v1.0 – создание FB2 – Ostermann
Dumas Alexandre (père)
Seeabenteuer und Schiffbrüche
Die »Juno«
(1795.)
Als Byron in seiner Jugend Aberdeen in Schottland verließ, um nach Newstead Abbey in England überzusiedeln, kam er in Nottingham zu einem braven Manne, Namens Drury, in Pension, dessen Zuneigung er sich erwarb, und der ihm, während seine Mitschüler einen Spaziergang machten, welcher ihn wegen seines hinkenden Fußes zu sehr angestrengt haben würde, zuweilen erlaubte, seine Bibliothek zu besuchen. Diese an ernsten Büchern reiche Bibliothek hatte eine Abteilung, welche ausschließlich Reisewerke enthielt, und diese Abteilung besuchte der zukünftige Dichter am Liebsten.
Eines Tages fiel ihm die Geschichte von dem Schiffbruche des englischen Schiffes »Juno«, von John Mackay, dem zweiten Hochbootsmanne, in die Hände, und in dieser Erzählung machte die Stelle, welche vom Tode eines jungen Mannes von der Equipage und von dem Schmerze handelte, den dieser Todesfall dem Vater des jungen Mannes vermachte, einen so lebhaften Eindruck auf ihn wie Thomas Moore bei Anführung der erwähnten Stelle sagt, daß man zwanzig Jahre später in seinem »Don Juan« noch Anklänge davon findet.
Diese von Thomas Moore citirte Erinnerung Byrons hatte auch in uns schon längst den Wunsch rege gemacht, John Mackay's ganze Erzählung zu lesen. Da wir jetzt damit beschäftigt sind, einige solcher Schreckensszenen aufzuzeichnen, haben wir uns bemüht, diese Erzählung ausfindig zu machen, und es ist uns gelungen.
Wir geben sie in Nachstehendem, und man wird darin leicht die vom Verfasser des »Don Juan« nachgeahmte Scene erkennen.
1
An der äußersten Spitze des indischen Reiches Birma liegt an der Mündung des Urawaddi, die einen prächtigen Hafen bildet, die Stadt Ranguhn, einer der bedeutendsten Handelsplätze von Pegu.
Zu Anfange Mai des Jahres 1705 lag in ihrem Hafen ein altes englisches Schiff von 450 Tonnen Gehalt, Namens »Juno,« Kapitain Alexander Bremner, welches eine Ladung Teckholz einnahm, um damit nach Madras abzugehen.
Kurz vor der Abreise wurde der zweite Hochbootsmann des Schiffes krank, und es zeigte sich bald, daß er nicht im Stande war, die Seereife mitzumachen.
Da diese Reise, eine Fahrt über den Meerbusen von Bengalen an seiner breitesten Stelle, nicht ohne Gefahr war, besonders während des bevorstehenden Südostpassatwindes, so hielt man es für nöthig, den kranken Hochbootsmann durch einen andern zu diesem Posten befähigten Mann zu ersetzen.
Der Kapitain Bremner hatte nicht nöthig, lange zu suchen. Es meldete sich ein im kräftigsten Alter, das heißt, in den letzten dreißiger Jahren stehender erfahrener Seemann, dessen vorzügliche Zeugnisse bewiesen, daß er die Gewässer, in denen man sich befand, nach allen Richtungen hin befahren hatte. Sein Name war John Mackay.
Der Kapitain Bremner prüfte diesen Mann, untersuchte seine Papiere, und als er die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß er dem in Rede stehenden Posten vollkommen gewachsen sein werde, engagierte er ihn auf ein Jahr.
Da das Fahrzeug, auf dem ein Seemann sich einschifft, für ihn ein Gegenstand von Wichtigkeit ist, weil er demselben sein Leben anvertraut, so untersuchte John Mackay, als er sich an Bord befand, die »Juno« in allen ihren Theilen.
Diese Untersuchung fiel nicht zum Vortheil des Schiffes aus. Die »Juno« war alt, in jeder Beziehung in schlechtem Zustande, und die aus dreiundfünfzig Köpfen bestehende Mannschaft, mit Ausnahme von acht bis zehn Europäern, lauter Lascars, erweckte in dem erfahrenen John Mackay keineswegs hinlängliches Vertrauen, um die Besorgnisse aufzuwiegen, welche das Alter, der schlechte Zustand und die mangelhafte Ausrüstung des Dreimasters in ihm rege gemacht hatten.
Er hielt es daher für nöthig, dem Kapitain ganz offen seine Meinung darüber zu sagen und ihm den üblen Eindruck zu gestehen, den sein Schiff nach genauer Untersuchung auf ihn gemacht hatte.
Der Kapitain Bremner aber war einer von den sorglosen Seeleuten, die auf dem Ozean alt geworden sind, und welche die Vergangenheit als eine Garantie für die Zukunft betrachten. Er antwortete seinem Hochbootsmann, daß er bereits seit zwanzig Jahren auf der »Juno« fahre, daß ihm noch nie ein Unglück begegnet sei, und daß das Schiff, wenn es zwanzig Jahre gut gegangen sei, auch noch eins gut gehen werde, das heißt bis zum Ablaufe des Engagements, das er mit seinem Hochbootsmann abgeschlossen habe.
John Mackay erwiderte darauf, daß die Bemerkung, die er sich erlaubt, durchaus keinen egoistischen Grund habe, sondern daß er sie nur im Interesse der ganzen Mannschaft äußere; daß er, Gott sei Dank, mit dem Meere hinreichend vertraut sei, um nöthigenfalls in einer Schaluppe über den bengalischen Meerbusen zu fahren, daß aber jeder Kommandoposten an Bord eines Schiffes mit einer größeren oder geringeren Verantwortlichkeit verbunden sei, und daß er es demnach für seine Pflicht gehalten habe, ihn auf die Mängel des Schiffes aufmerksam zu machen.
Der Kapitain dankte ihm in einem ziemlich ironischen Tone, und indem er ihm seine Gattin zeigte, die eben an Bord kam, um ihn auf der Fahrt zu begleiten, fragte er ihn, ob er nicht glaube, daß ihm selbst am Meisten an einer glücklichen Reise gelegen sein müsse.
Und in der That, ein flüchtiger Blick auf Madame Bremner war hinreichend, um einzusehen, daß das Wohl einer solchen Frau ihrem Gatten am Herzen liegen mußte.
Madame Bremner, die erst seit kaum einem halben Jahre mit dem Kapitain vermählt war, war wirklich ein reizendes Weibchen. Sie war in Ostindien von europäischen Eltern geboren worden und besaß außer ihrer nicht gewöhnlichen Schönheit die ganze Liebenswürdigkeit und Anmuth der Creolinnen, die in ihrem ganzen Wesen Etwas von der üppigen Natur haben, in deren Schooße sie das Licht der Welt erblickt haben, aufgewachsen sind und sterben sollen.
Ein malayisch er Sklave in seiner malerischen Tracht begleitete sie und vervollständigte das reizende Bild, dessen Hauptfigur sie war.
John Mackay sah daher ein, daß es unschicklich gewesen wäre, wenn er, der nur sein eigenes Leben auf's Spiel setzte, noch länger von den Gefahren gesprochen hätte, in die ein Schiff gerathen konnte, dem sein Kapitain ein so liebenswürdiges Geschöpf anvertraute.
Die letzten Vorbereitungen wurden demnach getroffen, ohne daß sich der Hochbootsmann neue Bemerkungen erlaubte, und am 29. Mai 1795 ging der Dreimaster mit dem Eintritte der Fluth bei einer Wassertiefe von fünfundzwanzig bis dreißig Fuß und schlammigem Grunde, unter Segel.
Sogleich im Anfange glaubte jedoch der Hochbootsmann zu bemerken, daß man das Schiff von der Richtung abweichen ließ, die es einhalten sollte; aber der Kapitain Bremner befuhr schon zu lange diese Gewässer, um annehmen zu können, daß er sich irre. John Mackay bemerkte indessen dem ersten Hochbootsmanne, Namens Wade, daß es ihm scheine, als ob das Schiff weiter nach rechts abhalte, als es sollte, und da dieser die Richtigkeit dieser Bemerkung erkannte, befahl er, daß das Senkblei ausgeworfen werden sollte.
Man hatte in der That noch nicht zwanzig Fuß Wasser.
Die Sache war sehr kritisch. Man benachrichtigte den Kapitain davon, der es nicht glauben wollte; als er sich aber selbst davon überzeugt hatte, befahl er sogleich, den Cours des Schiffes zu ändern.
Noch ehe aber der Steuermann den Helmstock hatte unter den Wind bringen können, verkündete ein heftiger Stoß, daß das Schiff aufgefahren war.
Es war keine Sekunde zu verlieren. Der Kapitain gab auf der Stelle Befehl, daß gebraßt werden sollte, um das Schiff wieder flott zu machen, allein dieser Befehl war unnütz, da es sich lediglich nur noch darum handelte, zu verhindern, daß es abgetrieben wurde.
Es wurden unverzüglich zwei Gabelanker ausgeworfen und man bemerkte zur großen Freude der ganzen Mannschaft, daß das Schiff still lag.
Man hatte nun Zeit, die Sache näher zu untersuchen.
Die »Juno« war auf eine fast steinharte Sandbank gestoßen, ohne jedoch eine Verletzung davon zu tragen, denn es hatte sich noch nirgends ein Leck gezeigt. Die Sache war daher noch nicht so schlimm, als sie Anfangs geschienen hatte. Da verlor plötzlich der eine von den beiden Ankern den Grund und in Folge dessen schleppte alsbald auch der andere.
Sogleich wurde der Befehl zum Auswerfen des Hauptankers gegeben und ausgeführt.
Das schon mit den Wellen treibende Schiff spannte die Ankerkette straff an, aber sie hielt und das Schiff lag wieder still.
Man hatte einen Augenblick in Angst geschwebt, die Unbeweglichkeit des Schiffes aber beruhigte Jedermann wieder.
Der Kapitain Bremner begann jetzt im Stillen die Richtigkeit der Bemerkungen seines zweiten Hochbootsmannes einzusehen; anstatt ihm aber dankbar dafür zu sein, daß er die Gefahr vorausgesehen und darauf aufmerksam gemacht hatte, grollte er ihm fast deshalb.
Uebrigens war, wie gesagt, noch Nichts verloren; wenn man während der Dauer der Ebbe das Scheitern glücklich verhinderte, so konnte man so ziemlich gewiß sein, daß das Schiff mit dem Eintritt der Fluth wieder flott wurde, und da der Unfall keine erheblichen Beschädigungen verursacht hatte, konnte man ohne Aufenthalt die Reise fortsetzen.
Die Hauptsache war für jetzt, daß das Schiff leichter gemacht wurde.
Man zog alle Segel ein. Während 'der Ebbe legte sich das Schiff furchtbar auf die Seite. Man hatte dies erwartet, und einige Augenblicke herrschte Todesangst an Bord, aber der kritische Moment ging ohne neuen Unfall vorüber.
Als der Kapitain bei John Mackay vorbeiging, sagte er mit Stolz zu ihm:
»Nun, ich dächte, die Juno benähme sich für ein altes Schiff nicht ganz schlecht!«
John Mackay schüttelte den Kopf.
Die »Juno« zeigte sich in der That bis jetzt sehr gut; es fragte sich nur, ob sie dies auch fernerhin thun würde.
Die nächsten Augenblicke schienen übrigens die Meinung des Kapitains rechtfertigen zu wollen; mit dem Eintritt der Fluth wurde das Schiff wieder flott, und kaum hatte man dies bemerkt, so wurde der Befehl gegeben, den Anker aufzuziehen. Es wurden nun sogleich alle Segel beigesetzt, und bald befand man sich in so tiefem Wasser, daß ein nochmaliges Auffahren nicht zu befürchten war.
Am ersten Juni sprang der Wind um und blies heftig aus Südwest; fast in dem nämlichen Augenblicke begann die See hoch zu gehen und das Schiff arbeitete mit großer Anstrengung.
John Mackay hatte einen Mann in den Kielraum gestellt; nach Verlauf von etwa vier Stunden kam dieser herauf und meldete, daß das Schiff leck sei.
Dies hatte der Hochbootsmann schon längst befürchtet.
Der Kapitain ging sogleich selbst hinunter und überzeugte sich daß das Wasser wirklich einzudringen begann; leider aber befand sich nicht einmal ein Zimmermann und fast gar kein Handwerkszeug an Bord.
Das Wasser mußte daher ausgepumpt werden. Jedermann ohne Unterschied ging zu dem Ende an die Pumpen und arbeitete tüchtig; aber es war, als ob sich Alles zum Untergange der »Juno« verschworen hätte. Der Ballast des Schiffes bestand aus Sand, und dieser mit Wasser vermischte Sand verstopfte sehr bald die Pumpen. Das Wasser verminderte sich daher nicht, sondern es stieg im Gegentheil, wenn auch langsam, doch fortwährend.
Das stürmische Wetter dauerte acht Tage, während deren das Schiff übermäßig angestrengt wurde.
Es wurde nun berathen, ob man nicht lieber nach Ranguhn zurückkehren sollte, da aber der Kapitain dadurch eingestanden haben würde, daß der zweite Hochbootsmann Recht gehabt, ein Schiffskapitain aber nie Unrecht haben darf, so bemerkte Bremner. Daß die Küste bei Ranguhn so niedrig sei, daß man sie erst in einer Entfernung von wenigen Meilen sehen könne; daß man, wenn man mit einem leicht zu regierenden Schiffe den richtigen Weg einhalten wolle, man in einer Art von Kanal bleiben müsse, der nicht mehr als dreißig Fuß Tiefe habe, daß sich zu beiden Seiten dieses Kanals Sandbänke befänden, auf die man eben schon aufgefahren sei, und welche bei nochmaligem Auffahren das Schiff spalten würden, daß es demnach gerathener sei, die Fahrt auf jede Gefahr hin fortzusetzen, daß überdies das stürmische Wetter bereits acht Tage gedauert habe und es daher wahrscheinlich sei', daß die See sich bald beruhigen und daß es in diesem Falle wohl bald gelingen werde, das Leck zu verstopfen.
Der Kapitain war der Gebieter, seine Meinungsäußerung war ein Befehl, und man segelte daher so gut es bei dem stürmischen Wetter anging, weiter nach Madras.
Die Ereignisse schienen dem Kapitain Anfangs Recht zu geben. Am 6. Juli legte sich der Sturm, die See wurde ruhiger und das Leck verminderte sich so bedeutend, daß eine einzige Pumpe genügte, um seine Wirkung zu neutralisieren.
Das Schiff wurde nun genau untersucht, und man entdeckte bald, daß sich das Leck am Hintersteven, nicht weit unter dem Wasserspiegel, befand. An dieser Stelle war der Schaden leicht zu reparieren. An dem ersten vollkommen ruhigen Tage wurde das Boot ausgesetzt, und da man, wie gesagt, nicht nur keinen Zimmermann, sondern auch kein Handwerkszeug hatte, mußte man sich damit begnügen, das Leck mit Werg zu verstopfen und darüber zuerst ein Stück getheertes Segeltuch, dann eine Tafel Blattblei zu nageln.
Dies allerdings mangelhafte Aushilfsmittel genügte Anfangs vollkommen, und so lange das Wetter schön war, brauchte man täglich nur kurze Zeit zu pumpen, woraus natürlich Jedermann schloß, daß das Leck verstopft war.
Alle freuten sich, daß man der Gefahr glücklich entronnen war, und Jedermann war heiter, nur John Mackay nicht, der mitten in der allgemeinen Heiterkeit noch immer den Kopf schüttelte und ein englisch es Sprichwort vor sich hin murmelte, dessen Sinn ungefähr lautete;
»Wer's erlebt, wird's sehen!«
2.
Leider sollte man bald die traurige Erfahrung machen, daß der zweite Hochbootsmann auf dem ganzen Schiffe der Einzige war, welcher Recht hatte, und daß die »Juno« weit besser gethan haben würde, wenn sie nach Ranguhn zurückgekehrt wäre, so gefährlich auch die Küste von Pegu sein mochte, anstatt ihre Fahrt über den bengalischen Meerbusen, in welchem der Südostpassatwind es erwartete, fortzusetzen.
Als am 12. Juni der Wind stärker wurde und man aus dem schauerlichen knarren in den Fugen der »Juno« ersah, daß sie mit großer Anstrengung arbeitete, ertönte zum zweiten Male der Ruf, der die Mannschaft schon einmal in Angst versetzt hatte:
»Wir sind leck, Herr Kapitän!«
Man eilte sogleich hinunter ins Zwischendeck; das nämliche Leck hatte sich wieder geöffnet, Die schwache Verstopfung, welche bei ruhiger See genügt hatte, erwies sich bei stürmischem Wetter als unzureichend.
Dies Mal war jedoch die Oeffnung viel größer, als das erste Mal, und da die durch den Ballastsand verursachten Uebelstände dadurch vermehrt wurden, erwiesen sich die Pumpen als ungenügend, obgleich fortwährend drei im Gange waren und man das Wasser noch außerdem mit Eimern ausschöpfte.
Am 16. war die Mannschaft, welche seit vier Tagen unausgesetzt arbeitete, durch die Anstrengung und den Mangel an Schlaf fast erschöpft.
Ueberhaupt hatte man alle Ursache zu sehr ernsten Besorgnissen.
Leider war es jetzt zu spät, um noch umzukehren, denn man war von Ranguhn mindestens eben so weit entfernt, als von Madras. Man entschloß sich daher, das Aeußerste zu wagen, alle Segel beizusetzen und so vielleicht den nächsten Punkt der Küste Koromandel zu erreichen.
Hatte man sie erreicht, so wollte man entweder längs derselben hinsegeln oder landen, je nachdem die »Juno« noch die See halten konnte oder außer Stande war, weiter zu segeln.
Das Schiff ging jetzt sehr schnell,sogar schneller, als man gehofft hatte; im Verhältniß seiner Schnelligkeit mußte es sich aber auch anstrengen, und da Jedermann an den Pumpen beschäftigt war, hatte Niemand Zeit, an die Takelage zu denken. Nach Verlauf von; zwei Tagen hatte der Wind alle Segel, mit Ausnahme der Focksegel, zerrissen; man sah sich daher am 18. genöthigt, bis zum 19. Mittags beizulegen, an welchem Tage zu gleicher Zeit die Höhe aufgenommen und dadurch ermittelt wurde, daß man sich unter 170 101 nördlicher Breite befand.
Trotz der fast übermenschlichen Anstrengung, mit der Jedermann, an den Pumpen arbeitete, bemerkte man dennoch, daß das Wasser immer höher stieg und das Schiff zu sinken begann. In dem Maße aber, als es sank, wurde es zugleich so schwer, daß man zu zweifeln begann, ob es sich je wieder zu dem gewöhnlichen Tiefgange werde heben können.
Von diesem Augenblicke an verbreitete sich eine finstere Entmuthigung an Bord,' und da Jedermann verloren zu sein glaubte und alle ferneren Anstrengungen für nutzlos hielt, wurde es sehr schwer, die Leute auf ihrem Posten zu erhalten.
Gegen Mittag indessen ging man auf Befehl des Kapitains und auf Bitten seiner Gattin wieder an die einen Augenblick unterbrochene Arbeit.
Es wurde der Befehl' gegeben, das Focksegel zu stellen; der Befehl wurde ausgeführt und das Schiff ging jetzt nur noch unter diesem einen Segel.
Zu gleicher Zeit arbeitete man mit verdoppelter Anstrengung an den Pumpen und mit den Eimern; nach Verlauf von zwei Stunden aber bemerkte man, daß man damit nur den Todeskampf der »Juno« um einige Stunden verlängere, daß aber das Schiff unrettbar verloren sei.
Die unten arbeitenden Matrosen kamen in der That um acht Uhr Abends herauf und sagten, daß das Wasser bereits das erste Verdeck erreicht habe.
Nachdem John Mackay's Prophezeiungen bezüglich des Schiffes in Erfüllung gegangen waren, bestätigte sich jetzt auch seine Meinung von der Mannschaft; die Lascars, welche drei Viertel derselben bildeten, weigerten sich zuerst, noch länger zu arbeiten, gaben sich der Verzweiflung hin und zogen einige auf dem Schiffe befindliche malayische Matrosen mit in den Abgrund der Entmuthigung. Die Europäer ließen den Muth noch nicht sinken, aber an dem finsteren Ausdrucke ihrer Gesichter war deutlich zu erkennen, daß nur eine moralische Kraft sie noch aufrecht erhielt und daß sie sich über das ihnen bevorstehende Schicksal keine Illusionen machten.
Mochte Madame Bremner die Größe der Gefahr nicht kennen oder war es wirklicher Muth, kurz, dieses schwache Weib, von der man hätte glauben sollen, daß ein Windstoß sie niederwerfen würde, tröstete und ermuthigte alle Anderen.
Am Abend gegen sieben Uhr empfand man einige Stöße und hörte ein eigenthümliches Rauschen.
Das Schiff sank immer tiefer. Die Schiffe haben ihren Todeskampf wie die Menschen; nur klagend und widerstrebender geben sie sich in ihr Schicksal.
Als die Mannschaft sah, daß die Wellen bald über das Schiff zusammenschlagen mußten, verlangte sie mit tumultuarischem Geschrei, daß die Bote ausgesetzt werden sollten; allein es bedurfte nur eines Blickes auf diese beiden Fahrzeuge, um die Gewißheit zu erlangen, daß sie unter den obwaltenden Umständen von keinem Nutzen sein konnten. Man hatte nur die Schaluppe, welche so alt war, daß sie fast unbrauchbar war, und ein kleines Boot mit sechs Rudern.
Nachdem die Mannschaft die beiden Fahrzeuge untersucht hatte, gab sie von selbst den Gedanken auf, sich ihrer zu bedienen.
Um neun Uhr rief der Kapitain den ersten und zweiten Hochbootsmann zu sich, um sich mit ihnen zu berathen, und es wurde verabredet, daß man den Hauptmast kappen wolle, um das Schiff zu erleichtern; durch diese Maßregel durfte man hoffen, es noch vierundzwanzig Stunden über dem Wasser zu halten.
Man ging sogleich an's Werk. Nach wenigen Augenblicken krachte der Mastbaum, neigte sich und fiel.
Unglücklicher Weise aber fiel er nicht über Bord, sondern auf's Verdeck.
Man kann sich denken, welche Verwirrung dieser Sturz verursachte.
Die Leute am Steuerruder konnten das Schiff nicht mehr regieren, es bot den Wellen die Breitseite dar, und im nächsten Augenblicke wurde es von einer Sturzwelle überfluthet, so daß das Wasser von allen Seiteneindrang.
Man hatte die Katastrophe hinausschieben wollen und hatte im Gegentheil ihren Eintritt beschleunigt.
Der Ruf: »Wir sinken! Das Schiff geht unter!« Ertönte von allen Seiten.
Madame Bremner, welche glaubte, daß das Schiff sich noch einige Stunden halten werde und der ihr Gatte wahrscheinlich die wirkliche Größe im Gefahr verschwiegen hatte, war in ihr Zimmer gegangen.
Als der Kapitain fühlte, daß das Schiff mit reißender Schnelligkeit sank, stieß er einen Angstschrei aus und wollte in's Zwischendeck hinunter eilen; er verwickelte sich aber im Tauwerk und hatte nur noch Zeit, dem nicht weit von ihm entfernt stehenden Mackay zuzurufen:
»John, John! Meine Frau!«
Dieser eilte nach der Luke und fand auf der Treppe bereits den ersten Hochbootsmann Wade, der Madame Bremner die Hand reichte. Die junge Frau war sogleich aus dem Bette gesprungen, als sie den Mast hatte niederfallen hören. Beide halfen ihr beim Hinaufsteigen; zu ihrem großen Erstaunen aber hatte sie in der entsetzlichen Verwirrung keineswegs den Kopf verloren. Sie hatte zwar nicht Zeit gehabt, sich vollständig anzukleiden, aber dennoch einen Unterrock über das Hemd gezogen und etwa dreißig Rupien mitgenommen, die in ihrem Zimmer auf dem Tisch e gelegen hatten.
Man wundere sich nicht, daß wir uns bei solchen Nebenumständen aufhalten; man wird bald sehen, daß diese dreißig Rupien dazu bestimmt waren, eine wichtige Rolle in dem grauenvollen Drama zu spielen.
Als die Mannschaft bemerkte, daß das Schiff unter sank, klammerte sich Jedermann an den ersten besten Gegenstand an, der ihm in die Hände kam, und versuchte es, sich über dem immer höher steigenden Wasser zu erhalten.
Wade und John Makay, die sich bei der Luke der Kapitainskajüte befanden, ergriffen die Barkhölzer des Hintertheils und kletterten mit Madame Bremner an den Wandtauen des Besanmastes hinauf.
In dem nämlichen Augenblicke ließ sich ein Knall vernehmen, der einem Kanonenschusse glich, und auf den ein fürchterlicher Stoß folgte; die im Schiffsraume komprimierte Luft hatte das Verdeck gesprengt.
Jetzt glaubte Jedermann, daß Alles verloren sei, und dachte nur noch daran, seine Seele Gott zu empfehlen; kaum aber war das Wasser über dem Verdeck zusammengeschlagen, so hörte die sinkende Bewegung des Schiffes zwar nicht ganz auf, wurde aber so langsam, daß das untere Tauwerk nur allmählig unter sank, so daß die Unglücklichen Zeit hatten, nach und nach die oberen Partieen der Takelage zu erreichen.
Der Kapitain, der zu seiner Gattin gekommen war, welche von den beiden Hochbootsmännern unterstützt wurde, sah indessen so gut wie diese ein, daß sie nicht so in den Strickleitern hängen bleiben konnten und daß sie einen sichereren Zufluchtsort suchen mußten. Der Mastkorb des Besanmastes befand sich etwa zehn Fuß über ihnen; sie stiegen hinauf und waren die Ersten, welche darin ankamen.
Im nächsten Augenblicke fand ihr Beispiel Nachahmer, und der Mastkorb war bald gefüllt. Die übrige Mannschaft setzte sich im Tau- und Segelwerk des nämlichen Mastes fest.
Ein einziger Matrose, der sich am Vordertheil des Schiffes befand, kletterte in den Fockmastkorb hinauf.
Man erwartete nun in ängstlicher Spannung, was Gott, der über das Schicksal der »Juno« entschieden hatte, über die Passagiere verhängen würde.
Das Schiff sank langsam noch etwa zehn Fuß tiefer; dann kam es den unglücklichen Schiffbrüchigen vor, als ob es stationär bliebe und unter Wasser schwebte.
Die beiden Mastkörbe des Fock- und Besanmastes waren noch ungefähr zwölf Fuß über dem Wasser, und Diejenigen, welche der Besankorb nicht mehr hatte aufnehmen können, befanden sich, wie schon erwähnt, mit Ausnahme eines Matrosen, der in den Fockmastkorb gestiegen war, in der Takelage des Besanmastes.
Jetzt bemerkte man, daß dieser schwer beladene Mast zu brechen drohte. Er mußte durchaus erleichtert werden; da aber diese Erleichterung einigen Menschen das Leben kosten konnte, so wurde beschlossen, lieber einen Theil des Takelwerks zu opfern.
In Folge dessen wurde die große Segelstange mit Messern abgeschnitten und in's Meer geworfen.
Obgleich der mit Wasser gefüllte Rumpf des Schiffes gewissermaßen einen Schwerpunkt für die noch aus dem Wasser hervorragenden beiden Maste bildete; so wurden die Unglücklichen, die sich auf dieselben geflüchtet hatten, doch so heftig hin und her geschaukelt, daß sie sich kaum erhalten konnten. Die Meisten von ihnen waren indessen so ermüdet, daß sie trotz der prekären Lage, nachdem sie. sich mit ihren Taschentüchern festgebunden oder auch sich nur mit den Armen umklammert hatten, eingeschlafen waren.
Der zweite Hochbootsmann, John Mackay, gehörte jedoch nicht zu diesen.
Da er eine kräftigere Konstitution und vielleicht auch eine größere moralische Kraft besaß als die Andern, blieben seine Augen offen, um das grauenhafte Schauspiel zu betrachten, bei dem er selbst eine Rolle spielte.
Neben ihm befand sich Madame Bremner in den Armen ihres Gatten. Es war Nacht. Obgleich es im Monat Juli war, blies der Nachtwind doch empfindlich kalt. Der brave John, der wärmer gekleidet war als der Kapitain, zog seine Jacke aus und gab sie Madame Bremner. Sie dankte ihm durch einen Blick welcher sagen wollte: »Ach, warum hat man Ihren Rath nicht befolgt!«
John hätte sie gern getröstet; da er aber selbst keine Hoffnung mehr hatte, wollte er im Herzen Anderer den Muth nicht heben, der in seinem eigenen völlig gesunken war.
Als er jedoch nach einigen Stunden angstvollen Zweifels sich überzeugt hatte, daß das Schiff unter Wasser schwebend blieb, ohne noch tiefer zu sinken, stieg die Hoffnung in ihm auf, daß sich vielleicht in den vier oder fünf Tagen, während denen der Mensch den Hunger ertragen kann, ein Schiff zeigen und sie aufnehmen könne.
An diesen schwachen Strohhalm klammerte sich der Hochbootsmann fest und der Gedanke an den Tod, in den er sich schon fast ergeben hatte, war ihm wieder gräßlicher als zuvor.
Plötzlich erschrak er; er hatte den Knall eines Kanonenschusses zu hören geglaubt.
Drei Mal glaubte er den nämlichen Knall zu vernehmen; er machte Diejenigen von seinen Unglücksgefährten, welche nicht schliefen, darauf aufmerksam, und sie glaubten ihn ebenfalls zu hören.
Gegen Ende der Nacht erkannten sie jedoch ihren Irrthum.
Von der Ermüdung überwältigt, hatte John Mackay ebenfalls die Augen geschlossen, als einer der Matrosen beim ersten Scheine der Morgenröthe ein Schiff zu sehen glaubte und daher ausrief:
»Ein Segel!«
Es läßt sich denken, welchen Eindruck dieser Ruf auf die Unglücklichen machte.
Die Lascars, welche Muselmänner sind, riefen alsbald mit lauter Stimme ihren Propheten an und auch die Christen sandten ein Dankgebet zum Himmel.
Leider aber war es mit dem Segel wie mit den Kanonenschüssen in der vergangenen Nacht, und als Jedermann den Blick auf den bezeichneten Punkt gerichtet hatte, überzeugte man sich, daß dieser Punkt eben so einsam war wie die ganze unabsehbare Wasserfläche.
3.
Nachdem so die Hoffnung auf Rettung zwei Mal getäuscht worden war, bemächtigte sich der Schiffbrüchigen eine namenlose Verzweiflung.
Der Wind blies fortwährend mit Heftigkeit, die See ging ungeheuer hoch, das Verdeck und die oberen Theile des Schiffes zerbrachen, die Taue, welche den Mast hielten, andren sich zweiundsiebzig Menschen anklammerten, drohten jeden Augenblick zu zerreißen und ließen den entsetzlichsten Ausgang der Katastrophe befürchten.
Schon an diesem ersten Tage stürzten sich Einige, welche jede Hoffnung auf Rettung aufgegeben hatten und der langen Qual einen raschen Tod vorzogen, in's Meer und kamen nicht wieder zum Vorschein, während Andere, die noch gern am Leben geblieben wären, von den Wellen mit fortgerissen wurden und mit übermenschlichen Anstrengungen unter lautem Jammergeschrei vergebens versuchten, durch Schwimmen die verlorene Stütze wieder zu erreichen.
Jetzt erst bemerkte man, daß das Schiff, obgleich der Rumpf sich tief unter dem Wasser befand, noch immer fortschwamm, denn die in's Meer Gefallenen konnten es nicht wieder einholen und man sah Einen nach dem Anderen in den Wellen verschwinden.
Das entsetzliche Schauspiel hatte indessen auch seine gute Seite. Während der ersten drei Tage, wo der Sturm unausgesetzt mit Heftigkeit blies und das Meer in beständiger Aufregung war, dachte man beim Anblick des tobenden Elementes und der nach und nach Umkommenden weniger an den Hunger. Als jedoch der Wind nachließ und die See sich beruhigte, als man hoffen durfte, daß das Schiff nicht tiefer sinken und der Mast sich noch über dem Wasser halten werde, ohne zu brechen, da erschien das bleiche Gespenst des Hungers mit seinem Gefolge entsetzlicher Leiden.
In diesem Augenblicke versuchten es mehrere Männer, denen es im Besanmastkorbe zu eng wurde, den Fockmastkorb zu erreichen, wohin der eine Matrose, der sich darin befand und der sich in seiner Einsamkeit noch unglücklicher fühlte als die Anderen, sie rief.
Von den sechs Mann aber, welche in's Meer sprangen, um den kurzen Zwischenraum zu durchschwimmen, erreichten nur zwei das Ziel; die vier anderen ertranken.
Da John Mackay der Einzige ist, der nicht nur bei der entsetzlichen Katastrophe bis zu Ende die Geistesgegenwart behielt, sondern sie auch ausführlich niedergeschrieben hat, so begleiten wir besonders ihn durch die Angst, die Leiden und die Hoffnungen, die er uns mit der glaubwürdigen Einfachheit eines Seemannes berichtet hat.
Auf die erste Aufregung, in die ihn anfangs die Größe und dann die Fortdauer der Gefahr versetzt hatte, folgte am vierten Tage bei ihm eine finstre Gleichgültigkeit, in der seine Hauptsorge immer die war, so lange und so fest als möglich zu schlafen, damit die Zeit ohne zu große Qualen verging. In Folge dessen wurde ihm das Wehgeschrei und die Klagen seiner Unglücksgefährten deshalb lästig, weil sie ihn aus der Betäubung weckten, in der er seine Leiden weniger fühlte.
In den ersten drei Tagen, während denen Alle beständig zwischen Leben und Tod schwebten, hatte er weniger vom Hunger als von der Kälte zu leiden gehabt, da er beständig durchnässt war und dabei ein heftiger kalter Wind blies.
Am vierten Tage aber, als der Sturm sich gelegt hatte und der Himmel wieder heiter geworden war, als die tropische Sonne ihre Herrschaft wieder antrat und ihre senkrechten Strahlen wie einen glühenden Lavastrom auf seinen Scheitel herabgoß, stellten sich die Qualen des Hungers und in noch weit empfindlicherem Grade die des Durstes ein. Wenn er sie indessen mit den Schilderungen verglich, welche manche Reisende in ihren Berichten davon entwarfen, mußte er gestehen daß sie am ersten Tage nicht so unerträglich waren als er es erwartet hatte.
Zu gleicher Zeit erinnerte er sich aber auch, daß er in einem solchem Werke ein Mittel zur Linderung des Durstes gelesen hatte.
Dieses Buch war die Erzählung des Kapitains Inglefield, Kommandant des »Centaur«, von seinem Schiffbruche. Der Kapitain sagt darin, daß er und seine Leute sich dadurch erhebliche Linderung verschafft hätten, daß sie nach einander eine mit Seewasser getränkte Decke um den bloßen Leib schlugen. Er erklärte diese Erscheinung dadurch, daß das Wasser von den Poren der Haut eingesogen wird, das Salz aber zurückbleibt.
Kaum hatte er sich dieses Mittels erinnert, so beschloß er, es an sich selbst in Anwendung zu bringen und es auch seinen Leidensgefährten mitzutheilen. Er zog seine wollene Unterjacke aus, befestigte sie an einem Stück Kabelgarn, das die Matrosen stets bei sich tragen, tauchte sie in's Meer und zog sie wieder an. War die Jacke getrocknet, so wiederholte er dieses Verfahren noch mehrere Male. Die Anderen folgten seinem Beispiele, als er ihnen die gewünschte Erklärung darüber gab, und Alle empfanden eine merkliche Linderung, was vielleicht eben sowohl der Zerstreuung, welche ihnen diese Beschäftigung verschaffte; als dem Mittel selbst zuzuschreiben war.
Indessen hatte John während des ganzen vierten Tages, dem ersten, an welchem die Sonne wider schien und er die Qualen des Hungers und des Durstes zu fühlen begann, eine sonderbare Unruhe, gleichsam einen Anfang von Delirium empfunden, in welchem ihm der Tod in einer gräßlichen Gestalt erschien, und es bemächtigte sich seiner bei dem bloßen Gedanken daran daß er an den ihm noch bevorstehenden Leiden sterben könne, eine so heftige Verzweiflung, daß er jeden Augenblick hätte laut aufschreien mögen.
Glücklicherweise hatte er in der Nacht vom vierten zum fünften Tage einen wohlthuenden Traum. Wie es fast immer geschieht, wenn man den Tod vor Augen steht und die Gedanken mit einem Male den ganzen Zeitraum zwischen dem Grabe und der Wiege überspringen, erinnerte er sich seiner Jugendjahre, seiner längst verstorbenen Großeltern, seiner vergessenen Nachbarn und seiner jungen Freunde, die in der großen Wüste zerstreut waren, welche die Welt heißt und in der man einander selten wiederfindet, wenn man sich einmal getrennt hat.
Dann verschwanden diese Visionen, um einer noch theuereren Platz zu machen.
Es war dem armen John, als habe er ein hitziges Fieber und als ob er seinen Vater weinend und betend vor seinem Krankenlager knieen sähe. Da dieser Traum ganz den Charakter der Wirklichkeit hatte, war schon der Anblick seines Vaters, den er seit seiner Abreise von Europa vor vier bis fünf Jahren nicht wieder gesehen hatte, eine große Freude für ihn; außerdem ließ das Fieber auch nach und er fühlte sich weit besser, so lange sein Vater betete; hörte er dagegen einen Augenblick auf, so kehrte es mit vermehrter Heftigkeit zurück.
Während übrigens derartige Träume eher aufregen als beruhigen, fühlte John im Gegentheil beim Erwachen stets merkliche Erleichterung; an die Stelle der Unruhe war eine tiefe Schwermuth getreten und die Thränen kamen ihm unwillkürlich in die Augen, denn er schloß aus diesem Traume, daß sein Vater gestorben und einen Augenblick vom Himmel herabgestiegen sei, um ihm Trost und Linderung in seinen Leiden zu bringen.
Am 25. Juni, dem fünften Tage nach dem Sinken des Schiffes, begann der Tod sein Zerstörungswerk unter den Verunglückten. Zwei starben vor Hunger, der Eine plötzlich, wie vom Schlage getroffen, der Andere langsam, unter den fürchterlichsten Qualen.
Seitdem die Schiffbrüchigen ein wenig zur Besinnung gekommen waren, so daß sie einander ihre Ideen mittheilen konnten, hatten der Kapitain und der erste Hochbootsmann immer gesagt, daß man am ersten ruhigen Tage versuchen wollte, ein Floß zu verfertigen.
Dieses Floß war die einzige Hoffnung der Unglücklichen, und Bremner sowohl als Wade versprachen sich den besten Erfolg davon. Das Weiter war jetzt ruhig geworden, das Meer war eben wie ein Spiegel, und man ging daher unverweilt an die Ausführung des großen Planes.
Als Material zu dem Flosse hatte man die Segelstangen des Fockmastes und des Bugspriets, sowie eine Menge kleinerer Raaen und Bretterz es fehlte also weder an Holz noch an Tauen und Leinen. Die besten Schwimmer 'gingen an's Werk und am folgenden Mittag war das Floß fertig.
Die Einschiffung begann.
Der Kapitain, seine Gattin und Wade bestiegen es zuerst. Obgleich John Mackay das enthusiastische Vertrauen zu diesem Rettungsmittel nicht theilte, so bestimmte ihn doch das Beispiel der Anderen, das Floß ebenfalls zu besteigen. Die Last der ganzen Mannschaft war jedoch viel zu groß für das schwache Fahrzeug, und als daher Alle eingeschifft waren, drohte es unterzusinken.
Jetzt entspann sich ein gräßlicher Kampf. Die Stärkeren vertrieben die Schwächeren von dem Flosse und diese mußten in den Mastkorb und in die Takelage zurückkehren, die sie verlassen hatten.
Auch bei dieser Gelegenheit ertranken wieder Einige, ein Beweis, wie erschöpft sie sein mußten, denn das Floß war nicht weiter von dem Wrack entfernt, als die Länge des Taues betrug, mit dem es an demselben befestigt war.
Ehe das Tau gekappt wurde, fragte John den Kapitain, ob er eine Idee habe, in welcher Richtung sich das Land befinde und ob er es einigermaßen für wahrscheinlich halte, daß man es bald zu Gesicht bekommen werde.
Der Kapitain, welcher durchaus nicht wußte, wo er war, gab ihm keine Antwort.
John befahl nun dem Manne, welcher das Tau kappen wollte, es noch nicht zu thun, und bat dann den Kapitain, er solle mit seiner Gattin in den Mastkorb zurückkehren und sich nicht dem Floße anvertrauen, das seiner Meinung nach nicht die mindeste Aussicht auf Rettung darbot.
Aber seine Bitten vermochten nichts über den Kapitain, und da Madame Bremner erklärte, daß sie ihren Gatten nicht verlassen wolle wurde das Tau gekappt und das Floss entfernte sich.
Man ruderte mit Holzstücken, welche die Matrosen von den Wänden des Schiffes losgerissen und denen sie mit ihren Messern die Form von Schaufelrudern gegeben hatten.
Nach Verlauf einer halben Stunde kam Wade zu John Mackay und stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Was fehlt Euch?« fragte John.
»Ach, Ihr hattet von Anfang an Recht und habt auch jetzt wieder Recht!« antwortete Wade kopfschüttelnd. »Wir haben weder Kompaß noch Boussole, wissen nicht, in welcher Richtung das Land liegt und gehen einem gewissen Tode entgegen. In unsrem Besanmastkorbe übersahen wir das Meer und konnten in bedeutender Entfernung ein Schiff erkennen; auf dem Floße aber hatten wir nicht einmal diesen Vortheil.«
»Wenn Ihr Lust habt,« sagte John, »wollen wir auf das Schiff zurückkehren.«
Wade blickte nach den beiden Mastkörben und nach den Unglücklichen, die sich noch darin befanden, und nachdem er die Entfernung gemessen hatte, erwiderte er:
»Wir haben nicht mehr die Kraft, das Wrack durch Schwimmen zu erreichen.«
»Allerdings; aber sie werden uns dahin bringen, um das Floß zu erleichtern.«
Er theilte nun sogleich den Anderen mit, daß er und der erste Hochbootsmann auf das Schiff zurück kehren wollten, und wie er vorausgesehen hatte, war Jedermann bereit, sie dahin zu bringen.
Das Floß kehrte zu dem Wrack zurück, die beiden Hochbootsmänner schwangen sich in die Takelage, nahmen ihren vorigen Platz ein, und das Floß stieß wieder ab.
Man sollte meinen, daß diese Trennung zwischen Unglücklichem welche seit sechs Tagen gemeinschaftlich die nämlichen Drangsale ertragen hatten, schmerzlich sein mußte; aber dem war nicht so, denn der Egoismus und die Todesfurcht hatten jedes andere Gefühl in ihnen erstickt. Die Leute auf dem Floße sahen die beiden Hochbootsmänner ohne Bedauern in den Mastkorb hinaufsteigen, und eben so gleichgültig sahen die hier Befindlichen ihre Kameraden wieder abstoßen.
»Die einzige Person, für die man wirkliche Theilnahme empfand, war die arme Madame Bremner, die alle Leiden und Entbehrungen mit bedauernswerthem Muthe ertragen hatte und aus deren Munde anstatt der Klagen, die auch den stärksten Männern entschlüpften, bis jetzt nur Worte des Trostes gekommen waren.
Anfangs schien es, als ob sie für ihren Gatten eine Last gewesen wäre; dieses Gefühl hatte bei dem Kapitain seinen Grund wahrscheinlich in der Idee, daß sie es ihm, besonders nach Mackay's Warnungen. schwerlich verzeihen werde, daß er sie in eine so schreckliche Lage versetzt hatte. Als er aber fühlte, daß seine Kräfte abnahmen, kehrte er zu ihr zurück, klammerte' sich gewissermaßen an sie an, verließ sie keinen Augenblick mehr und würde es auch nicht zugegeben haben, daß sie ihn verließ.
Die auf dem Wrack Zurückgebliebenen sahen dem Floße lange nach, bis es endlich ihrem Blicke entschwand. Inzwischen brach die Nacht herein und die Unglücklichen waren auf's Neue in schwarze Dunkelheit gehüllt.
Am folgenden Tage glaubte Einer von ihnen in geringer Entfernung einen schwimmenden Gegenstand zu erkennen.
Aller Blicke richteten sich sogleich auf diesen Gegenstand und die Unglücklichen erkannten mit großem Erstaunen das am vorigen Tage abgefahrene Floß, welches von der entgegengesetzten Seite zurückkam.
Die armen Leute hatten bis zur völligen Erschöpfung ihrer Kräfte gerudert, und man wird sich einen ungefähren Begriff von ihren Kräften machen können, wenn man bedenkt, daß sie seit sieben Tagen keine Nahrung zu sich genommen hatten. Dann hatten sie sich neben einander niedergelegt, und so erwarteten sie in stummer Verzweiflung, wie Gott über sie bestimmen würde.
Gott hatte beschlossen, daß sie zu ihren Unglücksgefährten zurückkehren sollten. Nachdem sie die ganze Nacht auf der See umher getrieben hatten, befanden sie sich am Morgen plötzlich wieder auf fünfzig Schritt vom Wrack der »Juno.«
Die hier Zurückgebliebenen reichten ihnen die Hand und halfen ihnen in die Mastkörbe, wo sie ihre vorigen Plätze wieder einnahmen.
4.
In Folge eines Gefühls von Mitleid und Achtung, das noch im Herzen der Unglücklichen schlummerte und das besonders durch den braven John geweckt wurde, erhielten Madame Bremner und ihr Gatte die nämlichen Plätze im Besanmastkorbe wieder, die sie früher inne gehabt hatten.
Der Kapitain war so schwach, daß er ganz ohne Besinnung zu sein schien, und er war im gewöhnlichen Zustande ein gesunder und kräftiger, an alle Leiden und Entbehrungen, denen man auf der See ausgesetzt ist, seit dreißig Jahren gewöhnter Seemann.
Seine Gattin dagegen, ein zartes und nervenschwaches Weib, halte alle diese Anstrengungen, Entbehrungen und Leiden mit seltenen Muthe und wunderbarer Kraft ertragen.
Kaum war er wieder im Mastkorbe angekommen, so wurde er vom Delirium ergriffen; in diesem Zustande glaubte er einen mit allerhand Speisen besetzten Tisch zu sehen, fragte in unzusammenhängenden Worten, warum man ihn von diesem Tische entfernt halte; warum man ihm ein Stück Brot und ein Glas Wasser verweigere, da man doch einen solchen Ueberfluß von Speise und Trank vor ihm aufgestellt und er so großen Hunger und Durst habe.
Der Todeskampf eines Sterbenden ist immer ein peinliches Schauspiel, aber im gewöhnlichen Leben spielt dabei nur der Trennungsschmerz die Hauptrolle; Die, welche den Sterbenden umgeben, vergießen Thränen an seinem Lager und diese Thränen strömen um so reichlicher, wenn der Weinende selbst aus jeder Gefahr ist. Ein Andres ist es mit dem Todeskampfe eines Unglücklichen, welcher Hungers stirbt und der von anderen Unglücklichen umgeben ist, denen ein gleiches Loos bevorsteht. Da erblickt Jeder im Todeskampfe des Anderen das Bild seines eigenen Todeskampfes. Auch sie empfinden schon die nämlichen Leiden, denen der Sterbende erliegt; das Delirium, das ihn ergriffen hat, wird auch sie in kürzerer oder längerer Frist ergreifen, auch sie wird früher oder später der Tod in seine Knochenarme schließen. Da steht man keine lindernden Thränen fließen; nur trockene Augen, eine finstere Verzweiflung, knirschende Zähne, wenn man die ersten Symptome der Schmerzen, die man vor Augen steht, in sich selbst verspürt, rasendes Gebrüll anstatt,der Klagen, Verwünschungen anstatt der Trostworte.
Am 1. Juli endlich, elf Tage nach dem Untergange des Schiffes, gab der Kapitain den Geist auf.
In seinen krampfhaften Todeszuckungen hatte er seine Gattin so fest umklammert, daß man kaum im Stande war, sie aus seinen Armen und Händen zu befreien.
Uebrigens wollte sie noch nicht glauben, daß er todt sei, und als er sie so fest an seine Brust drückte, gab sie. es anfangs nicht zu, daß man sie seiner letzten Umarmung entriß. Es kostete große Mühe, sie von der traurigen Wahrheit zu überzeugen. Endlich ließ sie sich von ihm losmachen und sonderbarer Weise versiegten auch in dem nämlichen Augenblicke ihre Thränen.
Die Mannschaft vertheilte die wenigen Kleidungsstücke des Kapitains unter sich und warf dann seinen Leichnam in's Meer.
Als Madame Bremner das Geräusch des Falles im Wasser hörte, stieß sie einen leisen Schrei aus, rang die Hände und fiel in Ohnmacht;
John Mackay leistete ihr nach Möglichkeit Beistand, und als sie wieder zu sich gekommen war, konnte sie wieder weinen.
Während der fünf Tage, welche zwischen der Rückkehr des Floßes und dem Tode des Kapitains verstrichen waren, hatte sich, außer verschiedenen aufeinanderfolgenden Todesfällen, kein Unfall ereignet. Einer oder der Andere empfand plötzlich Leibschmerzen, bekam Zuckungen und war binnen wenigen Augenblicken verschieden. Zuweilen umklammerte er im Todeskampfe einen Gegenstand mit solcher Heftigkeit, daß mehrere Männer ihre ganze Kraft aufbieten mußten, um seine Hände davon loszumachen.
Bei Einem wollte dies durchaus nicht gelingen und man ließ seinen Leichnam zwei Tage lang an dem Taue hängen, das er mit beiden Händen umklammert hatte. Als aber die Verwesung eintrat, schnitt man ihn an den Handgelenken ab, weil das Tau, an welchem er hing, mit dazu diente, den Mast am Schiffe festzuhalten.
Die Hände blieben hängen und der Körper fiel in's Meer.
Am Morgen des 28. Juni, drei Tage vor dem Tode des Kapitains, hatte der erste Hochbootsmann Wade erklärt, daß er nicht im Stande sei, diese Untätigkeit länger zu ertragen. Das Floß war noch unten am Besanmaste angebunden. Er fragte, ob einige Leute sich mit ihm einschiffen und noch einmal ihr Glück versuchen wollten. Acht Mann gingen auf den Vorschlag ein und fuhren mit dem Hochbootsmanne ab, obgleich John Mackay Alles aufbot, um sie zurückzuhalten. Wie das erste Mal, verlor man nach einigen Stunden das Floß aus dem Gesichte. Aber am folgenden Tage erblickte man es nicht wieder; der Wind. hatte sich am vorigen Abende erhoben und aller Wahrscheinlichkeit nach war das Floß untergegangen.
Dieser Wind, der den Abgefahrenen zum Verderben gereichte; hatte für die Zurückgebliebenen ein glückliches Resultat. Es hatte während der Nacht stark geregnet, die Schiffbrüchigen hatten Wasser auffangen und damit ihren Durst löschen können. So war wenigstens das schreckliche Leiden auf kurze Zeit gelindert.
Von diesem Augenblicke an vergingen selten zwei Tage, ohne daß ein neuer Wind wieder Regen brachte, und dieser verschaffte den Unglücklichen in Verbindung mit den in Meerwasser getauchten Kleidungsstücken merkliche Erleichterung. So oft sie ein wenig frisch es Wasser genießen konnten, empfanden sie in der That mehrere Stunden lang selbst die Qualen des Hungers in vermindertem Grade.
Am Todestage des Kapitains Bremner starben indessen noch zwei Andere im Besanmastkorbe und ebenfalls zwei im Fockmastkorbe.
Beide Parteien standen übrigens in keiner andern Verbindung mit einander, als daß sie sahen, was vorging; denn sie hatten nicht mehr die Kraft, sich durch Zurufe gegenseitig verständlich zu machen.
John wunderte sich jeden Morgen, daß er noch lebte, und er war jedes Mal beim Erwachen überzeugt, daß dieser Tag sein letzter sein und daß er die kommende Nacht nicht mehr erleben werde. Er hatte immer gehört, daß der Mensch nur eine gewisse Zeit, acht bis höchstens zehn Tage, die Nahrung entbehren könne, und am elften Tage, an welchem der Kapitain starb, lebte er noch immer.
An diesem Abende war die See ruhiger, als sie seit langer Zeit gewesen; einige Lascars verließen daher den Besanmastkorb, um nach dem Fockmastkorbe hinüber zu schwimmen, welcher nie so voll gewesen war, als jener und in dem durch den Tod der zwei Matrosen eine neue Lücke entstanden war. Mit großer Mühe legten sie die kurze Strecke zurück und kletterten unter dem Beistande ihrer Kameraden in den Mastkorb hinauf.
Vom 1. und 2. Juli an verfielen die noch lebenden in eine so große Schwäche, daß sie kaum noch sahen und hörten, was um sie her vorging, und diese Betäubung, von der selbst die Stärksten nicht verschont blieben, brachte sogar das Gefühl des Hungers in ihnen zum Schweigen. Wenn es. ein wenig regnete, schienen sie aus ihrer Lethargie zu erwachen und es entstand eine ungewöhnliche Bewegung unter ihnen; Jeder strengte sich an so viel Wasser als möglich aufzufangen, und wenn das Wasser getrunken war, wurden einige matte, traurige Worte gewechselt, worauf die vorige Stille und Unbeweglichkeit zurückkehrte.
Die heftigsten Qualen verursachten den erschöpften Leuten jetzt nicht mehr Hunger und Durst, sondern die Kälte. Obgleich man sich in der Nähe des Aequators befand, waren die Nächte dennoch empfindlich kalt, und man hörte dann gewöhnlich einige Jammerlaute und das Geklapper der zusammenschlagenden Zähne. Gegen Morgen wurde_es wieder wärmer und die erstarrten Glieder erhielten ihre vorige Elastizität wieder; aber nun begann eine andre Qual: – die Gluth der senkrecht herabfallenden Sonnenstrahlen. Ueber diese Leiden vergaß man die der vergangenen Nacht und sehnte sich nach dem kühlen Abendwinde, wie man sich des Nachts nach der Sonnenwärme sehnte.
Dabei ereigneten sich denn auch individuelle Dramen, welche Diejenigen, vor deren Augen sie sich zutrugen, kaum bemerkten.
Wir haben schon gesagt, daß fast Jedermann, obgleich Alle den nämlichen Qualen erlagen, eines anderen Todes starb. So war zum Beispiel der Sohn des Hochbootsmanns Wade, ein kräftiger und gesunder Jüngling, fast auf der Stelle und ohne einen Seufzer gestorben, während ein anderer, viel schwächerer junger Mann von gleichem Alter Hunger und Durst zwölf Tage lang ertrug und erst am dreizehnten Tage sein Ende herannahen fühlte.
Der Vater dieses jungen Mannes befand sich ebenfalls unter der Mannschaft, aber Beide waren getrennt worden, indem der Vater jener einzelne Matrose war, der sich in den Fockmastkorb begeben hatte, während sein Sohn sich auf dem Besanmaste befand.
So lange man sprechen konnte, wechselten die Leute in den beiden Mastkörben zuweilen einige Worte, und wenn die Stimme erlosch, begnügte man sich mit Zeichen und Winken. Als nun der unglückliche Vater aus dem Winken des jungen Mannes ersah, daß dieser dem Tode nahe war, schien er seine ganze Kraft wieder zu gewinnen, obgleich er bereits seit einigen Tagen fast unbeweglich gelegen hatte, stieg eiligst herab und kroch auf allen Vieren auf dem noch über dem Wasser befindlichen Plattbord des Wracks hinüber zu seinem Sohne. Er erreichte ihn glücklich, nahm ihn auf die Arme und trug ihn auf die Planken des noch nicht ganz versunkenen Hinterkastells, wo er ihn an das Geländer lehnte, damit das Wasser ihn nicht wegspülen konnte. Bekam der junge Mann einen jener Anfälle von Leibschmerz, die wir als Vorboten des Todes bezeichnet haben, so hob der Vater ihn auf und trocknete ihm den Schaum von den Lippen. Fielen einige tropfen Regen, so fing er sie mit ängstlicher Sorgfalt auf, rang das damit getränkte Stück Leinwand oder Zeug über dem Munde seines Sohnes aus und erfrischte seine brennende Zunge mit dem kühlenden Wasser. So brachte er fünf Tage auf dem Hinterkastell zu. Endlich starb aber der Sohn trotz der sorgsamsten Pflege. Der unglückliche Vater hob ihn nun wieder auf, drückte ihn mit einer Kraft, die man einem Menschen, welcher sechzehn Tage Nichts gegessen hat, kaum zutrauen sollte, an die Brust und hoffte noch lange, daß er zum Leben zurückkehren werde, bis endlich ein Zweifel an seinem Tode nicht mehr möglich war. Jetzt schien ihm Alles, selbst sein eigenes trauriges Loos, gleichgültig zu sein. Er blieb noch so lange in finsterem Hinbrüten bei dem Leichname, bis eine Stoßwelle ihn über Bord spülte; dann sah er ihn in den dunklen Fluthen versinken, und als er ihn nicht mehr erkennen konnte, hüllte er sich in ein Stück Segeltuch und legte sich nieder, um nicht wieder aufzustehen. Er _mußte jedoch noch zwei Tage gelebt haben, denn so oft eine Welle über seinen Körper hinwegging, sahen Diejenigen, welche das ganze Drama mit angstvollen Blicken beobachtet hatten, seine Glieder convulsivisch zusammenzucken.
Diese Scene war so herzzerreißend, daß sie einen tiefen Eindruck auf die Unglücklichen machte, obgleich das Gefühl ihrer eigenen entsetzlichen Lage jede Theilnahme für die Leiden Anderer zu ersticken schien.
Das Schiff wurde indessen von den Wellen des Ozeans, aber beständig unter Gottes Leitung, umher geworfen, ohne daß Jemand hätte sagen können, nach welcher Gegend es verschlagen wurde.
Endlich, am Abende des 10. Juli, zwanzig Tage nach dem Versinken der »Juno« richtete einer der Schiffbrüchigen den Blick lange auf einen Punkt, stand auf, um besser sehen zu können, und rief plötzlich aus:
»Ich sehe Land!«
5.
Dieser Rettungsruf machte Anfangs, so unglaublich dies auf den ersten Anschein klingen mag, auf Niemanden einen bemerkbaren Eindruck; die Apathie diese: Unglücklichen war so groß, daß Keiner aufstand, um sich durch eigne Anschauung von der Wahrheit der Thatsache zu überzeugen.
Einige Minuten Zeit waren nöthig, damit der durch die körperliche Erschöpfung geschwächte Geist der armen Leute die angekündigte Nachricht zu fassen vermochte, und nach Verlauf dieser ersten Minuten entstand eine Anfangs kaum merkliche Bewegung, bis nach und nach endlich Alle mit gespannter Erwartung den Blick auf den bezeichneten Punkt richteten.
Aber der Tag war schon zu weit vorgerückt, als daß man noch hätte erkennen können, ob es wirklich Land oder nur ein Trugbild war, welches die Phantasie der Schiffbrüchigen zuweilen auf dem einsamen Ozeane erblickt.
Merkwürdiger Weise aber schien man Anfangs kaum einigen Werth auf dieses glückliche Ereigniß zu legen; Aller Blicke hatten sich schweigend auf den bezeichneten Punkt gerichtet, dann war, wie gesagt, die Nacht hereingebrochen und hatte Alles in ihren dunkeln Mantel gehüllt.
Bald aber schien sich die Sehnsucht nach dem rettenden Lande im Herzen der Unglücklichen zu regen; das Gespräch wurde lebhafter, Jedermann äußerte seine Meinung und endlich war man allgemein der Ansicht, daß es Land gewesen sein müsse.
Nur John Mackay behauptete, daß es kein Land sei, und daß, selbst wenn es dies wäre, von einer gewissen Aussicht auf Rettung noch keineswegs die Rede sein könne.
Die unglückliche Madame Bremner, welche durch den Tod ihres Gatten und durch ihre eigenen Leiden schon völlig zu Boden gedrückt gewesen war, klammerte sich jetzt mit der Kraft der Verzweiflung an den schwachen Hoffnungsschimmer, und John Mackay's beharrliches Leugnen, daß das Gesehene Land sei, sowie seine Gleichgültigkeit gegen diese Nachricht, wenn sie auch auf Wahrheit beruhen sollte, machten sie vollends ganz unglücklich.
»Warum wollt Ihr denn nicht glauben, daß wir in der Nähe einer Küste sind? « rief sie aus; »und warum scheint Ihr Euch ganz und gar nicht darnach zu sehnen, wenn Ihr es auch glauben wolltet?«
»Weil ich erstens wirklich nicht glaube, daß ein Land in der Nähe sein kann,« antwortete der Hochbootsmann, »und dann, weil es in diesem Falle nicht unsere Rettung, sondern gerade unser unvermeidliches Verderben sein würde.«
»Unser Verderben? Warum denn?«. fragte die arme Frau,mit einem fieberglühenden Blicke.
»Weil wir das Schiff nicht regieren und daher unmöglich in einen Hafen steuern können, weil es eben deshalb in bedeutender Entfernung von der Küste auf den Grund stoßen und dann unfehlbar von den Wellen zertrümmert werden wird. Wenn Sie nicht mehr die Kraft in sich fühlen, Ihre Leiden zu ertragen, so wünschen Sie die Nähe, einer Küste herbei, und Sie können überzeugt sein, daß wie dann gewiß von allen unsern Qualen erlöst werden.«
Diese Prophezeiung aus dem Munde eines so erfahrenen Seemannes, wie John Mackay, versetzte Jedermann in eine verzweiflungsvolle Bestürzung, und mit der Hoffnung, die er den Unglücklichen geraubt hatte, erlosch auch das Gepräch wieder.
John erzählt selbst, daß die Ankündigung von der Nähe einer Küste ihm einen so geringen Trost gewährt habe; daß er eingeschlafen sei und am folgenden Morgen, als er erwachte, nicht einen Blick auf den Punkt des Horizonte geworfen habe, wo man sie gesehen haben wollte.
In dem nämlichen Augenblicke aber bewegte einer von den im Fockmastkorbe befindlichen Matrosen sein Taschentuch und versuchte das Wort »Land!« auszurufen.
Man sah das wehende Tuch und ahnte, was der Mann sagen wollte; aber der Ruf seiner schwachen Stimme schlug nur als ein unverständlicher Laut an's Ohr der in dem andern Mastkorbe befindlichen Schiffbrüchigen.
Beim Anblicke dieses Taschentuches regte sich jedoch auch in John Mackay der Wunsch, aufzustehen und sich umzusehen; da er sich aber gerade in einer bequemen Stellung befand, konnte er sich kaum dazu entschließen, und es bedurfte der ganzen Energie seines Willens, damit er seiner Neugierde endlich die Bequemlichkeit aufopferte. Die Folge seines Zauderns war, daß einer seiner Nebenmänner eher aufstand und erklärte, daß er wirklich Land sehe; seinem Beispiele folgte bald ein Dritter, und binnen wenigen Minuten standen Alle, der Hochbootsmann nicht ausgenommen, aufrecht im Mastkorbe.
John Mackay mußte nun ebenfalls zugeben, daß Das, was man vor Augen sah, wirklich einer Küste glich.
Als jedoch Madame Bremner ihn fragte, ob er glaube, daß es die Küste Koromandel sei, konnte sich der wackere Seemann, trotz der Schrecklichkeit der Situation, nicht enthalten, über diese naive Frage zu lächeln.
Im Laufe des Tages wurde indessen das Vorhandensein einer Küste in der angegebenen Richtung so augenscheinlich, daß auch John Mackay es nicht mehr leugnen konnte. Welches Land es aber war, davon hatte er, so wenig als alle Anderen, nicht die entfernteste Idee.
Jedermann schwebte nun in einer unbeschreiblichen Angst; merkwürdiger Weise aber erwachte mitten in der allgemeinen Angst einige Hoffnung in John, und auch diese Hoffnung hatte er wieder aus einem religiösen Gedanken geschöpft.
Dieser religiöse Gedanke, der in Johns Herzen aufgestiegen, war der, daß Gott die Schiffbrüchigen unmöglich habe so lange leiden lassen können, um in dem Augenblicke, wo er ihnen die Hoffnung wiedergab, ihren Leiden durch den Tod ein Ende zu machen.
Als daher Madame Bremner ihn durch einen Blick befragte, als ob sein Ausspruch ein Orakel wäre, das über Leben und Tod entscheiden sollte, erhob John Mackay Augen und Hände zum Himmel und sprach das Wort aus:
»Ich hoffe!«
Von nun an verwendeten die unglücklichen kein Auge mehr von der Küste. Leider aber zeigte es sich, je näher man derselben kam; immer deutlicher, daß sie höchst wahrscheinlich unbewohnt war.
Der Hochbootsmann traf seine Anstalten für die Nachtruhe, fest überzeugt, daß diese seine letzte Nacht sein und daß das Schiff vor dem nächsten Morgen auffahren und auseinander gehen werde.
Er war jedoch so ermüdet, daß er dem ungeachtet fest schlief.
Kurz vor Sonnenaufgang wurde er wirklich, wie alle anderen Schlafenden, durch eine heftige Erschütterung geweckt; das Schiff war auf eine Klippe gestoßen. Ein schwacher Schrei, der aber sogleich wieder erstarb, entschlüpfte jedem Munde.
Darauf folgte eine ängstliche Stille.
Die Stöße wiederholten sich noch mehrere Male, und sie waren so heftig, daß jedes Mal die beiden Maste erschüttert wurden und die Schiffbrüchigen nicht in den Mastkörben aufrecht stehen konnten, sondern sich niederlegen und anhalten mußten.
Zwischen neun und zehn Uhr Morgens fiel das Meer um mehrere Fuß, und der noch vorhandene Theil des Verdecks erschien über dem Wasserspiegel.
Es war nun die Rede davon, daß man auf das Verdeck hinuntersteigen wolle.
Dies war aber keine Kleinigkeit in dem Zustande, in den die zwanzigtägige Hungersnoth die noch Lebenden versetzt hatte. Man wird sich leicht eine Vorstellung davon machen können, welchen Anblick diese Unglücklichen darbieten mußten, die sich zwanzig Tage lang von Nichts als einigen Tropfen Regenwasser genährt hatten!
Man versuchte es indessen, und wie der Mensch so ziemlich Alles kann, was er will, es gelang.
Ja, noch mehr, der Kanonier und der Hochbootsmann unternahmen es sogar, Madame Bremner hinunter zu tragen, und sie erreichten auch nach unsäglichen Anstrengungen die Schwigtingen; hier aber verließen sie die Kräfte, und sie konnten nicht weiter.
Sie wendeten sich nun an diejenigen,Lascars, die noch am Wenigsten erschöpft waren, und zwei von ihnen erboten sich, Madame Bremner vollends hinunter zu tragen; da sie aber wußten, daß die arme Frau dreißig Rupien gerettet hatte, verlangten sie acht davon für ihre Mühe.
Der Kanonier und John Mackay versprachen sie ihnen im Namen der Madame Bremner.
Sie stiegen nun bis zu ihr hinauf, nahmen sie auf die Arme und brachten sie glücklich auf's Verdeck.
Kaum waren sie hier angekommen, so verlangten sie die Auszahlung der acht Rupien.
Madame Bremner war so froh, daß sie nicht mehr in dem unglücklichen Mastkorbe war, in dem sie so unsäglich gelitten hatte, und sie setzte, trotz Mackay's Aussagen, so große Hoffnungen auf die vor ihren Blicken liegende Küste, daß sie ihnen mit Vergnügen Alles gegeben haben würde, was sie besaß. Aber der Hochbootsmann machte sie darauf aufmerksam, daß die zweiundzwanzig Rupien ihr ganzes Vermögen wären und daß es am Ende besser sei, sie erforderlichen Falls für das Gemeinwohl Aller zu verwenden, als sie zwei Schurken zu geben, welche schändlich genug waren, um sich. in einer solchen Lage einen kleinen Dienst bezahlen zu lassen, den sie einer Frau, und noch dazu der Gattin ihres Kapitains, erzeigt hatten.
.
John Mackay versichert übrigens, daß dieser Zug das einzige Beispiel von Habsucht und Egoismus gewesen sei, das man der Mannschaft zum Vorwurfe machen,konnte.
Das Hinuntersteigen auf das Verdeck hatte so große Anstrengungen gekostet, daß Jedermann nur an die Ruhe dachte, mit Ausnahme einiger Malayen und Lascars, die sogleich Alles durchstöbertem um zu sehen, ob sie nicht in irgend einem Winkel etwas Geld fänden. Während sie damit beschäftigt waren, machte der Hochbootsmann die Entdeckung, daß der obere Theil des Steuerruders von den Wellen abgerissen worden war und daß man durch die entstandene Oeffnung leicht in die Constabelkammer gelangen konnte.
Sobald das Zwischendeck vom Wasser frei war, was ungefähr um zwei Uhr Nachmittags geschah, ging man hinab, um zu sehen, ob man vielleicht einen nutzbaren Gegenstand fände; allein das Meer hatte hier einen langen Besuch abgestattet und sich Alles angeeignet, bis auf vier Kokosnüsse, die man unter dem Tauwerk entdeckte. Was nun geschah, tröstete einigermaßen hie Rechtschaffenen über die unmenschliche Habsucht der beiden Lascars. Die, welche die vier Kokosnüsse gefunden hatten: behielten sie nicht für sich, obgleich sie das Recht dazu gehabt hätten, sondern sie erklärten, daß diese kostbaren Früchte das gemeinschaftliche Eigenthum Aller seien und redlich getheilt werden sollten. Die einzige Prämie, die sie beanspruchten, war die Milch.
Die Nüsse waren jedoch so alt, daß 'sich die Milch in eine Art ranziges Oel verwandelt hatte, das unmöglich den Durst löschen konnte.
Auch die fleischigen Theile waren so trocken und hart geworden, daß sie fast gar keinen Nahrungsstoff mehr enthielten und daß Diejenigen, welche Etwas davon aßen, heftiges Magendrücken bekamen. Ueberhaupt quälte Alle der Durst weit mehr als der Hunger.
Abgesehen von dem völligen Mangel an Speise und Trank, an den sich die Unglücklichen fast gewöhnt zu haben schienen, war der Aufenthalt in der Constabelkammer viel erträglicher, als in den Mastkörben. Es war noch seine Aussicht vorhanden, an's Land zu gelangen; hätte man solche aber auch gehabt, so war es, da die entdeckte Küste unbewohnt zu sein schien, noch immer besser, ruhig und sanft in dieser Kammer zu sterben, als von Tigern zerrissen zu werden. Außerdem konnte man von einem Schiffe gesehen und von ihm aufgenommen werden, was eigentlich noch die einzige wirklich annehmbare Hoffnung war.
Der Anblick des Landes schien übrigens schon einen günstigen Einfluß auszuüben, denn seit dem man es entdeckt hatte, war noch Niemand wieder gestorben. Aller Blicke waren beständig auf die rettende Küste gerichtet, von der man kaum eine Stunde entfernt war.
Um zwei Uhr Nachmittags zeigten sich Gruppen lebender Geschöpfe am Ufer, welche aussahen, wie menschliche Gestalten. Diese Nachricht verbreitete sich sogleich auf dem unglücklichen Schiffe, und wer sich noch von der Stelle bewegen konnte, schleppte sich auf die Schanzverkleidung, um durch Schwenken von Kleidungsstücken und möglichst lautes Rufen die Aufmerksamkeit dieser Leute auf sich zu ziehen. Sie entfernten und zerstreuten sich jedoch bald wieder, ohne daß sie dem Schiffe die mindeste Aufmerksamkeit geschenkt zu haben schienen, und die Schiffbrüchigen zweifelten daher fast daran, daß es Menschen gewesen waren.
Dem ungeachtet hob der Anblick der Küste und der Geschöpfe, von denen sie bewohnt war, was für welche es auch sein mochten, ihre Kräfte wieder, und man sprach davon, um jeden Preis an's Land zu gelangen, sollte man auch bei dem Versuche umkommen. In Folge dessen gingen Diejenigen, welche sich noch am Kräftigsten fühlten, in die Constabelkammer hinunter, wo man Spieren und Segelstangen gesehen hatte, schafften mit großer Mühe etwa ein halbes Dutzend davon hinauf und warfen sie ins Meer. Aber diese wenigen Stämme waren nicht hinreichend, um Alle zu retten, und die Kräfte der Unglücklichen waren zu erschöpft, als daß sie mehr hätten herausschaffen können.
Leider war auch keine Hoffnung, daß die gesunkenen Kräfte zurückkehrten, denn durch jede Anstrengung wurden sie noch mehr vermindert. Man legte sich nieder und wartete.
Am Abende, als die Fluth zu steigen begann, sprangen sechs Lascars, die kräftigsten von allen noch Lebenden, in's Meer, umklammerten die Spieren und ließen sich von der Fluth an's Ufer treiben, das sie auch, trotz der heftigen Brandung, vor den Augen der auf dem Schiffe Zurückgebliebenen glücklich erreichten.
Diese konnten nun sehen, wie sie einen Bach fanden und mit unverkennbaren Zeichen von Freude daraus tranken; dann legten sie sich, da sie wahrscheinlich nicht die Kraft hatten, weiter zu gehen und eine andre Nahrung zu suchen, am Strande nieder und schliefen ein.
Am folgenden Morgen vor Tagesanbruch waren die Schiffbrüchigen wieder auf der Schanzverkleidung, um bei den ersten Strahlen der Sonne das Land wieder zu sehen und zu erfahren, ob den sechs Lascaren, um,die man während der Nacht sehr besorgt gewesen, kein Unglück begegnet war.
Zum Glück war ihnen Nichts geschehen; man sah sie an der Stelle, wo sie sich am vorigen Abende niedergelegt hatten, aufstehen, wieder an den Bach gehen und daraus trinken.
Nur zu gern hätten die noch auf dem Schiffe Befindlichen das Beispiel ihrer Gefährten nachgeahmt und es ebenfalls versucht, das Land zu erreichen. Aber sie waren so schwach, daß sie Alle zusammen nicht die kleinste Spiere auf's Verdeck tragen konnten. Es befanden sich in der That nur noch zwei Frauen, von denen die eine Madame Bremner war, ein Mann von etwa fünfzig Jahren, der schon bei der Abreise kränklich gewesen war, und drei noch ältere Männer an Bord. Merkwürdiger Weise hatten gerade diese schwächlichen Geschöpfe zum Erstaunen des kräftigen und gefunden John Mackay, der jetzt nicht minder erschöpft war als sie, Entbehrungen und Anstrengungen ertragen, denen die stärksten und jüngsten Männer erlegen waren.
Gegen Mittag bemerkte man eine große Anzahl Leute, wahrscheinlich Eingeborene des Landes, die sich am Strande versammelten und dann auf die Stelle zu gingen, wo die sechs Lascars sich wieder niedergelegt hatten.
Diese schienen keinen andern Wunsch zu haben, als nur immer in der Nähe des Baches zu bleiben.
Dieser Anblick erregte natürlich die Aufmerksamkeit der auf dem Schiffe Zurückgebliebenen im höchsten Grade. In der That, konnte Das, was jetzt vor ihren Augen geschah, über ihr Loos entscheiden, und es war unbestreitbar die interessanteste und spannendste Scene in dem ganzen entsetzlichen Drama.
Die beiden Gruppen blieben in einiger Entfernung von einander stehen und schienen einige eher freundschaftliche als feindselige Worte zu wechseln; dann schloß sich die kleinere Gruppe der größeren an, vermischte sich mit ihr, und während Einige am Ufer ein Feuer anzündeten, wahrscheinlich um Reis zu kochen, kamen die Anderen dem Schiffe so nahe als möglich und schwenkten Tücher, um den dort Befindlichen zu verstehen zu geben, daß sie ebenfalls an's Land kommen sollten.
Diese Winke machten einen ergreifenden Eindruck auf die Unglücklichen. Anstatt der wilden Thiere, von denen die Küste hätte bewohnt sein können, fand man Menschen, welche den an's Land Gekommenen Beistand leisteten und auch den noch Kommenden solchen zu leisten bereit waren. Die guten Leute hatten jedoch keine Boote, und hätten sie auch welche gehabt, so würden sie sie wegen der starken Brandung nicht haben benutzen können; aber die tröstende Stimme der Hoffnung sagte den Schiffbrüchigen, daß sie gewiß ein Mittel finden würden, um zu ihnen zu gelangen und sie zu retten.
In folge dieser neu belebten Hoffnung beschloß jetzt der Hochbootsmann John Mackay, der in dem Anblicke des Vorgangs am Ufer wieder ein wenig Kraft gefunden hatte, alles Mögliche zu versuchen, um ebenfalls an's Land zu gelangen.
Er theilte den Anderen seinen Entschluß mit und bat sie, daß sie ihm behilflich sein möchten, noch einige Spieren 'in's Meer zu werfen.
Der Kanonier, der Equipagenmeister und der junge Mensch, von dem wir gesprochen haben, vereinigten ihre Anstrengungen, um diesen Zweck zu erreichen; nach einigen Augenblicken aber verließen sie die Kräfte und sie legten sich traurig wieder auf's Verdeck nieder.
John Mackay und der junge Mann setzten nun die Arbeit allein fort.
Mit unsäglicher Mühe gelang es ihnen, eine Spiere an einer Leine in's Meer zu lassen; am andren Ende dieser Leine befestigten sie eine losgerissene Planke der Bordwand, und so hatte Jeder von ihnen ein Stuck Holz, das ihn bei dem Versuche unterstützen konnte.
Als jedoch John in's Wasser springen wollte, sank ihm der Muth, und er war nahe daran, wieder umzukehren, um lieber auf dem Schiffe den Tod zu erwarten, anstatt ihm entgegen zu gehen. Das Beispiel seines jungen Gefährten ermuthigte ihn indessen, und er entschloß sich endlich zu dem Wagstücke, besonders da er überlegte, daß die Leute nicht ewig am Ufer bleiben würden und daß er wahrscheinlich am folgen den Tage noch weniger Kraft haben werde, als heute. Er nahm daher Abschied von der unglücklichen Madame Bremner, die nicht mehr gehen und kaum noch sprechen konnte, und versprach ihr, daß, wenn er die Küste erreichen sollte und es ihm möglich wäre, ihr irgendwie Hilfe zu senden', dies unverzüglich geschehen solle.
Sie gab ihm eine von den zweiundzwanzig Rupien, die sie noch besaß und die sie, um so sorgfältiger verwahrte, als sie schon Gelegenheit gehabt hatte, ihren Werth schätzen zu lernen.
John Mackay schwang sich nun auf sein Stück Holz, von dem sich die Leine von selbst ablöste, während er ein kurzes Gebet sprach; dies dünkte ihm ein gutes Vorzeichen, denn er erblickte in dieser ersten Bewegung nach dem Ufer die leitende Hand Gottes.
Kaum befand er sich im Wasser, so bemerkte er mit freudigem Erstaunen, daß seine erstarrten Glieder, die er noch vor fünf Minuten kaum hatte bewegen können, ihre ganze Gelenkigkeit und selbst ein wenig Kraft wieder erhielten.
Er überzeugte sich jedoch bald, daß die Spiere, anstatt ihn zu unterstützen, ihn in seinen Bewegungen hinderte. Bei jedem Wellenschlage drehte sie sich, so daß er unter das Wasser gedrückt wurde. Auch bemerkte er bald, daß die Fluth ihn nicht dem Lande zu, sondern in paralleler Richtung mit der Küste forttrieb. Er sah ein, daß er diese Anstrengungen nicht lange werde ertragen können, und versuchte daher, das Drehen der Spiere zu verhindern; zu dem Ende umschlang er sie mit einem Arme und einem Beine und ruderte mit dem andren Arme und dem andren Beine in gerader Richtung auf die Küste zu. Eine Zeitlang ging dies vortrefflich und er begann schon wieder Muth zu fassen, als plötzlich eine große Welle über ihn weg ging, ihm die Spiere entriß und ihn, fast betäubt durch das heftige Sturzbad, eine Strecke weit mit fort schwemmte.
Es gelang ihm indessen, wieder über das Wasser zu kommen, in dem nämlichen Augenblicke aber wurde er durch eine neue Woge abermals hinunter gedrückt.
Dies Mal glaubte der arme John, daß sein Ende gekommen sei und er wollte sich schon dem Spiele der Fluthen überlassen, als er plötzlich einen heftigen Stoß fühlte.
Eine Welle hatte ihn gegen die Spiere geworfen, die ihm die vorhergehende entrissen hatte.
Er erfaßte sie wieder, wurde abermals einige Male von ihr herumgedreht, fühlte aber dabei, daß er den sandigen Meeresgrund streifte, woraus er schloß, daß die Küste nicht mehr weit entfernt sein konnte, obgleich er sie noch nicht sah..
Eine von den immer zahlreicher und heftiger auf einander folgenden Wellen schleuderte ihn endlich gegen eine Kuppe, an die er sich festhielt, damit ihn die nächste Welle nicht wieder zurückwerfen konnte; zu gleicher Zeit ließ er die Spiere los, und die nächste Welle ging in der That vorüber, ohne daß sie ihn von seinem Riffe losreißen konnte.
Er schleppte sich nun mit ungeheurer Anstrengung bald auf dem Grunde fort, bald umklammerte er wieder einen Felsen, und so erreichte er nach und nach glücklich das Ufer.
Als er aber hier ankam; war er so erschöpft, daß er, ohne sich darum zu kümmern, ob die Wogen der Brandung ihn erreichen und wieder in die offene See spülen konnten, an einen Stein gelehnt auf den Sand niederfiel und sogleich einschlief.
Als er wieder erwachte, sah er sich von etwa zwölf Männern umgeben, welche die Hindusprache sprachen, und dies war eine große Freude für ihn, denn er hatte schon gefürchtet, daß die Küste nicht zum Gebiete der ostindischen Compagnie gehören möchte.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.