v1.0 – создание FB2 – Ostermann
Dumas (père), Alexandre
La San Felice B4
Vierter Theil
Erstes Capitel.
Unsere Leser werden bemerken, mit welcher Sorgfalt wir sie durch unbekannte Gegenden und Persönlichkeiten hindurchführen, um unseren Erzählungen gleichzeitig die Festigkeit des Ganzen und die bunte Abwechslung der Einzelheiten zu bewahren.
Wir sind dadurch ganz natürlich zu einigen Weitschweifigkeiten verleitet worden, welche nun nicht mehr vorkommen werden, denn bis auf nur wenige Individualitäten, denen wir noch begegnen werden, stehen unsere sämtlichen Personen nun auf der Bühne und haben, so viel als es in unserer Macht gestanden, ihren Charakter durch ihr eigenes Handeln entwickelt.
Uebrigens sind nach unserer Meinung Länge oder Kürze einer Sache nicht einem materiellen Maß unterworfen. Ist ein Werk interessant, so wird es, selbst wenn es zwanzig Bände hätte, dem Publikum kurz erscheinen. Ist es dagegen langweilig, so wird der Leser, und wenn es blos zehn Seiten zählte, es fortwerfen, noch ehe er damit zu Ende gekommen ist.
Was uns betrifft, so haben in der Regel unsere längsten Bücher, das heißt die, in welchen es uns gestattet gewesen, die Charaktere genau zu entwickeln, und eine längere Reihe von Ereignissen vorzuführen, das meiste Glück gemacht und sind am begierigsten gelesen worden.
Unter den dem Leser schon bekannten Personen, oder solchen, denen wir nur noch einige Pinselstriche zu geben brauchen, knüpfen wir daher jetzt unsere Erzählung wieder an, welche für den ersten Blick von ihrem Wege abgewichen ist, um unserem Gesandten und dem Grafen Ruvo nach Rom zu folgen, eine, wie man später sehen wird, ganz nothwendige Abweichung —um acht Tage später, nach der Abreise Hektors Caraffa nach Mailand und des Bürgers Garat nach Frankreich, wieder nach Neapel zurückzukehren.
Wir befinden uns daher gegen zehn Uhr Morgens auf dem Kai Margellina. Wir sehen auf demselben ein buntes Gewimmel von Fischern und Lazzaroni, so wie von allerhand Leuten aus dem Volke, welche, mit Köchen aus vornehmen Häusern untermischt, nach dem Markte eilen, welchen seinem Casino gegenüber der König Ferdinand eröffnet hat, der, als Fischer gekleidet, hinter dem mit Fischen bedeckten Tische stehend, das Ergebniß seines Fischfangs selbst verkauft.
Trotz der Aufregung, in welche ihn die politischen Angelegenheiten versetzt, trotzdem, daß er jeden Augenblick die Antwort seines Neffen, des Kaisers, erwartet, trotz der Schwierigkeit, die es ihm macht, die von Sir William Hamilton unterschriebene und von Nelson im Namen Pitt’s endossirte Tratte schnell in klingende Münze zu verwandeln, hat er doch nicht seinen beiden Lieblingsvergnügungem dem Fischfang und der Jagd, entsagen können.
Gestern hat er in Persano gejagt, heute Morgen hat er in Pausilippo gefischt.
Unter der Menge, welche durch dieses häufige, für das Volk von Neapel aber stets neue Schauspiel herbeigelockt wird, würden wir uns versucht fühlen, unsern alten Freund Michele, den Narren, zu suchen, welcher, wie wir uns zu sagen beeilen, mit dem Michele, welchen wir nach Peppinas Ermordung in das Gebirg entfliehen gesehen, nichts gemein hat, sondern unsern Michele, welcher, anstatt wie die Andern den Kai weiter hinaufzugehen, an der kleinen Thür jenes unsern Lesern schon bekannten Gartens stehen bleibt.
Allerdings steht an der Thür dieses Gartens an die Mauer gelehnt und mit den Augen in dem Azur des Himmels, oder vielmehr in den Regionen ihrer Gedanken umherschweifend, ein junges Mädchen, welcher wir in Folge ihrer untergeordneten Stellung bis jetzt nur eine Aufmerksamkeit zu widmen vermocht, welche eben so untergeordnet gewesen ist, wie die Stelle dieser Person selbst.
Es ist dies Giovanna oder Giovannina, die Zofe Luisa’s San Felice, gewöhnlich kurzweg Nina genannt.
Sie repräsentiert einen bei den Landleuten in der Umgegend von Neapel eigenthümlichen Typus, eine Art Ausnahmswesen, welches man ganz erstaunt ist unter der brennenden Sonne des Südens zu finden.
Sie ist ein junges Mädchen von neunzehn bis zwanzig Jahren, von mittlerem Wuchs und dennoch mehr groß als klein. Dabei ist ihre Gestalt vollkommen geformt und ihr Verweilen in der Nähe einer vornehmen Dame hat ihr einen Geschmack an Sauberkeit beigebracht, welche unter der Volksklasse, der sie angehört, nur selten anzutreffen ist.
Ihr volles, wohlgepflegtes, durch ein himmelblaues Band zusammengehaltenes Haar ist von jenem brennenden Blond, welches die auf der Stirn der bösen Engel umherhüpfende Flamme zu sein scheint.
Ihr milchweißes Gesicht ist mit Sommerflecken bedeckt, welche sie durch die der Toilette ihrer Herrin entlehnten Schönheitsmittel und Essenzen zu entfernen sucht.
Ihre Augen sind grün und irisiren wie die der Katzen, deren sich bald öffnende, bald schließende Pupille sie ebenfalls besitzt.
Ihre Lippen sind dünn und bleich, werden aber bei der geringsten Gemüthsbewegung blutroth.
Ihre Zähne sind untadelhaft und sie pflegt dieselben eben so sorgfältig und scheint eben so stolz daraus zu sein, als ob sie eine Marquise wäre.
Ihre Hände, aus denen keine Spur von einer Ader zu sehen, sind weiß und kalt wie Marmor.
Bis zu der Zeit, wo wir sie unsern Lesern kennen gelehrt, hat sie ihrer Herrin sehr zugethan zu sein geschienen und ihr nur jene Veranlassungen zur Unzufriedenheit gegeben, welche in dem Leichtsinn der Jugend und in den Wunderlichkeiten eines erst in der Ausbildung begriffenen Charakters ihren Entstehungsgrund haben.
Wenn die Wahrsagerin Nanno da wäre und ihre Hand geprüft hätte, wie sie die ihrer Herrin geprüft hat, so würde sie sagen, daß ganz im Gegensatz zu Luisa, welche unter dem glücklichen Einfluß der Venus und des Mondes geboren, Giovannina unter der schlimmen Vereinigung des Mondes und des Merkur geboren ist, und daß sie dieser verderblichen Zusammenstellung jene neidischen Regungen, welche ihr zuweilen das Herz zusammenschnüren, und jene ehrgeizigen Wallungen verdankt, welche ihr Gemüth bewegen.
Giovannina ist demnach, mit kurzen Worten gesagt, weder schön nach auch nur hübsch, dennoch aber ist sie ein seltsames Wesen, welches den Blick vieler jungen Männer auf sich zieht.
Viele, die unter ihr oder ihr gleich stehen, haben ihr Aufmerksamkeiten erwiesen, aber sie hat dieselben stets unbeachtet gelassen. Ihr Ehrgeiz trachtet höher hinaus und wohl zwanzigmal hat sie gesagt, daß sie lieber ihr ganzes Leben lang Mädchen bleiben, als einen Mann heiraten will, welcher einem niedrigeren Stande oder auch einem dem ihrigen gleichen angehört.
Michele und Giovannina sind alte Bekannte.
Seit den sechs Jahren, wo Giovannian bei Luisa San Felice ist, haben sie Gelegenheit gehabt, einander oft zu sehen. Michele hat sogar, wie die andern jungen Leute, durch die physische und moralische Seltsamkeit des Mädchens verlockt, ihr den Hof zu machen versucht.
Sie hat aber dem jungen Lazzarone ohne Umschweife erklärt, daß sie nur einen Signore lieben würde, selbst auf die Gefahr hin, daß der Signore, den sie liebte, ihre Liebe nicht erwiederte.
Michele, der nichts weniger als Platoniker ist, hat ihr sofort alles mögliche Glück gewünscht und sich Assunta zugewendet, welche da sie nicht dieselben aristokratischen Ansprüche machte wie Nina, sich vollkommen mit Michele begnügt hat.
Da übrigens Luisas Milchbruder, abgesehen von seinen ein wenig exaltierten politischen Ansichten, ein ganz vortrefflicher, guter Junge ist, so hat er, anstatt Giovannina ihre Weigerung übel zu nehmen, sie um ihre Freundschaft ersucht und ihr die seinige angeboten. In der Freundschaft weniger wählerisch als in der Liebe, hat Giovannina ihm die Hand gereicht und mit ihm das Gelübde einer guten und aufrichtigen Freundschaft ausgetauscht.
Anstatt daher seinen Weg bis auf den königlichen Markt fortzusetzen blieb Michele, der ohnehin wahrscheinlich seiner Milchschwester einen Besuch machen wollte, als er Giovannina gedankenvoll an der Gartenthür stehen sah, ebenfalls stehen.
»Was machst Du da, und siehst den Himmel an?« fragte er sie.
Nina zuckte die Achseln.
»Du siehst es ja,« sagte sie, »ich träume.«
»Ich glaubte bis jetzt, nur die vornehmen Damen träumten und wir armen Leute begnügten uns mit dem Nachdenken. Ich vergaß aber, daß, wenn Du auch noch keine vornehme Dame bist, Du doch eine zu werden gedenkst. Welch ein Unglück, daß Nanno deine Hand nicht gesehen! Wahrscheinlich hätte sie Dir prophezeit, daß Du Herzogin werden würdest, ebenso wie sie mir prophezeit hat, daß ich einmal Oberst werde.«
»Ich bin keine vornehme Dante und kann nicht verlangen, daß Nanno ihre Zeit dazu anwende, mir wahrzusagen.«
»Nun, bin ich vielleicht ein vornehmer Herr? Dennoch hat sie mir wahrgesagt. Freilich that sie es wahrscheinlich blos, um mich zum Besten zu haben.«
Nina schüttelte verneinend den Kopf.
»Nanno lügt nicht,« sagte sie.
»Dann werde ich also wirklich gehängt werden?«
»Das ist allerdings sehr wahrscheinlich.«
»Sehr verbunden! Und warum glaubst Du, daß Nanno nicht lüge?«
»Weil sie meiner Herrin die Wahrheit gesagt hat.«
»Wieso die Wahrheit?«
»Hat sie ihr nicht den jungen Mann, welcher vom Pausilippo herabkam, ganz genau geschildert? Groß, schön jung, fünfundzwanzig Jahre. Hat sie ihr nicht gesagt, daß er von vier, dann von sechs Männern belauert werde? Hat sie ihr nicht gesagt, daß dieser Unbekannte, dessen Bekanntschaft wir seitdem gemacht, in großer Gefahr schwebe? Hat sie ihr endlich nicht gesagt, daß es ein Glück für sie wäre, wenn dieser junge Mann getödtet würde, weil, wenn dies nicht der Fall wäre, sie ihn lieben und diese Liebe einen verderblichen Einfluß aus ihr Schicksal ausüben würde?«
»Nun, und?«
»Nun, Alles dies ist eingetroffen. Der Unbekannte kam vom Pausilippo. Er war jung und schön. Er zählte fünfundzwanzig Jahre. Er ward von sechs Männern verfolgt. Er schwebte in großer Gefahr, denn er ward an dieser Thür beinahe tödtlich verwundet. Hierzu,« fuhr Giovannina mit einer fast unbemerkbaren Aenderung in ihrem Tone fort, »hierzu kommt, daß, als ob die Prophezeiung in jeder Beziehung in Erfüllung gehen sollte, Signora ihn liebt.«
»Was sagst Du da?« rief Michele. »So schweig doch!«
Giovannina schaute sich um.
»Hört uns vielleicht Jemandt?« fragte sie. »Nein. Nun gut,« fuhr sie dann fort. »was kommt dann weiter darauf an? Bist Du deiner Milchschwester nicht eben so ergeben, wie ich meiner Herrin?«
»Allerdings! Auf Leben und Tod! Dessen kann sie sich rühmen.«
»In diesem Falle wird sie wahrscheinlich eines Tages deiner ebenso bedürfen, wie sie meiner bedürfen wird. Was glaubst Du wohl, was ich an dieser Thür machese?«
»Du hast es mir schon gesagt. Du schaust in’s Weite.»
»Bist Du auf dem Wege nicht dem Chevalier San Felice begegnet?»
»Auf der Höhe von Pie di Gratia? Ja.«
»Ich stand hier, um zu sehen, ob er nicht vielleicht wieder umkehrte, wie er gestern gethan.«
»Was? Er kehrte um? Argwohnte er etwas?«
»Er etwas argwohnen? Ach der arme gute Herr! Lieber würde er glauben, was er neulich nicht glauben wollte, nämlich, daß die Erde ein durch einen Kometen von der Sonne abgesprengtes Bruchstück sei, als daß seine Frau ihn hintergeht. Uebrigens hintergeht sie ihn auch nicht, oder hat es wenigstens bis jetzt noch nicht gethan. Sie liebt den Signor Salvato, das ist Alles. Dennoch aber ist es nicht weniger wahr, daß ich, wenn der Chevalier mich gefragt hätte, in große Verlegenheit gekommen wäre, denn sie ist jetzt schon bei ihrem theuren Verwundeten, den sie weder Tag noch Nacht verläßt.«
»Dann hat sie Dich wohl beauftragt, Dich zu überzeugen, daß der Chevalier heute seinen Weg nach dem königlichen Palast ununterbrochen fortsetze?«
»O nein! Gott sei Dank, so weit ist sie bis jetzt noch nicht, aber sei unbesorgt, es wird nach so weit kommen. Nein, ich sah blos, daß sie unruhig war, fortwährend hin und her ging, einmal nach dem Corridor, das andere Mal nach dem Garten hinausschaute und sich gern ans Fenster gestellt hätte, was sie aber nicht wagte. Ich sagte zu ihr: »Wollen Sie nicht sehen, Signora, ob Signor Salvato Ihrer bedarf? Sie sind ja seit zwei Uhr Morgens nicht mehr bei ihm gewesen. – »Ich wage es nicht, liebe Nina,« antwortete sie. »Ich fürchte, daß mein Gemahl wie gestern etwas vergessen habe und Du weißt, daß der Doctor Cirillo gesagt hat, es sei von der größten Wichtigkeit, daß mein Gemahl von der Anwesenheit dieses jungen Mannes in dem Hause der Herzogin Fusco nichts erfahre.« – »O, deswegen machen Sie sich keine Sorge, Signora,« antwortete ich ihr. »Ich kann ja die Straße überwachen, und wenn der Chevalier zufällig wie gestern wieder kommen sollte, so werde ich es, sobald ich ihn von Weitem kommen sehe, Ihnen sofort melden.« – »Ach meine gute kleine Nina,« entgegnete sie, »willst Du wirklich so freundlich sein?«– — »Ja wohl, Signora,« antwortete ich, »es wird mir dies sogar selbst wohlthätig sein, denn ich bedarf der frischen Luft.« – Und somit habe ich mich als Schildwache hierhergestellt und genieße das Vergnügen, mit Dir zu plaudern, während Signora mit ihrem Verwundeten plaudert.«
Michele betrachtete Giovannina mit einem gewissen Erstaunen. Es lag in den Worten und in dem Tone des jungen Mädchens etwas Bitteres und Schroffes.
»Und der junge Mann, der Verwundete?« fragte Michele.
»Ich höre.«
»Liebt er Signora wieder?«
»Ob er sie wieder liebt? Das wollte ich meinen. Er betrachtet sie mit verzehrenden Blicken. Sobald sie das Zimmer verläßt, schließen sich seine Augenlider, als oh er nichts mehr zu sehen brauchte, nicht einmal das Tageslicht. Cirillo, der Arzt, derselbe, welcher verbietet, daß die Männer es erfahren, « wenn ihre Frauen schöne verwundete junge Männer pflegen, hat ihm allerdings das Sprechen untersagt, weil er sich leicht ein Lungengefäß sprengten könne, aber der junge Herr gehorcht ihm in diesem Punkte eben so wenig als in einem andern. Kaum sind sie allein, so fangen sie an zu sprechen, ohne auch nur eine Minute zu schweigen.«
»Und wovon sprechen sie?«
»Das weiß ich nicht.«
»Dann halten sie Dich also entfernt?«
»O nein, im Gegentheile, Signora gibt mir fast allemal durch eine Geberde zu verstehen, daß ich bleiben soll.«
»Dann sprechen sie wohl leise?«
»Nein, sie sprechen laut, aber englisch oder französisch. Der Chevalier ist ein vorsichtiger Mann,« setzte Nina mit seltsamem Lächeln hinzu; »er hat seiner Frau zwei fremde Sprachen gelernt, damit sie mit den Fremden ungehindert von ihren Angelegenheiten sprechen könne, ohne daß die Leute im Hause etwas davon verstehen.«
»Ich kam, um Luisa zu sprechen,« sagte Michele, »aber nach dem, was Du mir da sagst, würde ich sie wahrscheinlich stören. Ich werde mich daher begnügen, zu wünschen, daß Alles für sie und für mich einen bessern Ausgang nehme, als Nanno prophezeit hat.«
»Nein, Du wirst bleiben, Michele. Das letzte Mal, als Du hier warst, schalt sie mich aus, daß ich Dich hatte gehen lassen, ohne sie gesprochen zu haben. Wie es scheint, will der Verwundete sich auch bei Dir bedanken.«
»Meiner Treu, ich hätte ebenfalls große Lust, ihm meinerseits einige Schmeicheleien zu sagen. Er ist ein famoser Schläger und der Beccajo hat die Wucht seines Armes kennen gelernt.«
»Nun, dann wollen wir eintreten, und da jetzt nicht mehr zu befürchten steht, daß der Chevalier wieder komme, so will ich Signora melden, daß Du da bist.«
»Du weißt also gewiß, daß mein Besuch ihr nicht unangenehm sein wird?«
»Ich sage Dir, sie wird sich darüber freuen.«
»Nun, dann wollen wir hineingehen.«
Und die Beiden verschwanden in dem Garten, um bald darauf wieder auf der Höhe der Terrasse zum Vorschein zu kommen und dann abermals in dem Hause zu verschwinden.
Ganz wie Nina gesagt, befand sich ihre Herrin seit schon beinahe einer halben Stunde in dem Zimmer des Verwundeten.
Von sieben Uhr Morgens an, zu welcher Stunde sie aufstand, bis um zehn Uhr, wo ihr Gemahl das Haus verließ, wagte Luisa, obschon sie keinen Augenblick aufhörte an den Verwundeten zu denken, nicht, ihm einen Besuch abzustatten.
Diese Zeit war vollständig den Sorgen und Verrichtungen des Hauswesens gewidmet, welches wir sie am Tage von Cirillas Besuch vernachlässigen sahen, was sie aber seitdem sorgfältig vermieden.
Dafür wich sie von zehn Uhr Morgens bis zwei Uhr Nachmittags, wo, wie man sich erinnern wird, ihr Gemahl gewöhnlich wieder nach Hause kam, von Salvato keinen Augenblick.
Nach Tische gegen vier Uhr begab sich der Chevalier San Felice in sein Cabinet und blieb eine oder zwei Stunden darin.
Eine Stunde wenigstens weilte Luisa, wie man glaubte, ruhig und unter dem Vorwande, etwas an ihrer Toilette abzuändern, ebenfalls in ihrem Zimmer. Leicht wie ein Vogel war sie aber fortwährend in dem Corridor und machte es möglich, dem Verwundeten drei oder vier Besuche abzustatten, indem sie ihm bei jedem dieser Besuche Ruhe und Schweigen empfahl.
Später, von sieben bis zehn Uhr, welche Zeit dem Empfange von Besuchen oder einem Spaziergange gewidmet war, verließ sie Salvato abermals, der nun unter Ninas Obhut blieb und bei dem sie sich gegen elf Uhr wieder einfand, das heißt, sobald als ihr Gemahl sich in sein Zimmer begeben hatte.
Hier blieb sie bis zwei Uhr Morgens an seinem Bette sitzen.
Um zwei Uhr begab sie sich in ihr Zimmer, welches sie nun, wie wir schon bemerkt, nicht eher wieder verließ, als bis um sieben Uhr.
So war es ohne die geringste Abänderung seit dem Tage von Cirillas erstem Besuche, das heißt seit neun Tagen, gegangen.
Obschon Salvato den Augenblick, wo Luisa zu erscheinen pflegte, mit immer neuer Ungeduld erwartete, so schien er doch an diesem Tage, die Augen auf die Wanduhr heftend, dem Erscheinen seiner Freundin mit größerer Ungeduld als gewöhnlich entgegen zu sehen.
Wie leicht auch ihr Tritt war, so war doch das Ohr des Verwundete so daran gewöhnt, diesen Tritt und ganz besonders die Art und Weise, auf welche Luisa die Verbindungsthür öffnete, zu erkennen, daß beim ersten Knarren dieser Thür und beim ersten Knistern eines Atlaspantoffels auf dem Fußboden das Lächeln, welches seit dem Weggange Luisa’s seine Lippen geflohen, wieder dieselben theilte und seine Augen sich auf diese Thür hefteten, auf welcher sie mit derselben Unbeweglichkeit weilten, wie die Magnetnadel auf den Polarstern zeigt.
Endlich erschien Luisa.
»Ah,« sagte er, »da sind Sie. Ich zitterte schon, daß Sie, eine unerwartete Rückkehr wie gestern fürchtend, erst später kämen. Gott sei aber Dank, Sie kommen heute wie immer und zwar zu derselben Stunde wie gewöhnlich.«
»Ja, ich komme, Dank unserer guten Nina, welche sich freiwillig erbot, hinunterzugehen und an der Gartenthür Wache zu halten. Wie haben Sie die Nacht zugebracht?«
»Sehr gut, aber sagen Sie mir – Salvato faßte die beiden Hände der an seinem Bette stehenden jungen Frau, richtete sich auf, um ihr näher zu sein, und betrachtete sie mit unverwandtem Blicke.
Luisa, welche nicht wußte, was er sie fragen walle, betrachtete ihn verwundert ebenfalls Es lag in dem Blick des jungen Mannes nichts, was sie hätte bewegen müssen, die Augen niederzuschlagen. Der Blick war allerdings zärtlich, aber mehr fragend als leidenschaftlich.
»Was wollen Sie wissen?,« fragte sie.
»Sie haben heute früh um zwei Uhr mein Zimmer verlassen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Sind Sie dann nochmals hereingekommen?«
»Nein.«
»Nein? Sie sagen nein?«
»Ja wohl, ich sage nein.«
»Dann,« sagte der junge Mann, mit sich selbst sprechend, »dann ist sie es gewesen.«
»Wer denn?e fragte Luisa immer verwunderter.
»Meine Mutter,« entgegnete der junge Mann, dessen Augen einen unbestimmt träumerischen Ausdruck gewannen und dessen Kopf mit einem Seufzer, in welchem weder etwas Schmerzliches noch etwas Trauriges lag, auf die Brust herabsank.
Bei den Worten »Meine Mutter« zuckte Luisa zusammen.
»Aber,« fragte sie, »ist Ihre Mutter nicht todt?«
»Haben Sie, theure Luisa,« antwortete der junge Mann, ohne daß seine Augen ihren träumerischen Ausdruck verloren, »nie davon gehört, daß es unter den Menschen bevorrechtete Wesen gibt, welche, ohne daß man sie an äußeren Zeichen erkennen kann und ohne daß sie sich ihre Macht selbst zu erklären im Stande wären, die Fähigkeit besitzen, sich mit Geistern in Beziehung zu setzen?«
»Allerdings habe ich den Chevalier San Felice hierüber mit Gelehrten und deutschen Philosophen disputiren hören, welche diese Mittheilungen zwischen den Bewohnern dieser Welt und denen des Jenseits als Beweise zu Gunsten der Unsterblichkeit der Seele ausübten. Sie nannten ein solches Individuum einen Sehenden oder ein Medium.«
»Es ist bewunderungswürdig,« sagte Salvato, »daß Sie, ohne daß Sie es ahnen, Luisa, mit der Grazie des Weibes die Bildung eines Gelehrten und die Wissenschaft eines Philosophen verschmelzen. Die Folge davon ist, daß man mit Ihnen von allen Dingen, selbst von übernatürlichen, sprechen kann.«
»Dann,« sagte Luisa sehr bewegt, »dann glauben Sie wohl, daß diese Nacht —«
»Ich glaube, daß, wenn nicht Sie in meinem Zimmer gewesen sind und sich über mein Bett geneigt haben, ich dann einen Besuch von meiner Mutter empfangen habe.«
»Aber mein Freund,« fragte Luisa, von einem Schauer überrieselt, »wir erklären Sie sich das Erscheinen einer von ihrem Körper getrennten Seele?«
»Es gibt, wie Sie recht wohl wissen, Luisa, Dinge, welche sich nicht erklären lassen. Sagt Hamlet in dem Augenblick, wo ihm der Schatten seines Vaters erscheint, nicht: There are more things in heaven and earth, Horazio, than there are dream of in your philosophy? – Es gibt zwischen Himmel und Erde mehr Dinge, Horazio, als deine Philosophie sich träumen läßt. – Wohlan, Luisa, das Geheimniß, von welchem ich Ihnen erzähle, ist eines von diesen.«
»Mein Freund,« sagte Luisa, »wissen Sie, daß Sie mir zuweilen Furcht einflößen?«
Der junge Mann drückte ihr die Hand und betrachtete sie mit seinem zärtlichsten Blick.
»Und wie könnte ich Ihnen Furcht einflößen?« fragte er; »ich, der ich für Sie das Leben hingeben würde, welches Sie mir gerettet haben. Sagen Sie mir das!«
»Sie kommen,« fuhr die junge Frau fort, »mir zuweilen vor wie ein Wesen, welches nicht dieser Welt angehört.«
»Der Grund davon,« sagte Salvato lachend, »liegt vielleicht darin, daß ich diese Welt beinahe schon wieder verlassen hatte, ehe ich dieselbe noch betreten.«
»Wäre es also wahr, daß Sie, wie die Wahrsagerin Nanno behauptete, von einer Todten geboren sind?« fragte Luisa erbleichend.
»Das hat die Wahrsagerin Ihnen mitgetheilt?« fragte der junge Mann, indem er sich erstaunt auf seinem Bett emporrichtete.
»Ja; aber nicht wahr, es ist nicht möglich?«
»Die Wahrsagerin hat Ihnen blos die Wahrheit gesagt, Luisa. Es ist dies eine Geschichte, die ich kämen einmal erzählen werde, theure Freundin.«
»Ja, und ich werde derselben mit allen Fasern meines Herzens lauschen.«
»Aber später.«
»Wann Sie wollen.«
»Heute,« fuhr der junge Mann auf sein Bett zurücksinkend fort, »würde diese Erzählung meine Kräfte übersteigen. Wie ich Ihnen eben sage, mit Gewalt dem Schoße meiner Mutter entrissen, mischten die ersten Regungen meines Lebens sich mit den letzten Zuckungen des Todes und ein seltsames Band hat trotz des Grabes uns fortdauernd aneinander gefesselt. Sei es nun die Sinnestäuschung eines übermäßig erregten Geistes, sei es eine wirkliche Erscheinung, sei es endlich, daß unter gewissen abnormen Bedingungen die Gesetze, welche für andere Menschen bestehen, für solche, die außerhalb dieser Gesetze geboren worden, nicht vorhanden sind, so erhält von Zelt zu Zeit – ich wage kaum dies zu sagen, so unwahrscheinlich klingt es – meine Mutter, ohne Zweifel weil sie gleichzeitig Heilige und Märthrerin war, von Gott die Erlaubniß, mich besuchen zu dürfen.«
»Was sagen Sie da?« murmelte Luisa schaudernd.
»Ich sage Ihnen das,« was ist; das aber, was für mich ist, ist vielleicht für Sie nicht und dennoch habe ich jene theure Erscheinung nicht allein gesehen.«
»Jemand Anders als Sie hat sie auch gesehen?« rief Luisa.
»Ja, eine sehr einfache Frau, eine Bäuerin, die nicht fähig gewesen wäre, eine solche Geschichte zu erfinden, nämlich meine Amme.«
»Ihre Amme hat den Schatten Ihrer Mutter gesehen?«
»Ja. Wollen Sie, daß ich Ihnen dies erzähle?« fragte der junge Mann lächelnd.
Luisas Antwort bestand darin, daß sie den Verwundeten bei beiden Händen faßte und ihn begierig anschaute.
»Wir wohnten in Frankreich – denn wenn meine Augen sich auch nicht in Frankreich erschlossen haben, so fingen sie doch hier erst an zu sehen. Wir wohnten in der Mitte eines großen Waldes. Mein Vater hatte für mich eine Amme aus einem Dorfe angenommen, welches ungefähr eine Stunde von dem Hause entfernt war, in welchem wir wohnten.
»Eines Nachmittags bat sie meinen Vater um Erlaubniß, einmal nach Hause gehen zu dürfen, um ihr Kind zu sehen, welches wie man ihr gesagt, krank war. Es war dies dasselbe, welches sie entwöhnt, um mir die Stelle desselben einzuräumen. Mein Vater ertheilte ihr nicht blos die gewünschte Erlaubniß, sondern begleitete sie auch, um sich ebenfalls von dem Befinden ihres Kindes zu überzeugen. Man gab mir zu trinken man legte mich in meine Wiege und da ich niemals eher als um zehn Uhr des Abends erwachte und mein Vater mit seinem Cabriolet zum Hin- und Rückweg nach dem Dorfe höchstens anderthalb Stunden gebrauchte, so schloß er die Thür zu, und steckte den Schlüssel in die Tasche, ließ die Amme mit in dem leichten Wagen Platz nehmen und brach unbesorgt auf.
»Ihr Kind litt, wie sich ergab, blos an einigen unbedenklichen Verdauungsbeschwerden. Mein Vater beruhigte die gute Frau, ließ ihrem Mann ein Recept und einen Louisdor zurück, damit das Recept auch gemacht würde, und wollte mit der Amme wieder nach seiner Wohnung zurückkehren, als ein junger Mann ganz verzweiflungsvoll herbeigestürzt kam und sagte, daß sein Vater, ein Waldhüter in der vergangenen Nacht durch einen Wildschützen schwer verwundet worden sei. Meinem Vater fiel es nicht ein, eine solche Ansprache an seinen Beistand zurückzuweisen. Deshalb übergab er der Amme, den Schlüssel zum Hause und empfahl ihr, sich unverweilt auf den Rückweg zu machen und zwar um so mehr, als ein Gewitter im Anzuge zu sein schien.
Die Amme machte sich auf. Es war sieben Uhr Abends. Sie hoffte noch vor acht Uhr das Haus erreicht zu haben, und mein Vater ging seines Weges, nachdem er sie vorher sich in der Richtung entfernen gesehen, welche sie wieder zu mir führen mußte. Eine halbe Stunde ging Alles gut, dann aber umzog sich der Himmel plötzlich, der Donner grollte und unter Blitzen und wolkenbruchartigem Regen kam ein furchtbares Gewitter zum Ausbruch.
»Zum Unglücke wählte die gute Frau, anstatt auf dem gebahnten Wege weiter zu gehen, um schneller an Ort und Stelle zu gelangen, einen Fußsteig welcher die Entfernung allerdings etwas abkürzte, den aber die Nacht sehr schwierig zu begehen machte. Ein Wolf, welcher, selbst durch das Gewitter erschreckt, ihr über den Weg lief, jagte ihr Furcht ein. Sie sprang seitwärts in ein Dickicht hinein, verirrte sich darin und lief, durch das Gewitter immer mehr beunruhigt, rufend, weinend und schreiend aufs Gerathewohl darin herum, ohne jedoch auf ihr Rufen eine andere Antwort zu erhalten, als das Geschrei der Uhu’s und Nachteulen.
»So irrte sie drei Stunden lang umher, an Bäume und auf der Erde liegende Stämme anrennend, oft in Schluchten stürzend und mitten unter dem Rollen des Donners neun, zehn und elf Uhr schlagen hörend.
»Endlich, gerade als sie den ersten Schlag der Mitternachtsstunde vernahm, zeigte ihr ein Blitz unser so lange gesuchtes Haus in einer Entfernung von kaum hundert Schritten und als der Blitz erloschen, als der Wald wieder in Finsterniß gehüllt war, ward sie durch einen Lichtschein geleitet, der aus dem Zimmer fiel, in welchem meine Wiege stand.
»Sie glaubte, mein Vater wäre vor ihr nach Hause gelangt und verdoppelte ihren Schritt.
»Aber wie war er dann hineingekommen da er ja ihr den Schlüssel gegeben hatte? Besaß er vielleicht noch einen zweiten? Dies dachte sie und durchnäßt vom Regen mit zerstoßenen und geschundenen Händen und Füßen und durch die Blitze geblendet, schloß sie die Thür auf, stieß sie hinter sich zu, ging rasch die Treppe hinauf, durchschritt das Zimmer meines Vaters und öffnete die Thür des meinigen.
»Auf der Schwelle aber blieb sie, einen lauten Schrei ausstoßend, stehen.
»Mein Freund! mein Freund!« rief Luisa, die Hände des jungen Mannes drückend.
»Eine weiß gekleidete Frau stand an meinem Bette,« fuhr der junge Mann mit veränderter Stimme fort. »Sie murmelte leise eines jener mütterlichen Lieder, womit man die Kinder in den Schlaf lullt, und schaukelte zugleich mit der Hand meine Wiege. Diese Frau war jung und schön, aber ihr todtenbleiches Antlitz zeigte mitten auf der Stirn einen rothen Flecken.
»Die Amme stützte sich an das Thürgewand, um nicht umzusinken. Ihre Füße versagten ihr den Dienst.
»Sie begriff recht wohl, daß sie sich einem übernatürlichen Wesen aus dem Lande der Seligen gegenüber befand, denn das Licht, welches das Zimmer erhellte, ging von der Erscheinung aus. Uebrigens wurden die anfangs vollkommen scharfen Umrisse derselben allmälig undeutlich; mit den Zügen des Gesichts war dasselbe der Fall, die Gewänder verschwammen, der Körper ward Wolke, die Wolke verwandelte sich in Dunst, welcher dann seinerseits verschwand und die vollkommenste Finsterniß und in derselben einen unbekannten Wohlduft zurückließ.
»In diesem Augenblick kam mein Vater selbst nach Hause. Die Amme hörte ihn und rief mehr todt als lebendig seinen Namen. Als er ihre Stimme hörte, stieg er die Treppe hinauf, zündete Licht an und fand die gute Frau zitternd, mit schweißtriefender Stirn und nur noch mit Mühe athmend an derselben Stelle stehen, von wo aus sie die Erscheinung gesehen.
»Durch die Nähe meines Vaters und das Licht der Kerze wieder ermuthigt, eilte sie auf meine Wiege zu und nahm mich in ihre Arme.
»Ich schlief friedlich und fest. In der Meinung, daß ich seit vier Uhr Nachmittags nichts zu mir genommen und daß ich Hunger und Durst haben müsse, reichte sie mir die Brust, aber ich weigerte mich, dieselbe zu nehmen.
»Nun erzählte sie Alles meinem Vater-, welcher sich dieses Dunkel, ihre Aufregung, ihre Angst und ganz besonders jenen geheimnißvollen Wohlgeruch der das Zimmer noch erfüllte, nicht erklären konnte.
»Mein Vater hörte die Amme aufmerksam au, wie ein Mann, der, nachdem er alle Geheimnisse der Natur zu ergründen gesucht, sich über keines derselben wunderte.
»Als die Amme die Erscheinung der Frau beschrieb, welche mich gewiegt und mir ein Schlummerlied gesungen, und als sie ihm sagte, daß diese Frau aus der Mitte der Stirn einen rothen Fleck gehabt, begnügte er sich zu antworten: »Das ist seine Mutter gewesen!«
Mehr als einmal,« fuhr der Verwundete mit noch mehr veränderter Stimme fort, »erzähltes mein Vater mir später diesen Vorfall und dieser starke, gewaltige Geist zweifelte nicht, daß auf mein Geschrei der glückselige Schatten der Mutter von Gott die Erlaubniß erhalten, vom Himmel herabzusteigen, um den Hunger und das Wehklagen ihres Kindes zu stillen.«
»Und späten,« fragte Luisa bleich und selbst schaudernd, »später haben Sie Ihre Mutter nochmals gesehen?«
»Dreimal,« antwortete der junge Mann. »Das erste Mal war es in der Nacht, welche dem Tage voranging, wo ich sie rächte. Ich sah sie mit jenem rothen Flecken mitten aus der Stirn sich meinem Bette nähern. Sie neigte sich über mich, um mich zu küssen. Ich fühlte die Berührung ihrer kalten Lippen und etwas, was einer Thräne glich, fiel in dem Augenblick, wo sie sich aufrichtete, auf meine Stirn. Ich wollte sie nun in meine Arme fassen und festhalten, aber sie verschwand. Ich sprang aus dem Bett und eilte in das Zimmer meines Vaters. Eine Kerze brannte hier. Ich näherte mich einem Spiegel. Das, was ich für eine Thräne gehalten, war ein Blutstropfen, der ihrer Wunde entfallen war. Mein Vater härte, nachdem ich ihn geweckt, meine Erzählung ruhig an und sagte lächelnd:
»Morgen wird sich die Wunde geschlossen haben.«
»Am nächsten Tage erschoß ich den Mörder meiner Mutter.«
Luisa barg erschrocken ihr Haupt in dem Kopfkissen des Verwundeten.
»Zweimal seit jener Nacht habe ich sie wiedergesehen.« fuhr Salvato mit beinahe erloschener Stimme fort. »Da sie aber nun gerächt war, so war der Blutflecken von ihrer Stirn verschwunden.
Als Salvato diese Erzählung, welche für seine Kräfte sehr lang gewesen, beendet hatte, sank er theils vor Ermüdung, theils vor Gemüthsbewegung, bleich und erschöpft auf seinen Pfühl zurück.
Luisa stieß einen Schrei aus.
Sie eilte nach der Thür und hätte, indem sie dieselbe öffnete, Nina, welche an dieser Thür horchte, beinahe über den Haufen gerannt.
Sie achtete indeß jetzt nur wenig darauf.
»Das Riechfläschchen!« rief sie. »Er ist ohnmächtig geworden.«
»Das Riechfläschchen befindet sich in Ihrem Zimmer, Signora,« antwortete Nina.
Luisa eilte sofort in das Zimmer,« suchte aber vergebens. Als sie zu dem Verwundeten zurückkehrte, stützte Giovannina den Kopf des jungen Mannes mit ihrem Arme, drückte ihn an ihre Brust und ließ ihn den Inhalt des Flacons athmen.
»Zürnen Sie mir nicht, Signora,« sagte Nina. »Das Flacon stand auf dem Kamin hinter der Pendule. Als ich Sie so bestürzt sah, verlor ich ebenfalls den Kopf. Es ist aber Alles wieder gut. Signor Salvato kommt eben wieder zu sich.
In der That schlug der junge Mann in diesem Augenblick die Augen auf, welche sofort Luisa suchten.
Giovannina, welche die Richtung dieses Blickes recht wohl bemerkte, legte den Kopf des Verwundeten behutsam wieder auf seine Kissen, und trat dann in eine Fensterbrüstung zurück, wo sie sich eine Thräne trocknete, während Luisa ihre Stelle zu Häuptern des Verwundeten einnahm, und Michele, den Kopf zu der halb geöffnet gebliebenen Thür hereinsteckend fragte:«
»Bedarfst Du vielleicht meiner, Schwesterchen?«
Zweites Capitel.
Luisas ganze Seele lag in ihren Augen und diese Augen waren auf die Salvatos geheftet, welcher seine Pflegerin erkennend lächelnd wieder zum Bewußtsein erwachte.
Er schlug die Augen vollends auf und murmelte:
»O, so zu sterben!«
»O nein, nein, nicht sterben!« rief Luisa.
»Ich weiß wohl, daß es besser wäre so zu leben,« fuhr Salvato fort; »aber —«
Er stieß einen Seufzer aus, welcher das Antlitz der jungen Frau berührte wie der glühende Athem des Sirocco.
Sie schüttelte den Kopf, ohne Zweifel um das magnetische Fluidum zu entfernen, von welchem dieser flammende Seufzer begleitet war, legte den Kopf des Verwundeten auf das Kissen, setzte sich auf den Lehnstuhl am oberen Ende des Bettes, drehte sich dann nach Michele herum und sagte, seine Frage ein wenig spät beantwortend:
»Nein, ich bedarf deiner glücklicherweise nicht. Komm aber nur herein und sieh, wie gut es mit unserem Patienten geht.«
Michele näherte sich auf den Fußspitzen, als ob er fürchtete einen Schlafenden zu wecken.
»Er sieht jetzt wirklich besser aus, als da wir, die alte Nanno und ich, ihn verließen.«
»Mein Freund,« sagte die Gattin des Chevaliers San Felice zu dem Verwundeten, »es ist der junge Mann, welcher in der Nacht, wo Sie beinahe ermordet worden wären, Ihnen Beistand leisten half.«
»O, ich erkenne ihn,« sagte Salvato lächelnd. »Er stampfte auch die Kräuter« welche jene Frau, die ich nicht wieder gesehen, mir auf meine Wunde legte.«
»Er ist schon mehrmals wieder da gewesen, denn er nimmt, wie wir Alle, großes Interesse an Ihnen, man hat ihn aber nicht hineingelassen.«
»Na, das habe ich weiter nicht übel genommen,« sagte Michele. »Ich bin nicht so empfindlich.«
Salvato lachte und reichte ihm die Hand.
Michele ergriff die Hund, welche Salvato ihm bot, und betrachtete sie, indem er sie in den seinigen festhielt.
»Sieh nur, Schwesterchen,« sagte er, »man sollte meinen, es sei dies eine Damenhand. Man sollte kaum glauben, daß eine solche kleine, niedliche Hand den Säbel so kräftig zu führen verstünde.«
Salvato lächelte.
Michele schaute sich um.
»Was suchst Du?« fragte Luisa.
»Jetzt, nachdem ich die Hand gesehen, suche ich den, Säbel. Es muß eine schöne Waffe sein.«
»Du möchtest wohl einen solchen haben, wenn Du einmal Oberst sein wirst? Nicht wahr Michele?« sagte Luisa lächelnd.
»Michele soll Oberst werden?« fragte Salvato.
»O, nun kann mir das nicht fehlen,« antwortete der Lazzarone.
»Wieso kann Dir denn das nun nicht mehr fehlen?« fragte Luisa.
»Die alte Nanno hat es mir prophezeit, und Alles, was diese prophezeit, geht auch in Erfüllung.«
»Michele!« rief die Gattin des Chevaliers San Felice.
»Nun, hat sie Dir nicht gesagt, daß ein schöner junger Mann, welcher vom Pausilippo herabkäme, in großer Gefahr schwebe, daß er von sechs Männern angefallen würde und daß es ein großes Glück für Dich wäre, wenn diese sechs Männer ihn umbrächten, denn außerdem würdest Du Dich in ihn verlieben und diese Liebe würde die Ursache deines Todes sein?«
»Michele! Michele!» rief Luisa, indem sie ihren Sessel von dem Bette hinwegrückte, während Giovannian ihr bleiches Gesicht hinter dem rothen Fenstervorhange hervorsteckte.
Der Verwundete betrachtete Michele und Luisa mit aufmerksamem Blick.
»Wie,« fragte dann Letzterer, »man hat Ihnen prophezeit, daß ich die Ursache Ihres Todes sein würde?«
»Ja wohl,« mischte Michele sich ein.
»Und Sie, die Sie mich nicht konnten, und folglich auch kein Interesse an mir haben konnten, Sie haben den Sbirren nicht gestattet, ihr Werk zu vollenden?«
»Nun, sehen Sie,« sagte Michele an Luisa’s Statt antwortend, »als sie die Pistolen knallen, als sie die Säbel klirren hörte, als sie sah, daß ich, ein Mann, und zwar ein Mann, der keine Furcht kennt, gleichwohl nicht wagte, Ihnen zu Hilfe zu eilen, weil Sie es mit den Sbirren der Königin zu thun hatten, da sagte sie: »Nun, dann muß ich ihn retten!» und sofort eilte sie in den Garten. Ha, Sie hätten sie sehen sollen! Sie lief nicht, sie flog.«
»O Michele! Michele!«
»Nun« hast Du das nicht vielleicht gesagt« Schwesterchen? Hast Du es vielleicht nicht gethan?«
»Aber wozu brauchst Du es wieder zu erzählen?« rief Luisa, indem sie das Gesicht in den Händen barg. – Salvato streckte den Arm aus und zog die Hände weg, in welchen die junge Frau ihr schamrothes Antlitz und ihre thränenfeuchten Augen barg.
»Sie weinen?« sagte er. »Bereuen Sie also jetzt wohl, mir das Leben gerettet zu haben?«
»Nein, aber ich schäme mich dessen, was dieser Knabe Ihnen gesagt hat. Man nennt ihn Michele den Narren, und er verdient diesen Beinamen in der That.«
Dann wendete sie sich zu der Zofe und fuhr fort:
»Ich habe sehr unrecht daran gethan, Nina, daß ich Dich ausschalt, weil Du ihn nicht eingelassen. Du hattest sehr wohl daran gethan.«
Ei, ei, Schwesterchen, das, was Du sagst, ist Nicht schön,« sagte der Lazzarone, »und diesmal sprichst Du nicht mit deinem Herzen.«
»Ihre Hand, Luisa! Ihre Hand!« sagte der Verwundete in bittendem Tone.
Die durch so viele widerstreitende Gefühle erschöpfte und ermattete Frau ließ ihren Kopf an die Lehne des Sessels sinken, schloß die Augen und legte ihre zitternde Hand in die des jungen Mannes.
Salvato ergriff sie begierig. Luisa ließ einen Seufzer hören. Dieser Seufzer bestätigte Alles, was der Lazzarone gesagt hatte.
Michele sah diesen Auftritt, von welchem er nichts verstand und der dagegen von Giovannina, die mit krampfhaft geballten Händen und stierem Blick gleich einer Bildsäule der Eifersucht da stand, nur zu gut begriffen ward.
»Wohlan, sei unbesorgt, mein Freund,« sagte Salvato in heiterem Tone zu dem Lazzarone. Ich selbst werde Dir deinen Officierssäbel geben – nicht den, womit ich die Schurken, die mich anfielen, tractirt habe, denn sie haben mir denselben genommen, wohl aber einen andern, der eben so viel Werth besitzen wird.«
»Nun, die Sache läßt sieh immer besser an,« sagte Michele; » es fehlt mir nun weiter nichts mehr als das Patent, die Epauletten, die Uniform und das Pferd.«
Dann wendete er sich zu der Zofe und sagte:
»Aber hörst Du denn nicht, Nina? Man läutet ja, daß der Klingeldraht reißen möchte!«
Nina schien wie aus einem Schlafe zu erwachen.
»Man läutet?« sagte sie. »Wo denn?«
»An der Thür, wie es scheint.«
»Ja, an der Hausthür,« setzte Luisa hinzu und sagte dann rasch und leise zu Salvato: »Mein Gemahl ist es nicht, denn dieser kommt stets durch die Gartenthür zurück. Geh!« fuhr sie zu Nina gewendet fort, »lauf! Eile! ich bin nicht zu Hause, hörst Du?«
»Schwesterchen ist nicht zu Hause, hörst Du wohl, Nina?« wiederholte Michele.
Nina verließ das Zimmer, ohne zu antworten.
Luisa näherte sich dem Verwundeten. Sie fühlte sich, ohne zu wissen warum, bei dem Geschwätz des redseligen Michele wohler und ungezwungener als unter dem Blick der schweigenden Nina.
Es geschah dies aber, wie gesagt, instinktartig und ohne daß sie über die guten Gesinnungen ihres Milchbruders oder die bösen Triebe ihrer Zofe weiter nachgedacht hätte.
Nach Verlauf von etwa fünf Minuten trat Nina wieder ein, näherte sich ihrer Gebieterin geheimnißvoll und sagte leise zu ihr:
»Signora, Signor Andreas Backer ist da und wünscht Sie zu sprechen.«
»Nun, hast Du ihm nicht gesagt, daß ich nicht zu Hause sei?« entgegnete Luisa so laut, daß Salvato, wenn er auch die Frage nicht gehört, wenigstens die Antwort hören konnte.
»Ich wußte nicht, ob ich das dürfte, Signora,« antwortete Nina immer noch leise; »erstens weil ich weiß, daß er Ihr Bankier ist, und zweitens, weil er sagte, es handle sich um eine wichtige Angelegenheit.«
»Wichtige Angelegenheiten werden mit meinem Gemahl abgemacht, aber nicht mit mir.«
»Sehr richtig, Signora,« fuhr Giovannina immer noch in demselben Tone fort; »ich fürchtete aber, er könne wiederkommen, wenn der Herr Chevalier da wäre und diesem dann sagen, er habe Signora nicht zu Hause angetroffen, und da Sie nicht zu lügen verstehen, Signora, so glaube ich, es wäre vielleicht besser, wenn Sie ihn empfingen.«
»Also dies hast Du für gut gefunden?« sagte Luisa, indem sie ihre Dienerin ansah.
Nina schlug die Augen nieder.
»Wenn ich unrecht gehandelt habe, Signora, so ist es noch Zeit die Sache zu ändern; es wird ihn aber sehr kränken, den armen jungen Mann.«
»Nein,« sagte Luisa, nachdem sie einen Augenblick nachgedacht; »es ist in der That besser, wenn ich ihn empfange, und Du hast recht gethan, mein Kind.«
Dann sagte sie zu Salvato, welcher sich abgewendet hatte, als er sah, daß Giovannina leise mit ihrer Herrin sprach:
»Ich komme sogleich wieder. Bleiben Sie mittlerweile ruhig. Die Audienz wird nicht lange dauern.«
Dann wechselte sie mit ihm noch einen Händedruck und ein Lächeln, erhob sich und verließ das Zimmer.
Kaum hatte die Thür sich hinter ihr geschlossen, so machte Salvato die Augen zu, wie er allemal zu thun pflegte, wenn Luisa nicht mehr im Zimmer war.
Michele glaubte, er wolle schlafen und näherte sich daher Giovannina.
»Wer kam denn?« fragte er in gedämpftem Tone mit der Neugier eines Halbwilden, dessen Instinkt nicht den gesellschaftlichen Convenienzen unterworfen ist.
Nina, welche mit ihrer Herrin sehr leise gesprochen, erhob die Stimme ein wenig, so daß Salvato, welcher das, was sie zu ihrer Herrin gesagt, nicht gehört, hören konnte, was sie zu Michele sagte.
»Es ist jener reiche, elegante junge Bankier,« sagte sie. »Du kennst ihn doch?«
»Nicht übel!« entgegnete Michele, »nun soll ich gar noch die Bankiers kennen.«
»Wie, Du kennst Signor Andreas Backer nicht?«
»Wer ist Signor Andreas Backer?«
»Wie, Du entsinnst Dich nicht? Es ist ja jener hübsche, blonde junge Mann – ein Deutscher oder ein Engländer, ich weiß es selbst nicht recht, der aber unserer Herrin, ehe sie den Chevalier heiratete, den Hof machte.«
»Ah, ganz recht. Ist es nicht derselbe, bei dem Luisa ihr ganzes Vermögen stehen hat?«
»Ja wohl, derselbe.«
»Schön, schön. Wenn ich Oberst sein werde, wenn ich die Epauletten und den mir von Signor Salvato versprochenen Säbel habe, wird es mir, um vollständig equipirt zu sein, nur noch an einem Pferde fehlen wie das, auf welchem dieser Signor Backer spazieren reitet«
Nina gab keine Antwort; sie hatte, während sie sprach, ihren Blick auf den Verwundeten geheftet und an dem beinahe unbemerkbaren Zucken seiner Gesichtsmuskeln bemerkt, daß der vermeinte Schläfer von dem, was sie zu Michele gesagt, kein Wort verloren.
Luisa hatte sich mittlerweile in den Salon begeben, wo der angemeldete Besuch wartete.
Im ersten Augenblick kostete es ihr Mühe Andreas Backer zu erkennen. Er war im Hofkostüm gekleidet und hatte seinen langen englischen Backenbart – eine Zierde, welche, beiläufig gesagt, König Ferdinand verabscheute – abgeschnitten; er trug das Comthurkreuz des Ordens vom heiligen Georg am Halse, den dazugehörigen Stern auf dem Frack, kurze Beinkleider und den Degen an der Seite.
Ein leichtes Lächeln umspielte Luisa’s Lippen. In welcher Absicht machte der junge Bankier ihr in diesem Kostüm einen solchen Besuch um halb zwölf Uhr Morgens?
Ohne Zweifel stand sie im Begriff es zu erfahren.
Uebrigens müssen wir uns beeilen zu sagen, daß Andreas Backer von angelsächsischer Abstammung und ein sehr hübscher junger Mann war. Er zählte sechs- bis achtundzwanzig Jahre, war blond, frisch, rosig und hatte den viereckigen Kopf der Rechnungsmenschen, das hervorragende Kinn des hartnäckigen Speculanten und die spatelförmige Hand des Geldzählers.
In der Regel anmuthig und ungezwungen, schien er in diesem Kostbar, welches er nicht gewöhnlich trug, sich ein wenig befangen zu fühlen.
Gleichwohl aber schien er auch stolz darauf zu sein, denn er hatte sich, wie rein zufällig, vor einen Spiegel gestellt, um die Wirkung zu sehen, welche das St. Georgs Kreuz an seinem Halse und der Stern desselben Ordens auf seiner Brust machte.
»Mein Gott, Signor Andreas»e sagte Luisa. nachdem sie ihn einen Augenblick betrachtet und ihm Zeit gelassen, sich ehrerbietig zu verneigen. »Sie nehmen sich ja heute ganz prachtvoll aus! Nun wundere ich mich nicht mehr, daß Sie mich heute besuchen. Ohne Zweifel wünschen Sie, daß ich das Vergnügen habe, Sie in Ihrer ganzen Glorie zu sehen. Was haben Sie denn vor? Denn um mir einen Geschäftsbesuch zu machen, haben Sie dieses Hofkostüm doch ganz gewiß nicht angelegt.«
»Wenn ich geglaubt hätte, Signora, daß es Ihnen mehr Vergnügen machte, mich in diesem Kostüm als in meinen gewöhnlichen Kleidern zu sehen, so hätte ich nicht erst den heutigen Tag abgewartet, um es anzulegen. Ich weiß aber, Signora, daß Sie zur Zahl jener intelligenten Frauen gehören, welche, stets die Kleidung wählend, welche ihnen am besten zusagt, sehr wenig die Art und Weise betrachten, auf welche Andere gekleidet sind. Mein Besuch ist eine Wirkung meines Willens, das Kostüm aber, in welchem ich bei Ihnen erscheine, ist das Ergebniß der Umstände. Der König hat vor drei Tagen geruht wich zum Comthur des St. Georg-Ordens zu ernennen und auf heute nach Caserta zur Tafel einzuladen.«
»Sie sind heute zur königlichen Tafel in Caserta eingeladen?« sagte Luisa mit einem Ausdruck von Ueberraschung, welcher einen eben nicht schmeichelhaften Grad von Erstaunen in Bezug auf die Rechte verrieth, welche der junge Mann sich vielleicht wegen dieser Einladung zur Tafel des Königs beilegte, welcher in den Straßen der tollste Lazzarone, in seinem Schlosse aber der aristokratischste König war. »Ich bringe Ihnen meinen aufrichtigsten Glückwunsch dar, Signor Backer,« setzte Luisa nach einer kleinen Pause hinzu.
»Sie haben Recht, wenn Sie sich wundern, Signora, daß dem Sohne eines Bankiers eine solche Ehre widerfährt,« entgegnete der junge Mann, der sich durch die Art und Weise, auf welche Luisa ihm Glück wünschte, ein wenig verletzt fühlte. »Sie haben wahrscheinlich noch nicht gehört, daß Ludwig der Vierzehnte von Frankreich, ein so großer Aristokrat er auch war, eines Tags den Bankier S. Bernard, welchem er fünfundzwanzig Millionen abborgen wollte, einlud, bei ihm in Versailles zu speisen. Wie es scheint, bedarf jetzt der König Ferdinand eben so nothwendig Geld als sein Ahn, Ludwig der Vierzehnte, und da mein Vater der Samuel Bernard von Neapel ist, so ladet der König seinen Sohn Andreas Backer ein, mit ihm in Caserta zu speisen, was das Versailles Sr. Majestät des Königs ist. Um sicher zu sein, daß die fünfundzwanzig Millionen ihm nicht entgehen, hat er dem Lump, den er zu seiner Tafel einladet, diese Halfter über den Hals geworfen, mit deren Hilfe er ihn dann zur Geldkasse zu führen hofft.«
»Sie sind ein Mann von Geist, Signor Andreas. Ich bemerke dies nicht erst heute und wenn der Geist genügte, um die Thore der königlichen Schlösser zu öffnen, so könnten Sie zur Tafel aller Könige eingeladen werden. Sie verglichen Ihren Vater mit Samuel Bernard und ich, die ich seine unverbrüchliche Rechtschaffenheit und coulante Geschäftsführung kenne, nehme für meine Person den Vergleich an. Samuel Bernard besaß ein edles Herz und leistete nicht blos unter Ludwig dem Vierzehnten, sondern auch unter Ludwig dem Fünfzehnten Frankreich wichtige und hohe Dienste. Nun, was sehen Sie mich so an?«
»Ich sehe Sie nicht an, Signora, ich bewundere Sie.«
»Und warum?«
»Weil ich glaube, daß Sie wahrscheinlich in Neapel die einzige Frau sind, die etwas von Samuel Bernard weiß, und welche das Talent besitzt, einem Manne, der recht wohl fühlt, daß er, da es sich um einen einfachen Besuch handelt, sich Ihnen in einem lächerlichen Aufzuge präsentiert, ein Compliment zu machen.«
»Soll ich mich deswegen bei Ihnen entschuldigen, Signor Andreas? Ich bin dazu bereit.«
»O nein, Signora, nein. Selbst der Spott würde in Ihrem Munde eine reizende Plauderei, welche der eitelste Mann, selbst auf Kosten seiner Eigenliebe, so viel als möglich zu verlängern wünscht.«
»In der That, Signor Andreas,« entgegnete Luisa, »Sie fangen an mich in Verlegenheit zu bringen und um mich derselben zu entreißen, beeile ich mich, Sie zu fragen, ob es vielleicht einen neuen Weg gibt, welcher über Mergellina nach Caserta führt.«
»Nein, da ich aber erst in zwei Stunden in Caserta zu sein brauche, so glaubte ich, Signora, diese Zeit benutzen zu können, um mit Ihnen über eine Angelegenheit zu sprechen, welche eben mit dieser Fahrt nach Caserta in enger Verbindung steht.«
»Mein Gott, lieber Signor Andreas, Sie werden doch nicht die Ihnen bewiesene königliche Gunst benützen wollen, um mich zur Ehrendame der Königin ernennen zu lassen? Ich sage Ihnen im Voraus, daß ich diese Ehre ablehnen würde.«
»Davor bewahre mich Gott! Obgleich ein eifriger Diener der königlichen Familie, für welche ich mein Leben, ja für die ich – was für einen Bankier mehr bedeutet als das Leben – mein Geld opfern würde, so weiß ich doch, daß es reine Seelen gibt, welche sich von Regionen, in welchen man eine gewisse Atmosphäre athmet, fern halten müssen, ebenso wie Der, welcher gesund bleiben will, die Miasmen der pontinischen Sümpfe und die Dünste des Sees von Agnano meiden muß. Das Gold aber, welches ein unveränderliches Metall ist, kann sich kühn da zeigen, wo der leicht zu trübende Krystall sich nicht hinwagen würde. Unser Haus steht jetzt in Begriff, – ein großes Geschäft mit dem König abzuschließen. Der König erzeigt uns die Ehre, uns unter einer Garantie Englands fünfundzwanzig Millionen abzuborgen. Es ist dies ein sicheres Geschäft, mit welchem das angelegte Geld anstatt vier oder fünf Procent Nutzen dessen sieben bis acht Procent abwerfen kann. Man wird sich beeilen, uns Coupons zu dieser Anleihe abzuverlangen, bei welcher unser Haus persönlich mit acht Millionen betheiligt sein wird. Ich komme daher, um Sie, ehe wir die Sache öffentlich bekannt werden lassen, zu fragen, ob Sie sich vielleicht auch mit dabei zu betheiligen wünschen.
»Mein werther Signor Backer, ich bin Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit unendlich verpflichtet,« entgegnete Luisa. »Sie wissen aber, daß Geschäfte und zwar ganz besonders Geldgeschäfte nicht mich, sondern blos den Chevalier angehen. Gegenwärtig nun plaudert derselbe, wie Ihnen bekannt sein wird, höchst wahrscheinlich auf der obersten Sprosse seiner Leiter sitzend mit Seiner königlichen Hoheit dem Prinzen von Calabrien. Sie hätten daher in die Bibliothek des Palastes gehen sollen, aber nicht hierher kommen. Uebrigens wäre auch in der Nähe des Thronerben Ihr Galakostüm weit eher am Platze gewesen als in der meinigen.«
»Signora, Sie sind grausam gegen einen Mann, welcher, da er so selten Gelegenheit hat, Ihnen seine Huldigungen darzubringen, diese Gelegenheit, wenn dieselbe sich darbietet, mit Begier ergreift.«
»Ich glaubte,« entgegnete Luisa im naivsten Tone, »der Chevalier hätte Ihnen gesagt, daß wir alle Donnerstage von sechs bis zehn Uhr Abends bereit sind, Besuche zu empfangen. Sollte er es vergessen haben, so sage ich es Ihnen hiermit zugleich in seinem Namen. Hütten Sie es blos vergessen, so will ich Sie hiermit daran erinnert haben.«
»O Signora, Signora!« stammelte der junge Bankier; »wenn Sie gewollt hätten, so hätten Sie einen Mann, der Sie liebte und der sich nun gezwungen siebt, Sie blos anzubeten, sehr glücklich machen können.«
Luisa betrachtete den jungen Backer mit ihrem großen schwarzen Auge, welches ruhig und durchsichtig war wie ein Diamant Nigritiens. Dann trat sie ihm einen Schritt näher, bot ihm die Hand und sagte:
»Signor Backer, Sie haben mir die Ehre erzeigt, Luisa Molina um die Hand zu bitten, welche jetzt die Gattin des Chevaliers San Felice Ihnen bietet. Wenn ich erlauben wollte, daß Sie dieselbe mit einem andern Rechte als dem eines Freundes drückten, so würden Sie sich in mir täuschen und mit einer Frau sprechen, die Ihrer nicht würdig wäre. Es war nicht die Laune eines Augenblicks, welche mich bewog, Ihnen den Chevalier vorzuziehen, der beinahe dreimal so alt ist als ich, und zweimal so alt als Sie. Der Grund lag vielmehr in dem tiefen Gefühle kindlicher Dankbarkeit, welches ich ihm geweiht. Was er mir vor zwei Jahren war, ist er heute noch. Bleiben Sie Ihrerseits das, was der Chevalier, der Sie achtet, Ihnen angeboten hat zu sein, nämlich mein Freund, und beweisen Sie mir, daß Sie dieser Freundschaft würdig sind, dadurch, daß Sie mich nie wieder an einen Umstand erinnern, wo ich gezwungen war, durch eine abschlägige Antwort ein edles Herz zu verwunden, welches weder Groll noch Hoffnung hegen darf.«
Sie verneigte sich würdevoll und setzte hinzu:
»Der Chevalier wird die Ehre haben, bei Ihrem Herrn Vater vorzusprechen und ihm die Antwort auf Ihren Vorschlag zu bringen.«
»Wenn Sie nicht erlauben, daß man Sie liebe oder bewundere, antwortete der junge Mann, »so können Sie wenigstens nicht verhindern, daß man Sie anbete.«
Und sich seinerseits mit dem Ausdrucke der tiefsten Ehrerbietung verneigend, entfernte er sich, einen Seufzer unterdrückend.
Was Luisa betraf, so hörte sie, ohne in ihrer jugendlichen Unschuld zu bedenken, daß sie die Moral, welche sie predigte, vielleicht durch ihr Handeln Lügen strafte, kaum die Hausthür sich hinter dem jungen Bankier schließen und seine Equipage davonrollen, als sie auch schon mit der Schnelligkeit des Vogels, welcher in sein Nest zurückkehrt, nach dem Zimmer des Verwundeten eilte.
Ihr erster Blick, als sie in das Zimmer trat, galt natürlich Salvato.
Dieser war sehr bleich. Seine Augen waren geschlossen und aus seinem marmorähnlichen Gesichte ruhte der Ausdruck eines lebhaften Schmerzes.
Erschrocken eilte Luisa auf ihn zu, und da er bei ihrer Annäherung nicht, wie er sonst zu thun pflegte, die Augen aufschlug, so fragte sie auf französisch:
»Schlafen Sie, mein Freund, oder sollten Sie ohnmächtig geworden sein?«
»Ich schlafe nicht und ich bin auch nicht ohnmächtig. Machen Sie sich keine Sorge, Signora,« antwortete Salvato, indem er die Augen ein wenig öffnete, aber ohne Luisa anzusehen.
»Signora,« wiederholte Luisa erstaunt, »Sie nennen mich Signora!«
»Entschuldigen Sie,« hob der junge Mann wieder an, »ich habe Schmerzen.«
»Wo?«
»In meiner Wunde.«
»Sie täuschen mich, mein Freund! O, ich habe den Ausdruck Ihrer Züge drei schmerzvolle Tage lang studiert. Nein« Sie leiden nicht an dem Schmerze Ihrer Wunde; Sie leiden an einem moralischen Schmerz.«
Salvato schüttelte den Kopf.
»Sagen Sie mir sofort, von welcher Art dieser Schmerz ist,« rief Luisa, »ich will es!«
»Sie wollen es?« fragte Salvato. »Sie wollen es – verstehen Sie wohl?«
»Ja, denn ich habe das Recht dazu. Hat der Arzt nicht gesagt, daß ich jede Gemüthsbewegung von Ihnen fern halten solle?«
»Wohlan; da Sie es wollen, so will ich es Ihnen sagen,« entgegnete Salvato, indem er Luisa fest anschaute. »Ich bin eifersüchtig.«
»Eifersüchtig! Mein Gott, auf wen denn?« fragte Luisa.
»Auf Sie.«
»Auf mich!« rief sie, ohne daß sie auch nur daran dachte, diesmal sich zu erzürnen. »Warum? Wie? In wie fern? Um eifersüchtig zu sein, muß man nothwendig einen Beweggrund haben.«
»Wie kommt es, daß Sie eine halbe Stunde aus diesem Zimmer weggeblieben sind, während Sie doch nur einige Minuten bleiben wollten? Und wer ist dieser Signor Backer, welcher das Vorrecht genießt, mir eine halbe Stunde von Ihrer Gegenwart zu stehlen?«
Das Gesicht der jungen Frau gewann einen Ausdruck von himmlischem Glück. Salvato hatte ihr somit gesagt, daß er sie liebte, ohne dabei das Wort Liebe auszusprechen.
Sie senkte das Haupt so tief zu ihm herab, daß ihr Haar beinahe sein Gesicht berührte, welches sie mit ihrem Athem fächelte und mit ihrem Blicke bedeckte.
»Seien Sie doch kein Kind,« sagte sie mit jener Melodie der Stimme, welche ihren Ursprung in den tiefsten Fasern des Herzens hat. »Sie wollen wissen, wer jener Mann ist? was er hier gewollt hat? warum er solange geblieben ist? Ich will es Ihnen sagen.«
»Nein, nein, nein!« murmelte der Verwundete; »nein, ich brauche nichts mehr zu wissen. Ich danke, ich danke!«
»Wofür danken Sie? Warum danken Sie?«
»Weil Ihre Augen mir Alles gesagt haben, geliebte Luisa. Ha, Ihre Hand! Ihre Hand!«
Luisa reichte ihre Hand dem Verwundeten, welcher krampfhaft seine Lippen darauf drückte, während eine Thräne aus seinem Auge rollte und als flüssige Perle auf dieser Hand zitterte.
Der Mann mit dem ehernen Herzen hatte geweint. Ohne sich von dem, was sie that, Rechenschaft zu geben, hob Luisa ihre Hand an die Lippen und trank diese Thräne.
Es war dies der Zaubertrank jener unwiderstehlichen und unbeugsamen Liebe, welche die Wahrsagerin Nanno prophezeit hatte.
Drittes Capitel.
Der König Ferdinand hatte Andreas Backer zur Tafel in Caserta eingeladen, erstens weil er ohne Zweifel fand, daß der Empfang eines Bankiers an seiner Tafel auf dem Lande weniger zu sagen habe als in der Stadt, und zweitens weil er ans England und von Rom kostbare Sendungen erhalten hatte, von welchen wir später sprechen werden.
Aus diesem Grunde hatte er den Verkauf seiner Fische in Mergellina mehr als gewöhnlich beschleunigt, einen Verkauf, welcher trotz dieser Eile zur größten Befriedigung seines Stolzes und seines Beutels bewirkt worden.
Caserta, das Versailles von Neapel, wie wir es genannt haben, ist wirklich ein Bauwerk in dem kalten, schwerfälligen Geschmack der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts.
Die Neapolitaner, welche nicht in Frankreich gewesen sind, behaupten, Caserta sei schöner als Versailles. Diejenigen, welche Frankreich bereist haben, begnügen sich zu sagen, Caserta sei eben so schön wie Versailles. Die unparteiischen Reifenden endlich, welche die fabelhafte Vorliebe der Neapolitaner für ihr Vaterland nicht theilen, stellen, ohne Versailles sehr hoch anzuschlagen, Caserta doch tief unter ersteres. Es ist dies auch unsere Meinung und wir fürchten nicht, daß Leute von Geschmack und Kunstbildung uns widersprechen.
Vor diesem modernen Schloß Caserta und vor dem Caserta der Ebene gab es das alte Schloß und das alte Caserta des Berges, von welchem mitten unter verfallenen Mauern nur noch drei oder vier Thürme stehen.
Hier war sonst der Sitz der alten Herren von Caserta, von welchen einer der letzteren, indem er Manfred, seinen Schwager, verrieth, zum Theil die Ursache des Verlustes der Schlacht von Benevento war.
Man hat Ludwig dem Vierzehnten vielfach die unglückliche Wahl der Lage von Versailles vorgeworfen, welches man einen Günstling ohne Verdienst genannt hat.
Wir machen dem König Karl dem Dritten denselben Vorwurf, Ludwig der Vierzehnte aber hatte wenigstens die Entschuldigung kindlicher Pietät, weil er innerhalb eines neuen Gebäudes jenes reizende kleine Marmorschlößchen bewahren wollte, welches seinem Vater als Jagdstelldichein gedient. Diese kindliche Pietät kostete Frankreich eine Milliarde.
Karl dem Dritten dagegen steht keine Entschuldigung zur Seite. In einem Lande, wo es herrliche Gegenden in Fülle gibt, war er durch nichts genöthigt, eine dürre, wasserlose, unfruchtbare Ebene am Fuße eines waldigen Berges zu wählen. Der Architect Vanvitelli, welcher Caserta baute, mußte um den alten Park der Schloßherren herum einen förmlichen Garten anpflanzen und Wasser von dem Berge Taburno herunterleiten, eben so wie im Gegensatze hierzu Benuequin Sualem das seinige mit Hilfe der Maschine von Marly aus dem Flusse auf den Berg hinauftreiben mußte.
Karl der Dritte begann die Erbauung des Schlosses Caserta gegen das Jahr 1752. Ferdinand, welcher im Jahre 1759 den Thron bestieg, setzte sie fort und war zu Anfang des Monats October 1798, bei welcher Epoche wir jetzt angelangt sind, noch nicht fertig damit.
Nur seine Gemächer, ebenso wie die der Königin, der Prinzen und der Prinzessinnen, das heißt kaum der dritte Theil des Schlosses – waren möbliert.
Seit acht Tagen aber enthielt Caserta Schätze, welche verdienten, die Freunde der Bildhauerkunst, der Malerei und selbst der Naturkunde aus allen vier Welttheilen herbeizulocken.
Ferdinand hatte nämlich, weil die Säle und Zimmer des Schlosses von Capodimonte noch nicht dazu in Bereitschaft gesetzt waren, das künstlerische Erbtheil seines Ahns, des Papstes Paul des Dritten, desselben, welcher Heinrich den Achten excommunicirte, welcher mit Karl dem Fünften und Venedig ein Bündniß gegen die Türken schloß und durch Michael Angeln den Bau der Peterskirche wieder aufnehmen ließ, von Rom hierher in einstweilige Verwahrung bringen lassen.
Zu derselben Zeit eben, wo die Meisterwerke des griechischen Meißels und der Maler des Mittelalters von Rom anlangten, war eine zweite Expedition aus England eingetroffen, welche das Interesse Sr. Majestät beider Sicilien in ganz anderer Weise in Anspruch nahm.
Es handelte sich hier nämlich erstens um ein ethnologisches Museum, das auf den Sandwichinseln durch die Expedition gesammelt worden, welche auf die gefolgt war, bei welcher Capitän Cook das Leben verloren, und zweitens um achtzehn Stück lebendige Känguruhs, Männchen und Weibchen, welche man aus Neuseeland mitgebracht.
Für diese interessanten Vierfüßler – wenn man nämlich mit diesem Namen diese mißgestalteten Beutelthiere mit ihren ungeheuren Hinterpfoten, die ihnen gestatten Sprünge von zwanzig Fuß Länge zu machen, und den Stummeln, welche ihnen als Vorderpfoten dienen, bezeichnen kann – hatte Ferdinand mitten in dem Park von Caserta eine prachtvolle Einhegung anlegen lassen.
Eben hatte man die Thiere aus ihren Käfigen heraus in diese Umzäunung gelassen und der König Ferdinand erstaunte über die ungeheuren Sprünge, die sie ausführten, denn die armen Thiere erschraken über Jupiters Gebell.
Während er noch so beschäftigt war, meldete man ihm die Ankunft des jungen Bankiers.
»Gut, gut,« sagte der König, »führt ihn hierher. Ich will ihm etwas zeigen, was er noch niemals gesehen und was er sich für alle seine Millionen nicht kaufen könnte.«
Der König setzte sich gewöhnlich erst um vier Uhr zu Tische; um aber vollauf Zeit zu haben; mit dem jungen Bankier zu plaudern, hatte er ihn schon um zwei Uhr bestellt.
Ein Lakai führte Andreas Backer nach dem Theile des Parkes, wo sich die Wohnung der Känguruhs befand.
Als der König den jungen Mann von Weitem erblickte, ging er ihm einige Schritte entgegen.
Er kannte Vater und Sohn nur als die ersten Bankiers von Neapel und das ihnen ertheilte Prädicat als Hofbankiers hatte sie wohl mit dem Intendanten und dem Finanzminister des Königs, niemals aber mit diesem selbst in Berührung gebracht.
Corradino war es, welcher bis jetzt wegen der Anleihe mit ihnen unterhandelt und um sie fügsamer zu machen und ihrem Stolze zu schmeicheln, dem Könige angerathen hatte, dem Vater oder dem Sohne das Kreuz des St. Georgordens zu verleihen.
Dieses Kreuz war natürlich zuerst dem Chef dieses Hauses, das heißt dem alten Simon Backer, angeboten worden. Dieser aber, ein einfacher, schlichter Mann, hatte gebeten diese Gunst auf seinen Sohn zu übertragen, indem er sich zugleich erbot, in dessen Namen eine Comthurei von fünfzigtausend Livres zu gründen – eine Stiftung, die nur mit der speciellen Genehmigung des Königs zu Stande kommen konnte.
Der Vorschlag war angenommen und sein Sohn, dem diese Auszeichnung von Nutzen sein konnte, besonders vielleicht um bei Gelegenheit einer Heirat die Geldaristokratie der Geburtsaristokratie zu nähern, an seiner Statt zum Comthur ernannt worden.
Wir haben gesehen, daß der junge Bankier eine gute Haltung besaß, daß er zu den eleganten jungen Herren Neapels gehörte und wir haben auch aus dem Gespräche, welches er mit Luisa San Felice gepflogen, abgenommen, daß er ein Mann von Geist und Bildung war.
Es hegten daher auch viele Damen von Neapel gegen ihn keineswegs dieselbe Gleichgültigkeit wie unsere Heldin, und viele Familienmütter hätten gewünscht, daß der schöne, reiche, elegante junge Bankier ihnen in Bezug auf ihre Töchter denselben Antrag machen möchte, welchen er dem Chevalier hinsichtlich seiner Mündel gemacht.
Er näherte sich dem Könige mit Bescheidenheit und Ehrerbietung, dabei aber mit weit geringerer Verlegenheit, als womit er eine Stunde vorher sich der Gattin des Chevaliers genähert.
Nachdem die Begrüßung vorüber war, wartete er, daß der König selbst zuerst das Wort an ihn richtete.
Der König musterte ihn vom Kopfe bis zum Fuße, und verzog dann ein wenig das Gesicht.
Allerdings trug Andreas Backer weder Backen- noch Schnurrbart, aber auch weder Puder noch Zopf, welche letztere Zierathen gleichwohl nach Ansicht des Königs ein vollkommen wohlgesinnter Mensch nicht entbehren konnte.
Indessen, da dem Könige viel daran lag, seine fünfundzwanzig Millionen einzustreichen und es ihm dagegen im Grunde genommen sehr gleichgültig sein konnte, ab der, welcher das Geld zahlte, gepudertes Haar und einen Zopf trüge,« so gab er, die Hände auf den Rücken haltend, dem jungen Bankier seinen Gruß gnädig zurück.
»Nun, Mr. Backer, sagte er, »wir weit ist Ihre Unterhandlung gediehen?«
»Erlauben Ew. Majestät mir vielleicht zu fragen, von welcher Unterhandlung Sie sprechen?« entgegnete der junge Mann.
»Ich meine die wegen der fünfundzwanzig Millionen.«
»Ich glaubte, Sire, mein Vater hätte die Ehre gehabt, dem Finanzminister Ew. Majestät zu antworten, daß die Sache arrangiert sei.«
»Oder daß sie arrangirt werden würde.«
»Nein, Sire, daß sie arrangirt
»Dann melden Sie mir also —?«
»Daß, Ew. Majestät, die Sache als abgemacht betrachtet werden kann. Morgen werden die verschiedenen Häuser, welche mein Vater sich an der Anleihe betheiligen läßt, ihre Einzahlungen an uns zu leisten beginnen.«
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.