v1.0 – создание FB2 – Ostermann
Alexandre Dumas
Der Wolfsführer
Erster Band
I
Warum haben sich in den ersten zwanzig Jahren meines Literatenlebens, d. h. von 1827 bis: 1847, meine Blicke: und meine Erinnerungen nur so selten nach meiner kleinen Geburtsstadt, sowie nach den umliegenden Wäldern und Dörfern zurückgewandt?
Warum war meine ganze Jugendwelt für mich wie verschwunden und von einer Wolke umhüllt, während mir die Zukunft, der ich entgegenging, klar und leuchtend erschien, gleich jenen Zauber-Inseln, welche Columbus und seine Genossen für schwimmende Blumenkörbe ansahen?
Daran war wohl der leidige Umstand Schuld, daß man in seinen zwanzig ersten Lebensjahren die Hoffnung und in den zwanzig letzten die Wirklichkeit zur Führerin hat.
Erst wenn man, ein milder Pilger, seinen Stab fallen läßt, den Gürtel lockerer schnallt und sich am Rand der Straße niedersetzt, dann erst blickt man auf die zurückgelegte Bahn zurück, und da jetzt die Zukunft sich umnebelt, so beginnt man in die Tiefen der Vergangenheit zu schauen.
Erst wenn man im Begriff steht in die Sandmeere einzufahren, da sieht man mit Staunen auf dem bereits zurückgelegten Weg allmälig wundersame Oasen, voll Schatten und herrlichem Grüne, auftauchen, an denen man vorübergegangen ist, ohne Halt: zu machen, ja sogar ohne sie nur zu sehen.
Man ging damals so schnell voran; man hatte solche Eile beim ewig Unerreichbaren anzulangen, beim Glück!
Jetzt steht man ein, daß man blind und undankbar gewesen; jetzt sagt man’s sich, daß man, wenn man je wieder einmal ans einen solchen grünen Hain fließe, sein Zelt da ausschlagen und den Rest seiner Lebenszeit da verbringen würde.
Aber da der Leib nicht rückwärts schreitet, so muß das Gedächtniß allein diese fromme Pilgerfahrt nach den ersten Tagen antreten und zur Quelle des Lebens zurückgehen, jenen weißbesegelten Schiffchen gleicht, welche die Flüsse aufwärts fahren.
Dann seht der Leib seinen Weg fort, aber ohne – das Gedächtniß – Dies ist wie eine Nacht ohne Stern: wie eine Lampe ohne Flamme.
Der Leib und das Gedächtniß schlagen dann entgegengesetzte Wege ein.
Der Leib geht aufs Gerathewohl dem Unbekannten zu.
Das Gedächtniß, ein schimmerndes Irrlicht hüpft über die auf dem Weg zurückgebliebenen Fußstapfen hin; es allein weiß, daß es nicht fehl geht.
Hat es dann jede Oase besucht, jede Erinnerung aufgegriffen, so fliegt es schnell zu dem immer müder gewordenen Leib zurück, und wie Bienengesumme, wie Vogelfang, wie Quellengeplätscher, erzählt es ihm, was es gesehen hat.
Und bei dieser Kunde belebt sich des Pilgers Auge von Neuem, sein Mund lächelt, fein Angesicht leuchtet.
Gestattet doch die Vorsehung in ihrer Güte, daß die Jugend zu ihm zurückkomme, wenn er auch nicht zur Jugend zurückkehren kann.
Und nun ist es ihm Freude laut zu erzählen, was das Gedächtniß ihm ganz leise zuflüstern.
Sollte etwa das Leben rund sein wie die Erde? Sollte man, ohne es zu bemerken, einen Kreislauf um das Leben machen? Sollte man, indem man dem Grabe näher kommt, auch seiner Wiege wieder näher rücken?
II
Ich weiß es nicht, aber das weiß ich, was mir zugestoßen ist.
An meinem ersten Haltepunkt auf dem Lebensweg, bei meinem ersten Rückblick in die Vergangenheit habe ich vor allen Dingen von Bernard und seinem Ohm Berthelin, sodann von Auge Pitou und seiner Braut, von Tante Angélique, von Conscience dem unschuldigen und seiner Braut Mariette, hierauf von Catherine Blum und dem alten Watrin erzählt.
Heute will ich euch von Thibault dem Wolfsführer, und von dem edlen Herrn von Vez berichten.
Wie sind aber die Ereignisse, die ich euch vor Augen zu führen gedenke, zu meiner Kenntniß gelangt?
Ich wills euch sagen.
Habt ihr meine Memoiren gelesen?
Wenn ihr sie gelesen habt, so erinnert ihr euch doch wohl eines Waldschützen Namens Mocquet, den mein Vater in seinen Diensten hatte.
Wenn ihr sie gelesen habt, so erinnert ihr euch seiner dunkel.
Wenn ihr sie nicht gelesen habt, so erinnert ihr euch seiner gar nicht.
Im einen wie im andern Falle ist es von wesentlicher Wichtigkeit, daß ich euch Mocquet vor die Augen führe.
Zufolge meiner längsten Erinnerung, die bis in mein drittes Jahr zurückgreift, bewohnten meine Eltern mit mir ein Schlößlein auf der Grenze des Aisne- und des Oise-Departements, zwischen Haramont und Longpré.
Dieses Schlößlein hieß Fossés, die Gräben, ohne Zweifel, weil es von großen und vollen Wassergräben umschlossen war.
Ich spreche nicht von meiner Schwester: – sie war in einer Pension in Paris, und wir sahen sie bloß einen Monat im Jahr, nämlich in der Vacanz.
Das Personal des Hauses bestand außer Vater, Mutter und Sohn:
1) Aus einem großen, schwarzen Hund, genannt Trüsse, der überall willkommen war, da ich ihn zu meinem gewöhnlichen Reittier ausersehen hatte.
2) Aus einem Gärtner Namens Pierre, der mir im Garten eine Menge Frösche und Schlangen zusammen suchte, da ich an diesen Thierchen eine ausnehmende Freude bezeugte.
3) Aus einem Neger Namens Hippolyte, der den Kammerdiener meines Vaters vorstellte, einem schwarzen Einfaltpinsel, dessen Naivitäten sprichwörtlich geworden waren, und den mein Vater, glaube ich, bloß behielt, um eine Anekdotensammlung voll zu machen, die er den Brunetschen Schänken mit Glück hätte entgegenstellen können.
4) Aus einem Waldschützen Namens Mocquet, dem ich mit großer Bewunderung zugethan war, weil er jeden Abend prächtige Geschichten von Gespenstern und Währwölfen zu erzählen wußte, worin er sich jedoch sogleich unterbrach, wenn der
5) Endlich aus einer Köchin Namens Marie. Diese letztgenannte Person verliert sich für mich gänzlich in den Dämmerungsnebeln meines Lebens; ich habe diesen Namen einer Gestalt geben gehört, die ganz unklar in meinem Geist zurückgeblieben ist, aber, so weit ich mich erinnern kann, nichts sehr Poetisches hatte.
Übrigens haben wir uns heute nur mit Mocquet zu beschäftigen.
Versuchen wir seine physische und moralische Erscheinung klar darzustellen.
III
Physisch war Mocquet ein Vierziger; kurz, untersetzt, breitschulterig und starkknochig.
Er war sonnverbrannt, hatte kleine stechende Augen, graumelierte Haare und euren schwarzen Backenbart, der am Hals zusammen lief.
Er erscheint mir im Hintergrund meiner Erinnerungen mit einem Dreispitz, einem grünen Wamms mit Silberknöpfen, kurzen Sammthosen, langen ledernen Gamaschen, einer Jagdtasche über der Schulter, einer Flinte im Arm und einem kurzen Thonpfeifchen im Mund.
Verweilen wir einen Augenblick bei diesem Pfeifchen. Dasselbe war kein bloß zufälliges Anhängsel, sondern ein integrierender Bestandteil von Mocquet geworden.
Nie konnte Jemand sagen, daß er Mocquet ohne sein Pfeifchen gesehen habe.
Wenn Mocquet sein Pfeifchen zufällig einmal nicht im Munde hatte, so hielt er es in der Hand.
Dieses Pfeifchen, das die Bestimmung hatte, Mocquet bis ins dichteste Gebüsch zu begleiten, durfte den festen Körpern, die seine Vernichtung herbei: führen konnten, so wenig als möglich Blöße bieten.
Nun war die Vernichtung einer gut angerauchten Pfeife für Mocquet ein Verlust, den nur die Jahre ersetzen konnten.
Darum war auch das Rohr an Mocquets Pfeifchen nie über fünf bis sechs Linien lang, und von diesen fünf oder sechs Linien konnte man immer drei auf eine Federröhre rechnen.
Diese Gewohnheit, seine Pfeife, die sich zwischen dein vierten Schneidezahn und dein ersten Mahlzahn links eine gewisse Höhlung gegraben hatte und die beiden Hundszähne beinahe gänzlich verschwinden machte, niemals wegzulegen, hatte bei Mocquet eine andere Gewohnheit mit sich geführt, nämlich mit verschlossenen Zähnen zu sprechen, was seinem ganzen Gerede eine eigentümliche Verbissenheit gab.
Dieser Charakter der Verbissenheit wurde noch auffallender, wenn er seine Pfeife auf Augenblicke aus dem Munde nahm, denn dann konnten seine Kinnbacken zusammenfallen, und seine Zähne schlossen sich so, daß sie die Worte nur noch als ein unverständliches Gezische durchließen.
So viel von Mocquets physischer Erscheinung.Die nächstfolgenden Zeilen sollen seinen sittlichen Menschen schildern.
IV
Eines Tages kam Mocquet in aller Frühe ins Schlafzimmer meines Vaters, der noch im Bette lag, und stellte sich steif und gerade wie ein Laternenpfahl vor ihm auf.
»Nun, Mocquet!« fragte mein Vater, »was verschafft mir das sonderbare Vergnügen, Dich so früh bei mir zu sehen?«
»Herr General,« antwortete Mocquet mit grobem Ernst, »drum werde ich
Mocquet hatte, ohne es zu ahnen, seine Muttersprache mit einem doppelten activen und passiven Zeitwort bereichern.
»Du wirst gealpt?« sagte mein Vater, indem er sich auf seinen Ellbogen aufrichtete, »ei, ei, mein Junge, das ist freilich etwas Arges.«
»Es ist so, mein General« Und Mocquet nahm fein Pfeifchen aus dem Mund, was er nur selten und bei wichtigen Veranlassungen that.
»Und seit wann wirst Du gealpt, mein guter Mocquet?« fragte mein Vater.
»Seit acht Tagen.«
»Und von wem?«
»O ich weiß; wohl von wem,« antwortete Mocquet, indem er seine Zähne um so fester zusammenbiß, als er das Pfeifchen in seiner Hand hatte, die er hinter den Rücken hielt.
»Nun, darf man es erfahren?«
»Von der alten Durand aus Haramont, die eine alte Hexe ist, wie Ihnen nicht unbekannt sein kann.«
»Doch, Mocquet, das war mir unbekannt, auf Ehre.«
»Aber ich weiß es ganz genau; ich habe sie auf einem Besenstiel zum Hexensabbat reiten gesehen.«
»Du hast sie reiten gesehen, Mocquet?
« »So gut als ich Sie sehe, mein General; überdies hat sie einen alten schwarzen Bock bei sich, den sie anbetet.«
»Und warum alpt sie Dich?«
»Aus Rache, weil ich sie einmal Nachts zwölf Uhr auf der Heide von Gondreville erwischt habe, als sie gerade ihren Teufelsreigen tanzte.«
»Mein lieber Mocquet, Du erhebst da eine schwere Anklage, und bevor Du laut wiederholst, was Du mir leise gesagt hast, möchte ich Dir rathen, einige Beweise herzuschaffen.«
»Beweise! Warum nicht gar? Als ob nicht jedes Kind im Dorf wüßte, daß sie in ihrer Jugend die Zuhälterin des Wolfsführers Thibault gewesen ist!«
»Ei der Teufel, Mocquet, da mußt Du Dich wohl in Acht nehmen.«
»Das tue ich auch, und sie soll mirs büßen, der alte Maulwurf.«
»Du mußt Dich in Acht nehmen,« hatte mein Vater gesagt.
V
Nicht als ob mein Vater an Mocquets Alp oder überhaupt an einen Alp geglaubt und im speciellen Fall angenommen hätte, daß die alte Durand seinen Waldschützen
Nachdem er nun diesen Einfluß festgestellt glaubte, wagte er ihm folgende Vorstellung zu machen:
»Aber, lieber Mocquet, bevor Du Deine Rache an ihr nimmst, solltest Du Dich genau versichern ob man Dich nicht von Deinem Alp curiren kann«
»Nein, Herr General, das kann man nicht,« antwortete Morguet in zuversichtlichem Tone.
»Warum denn nicht?«
»Ich habe bereits das Unmögliche gethan.«
»Nun was denn?«
»Fürs Erste habe ich eine große Bowle Glühwein getrunken, ehe ich mich schlafen legte.«
»Wer hat Dir dieses Mittel angerathen? Herr Lecosse?«
Herr Lecosse war der berühmteste Arzt von Villers-Coterets.
»Herr Lecosse!« machte Mocquet; »Warum nicht gar? Als ob
»Wer sonst denn?«
»Der Schäfer von Longpré.«
»Also eine Bowle Glühwein, dummer Kerl! Da mußt Du ja einen schändlichen Rausch bekommen haben«
»Der Schäfer hat die Hälfte getrunken.«
»Nun dann begreife ich das Recept. Und die Bowle Glühwein hat nicht gewirkt?«
»Nein, Herr General. Die Hexe hat mir in jener Nacht auf der Brust herum gestampft, wie wenn ich gar Nichts zu mir genommen hätte«
»Und was hast Du sonst noch gethan, denn ohne Zweifel hast Du es bei Deiner Bowle Glühwein nicht bewenden lassen?«
»Ich« habe das gethan, was ich thue, wenn ich ein
Mocquet hatte seine eigene Phraseologie, wofür er oft Gründe von überraschender Genialität anzuführen wußte, und an der er starrköpfigst festhielt; Nichts in der Welt, selbst sein tief eingepflanzter Respect vor dem General nicht, hätte ihn jemals dazu gebracht,
VI
»Nun, was thust Du. denn, Mocquet, wenn Du ein Rothwild fangen willst? fragte mein Vater.
»Ich lege eine
»Wie? Was? Du hast der alten Durand eine Schlinge gelegt?«
Mocquet liebte es nicht, daß man die Worte anders aussprach, als er; er versetzte daher:
»Ja, Herr General, ich habe der alten Durand eine
»Und wo hast Du Deine Schlincke gelegt? vor Deiner Thür?
« Mein Vater war, wie man steht, ein Mann, der mit sich sprechen ließ.
»Warum nicht gar vor meiner Thüre?« erwiederte Mocquet; »als ob die alte Hexe zu meiner Thür hereinkäme! Sie kommt in mein Zimmer, ohne daß ich weiß, woher sie kommt«
»Vielleicht zum Kamin herab?«
»Es ist keines da; überdieß sehe ich sie erst, wenn ich sie spüre.«
»Du siehst sie?«
»So gut als ich Sie sehe.«
»Und was thut sie?«
»O wahrhaftig, nichts Gutes; sie stampft mir auf der Brust herum: bam, bam, bam!«
»Wo hast Du also die Schlinge gelegt?«
»Die Schlincke!Ich habe sie auf meinen Magen gelegt.«
»Und was für eine Schlincke hast Du gelegt?«
»O eine famöse Schlincke.«
»Was für eine denn?«
»Dieselbe, die ich dem grauen Wolf legte, der dem Herrn Destournelles seine Schafe erwürgte.«
»Die war aber nicht sehr famös, Mocquet der graue Wolf hat ja Deinen Köder gefressen und sich nicht fangen lassen.«
»Sie wissen wohl, warum er sich nicht fangen ließ, Herr General.«
»Nein, ich weiß es nicht.«
»Er hat sich nicht fangen lassen, weil er der schwarze Wolf des Holzschuhmachers Thibault ist.«
»Es kann aber doch nicht der schwarze Wolf des Holzschuhmachers Thibault sein, denn Du gibst ja selbst zu, daß der Wolf, der die Schafe des Herrn Destournelles erwürgte, grau war.«
»Er ist allerdings jetzt grau, Herr General; aber zur Zeit: des Holzschuhmachers Thibault, d. h. vor dreißig Jahren war er schwarz; sehen Sie, vor dreißig Jahren war ich auch rabenschwarz, und jetzt bin ich so grau wie der Doctor.«
Der Doctor war eine Katze, der ich in meinen Memoiren eine beziehungsweise Berühmtheit zu schaffen versucht habe; man nannte sie Doctor wegen des prächtigen Pelzes, womit die Natur sie ausgestattet hatte.
»Ja,« sagte mein Vater, »ich kenne Deine Geschichte von dem Holzschuhmacher Thibault. Aber, Mocquet, wenn der schwarze Wolf der Teufel ist, wie Du behaupten, so kann er sich nicht verändern.«
»Doch, Herr General; nur braucht er hundert Jahre, bis er ganz weiß wird, und Nachts um zwölf Uhr, wenn das hundertste Jahr anfängt, wird er wieder kohlschwarz.«
»Das will ich gelten lassen, Mocquet; nur bitte ich Dich, daß Du diese schöne Geschichte da meinem Sohne nicht erzählst, ehe er wenigstens fünfzehn Jahre alt ist.«
»Warum das, Herr General?«
»Weil es unnöthig ist, daß man ihm solche Dummheiten in den Kopf setzt, ehe er groß genug ist, um sich über alle Arten von Wölfen, seien sie nun weiß, grau oder schwarz, lustig zu machen.«
»Seht wohl, Herr General, man wird ihm also Nichts davon sagen.«
»Fahre fort.«
»Wo sind wir stehen geblieben, Herr General?«
»Bei der Schlincke, die Du auf Deinen Magen legtest und für so famös hieltest.«
»Ja, meiner Treu, Herr General, es war eine famöse
»Und in jener Nacht?«
»O, in jener Nacht ging es noch toller her. Sonst trat sie mir doch nur mit Galloschen auf der Brust herum; aber in jener Nacht ist sie mit Holzschuhen gekommen«
»Und sie kommt noch immer?«
»Jede Nacht, die der liebe Gott gibt; ich magere deßhalb ganz ab; Sie sehen ja, Herr General, daß ich die Schwindsucht bekomme; aber heute früh habe ich meinen Entschluß gefaßt« «
»Und was für einen Entschluß hast Du gefaßt, Mocquets?«
»Ich habe beschlossen, sie todtzuschießen.«
»Das ist das Gescheidteste, was Du thun kannst. Und wann gedenkst Du Dich ans Werk zu machen?«
»Heute Abend oder morgen«
»Ei der Teufel! ich hätte Dich gern nach Villers-Hellon geschickt.«
»Das macht nichts, Herr General. Ist es pressant?«
»Sehr pressant.«
»Nun ja, so kann ich nach Villers-Hellon gehen, es sind ja bloß vier Stunden durch den Wald, und auf den Abend wieder da sein; das sind weiter nichts als acht Stunden; wir haben auf unseren Jagden schon ganz andere Touren gemacht, Herr General«
»Es bleibt dabei, Mocquet ich gebe Dir einen Brief an Herrn Collard, und Du gehst sogleich ab.«
»Sehr wohl, Herr General!«
Mein Vater stand auf und schrieb an Herrn Collard,
Der Brief lautete folgendermaßen:
»Lieber Collard!«
»Ihr Freund
»Alex. Dumas.«
Mocquet ging eine Stunde nach Abfassung des Briefes ab und kam nach drei Wochen in Antilly wieder zu uns.
»Nun,« fragte mein Vater, als er ihn ganz munter und wohlbehalten wieder erblickte, »nun, wie stehts mit der Durand?«
»Herr General« antwortete Mocquet seelenvergnügt, »der alte Maulwurf ist von mir gewichen; es scheint, daß die Hexe bloß im Canton Gewalt hatte.«
VII
Zwölf Jahre waren seit Mocquets Alpbeängstigungen verflossen. Ich ging in mein sechzehntes.
Es war im Winter von 1817 aus 1818.
Mein Vater war leider schon seit zehn Jahren todt.
Wir hatten keinen Gärtner Piere, keinen Kammerdiener Hippolyte, keinen Waldschützen Mocquet mehr.
Wir bewohnten weder das Grabesschloß, noch die Villa in Antilly mehr, sondern ein Häuschen auf dem Marktplatz von Villers-Coterets, dem Brunnen gegenüber, wo meine Mutter einen Tabakkram betrieb.
Sie verband damit einen Handel mit Jagdpulver, Kugeln und Blei.
Trotz meiner Jugend war ich, wie ich in meinen Memoiren erzählt habe, bereits ein leidenschaftlicher Jäger.
Nur
In der übrigen Zeit verlegte ich mich aufs Wildern.
Ich besaß zu diesem gedoppelten Jägers- und Wilderer-Beruf eine allerliebste einläufige Flinte, die früher der Fürstin Borghese gehört hatte, deren Namen auch eingraviert war.
Ich wer noch ein ganz kleiner Junge gewesen, als Mein Vater sie mir geschenkt hatte, und bei der Auction nach seinem Tod hatte ich sie mit solchem Eifer in Anspruch genommen, daß sie nicht mit den übrigen Waffen, sowie den Pferden und Wagen verkauft wurde. Die Zeit meiner Freuden war der Winter.
Im Winter bedeckt sich die Erde mit Schnee, und die Vögel, die kein Futter mehr aufzufinden wissen, sammeln sich da, wo man ihnen Körner hinwirft.
Einige alte Freunde meines Vaters, die große und schöne Gärten besaßen, erlaubten mir dann in diesen Gärten Vögel zu schießen.
Ich fegte den Schnee weg, streute einen langen Streifen Körner hin und feuerte dann aus irgend einem Versteck in halber Flintenschußweite; ich tödtete manchmal sechs, acht, ja zehn Vögel auf einen Schuß.
Wenn dann der Schnee länger liegen blieb, so winkte mir eine andere Hoffnung: die Aussicht, daß ein Wolf aufgetrieben werden könnte.
Der aufgetriebene Wolf gehört Jedermann.
Er ist ein öffentlicher Feind, ein Mörder, der außer dem Schutze des Gesetzes steht. Jeder kann aus ihn schießen. Man braucht nicht zu fragen, ob ich dann, trotz der Wehklagen meiner Mutter, die eine doppelte Gefahr für mich fürchtete, man braucht, sage ich, nicht zu fragen, ob ich dann nach meiner Flinte griff und der Erste auf dem Posten war.
Der Winter von 1817 auf 1818 war rauh gewesen.
» Es war ein fußhoher Schnee gefallen, und es hatte darüberhin gefroren, so daß der Schnee schon seit etwa vierzehn Tagen lag.
« Und dennoch hörte man von Nichts.
Eines Abends gegen vier Uhr kam Mocquet ins Haus.
Er kaufte Pulver ein.
Während des Einkaufens winkte er mir mit dem Auge. Er ging hinaus. Ich folgte ihm.
»Nun, Mocquet,« fragte ich, »was gibts?« »Errathen Sie’s nicht, Herr Alexander?« »Nein.«
»Errathen Sie nicht, daß ichs, wenn ich bei der Frau Generalin Pulver kaufe, statt es ganz einfach in Haramont zu holen, d.h. wenn ich eine ganze Stunde gehe statt einer Viertelstunde, daß ich Ihnen dann eine Partie vorzuschlagen habe?
»Ach, mein lieber Mocquet! Und was denn?«
»Es Ist Ein Wolf da, Herr Alexander.«
»Wirklich?«
»Er hat heute Nacht dem Herrn Destournelles ein Schaf gestohlen, und ich bin ihm bis in den Wald von Tillet nachgelaufen.«
»Und nun?«
»Heute Nacht werde ich ihn ganz gewiß wieder sehen, ich werde ihn auftreiben, und morgen früh wollen wir ihm dann seinen Denkzettel geben.«
»O welch ein Glück!«
»Nur bedarf es der Erlaubniß . . .
»Von wem, Mocquet?«
»Von der Frau Generalin.«
»Komm wieder mit mir herein, Mocquet, wir wollen sie darum ersuchen.«
Meine Mutter betrachtete uns durch die Fensterscheiben hindurch.
Sie dachte sichs sogleich, daß irgend ein Complott geschmiedet wurde. Wir kamen herein.
»He, Mocquet,« sagte Sie, »Du gefällst mir gar nicht mehr.«
»Warum, Frau Generalin?« fragte er.
»Nun, weil Du dem Jungen immer den Kopf warm machst; er denkt bereits nur zu viel an Deine verdammte Jagd.«
»Ei, Frau Generalin, das ist wie mit den Hunden von guter Race: sein Vater war ein Jäger, er ist ein Jäger, sein Sohn wird ein Jäger werden; darein müssen Sie sich zu finden wissen.« »Und wenn ihm ein Unglück zustößt!«
»Bei mir! Ein Unglück! Ein Unglück bei Mocquet! Was fällt Ihnen ein? Ich bürge mit Leib und Seele für Herrn Alexander. Ihm ein Unglück zustoßen, dem Sohn des Generals! Nein, nein, nimmermehr!«
Meine arme Mutter schüttelte den Kopf.
Ich hing mich ihr an den Hals.
»Liebes Mütterchen,« sagte ich, »laß Dich erbitten.« »Aber Du mußt ihm seine Flinte laden, Mocquet.«
»Seien Sie doch ruhig! Sechzig Körner Pulver, keins mehr, keins weniger, und eine Kugel, wovon zwanzig auf das Pfund gehen«
»Du darfst ihn nicht verlassen.«
»So wenig als sein Schatten«
»Du mußt ihn neben Dich stellen.«
»Zwischen meine Beine.«
»Mocquet! Dir allein vertraue ich ihn an.«
»Und Sie sollen ihn unversehrt zurückerhalten. Kommen Sie, Herr Alexander, nehmen Sie Ihre Siebensachen zusammen und lassen Sie uns gehen.
Die Frau Generalin erlaubt es.
»Ei wie? Du willst ihn schon heute Abend mitnehmen, Mocquet?«
»Natürlich, denn morgen wäre es zu spät, um ihn abzuholen; dem Wolf muß man mit Tagesanbruch zu Leibe gehen.«
»Also zu einer Wolfsjagd willst Du ihn mithaben?«
»Fürchten Sie etwa gar, der Wolf könnte ihn fressen?
»Mocquet! Mocquet!«
»Wenn ich Ihnen doch sage, daß ich für Alles gutstehe!«
»Und wo soll er übernachten, der unglückliche Junge?
»Beim alten Mocquet! Er bekommt eine gute Matratze auf dem Boden, Betttücher so weiß, wie diejenigen, welche der liebe Gott über die Ebene hingebreitet hat, und zwei gute warme Decken. Er soll sich gewiß nicht erkälten, seien Sie ganz ruhig.«
»Ach ja, liebe Mutter, sei doch ruhig. Komm jetzt, Mocquet, ich bin bereit.«
»Und Du gibst mir nicht einmal einen Kuß, unglückliches Kind?«
»O freilich, liebes Mütterchen, lieber zwei als einen.«
Und ich warf mich meiner Mutter an den Hals und erdrückte sie beinahe in meinen Armen.
»Und wann wird man Dich wieder zu sehen bekommen?«
»Machen Sie sich keine Sorgen, wenn er erst morgen Abend zurückkommt.«
»Wie so? morgen Abend! Du sagtest doch von Tagesanbruch.«
»Mit Tagesanbruch geht es auf den Wolf los; aber wenn wir das Nest leer finden, so wird der junge Herr doch wenigstens im Moor von Wallu ein Paar Enten schießen dürfen.«
»Du wirst machen, daß er ertrinkt.«
»Ei zum Teufel,« sagte Mocquet, »wenn ich nicht die Ehre hätte, mit der Frau meines Generals zu sprechen, so würde ich sagen . . .
»Was würdest Du sagen, Mocquet?
« »Daß Sie einen Hasenfuß aus Ihrem Sohn machen wollen. Aber wenn die Mutter: des Generals hinter ihm gestanden und ihn an seinen Rockschößen gezupft hätte, so wäre er seiner Lebtage nie übers Meer her nach Frankreich gekommen.«
»Du hast Recht, Mocquet, nimm ihn mit; ich bin unvernünftige.«
Und meine Mutter wandte sich ab, um sich eine Thräne aus dem Auge zu wischen.«
Einer Mutter Thräne ist ein Herzdiamant, köstlicher als eine Perle von Ophir.«
Ich sah sie fließen.
Ich ging zur armen Frau hin und sagte ganz leise zu ihr:
»Wenn Du willst, Mutter, so bleibe ich.«
»Nein, nein, mein Junge, geh’ nur,« sagte sie; »Mocquet hat Recht; Du mußt einmal ein Mann werden.«
Ich umarmte sie noch ein letztes Mal.
Dann eilte ich Mocquet nach, der sich bereits auf den Weg gemacht hatte.
Nach etwa hundert Schritten wandte ich mich um.
Meine Mutter war bis mitten in die Straße herausgegangem um mir so lang als möglich mit ihren Blicken zu folgen.
Jetzt kam die Reihe an mich, eine Thräne aus meiner Wimper zu wischen.
»Nun das ist sauber,« sagte Mocquet zu mir, »jetzt weinen Sie also auch Herr Alexander!«
»Was fällt Dir ein, Mocquet? Das kommt blos von der Kälte her.«
Du, der Du mir diese Thränen gegeben hattest, o mein Gott, Du weißt wohl, daß ich nicht vor Kälte weinte.
VIII
Wir kamen bei dunkler Nacht in Mocquets Wohnung an.
Unser Nachtessen bestand in einer Omelette mit Speck und einer Kaninchenfricassee.
Dann bereitete mir Mocquet mein Bett.
Er hatte meiner Mutter Wort gehalten: ich erhielt eine gute Matratze, zwei weiße Betttücher und zwei gute, sehr warme Decken.
»Vorwärts!« sagte Mocquet zu mir, »schlüpfen Sie jetzt da hinein und schlafen Sie; wir werden morgen früh wahrscheinlich schon um vier Uhr ausrücken müssen.«
»So bald Du willst, Mocquet.«
»Ja, ja, am Abend sind Sie früh auf, aber morgen früh werde ich wohl einen Topf kalten Wassers in Ihr Bett schütten müssen, um Sie auf die Beine zu bringen.«
»Ich erlaube Dir das, Mocquet, wenn Du mich zweimal rufen mußt.«
»Nun, es wird sich schon zeigen.«
»Aber bist Du denn heute so außerordentlich schlaflustig, Mocquet?«
»Was soll ich anders thun als schlafen.«
»Ei nun, Morquet, ich denke, Du könntest mir eine von jenen Geschichten erzählen, die mir als kleinem Jungen so viel Freude machten.«
»Und wer soll dann morgen früh um zwei Uhr aufstehen, wenn ich Ihnen bis nach Mitternacht Geschichtchen vorschwatze?«
»Du hast Recht, Moquet.«
»Das meine ich auch.«
Ich zog mich aus und legte mich schlafen.
Mocquet warf sah ganz angekleidet auf sein Bett.
Nach fünf Minuten schnarchte er wie eine Baßgeige.
Ich drehte und wandte mich über zwei Stunden in meinem Bett um und um, ohne einschlafen zu können.
Wie manche schlaflose Nacht hatte ich am Vorabend von Jagderöffnungen zugebracht!
Endlich gegen Mitternacht siegte die Müdigkeit.
Morgens um vier Uhr fuhr ich in Folge, einer Empfindung von Kälte aus dem Schlafe auf.
Ich öffnete die Augen.
Mocquet hatte die Decke auf den Fuß meines Bettes zurückgeworfen und stand da, beide Hände auf seine Flinte gestemmt und das Pfeifchen im Munde.
Sein Gesicht strahlte beim Feuer seiner Pfeife, das bei jedem Athemzug einen Schein darauf warf.
»Nun, Mocquet?« sagte ich.
»Nun, er ist aufgejagt.«
»Der Wolf? Und wer hat ihn aufgejagt?«
»Dieser arme Mocquet hier.
»Ah, bravo!«
»Rathen Sie jetzt auch einmal, wo er sich einquartirt hat. Wahrhaftig, dieser Wolf ist ein guter Junge.«
»Nun wo denn, Mocquet?
»O ich wette hundert gegen eins, daß Sie’s nicht herausbekommen. Er ist im Dreieichenschlupf.
Dann ist er also verkauft und verloren?«
»Das will ich meinen.«
Der Dreieichenschlupf ist eine etwa zwei Morgen lange Gruppe von Bäumen und Gebüschen, mitten in der Ebene von Largny, ungefähr fünfhundert Schritte vom eigentlichen Wald.
»Und die Waldschützen?« fuhr ich fort.
»Sind in Kenntniß gesetzt,« antwortete Mocquet; »die besten Schützen im ganzen Bezirk, Moynat, Mildet, Vatrin, Lasseuille, kurz die gewandtesten Burschen, stehen am Saum des Waldes. Wir unsererseits, Herr Charpentier aus Wallu, Herr Hochedez aus Largny, Herr Destournelles aus Fossés und wir Beide umzingeln den Schlupf; man wird die Hunde loslassen, der Feldschütz muß sie anfeuern, und dann lustig darauf los!«
»Mocquet, Du wirst mich auf einen guten Platz stellen.
»Wenn ich Ihnen sage, daß Sie ganz in meiner Nähe stehen werden. Nur sollten Sie endlich einmal aufstehen.«
»Du hast Recht, Mocquet, Brrrr!«
»Nun, ich will mit Ihrer Jugend Mitleid haben und ein Reisbüschel ins Kamin legen.«
»Mocquet, ich wagte es nicht, Dich darum zu bitten, aber wenn Du es thust, auf Ehre, so ist das sehr schön von Dir.«
Mocquet holte im Hof einen Arm voll Holz. Er warf es ins Kamin und schob es mit dem Fuß zurecht; dann steckte er ein brennendes Zündhölzchen mitten ins Rebholz.
Augenblicklich knisterte das Feuer und schlug lustig und hell im Kamin empor.
Ich setzte mich auf den Schemel vor dem Herd und kleidete mich an.
Die Toilette war bald fix und fertig, das dürft ihr glauben.
Mocquet selbst war höchlich erstaunt darüber.
»Jetzt,« sagte er, »geschwind noch einen Tropfen parfait amour, und dann Marsch!«
Und Mocquet füllte zwei Gläschen mit einer gelblichen Flüssigkeit, die ich nicht zu kosten brauchte, um sie zu erkennen.
»Du weißt, daß ich niemals Schnaps trinke, Mocquet!«
»Nun weiß Gott, Sie sind mir ein schöner Sohn Ihres Vaters. Aber was wollen Sie denn sonst genießen?«
»Nichts, Mocquet gar Nichts.
»Sie kennen das Sprichwort: Wenn das Haus leer ist, so kehrt der Teufel ein! Nein, Sie müssen Ihrem Magen irgend Etwas zum Besten geben, so lang ich Ihre Flinte lade, denn ich muß doch dieser armen Mutter mein Wort halten.
»Nun gut, Mocquet, ein Stückchen Brod und ein Glas Pignolet.«
Der Pignolet ist ein geringer Wein, den man in den Nichtweinländern erzielt.
Man nennt ihn sprichwörtlich Dreimännerwein, weil drei Männer nöthig sind, um ihn zu trinken: derjenige, der trinkt, und zwei Andere, die den Trinkenden halten.
Ich war an den Pignolet so ziemlich gewöhnt und trank ihn ganz allein.
Ich schluckte also mein Glas Pignolet hinab, so lange Mocquet meine Flinte lud.
Ich bemerkte, daß er mit seiner Messerspitze ein Zeichen in meine Kugel machte.
»Was machst Du da, Mocquet?« fragte ich.
»Ein Kreuz in Ihre Kugel,« antwortete er. »Da Sie nahe bei mir stehen werden, so können wir zusammen schießen, und es ist nicht wegen der Prämie, ich weiß wohl, daß Sie mir diese überlassen werden, sondern wegen des Ruhmes; wenn der Wolf fällt, so ist es immer gut zu wissen, wer ihn getödtet hat. Also zielen Sie richtig«
»Ich werde mein Besten thun, Mocquet.«
»Da haben Sie Ihre Flinte jetzt geladen. Also vorwärts und den Lauf in die Höhe!«
Ich befolgte die kluge Mahnung des alten Waldschützen, und wir machten uns auf den Weg.
IX
Der Sammelplatz war auf der Straße von Chavigny.
Da trafen wir unsere Waldhüter und einen Theil unserer Schützen.
Nach zehn Minuten hatten diejenigen, die noch fehlten, uns eingeholt.
Einige Minuten vor fünf Uhr waren wir vollzählig.
Es wurde beschlossen, daß man den Dreieichenschlupf in großer Distanz umgeben, dann aber allmälig näher rücken und den Feind einschließen wolle.
Die Bewegung sollte so still als möglich der sich gehen, sintemal die Herren Wölfe die Gewohnheit haben, schon beim geringsten Lärm auszureißen.
Jeder« sollte seinen Weg genau untersuchen, damit man sich versicherte, ob der Wolf noch immer im Schlupf stecke.
Der Kreis verengerte sich, ohne heiß Jemand Spuren einer Flucht anzeigte.
Der Feldschütz hielt die Hunde Mocquets an der Koppel.
Jeder stellte sich an demjenigen Theil des Schlupfes auf, wohin sein Weg ihn gerade führte.
Der Zufall wollte, daß Mocquet und ich auf die nördliche Seite des Gehäges, d.h. auf diejenige, die mit dem Wald parallel lief, zu stehen kamen. Wie Mocquet vorausgesagt, hatten wir den besten Platz.
Es war wahrscheinlich, daß der Wolf in den Wald zu entkommen suchen und folglich auf unserer Seite herausbrechen würde.
Wir lehnten uns jeder an eine Eiche und waren fünfzig Schritte Von einander entfernt.
Dann warteten wir athemlos und ohne uns zu rühren.
Die Hunde wurden auf der entgegengesetzten Seite von uns losgekoppelt.«
Sie bellten zweimal auf und dann schwiegen sie wieder.
Der Feldschütz ging hinter ihnen her in den Schlupf, Indem er mit seinem Stock an die Bäume klopfte und ho ha ho rief.
Aber die Hunde waren wie angenagelt: die Augen hingen ihnen aus dem Kopf, ihre Lefzen waren aufgeworfen, ihre Haare sträubten sich.
Es war unmöglich, sie einen Schritt vorwärts zu bringen.
»He, Mocquet,« rief der Feldschütz, »das muß ein ganz gewaltiger Kerl von einem Wolf sein, denn Rocador und Tambelle wollen nicht anbeißen.«
« Mocquet hütete sich wohl zu antworten: der Ton seiner Stimme hätte dem Thier die Richtung verrathen, wo es Feinde zu finden hatte.
Der Feldschütz drang beständig vorwärts, indem er an die Bäume klopfte.
Die beiden Hunde folgten ihm, aber behutsam, von hinten, Schritt für Schritt, ohne Gebell und blos knurrend.
»Heiliges Gewitter!« rief der Feldschütz auf einmal, »ich bin ihm beinahe ans den Schwanz getreten. Der Wolf! der Wolf! der Wolf! Paß auf, Mocquet, paß auf!«
Und wirklich kam Etwas wie eine Kugel gegen uns.
Das Thier brach blitzschnell, gerade zwischen mir und Mocquet aus dem Schlupf hervor.
Es war ein ungeheurer Wolf, beinahe weiß vor Alter.
Mocquet feuerte seine beiden Schüsse auf ihn ab.
Er sah seine beiden Kugeln im Schnee aufprallen.
»Ei so schießen Sie doch,« rief er mir zu, »schießen Sie doch!«
Erst jetzt legte ich an, folgte dem Thier einen Augenblick und gab Feuer.
Der Wolf machte eine Bewegung, wie wenn er sich in die Schulter bisse.
»Getroffen! getroffen!« rief Mocquet; »der Junge hat getroffen! Mit den Unschuldigen ist der Herr!«
Inzwischen rannte der Wolf immer weiter und lief gerade auf Moynat und Mildet, die besten Schützen im ganzen Revier, zu.
Beide schoßen: das erste Mal in die Ebene, das zweite Mal in den Wald hinein.
Man sah die zwei ersten Kugeln sich kreuzen und Furchen im Schnee aufwerfen.
Diese zwei ersten Kugeln hatten den Wolf nicht berührt, aber ohne Zweifel war er unter den beiden andern gefallen.
Es war etwas unerhörtes, daß diese beiden Waldschützen einmal fehlschossen.
Ich hatte Moynat siebzehn Heerschnepfen hinter einander schießen gesehen.
Ich hatte Mildet ein Eichhörnchen, das von einem Baum auf den andern sprang, mitten entzweischießen gesehen.
Die Waldschützen waren dem Wolf in den Wald nachgelaufen.
Keuchend betrachteten wir die Stelle, wo sie verschwunden waren.
Wir sahen sie mit gesenkten Ohren und die Köpfe schüttelnd wieder zum Vorschein kommen.
»Nun, wie steht’s?« rief Mocquet ihnen entgegen.
»Ach was!« machte Mildet mit einer Armbewegung, »er ist jetzt in Taille-Fontaine.«
»In Taille-Fontaine!« rief Mocquet ganz verdutzt. »Die Tölpel haben ihn also alle zusammen gefehlt!«
»Warum denn nicht? Du hast ihn ja auch gefehlt.«
Mocquet schüttelte den Kopf.
»Ja, ja, sehe schon, es steckt irgend eine Teufelei dahinter,« sagte er. »Daß ich ihn gefehlt habe, ist zum Verwundern; doch ist es immerhin möglich. Aber daß Meynat ihn mit seinen beiden Schüssen gefehlt hat, daß Mildet ihn mit seinen beiden Schüssen gefehlt hat, nein, das geht nicht mit rechten Dingen zu.«
»Es ist aber doch so, mein guter Mocquet.
»Uebrigens haben Sie ihn getroffen, Sie,« sagte er zu nur.
»Ich . . . bist Du dessen gewiß?«
»Es ist eine Schande für uns Andere; aber so wahr ich mit meinem Familiennamen Mocquet heiße, so gewiß haben Sie ihn getroffen.«
»Nun gut, wenn ich ihn getroffen habe, so wird man das leicht sehen können, Mocquet. Er wird bluten. Laß uns schnell nachlaufen, Mocquet.«
Und ich wollte schon forteilen.
»Nein, bei Gott, nicht laufen,« rief Mocquet, indem er seine Zähne zusammenbiß und mit dem Fuß stampfte; »wir müssen im Gegentheil ganz langsam gehen, damit wir sehen, an was wir uns zu halten haben.«
Also langsam, aber jedenfalls laß uns geben.«
Und er begann der Spur des Wolfes Schritt für Schritt zu folgen.
»Bei Gott,« sagte ich »wir brauchen nicht zu fürchten, daß wir seine Fährte verlieren könnten; sie ist deutlich genug.«
»Ja, aber das ist es nicht, was ich suche.«
»Was suchst Du denn?«
»Sie werdens sogleich erfahren.«
Die Jäger, die mit uns den Schlupf umstellt, hatten sich zu uns gesellt und gingen hinter uns her, während der Feldschütz ihnen erzählte, was sich zugetragen hatte.
Mocquet und ich folgten den Spuren des Wolfes, die tief in den Schnee eingedrückt waren.
Als wir an den Platz kamen, wo ich das Thier getroffen haben sollte, sagte ich: »Siehst Du seht, Mocquet, daß ich doch gefehlt habe?
»Und warum sollten Sie gefehlt haben?«
»Ei man sieht ja kein Blut.«
»Dann suchen Sie einmal die Spur Ihrer Kugel im Schnee.«
Ich orientirte mich und ging in der Richtung weiter, die meine Kugel hatte nehmen müssen, im Fall sie wirklich den Wolf nicht berührt hatte.
Ich machte vergebens ein paar hundert Schritte.
Endlich kehrte ich zu Mocquet zurück.
Er winkte den Schützen sich um ihn zu sammeln.
»Nun,« sagte er zu mir, »und die Kugel?
»Ich habe sie nicht gefunden.«
»Da bin ich glücklicher gewesen als Sie; ich habe: sie gefunden.«
»Wie so? Du hast sie gefunden?«
»Drehen Sie sich einmal um und gehen Sie hinter mir drein.«
Ich führte das befohlene Manöver aus.
Die Jäger aus dem Schlupf hatten sich genähert.
Aber Mocquet hatte ihnen eine Linie bezeichnet, die sie nicht überschreiten sollten.
Die Schützen aus dem Walde kamen ebenfalls heran.
»Nun?« fragte Mocquet.
»Gefehlt! sagten Mildet und Meynat zugleich.
»Ich habe wohl gesehen, daß ihr in der Ebene gefehlt habt; aber im Wald . . .«
»Auch gefehlt!
Wißt ihr’s gewiß?«
»Man hat beide Kugeln in Baumstämmen gefunden.«
»Das ist kaum zu glauben,« meinte Watrin.
»Nein, man kann’s nicht glauben,« versetzte Mocquet, »und doch will Ich euch jetzt etwas noch Unglaublicheres zeigen.«
»Zeig’s!«
»Seht einmal den Schnee an. Was sehet ihr?«
»Die Fährte eines Wolfes, bei Gott!«
»Und bei seiner rechten Tatze, – da – was ist da?«
»Ein kleines Loch.«
»Nun! und ihr begreift nicht?«
Die Schützen sahen einander Verwundert an.
»Begreift ihr jetzt?« fuhr Mocquet fort.
»Unmöglich!« sagten die Schützen.
»Und es ist doch so, und ich will euch den Beweis liefern.«
Mocquet fuhren mit seiner Hand in den Schnee suchte einen Augenblick und zog mit einem Triumphgeschrei eine Platte Kugel hervor.
»Ei sieh da,« sagte ich, »das ist meine Kugel.«
»Sie erkennen sie also?«
»Ich glaub’s wohl, Du hast sie ja gezeichnet.«
»Und welches Zeichen habe ich hineingeschnitten?«
»Ein Kreuz.«
»Da seht ihr, meine Herren,« sagte Mocquet.
»Nun, so erklär’ es uns.«
»Seht ihr, er hat die gewöhnlichen Kugeln von sich abgelenkt, aber über die Kugel des Jungen, die ein Kreuz hatte, hat er keine Gewalt gehabt. Er hat sie in die Schulter bekommen, ich habe gesehen, wie er die Bewegung machte, als ob er sich beißen wollte.«
»Aber wenn er die Kugel in die Schulter bekommen hat,« fragte ich verwundert über das verblüffte Schweigen der Andern, »Wie kommt’s, daß sie ihn reicht getödtet hat?«
»Weil sie weder von Gold noch von Silber war, mein liebes Kind, und weil bloß goldene oder silberne Kugeln die Haut des Teufels ritzen und diejenigen tödten können, die einen Vertrag mit ihm geschlossen haben.«
»Aber Mocquet,« sagten die Schützen mit einem Schauder, »glaubst Du also . . .«
»Ja, ich wollte darauf schwören, daß wir’s mit dem Wolf des Holzschuhmachers Thibault zu thun gehabt haben.«
Die Waldschützen und die Jäger sahen einander an.
Zwei oder drei bekreuzten sich.
Alle schienen Mocquets Ansicht zu theilen und den Wolf des Holzschuhmachers Thibault wohl zu kennen.
Ich allein wußte Nichts von ihm.
»Ei,« drängte ich, »so sag mir doch endlich ein mal, was es mit diesem Wolf des Holzschuhmachers Thibault für eine Bewandtniß hat.«
Mocquet wollte nicht sogleich antworten.
»Ach ja, wahrhaftig,« rief er endlich, »der General hat mir gesagt, ich könne Ihnen die Geschichte erzählen, wenn Sie einmal fünfzehn Jahre alt seien. Sie sind jetzt so alt, nicht wahr?«
»Ich bin sechzehn Jahre alt,« antwortete ich mit Stolz.
»Nun wohl, der Wolf des Holzschuhmachers Thibault, mein lieber Herr Alexander, das ist der Teufel. Sie haben gestern Abend eine Geschichte von mir verlangt, nicht wahr?«
»Ja.«
»Kommen Sie jetzt mit mir in mein Haus zurück, so will ich Ihnen eine Geschichte erzählen, und zwar eine schöne.«
Waldschützen und Jäger trennten sich mit stillem Händedruck; jeder zog seines Wegs, und ich ging mit Mocquet heim, der mir die nachfolgende Geschichte erzählte.
Vielleicht werdet ihr mich fragen, warum ich euch diese Geschichte, da ich sie doch schon so lange wisse, noch nicht erzählt habe. Ich antworte, daß sie sich in einer Lade meines Gedächtnisses befand, die beständig verschlossen geblieben ist und sich erst vor drei Tagen wieder geöffnet hat. Ich könnte euch auch sagen, bei welcher Gelegenheit; aber wahrscheinlich würde euch diese Erzählung, die uns nur hindern würde, auf die eigentliche Geschichte einzugehen, nicht sonderlich interessieren. Ich will daher lieber meine Erzählung sogleich beginnen.
Ich sage
I
Er war ein gewaltiger Jäger, der edle Herr Jean, Baron von Vez.
Wenn ihr in dem schönen Thal hingehet, das von Berval nach Longpré führt; so erblicket ihr links einen alten Thurm, der euch um so höher und furchtbarer erscheinen wird, als er ganz vereinzelt steht.
Gegenwärtig gehört er einem alten Freunde des Erzählers dieser Geschichte, und Jedermann ist dermaßen an seinen furchtbaren Anblick gewöhnt, daß der nächste beste Bauer im Sommer eben so furchtlos den Schatten seiner hohen Mauern sucht, wie die Dohlen mit ihren großen schwarzen Flügeln und ihrem gellen Geschrei, und die sanft zwitschernden Schwalben die alljährlich ihre Nester hier aufhängen.
Aber zur Zeit, von welcher wir sprechen, d.h. gegen das Jahr 1780, bot das Herrenhaus von Vez nicht dasselbe Bild dar und gewährte, man muß es sagen, nicht dieselbe Sicherheit. Es war ein düsteres, strenges Gebäude aus dem 12. oder 13. Jahrhundert, und äußerlich wenigstens hatte die Reihenfolge der Jahre Nichts von seiner schreckenerregenden Physiognomie weggenommen. Allerdings ging keine Schildwache mehr in gemessenem Schritt und blankem Helm auf den Wällen hin und her; kein Bogenschütze mit gellem Horn wachte mehr auf seinem Thurme; am Schlupfthor standen keine zwei Bewaffnete mehr, um beim mindesten Lärmzeichen das Schutzgatter fallen zu lassen und die Brücken aufzuziehen. Aber schon die Einsamkeit des Gebäudes, wo sich alles Leben in den Mittelpunkt zurückgezogen zu haben schien, verlieh dem düstern Granitriefen, besonders bei Nacht, die furchtbare Majestät stummer Unbeweglichkeit.
Gleichwohl war der Herr dieser alten Burg kein böser Geselle, und, wie seine genaueren Bekannten sagten, die ihm mehr Gerechtigkeit widerfahren ließen als Andere, es war bei ihm mehr Geschrei als Wolle, und er jagte den Christenmenschen mehr Angst ein, als er ihnen Leid anthat.
Wir sagen wohlverstanden den Christenmenschen, denn den Thieren des Waldes war er ein erklärter und unversöhnlicher Todfeind.
Er war Wolfsjägermeister des Herrn Ludwig Philipp von Orleans, des vierten seines Namens, und dieses Amt gestattete ihm, seiner zügellosen Leidenschaft für die Jagd nach Herzenslust zu fröhnen.
In allen Dingen, obschon es nicht so leicht ging, war es noch möglich den Baroit Jean Vernunft beizubringen; aber hatte sich der würdige Herr einmal in Jagdangelegenheiten eine Idee in den Kopf gesetzt, dann mußte er auch um jeden Preis seinen Willen durchsetzen.
Er hatte, sagte man, eine natürliche Tochter des Prinzen geheirathet, was ihm, außer seinem Titel als Wolfsjägermeister, eine beinahe unbeschränkte Gewalt über die Waldbesitzungen seines erlauchten Schwiegervaters verschaffte, eine Gewalt, die ihm auch Niemand zu bestreiten sich einfallen ließ, besonders seit der Herzog von Orleans, nach seiner abermaligen Vermählung mit Frau von Montesson im Jahre 1773, sein Schloß zu Villers-Coterets beinahe gänzlich verlassen hatte und in seinem reizenden Hause in Bagnolet blieb, wo er die Schöngeister der Zeit empfing und Comödie spielte.
Es war daher eine große Seltenheit, wenn nicht jeden Tag, den Gott gab, ob nun die Sonne die Erde erfreute, ob der Regen ihr ein trübes Aussehen gab, ob der Winter die Felder mit seinem weißen Leichentuch bedeckte, ob der Frühling seinen grünen Teppich über die Wiesen breitete, es war, sage ich, eine große Seltenheit, wenn nicht jeden Morgen zwischen acht und neun Uhr das Hauptthor des Schlosses seine beiden Flügel öffnete, worauf dann der Zug in nachstehender Ordnung sieh hinaus ergoß. Zuerst kam der Baron Jean, dann sein Oberrüdenknecht Markotte, dann die andern Rüdenknechte, dann die angekoppelten Hunde, am Riemen gehalten von den Hundejungen und unter die Oberaufsicht des Meisters Engoulevent gestellt, eines zukünftigen Rüdenknechts, der, wie einst der Scharfrichter in Deutschland, als der letzte unter den Edelleuten und der erste unter den Bürgern allein hinter dem Adel und vor der Bürgerschaft einherschritt, seinerseits unmittelbar nach den Rüdenknechten und vor den Hundejungen kam, denn er war der erste unter den Hundejungen und der letzte unter den Rüdenknechten.
Es war ein stattlicher Aufzug: englische Pferde, französische Hunde; zwölf Pferde, vierzig Hunde.
Zuvörderst müssen wir berichten, daß der Baron Jean mit diesen zwölf Pferden und diesen vierzig Hunden auf alle Thierarten Jagd machte.
Aber ohne Zweifel that er es seinem Titel zu Lieb, daß er vorzugsweise gern dem Wolf zu Leibe ging. Aechte Jäger mögen die Feinnäsigkeit und Tüchtigkeit seiner Hunde daraus erkennen, daß er, nach dem Wolf, dem wilden Schwein den Vorzug ertheilt; nach dem wilden Schwein kam der Hirsch, dann der Damhirsch, dann das Reh. Endlich, wenn die Hundejungen das Nest leer fanden, koppelte er auch aufs Gerathewohl los und band mit dem nächsten besten Hasen an; denn, wie schon gesagt, er jagte alle Tage, der würdige Herr, und er wäre lieber einen ganzen Tag ungegessen und ungetrunken geblieben, obschon er häufig Durst litt, als daß er vierundzwanzig Stunden zugebracht hätte, ohne seine Hunde laufen zu sehen.
Aber man weiß es ja, die Pferde mögen noch so schnell, die Hunde mögen noch so fein sein, die Jagd hat nun einmal ihre guten und ihre bösen Viertelstündchen.
Eines Tags erschien Markotte ganz verdutzt auf dem Platze, wo der Baron Jean ihn erwartete.
»Nun, Markotte,« fragte der Baron Jean mit gerunzelten Brauen, »was gibts denn wieder, ich sehe Dir’s an, daß die Jagd heute schlecht ablaufen wird.
Markotte schüttelte den Kopf.
»Ei so sprich doch!,« drängte der Baron mit ungeduldiger Geberde.
»Nun ja, gnädiger Herr, ich habe von dem schwarzen Wolf Wind bekommen.«
»Ah schön, schön!« rief der Baron Jean mit funkelnden Augen.
Und in der That war es schon das fünfte oder sechste Mal, daß der würdige Herr besagtes, an seinem ungewohnten Pelz so leicht erkenntliches Thier aufgetrieben hatte, ohne daß es ihm gelingen wollte, in Schußweite zu kommen oder es mit den Hunden zu fangen.
»Ja,« fuhr Markotte fort, »aber die Teufelsbestie hat ihre Nacht so gut angewandt, sie hat ihre Fährten dermaßen gekreuzt und vermischt, daß ich, nachdem ich den halben Wald durchstreift hatte, wieder auf meinen Ausgangspunkt zurückkam.«
»Du glaubst also, Markotte es sei keine Hoffnung vorhanden, dem Thier an den Pelz zu kommen?«
»Ich glaube nicht.«
»Alle Teufel!« rief Herr Jean, der größte Flucher, der seit dem seligen Nimrod auf dem Erdboden erschienen, »und doch ist es mir heute gar nicht recht just zu Muthe, es muß also unter allen Umständen irgend ein Thier aufgetrieben werden, um meine Lebensgeister zu erfrischen. Sag, Markotte, was können wir statt dieses verdammten schwarzen Wolfes jagen?«
»Leider,« antwortete Martern, »habe ich mich so gänzlich mit ihm beschäftigt, daß ich kein anderes Thier aufgetrieben habe.
Wenn der gnädige Herr vielleicht aufs Gerathewohl loskoppeln und das erste beste Thier, das aufstößt, jagen wollte?«
Der Baron Jean wollte eben Markotte antworten, daß ihm dies genehm sei, als er den kleinen Engoulevent mit dem Hut in der Hand herankommen sah.
»Warte,« sagte er, »da kommt Meister Engoulevent, der uns, wie es scheint, einen Rath zu ertheilen hat.«
»Ja; habe einem edlen Herrn, wie Ihr seid, einen Rath zu ertheilen,« antwortete Engoulevent; indem er seinem schlauen, verschmitzten Gesichte einen demüthigen Ausdruck gab, »aber es ist meine Pflicht, zu melden, daß ich ganz in der Nähe einem schönen Damhirsch auf die Spur gekommen bin.«
»Den wollen wir näher sehen, Engoulevent,« antwortete der Wolfsjägermeister, »und wenn Du Dich nicht getäuscht hast, so bekommst Du einen neuen Thaler.«
»Wo ist Dein Damhirsch?« fragte Markotte. »Aber nimm Deine Haut in Acht, wenn wir Deinetwegen vergebens lostoppeln müssen.«
»Gebt mir den Matador und den Jupiter, dann wollen wir bald sehen.«
Matador und Jupiter waren die zwei besten Angriffshunde des edlen Herrn von Vez.
Engoulevent war auch noch keine hundert Schritte mit ihnen im Gebüsch vorgedrungen, als er bereits aus ihrem Gewedel und Gebell ersehen konnte, daß sie die Fährte aufnahmen.
Und in der That stieß der Damhirschs ein prächtiger Zehnender, beinahe augenblicklich den Hunden auf. Die ganze Meute wurde losgekoppelt und schloß sich den beiden Veteranen an. Markotte rief: Aufgeschaut! gab mit dem Horn das Signal, daß ein Thier aufgejagt war, und nun begann die Jagd, zur großen Befriedigung des edlen Herrn von Vez, der obschon er seinen schwarzen Wolf nicht verschmerzen konnte, dennoch auch mit einem Damhirsch von zehn Enden vorlieb nahm.
Die Jagd währte schon zwei Stunden und der Damhirsch hielt noch immer Stand. Er hatte die Jagd aus dem Wäldchen von Haramont bis auf den Galgenweg und von da bis an’s äußerste Ende von Oigny verlockt, und er trug noch immer seinen Kopf hoch, denn er war keines von diesen Thieren des Flachlandes, die sich von elenden Dachshunden am Schwanze zupfen lassen.
Aber als es auf den Boden von Bourgfontaine kam, da mochte sich das Thier doch unbehaglich fühlen, denn es verzichtete jetzt auf die großen Kraftanstrengungen, wodurch es bisher seinen Vorsprung gewonnen hatte, und begann zu wechseln.
Zuerst sprang es in den Bach, der aus dem Teich von Baisemont in den Teich von Bourg führt, und watete ihn eine Viertelstunde weit hinauf, obschon ihm das Wasser bis an die Kniee ging; dann machte es einen Sprung nach rechts, sprang von Neuem in den Bach, machte einen Sprung nach links und jagte nun in so gewaltigen Sätzen, als ihm der Rest seiner Kräfte nur immer gestattete, weiter.
Aber die Hunde des edlen Herrn Jean ließen sich durch solche Kleinigkeiten nicht irre machen.
Als verständige Hunde und von guter Rate theilten sie sich von selbst in die Aufgabe. Die einen liefen am Bach hinauf, die andern hinab; die einen schnüffelten rechts, die andern schnüffelten links, bis sie sich endlich aus den Ränken des Thieres zurechtfanden und seine Fährte wieder bekamen; beim ersten Schrei, den einer von ihnen ausstieß, sammelten sie sich dann um diesen, Und nun begannen sie ihre Verfolgung aufs Neue mit einem Feuereifer, als ob der Damhirsch zwanzig Schritte vor ihnen stände.
In beständigem Galopp, unter beständigem Blasen und Gebell, kamen Baron Jean, die Rüdenknechte und die Meute an die Teiche von Saint-Antoine, einige hundert Schritte von dem Waldsaum von Oigny.
Hier, zwischen dem Waldsaum von Oigny und der Hecke von Osoraies, erhob sich die Hütte des Holzschuhmachers Thibault.
Sagen wir mit ein paar Worten, wer der Holzschuhmacher Thibault, d. h. der eigentliche Held unserer Geschichte, war.
Vielleicht wird man mich fragen, wie ich, der ich Könige auf den Schauplatz beschieden, der ich Prinzen, Herzöge und Barone gezwungen habe, untergeordnete Rollen in meinen Romanen zu spielen, wie ich jetzt auf einmal dazu komme, einen simpeln Holzschuhmacher zum Helden dieser Geschichte zu erkiesen.
Ich antworte fürs Erste, daß es in meinem lieben Villers-Coterets mehr Holzschuhmacher als Barone, Herzoge und Prinzen gibt, und daß ich, wenn ich einmal die Absicht hatte, den umliegenden Wald zum Schauplatz der Ereignisse zu machen, die ich erzählen will, schlechterdings einen der wirklichen Bewohner desselben nehmen mußte, da ich keine Fantasiebilder, wie die
Ferner nimmt der Autor sein Sujet nicht, sondern das Sujet nimmt ihn, und so ist es mir mit diesem ergangen, mag man es nun gut oder schlecht finden.
Ich will also ein Bild des Holzschuhmachers Thibault zu entwerfen versuchen, und werde auf das Conterfei dieses ganz simpeln Sterblichen so fiel Fleiß verwenden, als ein Maler auf ein Portrait, das ein regierender Fürst seiner Braut schicken will.
Thibault war ein Mann von fünf- bis siebenundzwanzig Jahren, groß, schlank, kräftig, aber mit einer natürlichen Hinneigung zur Wehmuth. Diese Wehmuth entsprang bei ihm aus einer kleinen Dosis Neid, den er, vielleicht ohne Willen und Wissen, gegen seinen vom Glück mehr Begünstigten Nebenmenschen empfand.
Sein Vater hatte einen Fehler begangen, der zu allen Zeiten schwer ist, aber in jener Epoche des Absolutismus, wo Niemand sich über seinen Stand emporzuschwingen vermochte, noch weit schwerer war, als in unserer Zeit, wo ein fähiger Bursche es zu Allem bringen kann.
Er hatte ihm eine Erziehung geben lassen, die weit über seine sociale Stellung hinausging. Thibault war beim Abbé Fortier, dem Lehrer von Villers-Coterets, in die Schule gegangen; er konnte lesen, schreiben und rechnen; er hatte sogar etwas Latein gelernt, worauf er sich nicht wenig einbildete.
Thibault hatte viel Zeit auf das Lesen verwendet. Er hatte besonders diejenigen Bücher gelesen, die am Ende des vorigen Jahrhunderts an der Tagesordnung waren. Ein ungeschickter Chemiker, hatte er das Gute vom Schlechten nicht zu scheiden verstanden, oder vielmehr, er hatte das Schlechte ausgeschieden, hatte dieses hauptsächlich in großen Dosen verschlungen und das Gute auf den Grund des Glases hinabsinken lassen.
Freilich hatte Thibault mit zwanzig Jahren von etwas ganz Anderem geträumt, als daß er Holzschuhmacher werden sollte. Er dachte einen Augenblick an den Kriegerstand.
Aber seine Kameraden, welche die doppelte Livree des Königs und Frankreichs getragen hatten und als Soldaten in den Dienst getreten waren, hatten sämmtlich als Gemeine den Abschied bekommen und sich in fünf- oder sechsjähriger drückendster Knechtschaft nicht einmal die Corporalsborten erwerben können.
Thibault dachte einen Augenblick an den Marinedienst.
Aber eine Laufbahn in der Marine war den Plebejern noch weit strenger verschlossen als in der Landarmee.
Nach fünfzehn bis zwanzig Jahren, voll von Gefahren aller Art, von Stürmen und Kämpfen, konnte er es im besten Fall bis zum Bootsmann bringen.
Nun war Thibaults Ehrgeiz nicht aus das kurze Wamms und die Hose von Segeltuch gerichtet, sondern auf den königsblauen Frack, die rothe Weste und die goldene Epaulette, die einer Katzenpfote gleicht.
Aber es war nicht ein einziges Beispiel vorhanden, daß der Sohn eines Holzschuhmachers Fregattencapitain, oder auch nur Lieutenant, ja selbst Fähnrich geworden wäre.
Er mußte auf den Marinedienst verzichten.
Thibault wäre auch nicht ungern Notar geworden. Er dachte einen Augenblick daran, bei Herrn Niquet, dem königlichen Gerichtsschreiber, als Laufjunge einzutreten und sich mit seinen Kniekehlen und der Federspitze seine Grade zu erwerben.
Aber wenn er es einmal bis zum Oberschreiber mit hundert Thalern jährlich gebracht hatte, woher sollte er dann die dreißigtausend Franken nehmen, die selbst das armseligste Dorfbureau kostet?
Es war also ehenso unmöglich, Gerichtsschreiben als Land- oder Marineoffizier zu werden.
Mittlerweile starb Thibaults Vater.
Er hinterließ wenig baares Geld, blos ungefähr die Beerdigungskosten.
Man beerdigte ihn also, und da blieben für Thibault noch drei oder vier Pistolen übrig.
Thibault verstand sein Handwerk sehr gut: er war ein ausgezeichneter Holzschuhmacher. Aber die beständige Beschäftigung mit dem Bohrer und dem Holzmesser sagte seinen Neigungen nicht zu.
So geschah es denn, daß er, nachdem er in einer letzten Regung von Klugheit das Handwerkszeug seines Vaters bei einem Freund in Verwahrung gegeben, alle seine Möbel, vom ersten bis zum letzten, verkaufte und mit dem Erlös, der sich auf 540 Franken belief, die sogenannte Tour durch Frankreich zu machen beschloß.
Thibault blieb drei Jahre unterwegs. Er hatte auf seiner Wanderschaft kein Glück gemacht, aber er hatte Mancherlei gelernt, was er noch nicht gewußt, und sich Talente erworben, die er noch nicht besessen hatte.
Er hatte gelernt, daß es zwar schicklich und räthlich sein möge, einem Geschäftsmann gegenüber sein Wort: einzulösen, daß es aber ganz und gar unnöthig sei, einem Mädchen einen Liebesschwur zu halten.
So viel von seiner moralischen Ausbildung.
Was seine physische Entwickelung betraf, so war er ein Meister im Guiguentanz geworden, hatte das Stockfechten so gut gelernt, daß er sich gegen vier Mann vertheidigen konnte, und führte den Spieß trotz dem besten Jägerburschen.
Alles das hatte nicht: wenig dazu beigetragen, Thibaults angebornen Stolz noch zu vergrößern, und da er sah, daß er schöner, kräftiger und gewandter war, als mancher Adelige, so fragte er die Vorsehung: »Warum bin ich nicht als Edelmann geboren worden, und warum ist dieser und jener Edelmann nicht als Bauer auf die Welt gekommen?«
Aber da es der Vorsehung gar nicht einfiel, auf Thibaults Interpellationen Rede zu stehen, da er ferner mit seinem Tanzen, Stockfechten und Spießwerfen sich nur ermüdete, ohne für seines Leibes Nothdurft und Nahrung zu sorgen, so dachte er zuletzt wieder an sein altes bescheidenes Handwerk und sagte zu sich, so gut es den Vater ernährt habe, so gut werde es wohl auch den Sohn ernähren.
Er holte also sein Handwerkszeug wieder und ging damit schnurstracks zum Intendanten der Güter des Herzogs Ludwig Philipp von Orleans. Er bat um Erlaubniß eine Hütte im Wald zu bauen, wo er sein Gewerbe treiben könnte, und dies wurde ihm gern gewährt, weil der Intendant aus Erfahrung wußte daß der Herr Herzog von Orleans ein sehr menschenfreundlicher Herr war und nicht weniger als 240,000 Franken jährlich den Armen schenkte. Warum sollte er also nicht einem brauen Handwerker, der arbeiten wollte, dreißig oder vierzig Fuß Land vergönnen?
Da es Thibault freigestellt wurde, seinen Wohnsitz an irgend einem beliebigen Platz in; Walde: aufzuschlagen, so wählte er den Kreuzweg von Osières, der in der schönsten Gegend des Waldes lag, eine Viertelstunde von Oigny und drei Viertelstunden von Villers-Coterets.
Der Holzschuhmacher baute also seine Werkstatt, halb mit den alten Brettern, die Herr Parisis, ein Holzhändler in der Nachbarschaft, ihm schenkte, halb Mit der Aesten, die ihm der Intendant im Wald abzuhauen erlaubte.
Die Hütte bestand aus einem wohlverwahrten Schlafzimmer, wo er im Winter, und einem Schirmdach, wo er im Sommer arbeiten konnte. Als sie fertig war, bereitete er sich auch ein Bett.
Dieses Bett war für den Anfang weiter nichts, als eine Streu von Farnkraut.
Nachdem er sodann etwa hundert Paar Holzschuhe gemacht und an den Krämer Bedeu in Villers-Coterets verkauft hatte, gab er von diesem ersten Gelde ein Draufgeld auf eine Matratze, zu deren Abbezahlung man ihm ein Vierteljahr Zeit ließ.
Die Bettstatt war nicht schwer herzustellen.
Thibault war nicht blos Holzschuhmacher, sondern auch ein wenig Schreiner. Er machte steh eine hölzerne Bettstatt, flocht aus Garten und Weidenzweigen eine Unterlage zusammen, legte seine Matratze darauf, und das Nachtlager war fertig.
Dann kamen allmählig und nach und nach die Betttücher und die Decken.
Hierauf das Kohlenbecken, um Feuer zu machen, die irdene Casserolle, um auf dem Kohlenbecken zu kochen, endlich das Fayencegeschirr, um das Gekochte darauf zu essen.
Nach Jahresfrist vermehrte sich Thibaults Mobiliar um eine schöne eichene Mulde und einen schönen Nußbaumschrank, zwei Stücke, die er, wie seine Bettstatt, ganz allein machte.
Und bei all dem ging das Handwerk, denn Thibault suchte Seinesgleichen, um aus einem Stück Buchenholz ein Paar Holzschuhe herauszubekommen und die Abfälle seiner Hauptarbeit noch zu Löffeln, Salzbüchschen, kleinen Mulden und dergl. zu verwerthen.
Thibault war also seit drei Jahren, d.h. seit seiner Rückkehr von seiner Reise durch Frankreich, in seiner Werkstatt eingerichtet, und während dieser ganzen Zeit hatte man ihm nur eins vorwerfen können, was wir Ihm bereits vorgeworfen haben, nämlich,daß er das Glück seiner Nebenmenschen mit neidischeren Augen ansah, als für sein Seelenheil ersprießlich sein mochte.
Aber diese Empfindung war bis jetzt noch so harmlos bei ihm, daß höchstens sein Beichtvater ein Recht hatte, ihm ein Verbrechen vorzuhalten, das in seiner Seele vorläufig erst im Stadium der Sünde existierte.
II
Der Damhirsch war also, wie wir bereits erzählt haben, bis auf den Waldsaum von Oigny gehetzt worden, wo er sich um Thibaults Hütte herum drehte und wand.
Nun arbeitete Thibault, da es ein schöner Spätherbsttag war, unter seinem Schirmdach an einem Holzschuh.
Auf einmal bemerkte er, dreißig Schritte vor sich, den Damhirsch, der schaudernd und zitternd auf seinen vier Beinen stand und ihn angstvoll mit seinen klugen Augen anschaute.
Thibault hörte schon lange die Jagd, die in der Umgegend von Oigny angestellt wurde, und bald näher kam, bald sich entfernte, jetzt aber von Neuem in die Nähe des Dorfes rückte.
Der Anblick des Damhirsches überraschte ihn also nicht im Geringsten.
Er stellte, die Bewegung mit seinem Bohrer, den er so fleißig handhabte, ein und besah sich das Thier.
»Beim heiligen Holzschuhtag!« sagte er – wir brauchen wohl kaum zu bemerken, daß der heilige Holzschuhtag das Fest der Holzschuhmacher ist – »beim heiligen Holzschuhtag, das ist ein schönes Exemplar und gäbe ein herrliches Seitenstück zu der Gemse, von der ich in Vienne beim großen Bankett der Handwerksburschen vom Dauphiné gegessen habe. Glücklich diejenigen, die sich alle Tage ein Stück von einem solchen Thiere unter die Zähne schieben können. Ich habe ein einziges Mal in meinem Leben, vor bald vier Jahren, ein solches Stück gegessen, und noch nach vier Jahren läuft mir das Wasser im Munde zusammen, so oft ich daran denke. O die vornehmen Herrn! die vornehmen Herrn! Sie haben bei jedem Mahl frisches Fleisch und alte Weine, während ich die ganze liebe Woche lang Kartoffeln essen und Wasser trinken muß; kaum daß ich mir Sonntags mit einem elenden Brocken ranzigen Speck, mit einem Teller voll Kohl, der meistens schon mufft, und einem Glas Pignolet, der Einem die Löcher in den Strümpfen zusammenziehen könnte, gütlich thun darf.«
Begreiflicherweise war der Damhirsch schon beim Beginn dieses Selbstgesprächs weiter geteilt.
Thibault hatte Satz für Satz mit Gefühl ausgesprochen und war eben bei dem glücklichen Schluß, den wir mitgetheilt haben, angelangt, als eine derbe, rauhe Stimme ihm zurief:
»Holla! Du Lümmel, gib mir Antwort!«
Es war der edle Herr Jean, dessen Hunde nicht recht im Klaren waren, und der sich versichern wollte, ob sie keine.falsche Richtung eingeschlagen hatten..
»Hollah! Du Lümmel,« sagte der Wolfsjägermeister, »hast Du das Thier gesehen?«
Ohne Zweifel mißfiel die Frageweise des Barons dem philosophischen Holzschuhmacher; denn obschon er recht gut wußte, von was es steh handelte, so fragte er doch:
»Was für ein Thier?«
»Zum Henker, den Damhirsch, auf den wir Jagd machen! Er kann höchstens fünfzig Schritte von da vorüber gekommen sein, und da Du doch weiter nichts thust, als Maulaffen feil halten, so mußt Du ihn gesehen haben. Es ist ein Zehnender, nicht wahr? Wohin hat er seinen Wechsel genauem? Ei so sprich doch, Schlingel, oder ich lasse Dir mit dem Steigbügelriemen aufmessen.«
»Daß Du die Pest kriegst, Du Hurensohn!« sagte der Holzschuhmacher vor sich hin.
Dann antwortete er laut und mit erkünstelter Naivität:
»Ja wohl, ich habe ihn gesehen.«
»Ein Männchen, nicht wahr, mit prächtigem Geweih; ich hab’ es gesehen, wie ich den gnädigen Herrn sehe. Laufen und springen kann es, daß es eine wahre Lust ist, ihm zuzusehen.«
In einem andern Augenblick würde der Baron Jean über diese letzte Bemerkung gelacht haben, aber jetzt hatte er über den Ränken des Thieres das St. Hubertusfieber bekommen.
»Höre, Kerl, schwatz mir kein dummes Zeug. Wenn Du vielleicht bei guter Laune bist, so bin doch ich es nicht.«
»Ich werde bei derjenigen Laune sein, die der gnädige Herr befehlen wird.«
»So antworte einmal.«
»Der gnädige Herr hat ja noch Nichts gefragt.«
»Sah der Damhirsch müde aus?«
»Nicht sonderlich.«
»Woher kam er?«
»Er kam nicht, er stand da.«
»Er mußte aber doch irgendwoher kommen.«
»Das ist allerdings wahrscheinlich, aber ich habe ihn nicht kommen gesehen.«
»Und wohin ist er gegangen?«
»Das würde ich Euch gerne sagen, aber ich habe ihn nicht weggehen gesehen.«
Der edle Herr von Vez warf Thibault einen zornigen Blick zu.
»Ist es schon lange her, daß der Damhirsch da vorbeikam, Du Schlingel?«
»Noch nicht sehr lange, gnädiger Herr.«
»Wie lange etwa?«
Thibault that, als ob er in seinen Erinnerungen suchte.
»Es war, glaube ich, vorgestern,« antwortete er zuletzt.
Nur konnte der Holzschuhmacher bei diesen Worten ein Lächeln nicht verbergen.
Dieses Lächeln entging dem Baron Jean nicht.
Ei: gab seinem Pferde die Sporen und kam mit aufgehobener Peitsche auf Thibault zu.
Thibault war flink. Mit einem Sprung befand er sich unter seinem Schirmdach, wohin ihm der Wolfsjäger nicht folgen konnte, so lang er auf seinem Pferd sitzen blieb.
Thibault befand sich also für den Augenblick in Sicherheit.
»Du spottest und Du lügst,« rief der Jäger; »denn zwanzig Schritte von da schlägt Marcassino, mein bester Hund, von Neuem an; wenn also der Damhirsch da vorbeigekommen ist, wo Marcassino steht, so muß er über die Hecke gesprungen sein, und dann mußt Du ihn nothwendig gesehen habe.«
»Bitte um Verzeihung, gnädiger Herr, aber unser Pfarrer sagt, daß nur der Papst unfehlbar sei, und Herr Marcassino kann sich täuschen.«
»Marcassino täuscht sich nie, verstehst Du mich, Du Lumpenhund? und der beste Beweis ist, daß ich von hier aus die Stelle sehe, die der Damhirsch aufgescharrt hat.«
»Gleichwohl, gnädiger Herr, kann ich Euch versichern und sogar schwören . . . « sagte Thibault, der mit Unruhe bemerkte, wie die schwarzen Brauen des Barons sich zusammenzogen.
»Halts Maul und komm heraus, Du Lümmel!« rief Herr Jean.
Thibault besann sich einen Augenblick, aber das Gesicht des Jägers wurde immer drohender; er begriff, daß ein Ungehorsam ihn noch mehr in Harnisch jagen würde, und in der Hoffnung, der Wolfsjäger könnte ihn vielleicht: um irgend einen Dienst ansprechen, beschloß er, sein Asyl zu verlassen.
Es bekam ihm schlecht, denn kaum war er vier Schritte unter dem schützenden Dach hervorgetreten, als der edle Herr von Vez sein Pferd emporriß und spornte, so das; es mit einer einzigen Flucht neben den Holzschuhmacher zu stehen kam, der im selben Augenblick einen wüthenden Hieb mit dem Peitschenstiel über den Kopf erhielt.
Betäubt taumelte er vorwärts, verlor das Gleichgewicht und würde eben mit dem Gesicht auf die Erde gefallen sein, wenn nicht der Baron Jean seinen Fuß ans dem Steigbügel gezogen und ihm einen so derben Tritt auf die Brust versetzt hätte, daß der arme Teufel nicht blos wieder emporschnellte sondern sogar eine ganz andere Richtung nahm und rücklings gegen die Thür seiner Hütte fiel.
»Siehst Du,« sagte der Baron, indem er ihn zuerst mit dem Peitschenstiel und dann mit dem Fußtritt bedachte, »das hast Du für Dein Lügen und das für Dein Spotten.«
Ohne sich weiter um Thibault zu bekümmern, der alle Viere von sich streckte, gab Herr Jean jetzt, da er bemerkte, daß seine Meute sich auf Marcassino’s Gebell wieder gesammelt hatte, seinen Hunden ein lustiges Hornsignal und ritt in kurzen: Galopp davon.
Thibault stand mit großen Schmerzen wieder auf und befühlte sich von Kopf zu Fuß, um sich zu überzeugen, ob er nichts gebrochen habe.
»Schon gut,« sagte er, nachdem er ein Glied ums andere gestreichelt hatte, »ich bin noch zufrieden, daß ich weder oben noch unten etwas gebrochen habe. Ha, Herr Baron, so gehet Ihr also mit den Leuten um, weil Ihr die Bastardtochter eines Prinzen geheiratet habt? Aber obschon Ihr Wolfsjägermeister und ein gewaltiger Nimrod seid, so sollt Ihr doch den Damhirsch nicht essen, den Ihr jaget; der Lumpenhund, der Lümmel, der Schlingel von Thibault soll ihn essen. Ja, ja, ich schwöre es, daß ich ihn essen werde,« rief der Holzschuhmacher, indem er sich immer mehr in seinem waghalsigen Entschluß bestärkte, »und ich müßte kein Mann sein, wenn ich diesen Eid nicht halten sollte.«
Er steckte schnell seine Hippe in den Gürtel, nahm seinen Spieß, horchte aus das; Gebell der Hunde, orientirte sich, und indem er selbst die Saite des Bogens wurde, dessen Kreis der Damhirsch und die Meine bildeten, suchte er, so schnell als ihn seine Beine trugen, ihnen den Rang abzulaufen.
Thibault hatte freie Wahl: er konnte dem Damhirsch auflauern und ihn mit seinem Spieß erlegen, oder er konnte in dem Augenblick, wo das Thier den Hunden erliegen mußte, über dasselbe herfallen und sich seiner bemächtigen.
Der Wunsch, sich wegen der Brutalität des Barons Jean zu rächen, war bei Thibault nicht so überwiegend, daß er nicht während seines Eilmarsches zugleich an die leckern Mahlzeiten gedacht hätte, die er sich beinahe einen ganzen Monat lang aus den Schultern, Rückenstücken und Lenden des Damhirsches bereiten konnte, ob er sie nun gehörig in Essig legte, ob er sie am Spieß oder schnittenweise in der Pfanne briet.
Im Uebrigen zerschmolzen diese beiden Ideen Rache und Eßgier in seinem Hirn dermaßen mit einander, daß er, während er aus Leibeskräften seinem Ziele zulief, nicht umhin konnte, in seinen Bart zu lachen, wenn er sich die jammervollen Gesichter dachte, welche der Baron und seine Leute bei ihrer Heimkehr von dieser schmählich verunglückten Expedition schneiden würden; wie behaglich es dagegen ihm selbst zu Muthe sein müßte, wenn er sich bei verschlossener Thüre und einem guten Schoppen Wein an einer Keule des Thieres erlabte, wenn eine köstlich duftende, blutige Brühe ans derselben hervorliefe, während er zum dritten oder vierten Mal mit dem Messer über sie käme.
Der Damhirsch nahm, so weit Thibault es beurtheilen konnte, seine Richtung nach der Ourcqbrücke zwischen Noroy und Troësne.
Zur Zeit, in welche diese Ereignisse fallen, war eine Brücke, bestehend aus zwei starken Dielen und einigen Brettern, von einem Ufer zum andern geworfen.
Da das Ufer sehr hoch und steil war, so dachte Thibault, der Damhirsch würde es nicht wagen, den Bach zu durchwaten.
Er verbarg sich deßhalb hinter einem Felsen nahe bei der Brücke und wartete.
Bald sah er, zehn Schritte von dem Felsen, auf einmal den zierlichen Kopf des Damhirsches sich emporrichten, der seine Ohren nach der Windseite hielt, um das Getöse zu vernehmen, das seine Feinde machten.
Freudig erregt über diese plötzliche Erscheinung, erhob sich Thibault hinter seinem Stein, nahm seinen Spieß fest in die Hand und schleuderte ihn hastig nach dem Thiere.
Der Damhirsch machte einen Sprung bis mitten auf die Brücke, dann einen zweiten, der ihn bis ans andere Ufer brachte, und endlich einen dritten, womit er den Blicken Thibaults entschwand.
Der Spieß war wenigstens einen Fuß von dem Thier und fünfzehn Schritte von seinem Besitzer hinweg in den Rasen gefahren.
Niemals hatte sich Thibault eine solche Ungeschicklichkeit zu Schulden kommen lassen, Thibault, der sicherste Werfer unter allen französischen Handwerksburschen.
Er war auch ganz wüthend über sich selbst, raffte seine Waffe auf und sprang ebenso schnell als der Damhirsch über die Brücke, welche das Thier passirt hatte.
Thibault kannte die Gegend so gut wie der Damhirsch selbst. Ei: lief ihm also weitaus den Rang ab und stellte sich hinter einer Buche auf der Mitte des Abhangs, nicht sehr weit von einem kleinen Fußsteig, auf die Lauer.
Diesmal kam der Damhirsch so nahe an Thibault vorbei, daß dieser sich fragte, ob er ihn nicht lieber mit seinem Spieß todtschlagen als todtwerfen solle.
Dieser Augenblick der Unschlüssigkeit dauerte nicht länger als ein Blitz, aber der Blitz selbst ist nicht schneller, als das Thier war, denn es befand sich bereits zwanzig Schritte von Thibault weg, als dieser seinen Spieß nach ihm schleuderte, ohne jedoch das zweite Mal glücklicher zu sein, als das erste.
Inzwischen hörte er das Hundegebell immer näher kommen, und er sah wohl ein, daß es ihm in einigen Minuten unmöglich wurde, seinen Plan auszuführen.
Aber man muß es seiner Beharrlichkeit nachrühmen, daß sein Wunsch, sich des Damhirsches zu bemächtigen, immer heftiger wurde, je schwieriger sich das Unternehmen gestaltete.
»Und doch muß ich ihn bekommen,« rief er; »und wenn es einen guten Gott für die armen Leute gibt, so muß; ich mich an diesem elenden Baron rächen, der mich wie einen Hund geschlagen hat, während ich doch so gut ein Mensch bin als er und ihm dies jeden Augenblick beweisen will.«
Thibault raffte seinen Spieß auf und lief von Neuem weiter.
Aber der liebe Gott, den er so eben angerufen, mußte ihn nicht gehört haben, oder wollte er ihn zur Verzweiflung treiben, denn sein dritter Versuch fiel ebenso unglücklich aus wie die beiden ersten.
»Kreuz Donnerwetter!« rief Thibault, »der liebe Gott muß heute ganz taub sein. Nun wohl, so mag denn der Teufel seine Ohren aufthun und mich erhören. In Gottes oder der; Teufels Namen will und muß ich Dich haben, verwünschtes Thier!«
»Thibault hatte diese doppelte Gotteslästerung noch nicht vollendet, als der Damhirsch umkehrte, zum vierten Mal an ihm vorbeirannte und im Gebüsche verschwand.
Dieses letzte Vorüberkommen ging so schnell und so unerwartet vor sich, daß Thibault nicht einmal Zeit hatte, seinen Spieß aufzuheben.
In diesem Augenblick kam ihm das Hundegebell so nahe, daß er es für unklug gehalten hätte, die Verfolgung fortzusetzen.
Er schaute um sich, und als er eine dichtbelaubte Eiche erblickte, warf er seinen Spieß in ein Gebüsch, kletterte auf den Baum und versteckte sich hinter seinem Laubwerk.
Er dachte mit Recht, daß, nachdem der Damhirsch seine Flucht von Neuem begonnen hatte, die Jagd und die Jäger nur eilends an ihm vorüberkommen und dann die Fährte des Thieres weiter verfolgen würden.
Die Hunde hatten trotz aller Ränke und Wechsel des Damhirsches seine Spur nicht verloren.
Thibault stand noch keine fünf Minuten hinter seinem Baum, als er zuerst die Hunde, dann den Baron Jean, der sich trotz seiner fünfundfünfzig Jahre an der Spitze des Jagdzuges behauptete, wie wenn er erst zwanzig gezählt hätte, ankommen sah.
Nur war der edle Herr Jean in einer Wuth, an deren Schilderung wir uns nicht versuchen wollen!
Vier Stunden mit einem elenden Damhirsch verlieren und ihn immer noch nicht erwischen!
So Etwas war ihm seiner Lebtage noch nie zugestoßen.
Er schimpfte seine Leute aus, er peitschte seine Hunde, und sein Pferd hatte er dermaßen mit den Sporen bearbeitet, daß das aus seinem Bauch fließende Blut dem dicken Koth, der auf seinen Gamaschen lag, eine röthliche Färbung gab.
Als jedoch die Jagd auf der Ourcqbrücke ankam, war dem Baron wenigstens eine kurze Genugthuung zu Theil geworden: die Meute hatte mit solcher Verständnißinnigkeit die Fährte aufgenommen, daß der Baron alle seine Hunde zusammen mit seinem Mantel hätte bedecken können, als sie über die Brücke sprangen.
In diesem Augenblick war Herr Jean so vergnügt, daß er nicht bloß ein lustiges Liedchen trillerte, sondern auch sein Jagdhorn herab nahm und aus vollem Hals zu blasen anfing, was er nur bei außerordentlichen Veranlassungen that.
Aber unglücklicher Weise sollte die Freude des Herrn Jean nicht lange währen.
Just unter dem Baum, auf welchen Thibault hinaufgeklettert war, in demselben Augenblicke, wo die Hunde alle zusammen lauter anschlugen und ein Concert veranstalteten, das die Ohren des Barons immer mehr Weite, wurde die ganze Meute aus einmal wieder lautlos, und Alles schwieg wie behext.
Jetzt stieg Markotte aus Befehl seines Herrn vom Pferd und suchte der Sache auf den Grund zu kommen.
Die Hundejungen schloßen sich ihm an und unterstützten ihn in seinen Nachforschungen.
Man fand Nichts.
Aber Engoulevent, dem Alles daran lag, daß das von ihm selbst aufgetriebene Thier wieder in den Wurf kam, Engoulevent machte sich jetzt ebenfalls daran, zu suchen.
Alles suchte und schrie, um die Hunde anzufeuern, als man die Stimme des Barons donnergleich alle andern übertönen hörte.
»Tausend Teufel!« heulte er, »sind die Hunde denn in ein Loch gefallen, Markotte?«
»Nein, gnädiger Herr, sie sind da, aber: sie können nimmer schreien.«
»Nimmer schreien?« rief der Baron.
»Ich begreife es selbst nicht, gnädiger Herr, aber es ist so.«
»Nimmer schreien!« wiederholte der Baron; »nimmer schreien, hier im Wald, mitten im Wald, wo das Thier weder in einem Bach wechseln, noch auf einen Felsen klettern konnte. Du bist ein Narr, Markotte!«
»Ich ein Narr, gnädiger Herr?«
»Ja, Du ein Narr, so gewiß als Deine Hunde Schindmähren sind.«
Markotte ertrug die Schimpfreden, womit der Baron in den kritischen Augenblicken der Jagd seine ganze Umgebung so verschwenderisch zu bedenken pflegte, gewöhnlich mit einer wahrhaft bewundernswürdigen Geduld; daß man aber seine Hunde Schindmähren nennen konnte, das brachte ihn aus seiner gewöhnlichen Langmuth. Er richtete sich in seiner ganzen Höhe auf und sagte heftig:
»Wie so, gnädiger Herr? Meine Hunde Schindmähren? Hunde, die nach einer so wüthenden Hetzjagd, daß Euer bestes Pferd davon crepirt ist, einen alten Wolf zu Schanden gerissen haben? Meine Hunde Schindmähren.
»Ja, Markotte, ich sag’s noch einmal, Deine Hunde sind Schindmähren. Nur Schindmähren können von einer lumpigen Jagd von ein paar Stunden, von einer Jagd auf einen elenden Damhirsch so lendenlahm werden.«
»Gnädiger Herr,« versetzte Markotte mit einer zugleich würdevollen und schmerzlichen Erregung, »gnädiger Herr, schiebet alle Schuld auf mich, nennt mich einen Dummkopf, ein Vieh, einen Lümmel, einen Tölpel, einen Schöps; beschimpfet mich in meiner Person, in der Person meiner Frau, in der Person meiner Kinder, das ist mir Alles gleich; aber beleidigt mich nicht in meinen Verrichtungen als Oberrüdenknecht, beschimpfet Eure Hunde nicht, ich bitte Euch darum bei allen Diensten, die ich Euch je geleistet habe.«
»Aber wie erklärst Du ihr Schweigen? Sag’ mir nur das. Wie erklärst Du es? Ich will Dich ja ganz gerne anhören. Sprich nur.«
»Wie die Hunde die Spur verlieren konnten, das kann ich mir so wenig erklären, als Ihr selbst, gnädiger Herr; dieser verwünschte Damhirsch muß in die Wolken hinaufgeflogen oder in den Tiefen der Erde verschwunden sein.«
»Dummes Zeug!« sagte der Baron Jean, »als ob ein Damhirsch wie ein Kaninchen sich in die Erde eingraben oder wie ein Auerhahn aufstiegen könnte!«
»Gnädiger Herr, das alles ist recht schön gesagt. Aber wahr und gewiß ist, daß hier Zauberei dahinter steckt. So gewiß es in diesem Augenblick Tag ist, so gewiß haben meine Hunde ganz plötzlich und auf einmal alle Lust und Liebe verloren. Fragt nur unsere Leute, die mit mir bei ihnen waren. Sie schnüffeln seht nicht einmal mehr. Da liegen sie auf dem platten Bauch, wie Hirsche in der Ruhe. Kann das mit natürlichen Dingen zugehen?«
»Peitsche sie tüchtig durch!« rief der Baron; peitsche sie durch, daß die Haare davon fliegen; es gibt kein besseres Mittel, um den bösen Geist zu bannen.«
Der Baron Jean wollte eben hinzureiten, um die Teufelsbeschwörungen, die Markotte auf seinen Befehl an den armen Thieren vornahm, durch einige Peitschenhiebe zu fördern, als Engoulevent mit dem Hut in; der Hand herkam und schüchtern das Pferd des Barons zurückhielt.
»Gnädiger Herr,« sagte der Hundejunge, »ich glaube auf diesem Baum da einen Kuckuck entdeckt zu haben, der uns vielleicht nähere Aufschlüsse über Alles ertheilen könnte, was uns heute widerfahren ist.«
»Was zum Teufel schwatzt Du da von einem Kukuk, Du Affengesicht?« sagte der Baron Jean. »Wart, Schlingel, ich werde Dich lehren, wie man seinen Herrn foppt.«
Und der Baron erhob seine Peitsche.
Aber mit dem Stoicisrnus eines Lycurg hob Engoulevent seinen Arm als Schild über feinen Kopf und fuhr fort:
»Schlagt zu, wenn Ihr wollt, gnädiger Herr, aber dann schaut einmal diesen Baum an, und wenn Ew. Gnaden den Vogel gesehen haben wird, der da oben sitzt, so werdet Ihr mir eine Pistole geben und keinen Hieb.«
Und« der wackere Bursche deutete mit dem Finger auf die Eiche, wo Thibault eine Zuflucht gesucht hatte, als er die Jäger kommen hörte.
Er war von Ast zu Ast bis an den Gipfel hinauf geklettert. Herr Jean hielt sich die Hand über die Augen und bemerkte Thibault.
»Sonderbar!« sagte er. »Im Wald von Villers-Coterets graben sich die Damhirsche ein wie die Füchse, und die Menschen sitzen auf den Bäumen wie die Raben. Im Uebrigen,« fuhr der würdige Herr fort, »werden wir jetzt bald erfahren, an was wir uns zu halten haben.«
Dann hielt er seine Hand wie ein Rohr vor den Mund und rief hinauf:
»He, guter Freund, könnte man Dich nicht vielleicht auf ein paar Minuten sprechen?«
Aber Thibault blieb mäuschenstill.
»Gnädiger Herr,« sagte Engoulevent, »wenn Ihr vielleicht wünschet . . . «
Und er machte ein Zeichen daß er hinaufklettern wolle.
»Nein, nein,« sagte der Baron.
Und er begleitete diese Worte mit einer abwehrenden Handbewegung.
»He guter Freund,« rief der Baron, der Thibault noch immer nicht erkannte, »wirst Du mir gefälligst antworten oder nicht?«
Er machte eine kleine Pause.
»Ah, Du willst also nicht, wie es scheint; Du stellst Dich taub; wart ein wenig, ich will mein Sprachrohr holen.«
Und er streckte seine Hand gegen Markotte aus, der die Absicht seines Herrn bereits errathen hatte und ihm seinen Carabiner hinhielt. Der Baron legte auf Thibault an.
Um die Jäger zu täuschen, stellte sich dieser, als ob er dürres Holz bräche, und betrieb dieses scheinbare Geschäft mit solchem Eifer, daß er die Geberde des Herrn Jean nicht sah oder sie jedenfalls für eine bloße Drohung hielt und ihr die verdiente Wichtigkeit nicht beilegte.
Der Wolfsjäger wartete noch einige Zeit auf die verlangte Antwort; als sie aber nicht erfolgte, da ließ er knallen, und man hörte das Knacken eines Astes.
Der knackende Ast war derselbe, auf welchem Thibault saß.
Der feine Schütze hatte ihn zwischen dem Baumstamm und dem Fuß des Holzschuhmachers zerbrochen.
Seines Stützpunktes beraubt, rollte Thibault von Ast zu Ast hinab.
Glücklicher Weise war der Baum dicht belaubt und seine Aeste stark; dadurch wurde die Schnelligkeit des Falles gebrochen, und Thibault kam in seinem ricochettartigen Sturz zuletzt auf dem Boden an, ohne anderen Schaden genommen zu haben, als seine große Angst und einige unbedeutende Quetschungen an demjenigen Theil seines Körpers, der zuerst die Erde berührt hatte.
»Bei den Hörnern des Herrn Beelzebub!« rief der Baron Jean entzückt über seine eigene Geschicklichkeit, »das ist ja mein Spottvogel von heute früh. So, so, Du Schlingel, Du bist also mit der kurzen; Unterhaltung, die Du bereits mit meiner Peitsche gepflogen, nicht zufrieden, und willst sie deßhalb beim alten Trum wieder aufnehmen?«
»Was das betrifft, so kann ich das Gegentheil beschwören,« antwortete Thibault im Ton vollkommenster Aufrichtigkeit.
»Um so besser für Deine Haut, Bursche! Und jetzt sag’ mir einmal, was machtest Du da oben auf der Eiche.?«
»Gnädiger Herr,« antwortete Thibault, indem er auf einige kurze und krumme Reiser zeigte, die da und dort herumlagen, »da seht, daß ich bloß dürres Holz zu meiner Feuerung abgebrochen habe.«
»Ganz recht, Bursche.
Ader jetzt wirst Du uns wohl ohne lange Flausen berichten, was aus unserem Damhirsch geworden ist.«
»Ja, beim Teufel, er muß es wissen, denn er saß hoch genug, um alle seine Bewegungen beobachten zu können,« sagte Markotte.
»Gnädiger Herr,« antwortete Thibault, » ich schwöre Euch, daß ich gar nicht weiß, was Ihr mit diesem verwünschten Damhirsch sagen wollt.«
»Ei so wollt’ ich doch!« rief Markotte, hoch vergnügt, die üble Laune seines Herrn auf einen Andern ableiten zu können; »er hat ihn nicht gesehen, er hat das Thier nicht gesehen, er weiß gar nicht, was wir mit unserem verwünschten Damhirsch sagen wollen! Seht, gnädiger Herr, seht, an diesen Blättern hier erkennt man noch die Spitze des Thieres; dies ist der Maß, wo die Hunde stehen geblieben sind, und trotz dieser schönen Fährte können wir doch auf zehn, auf zwanzig, ja auf hundert Schritte keine Spur von dem Thiere mehr finden.«
»Hörst Du?« versetzte Herr Jean, indem er an die Rede seines Oberrüdenknechts anknüpfte, »Du warst da oben, der Damhirsch war zu Deinen Füßen. Zum Teufel, er muß im Vorbeikommen doch mehr Lärm gemacht haben als eine Maus, und es ist rein unmöglich, daß Du ihn nicht bemerkt haben solltest.«
»Er hat das Thier getödtet und in irgend einem Gebüsch versteckt,« sagte Markotte; »das ist so klar wie das liebe Tageslicht.«
»Ach, gnädiger Herr,« rief Thibault, der am allerbesten wußte, wie grundlos diese Beschuldigung des Oberrüdenknechts war, »gnädiger Herr, bei allen Heiligen im Paradies! Ich schwöre Euch, daß ich Euern Damhirsch nicht getödtet habe, ich schwöre es Euch beim Heil meiner armen Seele, und ich will auf der Stelle sterben, wenn ich ihn nur im mindesten geritzt habe. Auch hätte ich ihn ja nicht tödten können, ohne ihm irgend eine Wunde beizubringen, und aus dieser Wunde hätte Blut fließen müssen. Suchet selbst, Herr Oberrüdenknecht, und Ihr werdet keine Blutspur finden. Und mit was denn, lieber Gott! Wo ist denn meine Waffe? Gott sei Dank, ich habe keine andere Waffe als meine Hippe. Da seht selbst, gnädiger Herr.«
Unglücklicher Weise hatte Thibault kaum ausgeredet, als Meister Engoulevent, der seit einigen Augenblicken rings um den Baum herum gestreift hatte, wieder zum Vorschein kam, und zwar mit dem Spieß in der Hand, welchen Thibault in ein Gebüsch geworfen hatte, bevor er auf die Eiche geklettert war.
Er bot die Waffe dem Herrn Jean hin.
Engoulevent war offenbar der böse Engel Thibaults.
III
Herr Jean nahm die Waffe aus Engoulevents Händen und betrachtete den Spieß lange von der Spitze bis zum Stiel, ohne ein Wort zu sagen.
Dann zeigte er dem Holzschuhmacher einen kleinen Holzschuh, der in den Griff eingeschnitten war und die Bestimmung hatte, daß Thibault sein Eigenthum daran erkennen sollte.
Dieser Holzschuh war sein Zeichen als Handwerksgesell.
»Ha, ha, Schlingel,« sagte der Wolfsjägermeister, »sieh, dieses Ding da zeugt furchtbar gegen Dich. Weißt Du auch, daß dieser Spieß verdammt nach Wild schmeckt? Ich habe Dir also bloß noch Folgendes zu sagen: Du hast gewildert, und das ist ein grobes Verbrechen; Du hast einen Meineid geschworen, und das ist eine grobe Sünde; deßhalb wollen wir Dich jetzt zum Heil Deiner Seele, bei welchem Du geschworen hast, für alles das büßen lassen.«
Darauf wandte er sich gegen den Oberrüdenknecht zurück und sprach:
»Markotte, nimm zwei Koppeln und binde mir diesen Gesellen da, nachdem Du ihm Wamms und Hemd ausgezogen, an einen Baum; dann miß ihm mit Deinem Schultergehänge sechsunddreißig Hiebe auf, ein Dutzend für den Meineid und zwei Dutzend für das Wildern; doch nein, damit ich’s recht sage, im Gegentheil ein Dutzend für das Wildern und zwei Dutzend für den Meineid; wir müssen dem lieben Gott den Vorrang lassen.«
Dieser Befehl war ein freudiges Ereigniß für das Bedientenpack, das laut aufjubelte, einen armen Sünder zu haben, an dem es seinen Aerger über das heutige Mißgeschick auslassen konnte.
Vergebens betheuerte und schwor Thibault bei allen Heiligen im Kalender, daß er weder einen Hirsch noch eine Hirschkuh, weder einen Bock noch eine Geiß getödtet habe; man zog ihm sein Wamms aus und band ihn fest an einen Baumstamm.
Sodann begann die Execution.
Der Rüdenknecht schlug so derb darauf, daß der arme Sünder, obschon er im StilIen geschworen hatte, nicht zu klagen, und obschon er auf seine Lippen biß, um diesen Schwur halten zu können, schon beim dritten Schlag seinen Mund öffnete und einen Schrei ausstieß.
Herr Jean war, wie man bereits ersehen konnte, vielleicht der brutalste Herr auf zehn Meilen in der Runde, aber dennoch nicht hartherzig; das immer stärker werdende Jammergeschrei des Mißhandelten war ihm peinlich.
Da jedoch die Wilderei in den Forsten Sr. Hoheit mit jedem Tag frecher wurde, so war er entschlossen, das Urtheil vollstrecken zu lassen.
Nur beschloß er sich vom Schauplatz zu entfernen und drehte sein Pferd, um wegzureiten.
Im Augenblick, wo er dieses Manöver ausführte, warf sich ein junges Mädchen, das aus dem Schlag hervortrat, vor seinem Pferd auf die Kniee und schlug ihre großen schönen Augen thränenfeucht zu Herrn Jean auf.
»Gnädiger Herz« sagte sie, »Um Gottes Barmherzigkeit willen, Gnade für diesen Mann!«
Herr Jean senkte seine Augen auf das junge Mädchen.
Es war in Wahrheit ein allerliebstes Kind; kaum sechzehn Jahre alt, zart und schlank gebaut, ein Gesichtchen wie Milch und Blut, große blaue Augen voll Sanftmuth und Zärtlichkeit, und ein so üppiges blondes Haar, daß es trotz der schlechten schwarzen Leinwandhaube, die ihren Kopf bedeckte, von allen Seiten herabwallte.
Obschon das Costüm der schönen Bittstellerin im höchsten Grad bescheiden war und aus ganz einfachem Linnen bestand, so bemerkte doch Herr Jean alles das, und da er hübschen Gesichtern keineswegs abhold war, so beantwortete er den beredten Blick der reizenden Bauerndirne mit einem Lächeln.
Da er sie aber bloß ansah, ohne ihr laut zu antworten, und da die Prügelei inzwischen ihren Fortgang nahm, so fuhr sie mit noch flehentlicheren Geberden fort:
»Gnade, um«s Himmels willen, gestrenger Herr! Sagt Euern Leuten, daß sie diesen armen Mann gehen lassen, denn sein Geschrei zerreißt mir das Herz.
»Tausend Karren voll grüne Teufel!« antwortete der Wolfsjäger; »Du interessirst Dich also für diesen Kerl, mein schönes Kind? Ist er denn Dein Bruder?«
»Nein, gnädiger Herr.«
»Dein Vetter?«
»Nein, gnädiger Herr.«
»Dein Geliebter?«
»Mein Geliebter? Ew. Gnaden belieben zu scherzen.«
»Warum denn nicht? In diesem Fall, mein schönes Kind, gestehe ich, daß ich ihn beneiden würde.«
Das Mädchen schlug die Augen nieder.
»Ich kenne ihn nicht, gnädiger Herr, und ich sehe ihn heute zum ersten Mal.«
»Und zwar nur von hinten,« erfrechte sich Engoulevent hinzuzusetzen, der den Augenblick zu einem schlechten Spaß gekommen glaubte.
»Halt’s Maul, Bursche!« schnauzte der Baron ihn an.
Dann wandte er sich lächelnd gegen das schöne Mädchen zurück und sagte:
»Nun wahrhaftig, wenn er weder Dein Verwandter noch Dein Geliebter ist, so bin ich doch begierig, wie weit Du Deine Menschenliebe treibst.
Laß uns einen Handel schließen, schönes Kind.«
»Welchen, gnädiger Herr?«
»Ich begnadige den Lümmel, wenn Du mir einen Kuß gibst.«
»O von Herzen gern!« rief das junge Mädchen. »Ein Menschenleben mit einem Kuß erkaufen! Ich bin überzeugt, daß der Herr Pfarrer selbst dies für keine Sünde erklären wird.«
Und ohne abzuwarten, bis Herr Jean sich herabbückte, um selbst zu nehmen, was er begehrte, schleuderte sie ihren Holzschuh von sich, stemmte ihr zierliches Füßchen auf den Stiefel des Wolfsjägers, nahm die Mähne seines Pferdes in die Hand, schnellte sich mit einer Kraftanstrengung bis in die Höhe vom Gesicht des rauhen Jägers empor und bot seinen Lippen von selbst ihre runden, frischen Wangen, so sammtzart wie der Flaum einer Augustpfirsiche zum Kusse dar.
Herr Jean war für einen Kuß handelseins geworden, nahm aber zwei; sodann gab er, um seinen Schwur treu zu halten, Markotte ein Zeichen, daß er die Execution einstellen solle.
Markotte zählte die Schläge gewissenhaft, der zwölfte schwebte in der Luft, als; er den Befehl bekam innezuhalten. Markotte glaubte ihn nicht zurückhalten zu müssen; Vielleicht mochte es ihm sogar angemessen erscheinen, ihm den Werth von zwei gewöhnlichen Schlägen zu verleihen, um gutes Maß und den dreizehnten obendrein zu geben; jedenfalls ist so viel gewiß, daß der letzte Hieb die Schultern Thibaults noch ärger zerfetzte als die andern.
Es ist wahr, daß man ihn unmittelbar darauf losband.
Während dieser Zeit plauderte Baron Jean mit dem jungen Mädchen.
»Wie heißest Du denn, meine holde Dirne?«
»Georgine Agnelet, gnädiger Herr, meiner Mutter nach; aber die Leute in der Gegend nennen mich bloß Agnelette.»
»Ei zum Teufel! Agnelette, Lämmlein, das ist ein schlimmer Name, mein Kind,« sagte der Baron.
»Warum, gnädiger Herr?« fragte das Mädchen.
»Weil er Dich dem Wolf verspricht, meine Holde. Und woher bist Du denn, Agnelette?«
»Aus Preciamont, gnädiger Herr.«
»Und Du kommst so ganz allein in den Wald, mein Kind? Dass ist sehr keck für ein Lämmlein.»
»Ich muß wohl, gnädiger Herr. Wir haben drei Ziegen, von denen wir leben, nämlich meine Großmutter und ich.«
»Dann gehst Du also Deiner Ziegen wegen in’s Gras?«
»Ja, gnädiger Herr.«
»Und Du hast keine Angst, so ganz allein, ein so schönes junges Mädchen?«
»Manchmal kommt mich allerdings ein Zittern an, gnädiger Herr.«
»Und warum zitterst Du?«
»Seht, gnädiger Herr, man erzählt an den Winterabenden so viele Geschichten von Währwölfen, daß mich, wenn ich mich ganz allein mitten unter den Bäumen sehe, und wenn ich gar Nichts höre, als den Westwind, der sausend durch die Aeste fährt, ein kalter Schauder überläuft und mir die Haare zu Berg stehen. Wenn ich dann Euer Jagdhorn und das Gebell Eurer Hunde höre, so bin ich sogleich wieder beruhigt.«
Diese Antwort gefiel dem Baron Jean ungemein: er strich wohlgefällig seinen Bart und versetzte:
»Es ist wahr, daß wir den Herren Wölfen ziemlich scharf zu Leibe gehen; aber beim Blute Gottes, mein schönes Kind, es gibt ein Mittel, das Dich für die Zukunft aller solchen Beängstigungen überhebt. Komm in’s Schloß Vez, da ist noch nie ein Währ- oder sonstiger Wolf anders als an einem Strick und einer Stange über den Graben und zum Schlupfthor hineingekommen.«
Agnelette schüttelte den Kopf.
»Du willst nicht? Und warum weigerst Du Dich?»
»Weil ich dort noch schlimmere Dinge finden würde als den Wolf.«
Ueber diese Antwort schlug Baron Jean ein lustiges Gelächter auf, und die ganze Jägerbande machte, als sie ihren Herrn lachen sah, Chorus.
In der That hatte Agnelette’s Erscheinung dem edlen Herrn von Vez seine ganze gute Laune wieder gegeben, und vielleicht würde er noch lange gelacht und mit ihr geplaudert haben, wenn nicht Markotte, der zum Rückzug geblasen und die Hunde angekoppelt, den gestrengen Herrn ehrerbietigst erinnert hätte, daß ihnen noch ein langer Ritt bis in’s Schloß bevorstand. Herr Jean machte dem jungen Mädchen ein freundlich drohendes Zeichen mit dem Finger und zog mit seinem Gefolge ab.
Agnelette blieb allein bei Thibault zurück.
Wir haben erzählt, was Agnelette für Thibault gethan hatte, und wie hübsch sie war.
Gleichwohl war Thibaults erster Gedanke, als er sich mit dem Mädchen allein sah, nicht voll Liebe auf seine Retterin, sondern vielmehr voll Haß und Rachedurst auf seine Quäler gerichtet.
Wie man sieht, wandelte Thibault seit dem Morgen offen auf der Bahn der Sünde.
»Ha, verwünschter Edelmann!» rief er, seine Faust gegen die eben verschwindende Jagd ballend, »wenn mich der Teufel diesmal erhört, so bezahle ich Dir Alles, was Du mir heute gethan hast, mit Wucher heim. Wart nur, Kerl!»
»Ei wie möget Ihr Euch so versündigen!» sagte Agnelette, indem sie ihm näher trat. »Der Baron Jean ist ein guter Herr, sehr mildthätig gegen die armen Leute und immer höflich gegen die Frauenzimmer.«
»Am Ende bin ich ihm wohl gar noch Dank schuldig für die Prügel, die er mir aufmessen ließ?«
»Seid aufrichtig, Gevatter,» sagte das junge Mädchen lachend; »gestehet nur, daß Ihr diese Prügel nicht so ganz unverdient bekommen habt.«
»Ha ha!« machte Thibault, »es scheint, daß der Kuß des Herrn Jean Euch ganz den Kopf verrückt hat, schöne Agnelette?»
»Ich hätte nie geglaubt, daß Ihr mir diesen Kuß zum Vorwurf machen würdet; aber ich bleibe bei meiner Behauptung: Herr Jean war in seinem Recht.«
»Indem er mich halb todtprügeln ließ?»
»Ei warum jaget Ihr auf den Besitzungen der vornehmen Herrn?»
»Ist das Wild nicht für Jedermann da, für die Bauern so gut als für die vornehmen Herrn?«
»Nein, denn das Wild lebt in den Wäldern der vornehmen Herrn, es frißt ihr Gras, und Ihr habt kein Recht, Euern Spieß nach einem Damhirsch des Herrn Herzogs von Orleans zu werfen.«
»Wer hat Euch denn gesagt, daß ich meinen Spieß nach seinem Damhirsch geworfen habe?« antwortete Thibault, indem er mit beinahe drohender Geberde auf Agnelette zutrat.
»Wer mir’s gesagt hat? Meine Augen haben mir’s gesagt, und ich versichere Euch, daß
Die Sicherheit, womit das Mädchen ihn seiner Lüge überwies, besänftigte Thibaults Zorn sogleich.
»Ei was wäre es auch gewesen,« sagte er, »wenn ein armer Teufel sich einmal mit dem Ueberfluß eines vornehmen Herrn gütlich gethan hätte? Jungfer Agnelette denket Ihr vielleicht auch wie die Richter, daß ein Mensch um eines elenden Hasen willen den Galgen verdiene? Glaubt Ihr, daß der liebe Gott diesen Damhirsch eher für den Baron Jean erschaffen habe, als für mich?«
»Der liebe Gott, Herr Thibault, hat uns gesagt, daß wir uns nach den Gütern unseres Nächsten nicht gelüsten lassen sollen; befolget die Gebote des lieben Gottes, so wird es Euch wohl ergehen.«
»Ei wie, Ihr kennt mich also, schöne Agnelette da Ihr mich so mir Nichts Dir Nichts bei meinem Namen nennet?«
»Natürlich. Ich erinnere mich noch gut, wie ich Euch einmal bei der Kirchweihe von Boursonne gesehen habe; Ihr galtet für den schönsten Tänzer, und Alles schaarte sich um Euch.«
Dieses Compliment entwaffnete Thibault vollends ganz.
»Ja, ja,« sagte er, »ich erinnere mich jetzt auch, »daß ich Euch gesehen habe. Ei wahrhaftig, wir haben ja damals mit einander getanzt, nur waret Ihr damals noch nicht so groß wie jetzt; deßhalb erkannte ich Euch nicht gleich wieder, aber jetzt erkenne ich Euch ganz gut. Ja, Ihr truget einen rosarothen Rock und ein weißes Mieder; wir haben den Milchtanz mit einander getanzt. Ich wollte Euch küssen, aber Ihr wolltet es nicht leiden und sagtet, daß man blos seine Nachbarin küssen dürfe, aber nicht seine Tänzerin.«
»Ei, Ihr habt ein gutes Gedächtniß, Herr Thibault.«
»Wißt Ihr auch, Agnelette, daß Ihr in diesem Jahr denn es ist jetzt gerade ein Jahr her nicht blos viel größer, sondern auch noch weit schöner geworden seid? Ja, ja, Ihr versteht es, zwei Dinge auf einmal fertig zu bringen.«
Das Mädchen schlug erröthend die Augen nieder.
Ihre Röthe und ihre Verlegenheit gaben ihrem Gesicht erhöhten Reiz.
Thibault betrachtete sie jetzt aufmerksamer denn je.
»Habt Ihr einen Geliebten, Agnelette?« fragte er das Mädchen in einem Ton, der eine gewisse Bewegung verrieth.
»Nein, Herr Thibault,« antwortete sie; »ich habe keinen, und ich kann und will auch keinen haben.«
»Warum das? Ist denn die Liebe etwas so Schlimmes, daß Ihr Angst davor habt?«
»Nein, aber ein Geliebter ist es nicht, was ich brauche.«
»Was brauchet Ihr denn?«
»Einen Mann.«
Thibault machte eine Bewegung, welche Agnelette entweder nicht sah oder wenigstens nicht zu sehen sich den Anschein gab.
»Ja,« wiederholte sie, »einen Mann. Die Großmutter ist alt und krank, und ein Geliebter würde mich nur zerstreuen, so daß ich sie nicht recht verpflegen könnte; ein Mann dagegen, wenn ich einen braven Burschen finde, der mich heirathen will, ein Mann wird mir helfen, sie in ihrem hohen Alter zu unterstützen; er wird die Aufgabe, die mir der liebe Gott auferlegt hat, ihre letzten Tage zu versüßen, mit mir theilen.«
»Aber,« sagte Thibault, »wird dieser Mann Euch erlauben, daß Ihr Eure Großmutter mehr liebet, als ihn selbst, und wird er nicht eifersüchtig auf die Zärtlichkeit sein, die Ihr der alten Frau erzeigen werdet?«
»O,« versetzte Agnelette mit einem anbetungswürdigen Lächeln, »du hat es keine Gefahr; ich werde ihm so viel zukommen lassen, daß er sich nicht zu beklagen braucht; je freundlicher und geduldiger er gegen die gute Frau ist, um so inniger werde ich mich ihm anschließen, um so fleißiger werde ich arbeiten, damit es unserem kleinen Haushalt an Nichts gebricht. Ich sehe elend und schwächlich aus, und Ihr trauet mir nicht viel Stärke zu; aber ich habe Kraft und Muth zur Arbeit, das dürft Ihr glauben. Wenn das Herz sein Wörtchen mitspricht, so kann man Tag und Nacht arbeiten, ohne müde zu werden. Ich werde denjenigen, der die Großmutter lieben wird, recht herzlich lieben. O ich versichere Euch, sie, mein Mann und ich, wir werden alle drei recht glücklich sein.«
»Das heißt, ihr werdet alle drei recht arm sein, Agnelette?«
»Ah bah! Ist denn die Liebe und Freundschaft der Reichen auch nur einen Pfennig mehr werth, als die der armen Leute? Wenn ich meine Großmutter recht gepflegt habe, Herr Thibault, wenn sie mich auf Ihren Schooß nimmt und mit ihren magern zitternden Armen umschlingt, wenn ihr gutmüthiges, altes, runzliges Gesicht sich an das meinige legt, wenn meine Wangen naß werden von den Thränen der Rührung, die aus ihren Augen strömen, da fange ich auch an zu weinen, und diese Tränen, Herr Thibault, sind so leicht und süß, daß ganz gewiß niemals eine Dame oder ein Fräulein, und wäre sie eine Königin oder eines Königs Tochter, in ihren glücklichsten Tagen eine so lebhafte Freude empfunden hat; und doch sind wir beide, meine Großmutter und ich, wahrlich die ärmsten Geschöpfe meilenweit in der Runde.«
Thibault hörte das alles, antwortete aber nicht, sondern blieb in jene nachdenkliche Träumerei versunken, die bei ehrgeizigen Menschen so eigenthürmlich ist.
Und gleichwohl hatte er inmitten seiner ehrgeizigen Pläne Augenblicke der Ermüdung und des Ueberdrusses.
Er, der so oft ganze Stunden damit vertändelt hatte, die schönen und edlen Damen am Hof des Herrn Herzogs von Orleans zu betrachten, wenn sie die Freitreppe herauf oder herab gingen; er, der so oft ganze Nächte lang zu den spitzbogigen Fenstern des Schloßthurms von Vez emporgeschaut, wenn sie in festlicher Beleuchtung erglänzten, er fragte sich seht, ob das, was so oft seinem Ehrgeiz als höchstes Ziel vorgeschwebt, eine vornehme Dame und ein prächtiges Haus, einem Strohdach mit diesem holden und schönen Kind, das sich schlechtweg Agnelette nannte, an Werth gleichkäme.«
Allerdings war dieses brave Mädchen auch so hübsch, daß alle Grafen und Barone der Umgegend ihn ganz gewiß um ihren Besitz beneidet haben würden.
»Je nun, Agnelette,« sagte Thibault, »wenn z.B. ein Bursche wie ich sich zu Eurem Mann anböte, würdet Ihr ihn nehmen?«
Wir haben bereits gesagt, daß Thibault ein hübscher Junge war, daß er schöne Augen und schöne schwarze Haare besaß, daß er sich auf seinen Reisen zu Etwas mehr als zu einem gewöhnlichen Handwerker herangebildet hatte. Ueberdies wird man Leuten, denen man Gutes gethan hat, bald hold, und Agnelette hatte höchst wahrscheinlich Thibault das Leben gerettet, denn so wie Markotte zerschlug, würde der Delinquent vor dem sechsunddreißigsten Hieb gestorben sein.
»Ja,« sagte sie, »wenn er gegen meine Großmutter gut wäre.
Thibault ergriff ihre Hand.
»Nun Wohl, Agnelette,« sagte er, »wir werden darauf zurückkommen, und zwar so bald wie möglich, mein Kind.«
»So bald Ihr wollt, Herr Thibault.«
»Und Ihr müßt mir schwören, daß Ihr mich recht lieben wollt, wenn ich Euch heirathe, Agnelette.«
»Kann man auch einen Andern lieben, als seinen Mann?«
Gleichviel; ich wünschte dennoch einen ganz kleinen Schwur, der ungefähr so lauten müßte: Herr Thibault, ich schwöre Euch, daß ich nie einen Andern lieben werde als Euch.«
»Was soll ein Schwur nützen? Das Versprechen eines braven Mädchens muß einem braven Burschen genügen.«
»Und wann soll die Hochzeit sein, Agnelette?« sagte Thibault, indem er seinen Arm um die Hüfte des Mädchens zu schlingen versuchte.
Aber Agnelette entwand sich sanft.
»Kommt zu meiner Großmutter,« sagte sie; »Sie hat darüber zu entscheiden; für heute Abend aber begnüget Euch damit, daß Ihr mir meinen Bund Haidekraut machen helfet, denn es wird spät, und ich habe beinahe eine Stunde nach Preciamont.«
Thibault half ihr wirklich ihren Bund zusammen machen, und begleitete sie dann, bis man den Kirchthurm ihres Dorfes sah.
Hier bat er die schöne Agnelette so lange, bis sie ihm erlaubte, auf Abschlag seines zukünftigen Glückes einen Kuß zu rauben.
Weit mehr bewegt von diesem einzigen Kuß, als von dem doppelten des Barons, eilte Agnelette ihres Wegs, obschon die Last, die sie auf ihrem Kopfe trug, für ein so schwächlich aussehendes Mädchen viel zu schwer schien.
Thibault schaute ihr noch eine Zeit lang nach, wie sie über die Heide ging.
Die schönen Arme des verführerischen Mädchens, womit sie die Last auf ihrem Kopfe festhielt, ließen ihren Wuchs in seiner ganzen Zierlichkeit hervortreten und schienen seine Biegsamkeit und Anmuth zu verdoppeln.
Ihre seine Silhouette zeichnete sich auf eine anbetungswürdige Art am blauen Grund des Horizontes ab.
Kurz und gut, das Mädchen war beinahe schon an den ersten Häusern, als sie auf einmal hinter einer Erhöhung den Blicken Thibaults entschwand.
Dieser stieß einen Seufzer aus und blieb einen Augenblick in seine Betrachtungen versunken.
Dieser Seufzer wurde seiner Brust nicht durch den wonnevollen Gedanken erpreßt, daß dieses gute und reizende Geschöpf sein werden könne.
Nein, er hatte Agnelette gewünscht, weil sie jung und schön war, und weil es in der unglückseligen Natur Thibaults lag, alles das zu wollen, was einem Andern gehörte oder gehören konnte.
Er hatte sich unter dem Eindruck der Naivität, womit sie zu ihm gesprochen hatte, diesem Wunsch hingegeben.
Aber Agnelettes Bild war in seinem Kopf und nicht in seinem Herzen.
Thibault war unfähig, so zu lieben, wie man lieben muß, wenn man, selbst arm, ein armes Mädchen liebt, d.h. ohne etwas Anderes im Auge zu haben oder zu begehren, als volle, innige Gegenliebe.
Nein, im Gegentheil, je weiter er sich von Agnelette, von seinem guten Engel, entfernte, um so heftiger regten sich in seiner Seele die neidischen Gelüste wieder, die ihn so häufig quälten.
Es war Nacht, als er nach Hause kam.
IV
Thibault ließ sein erstes Geschäft darin bestehen, daß er sich Etwas zu Gemüthe führte, denn er war sehr erschöpft.
Der Tag war ereignißreich, und unter seinen Ereignissen waren mehrere von der Art gewesen, daß er wohl einen langen Magen davon bekommen konnte.
Sein Abendbrod war bei Weitem nicht so schmackhaft, als er sich bei seiner Jagd auf den Damhirsch gelobt hatte.
Aber der Damhirsch hatte sich, wie wir bereits erzählt, von Thibault nicht erlegen lassen, und so mußte der schreckliche Heißhunger, der den unglücklichen Wilderer quälte, seinem schwarzen Brod den Damhirschgeschmack verleihen.
Kaum hatte dieses äußerst bescheidene Mahl begonnen, als Thibault bemerkte, daß seine Ziege – wir glauben gesagt zu haben, daß er eine Ziege besaß – ganz verzweifelt blöckte.
Er dachte, daß sie ebenfalls nach einem Abendbrod verlange, holte also unter dem Schirmdach einen Armvoll frisches Gras und wollte es ihr bringen.
Als er das Stallthürchen öffnete, sprang die Ziege so heftig heraus, daß sie ihren Herrn beinahe umgeworfen hätte.
Sodann jagte sie, ohne das Futter zu berühren, das Thibault ihr brachte, ins Haus.
Thibault warf seinen Vorrath zur Erde und fing das Thier ein, um es in seine Wohnung zurück zubringen. Aber es wollte ihm nicht gelingen. Er mußte Gewalt anwenden, und auch der Gewalt setzte das arme Thier die ganze Widerstandskraft entgegen, deren eine Ziege fähig ist, indem es sich auf seine Hinterbeine stemmte, während der Holzschuhmacher es an den Hörnern zerrte.
Nach langem Kampf gab sich die Ziege endlich überwunden und ging in ihren Stall zurück.
Aber obschon Thibault ihr mehr als genug Futter dagelassen hatte, stieß sie fortwährend klägliche Töne aus.
Voll Ungeduld und Aerger stand der Holzschuhmacher zum zweiten Male von seinem Tische auf und öffnete den Stall von Neuem, aber so behutsam, daß die Ziege nicht ausreißen konnte.
Dann tappte er mit seinen Händen in allen Ecken und Winkeln umher, um der Ursache dieser Beängstigung auf den Grund zu kommen.
Auf einmal geriethen seine Finger in den dicken und warmen Pelz eines fremden Thieres.
Thibault war kein Hasenfuß, nichts weniger.
Gleichwohl zog er sich eiligst zurück.
Er ging in seine Stube, nahm das Licht und kam in den Stall zurück.
Die Lampe wollte seinen Händen entfluten, als er in dem Thier, das seine Ziege so sehr erschreckt hatte, den Damhirsch des Barons Jean erkannte, denselben, den er verfolgt, gefehlt und sich im Namen des Teufels gewünscht hatte, da er ihn in Gottes Namen nicht bekommen konnte; denselben, an welchem sämmtliche Hunde irre geworden waren, und der ihm so schöne Prügel eingetragen hatte.
Thibault näherte sich ihm sachte, nachdem er sich versichert, daß die Thüre fest verschlossen war.
Das arme Thier war entweder so abgehetzt oder so merkwürdig zahm, daß es keine Bewegung machte, um zu entfliehen, sondern blos mit seinen großen schwarzen Sammtaugen, denen die Angst noch mehr Ausdruck verlieh, Thibault ansah.
»Ich muß die Thüre offen gelassen haben,« brummte der Holzschuhmacher vor sich hin, »und so hat sich der Damhirsch, der kein anderes Versteck mehr finden konnte, hierher geflüchtet.«
Aber als er seine Erinnerungen zusammensuchte, entsann er sich ganz genau, daß, als er vor zehn Minuten den Stall zum ersten Male hatte öffnen wollen, der hölzerne Thürschieber so fest zugedrückt gewesen war, daß er ihn mit einem Stein hatte aufschlagen müssen.
Ueberdies würde die Ziege, die, wie man gesehen hat, der Gesellschaft des neuen Gastes keinen sonderlichen Geschmack abzugewinnen schien, diese Gelegenheit zur Flucht benützt haben, wenn die Thüre offen gestanden hätte.
Sodann bemerkte Thibault bei genauerer Betrachtung, daß der Damhirsch mit einem Strick an die Raufe gebunden war.
Obschon es unserem Holzschuhmacher, wie gesagt, »keineswegs an Muth gebrach, so begann doch jetzt ein kalter Schweiß in dicken Tropfen an seinen Haarwurzeln zu Perlen, ein seltsamer Schauder überlief ihn am ganzen Leib, und seine Zähne klapperten laut an einander.
Er verließ den Stall, verschloß ihn und suchte seine Ziege wieder auf, welche den Augenblick, wo der Holzschuhmacher Licht geholt, zur Flucht benützt und sich in der Herdecke niedergelegt hatte, allem Anschein nach fest entschlossen, diesmal einen Platz nicht wieder aufzugeben, den sie, wenigstens für die kommende Nacht, ihrem gewöhnlichen Lager weit vorzuziehen schien.
Thibault erinnerte sich ganz genau des gottlosen Wunsches, den er an den Satan gerichtet; aber obschon er zugestehen mußte, daß dieser Wunsch auf eine wunderbare Art in Erfüllung gegangen war, so konnte er doch an keine wirkliche Einmischung des Teufels glauben.
Da ihm jedoch diese Gönnerschaft des Geistes der Finsternis; instinctmäßig Furcht einflößte, so versuchte er zu beten; aber als er seine Hand zur Stirne erheben wollte, um das Zeichen des Kreuzes zu machen, da versagte ihm sein Arm allen Dienst, und obschon er bisher tagtäglich sein Ave Maria gesprochen hatte, so fiel ihm doch seht nicht ein einziges Wörtchen davon ein.
Während unser armer Thibault sich mit diesen beiden vergeblichen Versuchen abquälte, ging es in seinem Innern schrecklich wild und wirr durch einander.
Die bösen Gedanken strömten ihm von Neuem so massenhaft zu, daß er ihr Geflüster in sein Ohr zu hören meinte, wie man das Getöse der Wogen hört, wenn die Fluth steigt, oder das Geknister in den Bäumen, wenn der Winterwind durch die entblätterten Zweige fährt.
»Am Ende,« murmelte er mit bleicher Stirne und starrem Auge, »ist dieser Damhirsch, ob er nun von Gott oder vom Teufel kommt, immerhin ein guter Fund, und ich müßte ein großer Narr sein, wenn ich meinen Kittel abschütteln wollte, so lange es Manna darauf regnet. Wenn ich fürchte, daß dieses Thier Höllenfleisch haben könnte, so bin ich ja nicht gezwungen, es zu essen; ohnehin könnte ich es nicht allein essen, und diejenigen, die ich etwa dazu einluden wollte, würden mich nur anzeigen, aber ich kann diesen Hirsch lebendig ins Kloster von Saint-Remy führen, wo ihn mir die Aebtissin für schweres Geld abkaufen wird, um ihren Nonnen eine Freude zu machen; die Luft eines heiligen Hauses wird ihn reinigen, und die Handvoll guter geweihter Thaler, die ich an Zahlungsstatt erhalten werde, kann weine Seele nicht in Gefahr bringen. Wie manchen Tag müßte ich bei der Arbeit schwitzen und wie viel hundert Mal meinen Bohrer drehen, um nur den vierten Theil von dem zu verdienen, was ich da bekommen werde, ohne mir eine andere Mühe zu nehmen, als daß ich das Thier in seinen neuen Stall führe! Ein Teufel, der mir Gutes thut, muß mir natürlich lieber sein, als ein Engel vom Himmel, der mich im Stich läßt. Wenn mich der gnädige Herr Satan gar zu weit führen will, so habe ich ja immernoch Zeit, mich aus seinen Klauen zu ziehen; ich bin, bei Gott, kein Kind, und auch kein Lämmlein, wie Georgine, ich kann geradeaus gehen und wohin ich will.«
Der unselige, der geradeaus und in der ihm beliebigen Richtung zu gehen behauptete, vergaß jetzt blos, daß er vor kaum fünf Minuten nicht im Stande gewesen war, seine Hand an seine Stirne zu führen.
Thibault gab sich selbst so gute und so triftige Gründe an, daß er den Damhirsch, von welcher Seite er ihm nun zugekommen sein mochte, zu behalten beschloß, und den Erlös zum Anlauf des Hochzeitkleides seiner Braut bestimmte.
Denn sonderbarer Weise trat auf einmal Agnelette wieder vor seine Augen.
Er sah sie in einem langen weißen Kleid mit einem weißen Lilienkranz auf der Stirne und einem großen Schleier.
Ihm war zu Muth, als könnte, wenn er einen so lieblichen Schutzengel in seinem Haus hätte, der Teufel, trotz all seiner Stärke und List, es niemals wagen, seine Schwelle zu überschreiten.
»Ja, so ist’s,« sagte er, »ich habe noch ein Mittel: wenn mich der gnädige Herr Satan gar zu arg quält, so laufe ich stracks zu Agnelettes Großmutter, halte um die Dirne an und heirathe sie. Fallen mir dann auch meine Gebete nicht mehr ein, und kann ich auch kein Kreuz mehr schlagen, so habe ich jedenfalls ein hübsches Weibchen, das mit dem Satan nicht verhängt ist und alles dies für mich thun wird.«
Und mit dieser Art von Vergleich, immer vorausgesetzt, daß der Damhirsch Nichts von seinem Werth verlor und der heiligen Damen würdig blieb, an die ihn zu verkaufen gedachte, beruhigte sich Thibault so ziemlich, steckte Futter in die Raufe, und überzeugte sich, ob die Streu dicht genug war, damit der Gast weich ruhen konnte.
Die Nacht verging ohne ein neues Ereigniß und sogar ohne einen bösen Traum.
Am folgenden Tag jagte der edle Herr Jean von Neuem.
Nur gingen die Hunde diesmal keinem schüchternen Damhirsch zu Leibe, sondern dem Wolfe, welchen Markotte Tags zuvor ausgekundschaftet und erst diesen Morgen von Neuem aufgetrieben hatte.
Es war dies ein ächter Wolf.
Er mochte viele Jahre zählen, obschon man ihn beim Austreiben nur flüchtig gesehen und mit Staunen bemerkt hatte, daß er ganz schwarz war.
Bei Verte-Feuille, im Thalgrund von Argent, angegriffen, war er über die Felder von Meutard gelaufen, hatte Fleury und Ampleux links liegen lassen, war von da über die Straße von Ferté-Milon gesprungen, und trieb sich: dann im Thalgrund von Ivors herum.
Hier hatte er auf einmal sein bisheriges System aufgegeben, war umgekehrt und hatte so genau den bereits zurückgelegten Weg wieder eingeschlagen, daß der Baron Jean, obschon er beständig Galopp ritt, die Hufspuren wieder fand, die sein Pferd am Morgen zurückgelassen hatte.
In den Bezirk von Bourg-Fontaine zurückgekehrt, hatte der Wolf ihn nach allen Richtungen durchschnitten und sodann die Jäger just in die Gegend gelockt, wo ihre unglücklichen Abenteuer von gestern begonnen hatten, nämlich in die Nähe der Hütte des Holzschuhmachers.
Thibault, der, seinen gestrigen Entschließungen gemäß, auf den Abend seiner Agnelette einen Besuch zudachte, hatte sich schon in aller Frühe an die Arbeit gemacht.
Ihr werdet mich fragen, warum er, statt auf einem Handwerk zu arbeiten, das ihm, nach seinem eigenen Geständnis, so wenig einbrachte, nicht lieber den Damen von St. Remy seinen Damhirsch zuführte.
Thibault würde sich wohl gehütet haben.
Er konnte unmöglich mit einem Damhirsch am Strick bei Tag durch den Wald von Villers-Coterets gehen.
Was hätte er dem nächsten besten Waldschützen, der ihm in den Wurf kam, antworten sollen?
Nein, Thibault gedachte sich einmal bei Anbruch der Nacht auf die Beine zu machen, sich rechts zu halten, sodann über die Sandgrube und den Galgenweg auf die Ebene von Saint-Romy, nur zweihundert Schritte vom Kloster, zu kommen.
Als Thibault zum ersten Male Waldhorntöne und Hundegebell hörte, warf er in aller Eile einen gewaltigen Haufen dürres Haidekraut vor dem Stall auf, wo er seinen Gefangenen eingesperrt hielt, damit die Rüdenknechte und ihr Herr, wenn sie zufällig wieder vor seiner Hütte anhalten sollten, diese Thüre nicht bemerken möchten.
Sodann hatte er sein Handwerkszeug wieder vorgenommen und arbeitete mit einem Eifer, den er selbst niemals bei sich gesehen hatte, indem er gar nicht über die Holzschuhe wegsah, die er herrichtete.
Auf einmal meinte er ein Gescharre an seiner Thüre zu hören.
Er wollte eben aufstehen, um zu öffnen, als die Thüre nachgab und zu Thibaults großer Verwunderung ein ungeheurer schwarzer Wolf, auf seinen beiden Hinterpfoten gehend, ins Zimmer trat.
In der Mitte angekommen, setzte er sich nach Art der Wölfe und sah den Holzschuhmacher starr an.
Thibault ergriff ein Beil, das er bei der Hand hatte, um den wunderlichen Gast würdig zu empfangen, und um ihm Angst zu machen, schwang er das Beil über seinem Kopfe.
Aber die Physiognomie des Wolfes nahm einen eigenthümlich spöttischen Ausdruck an.
Er begann zu lachen.
Es war das erste Mal, daß Thibault einen Wolf lachen hörte.
Er hatte oft sagen gehört, daß die Wölfe bellen wie die Hunde.
Aber niemals hatte er sagen gehört, daß die Wölfe lachen wie die Menschen.
Und welch ein Lachen!
Ein Mensch, der so gelacht hätte wie dieser Wolf, würde Thibault sehr erschreckt haben.
Er ließ seinen bereits aufgehobenen Arm wieder fallen.
»Bei dem Herrn mit dem gespaltenen Fuß,« sagte der Wolf mit voller und wohltönender Stimme, »habe ich diesem Kerl hier auf seinen Wunsch den schönsten Damhirsch aus den Waldungen Sr. Königlichen Hoheit zugeschickt, und nun will er mir zur schuldigen Danksagung mit seinem Beil den Kopf spalten; eine menschliche Dankbarkeit, die wohl würdig ist mit der Dankbarkeit der Wölfe zu heulen.«
Als Thibault eine Stimme, die seiner eigenen glich, aus dem Leib des Thieres kommen hörte, da begannen seine Kniee zu zittern, und das Beil entfiel seinen Händen.
»Komm her,« fuhr der Wolf fort, »sei vernünftig und laß uns freundschaftlich mit einander plaudern.
Du hast Dir gestern den Damhirsch des Barons Jean gewünscht, und nun habe ich ihn selbst in Deinen Stall geführt, ja sogar an Deine Raufe gebunden, damit er Dir nicht entspringen könnte; dies sollte doch wohl einen bessern Dank verdienen, als einen Beilhieb.
»Weiß ich, wer Ihr seid?« antwortete Thibault.
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