lassen.
Er mußte sehen, ob die Schlösser, Riegel und die in dem Fußboden befestigten Ringe fest und von einer Haltbarkeit seien, der man Alles bieten konnte.
Da er einmal hier war, dachte er zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, und ließ den Scharfrichter holen.
Während unseres Aufenthaltes in Neapel haben wir mit einer gewissen religiösen Ehrfurcht diese Capelle betreten, wo Alles bis auf das große Altarbild, welches man entfernt hat, noch in demselben Zustande wie damals sich befindet.
Sie erhebt sich im Mittelpunkte des Gefängnisses und man gelangt hinein, nachdem man zwei oder drei eiserne Gitterthore durchschritten.
Man muß zwei Stufen hinaufsteigen, ehe man in die wirkliche Capelle, das heißt in das Zimmer kommt, wo der Altar steht. Dieses Zimmer erhält ein Licht durch ein niedriges Fenster, welches mit dem Fußboden in gleicher Höhe liegt und mit zwei Eisenstäben vergittert ist.
Wenn man vier oder fünf Stufen heruntersteigt, so gelangt man aus diesem Zimmer in ein anderes, in welchem die Verurtheilten die letzten vierundzwanzig Stunden ihres Lebens zubrachten.
Starke eiserne, in dem Fußboden befestigte Ringe bezeichnen den Ort, wo die Verurtheilten auf ihren Matratzen dem Todeskampf entgegenharrten.
Ihre Ketten waren an den Ringen angeschmiedet.
Auf einer Mauer befand sich damals und befindet sich heute noch ein großes Frescogemälde, welches Christum am Kreuze und die vor ihm knieende Maria darstellt.
Hinter diesem Zimmer befindet sich ein kleines Cabinet, welches mit demselben in Verbindung steht, aber auch einen besonderen Eingang hat.
Durch diesen Eingang werden die weißen Büßer in das Cabinet geführt, welche die Verurtheilten im Augenblicke des Todes begleiten, ermuthigen und trösten wollen.
Unter dieser Verbrüderung, deren Glieder sich »Bianchi« nennen, gibt es Priester und Laien. Die Priester hören die Beichte, ertheilen die Absolution und das Abendmahl, also die letzten Sacramente, die letzte Oelung ausgenommen.
Diese ist nur für die Kranken bestimmt, und da die Verurtheilten nicht krank sind, sondern »durch Zufall« sterben sollen, so können sie auch nicht die letzte Oelung empfangen, welche das Sacrament des Todeskampfes ist.
Nachdem diese Büßer das Cabinet betreten, wo sie das lange weiße Gewand anlegen, wovon sie den Namen »Bianchi« haben, verlassen sie den Verurtheilten erst, nachdem sein Körper in das Grab gelegt ist.
Sie bleiben während der Zeit von der Gefangenschaft bis zum Tode stets bei ihm. Auf dem Schaffot legen sie ihm die Hand auf die Schulter, um ihm Zeit zu geben, noch eine letzte Mittheilung zu machen, und der Henker darf ihn nicht eher berühren, als bis sie die Hand erheben und sagen:
»Dieser Mann gehört Euch.«
Nach dieser letzten Station auf dem Wege zum Tode führte der Gerichtsdiener der Vicaria den Meister Donato.
Dieser ging in die Vicaria, die links liegende Treppe, welche nach dem Gefängniß führt, hinauf, einen langen, zwischen Kerkern hinführenden Corridor entlang, durch zwei Gitterthore, stieg wieder eine Treppe hinauf, passierte ein drittes Gitterthor, und befand sich an der Thür der Capelle.
Er trat ein. Das erste Gemach, also die eigentliche Capelle, war leer. Er begab sich in das zweite, und erblickte den Fiscalprocurator, welcher die Thür der »Bianchi« mit zwei Schlössern und drei Riegeln verwahren ließ.
Donato blieb unten an der Treppe stehen und wartete ehrfurchtsvoll, bis der Fiscalprocurator ihn bemerken und anreden würde.
Einen Augenblick darauf drehte sich der Fiscalprocurator um, und erblickte den, welchen er hatte holen lassen.
»Ah, da seid Ihr ja, Meister Donato,« sagte er.
»Bereit Ihre Befehle auszuführen, Excellenz,« erwiederte der Scharfrichter.
»Ihr wißt wohl, daß wir nicht wenig Hinrichtungen zu vollstrecken haben?«
»Ja wohl,« erwiederte Meister Donato mit einer Grimasse, die ein Lächeln sein sollte.
»Deßwegen wünschte ich, daß wir, noch ehe angefangen würde, uns über den Preis verständigten, den Ihr dafür verlangt.«
»Nun, das ist sehr einfach, Excellenz,« erwiederte Donato mit unbefangener Miene. »Ich bekomme sechshundert Ducaten festen Gehalt und bei jeder Hinrichtung eine Prämie von zehn Ducaten.«
»Das wäre einfach! Zum Teufel! Das kommt wohl Euch blos so vor, ich finde das durchaus nicht einfach.«
»Warum denn nicht?« fragte Donato mit einem leichten Anflug von Angst.
»Weil man, wenn man bedenkt, daß viertausend Hinrichtungen, von denen jede mit zehn Ducaten bezahlt wird, vierzigtausend Ducaten geben würden, ohne daß man den festen Gehalt dabei berechnet, beinahe das Doppelte von dem, was das ganze Tribunal, vom Schreiber bis zum Präsidenten einnimmt, bezahlen müßte.«
»Das ist wahr, sagte Donato, »aber ich ganz allein verrichte, was sie Alle zusammen verrichten, und meine Arbeit ist viel schwerer, da jene nur verurtheilen, während ich hinrichten muß.«
Der Fiscalprocurator, welcher eben probierte, ob einer der Ringe fest im Fußboden sei, richtete sich auf, rückte die Brille auf die Stirn und betrachtete Meister Donato.
»Ah! ah!« sagte er, »das ist eure Meinung, Meister Donato. Es ist aber doch zwischen Euch und den Richtern ein Unterschied, nämlich der, daß die Richter unabsetzbar sind, während Ihr dagegen abgesetzt werden könnt.«
»Ich? Warum soll ich denn aber abgesetzt werden? Habe ich mich denn je geweigert, meine Pflicht zu erfüllen?«
»Man klagt Euch an, daß Ihr lau für die gute Sache geworden seiet.«
»Ah, ich, der ich die ganze Zeit während der sogenannten Republik die Hände in den Schooß gelegt habe!«
»Weil diese dumm genug gewesen ist, Euch nichts zu thun zu geben. Auf alle Fälle merkt Euch, daß vierundzwanzig Anklagen gegen Euch vorliegen, und mehr als zwölfhundert Bittschriften, in denen man um eure Stelle anhält.«
»O heilige Madonna del Carmine! was sagen Sie da, Excellenz?«
»Und die Anderen wollen alle eure Stelle ohne Vermehrung des Gehaltes, ohne Prämien, sondern nur mit festem Gehalt annehmen.«
»Excellenz, denken Sie doch aber an die Arbeit, welche ich zu thun habe.«
»Diese wird die Zeit aufwiegen, wo Du nichts gethan hast.«
»Eure Excellenz kann doch aber nicht einen armen Familienvater zu Grunde richten wollen?«
»Dich zu Grunde richten? Wie kommst Du denn auf diesen Gedanken? Will ich denn etwas davon haben? Und übrigens ist meiner Ansicht nach ein Mann noch nicht ruiniert, der achthundert Ducaten Gehalt bezieht.«
»Erstens beziehe ich nur sechshundert,« erwiederte Meister Donato lebhaft.
»Die Junta legt Dir aber in Betracht der Verhältnisse zweihundert Ducaten zu.«
»Ach, Herr Fiscalprocurator, Sie wissen wohl, daß das nicht billig ist.«
»Ich weiß nicht, ob es billig ist,« sagte Guidobaldi, dem die Erörterung langweilig zu werden begann, »ich weiß nur, daß Du es annehmen oder lassen kannst.«
»Bedenken Sie doch aber, Excellenz —«
»Du willst also nicht?«
»O ja, o ja!« rief Meister Donato, »ich wollte Sie nur bitten, doch zu bedenken, daß ich eine Tochter habe, welche heiraten will, daß unsere Kinder schwer abzusetzen sind, und daß ich auf die Rückkehr unseres vielgeliebten Königs gehofft, um meine arme Marina auszustatten.«
»Ist deine Tochter hübsch?«
»Ja, sie ist das schönste Mädchen in Neapel.«
»Nun, die Junta wird ein Opfer bringen, und Dir einen Ducaten von jeder Hinrichtung zur Aussteuer deiner Tochter bewilligen. Nur muß sie das Geld selbst holen.«
»Wo denn?«
»Bei mir.«
»Das wird eine große Ehre sein, Excellenz, aber es thut nichts!«
»Was denn?«
»Ich bin ein ruinierter Mann, weiter ist nichts.«
Und Meister Donato begab sich unter Seufzern, welche jeden Andern als einen Fiscalprocurator hätten erweichen können, nach seinem Hause, wo ihn Basso Tomeo und Marina erwarteten; Ersterer voll Ungeduld und die Letztere voll Angst.
Die für Meister Donato so schlimme Nachricht war für Marina und Basso Tomeo gut, da sie, wie die Mehrzahl der Neuigkeiten in der Welt, nach dem philosophischen Gesetz der Ausgleichung den Einen Schmerz, den Anderen Freude bereitete.
Um jedoch die eheliche Empfindlichkeit Giovanni’s zu schonen, sagte man ihm nichts von dem Artikel des Vertrags, welchem zufolge sein Vater mit dem Fiscalprocurator ausgemacht, daß Marina selbst das Geld holen sollte.
Viertes Capitel.
Der König verließ Neapel oder vielmehr die Spitze des Pausilippo, da er, wie wir gesagt haben, es nicht gewagt hatte, wenigstens einmal während seines achtundzwanzigtägigen Aufenthaltes im Golfe sich nach Neapel zu begeben, am 6. August gegen Mittag.
Wie man aus dem folgenden an den Cardinal gerichteten Brief sehen kann, war die Ueberfahrt gut, und kein Leichnam wie der Caracciolos stieg vor seinem Schiffe aus dem Meere auf.
Folgendes war der Brief des Königs:
»Eminentissime!
»Ich will keinen Augenblick zögern, und Ihnen meine glückliche Ankunft in Palermo melden. Wir erfreuten uns der glücklichsten Ueberfahrt von der Welt, denn am Dienstag Früh um elf Uhr waren wir noch am Pausilippo, und heute um zwei Uhr haben wir im Hafen von Palermo bei ausgezeichnetem Winde geankert, während das Meer einem See glich. Ich habe meine ganze Familie in vollkommener Gesundheit angetroffen, und bin empfangen worden, wie Sie es sich denken können. Geben Sie mir Ihrerseits gute Nachrichten über unsere Angelegenheiten. Schonen Sie sich, und seien Sie versichert, daß ich stets bleibe
»Ihr wohlgeneigter
Der König aber hatte nicht abreisen wollen, ohne die Junta ihr Amt ausüben und den Henker thätig zu sehen. Am 6. August, also am Tage seiner Abreise, hatten die Hinrichtungen schon lange begonnen, und bereits waren sieben Opfer auf dem Altar der Rache gefallen.
Wir wollen hier die Namen dieser sieben ersten Märtyrer nennen und sagen, wo sie hingerichtet wurden:
An der Porta Capuana:
Am 6. Juli. – Domenico Perla.
Am 7. Juli. – Antonio Tramaglia.
Am 8. Juli. – Giuseppe Lotella.
Am 13. Juli. – Michelangelo Ciccone.
Am 14. Juli. – Nicola Carlomagno.
Auf dem Altmarkt:
Am 20. Juli. – Andrea Vitagliano.
Im Castello del Carmine:
Am 3. August. – Gaetano Rossi.
Ich habe Domenico Perlas Namen nur auf der Liste der Verurtheilten gelesen, und mich vergebens bemüht, zu erfahren, wer er war, und welches Verbrechen er begangen. Die Undankbarkeit des Schicksals erstreckte sich sogar so weit, daß sein Name nicht einmal im Buch der »Märtyrer der italienischen Freiheit« von Otto Vanucci verzeichnet steht.
Ueber den Zweiten, also Tramaglia, haben wir weiter nichts als die einfachen Worte gefunden: »Antonio Tramaglia, Officier.«
Der Dritte, Giuseppe Lotella, war ein armer Speisewirth, welcher sich nahe am Theater der Florentiner etabliert hatte.
Der Vierte, Michelangelo Ciccone, ist ein alter Bekannter von uns; man wird sich des patriotischen Priesters erinnern, welchen Domenico Cirillo holen ließ, damit er die Beichte des Häschers hören möge. Er hatte sich, wie wir gesagt zu haben glauben, durch seine freisinnigen Predigten unter freiem Himmel berühmt gemacht. Er hatte fast neben allen Bäumen der Freiheit Kanzeln errichten lassen, und mit dem Crucifix in der Hand erzählte er im Namen des ersten Märtyrers der Freiheit, für die auch er sterben wollte, die entsetzlichen Gräueltaten des Despotismus, indem er seine Predigten besonders auf das stützte, was Christus und die Apostel stets in Bezug auf Freiheit und Gleichheit verkündigt.
Der Fünfte, Nicola Carlomagno, war Commissär der Republik gewesen. Als er das Schaffot bestiegen, und während man den Strick zurechtlegte, womit er erwürgt werden sollte, warf er noch einen Blick auf die fröhliche und dichtgedrängte Menschenmenge, welche ihn umgab, indem er mit lauter Stimme rief:
»Verblendetes Volk, Du freust Dich heute über meinen Tod, aber es wird der Tag kommen, wo Du ihn mit bitteren Thränen beweinen wirst, denn mein Blut wird über Euch Alle, und wenn Euch das Glück des Todes zu Theil geworden, über eure Kinder kommen!«
Andrea Vitagliano, der Sechste, war ein schöner, liebenswürdiger junger Mann von achtundzwanzig Jahren, den man nicht mit jenem anderen Märtyrer der Freiheit verwechseln darf, welcher vor vier Jahren auf demselben Schaffot starb, wo Emmanuele de Deo und Galiano starben.
Als er das Gefängniß verließ, um die Todesstrafe zu erleiden, sagte er zum Kerkermeister, indem er ihm das wenige Geld gab, welches er bei sich trug:
»Ich empfehle Dir meine Gefährten, sie sind Männer wie Du, und vielleicht bist Du eines Tages auch so unglücklich, wie sie es sind.«
Und lächelnd ging er dem Tode entgegen, lächelnd bestieg er das Schaffot, und lächelnd starb er.
Der Siebente, Gaetano Rossi, war Officier, aber da er im Innern des Castello del Carmine hingerichtet ward, so hat man nichts Näheres über seinen Tod erfahren.
In einer einzigen Bibliothek hätten wir seltsame Einzelheiten über unbekannte Hinrichtungen erhalten können, nämlich im Archiv der »Bianchi, welche, wie wir bereits gesagt, die Verurtheilten auf das Schaffot begleiten, da aber diese Brüderschaft gänzlich der gefallenen Dynastie ergeben ist, so hat sie uns jede Auskunft verweigert.
Nachdem diese ersten Häupter gefallen, und diese ersten Körper auf den Galgen gehängt waren, fand elf Tage lang keine Hinrichtung in Neapel statt. Vielleicht erwartete man Nachrichten aus Frankreich.
Unsere Sache war in Italien noch nicht ganz verloren. Wie wir gesagt haben, war Championnet, in Folge der Revolution vom 20. Prairial wieder an die Spitze der Armee der Alpen gestellt worden, und hatte einen glänzenden Sieg errungen. Nun aber war der Name Championnet’s der Schrecken Neapels, und man hatte ihn so schnell von Civita Castellane nach Capua kommen sehen, daß man glaubte, er würde kaum das Doppelte der Zeit brauchen, um von Turin nach Neapel zu gelangen.
Einige Stimmen nannten bereits den Namen Bonaparte.
Die Königin sagte selbst in einem ihrer Briefe, den wir angeführt zu haben glauben, in Bezug auf die französische Flotte, welche Sicilien bedrohte, daß diese ohne Zweifel den Zweck hätte, Bonaparte aus Egypten zu holen. Die Königin hatte Recht. Nicht das Directorium allein dachte an Bonapartes Rückkehr, sondern auch sein Bruder Joseph schrieb ihm, um ihm den Zustand unserer Armeen in Italien zu schildern, und ihn zur Rückkehr nach Frankreich anzutreiben.
Dieser Brief war Bonaparte bei der Belagerung von Saint-Jean-Acre von einem Griechen Namens Barbaki überbracht worden, dem man dreißigtausend Francs versprochen, wenn er diesen Brief Bonaparte persönlich zustellte. Nun aber erhielt Bonaparte diesen Brief, welcher ihm die erste Anregung zur Rückkehr nach Frankreich gab, im Monat Mai 1799, also in demselben Augenblick, wo der reactionäre Marsch des Cardinals stattfand.
Alle diese Verhältnisse, wie auch der Umstand, daß die Abwesenheit des Königs dem Cardinal einige Macht zurückgegeben, riefen dem Tode ein Halt zu. Ganz besonders schwer kam es dem Cardinal an, Männer hinrichten zu lassen, die er durch seine Capitulation für geschützt erkannte, und unter diesen Männern besonders diesen Stärksten der Starken, jenen tollkühnen Anführer, welcher, eine Leiter auf der Schulter, den Degen zwischen den Zähnen, das Banner der Unabhängigkeit in der Hand, die Mauern der Stadt erstiegen, welche ein Lehngut seiner Familie war, nämlich Hector Caraffa, den er selbst in einem eigenhändigen Brief aufgefordert, sich zu ergeben.
Während dieses Waffenstillstandes zwischen den Henkern und den Verurtheilten empfing der Cardinal jedoch von dem König den folgenden Brief, den wir in einer ganzen Naivetät hier wiedergeben.
»Eminentissime!
Ich habe Ihren Brief erhalten, und mich sehr über das gefreut, was Sie mir darin über den Frieden und die Ruhe mittheilen, deren man sich in Neapel erfreut:
»Ich billige es, daß Sie Fra Diavolo nicht erlaubt haben, in Gaeta einzuziehen, wie er es wünschte. Während ich aber Ihnen Recht gebe, wenn Sie sagen, daß er weiter nichts als ein Räuberhauptmann sei, so erkenne ich nichtsdestoweniger doch auch an, daß wir ihm große Verbindlichkeiten schuldig sind. Man muß daher fortfahren, sich seiner zu bedienen, und sich wohl hüten, ihn vor den Kopf zu stoßen. Gleichzeitig muß man ihn auch von der Nothwendigkeit überzeugen, vor allen Dingen sich selbst und dann seinen Leuten den Zügel der Disciplin anzulegen, wenn er in meinen Augen ein neues Verdienst erwerben will.
»Gehen wir nun zu etwas Anderem über.
»Als Pronio in Pescara einzog, schickte er einen Adjutanten an mich ab, um mich zu benachrichtigen, daß er den berüchtigten Grafen von Ruvo, dem er Sicherheit des Lebens versprochen, wozu er aber nicht ermächtigt war, wohlbewacht in seiner Gewalt habe. Ich schickte ihm sofort denselben Adjutanten mit dem Befehle zurück, den genannten Ruvo nach Neapel zu schicken und mit seinem Kopfe für ihn zu haften. Thun Sie mir zu wissen, ob Pronio meine Befehle ausgeführt hat.
»Sehen Sie zu, daß Sie bei guter Gesundheit bleiben und glauben Sie, daß ich stets bin Ihr wohlgeneigter
Ist es nicht ein seltsamer Umstand, welcher allgemein bekannt zu werden verdient, daß dieser Brief eines Königs die Belohnung eines Räubers und gleichzeitig die Bestrafung eines großen Bürgers anbefiehlt?
Noch merkwürdiger aber ist die Nachschrift:
»Zu Hause angelangt, empfange ich durch zwei von Neapel kommende Schiffe eine Menge Briefe, aus diesen Briefen erfahre ich, daß es Lärm auf dem Altmarkt gegeben hat, weil keine Hinrichtungen mehr vollzogen werden. Ich erhalte über diesen Punkt weder von Ihnen noch von der Regierung irgend welche Nachricht, obschon es Ihre Pflicht wäre, mir dergleichen mitzutheilen.
»Die Staatsjunta darf in ihren Operationen nicht zögern und eben so wenig unbestimmte und allgemeine Berichte erstatten. Wenn die Berichte erstattet sind, so muß sie dieselben binnen vierundzwanzig Stunden verificiren, sich ganz besonders der Rädelsführer bemächtigen und dieselben ohne weitere Umstände aufknüpfen lassen. Man hatte mir Strafvollstreckungen für den Montag versprochen. Ich hoffe, daß man sie nicht auf einen andern Tag verschoben hat. Wenn Sie merken lassen, daß Sie sich fürchten,
»Siete friti« – so steht völlig ausgeschrieben da und es ist unmöglich, diese Worte anders zu übersetzen.
Was meinst Du, lieber Leser, zu diesem Ausdruck? Er klingt nicht sehr königlich, nicht wahr? Dennoch aber ist er bezeichnend.
Nach einer solchen Aufforderung durfte man nicht mehr zögern. Die vorstehenden am 10. August Abends eingegangenen Briefe wurden sofort an die Staatsjunta abgegeben.
Da Hector Caraffa in dem königlichen Briefe ganz besonders genannt war, so beschloß man mit ihm und seinem »Schub«, das heißt mit den Genossen seiner Gefangenschaft, zu beginnen.
Demzufolge ward am nächstfolgenden Tage, am 11. August, bei der von dem Schweizer Duecce geleiteten Mittagsvisitation Befehl gegeben, die Matratzen zusammenzurollen und in einem Winkel aufeinanderzuthürmen.
»Aha!«, sagte Hector Caraffa zu Manthonnet, »wie es scheint, soll es heute Abend losgehen.«
Salvato schlang einen Arm um Luisas Leib und küßte sie auf die Stirn. Luisa ließ, ohne zu antworten, ihren Kopf auf die Schulter ihres Geliebten sinken.
»Arme Frau,« murmelte Eleonora, »der Tod ist für Sie etwas Grausames. Sie liebt!«
Luisa reichte ihr die Hand.
»Nun endlich,« sagte Cirillo, »werden wir das große Geheimniß kennen lernen, über welches seit Socrates bis auf uns so viel gestritten worden, nämlich ob der Mensch eine Seele hat.«
»Warum sollte dies nicht der Fall sein?« fragte Velasco. »Meine Guitarre hat ja auch eine.«
Und er entlockte seinem Instrument einige wehmüthige Accorde.
»Ja, wenn Du sie berührst, dann hat sie eine Seele,« sagte Manthonnet. »Deine Hand ist ihr Leben; nimm deine Hand aber davon hinweg und das Instrument ist todt und die Seele entflohen.«
»Unglücklicher, der nicht darauf glaubt,« rief Eleonora Pimentel, indem sie ihre großen spanischen Augen gegen Himmel richtete.
»Ich glaube daran.«
»Ja, denn Sie sind Dichterin, während ich dagegen Arzt bin,« sagte Cirillo.
Salvato zog Luisa in einen Winkel des Gefängnisses, setzte sich auf einen Stein und ließ sie auf seinem Knie Platz nehmen.
»Höre mich an, Geliebte,« sagte er zu ihr, »zum ersten Male wollen wir ernst und ausführlich über die Gefahr sprechen, in der wir schweben. Heute Abend werden wir vor das Tribunal geführt, heute Nacht werden wir verurtheilt werden, den morgenden Tag werden wir in der Capelle zubringen und übermorgen wird man uns hinrichten.«
Salvato fühlte wie Luisas ganzer Körper in seinen Armen erbebte.
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