v1.0 – создание FB2 – Ostermann
Dumas (père), Alexandre
La San Felice B5
Fünfter Theil
Erstes Capitel.
Ganz wie General Mack vorausgesehen, stieß ein Abgesandter ein wenig oberhalb Valmontone wieder zu ihm.
Der General hörte von Allem, was der Major ihm erzählte, weiter nichts, als daß die Franzosen Rom geräumt hatten.
Er suchte sofort den König auf und meldete diesem, daß auf seine Aufforderung die Franzosen sofort den Rückzug angetreten, daß er folglich den nächsten Tag in Rom einziehen und in acht Tagen im vollen Besitze der römischen Staaten sein würde.
Der König befahl sofort die größte Eile, und das nächste Nachtquartier ward in Valmontone genommen.
Am nächstfolgenden Tage setzte man sich wieder in Marsch und machte gegen Mittag in Albano Halt.
Von der Anhöhe herab erblickte man Rom und über Rom hinaus erstreckte sich die Aussicht bis Ostia.
Dennoch aber war es unmöglich, daß die Armee noch denselben Tag in Rom einrückte. Man kam überein, daß sie gegen drei Uhr Nachmittags aufbrechen, auf der Hälfte des Weges sich lagern und daß den nächstfolgenden Tag der König um neun Uhr Vormittags seinen feierlichen Einzug durch das Thor San Giovanni halten und sich direct in die San Carlo-Kirche begeben sollte, um hier eine Dankmesse zu hören.
In der That brach man auch um drei Uhr von Albano auf – Mack zu Pferde und an der Spitze der Armee, der König und der Herzog von Ascoli in einem Wagen, der von dem ganzen Generalstabe des Königs escortiert ward.
Unterhalb der Anhöhe von Albano, das heißt an der Stelle, wo vor eintausendachthundertundfünfzig Jahren der Kampf zwischen Clodius und Milon stattfand, ließ man die appiche Straße, auf welcher man Nachgrabungen angestellt und die man Alterthumsforschern überlassen, links liegen, und machte gegen sieben Uhr in ziemlich zweistündiger Entfernung von Rom Halt.
Der König soupirte unter einem in drei Abtheilungen geschiedenen prachtvollen Zelt mit dem Generale Mack und dem Herzoge von Ascoli, dem Marquis von Malaspina und den anderweiten Günstlingen des kleinen Hofes, der ihm gefolgt war, als man ihm eine Deputation meldete.
Diese Deputation bestand aus zweien der Cardinäle, welche sich nicht für die republikanische Regierung erklärt, aus den von dieser Regierung abgesetzten Behörden und einigen jener Märtyrer, welche die Reaction ihr stets entgegenkommen sieht.
Alle diese Herren kamen jetzt, um die Befehle des Königs für die morgenden Feierlichkeiten entgegen zu nehmen.
Der König war in der heitersten Laune. Auch er sollte ebenso wie Paulus Aemilius, wie Pompejus, wie Cäsar, von welchen Championnet vor drei Tagen dem Major Reischach erzählte, seinen Triumphzug haben.
Es war durchaus nicht so schwer, ein Triumphator zu sein, als es ihm anfangs geschienen.
Welche Wirkung mußte die Nachricht von diesem Triumphe in Caserta und besonders auf dem Molo, auf dem Altmarkte und in Marinella äußern und wie stolz mußten die guten Lazzaroni sich fühlen, wenn sie erfuhren, daß ihr König triumphiert hatte! Er hatte also, und zwar ohne einen einzigen Kanonenschuß abzufeuern, die furchtbare, bis jetzt für unüberwindlich gehaltene französische Republik besiegt. Ganz gewiß war der General Mack, der ihm Alles dies vorhergesagt, ein großer Mann!
Er beschloß demgemäß noch diesen Abend an die Königin zu schreiben und einen Courier an sie abzusenden, um ihr diese gute Nachricht überbringen zu lassen.
Nachdem daher Alles für den folgenden Tag besprochen und die Deputation, nachdem sie die Ehre des Handkusses genossen, entlassen war, ergriff der König die Feder und schrieb:
»Geliebte Gattin.
»Alles geht nach Wunsch. In weniger als fünf Tagen bin ich bis an die Thore Roms gelangt und werde morgen meinen feierlichen Einzug halten. Alles hat vor unsern siegreichen Waffen die Flucht ergriffen und morgen Abend werde ich von dem Palast Farnese aus dem Papst schreiben, daß er, wenn es ihm beliebt, das Weihnachtsfest in Rom feiern kann. Ach, wenn ich meine Krippe hierher bringen lassen und sie ihm zeigen könnte!
»Der Bote, den ich Ihnen sende, um Ihnen diese frohen Nachrichten mitzutheilen, ist mein gewöhnlicher Courier Ferrari. Erlauben Sie ihm zum Lohn mit meinem armen Jupiter zu dinieren, dem in meiner Abwesenheit die Zeit sehr lang werden wird. Antworten Sie mir auf demselben Wege. Beruhigen Sie mich in Bezug auf Ihre theure Gesundheit und die meiner geliebten Kinder, denen ich, Dank Ihnen und unserem berühmten General Mack, einen nicht blos glücklichen, sondern auch ruhmreichen Thron zu hinterlassen hoffe.
»Die Strapazen des Feldzuges sind nicht so groß gewesen, als ich fürchtete. Allerdings habe ich bis jetzt alle Märsche zu Wagen machen können und bin nur dann und wann zur Abwechslung und zum Vergnügen zu Pferde gestiegen.
»Ein einziger schwarzer Punkt schwebt noch am Horizont. Der republikanische General hat bei dem Abmarsch aus Rom fünfhundert Mann und einen Obersten in der Engelsburg zurückgelassen. Zu welchem Zweck hat er dies gethan? Ich kann es mir nicht recht erklären, aber sonst mache ich mir deswegen weiter keinen Kummer, denn unser Freund, der General Mack, versichert mir, daß diese Mannschaft sich auf die erste Aufforderung ergeben werde.
»Auf baldiges Wiedersehen, geliebte Gattin! sei es nun, daß Sie, um das Fest vollständig zu machen, nach Rom kommen und das Weihnachtsfest mit uns hier feiern, sei es, daß ich, nachdem der Frieden wieder hergestellt und der Thron dieses Staates seinem rechtmäßigen Herrscher zurückgegeben ist, glorreich wieder in meine Staaten einziehe.
»Empfangen Sie und theilen Sie mit meinen geliebten Kindern die Umarmungen Ihres zärtlichen Gatten und Vaters
»Ferdinand.«
»
Es war lange her, seitdem Ferdinand keinen so langen Brief geschrieben. Er befand sich aber jetzt einmal in einer enthusiastischen Stimmung, die ihn besonders schreibselig machte. Er las den Brief noch einmal durch, war damit zufrieden, bedauerte, daß er Sir William und Lady Hamilton erst erwähnt, nachdem er an seine Känguruhs gedacht, glaubte aber nicht, daß es um dieses kleinen Gedächtnißfehlers wegen der Mühe verlohne, einen so gelungenen Brief wieder umzuschreiben.
Demgemäß siegelte er ihn zu und ließ Ferrari rufen, welcher von seinem Sturz vollständig wieder hergestellt, seiner Gewohnheit gemäß, fertig gestiefelt herbeikam und versprach, daß der Brief sich den nächstfolgenden Tag noch vor fünf Uhr Abends in den Händen der Königin befinden solle.
Hierauf setzte der König mit dem Herzoge von Ascoli, dem Marquis von Malaspina und dem Herzog von Cirillo sich an den bereits fertig gemachten Spieltisch, um seine Partie Whist zu machen, gewann tausend Ducaten, legte sich in frohester Laune schlafen und träumte, daß er seinen Einzug nicht in Rom, sondern in Paris, nicht in der Hauptstadt der römischen Staaten, sondern in der Hauptstadt Frankreichs hielte und daß er mit einer Lorbeerkrone auf dem Haupte wie Cäsar und wie Karl der Große, den Reichsapfel in der einen und das Schwert in der andern Hand haltend, während sein Königsmantel von den fünf Directoren getragen würde, in die seit dem 10. August verlassenen Tuilerien einzöge.
Der Tag verscheuchte die Illusionen der Nacht, das aber, was davon übrig blieb, genügte, die Eigenliebe eines Mannes zu befriedigen, welchem es in einem Alter von fünfzig Jahren erst eingefallen war, ein Eroberer werden zu wollen.
Er hielt allerdings seinen Einzug noch nicht in Paris, aber doch wenigstens in Rom.
Dieser Einzug war prachtvoll. Der König, der seine mit Goldstickereien bedeckte Feldmarschallsuniform und am Halle und an der Brust eine ungeheure Menge Orden trug, ward an dem Thore San Giovanni zunächst von dem ältesten Senator empfangen, welcher ihm, von den Municipalbeamten begleitet, die Schlüssel der Stadt auf einem silbernen Teller kniend überreichte.
Um die Senatoren und Municipalbeamten herum standen sämtliche Cardinäle, welche Pius dem Sechsten treu geblieben waren. Von hier aus sollte der König sich auf einem im Voraus durch gestreute Blumen und grüne Blätter bezeichneten Wege nach der San Carlokirche, um hier dem »Te Deum« beizuwohnen, und aus der San Carlokirche nach dem Palast Farnese begeben, welcher, wie wir bereits erwähnt, auf der andern Seite der Tiber dicht dem Palaste Corsini gegenüber steht, welchen Championnet so eben erst verlassen.
In dem Augenblicke, wo der König die Schlüssel der Stadt berührte, ward ein lauter Gesang angestimmt. Hundert weiß gekleidete junge Mädchen gingen dem Zuge voran, mit Körben von vergoldetem Binsengeflecht, die mit Rosenblättern gefüllt waren, welche sie, wie am Tage des Frohnleichnamsfestes, in die Luft warfen. Die leeren Körbe wurden sofort durch volle ersetzt, damit der wohlduftende Regen keine Unterbrechung erlitte.
Hinter den Jungfrauen kamen die Chorknaben, welche ihre Weihrauchfässer schwenkten, und so bewegte sich der Zug zwischen einer von der festlich gekleideten Bevölkerung Roms und der Umgegend gebildeten Doppelreihe unter Blumenregen und balsamischer Atmosphäre.
Eine bewundernswürdige Militärmusik – und die von Neapel ist weit berühmt – spielte die heiterten Melodien von Cimarosa, Pergolesi und Paesiello.
Dann kamen in der Mitte eines großen leeren Raumes der König allein, in der emblematischen Abgeschiedenheit der souveränen Majestät.
Auf den König folgte Mack und sein ganzer Generalstab.
Hinter Mack kam eine Masse von dreißigtausend Mann, Truppen, nämlich zwanzigtausend Mann Fußvolk und zehntausend Mann Reiterei, alle neu gekleidet, von prachtvollem Aeußern, in Folge der kürzlich vorher im Felde angestellten zahlreichen Manövers mit guter Haltung einhermarschierend und gefolgt von fünfzig Stück neugegossenen Geschützen mit frisch angestrichenen Laffetten und Munitionskarren.
Alles dies glänzte im Sonnenscheine eines jener herrlichen Novembertage, welche der Herbst des Südens zwischen einem Nebel- und einem Regentage wie einen letzten Abschiedsgruß an den Sommer, oder wie einen ersten Gruß an den Winter hervorbrechen läßt.
Wir haben gesagt, daß der Weg im Voraus bezeichnet war. Man begann daher zu überschreiten, was man die Wüste von San Giovanni nennen konnte, nämlich die Rasenplätze und einsamen Alleen, welche nach Santa Croce in Gerusalemme und nach Santa Maria Maggiore führen, und näherte sich auf diese Weise direct der alten Basilika, deren Wohlthäter Heinrich der Vierte war, und an welcher Ferdinand, in seiner Eigenschaft als Enkel dieses Königs, das Amt eines Canonicus bekleidete.
Auf den Stufen der Kirche, an deren Fuße der König empfangen und mit Freuden und Lobgesängen begrüßt ward, stand die ganze lateranische Geistlichkeit.
Als der Gesang beendet war, stieg der König vom Pferde und erreichte auf prachtvollen Teppichen zu Fuße die Scala Santa, jene von Jerusalem nach Rom gebrachte heilige Treppe, welche zum Hause des Pilatus gehörte und die Jesus, als er sich zum Verhör begab, mit seinen nackten blutigen Füßen berührte, weshalb die Gläubigen sie nur auf den Knien ersteigen.
Der König küßte die erste Stufe und in dem Augenblicke, wo seine Lippen den heiligen Marmor berührten, ließ die Musik Freudenfanfaren ertönen und hunderttausend Stimmen erhoben ein bis in die Wolken empordröhnendes Jubelgeschrei.
Der König verrichtete kniend sein Gebet, erhob sich dann, stieg wieder zu Pferde, ritt über den großen Platz San Giovanni, maß mit den Augen den prachtvollen Obelisken, welcher von Thutmafis dem Zweiten in Theben errichtet, von Cambytes, der alle übrigen umstürzte und verstümmelte, respectirt, von Constantin geraubt und im großen Circus ausgegraben worden, ritt die lange Straße San Giovanni de Laterano, die ganz von Klöstern eingefaßt ist, und sich sanft absteigend bis zum Coliseum hinabzieht, entlang, passierte den berühmten Stadttheil, wo Pompejus sein Haus hatte, und erreichte den Platz Trajans, dessen Säule bis über den Fuß in die Erde gesunken war.
Von hier gelangte er durch eine Biegung im rechten Winkel auf den Corso und auf den Platz von Venedig, welcher am andern Ende derselben Straße ein Seitenstück zu dem Volksplatze bildet, erreichte dann den Platz Colonna und eilte endlich den Corso entlang bis an die kolossale San Carlokirche, wo er unter dem riesigen Portal derselben von der ganzen Geistlichkeit empfangen ward.
Hier stieg er nun zum zweiten Male vom Pferde, ging in die Kirche hinein und hörte unter dem für ihn aufgestellten Thronhimmel das Tedeum.
Dann, nachdem das Tedeum gesungen war, verließ er die Kirche, setzte sich wieder zu Pferde, ritt von demselben Zuge begleitet den Corso immer weiter hinab bis an den Volksplatz, das Ufer der Tiber entlang in umgekehrter Richtung zu der, welche Championnet eingeschlagen, um Rom zu verlassen; passierte dann die Via della Serossa, den großen Platz Navone, das Forum Agonale der Römer, und erreichte nach wenigen Augenblicken, an der Façade des Palastes Braschi vorüberkommend, das Campo dei Fiori und den Palast Farnese, das Ziel eines langen Triumphzuges.
Der ganze Generalstab fand Platz in diesem prachtvollen Hofe, dem Meisterwerke der drei größten Architecten, die es jemals gegeben, San Gallo, Vignola und Michel Angelo.
Zwischen die beiden Springbrunnen, welche die Façade des Palastes schmücken, und die ihre Fluten in die größten Granitbecken werfen, welche man kennt, pflanzte man eben so zur Ehre wie zur Vertheidigung vier Stück Geschütz.
Ein Gastmal von zweihundert Couverts war in der von Hannibal und Augustin Carrachio und ihren Zöglingen gemalten großen Galerie aufgetragen. Die beiden Brüder arbeiteten acht Jahre darin und erhielten dafür ein Honorar von fünfhundert Goldthalern, das heißt dreitausend Francs jetzigen Geldes.
Auf dem Platze des Palastes Farnese schien ganz Rom versammelt zu sein. Trotz der Schildwachen drang das Volk in den Hof, auf die Treppen, die Vorzimmer und bis an die Thüren der Gallerie. Der ununterbrochene Ruf: »Es lebe der König! zwang Ferdinand dreimal, von der Tafel aufzustehen und sich am Fenster zu zeigen.
Außer sich vor Freude und sich für einen würdigen Nebenbuhler jener Helden haltend, deren Spur er einen Augenblick lang auf der heiligen Straße gefolgt war, wollte er nicht bis den nächsten Tag warten, um dem Papst Pius dem Sechsten Meldung von seinem Einzuge in Rom zu machen.
Ganz vergessend, daß der Papst Gefangener der Franzosen und folglich nicht Herr seiner Handlungen war, ging er, erhitzt vom Weine und mit vor Freude und Stolz fast berstendem Herzen, gleich nachdem der Kaffee getrunken war, in ein Arbeitscabinet und schrieb hier folgenden Brief:
»An Seine Heiligkeit Papst Pius den Sechsten, Statthalter unseres Herrn Jesu Christi.
»Fürst der Apostel, König der Könige!
»Eure Heiligkeit wird ohne Zweifel mit der größten Befriedigung erfahren, daß ich unter dem Beistande unseres Herrn Jesu Christi und unter dem erhabenen Schutze des heiligen Januarius heute mit meiner Armee ohne Widerstand in die Hauptstadt der christlichen Welt eingezogen bin. Die Franzosen sind erschrocken beim Anblicke des Kreuzes und vor dem Glanze meiner Waffen entflohen. Eure Heiligkeit kann daher Ihre oberherrliche und väterliche Macht, die ich mit meiner Armee decken werde, wieder übernehmen. Verlassen Sie daher Ihre zu bescheidene Wohnung in der Karthause und kommen Sie, wie unsere heilige Jungfrau von Loretto, auf den Flügeln der Cherubin wieder in den Vatican herabgestiegen, um ihn durch Ihre heilige Gegenwart zu läutern.«
Am Abend fuhr der König von dem fortwährenden Rufe: »Es lebe König Ferdinand! Es lebe Pius der Sechste!« geleitet durch die Hauptstraße der Stadt und über den Platz Navone, den spanischen Platz und den venetianischen Platz. Einige Augenblicke verweilte er in dem Theater Argentina, wo man zu seiner Ehre eine Cantate aufführte, dann bestieg er, um das förmlich in Flammen stehende Rom zu sehen, die höchsten Terrassen des Monte Pincio.
Von dem Thore San Giovanni an bis zum Vatican und von dem Platze des Volkes bis zur Pyramide des Cestus war die Stadt a giorno, das heißt taghell erleuchtet. Ein einziges Gebäude, auf welchem die dreifarbige Fahne wehte und welche einem feierlichen, drohenden Proteste Frankreichs gegen die Besetzung Roms glich, blieb dunkel inmitten dieses Strahlenmeeres und stumm mitten unter diesem Getöse.
Es war dies die Engelsburg.
Die düstere, schweigende Masse dieser Festung hatte etwas Furchtbares und Unheimliches, denn der einzige Ruf, welcher von Viertelstunde zu Viertelstunde hier das Schweigen unterbrach, war der: »Schildwachen, habet Acht!« und das einzige Licht, welches man in der Finsterniß leuchten sah, war die glimmende Lunte der neben ihren Geschützen stehenden Artilleristen.
Zweites Capitel.
Als der König, um den Pincioberg zu besteigen, den Volksplatz passierte, sah er jenen interessanten, aus Frauen und Kindern zusammengesetzten Theil der Bevölkerung um einen Scheiterhaufen herumtanzen, welcher in der Mitte des Platzes loderte. Beim Anblicke des Königs machten die Tänzer Halt, um aus vollem Halse zu schreien: »Es lebe der König Ferdinand! Es lebe Pius der Sechste!«
Der König machte Halt und fragte, was diese wackern Leute hier machten und was dies für ein Feuer sei, an welchem sie sich wärmten.
Man antwortete ihm, daß dieser Scheiterhaufen von dem Holze des Freiheitsbaumes aufgebaut worden, den vor achtzehn Monaten die Consuln der römischen Republik gepflanzt.
Diese Anhänglichkeit an die guten Grundsätze rührte Ferdinand. Er zog daher eine Handvoll Münzen aller Art aus der Tasche, warf sie mitten unter die Volksmenge hinein und rief:
»Bravo, meine Freunde, amüsiert Euch!«
Die Weiber und die Kinder stürzten sich auf die Ducaten und Piaster des Königs Ferdinand. Es fand ein furchtbares Handgemenge statt; die Weiber schlugen auf die Kinder los, die Kinder kratzten die Weiber und es ward wie toll durch einander geschrieen und geheult, obschon die Beschädigungen alle nur unbedeutend waren.
Auf dem Platze Navone sah er einen zweiten Scheiterhaufen.
Er that dieselbe Frage, und erhielt dieselbe Antwort.
Der König griff nun nicht mehr in seine Tasche, sondern in die des Herzogs von Ascoli, nahm eine zweite Handvoll Geld heraus und warf sie, da hier das Volk aus Männern und Frauen bestand, unter die Tänzer und Tänzerinnen hinein.
Diesmal waren es, wie wir soeben sagten, nicht blos Weiber und Kinder, sondern es waren auch Männer darunter. Das starke Geschlecht glaubte größeres Recht auf das Geld zu haben als das schwache; die Liebhaber und die Männer der geschlagenen Frauen zogen ihre Messer, einer der Tänzer ward verwundet und ins Hospital getragen.
Auf dem Platze Colonna fand derselbe Vorgang statt. Diesmal jedoch endete er zum Ruhm der öffentlichen Moral. In dem Augenblicke nämlich, wo die Messer ihre Rolle spielen sollten, ging ein Bürger, den Hut über die Augen herabgezogen und in einen großen Mantel gehüllt vorüber.
Ein Hund bellte ihn an.
Ein Knabe schrie: »Jakobiner!«
Der Ruf des Knaben und das Gebell des Hundes lenkten die Aufmerksamkeit der Streitenden auf den Bürger in dem Mantel und mit dem herabgezogenen Hute und ohne auf seine Worte zu hören, stieß man ihn ohne Weiteres in den Scheiterhaufen, wo er unter dem Freudengeheule des Pöbels jämmerlich umkam.
Plötzlich kam einer dieser Wahnsinnigen auf einen anderweiten herrlichen Gedanken. Diese Freiheitsbäume, welche man umhieb und in Kohlen und Asche verwandelte, waren nicht von selbst hier gewachsen, man hatte sie gepflanzt.
Diejenigen, welche sie gepflanzt hatten, waren natürlich strafbarer, als die armen Bäume, welche sich, und vielleicht nur höchst ungern, hatten pflanzen lassen.
Es galt daher, strenge Gerechtigkeit zu üben und sich an die Pflanzer und nicht an die Bäume zu halten.
Wer hatte aber diese gepflanzt?
»Es waren, wie wir schon oben einmal bemerkt, die beiden Consulen der römischen Republik, Mattei von Valmontone und Zaccalone von Piperno gewesen.
Diese beiden Namen, waren seit einem Jahre gesegnet und geehrt von der Bevölkerung, welcher diese beiden wahrhaft freisinnigen Beamten ihre Intelligenz und ihr Vermögen gewidmet hatten.
Am Tage der Reaction aber verzeiht das Volk eher dem, der es verfolgt, als dem, der sich ihm gewidmet hat, und gewöhnlich werden seine ersten Vertheidiger auch seine ersten Märtyrer.
»Die Revolutionen sind wie Saturn,« sagt Vergniaut, »sie verschlingen ihre eigenen Kinder.«
Ein Mann, welcher Zaccalone gezwungen hatte, seinen Sohn in die Schule zu schicken, ein auf die persönliche Freiheit eifersüchtiger junger Römer, machte daher den Vorschlag, einen der Freiheitsbäume stehen zu lassen, um die beiden Consuln daran zu hängen.
Dieser Vorschlag fand natürlich einstimmig Annahme, und es galt, um ihn in Ausführung zu bringen, nun blos einen Baum als Galgen stehen zu lassen und sich der beiden Consuln zu bemächtigen.
Man dachte an die noch nicht abgehauene Pappel auf dem Platze der Rotunda und da die beiden Beamten, der eine in der Via della Maddalena, der andere in der Via Pie di Marmo wohnten, so betrachtete man diese Nähe als einen von der Vorsehung gefügten glücklichen Umstand.
Man eilte sofort nach ihren Häusern. Zum Glück aber hatten die beiden Beamten ohne Zweifel sehr richtige Begriffe von der Dankbarkeit, die man von den Völkern zu erwarten hat, zu deren Befreiung man beigetragen. Beide hatten Rom verlassen.
Ein Klempner aber, dessen Laden an Matteis Haus stieß und welchem Mattei zweihundert Thaler geliehen, um ihn vom Bankerott zu retten, und ein Kräuterhändler, welchem Zaccalone seinen eigenen Arzt geschickt, um seine Frau von einem gefährlichen Fieber zu kurieren, erklärten, sie wüßten so ziemlich genau den Ort, wohin die beiden Schuldigen sich geflüchtet, und erboten sich, sie auszuliefern.
Dieses Anerbieten ward mit Enthusiasmus angenommen, und um den Weg nicht vergebens gemacht zu haben, begann der tolle Volkshaufen die Häuser der beiden Abwesenden zu plündern und die Möbel zu den Fenstern hinauszuwerfen.
Unter diesen Möbeln befand sich bei jedem eine prachtvolle Stutzuhr von vergoldeter Bronze. Die eine stellte das Opfer Abrahams, die andere Hagar und Ismael in der Wüste umherirrend vor, und jede trug die Unterschrift, welche bewies, daß beide aus ein und derselben Quelle herrührten:
Und in der That hatten die beiden Consuln ein Decret ausfertigen lassen, kraft dessen die Juden wieder Menschen wurden wie andere, und Antheil an den Rechten des Bürgers erhielten.
Dies erinnerte an die unglücklichen Juden, an welche man nicht dachte, und an die man wahrscheinlich auch nicht gedacht haben würde, wenn sie nicht das Unrecht begangen hätten, dankbar zu sein.
Der Ruf: »Nach dem Ghetto! nach dem Ghetto!« erscholl, und man stürzte nach dem Quartier der Juden.
Seit der Proclamation des Decrets, durch welches die römische Republik die unglücklichen Juden zum Range von Bürgern erhob, hatten sie sich beeilt, die Schranken, welche sie von der übrigen Gesellschaft trennten, zu beseitigen und sie hatten sich in der Stadt ausgebreitet, wo einige von ihnen Zimmer gemiethet und Kaufläden eröffnet hatten.
Gleich nach dem Abmarsche Championnet's aber hatten sie, weil sie sich nun wieder verlassen und schutzlos fühlten, abermals in ihre Quartiere geflüchtet und die Schranken und Thore derselben wieder aufgerichtet, nicht mehr um sich von der Welt zu trennen, sondern um ihren Feinden ein Hinderniß entgegenzustellen.
Es gab daher keinen freiwilligen Widerstand gegen die Menge, sondern blos ein materielles Hinderniß gegen ihr gewaltsames Eindringen.
Dieselbe Menge, welche stets am sinnreichen Auskunftsmitteln so erfinderisch ist, kam nun auf den Gedanken, die Thore und Schranken des Ghetto nicht einzuschlagen, sondern von dem nächsten Scheiterhaufen genommene Feuerbrände darüber hinwegzuschleudern.
Die Feuerbrände folgten rasch auf einander. Die Vervollkommner – es gibt deren überall – überzogen sie mit Pech und Terpentin. Es dauerte nicht lange, so bot der Ghetto den Anblick einer bombardierten Stadt dar und nach Verlauf einer halben Stunde hatten die Belagerer die Genugthuung, an mehreren Stellen Flammen zu sehen, welche fünf oder sechs Feuersbrünste verriethen.
Nach Verlauf einer einstündigen Belagerung stand der ganze Ghetto in Flammen.
Nun öffneten sich die Thore von selbst, und mit entsetzlichem Geschrei stürzte diese ganze unglückliche, aus dem Schlafe aufgeschreckte Bevölkerung, Männer, Frauen und Kinder, halbnackt durch das Thor, wie ein Strom, der die Dämme durchbricht, und verbreitete sich durch die Stadt oder versuchte dies vielmehr.
Dies war es eben, was der Pöbel erwartete. Jeder packte seinen Juden und machte sich ein grausames Vergnügen mit ihm. Das ganze Register der Martern ward an diesen Unglücklichen erschöpft. Die einen zwang man mit nackten Füßen auf glühenden Kohlen zu gehen und dabei ein Schwein in dem Arm zu halten. Andere wurden unter den Achselhöhlen zwischen zwei Hunden aufgehängt, welche man mit den Hinterpfoten nach oben befestigt und die toll vor Schmerz und Wuth ihre Nachbarn zerfleischten.
Ein Anderer endlich, den man bis auf den Gürtel entkleidet und dem man eine Katze auf den Rücken gebunden, ward durch die Stadt geführt und mit Ruthen gepeitscht, so daß das zugleich mit getroffene Thier den Unglücklichen mit Zähnen und Krallen zerriß. Andere, die glücklicher waren, wurden in die Tiber geworfen und einfach schlechtweg ersäuft.
Diese grausamen Belustigungen dauerten nicht blos die ganze Nacht hindurch, sondern auch während des nächstfolgenden und des dritten Tages und boten sich unter so vielen Gestalten dar, daß der König endlich fragte, wer die Menschen seien, die man auf diese Weise marterte.
Man antwortete ihm, es seien Juden, welche die Unklugheit gehabt hätten, sich, dem Dekrete der Republik gemäß, als gewöhnliche Menschen zu betrachten und die demzufolge Christen beherbergt, Eigenthum angekauft, den Ghetto verlassen, sich in die Stadt eingedrängt, Bücher verkauft, von katholischen Aerzten behandeln lassen und ihre Todten bei Fackelschein beerdigt hätten.
Der König Ferdinand konnte kaum glauben, daß alle diese Gräuel wirklich geschehen seien. Endlich aber hielt man ihm das Dekret der Republik, welches den Juden ihre Bürgerrechte zurückgab, vor die Augen und er
Er fragte, wer die von Gott verlassenen Menschen seien, die ein solches Dekret ausgefertigt, und man nannte ihm die Consuln Mattei und Zaccalone.
»Aber man sollte eher diese Menschen strafen, als die, welche von ihnen emanzipiert worden,« rief der König, der selbst in seinen Vorurtheilen noch einen gesunden Menschenverstand bewahrte.
Man antwortete ihm, man habe schon daran gedacht. Man suche auch bereits die Schuldigen und zwei Bürger hätten sich anheischig gemacht, sie auszuliefern.
»Gut,« sagte der König, »sie mögen es thun; es soll jeder von ihnen fünfhundert Ducaten bekommen und die beiden Consuln sollen gehängt werden.«
Die Kunde von der Freigebigkeit des Königs verbreitete sich und verdoppelte den Enthusiasmus. Das Volk fragte sich, was es einem so guten Könige, der seine Wünsche so trefflich unterstützte, darbringen könnte. Man berieth sich über diesen wichtigen Punkt, und da der König sich anheischig machte, die Consuln durch einen wirklichen Henker und an wirkliche Galgen hängen zu lassen, so beschloß man den letzten Freiheitsbaum, den man in dieser Absicht noch hatte stehen lassen, umzuhauen und Scheite daraus zu spalten, damit der König das Vergnügen hätte, sich mit revolutionärem Holze einheizen zu lassen.
Man brachte ihm demzufolge ein ganzes Fuder, welches er freigebigerweise mit tausend Ducaten bezahlte.
Der Gedanke schien ihm überhaupt ein so glücklicher zu sein, daß er die zwei größten Scheite bei Seite legte und mit folgendem Briefe der Königin übersendete:
»Meine theure Gattin!
»Sie haben bereits Kenntniß von meinem glücklichen Einzuge in Rom, ohne daß ich unterwegs auf das mindeste Hinderniß gestoßen wäre. Die Franzosen sind verschwunden wie ein Rauch. Es bleiben allerdings noch die fünfhundert Jakobiner der Engelsburg; dieselben verhalten sich aber so ruhig, daß ich glaube, sie wünschen nur Eins, nämlich vergessen zu werden.
»Mack rückt morgen mit fünfundzwanzigtausend Mann aus, um die Franzosen anzugreifen. Unterwegs wird er sich mit Micheroux Armeekorps vereinigen, so daß er dann achtunddreißig bis vierzigtausend Mann zur Verfügung hat und den Franzosen den Kampf nur mit der sicheren Aussicht, sie zu zermalmen, anbieten kann.
»Wir leben hier in fortwährenden Festlichkeiten. Werden Sie wohl glauben, daß diese elenden Jakobiner die Juden emanzipiert hatten?
»Seit drei Tagen macht das römische Volk in den Straßen von Rom Jagd auf sie, gerade so, wie ich in dem Wald von Persano Jagd auf meine Damhirsche und in den Forsten von Asproni Jagd auf meine Eber machte. Wie es heißt, ist man auch den beiden Consuln der sogenannten römischen Republik auf der Spur. Ich habe auf den Kopf eines jeden einen Preis von fünfhundert Ducaten gesetzt. Ich glaube, es wird ein gutes Beispiel geben, wenn sie gehängt werden, und wenn man sie hängt, so werde ich der Besatzung von der Engelsburg die Ueberraschung bereiten, dieser Hinrichtung beizuwohnen.
»Ich schicke Ihnen zum Kaminfeuer für den Weihnachtsabend zwei große Scheite von dem Freiheitsbaume der Rotunde. Wärmen Sie sich mit allen unsern Kindern gut daran, und denken Sie dabei an Ihren Gatten und Vater, der Sie liebt.
»Morgen erlasse ich ein Edict, um unter diesen Juden wieder ein wenig Ordnung zu machen, sie in ihren Ghetto zurückzuschicken und einer angemessenen Aufsicht zu unterstellen. Ich werde Ihnen von diesem Edict, sobald es erlassen ist, eine Abschrift zustellen.
»Verkünden Sie in Neapel die Gunst, womit die göttliche Güte mich überhäuft. Laffen Sie ein Tedeum von unserm Erzbischof Capece Zurlo singen, der, wie ich glaube, schon bedeutend vom Jakobinismus angesteckt ist. Es wird dies seine Strafe sein. Ordnen Sie öffentliche Festlichkeiten an und fordern Sie Vanni auf, die Angelegenheit jenes verwünschten Nicolino Caracciolo zu beschleunigen.
»Von den Erfolgen unseres berühmten General Mack werde ich Sie in demselben Maße unterrichtet halten, wie ich selbst davon in Kenntniß gesetzt werde.
»Bleiben Sie immer bei guter Gesundheit und glauben Sie an die aufrichtige und ewige Zuneigung Ihres Schülers und Gatten
»
Am nächstfolgenden Tage erließ Ferdinand wirklich, wie er seiner Gemahlin geschrieben, jenes Dekret, welches weiter nichts war, als die Wiederinkraftsetzung des von der »sogenannten« römischen Republik abgeschafften Edicts.
Unser Gewissen als Historiker gestattet uns nicht, eine Sylbe an diesem Decrete zu ändern. Uebrigens ist es das auch heutzutage noch zu Rom in Kraft bestehende Gesetz.
»Artikel 1. Kein in Rom oder in den römischen Staaten wohnhafter Israelit darf Christen beherbergen, oder beköstigen, oder in seinen Dienst nehmen, wenn er nicht in die von den päpstlichen Decreten bestimmte Strafe verfallen will.
»Artikel 2.
Sämtliche Israeliten in Rom und den päpstlichen Staaten müssen ihre bewegliche und unbewegliche Habe innerhalb drei Monaten verkaufen, außerdem wird dieselbe versteigert.
»Artikel 3. Kein Israelit darf ohne Erlaubniß der Regierung in Rom oder in irgend einer andern Stadt des Kirchenstaates wohnen. Im Uebertretungsfalle werden die Schuldigen in ihre betreffenden Ghetti zurückgeführt werden.
»Artikel 4. Kein Israelit darf die Nacht außerhalb seines Ghetto zubringen.
»Artikel 5. Kein Israelit darf freundschaftliche Beziehungen zu einem Christen unterhalten.
»Artikel 6. Die Israeliten dürfen bei Vermeidung von hundert Thaler Gefängnißstrafe und sieben Jahre Gefängniß keinen Handel mit heiligen Zierathen oder mit Büchern irgend welcher Art treiben.
»Artikel 7. Jeder katholische Arzt, der zu einem Juden gerufen wird, muß ihn vor allen Dingen zu bekehren suchen. Wenn der Kranke sich weigert, so muß er ihn ohne Hilfe lassen. Der Arzt, welcher diesem Befehle entgegenhandelt, jetzt sich der ganzen Strenge des heiligen Officiums aus.
»Artikel 8. Die Israeliten dürfen bei Beerdigung ihrer Todten keine Ceremonien veranstalten, namentlich bei Strafe der Confiscation sich keiner Fackeln bedienen.
»Vorstehendes Decret wird den Ghetti mitgetheilt und in den Synagogen publiciert werden.«
Am Tage nach dem, wo dieses Decret erlassen und angeschlagen ward, nahm der General Mack Abschied vom König, indem er fünftausend Mann zur Bewachung Roms zurückließ, und zog durch das sogenannte Volksthor, um, wie Ferdinand seiner Gemahlin geschrieben, Championnet zu verfolgen und ihn überall, wo er mit ihm zusammentreffen würde, anzugreifen.
In demselben Augenblicke, wo seine Arrieregarde sich in Marsch setzte, kam auf dem entgegengesetzten Ende von Rom, das heißt durch das Thor San Giovanni, ein Zug herein, der sich sehr originell ausnahm.
Vier berittene neapolitanische Gendarmen, die an ihren Tschakos die rothweiße Kokarde trugen, ritten zwei Männern voran, die mit den Armen an einander gebunden waren. Diese beiden Männer trugen weißbaumwollene Mützen und weite Kittel von unbestimmter Farbe, wie die Kranken in Hospitälern zu tragen pflegen.
Sie saßen auf zwei ungesattelten Eseln und jedes dieser Thiere ward von einem Manne aus dem Volke geführt, welcher, mit einem dicken Knüppel bewaffnet, die Gefangenen bedrohte und insultirte.
Diese Gefangenen waren die beiden Consuln der römischen Republik, Mattei und Zaccalone, und die beiden Männer aus dem Volke, welche die Esel führten, waren der Klempner und der Kräuterhändler, welche versprochen hatten, sie auszuliefern.
Sie hatten Wort gehalten, wie man sieht.
Die beiden unglücklichen Flüchtlinge, die in einem Hospitale, welches Mattei in Valmontone, seiner Vaterstadt, gegründet, in Sicherheit zu sein glaubten, hatten sich dorthin geflüchtet und, um sich besser zu verbergen, das Kostüm der Kranken angelegt. Von einem Krankenwärter, welcher Mattei eine Anstellung verdankte, verrathen, waren sie hier ergriffen worden und man führte sie nun nach Rom, damit ihnen hier das Urtheit gesprochen würde.
Kaum hatten sie das Thor San Giovanni passiert, und waren erkannt, als das Volk mit jenem unheilvollen Instinkte, der es treibt, das, was es selbst erhoben und geehrt, wieder in den Staub zu treten und zu schänden, die Gefangenen zu insultiren begann, indem es sie mit Koth, dann mit Steinen warf, dann: »Nieder mit ihnen!« und: »Schlagt sie todt!« schrie und dann seine Drohungen in Ausführung zu bringen suchte.
Die vier neapolitanischen Gendarmen mußten dieser Menge auf das Bestimmteste versichern, daß man die Consuln nur in der Absicht nach Rom zurückbrächte, um sie zu hängen, und daß dies den nächstfolgenden Tag vor den Augen des Königs Ferdinand durch die Hand des Henkers auf dem Platze vor der Engelsburg, dem gewöhnlichen Orte der Hinrichtungen, und zwar zur größeren Schmach der französischen Besatzung geschehen würde.
Dieses Versprechen beschwichtigte die Menge, welche, da sie sich dem Könige Ferdinand nicht unangenehm machen wollte, sich dazu verstand, bis zu den nächstfolgenden Tag zu warten, sich aber für diese Verzögerung dadurch entschädigte, daß es die beiden Consuln immer noch mit Geheul und Hohngeschrei verfolgte, während es sie ununterbrochen mit Koth und Steinen warf.
Die Gefangenen warteten ergebungsvoll, stumm, traurig, aber ruhig und indem sie den Tod weder zu beschleunigen noch abzuwehren suchten. Sie sahen ein, daß für die Alles aus war und daß sie, wenn sie den Klauen des Volkslöwen entrannen, dann nur in die des königlichen Tigers fielen. Sie senkten daher das Haupt und warteten.
Ein Gelegenheitsdichter – dergleichen Dichten mangeln nie, weder bei Triumphen noch bei Niederlagen – hatte die folgenden vier Verse improvisiert und sofort unter das Volk ausgeheilt, welches dieselben nach einer ebenfalls improvisierten Melodie sang:
»Largo, o romano popolo! All' asinino ingresso
Qual fecero non Cesare, non Scipione istesso.
Di questo democratico ed augusto onore è degno
Chi rose un di da console d'impi tiranni il regno.«
In bescheidene Prosa übersetzt, bedeuten diese Verse Folgendes:
»Platz, o römisches Volk, bei dem Eseleinzuge.
wie er weder Cäsar noch Scipio beschieden war.
Dieser erhabenen und demokratischen Ehre war nur der würdig,
welcher einmal als Consul das Reich gottloser Tyrannen regierte.« [Der Verfasser hat in dem Augenblicke, wo er diese Zeilen schreibt, einen Kupferstich aus jener Zeit vor sich liegen, welcher den Einzug jener Unglücklichen darstellt. Wir brauchen nicht erst zu sagen, daß wir uns in den vier oder fünf letzten Capiteln nicht einen einzigen Augenblick von der Geschichte entfernt haben.]
So mußten die Gefangenen drei Viertheile Roms durchziehen, und wurden dann nach dem sogenannten neuen Gefängnisse gebracht.
Eine unzählige Volksmenge sammelte sich an dem Thor des Gefängnisses und man mußte ihr, damit sie dieses nicht einschlüge, versprechen, daß den nächstfolgenden Tag Mittags die Hinrichtung auf dem Platze vor der Engelsburg stattfinden würde und daß man zum Beweise schon den nächstfolgenden Morgen bei Tagesanbruch den Henker und seine Gehilfen das Schaffot aufschlagen sehen könne.
Zwei Stunden später verkündeten an allen Straßenecken angeschlagene Bekanntmachungen die Hinrichtung für den folgenden Tag Mittag.
Dieses Versprechen bereitete den Römern eine angenehme Nacht. Schon um sieben Uhr Morgens ward in der That das Schaffot auf dem Platze der Engelsburg zwischen dem Triumphbogen Gratians und der Tiber aufgeschlagen.
Es war dies, wie wir gesagt haben, der gewöhnliche Hinrichtungsplatz, und um größerer Bequemlichkeit willen stand das Haus des Henkers nur wenige Schritte davon entfernt auf dem Quai, dem alten Gefängnisse Tordinone gegenüber.
Hier stand es noch im Jahre 1848, wo es, als Rom die Republik proclamierte, welche noch nicht einmal so lange dauern sollte, als die von 1798, demoliert ward.
Während die Zimmerleute des Todes das Schaffot bauten und Galgen aufschlugen – mitten unter den unfeinen Scherzen des Volkes, welches bei dergleichen Gelegenheiten allemal viel Witz entwickelt – schmückte man einen Balcon mit kostbaren Draperien, welche Arbeit sich mit der des Schaffots in die Aufmerksamkeit der Menge theilte. Dieser Balcon war nämlich die Loge, von wo aus der König dem Schauspiele beiwohnen wollte.
Eine ungeheure Volksmenge strömte von allen Richtungen her auf den Platz vor der Engelsburg, der bald so gedrängt voll war, daß man Wachen um das Schaffot herum aufstellen mußte, damit die Zimmerleute ihre Arbeit fortsetzen konnten.
Nur das rechte Tiberufer, auf welchem das Grabmal Hadrians steht, war leer. Die furchtbare Burg, welche in Rom das ist, was die Bastille in Paris war und was das Castell San Elmo in Neapel ist, flößte, obschon stumm und anscheinend unbewohnt, so große Furcht ein, daß Niemand sich auf die Brücke wagte, welche hinüberführt, und sich eben so wenig getraute, am Fuße einer Mauern vorüber zu gehen.
In der That schien die dreifarbige Fahne, die von der Spitze dieser Festung flatterte, diesem ganzen, von blutigen Orgien berauschten Volke zu sagen: »Bedenke wohl, was Du thust! Frankreich ist da!«
Da aber kein französischer Soldat sich auf den Wällen zeigte, da die Ausgänge der Festung sorgfältig geschlossen waren, so gewöhnte man sich allmälig an diese stumme Drohung, gerade so, wie Kinder sich an die Gegenwart eines schlafenden Löwen gewöhnen.
Um elf Uhr führte man die beiden Verurtheilten aus ihrem Gefängnisse heraus und ließ sie wieder ihre Esel besteigen. Man warf ihnen einen Strick um den Hals und die beiden Gehilfen des Henkers faßten jeder ein Ende des Strickes, während der Henker selbst voranschritt.
Begleitet waren sie von jener Brüderschaft von Büßern, welche die Delinquenten auf das Schaffot zu geleiten pflegten, während eine ungeheure Volksmasse hintendrein folgte.
So wurden sie immer noch in ihrer Hospitaltracht nach der Kirche San Giovanni geführt, vor deren Façade man sie von ihren Eseln herabsteigen ließ und auf deren Stufen sie barfuß und knieend Abbitte leisteten.
Der König passierte, indem er sich von dem Palaste Farnese nach dem Hinrichtungsplatze begab, die Via Julia in dem Augenblicke, wo die Gehilfen des Henkers die beiden Verurtheilten, indem sie dieselben an den Stricken zerrten, zum Niederknien zwangen. Früher war unter solchen Umständen die königliche Gegenwart die Rettung des Verurtheilten. Jetzt aber war Alles anders und die königliche Gegenwart machte im Gegentheile die Hinrichtung nur um so sicherer.
Die Menge öffnete sich, um den König passieren zu lassen. Er warf einen unruhigen Seitenblick nach der Engelsburg, machte beim Anblicke der dreifarbigen Fahne eine ungeduldige Geberde, stieg unter dem Beifallsrufe des Volkes aus dem Wagen, erschien auf dem Balcone und begrüßte die Menge.
Einen Augenblick später verkündete lautes Geschrei die Annäherung der Gefangenen.
Voran und hinterher kam ein Detachement neapolitanicher Gendarmen zu Pferde, welche, indem sie sich denen, welche schon auf dem Platze warteten, anschlossen, das Volk zurückdrängten und einen freien Raum machten, auf welchem der Henker und seine Gehilfen ruhig arbeiten konnten.
Die Stille und Einsamkeit der Engelsburg hatte alle Welt beruhigt, so daß man gar nicht mehr an sie dachte.
Einige Römer, die muthiger waren als die andern, wagten sich bis auf die verlassene Brücke und insultierten sogar die Festung auf dieselbe Weise, wie die Neapolitaner den Vesuv insultiren. König Ferdinand lachte nicht wenig darüber, denn es erinnerte ihn an seine guten Lazzaroni vom Molo und bewies ihm, daß die Römer beinahe eben so viel Witz besaßen.
Fünf Minuten vor zwölf Uhr Mittag langte der unheimliche Zug auf dem kleinen Platze an. Die Verurtheilten schienen von Anstrengung und Qualen gänzlich erschöpft, dabei aber ruhig und ergeben zu sein.
Am Fuße des Schaffots ließ man sie von ihren Eseln steigen. Dann löste man ihnen den Strick vom Halse und befestigte ihn am Galgen. Die Büßenden drängten sich näher an die beiden Verurtheilten, ermahnten sie zum Tode und ließen sie das Crucifix küssen.
Mattei sagte, indem er dies that:
»O Christus, Du weißt, daß ich unschuldig und wie Du für das Wohl und die Freiheit der Menschen sterbe.«
Zaccalone sagte:
»O Christus, Du bist mein Zeuge, daß ich diesem Volke verzeihe, wie Du deinen Henkern verziehst!«
Die den Verurtheilten am nächsten befindlichen Zuschauer hörten diese Worte und beantworteten dieselben mit Hohngeschrei.
Dann ließ eine starke Stimme sich vernehmen, welche sagte:
»Betet für die Seelen der Sterbenden!«
Es war die Stimme des Anführers der Büßenden.
Alle knieten nieder, um ein Ave Maria zu beten, selbst der König auf seinem Balcon, selbst der Henker und seine Knechte auf dem Schaffot.
Einen Augenblick lang herrschte feierliches, tiefes Schweigen.
Plötzlich krachte ein Kanonenschuß. Das zerschmetterte Schaffot brach unter dem Henker und seinen Knechten zusammen. Das Thor der Engelsburg öffnete sich und hundert Grenadiere rückten unter Trommelschlag im Sturmschritte über die Brücke und bemächtigten sich, mitten unter dem Schreckensruf der Menge, der wilden Flucht der Gendarmen, des Erstaunens und Entsetzens Aller, der beiden Verurheilten, welche sie in die Engelsburg hineinschleppten, deren Thor sich hinter ihnen schloß, ehe noch Volk, Henker, Büßer, Gendarmen und König sich von ihrer Bestürzung erholt hatten.
Die Engelsburg hatte nur ein Wort gesprochen. Aber, wie man sieht, sie hatte es gut gesprochen und es hatte seine Wirkung geäußert.
Die Römer sahen sich gezwungen, diesen Tag auf das Hängen zu verzichten und sich wieder auf die Juden zu werfen.
König Ferdinand kehrte sehr schlecht gelaunt in den Palast Farnese zurück. Es war die erste Täuschung, die er seit Beginn des Feldzuges erfuhr, und unglücklicherweise für ihn sollte es nicht die letzte sein.
Drittes Capitel.
Der von dem König Ferdinand an die Königin Caroline gerichtete Brief hatte die Wirkung geäußert, die er davon erwartet. Die Nachricht von dem Triumphe der königlichen Waffen hatte sich mit der Schnelligkeit des Blitzes von Margelina an bis zur Magdalenenbrücke und von der Karthause St. Martin bis nach dem Molo verbreitet, dann war sie von Neapel auf den schnellsten Wegen in das ganze übrige Königreich entsendet worden. Couriere waren nach Calabrien und leichte Fahrzeuge nach den liparischen Inseln abgegangen.
Während so die Boten und Scorridori ihrer Bestimmung entgegeneilten, waren die Wünsche des Siegers befolgt worden.
Die Glocken der dreihundert Kirchen von Neapel verkündeten mit lautem Schalle das Tedeum, und die von allen Castellen krachenden Geschützsalven priesen mit ihrer ehernen Stimme den Herrn der Heerschaaren.
Der Klang der Glocken und der Donner der Kanonen dröhnte daher in alle Häuser von Neapel hinein und erweckte darin je nach den Meinungen derer, die sie bewohnten, Freude oder Verdruß.
Alle, welche zur liberalen Partei gehörten, sahen mit Schmerz den Sieg Ferdinands über die Franzosen, denn es war dies nicht der Triumph eines Volkes über ein anderes Volk, sondern der eines Princips über ein anderes Princip.
Nun aber repräsentierte die französische Idee in den Augen der Liberalen von Neapel die Humanität, die Liebe für das allgemeine Beste, Fortschritt, Aufklärung und Freiheit, während die neapolitanische Idee in den Augen derselben Liberalen nur Barbarei, Egoismus, Stillstand, Verfinsterungssucht und Tyrannei repräsentierte.
Die Liberalen, welche sich moralisch besiegt fühlten, hielten sich daher in ihre Häuser eingeschlossen. Sie sahen ein, daß es für sie nicht gerathen sei, sich öffentlich zu zeigen. Sie dachten an den furchtbaren Tod des Herzogs della Torre und seines Bruders, und beklagten nicht blos für Rom, wo die päpstliche Gewalt wieder hergestellt werden sollte, sondern auch für Neapel, wo nun der Despotismus neuen Boden gewann, den Triumph des Königs Ferdinand, das heißt den Sieg der reactionären Ideen über die revolutionären.
Was die Absolutisten betraf – und die Zahl derselben war groß in Neapel, denn sie bestand aus Allem, was zum Hofe gehörte, oder was von demselben lebte oder abhing und aus dem ganzen Volke. Fischer, Lastträger, Lazzaroni, alle waren jetzt voll Freude und Jubel. Sie rannten in den Straßen umher und schrien: »Es lebe Ferdinand der Vierte! Es lebe Pius der Sechste! Tod den Franzosen! Tod den Jakobinern!«
Und mitten unter ihnen und stärker schreiend als alle Andern sah man Fra Pacifico, der seinen Esel Giacobino nach dem Kloster zurücktrieb.
Das arme Thier war nahe daran, der Last seiner mit Lebensmitteln aller Art angefüllten Körbe zu erliegen und blöckte aus Leibeskräften nach dem Beispiele seines Herrn, welcher behauptete, der Esel beklage die Niederlage seiner Brüder, der Jakobiner.
Dieser Witz fand bei den Lazzaroni, die in der Wahl ihrer Sarcasmen nicht sehr schwierig sind, großen Beifall.
So entlegen von dem Mittelpunkte der Stadt das Haus mit dem Palmbaume oder vielmehr das der Herzogin Fusco, welches an ersteres stieß, auch war, so war das Läuten der Glocken und der Donner des Geschützes doch bis zu Salvato gedrungen, welcher stutzte und horchte wie ein Schlachtroß beim Schmettern der Trompete.
Wie General Championnet durch das letzte anonyme Billet, welches er empfangen und welches, wie man schon errathen, von dem würdigen Doctor Cirillo herrührte, erfahren, ging es mit dem Verwundeten, obschon er noch nicht vollständig wieder hergestellt war, weit besser.
Nachdem er mit Erlaubniß des Arztes von Luisa und deren Zofe unterstützt das Bett verlassen, um sich in einen Sessel zu strecken, hatte er später diesen Sessel verlassen, und von Luisa geführt, einige Male die Runde durch das Zimmer gemacht.
Eines Tages endlich, als Giovannina in Abwesenheit ihrer Herrin sich erboten, ihn eine dieser Promenaden machen zu helfen, hatte er ihr Anerbieten dankend abgelehnt, aber dann ganz allein den beschränkten Spaziergang wiederholt, welchen er seither nur an Luisa's Arm gemacht.
Giovannina hatte sich hierauf, ohne etwas zu sagen, in ihr Zimmer zurückgezogen und lange geweint. Es war klar, daß es Salvato widerstrebte, von der Dienerin die Hilfe zu empfangen, welche ihn, wenn sie von der Herrin kam, so glücklich machte, und obschon sie sehr wohl begriff daß zwischen ihrer Herrin und ihr für einen Mann von Distinction kein Zögern möglich war, so empfand sie nichtsdestoweniger jenen tiefen Schmerz, über welchen die Ueberlegung nichts vermag oder den vielmehr die Ueberlegung nur noch bitterer macht.
Wenn sie durch die Glasthür hindurch ihre Herrin nach dem Weggange des Chevaliers leicht wie ein Vogel nach dem Zimmer des Kranken eilen sah, knirschte sie mit den Zähnen, stieß einen Seufzer aus, welcher einer Drohung glich, und eben so wie sie mit jenem sinnlichen Hange der Frauen des Südens den schönen jungen Mann liebte, ohne es zu wollen, eben so haßte sie ihre Gebieterin unwillkürlich und gewissermaßen ebenfalls ohne es zu wollen.
»O,« murmelte sie, es wird nicht allzu lange dauern, so ist er vollständig wieder genesen. Dann wird er das Haus verlassen und sie wird dann ihrerseits Schmerz empfinden.«
Bei diesen schlimmen Gedanken kehrte das Lächeln wieder auf ihre Lippen zurück und die Thränen trockneten in ihren Augen.
Jedesmal, wo der Doctor Cirillo kam – und seine Besuche wurden immer seltener – beobachtete Giovannina auf seinem Gesicht den Ausdruck von Freude über den Fortschritt, welchen der sich immer mehr bessernde Zustand des Verwundeten machte, und bei jedem Besuche wünschte und fürchtete sie gleichzeitig, daß der Arzt den Kranken für vollständig genesen erkläre.
Am Vorabende des Tages, wo gleichzeitig das Geläute der Glocken und der Donner der Kanonen sich vernehmen ließ, fand Doctor Cirillo sich abermals ein, und sprach mit strahlendem Lächeln, nachdem er Salvato's Athemzug untersucht, ihm mehrmals auf die Brust gepocht und erkannt, daß der Schall immer mehr von seiner Mattigkeit verlor, die Worte, welche gleichzeitig in zwei Herzen, ja sogar in dreien widerhallten:
»Na, in zehn bis zwölf Tagen kann unser Patient zu Pferde steigen und dem General Championnet selbst Kunde von seinem Befinden bringen.«
Giovannina hatte bemerkt, daß bei diesen Worten zwei große Thränen in Luisas Augen traten, daß sie dieselben nur mit Mühe zurückzuhalten vermochte und daß der junge Mann sehr bleich ward.
Was sie selbst betraf, so fühlte sie lebhafter als jemals jene doppelte Empfindung von Freude und Schmerz, welche sie schon mehr als einmal in sich wahrgenommen.
Unter dem Vorwande, Cirillo das Geleite zu geben, war Luisa diesem, als er sich wieder entfernte, gefolgt. Giovannina ihrerseits hatte den Beiden nachgeschaut, bis sie verschwunden waren. Dann war sie an das Fenster, ihr gewöhnliches Observatorium, getreten.
Fünf Minuten später sah sie den Doctor den Garten verlassen, und da ihre Herrin nicht unmittelbar wieder in das Zimmer des Verwundeten trat, so sagte sie:
»Ha, sie weint, sie weint!«
Nach Verlauf von zehn Minuten trat Luisa wieder ein.
Giovannina bemerkte, daß ihre Augen, trotzdem, daß sie dieselben mit frischem Wasser benetzte, noch roth waren, und murmelte wieder:
»Sie hat geweint.«
Salvato seinerseits hatte nicht geweint. – Thränen schienen diesem ehernen Antlitze etwas Unbekanntes zu sein.
Als Luisa das Zimmer verlassen hatte, war ein Kopf blos auf die Hand gesunken und er schien gegen Alles, was ihn umgab, so gleichgültig zu werden, als ob er in eine Bildsäule verwandelt worden wäre. Es war dies überhaupt sein gewohnter Zustand, wenn Luisa nicht in seiner Nähe war.
Bei ihrem Wiedereintritte, ja noch ehe sie wieder eintrat, das heißt beim Geräusch ihrer Tritte, richtete er den Kopf empor und lächelte, so daß diesmal, wie immer, das Erste, was sie beim Wiedereintritte in das Zimmer sah, das Lächeln des Mannes war, den sie liebte.
Das Lächeln ist die Sonne der Seele und ihr geringster Strahl genügt, um jenen Thau des Herzens zu trocknen, welchen man die Thränen nennt.
Luisa ging gerade auf den jungen Mann zu, bot ihm beide Hände und lächelte ebenfalls.
»O, wie glücklich bin ich, daß Sie nun ganz außer aller Gefahr sind!«
Am nächsten Tage war Luisa bei Salvato, als gegen ein Uhr Mittags das Geläute der Glocken und die Geschützsalven begannen. Die Königin hatte die Depesche ihres erhabenen Gemahls erst um elf Uhr Morgens erhalten, und es hatte zweier Stunden bedurft, um die zu dieser freudigen Kundgebung erforderlichen Befehle zu ertheilen.
Salvato zuckte, wie wir gesagt haben, bei diesem doppelten Getöse auf einem Sessel zusammen. Er richtete sich auf seine Füße empor. Seine Stirn runzelte sich, und seine Nüstern erweiterten sich, als ob er schon den Pulverdampf, nicht der öffentlichen Freudenfeste, sondern des Schlachtfeldes witterte, und er fragte, indem er bald Luisa, bald die Zofe ansah:
»Was ist das?«
Die beiden Frauen machten gleichzeitig eine ähnliche Geberde, welche bedeutete, daß sie Salvato's Frage nicht beantworten konnten.
»Geh, und erkundige Dich, Giovannina,« sagte Luisa. »Wahrscheinlich ist heute ein Fest, welches wir vergessen haben.«
Giovannina verließ das Zimmer.
»Was für ein Fest?« fragte Salvato, indem er Luisa ansah.
»Welchen Monatstag haben wir heute?« fragte diese.
»O,« sagte Salvato, »es ist schon lange her, daß ich die Tage nicht mehr zähle.«
Und mit einem Seufzer setzte er hinzu:
»Heute will ich aber wieder anfangen.«
Luisa streckte die Hände nach einem Kalender aus.
»In der That,« sagte sie ganz freudig, »wir haben heute den ersten Adventsonntag.«
»Ist es denn,« fragte Salvato fort, »in Neapel gebräuchlich, die Ankunft unsers Herrn und Heilandes durch Kanonensalven zu feiern? Wenn es das Weihnachtsfest selbst wäre, dann könnte ich es mir allenfalls denken.«
Giovannina trat wieder ein.
»Nun?«, fragte Luisa.
»Signora,« antwortete Giovannina, »Michele ist da.«
»Was sagt er denn?«
»O, ganz merkwürdige Dinge. Er sagt – doch, fuhr sie fort, »es wird am besten sein, wenn er Ihnen dies selbst erzählt, Signora. Sie werden dann selbst urtheilen.«
»Ich komme wieder, mein Freund,« sagte Luisa zu Salvato, »ich will selbst hören, was unser Narr sagt.«
Salvato antwortete durch eine Kopfbewegung und ein Lächeln.
Luisa verließ das Zimmer.
Giovannina machte sich nun darauf gefaßt, von Salvato ausgefragt zu werden.
Sobald aber Luisa hinaus war, schloß er die Augen und versank wieder in eine gewöhnliche Unbeweglichkeit und Schweigsamkeit. Da sie nicht gefragt ward, so wagte sie nicht zu sprechen, wie große Lust sie auch dazu hatte.
Luisa fand ihren Milchbruder im Speisezimmer.
Sein Gesicht strahlte. Er hatte seine Festtagskleider angelegt und von seinem Hute flatterte eine Flut von Bändern.
»Victoria!« rief er, als er Luisa erblickte. »Victoria, Schwesterchen! Unser großer König Ferdinand ist in Rom eingezogen; der General Mack ist auf allen Punkten siegreich, die Franzosen sind ausgerottet, die Juden werden verbrannt und die Jakobiner gehängt! Evviva la Madonna! – Nun, was ist Dir?«
Diese Frage hatte ihren Grund darin, daß Luisa plötzlich blaß ward. Ihre Kräfte wurden ihr, als sie diese Nachricht vernahm, untreu, und sie sank auf einen Stuhl nieder.
Sie begriff in der That nur Eins, und dieses war, daß, wenn die Franzosen siegten, Salvato bei ihr bleiben und dieselben sogar in Neapel erwarten konnte.
Wurden dagegen die Franzosen besiegt, so mußte Salvato Alles, selbst sie, verlassen, um das Unglück seiner Waffenbrüder zu theilen.
»Aber ich frage Dich, was Dir ist?«, sagte Michele.
»Nichts, mein Freund; diese Nachricht ist aber so erstaunlich und unerwartet. – Bist Du derselben auch gewiß, Michele?«
»Nun, hörst Du nicht die Glocken? Hörst Du nicht die Kanonen?«
»Allerdings höre ich sie.«
Und mit halber Stimme murmelte sie:
»Unglücklicherweise wird auch er es hören.«
»Wenn Du noch zweifelst,« sagte Michele, »so kommt hier der Chevalier San Felice, welcher Dir bestätigen wird, was ich gesagt habe. Er ist bei Hofe gewesen; er muß wissen, was dort für Nachrichten eingegangen sind.«
»Mein Gemahl!« rief Luisa; »das ist ja gar nicht seine Stunde!«
Und sie wendete den Kopf rasch nach der Seite des Gartens herum.
In der That war es der Chevalier, der eine Stunde eher als gewöhnlich nach Hause kam. Es war klar, daß er zu dieser Abweichung von der Regel nur durch ein großes Ereigniß bewogen worden sein konnte.
»Rasch, rasch, Michele!« rief Luisa, »geh in das Zimmer des Verwundeten, erwähne aber kein Wort von dem, was Du mir soeben gesagt hat, und sieh zu, daß auch Giovannina schweige. Verstehst Du mich?«
»Ja, ich verstehe, daß ihn dies sehr betrüben würde, den armen jungen Mann. Wenn er mich nun aber wegen des Glockengeläutes und der Kanonensalven fragt?«
»Dann sage, es geschähe wegen des Adventfestes. Geh!«
Michele verschwand in dem Corridor, dessen Thür Luisa wieder hinter ihm verschloß.
Es war die höchste Zeit, denn der Kopf des Chevaliers kam in demselben Augenblick über dem Perron zum Vorschein.
Luisa eilte ihm mit lächelndem Munde, aber unruhig pochendem Herzen entgegen.
»Meiner Treu!« sagte er eintretend, »das ist eine Nachricht, die ich nicht erwartet hätte! König Ferdinand, ein Held! Nun urtheile Einer noch nach dem Scheine. Die Franzosen sind auf dem Rückzuge! Rom ist von dem General Championnet aufgegeben! Und unglücklicherweise finden schon Mordthaten und Hinrichtungen statt, als ob der Sieg durchaus nicht rein bleiben könnte. So verstanden ihn die Griechen nicht. Bei ihnen hieß die Siegesgöttin die Nike; sie machten sie zur Tochter der Kraft und der Tapferkeit und reihten sie mit Themis dem Gefolge Jupiters an. Allerdings, die Römer gaben ihrer Victoria keine Wage als Attribut, ausgenommen, um vielleicht das Gold der Besiegten zu wägen. Vae victis! jagten sie und ich, ich sage: Vae victoribus! so oft die Sieger ihren Trophäen noch Schaffote und Galgen hinzufügen. Ich wäre ein armseliger Eroberer gewesen, Luisa, und will lieber in mein Haus, welches mich anlächelt, einziehen, als in eine Stadt, welche weint.«
»Dann ist es also wahr, was man erzählt, mein Freund?« fragte Luisa, die immer noch zögerte, zu glauben.
»Ja, die Sache ist officiel, meine theure Luisa. Ich habe die Nachricht aus dem Munde Sr. Hoheit des Herzogs von Calabrien selbst und er hat mich eben schnell nach Hause geschickt, damit ich mich umkleide, weil er bei dieser Gelegenheit ein Diner gibt.«
»Zu welchem Du gehen wirst?« rief Luisa hastiger, als sie eigentlich gewollt.
»Mein Gott, ich muß,« antwortete der Chevalier. »Es ist ein Diner von Gelehrten. Es gilt, lateinische Inschriften zu fertigen und Allegorien zu erfinden, wie man deren für die Wiederankunft des Königs bedarf. Man will ihm prachtvolle Feste bereiten, mein Kind, von welchen es – beiläufig gesagt – sehr schwer sein wird, Dich zu dispensieren. Du begreift dies selbst. Als der Prinz in die Bibliothek kam, um mir diese Neuigkeit mitzutheilen, war ich so weit entfernt, darauf gefaßt zu sein, daß ich beinahe von der Leiter heruntergefallen wäre. Dies wäre aber durchaus nicht höflich gewesen, denn ich hätte dadurch bewiesen, daß ich an dem militärischen Genie des Königs große Zweifel gehegt. Nun bin ich da, mein armes Kind, und zwar in so großer Aufregung, daß ich nicht einmal weiß, ob ich die Gartenthür hinter mir verschlossen habe. Du wirst mir beim Ankleiden behilflich sein, nicht wahr? Gib mir Alles, was ich bedarf, um kleine Hoftoilette zu machen. Ein akademisches Diner! Wie werde ich mich in Gesellschaft dieser Pedanten langweilen. Sobald es mir möglich ist, komme ich wieder, vor zehn bis elf Uhr Abends aber wird es kaum geschehen können. Komm' denn also, meine kleine Luisa, komm'! Es ist jetzt zwei Uhr und um drei soll das Diner beginnen. Aber was siehst Du denn?«
Und der Chevalier machte eine Bewegung, um zu sehen, was die Blicke einer Gattin nach der Richtung des Gartens hinzog.
»Nichts, mein Freund, nichts, sagte Luisa, indem sie ihren Gatten bewog, seinen Schritt nach seinem Schlafzimmer zu lenken. »Du hast Recht; Du mußt Dich beeilen, sonst wirst Du nicht fertig.«
Das, was Luisas Blicke anzog und was sie ihren Gatten nicht sehen lassen wollte, war der Umstand, daß er wirklich vergessen hatte, die Gartenthür zu schließen, die sich eben langsam öffnete und die Wahrsagerin Nanno einließ, welche Niemand wieder gesehen, seit sie das Haus verlassen, nachdem sie dem Verwundeten die erste Hilfe angedeihen lassen und die Nacht bei ihm zugebracht hatte.
Sie näherte sich mit ihrem sibyllinischen Schritt. Sie ging die Stufen des Perron hinauf, erschien an der Thür des Speisezimmers, trat, als ob sie gewußt, daß sie hier nur Luisa finden würde, ohne Zögern ein, durchschritt das Zimmer langsam und ohne daß man das Geräusch ihrer Tritte hörte.
Dann, und ohne stehen zu bleiben, um mit Luisa zu sprechen, welche bleich und zitternd ihr zusah, als ob sie ein Gespenst erblickte, verschwand sie, zum Zeichen des Schweigens den Finger auf den Mund legend, in den Corridor, welcher zu Salvato führte.
Luisa trocknete sich mit ihrem Tuche den Schweiß, welcher ihr auf der Stirn perlte, und eilte, um dieser Erscheinung, welche sie als eine wirklich übernatürliche betrachtete, desto sicherer zu entrinnen, in das Zimmer ihres Gatten, worauf sie die Thür hinter sich zuzog.
Viertes Capitel.
Es war für Michele nicht schwer gewesen, dem Instructionen zu folgen, welche Luisa ihm ertheilt, denn mit Ausnahme eines freundschaftlichen Winkes, welchen ihm der junge Officier gegeben, hatte derselbe kein Wort an ihn gerichtet.
Michele und Giovannina hatten sich hierauf in die Brüstung eines Fensters zurückgezogen und hier eine lebhafte, aber in leisem Tone geführte Unterredung begonnen.
Der Lazzarone klärte Giovannina vollends über die Ereignisse auf, über welche er kaum Zeit gehabt, ihr einige Worte zu sagen und welche, wie sie instinktartig fühlte, auf Salvatos und Luisas Geschicke und folglich auch auf das ihrige bedeutenden Einfluß äußern mußten.
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