v1.0 – создание FB2 – Ostermann
Dumas (père), Alexandre
La San Felice B1
Erster Theil
Vorrede
Die Ereignisse, welche ich im Begriff stehe zu erzählen, sind so seltsam, und die Personen, die ich auftreten lassen werde, so außerordentlich, daß ich, ehe ich denselben das erste Capitel meines Buches widme, einige Minuten lang über die Ereignisse und über diese Personen mit meinen künftigen Lesern plaudern zu müssen glaube.
Die Ereignisse gehören jener Periode des Directoriums an, welche den Zeitraum der Jahre 1798 bis 1800 umfaßt.
Die zwei Hauptsachen dieser Periode sind die Eroberung des Königreiches Neapel durch Championnet und die Wiedereinsetzung des Königs Ferdinand durch den Cardinal Ruffo – zwei Thatsachen, von welchen die eine ebenso unglaublich ist als die andere, weil Championnet mit zehntausend Republikanern eine Armee von fünfundsechzigtausend Mann Soldaten schlägt und sich nach dreitägiger Belagerung einer Hauptstadt von fünfhunderttausend Einwohnern bemächtigt, und weil Ruffo mit fünf Mann von Messina abgeht, gleich einem Schneeballe sich durch die ganze Halbinsel wälzt, mit vierzigtausend Mann Sanfedisten in Neapel anlangt und den vertriebenen König wieder auf den Thron setzt.
Es gehört aber auch Neapel mit seiner unwissenden, leicht beweglichen und abergläubischen Bevölkerung dazu, damit dergleichen Unmöglichkeiten historische Thatsachen werden.
Die Geschichte dieser Vorgänge ist mit kurzen Worten folgende:
Invasion der Franzosen; Proclamation der parthenopeichen Republik; Entwicklung der großen Individualitäten, die während der vier Monate, welche diese Republik dauerte, den Ruhm Neapels ausmachten; die sanfedistische Reaction Ruffos; die Wiedereinsetzung Ferdinands und die Metzeleien, welche die Folge dieser Wiedereinsetzung waren.
Was die Personen betrifft, so theilen sich dieselben hier, wie in allen Büchern dieser Art, welche wir geschrieben, in historische und erdichtete.
Es wird unseren Lesern eigenthümlich erscheinen, daß wir die von uns erdichteten Personen, welche den romantischen Theil dieses Buches bilden, ihnen ohne ein Wort der Vertheidigung preisgeben. Unsere Leser sind aber seit länger als einem Vierteljahrhundert in Bezug auf uns so nachsichtig gewesen, daß wir, indem wir nach sieben- bis achtjährigem Schweigen wieder vor ihnen erscheinen, nicht nöthig zu haben glauben, an ihre früheren Sympathien appellieren zu müssen. Mögen sie uns sein, was sie uns stets gewesen sind, und wir werden uns dann nur zu glücklich schätzen.
Dagegen scheint es uns im höchsten Grade nothwendig, einige Worte über mehrere der historischen Personen vorauszuschicken. Außerdem könnten wir leicht Gefahr laufen, daß dieselben, wenn auch nicht für Geschöpfe unserer Phantasie, doch wenigstens für nach unserem Gutdünken herausstaffierte Masken gehalten würden, so sehr stehen diese historischen Personen in ihrer lächerlichen Excentricität oder ihrer bestialischen Rohheit nicht blos außerhalb dessen, was vor unseren Augen geschieht, sondern auch dessen, was wir uns denken können.
So haben wir kein Beispiel von einem König wie Ferdinand der Vierte oder von einem Volke, als dessen Typus uns hier Mammone entgegentritt.
Der Leser sieht, ich halte mich an die beiden Extremitäten der socialen Stufenleiter – an den König, das Staatsoberhaupt, und an den Bauer und Bandenführer.
Beginnen wir mit dem König, und damit die royalistischen Gemüther nicht über Impietät gegen die Monarchie schreien, wollen wir einen Mann befragen, welcher zwei Reisen nach Neapel gemacht und der den König Ferdinand zu der Zeit, wo wir ihn dem Gange unserer Erzählung gemäß auftreten lassen müssen, gesehen und studiert hat.
Dieser Mann ist Joseph Gorani, französischer Bürger, wie er sich selbst tituliert, Verfasser der »geheimen kritischen Memoiren der Höfe und Regierungen und der Sitten der vornehmsten Staaten Italiens.«
Citieren wir drei Bruchstücke aus diesem Buch und zeigen wir den König von Neapel als Schüler, den König von Neapel als Jäger und den König von Neapel als Fischer.
Es ist also jetzt Gorani, welcher spricht, nicht ich.
Die Erziehung des Königs von Neapel
»Als nach dem Tode des Königs Ferdinand des Sechsten von Spanien Carl der Dritte den Thron von Neapel verließ, um den Spaniens zu besteigen, erklärte er den ältesten seiner Söhne für zur Regierung unfähig, machte den zweiten zum Prinzen von Asturien und ließ den dritten in Neapel, wo er, obschon noch sehr jung, als König anerkannt ward.
»Der älteste Prinz war in Folge der schlechten Behandlung verdummt, die er von der Königin erdulden mußte, welche ihn, gleich schlechten Müttern aus der Hefe des Volkes, fortwährend schlug. Sie war eine Prinzessin von Sachsen und von harter, habsüchtiger, herrschsüchtiger und boshafter Gemüthsart.
»Als Carl nach Spanien abreiste, fand er es nothwendig, für den König von Neapel, der noch Kind war, einen Gouverneur zu ernennen. Die Königin machte dieses Amt, eines der wichtigsten, dem Meistbietenden zugänglich.
»Dieser Meistbietende war der Fürst San-Nicandro und erhielt es zugeschlagen.
»San-Nicandro besaß die schmutzigste Seele, welche jemals in dem Kothe von Neapel vegetiert hat. Unwissend, den schimpflichsten Lastern fröhnend, ohne in einem Leben jemals etwas Anderes gelesen zu haben, als Gebetbücher, war er fast fortwährend betrunken und folglich ganz unfähig der wichtigen Mission, einen König zu erziehen, zu genügen.
»Man kann mit leichter Mühe errathen, was die Folgen einer solchen Wahl sein mußten. Da er selbst nichts wußte, so konnte er auch seinen Schüler nichts lehren.
»Dies war ihm aber noch nicht genug, um den Monarchen in einer ewigen Kindheit zu erhalten. Er umgab ihn daher mit Creaturen seines Schlages und entfernte von ihm jeden verdienstvollen Mann, der ihm den Wunsch, sich zu unterrichten, hätte einflößen können. Da er sich im Besitze unbeschränkter Autorität befand, so verkaufte er Gnadenbeweise, Aemter und Titel.
»Um den König unfähig zu machen, auch nur den geringsten Theil der Verwaltung des Königreiches zu überwachen, brachte er ihm frühzeitig Geschmack an der Jagd bei, unter dem Vorwande, daß dies dem Vater gefallen werde, welcher stets ein leidenschaftlicher Freund dieses Vergnügens gewesen war.
»Als ob diese Leidenschaft aber noch nicht hinreichend gewesen wäre, um den jungen König von den Geschäften fern zu halten, gesellte er zu derselben auch noch die des Fischfanges und dies sind gegenwärtig noch die Lieblingsvergnügungen des Königs.
»Derselbe ist sehr lebhaft und war es als Kind in noch höherem Grade. Es waren Vergnügungen nöthig, um ihn jeden Augenblick vollständig zu beschäftigen. Sein Gouverneur suchte ihm neue Erholungen und wollte ihn gleichzeitig von der zu großen Sanftmuth und Herzensgüte heilen, welche den Grundzug seines Charakters bildeten.
»San-Nicandro wußte, daß es ein Lieblingszeitvertreib des Prinzen von Asturien, jetzigen Königs von Spanien, war, Kaninchen zu erwürgen. Er brachte deshalb seinem Zöglinge Geschmack daran bei. Der König erwartete demgemäß die armen Thiere an einem schmalen Durchgange, den man sie zu passieren zwang, und schlug sie mit einer seinen Kräften angemessenen Keule unter lautem Gelächter todt.
»Um einige Abwechslung in diesen Zeitvertreib zu bringen, nahm er Hunde oder Katzen und machte es sich zum Spaß, sie zu prellen, bis sie verendeten. Um dieses Vergnügen noch pikanter zu machen, wünschte er endlich auch Menschen prellen zu sehen, was sein Gouverneur sehr vernünftig fand. Bauern, Soldaten, Arbeiter und selbst Hofcavaliere dienten auf diese Weise dem gekrönten Kinde zum Spielwerk; ein Befehl von Carl dem Dritten aber machte diesem noblen Zeitvertreibe ein Ende und dem jungen Könige war fernerhin blos noch gestattet Thiere zu prellen, mit Ausnahme der Hunde, welche der König von Spanien in seinen besonderen Schutz nahm.
»Auf diese Weise erzog man Ferdinand den Vierten, den man nicht einmal Lesen und Schreiben lehrte. Seine Gemahlin war seine erste Schulmeisterin.«
Der König von Neapel als Jäger
»Eine solche Erziehung mußte ein Ungeheuer, einen Caligula hervorbringen. Die Neapolitaner waren darauf gefaßt, die angeborene Herzensgüte des jungen Monarchen triumphierte aber dennoch über den Einfluß einer so verwerflichen Leitung. Ganz gewiß wäre er noch ein vortrefflicher Fürst geworden, wenn es ihm gelungen wäre, sich seines Hanges zur Jagd und zum Fischfange zu entwöhnen, der ihm viele Stunden raubte, die er mit Nutzen den öffentlichen Geschäften hätte widmen können. Die Furcht aber, einen seinem liebsten Zeitvertreibe günstigen Morgen zu versäumen, ist im Stande, ihm die wichtigste Staatsangelegenheit aus den Augen verlieren zu lassen, und die Königin und die Minister wissen sich diese Schwäche recht wohl zu Nutzen zu machen.
»Im Monat Januar 1788 hielt Ferdinand im Palast von Caserta einen Staatsrath, welchem die Königin, der Minister Acton, Caracciolo und einige Andere beiwohnten. Es handelte sich um eine Sache von der größten Wichtigkeit. Mitten in der Discussion hörte man an die Thüre pochen. Diese Unterbrechung überraschte Alle und man konnte sich nicht denken, wer der Verwegene sei, der einen solchen Augenblick wähle. Der König eilte sofort nach der Thür, öffnete dieselbe und ging hinaus. Es dauerte nicht lange, so trat er mit der Miene und Geberde der lebhaftesten Freude wieder ein und bat, daß man die Berathung möglichst schnell beenden möchte, weil er ein Geschäft von weit größerer Wichtigkeit vorhabe, als das sei, um welches es sich hier handle. Man hob die Sitzung auf und der König zog sich in sein Zimmer zurück, um sich zeitig schlafen zu legen, damit er den nächstfolgenden Morgen vor Tagesanbruch auf den Füßen sein könnte. Diese Angelegenheit, mit welcher keine andere einen Vergleich aushielt, war ein Stelldichein zur Jagd. Das an der Thür des Berathungszimmers erfolgte Anpochen war ein zwischen dem König und seinem Piqueur verabredetes Signal, welches ihn seinem Befehle gemäß benachrichtigte, daß ein Rudel Wildschweine bei Tagesanbruch in dem Walde gesehen worden und daß sie sich jeden Morgen an demselben Ort versammelten. Es ist klar, daß die Staatsrathssitzung aufgehoben werden mußte, damit der König zeitig genug schlafen gehen und in den Stand gesetzt sein konnte, die Wildschweine zu überrumpeln. Wären dieselben entronnen, was wäre dann aus Ferdinands Ruhm geworden?
»Ein andermal ließ an demselben Ort und unter denselben Umständen ein dreimaliges Pfeifen sich hören. Es war dies abermals ein Signal zwischen dem König und seinem Piqueur. Die Königin und die übrigen Mitglieder des Cabinetsraths nahmen diesen Scherz nicht gut auf, der König eilte aber sofort an ein Fenster, öffnete dasselbe und gab seinem Piqueur Audienz, der ihm meldete, daß da und da so eben ein Schwarm Vögel sich niedergelassen und daß Seine Majestät keinen Augenblick zu verlieren habe, wenn sie sich das Vergnügen machen wolle, einen glücklichen Schuß zu thun. Nachdem Ferdinand diese Meldung vernommen, kehrte er schnell von dem Fenster zurück und sagte zu der Königin:
»Liebe Freundin, präsidiere an meiner Stelle und beende diese Angelegenheit nach deinem Dafürhalten.«
Der königliche Fischfang
»Man glaubt ein zum Scherze erdichtetes Märchen zu hören, wenn man vernimmt, daß der König von Neapel nicht blos fischt, sondern daß er auch die gefangenen Fische selbst verkauft. Dennoch ist dies vollkommen wahr. Ich selbst habe diesem belustigenden und in seiner Art einzigen Schauspiel beigewohnt und will dasselbe zu schildern versuchen.
»In der Regel fischt der König in dem Theile des Meeres, welcher sich in der Nähe des Berges Pausilippo drei oder vier Meilen von Neapel befindet. Nachdem er einem ergiebigen Fang gemacht hat, kehrt er ans Land zurück. Sobald er ausgestiegen ist, genießt er das lebhafteste Vergnügen, welches dieser Zeitvertreib für ihn hat. Man legt nämlich das ganze Ergebniß des Fischfanges auf dem Gestade zur Schau und dann kommen die Käufer und schließen ihren Handel mit dem Monarchen selbst ab. Ferdinand gibt dabei nichts auf Credit, sondern streicht das Geld selbst ein, ehe er seine Waare aushändigt, und legt dabei das größte Mißtrauen an den Tag. Es kann dann Jedermann sich dem König nähern und ganz besonders genießen die Lazzaroni dieses Vorrecht, denn der König beweist diesen mehr Freundschaft als allen anderen Zuschauern.
»Dabei aber nehmen die Lazzaroni bereitwillig Rücksicht auf die Fremden, welche den Monarchen in der Nähe sehen wollen.
»Wenn der Verkauf beginnt, wird das Schauspiel außerordentlich komisch. Der König verkauft so theuer als möglich. Er nimmt seinen Fisch selbst in seine königlichen Hände und sagt davon Alles, was nach seiner Meinung geeignet ist, den Käufern Lust zu machen. Die Neapolitaner, welche in der Regel sehr vertraulich und dreist sind, begegnen dem König bei diesen Gelegenheiten mit der größten Freiheit und sagen ihm Beleidigungen, als ob er ein ganz gewöhnlicher Fischhändler wäre, der die Käufer übertheuern wolle. Der König findet an diesen Schmähungen großes Vergnügen und lacht aus vollem Halse darüber. Dann sucht er die Königin auf und erzählt ihr Alles, was bei dem Fangen und Verkaufe der Fische vorgefallen ist und was ihm Stoff zu allerhand Späßen liefert.
»Während der ganzen Zeit aber, wo der König sich mit der Jagd und dem Fischfang beschäftigt, regieren, wie wir bereits gesagt haben, die Königin und die Minister nach ihrem Gutdünken, und man kann sich denken, wie dann die Geschäfte gehen.«
König Ferdinand der Vierte soll uns aber auch noch unter einer neuen Gestalt erscheinen. Diesmal befragen wir nicht mehr Gorani, den Reisenden, der ihn einen Augenblick lang als Fischverkäufer sieht oder wenn er im Galopp vorüberreitet, um sich auf den Sammelplatz zu einer Jagd zu begeben. Wir wenden uns vielmehr jetzt an einen Vertrauten des Hauses, nämlich am Palmieri de Miceiche, Marquis von Villalba, Liebhaber der Maitresse des Königs, welcher uns diesen in dem ganzen Cynismus seiner Feigheit zeigt. Es ist also der Marquis von Villalba, welcher spricht.
»Nicht wahr, Sie kennen die näheren Umstände des Rücktritts Ferdinands und seiner Flucht oder, um richtiger zu sprechen, der Ereignisse in Unteritalien gegen Ende des Jahres 1798? Ich will dieselben mit zwei Worten zurückrufen.
»Sechzigtausend Mann Neapolitaner, von dem österreichischen General Mack commandiert und durch die Anwesenheit des Königs ermuthigt, rückten siegreich vor bis Rom, als Championnet und Macdonald ihre schwachen Corps vereinigten, sich auf diese Arme stürzten und dieselbe in die Flucht schlugen. Ferdinand befand sich in Albano, als er diese furchtbare Niederlage erfuhr.
»Fuimmo! Fuimmo!« fing er an zu rufen. Und er floh in der That.
»Ehe er jedoch in seinen Wagen stieg, sagte er zu seinem Begleiter:
»Mein lieber Ascoli, Du weißt, wie es jetzt überall von Jacobinern wimmelt. Diese Strolche haben nichts Anderes im Sinne, als mich zu ermorden. Laß uns deshalb die Kleider wechseln. Auf der Reise bist Du der König und ich bin der Herzog von Ascoli. Auf diese Weise wird die Gefahr für mich geringer sein!«
»Gesagt, gethan. Der Herzog von Ascoli geht mit Freuden auf diesen unglaublichen Vorschlag ein. Er beeilt sich die Uniform des Königs anzulegen, gibt diesem dafür die einige, setzt sich dann in dem Wagen oben an und nun heißt es: Fahr zu, Kutscher!
»Der Herzog spielt auf der ganzen Fahrt bis Neapel seine Rolle ausgezeichnet und auch Ferdinand, den die Furcht inspiriert, versteht den unterwürfigsten Höfling auf eine Weise zu spielen, daß man glauben sollte, er sei in seinem Leben nie etwas Anderes gewesen.
»Der König vergaß dem Herzog von Ascoli diesen selten vorkommenden Beweis von Anhänglichkeit an die Sache der Monarchie nie wieder und hörte, so lange er lebte nicht auf ihm seine Gunst auf die eclatanteste Weise zu erkennen zu geben. In Folge einer Eigenthümlichkeit aber, welche sich nur aus dem Charakter dieses Fürsten erklären läßt, geschah es, daß er den Herzog oft mit seiner Selbstverläugnung aufzog, während er zugleich sich wegen seiner Feigheit selbst verspottete.
»Eines Tages war ich einmal mit diesem Cavalier bei der Herzogin von Floridia in demselben Augenblick, wo der König ihr den Arm bot, um sie zur Tafel zu führen. Da ich nur schlichter, unbedeutender Freund der Herrin des Hauses war und mich durch die Nähe des letzten Ankömmlings allzusehr geehrt fühlte, so murmelte ich das Domine, non sum dignus zwischen den Zähnen und trat selbst einige Schritte zurück, als die edle Dame, während sie ihrer Toilette einen letzten Blick widmete, das Lob des Herzogs und seiner Anhänglichkeit an die Person ihres königlichen Liebhabers zu preisen begann.
»Ohne Widerspruch, sagte sie, »ist er der wahrhafte Freund, der eifrigste Ihrer Diener u.s.w.«
»Ja, ja, Donna Lucia,« sagte der König, »fragen Sie Ascoli nur, welchen Streich ich ihm gespielt, als wir in Albano die Flucht ergriffen.«
»Hierauf erzählte er die Geschichte von dem Kleiderwechsel und die Art und Weise, auf welche sie ihre Rollen durchgeführt, worauf er mit thränenden Augen und mit der ganzen Kraft seiner Lunge lachend hinzusetzte:
»Er war der König! Wären wir Jacobinern begegnet, so wäre er gehängt worden und ich wäre gerettet gewesen!«
»Alles ist seltsam in dieser Geschichte – eine seltsame Niederlage, eine seltsame Flucht, ein seltsamer Vorschlag und endlich die seltsame Enthüllung dieser Thatsachen in Gegenwart eines Fremden, denn ein solcher war ich für den Hof und besonders für den König, mit welchem ich blos ein- oder zweimal gesprochen hatte. Zum Glück für die Menschheit ist die Selbstverläugnung des redlichen Höflings das am wenigsten seltsame.«
Die Skizze, die wir hier von einer der Personen unseres Buches entwerfen und deren Aehnlichkeit, wie wir fürchten, kaum Glauben finden wird, wäre unvollständig, wenn wir diesen königlichen Polichinell nur von der Lazzaromiseite betrachteten. Von dieser ist er blos grotesk, von der andern aber furchtbar und schrecklich.
Nachstehendes ist eine wörtliche Uebersetzung des Briefes, den er an Ruffo schrieb, als derselbe im Begriff stand, siegreich in Neapel einzuziehen. Es ist dies eine von Haß, Rache und Furcht dictierte Proscriptionsliste.
»Eminenz!
»Nachdem ich die Stelle Ihres Briefes vom 1. April über das Verfahren, das in Bezug auf das Schicksal der zahlreichen Verbrecher einzuhalten sein möchte, welche sowohl in den Provinzen als in der Hauptstadt, wenn dieselbe mit Gottes Hilfe meiner Herrschaft wiedergegeben sein wird, in unsere Hände fallen können, wiederholt durchgelesen und mit der größten Aufmerksamkeit erwogen, muß ich Ihnen vor allen Dingen erklären, daß ich Alles, was Sie mir über diesen Gegenstand schreiben, von jener Weisheit, jener Einsicht und jener Anhänglichkeit durchdrungen finde, wovon Sie mir so viele unzweideutige Beweise gegeben haben und fortwährend noch geben. Ich will Sie daher von meinen Dispositionen in Kenntniß setzen.
»Ich stimme mit Ihnen darin überein, daß wir in unseren Nachforschungen nicht allzu eifrig sein dürfen, um so mehr als die schlechten Subjecte sich so offen zu erkennen gegeben haben, daß man die schlimmsten davon in sehr kurzer Zeit wird festnehmen können.
»Meine Absicht ist daher, daß nur die folgenden Classen von Schuldigen festgenommen und in angemessenen Gewahrsam gebracht werden:
»Sämmtliche Mitglieder der provisorischen Regierung und der Executiv- und Legislativ-Commission von Neapel.
»Sämmtliche Mitglieder der von den Republikanern gebildeten Militärcommission und Polizei.
»Alle, welche den verschiedenen Municipalitäten angehört oder überhaupt ein Amt von der Republik oder den Franzosen übertragen bekommen und angenommen haben.
»Alle, welche der Commission angehört, die sich ihre Aufgabe gestellt, Untersuchungen über die angebliche Verschwendung und Mangelhaftigkeit meiner Regierung vorzunehmen.
»Sämmtliche Officiere, die in meinem Dienste gestanden haben und in den der sogenannten Republik oder der Franzosen übergegangen sind. Es versteht sich hierbei von selbst, daß Officiere in den Fällen, wo sie mit den Waffen in der Hand gegen meine Armeen oder gegen die meiner Bundesgenossen ergriffen worden sind, binnen vierundzwanzig Stunden ohne weitere gerichtliche Procedur erschossen werden.
»In gleicher Weise ist gegen alle Edelleute zu verfahren, welche sich meinen Soldaten oder denen meiner Alliirten mit bewaffneter Hand widersetzt haben.
»Alle, welche republikanische Journale gegründet oder Proclamationen und andere Schriften gedruckt haben, wie zum Beispiel Werke, durch welche meine Völker zur Empörung gereizt oder die Maximen der neuen Regierung verbreitet werden.
»In gleicher Weise festzunehmen sind die Syndici der Städte und die Deputierten der Plätze, welche meinem Stellvertreter, dem General Vignatelli, die Regierung entrissen, sich seinen Operationen widersetzt oder Maßregeln ergriffen haben, welche mit der mir schuldigen Treue in Widerspruch stehen.
»Eben so will ich, daß man eine gewisse Louise Molina San Felice und einen gewissen Vincenzo Cuoco festnehme, welche die Contrerevolution entdeckten, die von den Royalisten beabsichtigt ward, an deren Spitze die Backer, Vater und Sohn, standen.
»Nachdem dies geschehen, ist meine Absicht, eine außerordentliche Commission von einigen sichern und auserwählten Männern zu ernennen, welche die Hauptverbrecher militärisch und nach der ganzen Strenge der Gesetze richten werden.
»Die, welche man weniger schuldig findet, werden um der Ersparniß willen auf Lebenszeit aus meinen Staaten verbannt und ihre Güter confiscirt.
»In dieser Beziehung muß ich Ihnen sagen, daß ich das, was Sie über die Verbannung bemerken, sehr richtig und angemessen gefunden habe, dennoch aber finde ich, daß es im Grunde genommen besser ist, sich dieses Natterngezüchts zu entledigen, als es im Lande zu behalten. Wenn ich eine von meinen festländischen Staaten sehr weit entfernte Insel besäße, so würde ich Ihrem System, diese Verbrecher dorthin zu deportieren, gern beitreten. Die geringe Entfernung meiner Inseln von den beiden Königreichen würde aber Verschwörungen möglich machen, welche diese Leute mit den Bösewichtern und den Unzufriedenen anspinnen werden, deren Ausrottung aus meinen Staaten nicht gelungen wäre.
»Uebrigens werden die bedeutenden Niederlagen und Unfälle, welche die Franzosen, Gott sei Dank, erlitten und die sie hoffentlich noch erleiden werden, die Verbannten in die Unmöglichkeit versetzen, uns zu schaden.
»Dennoch aber muß der Ort der Deportation und die Art und Weise, auf welche sich dieselbe gefahrlos ausführen läßt, wohl erwogen werden und dieser Gegenstand ist es, mit welchem ich mich gegenwärtig beschäftige.
»Was die Commission betrifft, welche alle diese Verbrecher richten soll, so werde ich, sobald ich Neapel wieder in Händen habe, sofort daran denken und bin gesonnen, diese Commission von hier aus nach der Hauptstadt zu schicken.
»Was die Provinzen und die Orte betrifft, wo Sie sind, so kann, wenn Sie damit einverstanden sind, de Fiore in seiner Thätigkeit fortfahren.
»Uebrigens kann man unter den Advocaten der Provinzen und unter den Kronadvocaten, welche nicht gemeinchaftliche Sache mit den Republikanern gemacht, welche der Krone treu geblieben sind und Intelligenz besitzen, eine gewisse Anzahl auswählen und ihnen alle außerordentlichen Vollmachten ertheilen, denn ich will nicht, daß Magistratsbeamte der Hauptstadt oder der Provinzen, welche unter der Republik gedient, selbst wenn sie, wie ich hoffe, durch die unwiderstehliche Nothwendigkeit dazu gezwungen worden, über Verräther zu Gericht zu sitzen, zu deren Zahl ich sie selbst rechne.
»Was diejenigen betrifft, welche nicht unter die oben aufgeführten Kategorien gehören, so stelle ich Ihnen frei, an denselben eine rasche und exemplarische Züchtigung nach der ganzen Strenge der Gesetze vollziehen zu lassen, sobald Sie finden, daß es wirkliche und hervorragende Verbrecher sind und daß Sie diese Züchtigung für nothwendig halten.
»Was die Mitglieder der Gerichtstribunale der Hauptstadt betrifft, so ist, wenn sie keine besonderen Commissionen von den Franzosen und der Republik angenommen, sondern blos ihr Amt verwaltet und die Justizpflege gehandhabt, keine Untersuchung einzuleiten.
»Dies sind für den Augenblick sämmtliche Dispositionen, welche ich Sie beauftrage, auf die Ihnen angemessen erscheinende Weise und an den Orten, wo es möglich sein wird, in Ausführung bringen zu lassen.
»Sobald ich Neapel wieder erobert haben werde, behalte ich mir vor, einige neue Bestimmungen zu treffen, welche durch die Ereignisse und die Mittheilungen, die ich bis dahin erlangt, nothwendig gemacht werden können. Dann aber ist es meine Absicht, meine Pflichten als guter Christ und sein Volk liebender Vater zu erfüllen, die Vergangenheit gänzlich zu vergessen und Allen gänzliche und vollständige Verzeihung zu gewähren, so daß sie des Vergessens ihrer Fehltritte sicher sein können, denn ich schmeichle mir, daß dieselben nicht sowohl durch Böswilligkeit als vielmehr durch Furcht und Kleinmüthigkeit veranlaßt worden.
»Vergessen Sie indessen nicht, daß die öffentlichen Aemter in den Provinzen nur an Personen verliehen werden, die sich gegen die Krone immer gut benommen und folglich niemals die Partei gewechselt haben, denn nur auf diese Weise können wir sicher sein, das, was wir wieder erobert haben, auch zu bewahren.
»Ich bitte den Allerhöchsten, daß er Sie zum Wohle meines Dienstes erhalte, und damit ich Ihnen stets meine wahre und aufrichtige Dankbarkeit zu erkennen geben kann.
»Mittlerweile glauben Sie, daß ich stets bin
»Ihr wohlgeneigter
Wir haben oben gesagt, daß eine der unglaublichen, beinahe unmöglichen Persönlichkeiten, welche wir in unserem Buche auftreten lassen, damit Neapel während seiner Revolutionstage unsern Lesern in seinem wahren Lichte erscheine, jenes der anderen Extremität der gesellschaftlichen Stufenleiter angehörige Ungeheuer sei, welches halb Mensch, halb Affe, den Namen Gaëtano Mammone führte.
Ein einziger Schriftsteller spricht von ihm, als habe er ihn persönlich gekannt. Dieser Schriftsteller ist Cuoco. Die anderen wiederholen blos, was dieser über ihn sagt.
»Mammone Gaëtano, anfangs Müller, später Oberbefehlshaber der Insurgenten von Sora, war ein blutdürstiges Ungeheuer, mit dessen Barbarei es unmöglich ist etwas zu vergleichen. Binnen zwei Monaten ließ er innerhalb eines kleinen Gebiets dreihundertundfünfzig Unglückliche erschießen, während ziemlich doppelt so viel von seinen Spießgesellen gemordet wurden.
»Ich spreche nicht von dem Gemetzel, von den Gewaltthaten, von den Brandlegungen, ich spreche nicht von den entsetzlichen Gräbern, in welche er die Unglücklichen werfen ließ, die ihm in die Hände fielen, noch von den neuen Todesarten, die seine Grausamkeit erfand.
»Seine Gier nach Blut war so groß, daß er das trank, welches aus den Wunden der Unglücklichen floß, die er ermordete oder ermorden ließ.
»
»Dieses Ungeheuer war es, an welches Ferdinand von Sicilien schrieb: »Mein General und mein Freund!«
Was unsere anderen Personen – wir sprechen immer noch von den historischen – betrifft, so gehören sie der Menschheit ein wenig mehr an. Dieselben sind die Königin Marie Caroline, von der wir hier eine vorläufige Skizze zu entwerfen suchen würden, wenn dies nicht schön in einer vom Prinzen Napoleon in dem Senat gehaltenen glänzenden Rede geschehen wäre – Nelson, dessen Biographie Lamartine geschrieben; – Emma Lyonna, von welcher die kaiserliche Bibliothek zwanzig Porträts besitzt; – Championnet, dessen Name einen ehrenvollen Platz in den ersten Blättern unserer Revolutionsgeschichte einnimmt, und welcher, wie Marceau, wie Hoche, wie Kleber, wie Defaix, wie mein Vater, so glücklich war, die Herrschaft der Freiheit nicht zu überleben.
Es sind mit einem Worte einige jener großen poetischen Gestalten, die bei politischen Umgestaltungen auftauchen, die in Frankreich Danton, Camille Desmulins, Biron, Bailly, Madame Roland und in Neapel Hector Caraffa, Manthonnet, Schipani, Cirillo, Cimarosa, Eleonore Pimentel heißen.
Was die Heldin betrifft, welche unserem Buche ihren Namen leiht, so wollen wir ein Wort, nicht über sie selbst, sondern über ihren Namen »
In Frankreich sagt man, wenn man von einer noblen oder auch nur einfach distinguierten Frau spricht,
Bei uns würde man eine solche Ausdrucksweise sehr übelnehmen, in Italien dagegen, ganz besonders in Neapel, ist sie beinahe ein Adelstitel.
Wenn man in Neapel von dieser armen Frau spricht, welche durch das Uebermaß ihres Unglücks historisch geworden ist, würde es keinem Menschen einfallen zu sagen:
Man sagt vielmehr einfach: Die San Felice.
Ich habe daher auch dem Buche den Titel, den es von seiner Heldin entlehnt, ohne Abänderung beibehalten zu müssen geglaubt.
Nachdem ich Dir, lieber Leser, nun gesagt, was ich Dir zu sagen hatte, wollen wir, wenn es Dir gefällig ist, auf die Sache selbst eingehen.
Die San Felice
Erstes Capitel.
Zwischen dem Felsen, welchem Virgil den Namen des Vorgebirgs von Milena gibt, und dem Cap Campanella, welches auf einem seiner Abhänge den Erfinder des Compasses geboren werden und auf der andern den Dichter des »befreiten Jerusalem« als Geächteten umherirren sah, öffnet sich der prachtvolle Meerbusen von Neapel.
Dieser stets lachende, stets von Tausenden von Fahrzeugen durchfurchte, stets von den Tönen musikalischer Instrumente und dem Gesang der Lustwandler und Luftfahrer wiederhallende Golf war am 22. September 1798 noch geräuschvoller und freudiger belebt, als er gewöhnlich zu sein pflegt.
Der Monat September ist in Neapel herrlich, denn er liegt zwischen der verzehrenden Hitze des Sommers und der launenhaften Regenzeit des Herbstes.
Der Tag, von welchem wir die ersten Blätter unserer Geschichte datieren, war einer der herrlichsten Tage des genannten Monats.
Die Sonne strömte gleichsam in goldenen Fluten auf dieses ungeheure Amphitheater von Hügeln, welches einen seiner Arme bis Nifida und den andern bis Portici auszustrecken scheint, um die glückliche Stadt gegen die Flanken des Berges St. Elmo zu drücken, welcher gleich einer der Stirn der modernen Parthenope aufgesetzten Mauerkrone die alte Festung überragt.
Der Golf, diese unermeßliche Azurfläche, die einem mit Goldflimmerchen bedeckten Teppich glich, zitterte unter dem Hauch eines leichten balsamischen, wohlduftenden Morgenwindes. Derselbe war so sanft, daß er den Gesichtern, welche er liebkoste, ein unbeschreibliches Lächeln entlockte, und so belebend, daß in der von ihm geschwellten Brust sich sofort jene unermeßliche Sehnsucht nach dem Unendlichen erweckte, welche den Menschen stolzerweise glauben läßt, daß er ein Gott ist, oder wenigstens einer werden kann, und daß diese Welt weiter nichts ist als eine an der Straße nach dem Himmel erbaute Herberge für einen Tag.
Auf der Kirche San Ferdinando, welche die Ecke der Toledostraße und des Platzes San Fernando bildet, schlug es acht Uhr.
Das letzte Summen des Schlages, welcher die Zeit mißt, war kaum im Raume verhallt, als die tausend »Glocken der dreihundert Kirchen von Neapel lustig und geräuschvoll durch die Oeffnungen ihrer Thürme heraussprangen und die Kanonen des Fort Uovo, Castel Nuovo und del Carmine mit donnerähnlichem Gekrach das Geläute der Glocken übertäuben zu wollen schienen, während sie zugleich die Stadt in einen Rauchgürtel hüllten und das Fort St. Elmo, flammend und umwölkt wie ein speiender Krater, angesichts des alten stummen Vulcans einen neuen Vesuv improvisierte.
Glocken und Kanonen begrüßten mit ihrer ehernen Stimme eine prachtvolle Galeere, welche sich in diesem Augenblick von dem Kai ablöste, den Kriegshafen durchschnitt und unter dem Doppeldruck der Ruder und des Segels majestätisch der hohen See entgegenglitt, gefolgt von zehn oder zwölf kleineren Barken, die aber eben so prächtig geschmückt waren als ihre Capitane, welche es an Reichthum mit dem Bucentaurus aufnehmen konnte, welcher sonst den Doge zu seiner Vermählung mit dem adriatischen Meere führte.
Diese Galeere war von einem Officier commandiert, welcher sechs- bis siebenundvierzig Jahre zählen mochte und die kostbare Admiralsuniform der neapolitanischen Marine trug.
Sein männliches Gesicht von strenger, gebieterischer Schönheit war von Wind und Sonne gebräunt. Obschon er zum Zeichen der Ehrfurcht das Haupt entblößt hatte, so trug er doch die mit ergrauendem Haar, durch welches mehr als einmal der scharfe Hauch des Windes gegangen war, bedeckte Stirn hoch, und man errieth gleich auf den ersten Blick, daß, wer auch die vornehmen Personen, die er an Bord hatte, sein mochten, doch er es war, von welchem das Commando ausgegangen.
Das an seiner rechten Hand hängende rothe Sprachrohr wäre das sichtbare Zeichen dieses Commandos gewesen, wenn nicht schon die Natur Sorge getragen hätte, dieses Zeichen auf eine noch weit unauslöschlichere Weise ihm durch den Blitz des Auges und den Ton der Stimme aufzudrücken.
Er hieß Franz Caracciolo und gehörte jener Familie der Fürsten Caraccioli an, welche gewohnt war, den Königen Gesandte und den Königinnen Liebhaber zu liefern.
Er stand auf seiner Quartierbank, wie er am Tage eines Kampfes gethan haben würde.
Das ganze Verdeck der Galeere war mit einem purpurnen Zeltdach versehen, auf welchem das Wappen der beiden Sicilien strahlte und welches bestimmt war, die erhabenen Passagiere, welche sich darunter befanden, vor den Strahlen der Sonne zu schützen. Diese Passagiere bildeten drei Gruppen von verschiedener Haltung und verschiedenem Ansehen.
Die erste dieser Gruppen, die zahlreichste von allen, bestand aus fünf Männern, welche den Mittelpunkt des Schiffes einnahmen und von welchen drei außerhalb des Zeltdaches standen.
Bänder von allen Farben trugen an ihrem Halse Ordenskreuze aller Länder und ihre Brust war mit Sternen und Schnüren bedeckt. Zwei davon trugen als unterscheidende Kennzeichen ihres Ranges an den Tailleknöpfen ihres Rockes goldene Schlüssel und hatten sonach die Ehre, Kammerherren zu sein.
Die Hauptperson dieser Gruppe war ein Mann von siebenundvierzig Jahren, groß und hager, obschon kräftig gebaut. Die Gewohnheit, sich vorwärts zu neigen, um Die, welche mit ihm sprachen, besser zu hören, hatte ihm den Rücken leicht nach vorn gekrümmt.
Trotz eines mit Goldstickereien bedeckten Costüms, trotz der mit Diamanten besetzten Orden, welche auf seiner Brust funkelten, trotz des Titels Majestät, welchen man jeden Augenblick aus dem Munde Derer vernahm, welche mit ihm sprachen, war seine äußere Erscheinung doch gemein und keiner seiner Züge hatte, wenn man sie einzeln ins Auge faßte, eine Spur von königlicher Würde.
Er hatte große Füße, breite Hände und plumpe Knöchel und Handgelenke. Die niedrige Stirn verrieth Mangel an erhabeneren Gefühlen. Das zurücktretende Kinn, welches auf einen schwachen, unentschlossenen Charakter schließen ließ, hob die übermäßig lange Nase, das Kennzeichen niedriger Triebe, noch mehr hervor. Nur das Auge blickte lebhaft und schelmisch, dabei aber fast immer falsch, zuweilen sogar grausam.
Dieser Mann war Ferdinand der Vierte, Sohn Carls des Dritten, von Gottes Gnaden König beider Sicilien und von Jerusalem, Infant von Spanien, Herzog von Parma, Piacenza und Castro und Erbprinz von Toscana, den die Lazzaroni von Neapel einfacher und ohne so viel Titel und Umschweife den König
Der Mann, mit welchem er sich am speciellsten unterhielt und welcher von allen am einfachsten gekleidet war, obschon er den gestickten Leibrock der Diplomaten trug, war ein Greis von neunundsechzig Jahren, klein von Wuchs, mit dünnem, weißem, zurückgestrichenem Haar.
Er hatte jene schmale Gesichtsform, welche der gemeine Mann charakteristisch ein Messerklingengesicht nennt, eine spitzige Nase, ein eben solches Kinn, einen eingekniffenen Mund und ein helles, intelligentes, forschendes Auge.
Seine Hände, auf die er besondere Sorgfalt zu verwenden schien und über welche Manchetten von prächtigen englischen Spitzen herabfielen, waren mit Ringen beladen, deren Gold antiken kostbaren Cameen zur Einfassung diente.
Er trug nur zwei Orden, den des heiligen Januarius und das rothe Band des Bathordens mit dem goldenen Stern, auf welchem man in der Mitte von drei Königskronen ein Scepter zwischen einer Rose und einer Distel sieht.
Dieser Mann war Sir William Hamilton, Milchbruder des Königs Georg des Dritten und seit fünfunddreißig Jahren großbritannischer Gesandter am Hofe des Königreichs bei der Sicilien.
Die drei anderen waren der Marquis Malaspina, Adjutant des Königs, der Irländer John Acton, sein erster Minister, und der Herzog von Ascoli, sein Kammerherr und sein Freund.
Die zweite Gruppe, welche einem Gemälde von Angelica Kaufmann glich, bestand aus zwei Damen, welchen, auch wenn man ihren Rang und ihre Berühmtheit nicht kannte, selbst von dem gleichgültigsten Beobachter nothwendig besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden mußte.
Die ältere der beiden Damen hatte, obschon sie über die glänzende, jugendliche Periode ihres Lebens hinaus war, noch bemerkenswerthe Reste von Schönheit bewahrt.
Ihre mehr große als kleine Gestalt begann eine Corpulenz zu gewinnen, welche die Frische des Teints als vorzeitig hätte erscheinen lassen können, wenn nicht einige tiefe Furchen in dem Elfenbein der breiten gebieterischen Stirn, welche ihren Grund mehr in den Sorgen der Politik und der Last der Krone als in dem Alter selbst hatten, die fünfundvierzig Jahre verrathen hätten, die sie im Begriff stand zu vollenden.
Ihr blondes Haar, von seltener Feinheit und reizender Farbenschattierung, umrahmte in bewunderungswürdiger Weise ein Gesicht, dessen ursprüngliches Oval durch die Einwirkung der Ungeduld und des Schmerzes ein wenig entstellt worden.
Ihre blauen, matten, zerstreuten Augen sprühten, wenn plötzlich der Gedanke sie beseelte, ein düsteres und gewissermaßen elektrisches Feuer, welches, nachdem es der Wiederschein der Liebe und dann die Flamme des Ehrgeizes gewesen, der Blitz des Hasses geworden war.
Ihre früher feuchten und purpurrothen, Lippen, deren untere gegen die obere etwas hervorragende ihrem Gesichte in gewissen Augenblicken einen unaussprechlichen Ausdruck von Verächtlichkeit gab, waren unter den unaufhörlichen Bissen der immer noch schönen und wie Perlen glänzenden Zähne trocken und bleich geworden.
Nase und Kinn hatten ihre griechische Reinheit bewahrt und Hals, Schultern und Arme waren untadelhaft.
Diese Frau war die Tochter der Kaiserin Maria Theresia, die Schwester Marien Antoinettens, es war Marie Caroline, die Königin beider Sicilien, die Gattin Ferdinands des Vierten, den sie aus Gründen, welche wir später sich entwickeln sehen werden, anfangs mit Gleichgültigkeit, dann mit Widerwillen und dann mit Verachtung betrachtete.
Sie stand jetzt in ihrer dritten Phase, welche nicht die letzte sein sollte, und nur die politischen Nothwendigkeiten näherten die hochgestellten Ehegatten einander, welche, abgesehen hiervon, vollständig getrennt lebten.
Der König jagte in seinen Wäldern von Lincola, Persano und Astroni und ruhte in seinem Harem von San Leucio aus, während die Königin in Neapel, in Caferta oder in Portici mit einem Minister Acton Politik trieb oder mit ihrer Favoritin Emma Lyonna, die in diesem Augenblicke wie eine Sclavin zu ihren Füßen lag unter den Orangenlauben ausruhte.
Uebrigens brauchte man auf die letztgenannte Dame nur einen Blick zu werfen, um nicht blos die ein wenig scandalöse Gunst, in der sie bei der Königin stand, sondern auch den wahnsinnigen Enthusiasmus zu begreifen, welche diese Zauberin bei den englischen Malern, welche sie in allen Formen reproducirten und bei den neapolitanischen Dichtern erweckte, welche sie mit der überschwenglichsten Weise besangen.
In der That, wenn die menschliche Natur die Schönheit in ihrer höchsten Vollkommenheit erreichen kann, so hatte Emma Lyonna diese Vollkommenheit erreicht.
Durch vertrauten Umgang mit irgend einer modernen Sappho hatte sie ohne Zweifel jene kostbare Essenz erlangt, welche Phaon von der Venus zum Geschenk erhielt, um sich unwiderstehlich liebenswürdig zu machen.
Das erstaunte Auge schien, indem es sich auf die heftete, anfangs die Umrisse jenes wunderbaren Körpers nur durch den ihr entströmenden Wollustdunst zu erkennen; dann erst durchdrang der Blick allmälig das Gewölk und die Göttin schimmerte hindurch.
Versuchen wir dieses Weib zu malen, welches in die tiefsten Abgründe des Elends hinabstieg und die glänzendsten Gipfel des Glückes erklomm und die zu der Zeit, wo sie vor uns auftritt, an Geist, Anmuth und Schönheit mit der Griechin Aspasia, der Egyptierin Kleopatra und der Römerin Olympia zu rivalisieren im Stande gewesen wäre.
Sie hatte jetzt jenes Alter erreicht, oder schien jenes Alter erreicht zu haben, welches die physischen Vorzüge des Weibes in ihrer Vollendung erscheinen läßt.
Ihre Person bot, wenn der Blick sie zu detaillieren versuchte, gleichsam eine ganze Reihe von blendenden Erscheinungen dar.
Ihr kastanienbraunes Haar umrahmte ein Gesicht, welches so rund war wie das des jungen Mädchens, welches kaum erst zur Mannbarkeit gereift ist.
Ihre irisierenden Augen, deren Farbe unmöglich zu bestimmen gewesen wäre, funkelten unter zwei Brauen, die von Raphaels Pinsel geschaffen zu sein schienen.
Ihr biegsamer weißer Schwanenhals, ihre Schultern und Arme, deren Geschmeidigkeit und anmuthige Rundung nicht an die kalten Schöpfungen des antiken Meißels, sondern an die lebensvollen, gleichsam zuckenden Marmorgebilde Germain Pilous erinnerten, machten selbst diesen in Bezug auf Festigkeit und Azurgeäder den Rang streitig.
Der Mund schien, gleich dem jener Prinzessin, welche eine Fee zur Pathe hatte und bei jedem Worte eine Perle und bei jedem Lächeln einen Diamant fallen ließ, ein unerschöpflicher Schrein von Liebesküssen zu sein.
Bekleidet war sie ganz im Gegensatz zu dem königlichen Costüm Mariens Carolinens, mit einer langen einfachen Tunica von weißem Casimir mit weiten Aermeln, um den Hals herum nach griechischer Weise ausgeschnitten und frei von jedem anderen Zwang, um die Taille herum durch einen Gürtel von rothem Maroquin festgehalten, der mit Gold gestickt, mit Rubinen, Opalen und Türkisen besetzt war und dessen Agraffe in einer prachtvollen Camee mit Sir William Hamiltons Bildmiß bestand.
Außerdem hüllte sie sich, wie in einen Mantel, in einen breiten indischen Shawl von schillernden Farben mit Goldblumen, welcher ihr bei den vertrauten Abendgesellschaften der Königin mehr als einmal zur Aufführung jenes Shawltanzes gedient hatte, den sie erfunden und dessen wollüstige, magische Vollkommenheit von keiner anderen Tänzerin erreicht ward.
Später werden wir Gelegenheit finden, den Augen unserer Leser die seltsame Vergangenheit dieser Dame vorzuführen, welcher wir in diesem gewissermaßen nur als Einleitung dienenden Capitel, welchen Platz sie auch in der zu erzählenden Geschichte einnehmen mag, doch blos einen flüchtigen Blick und oberflächliche Aufmerksamkeit widmen können.
Die dritte Gruppe, welche ein Seitenstück zu dieser bildete und sich rechts neben der des Königs befand, bestand aus vier Personen, nämlich aus zwei Männern von verschiedenem Alter, welche über Wissenschaft und Staatsöconomie sprachen, und einer bleichen, träumerischen jungen Frau, welche ein Kind von einigen Monaten in ihren Armen wiegte und an ihr Herz drückte.
Eine fünfte Person, die Niemand anders war als die Amme des Kindes, eine dicke stämmige Bäuerin in der Tracht der Frauen von Aversa, hielt sich in dem Halbschatten versteckt, wo jedoch trotz ihrer Vorsicht die Stickereien ihres mit Goldschnüren besetzten Mieders ihre Gegenwart verriethen.
Der jüngere der beiden Männer, kaum zweiundzwanzig Jahre alt, mit blondem Haar, noch bartlosem Kinn, von in Folge vorzeitiger Trägheit schon stark gewordenem Wuchse, den das Gift später in leichenähnliche Magerkeit verwandeln sollte, in einem himmelblauen, mit Gold gestickten und mit Schnüren überladenen Leibrock, war der älteste Sohn des Königs und der Königin Marie Caroline, der präsumtive Thronerbe Franz, Herzog von Calabrien.
Von Natur von schüchternem, sanftem Charakter, hatte er an den reactionären Gewaltthätigkeiten der Königin Anstoß genommen, und sich der Literatur und den Wissenschaften zugewendet. Er verlangte nichts weiter, als außerhalb der Maschine der Politik zu bleiben, von deren Räderwerk er zermalmt zu werden fürchtete.
Der, mit welchem er sich unterhielt, war ein ernster, kalter Mann von fünfzig bis zweiundfünfzig Jahren, der nicht gerade ein
Seine ganze Decoration auf dem auch übrigens sehr einfachen Rock bestand in dem Maltheserkreuz, welches zweihundertjährigen, nie unterbrochenen Adel voraussetzte.
Er war auch in der That ein neapolitanischer Edelmann. Er hieß der Chevalier von San Felice und war Bibliothekar des Prinzen und Ehrencavalier der Prinzessin.
Die Prinzessin, mit welcher wir vielleicht hätten beginnen sollen, war jene junge Mutter, welche wir mit kurzen Worten geschildert und die, als ob sie gefühlt hätte, daß sie bald die Erde gegen den Himmel vertauschen sollte, ihr Kind an das Herz drückte.
Auch sie war, wie ihre Schwiegermutter, eine Erzherzogin des Hauses Habsburg. Sie hieß Clementine. Fünfzehn Jahre alt, hatte sie Wien verlassen, um Franz von Bourbon zu heiraten, und mochte nun der Grund dort gelassene Liebe oder hier gefundene Enttäuschung sein, Niemand, selbst nicht ihre Tochter, wenn diese schon alt genug gewesen wäre, um zu verstehen und zu sprechen, hätte erzählen können, daß man sie ein einziges Mal lächeln gesehen.
Blume des Nordens, welkte sie kaum erblüht in der heißen Sonne des Südens.
Ihre Traurigkeit war ein Geheimniß, an welchem sie langsam hinstarb, ohne sich gegen die Menschen oder gegen Gott zu beklagen. Sie schien zu wissen, daß sie verurtheilt war, und als frommes, reines Sühnopfer fügte sie sich in den Spruch, der nicht um ihrer Sünden, sondern um der eines Andern willen über sie gefällt worden.
Gott, welcher die Ewigkeit hat, um gerecht zu sein, erscheint uns zuweilen in geheimnißvollen Widersprüchen, welche unsere sterbliche und ephemere Gerechtigkeit nicht zu begreifen vermag.
Die Tochter, welche sie an ihr Herz drückte und die kaum erst seit einigen Monaten ihr Auge dem Lichte erschloß, war jene zweite Marie Caroline, welche vielleicht die Schwächen, aber nicht die Laster der ersten besaß. Es war die junge Prinzessin, welche sich später mit dem Herzog von Berry vermälte, der unter dem Dolche Louvel's fiel, und welche allein von der älteren Linie der Bourbons eine sympathische Erinnerung und ein ritterliches Andenken in Frankreich zurückgelassen hat.
Und diese ganze Welt von Königen, Prinzen, Höflingen, welche auf diesem azurnen Meer unter diesem purpurnen Zeltdach unter dem Klange einer melodischen, von dem guten Domenico Cimarosa, Capellmeister und Hofeomponist, dirigierten Musik dahinglitt passirte nach der Reihe Resina, Portici, Torre del Greco und ward nach dem offenen Meer durch jenen weichen Hauch von Baia hinausgetragen, welcher der Ehre der römischen Damen so gefährlich ist und die Rosenbäume von Pästum jährlich zweimal erblühen läßt.
Gleichzeitig sah man am Horizont, noch weit jenseits Capri und des Caps Campanella, ein Kriegsschiff auftauchen, welches seinerseits, als es die königliche Flottille gewahrte, so manövrierte, daß es ein wenig näher kam, während es zugleich einen Kanonenschuß löste.
Eine leichte Rauchwolke stieg an der Seitenwand des Kolosses empor und gleichzeitig sah man die rothe Flagge Englands graziös die Mastspitze erklettern.
Nach einigen Sekunden später hörte man ein langgedehntes Rollen, welches dem des fernen Donnersglich.
Zweites Capitel.
Das Schiff, welches der königlichen Flottille entgegensteuerte und an dessen Mastspitze wir die rothe Flagge Englands gesehen, hieß der »Vanguard«.
Der Officier, welcher es commandierte, war der Commodor Horaz Nelson, der so eben die französische Flotte bei Abukir vernichtet und Bonaparte und der republikanischen Armee alle Hoffnung auf die Rückkehr nach Frankreich abgeschnitten hatte.
Sagen wir mit wenigen Worten, wer dieser Commodor Horaz Nelson war, einer der größten Seehelden, die es jemals gegeben, der Einzige, welcher dem continentalen Glück Napoleons auf dem Ocean das Gleichgewicht hielt, ja es sogar erschütterte.
Man wird sich vielleicht wundern, uns das Lob Nelson's preisen zu hören, dieses furchtbaren Feindes Frankreichs, der ihm bei Abukir und Trafalgar das beste und reinste Herzblut entrissen.
Männer wie dieser sind aber einmal ein Product der allgemeinen Civilisation, die Nachwelt macht bei ihnen keinen Unterschied der Geburt und des Landes. Sie betrachtet sie vielmehr wie einen Theil der Größe des gesamten Menschengeschlechts, auf welchen dieses mit unendlicher Liebe und unermeßlichem Stolz hinblicken muß.
Einmal in das Grab hinabgestiegen, sind sie nicht mehr Landsleute oder Fremdlinge, nicht mehr Freunde oder Feinde. Sie heißen Hannibal und Scipio, Cäsar und Pompejus, das heißt Werke und Thaten. Die Unsterblichkeit naturalisiert die großen Geister zum Nutzen des Weltalls.
Nelson ward am 29. September 1758 geboren und also zu der Zeit, von welcher wir hier sprechen, ein Mann von neununddreißig bis vierzig Jahren.
Er war geboren in Barnham Thorpes, einem kleinen Dorf der Grafschaft Norfolk. Sein Vater war Pfarrer, seine Mutter starb jung und hinterließ elf Kinder.
Ein Onkel, den er in der Marine hatte und der mit den Walpoles verwandt war, nahm ihn als Aspiranten mit auf den »Redoubtable«, ein Kriegsschiff von vierundsechzig Kanonen. Auf diesem Schiff ging er nach dem Nordpol und brachte sechs Monate im Eismeer zu.
Hier kämpfte er mit einem weißen Bären, der ihn zwischen einen Tatzen erstickt haben würde, wenn nicht einer seiner Cameraden die Mündung seiner Muskete dem Bären ins Ohr gesetzt und denselben durch einen Schuß niedergestreckt hätte.
Dann ging er nach dem Aequator, verirrte sich in einem Walde Perus, schlief am Fuße eines Baumes ein, ward von einer Schlange der schlimmsten Art gestochen, wäre an diesem Stich beinahe gestorben und behielt davon lebenslang schwarzgelbe Flecken gleich denen der Schlange selbst.
In Canada hatte er seine erste Liebschaft und hätte beinahe seine größte Thorheit begangen. Um die Person, welche er liebte, nicht zu verlassen, wollte er seine Entlassung als Fregattencapitän nehmen. Seine Officiere aber bemächtigten sich seiner unvermuthet, banden ihn wie einen Verbrecher oder einen Tollhäusler, trugen ihn auf das »Sea Horse«, welches er damals commandierte, und gaben ihm erst auf offener See die Freiheit wieder.
Nach London zurückgekehrt, verheiratete er sich mit einer jungen Witwe, Namens Mitreß Nisbett. Er liebte sie mit jener Leidenschaft, welche sich in seiner Seele so leicht und so heftig entzündete, und als er wieder zur See ging, nahm er einen Sohn, Namens Josua, mit, den sie von ihrem ersten Manne hatte.
Als Toulon durch den Admiral Trogof und den General Mandet den Engländern überlassen ward, war Horaz Nelson Capitän an Bord des »Agamemnon« und ward mit seinem Schiffe nach Neapel geschickt, um dem Könige Ferdinand und der Königin Carolina die Einnahme des wichtigsten französischen Kriegshafens zu melden.
Sir William Hamilton, der englische Gesandte, traf ihn beim Könige, nahm ihn mit nach Hause, ließ ihn in dem Salon, ging in das Zimmer seiner Gattin und sagte zu ihr:
»Ich bringe Ihnen einen kleinen Mann, der sich nicht rühmen kann, schön zu sein; ich müßte mich aber sehr irren, wenn er nicht später einmal der Stolz Englands und der Schrecken unserer Feinde würde.«
»Und woraus schließen Sie das?« fragte Lady Hamilton.
»Aus den wenigen Worten, die wir gewechselt haben. Er ist im Salon. Kommen Sie, um ihm die Honneurs unseres Hauses zu machen. Ich habe noch niemals einen englischen Officier bei mir empfangen, aber ich will nicht, daß dieser anderswo, als in meinem Hotel wohne.«
Und Nelson wohnte in der englischen Gesandtschaft, deren Hotel an der Ecke des Flusses und der Straße von Chiaja stand.
Nelson war damals, im Jahre 1793, ein Mann von vierunddreißig Jahren, klein von Wuchs, wie Sir William gesagt, bleich von Gesicht, mit blauen Augen und jener Adlernase, welche das Profil der Kriegsmänner auszeichnet und Cäsar und Condé Aehnlichkeit mit Raubvögeln gibt; mit jenem hervorragenden Kinne, welches die bis zur Hartnäckigkeit getriebene Zähigkeit verräth.
Was Haar und Bart betraf, so waren dieselben hellblond und dünn.
Nichts verräth, daß zu jener Zeit Emma Lyonna in Bezug auf Nelsons äußere Erscheinung einer anderen Meinung gewesen sei, als ihr Gatte. Die so zu sagen niederschmetternde Schönheit der Gesandtin aber äußerte ihre Wirkung. Nelson verließ Neapel, nahm die Verstärkungen mit, welche er von dem neapolitanischen Hofe verlangt, und hatte sich in Lady Hamilton verliebt bis zum Wahnsinn.
Geschah es aus reinem Ehrgeiz, oder geschah es, um sich von jener Liebe zu heilen, die, wie er fühlte, unheilbar war, daß er bei der Einnahme von Calvi, wo er ein Auge, oder bei der Expedition nach Tenneriffa, wo er ein Bein verlor, den Tod suchte? Man weiß dies nicht, aber bei diesen beiden Gelegenheiten setzte er sein Leben mit einer solchen Tollkühnheit aufs Spiel, daß man glauben mußte, es läge ihm äußerst wenig daran.
Lady Hamilton sah ihn sonach als Einäugigen und Einbeinigen wieder, und nichts verräth, daß ihr Herz für den verstümmelten Helden ein anderes Gefühl gehegt habe, als jenes zärtliche, theilnehmende Mitleid, welches die Schönheit den Märtirern des Ruhmes schuldig ist.
Am 16. Juni 1798 kam er zum zweiten Male nach Neapel und zum zweiten Male sah er sich der Lady Hamilton gegenüber.
Die Lage war für Nelson eine sehr kritische.
Beauftragt, die französische Flotte in dem Hafen von Toulon zu blockieren und sie, wenn sie denselben verließe, anzugreifen, hatte er gleichwohl diese Flotte sich zwischen den Fingern hindurchschlüpfen gesehen und dieselbe hatte im Vorüberfahren Malta genommen und dreißigtausend Mann in Alexandrien ans Land gesetzt.
Dies war noch nicht Alles. Von einem Sturm umhergetrieben, der seinen Schiffen schwere Beschädigungen zugefügt, an Wasser und Lebensmitteln Mangel leidend, konnte er seine Verfolgung nicht fortsetzen, sondern mußte nach Gibraltar steuern, um sich zu verproviantiren.
Er war verloren. Man konnte des Hochverraths einen Mann anklagen, welcher einen Monat lang in dem mittelländischen Meere, das heißt in einem großen See, eine Flotte von dreizehn Linienschiffen und dreihundert siebenundachtzig Transportschiffen gesucht hatte, nicht blos ohne sie einholen zu können, sondern auch ohne ihren Curs ermittelt zu haben.
Jetzt handelte es sich darum, unter den Augen des französischen Gesandten von dem Hofe der beiden Sicilien die Erlaubniß zu erhalten, daß Nelson in den Häfen von Messina und Syracus Wasser und Lebensmittel und in Calabrien Schiffsbauholz einnehmen dürfte, um seine zerbrochenen Masten und Raaen zu ersetzen.
Nun aber hatte der Hof beider Sicilien einen Friedensvertrag mit Frankreich geschlossen. Dieser Vertrag machte ihm die strengste Neutralität zu Pflicht und wenn man Nelson das, was er verlangte, gewährte, so war dies eine offenbare Verletzung dieses Tractats und ein Bruch dieser Neutralität.
Ferdinand und Caroline verabscheuten aber die Franzosen so sehr und hatten Frankreich einen solchen Haß geschworen, daß Alles, was Nelson begehrte, ihm ohne Bedenken gewährt ward, und Nelson, welcher wußte, daß nur ein großer Sieg ihn retten konnte, verließ Neapel verliebter und wahnsinniger als je, mit dem Schwur, zu siegen oder sich bei der ersten Gelegenheit tödten zu lassen.
Er siegte und wäre beinahe getödtet worden. Niemals seit Erfindung des Pulvers und Anwendung des Geschützes war eine entsetzlichere Seeschlacht geschlagen worden. Von den dreizehn Linienschiffen, aus welchen, wie wir bereits bemerkt, die französische Flotte bestand, konnten nur zwei den Flammen und der gänzlichen Zerstörung durch den Feind entrinnen.
Ein Schiff, der »Orient«, war in die Luft geflogen. Ein anderes Linienschiff und eine Fregatte waren in den Grund gebohrt worden, neun waren in die Hände der Sieger gefallen.
Nelson hatte sich während der ganzen Zeit, welche der Kampf gedauert, als vollkommener Held gezeigt. Er hatte sich dem Tode dargeboten und der Tod hatte ihn nicht gewollt, wohl aber hatte er eine grausame Verwundung davongetragen.
Eine Kugel vom »Wilhelm Tell« hatte eine Raa des »Vanguard« getroffen und die zerschossene Raa war Nelson in demselben Augenblick, wo er den Kopf emporrichtete, um die Ursache des furchtbaren Krachens, welches er hörte, zu erspähen, auf die Stirn gefallen, hatte ihm die Haut des Hirnschädels über das einzige Auge, welches er noch besaß, herabgeschlagen und ihn wie einen von einem Keulenschlage getroffenen Stier von seinem Blut überströmt aufs Deck hingestreckt.
Nelson glaubte, die Wunde sei tödtlich, ließ den Caplan rufen, um sich von diesem den letzten Segen ertheilen zu lassen, und beauftragte ihn mit den letzten Grüßen an seine Familie.
Nach dem Priester aber kam der Chirurg, dieser untersuchte die Hirnschale. Dieselbe war unversehrt. Nur die Stirnhaut war losgerissen und fiel bis über den Mund herab.
Die Haut ward wieder in ihre naturgemäße Lage zurückgebracht, an der Stirn angeheftet und durch eine schwarze Binde festgehalten.
Nelson raffte das seiner Hand entfallene Sprachrohr auf und machte sich wieder an das Werk der Zerstörung, indem er »Feuer!« commandierte.
Es lag der Hauch eines Titans in dem Haß dieses Mannes gegen Frankreich.
Am 2. August, acht Uhr Abends, war, wie wir schon vorhin bemerkten, von der ganzen französischen Flotte nichts weiter übrig als zwei Schiffe, die sich nach Malta flüchteten .
Ein leichtes Fahrzeug trug die Nachricht von Nelsons Siege und der Zerstörung der französischen Flotte an den Hof von Neapel und zur Admiralität von England.
Ganz Europa hallte bis nach Asien wieder von einem unermeßlichen Freudenschrei, so sehr fürchtete man die Franzosen, so sehr verwünschte und verabscheute man die französische Revolution.
Ganz besonders der Hof von Neapel ward, nachdem er vor Wuth geschnaubt, nun vor Freude fast wahnsinnig.
Natürlich war es Lady Hamilton, welche Nelson's Brief empfing, der ihr diesen Sieg meldete, welcher dreißigtausend Mann Franzosen und Bonaparte mit ihnen in Egypten gefangen hielt.
Bonaparte, der Mann von Toulon, des 13. Vendemiaire, von Montenotte, von Dego, von Arcole und von Rivoli, der Ueberwinder Beaulieus, Wurmser's, Alvinzi‘s und des Prinzen Karl, der Schlachtenheld, welcher binnen weniger als zwei Jahren hundert und fünfzigtausend Gefangene gemacht, hundert und siebzig Fahnen erobert, fünfhundert und fünfzig Geschütze von schwerem Caliber, sechshundert Feldkanonen und fünf Brückenequipagen genommen, der Ehrgeizige, welcher gesagt hatte, Europa sei ein Maulwurfshaufen und nur im Orient habe es jemals große Staaten und große Revolutionen gegeben, der abenteuerlustige Feldherr, der, mit neunundzwanzig Jahren schon größer als Hannibal und Scipio, Egypten erobern wollte, um ebenso groß zu sein als Alexander und Cäsar, war nun mit einem Male beseitigt, unterdrückt, aus der Liste der Kämpfenden gestrichen.
Er hatte bei dem großartigen Kriegsspiel endlich einen Gegner gefunden, der glücklicher oder geschickter war als er. Auf dem riesigen Schachbrett des Nil, wo Obelisken die Bauern, Sphinxe die Springer, Pyramiden die Thürme sind, wo die Läufer Kambytes, die Könige Sesostris und die Königinnen Kleopatra heißen, war er auf einmal mattgesetzt.
Die Furcht, welche die vereinten Namen Frankreich und Bonaparte den Souveränen Europas eingejagt, läßt sich am besten nach den Geschenken beurtheilen, welche Nelson von diesen Souveränen empfing, die außer sich vor Freude waren, als die Frankreich gedemüthigt sahen und Bonaparte verloren glaubten.
Die Aufzählung dieser Geschenke ist leicht. Wir brauchen zu diesem Zwecke blos eine von Nelsons eigener Hand geschriebene Notiz zu copiren.
Von Georg dem Dritten empfing er die Würde eines Pairs von Großbritanien und eine goldene Medaille.
Von dem Unterhaus für sich und seine zwei nächsten Erben den Titel eines Baronets vom Nil und von Barnham-Thorpes nebst einer Rente von zweitausend Pfund Sterling, deren Auszahlung vom 1. August 1798, dem Tage der Schlacht, beginnen sollte.
Von dem Oberhause eine gleiche Rente unter denselben Bedingungen und von demselben Tage an beginnend.
Von dem Parlament von Irland eine Pension von tausend Pfund Sterling.
Von der ostindischen Compagnie ein einmaliges Geschenk von zehntausend Pfund.
Von dem Sultan eine Diamantenagraffe, welche auf zweitausend, und einen kostbaren Pelz, der auf eintausend Pfund Sterling geschätzt ward.
Von der Mutter des Sultans eine mit Diamanten besetzte Schatulle, zwölfhundert Pfund im Werthe.
Von dem Könige von Sardinien eine mit Diamanten besetze Tabatière, an Werth zwölfhundert Pfund.
Von der Insel Zante einen Degen mit goldenem Griff und einen Stock mit goldenem Knopf
Von der Stadt Palermo eine Tabatière und eine goldene Kette auf einem silbernen Teller.
Endlich von seinem Freunde Benjamin Hallowell, Capitän des »Swiftsure«, ein echt englisches Geschenk, welches wir durchaus nicht mit Stillschweigen übergehen dürfen.
Wir haben gesagt, daß das französische Schiff, der »Orient«, in die Luft geflogen war. Hallowell ließ den großen Mast aus dem Wasser fischen und an Bord eines Schiffes bringen. Dann ließ er durch einen Schiffszimmermann und Schiffsschlosser aus diesem Mast und dessen Eisenbeschlägen einen Sarg fertigen, mit einer Platte verziert, auf welcher folgendes Ursprungszeugniß eingraviert war:
»Ich bezeuge hiermit, daß dieser Sarg ausschließlich aus dem Holze und Eisen des Schiffes der »Orient« gefertigt ist, von welchem das unter meinem Befehle stehende Schiff Sr. Majestät einen großen Theil in der Bai von Abukir rettete.
Diesen auf diese Weise hinsichtlich seines Ursprunges legitimierten Sarg machte er Nelson zum Geschenk und fügte folgenden Brief bei:
»An den ehrenwerthen Nelson C. B.
»Geehrter Herr!
»Ich schicke Ihnen beifolgend einen aus dem Maste des französischen Schiffes der »Orient« gefertigten Sarg, damit Sie, wenn Sie einmal aus diesem Leben scheiden, vor allen Dingen in Ihren eigenen Trophäen ruhen können. Die Hoffnung, daß dieser Tag noch fern sei, ist der aufrichtige Wunsch Ihres ergebenen Dieners
Von allen Geschenken, welche dem glücklichen Sieger dargebracht wurden, schien dieses letztere das zu sein, welches ihn am meisten rührte. Er empfing es mit unverhohlener Freude, ließ es in seine Cajüte bringen und dicht hinter dem Sessel, in welchem er bei Tische saß, an die Wand lehnen.
Ein alter Diener, den der Anblick dieses ominösen Möbels allemal traurig stimmte, brachte den Admiral endlich dahin, daß er es in das Zwischendeck bringen ließ.
Als Nelson den furchtbar zerschossenen »Vanguard« mit dem »Fulminant« vertauschte, blieb der Sarg, der auf dem neuen Schiffe noch keinen geeigneten Platz gefunden, einige Monate auf dem Vorderdeck stehen.
Eines Tages, als die Officiere des »Fulminant« das Geschenk des Capitäns Hallowell bewunderten, rief Nelson ihnen von seiner Cajüte aus zu:
»Bewundern Sie so viel Sie wollen, meine Herren. Für Sie ist er doch nicht gemacht.«
Endlich schickte Nelson ihn, sobald sich Gelegenheit darbot, nach England an seinen Tapezierer mit dem Auftrage, ihn sofort mit Sammet auszuschlagen, weil er ihn bei dem Handwerke, welches er triebe, jeden Augenblick nöthig haben könne und ihn daher unverweilt in vollständige Bereitschaft gesetzt zu sehen wünschte.
Wir brauchen nicht erst zu erwähnen, daß Nelson, nachdem er sieben Jahre später bei Trafalgar gefallen, wirklich in diesem Sarge zur Gruft bestattet ward.
Kommen wir jetzt auf unsere Erzählung zurück.
Wir haben gesagt, daß Nelson mit einem leichten Fahrzeuge die Nachricht von dem Siege bei Abukir nach Neapel und London entsendet hatte.
Gleich nach dem Empfang von Nelsons Briefe eilte Emma Lyonna zu der Königin Caroline und überreichte ihr denselben geöffnet.
Die Königin warf einen Blick darauf und stieß einen lauten Freudenschrei aus. Sie rief ihre Söhne, sie rief den König, sie lief wie eine Wahnsinnige in den Gemächern umher, küßte jeden, der ihr in den Weg kam, schloß die Ueberbringerin der frohen Neuigkeit in die Arme und ward nicht müde zu rufen:
»Nelson! tapferer Nelson! O Retter und Befreier Italiens! Gott schütze Dich! Der Himmel behüte Dich!«
Ohne sich dann weiter um den französischen Gesandten Garat zu kümmern, denselben, welcher Ludwig dem Sechzehnten das Todesurtheil vorgelesen und welchen das Directorium ohne Zweifel als eine Warnung für die neapolitanische Monarchie an diesen Hof gesendet, befahl sie, in der Meinung daß nun nichts mehr von Frankreich zu fürchten stehe, offen, unverhohlen und am hellen lichten Tage alle nothwendigen Anstalten zu treffen, um Nelson in Neapel zu empfangen, wie man einen Sieger empfängt.
Um nicht hinter den andern Souveränen zurückzubleiben, ließ sie, welche ihm mehr schuldig zu sein glaubte, als die andern, weil sie doppelt bedroht war, nämlich durch die Anwesenheit der französischen Truppen in Rom und durch die Proclamation der römischen Republik, durch ihren Premierminister Acton ein Patent ausfertigen, durch welches Nelson mit dreitausend Pfund Sterling jährlicher Rente zum Herzog von Bronte ernannt ward, während der König, als man ihm dieses Patent zur Unterschrift vorlegte, sich vorbehielt, ihm selbst den Degen zu verehren, welchen Ludwig der Vierzehnte seinem Sohn Philipp dem Fünften, als derselbe abreiste, um über Spanien zu regieren, und Philipp der Fünfte seinem Sohn Don Carlos geschenkt, als dieser auf brach, um Neapel zu erobern.
Abgesehen von seinem historischen Werth, welcher unschätzbar war, ward dieser Degen, der den Instructionen des Königs Carl des Dritten gemäß nur dem Vertheidiger und dem Retter der Monarchie der beiden Sicilien gehören sollte, wegen der Diamanten, womit er besetzt war, auf fünftausend Pfund Sterling oder hundert und fünfundzwanzigtausend Francs geschätzt.
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