v1.0 – создание FB2 – Ostermann
Alexandre Dumas (père)
Der Graf von Bragelonne oder Zehn Jahre nachher
Erstes und zweites Bändchen
I.
Gegen die Mitte des Monats Mai im Jahr 1660, um neun Uhr Morgens, als die schon warme Sonne den Thau auf den Violen des alten Schlosses von Blois trocknete, kehrte eine kleine Cavalcade, bestehend aus drei Männern und zwei Pagen, über die Brücke der Stadt zurück, ohne eine andere Wirkung auf die Spaziergänger am Quai hervorzubringen, als eine erste Bewegung mit der Hand an den Kopf, um zu grüßen, und eine zweite Bewegung der Zunge, um im reinsten Französisch, das in Frankreich gesprochen wird, den Gedanken auszudrücken:
»
Während aber die Pferde den steilen Abhang hinaufkletterten, der vom Fluß nach dem Schlosse führte, näherten sich mehrere Ladenbursche dem letzten Pferd, das, am Sattelbogen hängend, verschiedene am Schnabel angebundene Vögel trug.
Bei diesem Anblick gaben die Neugierigen mit einer ganz ländlichen Offenherzigkeit ihre Verachtung gegen einen so magern Fang kund und kehrten dann, nachdem sie sich über die Nachtheile der Beize besprochen hatten, zu ihren Geschäften zurück. Nur einer von den Neugierigen, ein dicker, bausbackiger Bursche von heiterer Laune, fragte, warum sich Monsieur, der sich bei seinen großen Einkünften so gut belustigen könne, mit einer so kläglichen Unterhaltung begnüge.
»Weißt Du nicht,« antwortete man ihm, »das, es die Hauptbelustigung des Prinzen ist, sich zu langweilen?«
Der lustige Bursche zuckte die Achseln mit einer Geberde, welche klar wie der Tag bedeutete: »Dann will ich lieber der dicke Jean als der Prinz sein.« Und Jeder ging wieder an seine Arbeit.
Dies war nun von Seiten, der Einwohner von Blois eine sehr strafbare Unehrerbietigkeit, denn Monsieur war nach dem König, und selbst vielleicht vor dem König, der vornehmste Herr des Reiches. Gott, der dem damals regierenden Ludwig XIV. das Glück gewährt hatte, der Sohn von Ludwig XIII. zu sein, hatte
Doch es lag in dem Geschick dieses großen Fürsten, daß er überall, wo er sich zeigte, in einem nur geringen Grade die Aufmerksamkeit und die Bewunderung des Publikums erregte.
Dies war es vielleicht, was ihm die Miene ruhiger Langweile gab.
Das Leben des armen Prinzen war ein trauriges. Nach seiner kleinen Jagd am Ufer des Beuvron oder in den Wäldern von Chiverny, setzte
So viel von der Langweile extra muros: was die Langweile im Innern betrifft, so werden wir dem Leser einen Begriff davon geben, wenn er mit uns der Cavalcade folgen und bis zu der majestätischen Halle des Schlosses der Stände hinaufsteigen will.
Einer von den Pagen trug zwei Edelfalken auf einer Aufsitzstange, der andere ein Jagdhorn, in das er, zwanzig Schritte vom Schloß, nachlässig blies. Alles, was diesen nachlässigen Prinzen umgab, that, was es zu thun hatte, mit Nachlässigkeit.
Auf dieses Signal liefen acht Wachen, welche in dem viereckigen Hof in der Sonne spazieren gingen, herbei, nahmen ihre Hellebarden, und
Als er unter der tiefen Vorhalle verschwunden war, zerstreuten sich ein paar Taugenichtse, welche hinter der Cavalcade vom Mail zum Schloß hinaufgestiegen waren und dabei fortwährend einander die hängenden Vögel gezeigt hatten, indem sie ihre Commentare über das machten, was sie gesehen; sobald sich diese Taugenichtse entfernt hatten, blieben die Straße, der Platz und der Hof wieder öde.
Die acht Wachen, welche einsahen, daß ihr Dienst für den Rest des Tages beendigt war, legten sich in der Sonne auf die steinernen Bänke; die Stallknechte verschwanden mit ihren Pferden in den Ställen und, abgesehen von einigen munteren Vögeln, die sich einander durch scharfes Gezwitscher in den Büschen der Mauernelken scheu machten, hätte man glauben sollen, das ganze Schloß schlafe mit
Plötzlich erscholl mitten unter diesem sanften Schweigen ein nerviges, lautes Gelächter, das einen von den Hellebardieren, die in ihre Siesta versunken waren, ein Auge zu öffnen bewog.
Dieses Gelächter kam aus einem Fenster des Schlosses, das in diesem Augenblick von der Sonne besucht wurde. Der kleine eiserne Balcon, der an diesem Fenster hervorragte, war von einem Topf mit rothen Nelken, einem andern Topf mit Primeln und mit einem Frührosenstock besetzt, dessen herrlich grünes Blätterwerk durch mehrere rothe Punkte das baldige Erscheinen der Rosen ankündigte.
In dem Zimmer, das dieses Fenster erhellte, sah man einen viereckigen Tisch mit einem alten, großblumigen Harlemer Teppich bedeckt, mitten auf diesem Tisch eine steinerne Phiole mit langem Hals, in der Maiblumen und Irisblüthen staken, an jedem von den Enden dieses Tisches ein junges Mädchen.
Die Haltung dieser zwei Kinder war sonderbar: man hätte sie für zwei dem Kloster entwichene Kostschülerinnen halten können. Das eine zeichnete, die beiden Ellenbogen auf den Tisch gestützt, eine Feder in der Hand, Charactere auf ein Blatt schönes, holländisches Papier; das andere kniete auf einem Stuhl, was ihm den Kopf und die Büste über die Lehne und bis mitten auf den Tisch zu strecken erlaubte, und sah zu, wie seine Gefährtin schrieb, oder vielmehr zu schreiben zögerte. Daher tausendfaches Geschrei, Gespötte, Gelächter, wobei das eine immer geräuschvoller war als das andere, und die Vögel in den Mauernelken erschreckt und die Wache von
Wir sind an den Portraits, und man wird hoffentlich die zwei letzten dieses Kapitels hinnehmen. Diejenige, welche sich auf den Stuhl stützte, nämlich die geräuschvolle, die lachende, war ein hübsches Mädchen von neunzehn bis zwanzig Jahren, braun von Haut, braun von Haaren, glänzend durch seine Augen und besonders durch seine Zähne, welche wie Perlen unter den blutrothen Korallen ihrer Lippen funkelten.
Jede von den Bewegungen dieses Mädchens schien das Resultat des Spiels einer Mine zu sein; es lebte nicht, es sprang.
Die Andere, diejenige, welche schrieb, schaute ihre stürmische Gefährtin mit einem Auge so blau, so durchsichtig und rein an, wie es der Himmel an diesem Tage war. Ihre aschblonden, mit ausgezeichnetem Geschmack gerollten Haare fielen in seidenen Büscheln auf ihre perlmutterartigen Wangen herab; sie ließ über das Papier eine seine Hand hingehen, deren Magerkeit jedoch ihre außerordentliche Jugend bezeichnete. So oft ihre Freundin in ein Gelächter ausbrach, hob sie, wie geärgert, ihre poetisch und sanft geformten Schultern empor, denen aber jener Luxus an Stärke und Rundung fehlte, welchen man auch an ihren Armen und Händen zu sehen gewünscht hätte.
»Montalais! Montalais!« sagte sie endlich mit einer Stimme so sanft und liebkosend wie ein Gesang. »Ihr lacht zu stark, Ihr lacht wie ein Mann; Ihr werdet Euch dadurch nicht nur den Herren Garden bemerkbar machen, sondern auch die Glocke von
Das Mädchen, das man Montalais nannte, hörte bei dieser Ermahnung weder auf zu lachen, noch zu gesticuliren; es antwortete nur:
»Louise, Ihr sprecht nicht, was Ihr denkt, meine Liebe; Ihr wißt, daß die Herren Garden, wie Ihr sie nennt, ihren Schlaf beginnen, und daß sie dann Kanonen nicht aufzuwecken vermöchten; Ihr wißt, daß man die Glocke von
Und Montalais verdoppelte ihr Gelächter und ihre stürmischen Herausforderungen.
Die Blonde erzürnte sich wirklich; sie zerriß das Blatt, auf das in der That die Worte »
»Nun! nun!« sagte Fräulein von Montalais, »unser kleines Lamm, unser Jesuskind, unsere Taube ärgert sich! . . . Habt doch keine Furcht, Louise! Frau von Saint-Remy wird nicht kommen, und wenn sie käme . . . Ihr wißt, daß ich ein feines Ohr habe. Was kann übrigens mehr erlaubt sein, als an einen alten Freund von zwölf Jahren her zu schreiben, besonders wenn der Brief mit den Worten: »»Herr Raoul!«« beginnt?«
»Es ist gut, ich werde ihm nicht schreiben,« entgegnete das Mädchen.
»Oh! wahrhaftig, Montalais ist nun gehörig bestraft!« rief immer lachend die braune Spötterin. »Vorwärts, nehmt ein anderes Blatt Papier und beendigen wir rasch unsere Botschaft. Gut, nun wird die Glocke geläutet! Ah! meiner Treue, das ist schlimm.
Es erklang wirklich eine Glocke; man meldete,
Sobald diese Förmlichkeit erfüllt war, frühstückten die beiden Gatten und trennten sich dann bis zum Mittagessen, das unabänderlich auf zwei Uhr bestimmt war.
Beim Klange der Glocke öffnete sich in den Officen, welche rechts im Hofe lagen, eine Thüre, durch die zwei Haushofmeister, gefolgt von acht Köchen, welche eine Tragbahre beladen mit Schüsseln, worauf silberne Glocken, schleppten, heraustraten.
Einer von diesen Haushofmeistern, der der erste dem Range nach zu sein schien, berührte sachte mit seinem Stäbchen eine von den Wachen, welche auf ihrer Bank schnarchte; er trieb seine Güte sogar so weit, daß er in die Hände dieses schlaftrunkenen Menschen seine Hellebarde steckte, welche neben ihm an der Wand angelehnt war, wonach der Soldat, ohne sich irgendwie zu erkundigen, bis zum Speisezimmer
Wo das Fleisch vorüberkam, schulterten die Soldaten das Gewehr.
Fräulein von Montalais und ihre Gefährtin folgten von ihrem Fenster aus den Einzelheiten dieses Ceremoniels, an das sie übrigens gewöhnt sein mußten. Sie schauten indessen nur mit so großer Neugierde, um sicher zu sein, daß man sie nicht stören würde. Sobald Köche, Wachen, Pagen und Haushofmeister vorbei waren, kehrten sie auch wieder zu ihrem Tisch zurück, und die Sonne, die im Fensterrahmen einen Augenblick diese zwei reizenden Gesichter beleuchtet hatte, beschien nur noch die Nelken, die Primeln und den Rosenstock.
»Bah!« sagte Montalais, während sie ihren Platz wieder einnahm, »
»Oh! Montalais, Ihr werdet gestraft werden,« rief das andere Mädchen, indem es sich sachte wieder an den seinigen setzte.
»Gestraft? ah! ja, nämlich der Spazierfahrt beraubt werden; es ist mir ganz lieb, wenn man mich straft, ich will nichts Anderes. In der großen Kutsche, auf einem Schlage hockend, ausfahren, rechts drehen, links steuern, auf Straßen voll von Fahrgeleisen, wo man in zwei Stunden höchstens eine Meile macht; dann gerade gegen den Flügel des Schlosses zurückkehren, wo sich das Fenster von Frau von Medicis findet, so daß Madame unfehlbar jedes Mal also zu mir spricht: »»Sollte man glauben, daß Königin Maria hier herab entflohen ist! sieben und vierzig Fuß hoch! die Mütter von zwei Prinzen und drei Prinzessinnen!«« Ist das ein Vergnügen, Louise, so wünsche ich alle Tage gestraft zu werden, besonders wenn meine Strafe darin besteht, daß ich bei Euch bleibe und so interessante Briefe schreibe, wie wir sie schreiben.«
»Montalais! Montalais! man hat Pflichten zu erfüllen!«
»Ihr sprecht ganz nach Eurem Gefallen, mein Herz, Ihr, die man inmitten dieses Hofes frei läßt. Ihr seid die Einzige, welche die Vortheile davon erntet, ohne die Lasten tragen zu müssen, Ihr, mehr Ehrenfräulein von
Louise nahm ihre ernste Miene an, stützte ihr Kinn auf ihre Hand und sprach mit einem unschuldsvollen Tone:
»Macht mir doch mein Wohlergehen zum Vorwurf! Werdet Ihr das Herz dazu haben? Ihr habt eine Zukunft; Ihr seid vom Hofe; der König, wenn er sich verheirathet, wird
»Mehr noch, ich werde Raoul sehen, der bei dem Herrn Prinzen ist,« fügte Montalais bei.
»Armer Raoul!« seufzte Louise.
»Das ist der Augenblick, um ihm zu schreiben theure Schöne; auf! beginnen wir wieder das ausgezeichnete »»Herr Raoul««, das am Kopfe des zerrissenen Blattes glänzte.«
Sie reichte ihr die Feder und ermuthigte mit einem reizenden Lächeln ihre Hand, welche rasch die bezeichneten Worte schrieb.
»Und nun?» fragte das jüngere von den beiden Mädchen.
»Nun schreibt, was Ihr denkt, Louise,« antwortete Montalais.
»Seid Ihr sicher, daß ich irgend etwas denke?«
»Ihr denkt an irgend Jemand, was am Ende auf dasselbe herauskommt, oder vielmehr sehr schlimm ist.«
»Ihr glaubt, Montalais?«
»Louise! Louise! Eure blauen Augen sind tief wie das Meer, das ich im vorigen Jahr in Boulogne gesehen. Nein, ich täusche mich, das Meer ist treulos, Eure Augen sind tief wie das Azur da oben über unsern Köpfen.«
»Wohl! da Ihr so gut in meinen Augen lest, sagt mir, was ich denke, Montalais.«
»Vor Allem denkt Ihr nicht »»
»Oh!«
»Erröthet nicht über so wenig. »»
Louise stand plötzlich auf.
»Nein, Montalais,« sagte sie lächelnd, »ich denke nicht ein Wort von diesem. Hört, was ich denke.«
Und sie nahm kühn die Feder und schrieb mit fester Hand folgende Worte:
Montalais, welche zuschaute, wie die Feder lief, und verkehrt las, während ihre Freundin schrieb, unterbrach sie, klatschte in die Hände und rief:
»Das gefällt mir! das ist treuherzig, das ist Gemüth, das ist Styl! Zeigt diesen Parisern, meine Liebe, daß Alois die Stadt der schönen Sprache ist.«
»Er weiß, daß für mich Blois das Paradies gewesen ist.« erwiederte das junge Mädchen.
»Das wollte ich sagen, und Ihr sprecht wie ein Engel.«
»Ich endige, Montalais.«
Und sie fuhr in der That fort:
»Oh! oh!« rief Montalais, »nehmt Euch in Acht, mein Lamm, Ihr streut Eure Wolle aus und es gibt dort Wolfe!«
Louise wollte antworten, als der Galopp eines Pferdes unter der Vorhalle des Schlosses erscholl.
»Was ist das?« sagte Montalais, ans Fenster tretend: »meiner Treue! ein schöner Cavalier.«
»Oh! Raoul!« rief Louise, welche dieselbe Bewegung gemacht hatte, wie ihre Freundin, und zitternd, erbleichend, bei ihrem unvollendeten Brief niedersank.
»Bei meinem Wort, das ist ein geschickter Liebhaber!« rief Montalais, »der kommt zu gelegener Zeit!«
»Zieht Euch zurück, zieht Euch zurück! ich bitte Euch,« flüsterte Louise.
»Bah! er kennt mich nicht; laßt mich sehen, was er hier machen will.«
II.
Fräulein von Montalais hatte Recht, der junge Reiter sah gut aus.
Es war ein junger Mann von vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahren, groß, schlank gewachsen; er trug anmuthig aus seinen Schultern die reizende militärische Kleidung jener Zeit. Seine trichterförmigen Reiterstiefel enthielten einen Fuß, den Fräulein von Montalais nicht verleugnet hätte, wenn sie in einen Mann verwandelt worden wäre. Mit einer seiner seinen, nervigen Hände hielt er sein Pferd mitten im Hose an und mit der andern lüpfte er seinen Hut mit der langen Feder, welche sein zugleich ernstes und naives Gesicht beschattete.
Bei dem Geräusch seines Pferdes erhoben sich die Wachen und waren rasch auf den Beinen.
Der junge Mann ließ einen von diesen Leuten an seinen Sattel treten, neigte sich zu ihm herab und sprach mit einer klaren Stimme, welche vollkommen an dem Fenster gehört wurde, wo sich die zwei Mädchen verborgen hielten:
»Ein Bote für Seine königliche Hoheit.«
»Ah! ah!« rief der Mann von der Wache; »Officier, ein Bote!«
Doch dieser brave Mann wußte wohl, daß kein Officier erscheinen würde, in Betracht, daß der einzige, welcher hätte erscheinen können, hinten im Schloß in einem kleinen Zimmer wohnte, das die Aussicht nach dem Garten hatte. Er fügte auch eiligst bei:
»Mein Herr, der Officier ist auf der Runde, doch in seiner Abwesenheit wird man Herrn von Saint-Remy, den Oberhofmeister, benachrichtigen.«
»Herr von Saint-Remy,« wiederholte der Cavalier, ein wenig erröthend.
»Ihr kennt ihn?«
»Ja . . . ich bitte, benachrichtigt ihn, damit mein Besuch sobald als möglich Seiner Hoheit gemeldet wird.«
»Es scheint, das hat Eile,« sagte der Soldat, als ob er mit sich selbst spräche, jedoch in der Hoffnung, eine Antwort zu erhalten.
Der Bote machte mit dem Kopf ein bejahendes Zeichen.
»Dann will ich selbst den Oberhofmeister aufsuchen,« sprach der Soldat.
Der junge Mann stieg indessen ab, und während die andern Soldaten neugierig jede Bewegung des schönen Pferdes, das ihn gebracht hatte, betrachteten, kehrte der Soldat wieder um und sagte:
»Verzeiht, mein edler Herr, Euren Namen, wenn’s beliebt?«
»Der Vicomte von Bragelonne, im Auftrage Seiner Hoheit des Prinzen von Condé.«
Der Soldat machte eine tiefe Verbeugung und stieg, als hätte ihm der Name des Siegers von Rocroy und Sens Flügel gegeben, leicht die Freitreppe hinauf, um sich in die Vorzimmer zu begeben.
Herr von Bragelonne hatte nicht Zeit gehabt, sein Pferd an die eisernen Stangen dieser Freitreppe anzubinden, als Herr von Saint-Remy schon athemlos herbeilief, wobei er mit einer Hand seinen dicken Bauch hielt, während er mit der andern die Luft durchschnitt, wie ein Fischer mit einem Ruder die Wellen durchschneidet.
»Ah! Herr Vicomte, Ihr in Blois?« rief er; »das ist ein Wunder! Guten Morgen, Herr Raoul, guten Morgen!«
»Ich begrüße Euch ehrfurchtsvoll, Herr von Saint-Remy.«
»Wie wird Fräulein von Lavall . . . ich will sagen wie wird Frau von Saint-Remy glücklich sein, Euch wiederzusehen! Doch kommt, Seine königliche Hoheit frühstückt; soll ich sie unterbrechen? Ist die Sache wichtig?«
»Ja und nein, Herr von Saint-Remy. Jedenfalls könnte ein Augenblick Verzug Seiner königlichen Hoheit einige Unannehmlichkeiten bereiten.«
»Wenn dem so ist, so wollen wir dem Verbot zuwider handeln, Herr Vicomte. Ueberdies ist
»Große, Herr von Saint-Remy.«
»Und gute, denke ich?«
»Vortreffliche.«
»Dann kommt geschwinde,« rief der gute Mann, der sich, während er ging, wieder zurecht richtete.
Raoul folgte ihm, seinen Hut in der Hand und ein wenig erschrocken über den Lärmen, den seine Sporen auf den Böden dieser ungeheuren Säle machten.
Sobald er im Innern des Palastes verschwunden war, bevölkerte sich das Fenster des Hofes wieder und ein lebhaftes Geflüster verrieth die Gemüthsbewegung der zwei jungen Mädchen; bald hatten sie ohne Zweifel einen Entschluß gefaßt, denn eines von den zwei Gesichtern verschwand vom Fenster: es war der braune Kopf; das andere blieb hinter dem Balcon, unter den Blumen verborgen, und schaute aufmerksam durch die Oeffnungen der Zweige nach der Freitreppe, auf der Herr von Bragelonne in den Palast eingetreten war.
Der Gegenstand so großer Neugierde setzte indessen, den Spuren des Oberhofmeisters folgend, seine Wanderung fort. Das Geräusch von eiligen Tritten, der Geruch und der Dampf von Weinen und Fleischspeisen, das Klirren von Krystallgefäßen und Silbergeschirr belehrten ihn. daß er dem Ziele seines Ganges nahe war.
Die Pagen, die Bedienten und die Officianten, welche in der dem Speisezimmer vorhergehenden Office versammelt waren, empfingen den Ankömmling mit einer für diese Gegend sprichwörtlichen Höflichkeit. Einige kannten Raoul, beinahe Alle wußten, daß er von Paris kam. Man könnte sagen, seine Ankunft habe einen Augenblick den Dienst unterbrochen.
Soviel ist gewiß, daß ein Page, der Seiner Hoheit zu trinken einschenkte, als er die Sporen im anstoßenden Zimmer hörte, sich umwandte wie ein Kind, ohne zu bemerken, daß er fortwährend goß, doch nicht mehr in das Glas des Prinzen, sondern auf das Tischtuch.
»Nun!« wiederholte
Herr von Saint-Remy, der seinen Kopf durch die Thüre streckte, benutzte diesen Augenblick und sprach:
»Gnädigster Herr, man wagt es, Eure Hoheit zu stören.«
»Warum sollte man mich stören?« erwiederte Gaston, indem er eine dicke Schnitte von einem der größten Salme an sich zog, welcher je die Loire hinaufschwommen war, um sich zwischen Painboeuf und Saint-Nazaire fangen zu lassen.
»Es ist ein Bote von Paris eingetroffen. Oh! doch wir haben nach dem Frühstück von Monseigneur Zeit.«
»Von Paris?« rief der Prinz, während er seine Gabel fallen ließ; »ein Bote von Paris, sagt Ihr? Und in wessen Auftrag kommt dieser Bote?«
»Im Auftrag des Herrn Prinzen,« erwiederte eiligst der Oberhofmeister.
Es ist bekannt, daß man so Herrn von Condé nannte.
»Ein Bote vom Herrn Prinzen?« sprach Gaston mit einer Unruhe, welche keinem der Anwesenden entging und folglich die allgemeine Neugierde, verdoppelte.
»Soll ich den Gesandten warten lassen?« fragte Herr von Saint-Remy.
Ein Blick von Madame ermuthigte Gaston, und er erwiederte:
»Nein, im Gegentheil, laßt ihn auf der Stelle eintreten. Doch sagt, wer ist es?«
»Ein Edelmann aus dieser Gegend, der Herr Vicomte von Bragelonne.«
»Ah! ja, sehr gut! . . . Führt ihn ein, Saint-Remy, führt ihn ein.«
Und als er diese Worte mit seinem gewöhnlichen Ernste hatte fallen lassen, schaute er auf eine gewisse Weise die Leute seines Dienstes an, welche sämmtlich, Pagen, Officianten und Stallmeister, die Serviette, das Messer, den Becher niedersetzten und einen ebenso raschen, als unordentlichen Rückzug nach dem zweiten Zimmer nahmen.
Diese kleine Armee entfernte sich in zwei Reihen, als Raoul von Bragelonne, dem Herr von Saint-Remy voranschritt, in das Speisezimmer eintrat.
Der kurze Augenblick der Einsamkeit, in der ihn dieser Rückzug gelassen hatte, erlaubte
Raoul blieb am untern Ende der Tafel stehen, so , daß er sich zwischen
Der Prinz wartete seinerseits, bis die Thüren hermetisch verschlossen waren; er wollte sich nicht umwenden, um sich hierüber zu versichern, was nicht würdig genug gewesen wäre; doch er horchte mit allen seinen Ohren auf das Geräusch des Schlosses, was ihm wenigstens einen Anschein von Geheimniß gab.
Als die Thüre geschlossen war, schlug
»Es scheint, Ihr kommt von Paris, mein Herr?«
»In diesem Augenblick, Monseigneur.«
»Wie befindet sich der König?«
»Seine Majestät ist vollkommen gesund, Monseigneur.«
»Und meine Schwägerin?«
»Ihre Majestät die Königin Mutter leidet immer noch auf der Brust. Seit einem Monat geht es indessen besser.«
»Sagte man mir nicht, Ihr kämet von Seiten des Herrn Prinzen? Man täuschte sich sicherlich.«
»Nein, Monseigneur, Der Herr Prinz hat mich beauftragt, Eurer königlichen Hoheit diesen Brief zu übergeben, und ich erwarte eine Antwort darauf.«
Raoul war etwas aufgeregt durch diesen kalten, ängstlichen Empfang; seine Stimme sank unmerklich zu dem unruhigen Tone der Stimme des Prinzen herab, so daß Beide beinahe leise sprachen. Der Prinz vergaß, daß er die Ursache dieses Geheimnisses war, und die Furcht erfaßte ihn wieder. Er empfing mit scheuem Auge den Brief des Prinzen von Condé, entsiegelte ihn, als ob er ein verdächtiges Paquet entsiegeln würde, und wandte sich, um ihn zu lesen, um, damit Niemand die Wirkung auf seinem Gesichte bemerken könnte.
Madame beobachtete mit einer Aengstlichkeit, welche beinahe der des Prinzen gleichkam, jedes der Manoeuvres ihres erhabenen Gemahls.
Unempfindlich und durch die Aufmerksamkeit seiner Wirthe etwas vom Zwang befreit, schaute Raoul von seinem Platze aus durch das vor ihm offene Fenster nach den Gärten und den Statuen, welche dieselben bevölkerten.
»Ah!« rief plötzlich
Der Tisch war zu breit, als daß der Arm des Prinzen die Hand der Prinzessin erreichen konnte; Raoul beeilte sich, ihr Vermittler zu sein; er that dies mit einer Anmuth, welche die Prinzessin entzückte und dem Vicomte einen schmeichelhaften Dank eintrug.
»Ihr kennt ohne Zweifel den Inhalt dieses Briefes?« sagte Gaston zu Raoul.
»Ja, gnädigster Herr, der Herr Prinz übergab mir Anfangs die Sendung mündlich; doch Seine Hoheit bedachte und nahm die Feder.«
»Es ist eine schöne Handschrift,« sprach
»Wollt Ihr
»Ja, lest, ich bitte Euch, mein Herr,« fügte
Raoul begann die Lesung, der
Der Brief war in folgenden Worten abgefaßt:
»Monseigneur,
»Das ist äußerst huldvoll gegen uns,« sprach Madame, die sich mehr als einmal während dieses Lesens mit den Blicken ihres Gemahls berathen hatte. »Der König!« rief sie etwas lauter, als vielleicht, wenn man das Geheimnis bewahren wollte, nöthig gewesen wäre.
»Mein Herr,« sagte Seine Hoheit, welche nun das Wort nahm, »ich werde dem Herrn Prinzen von Condé danken und ihm meine ganze Erkenntlichkeit für das Vergnügen ausdrücken, das er mir bereitet.«
Raoul verbeugte sich.
»An welchem Tag kommt Seine Majestät?« fuhr der Prinz fort.
»Der König, Monseigneur, wird aller Wahrscheinlichkeit nach schon diesen Abend ankommen.«
»Aber wie hätte man dann meine Antwort erfahren, falls sie verneinend gewesen wäre?«
»Monseigneur, ich hatte den Auftrag, in aller Eile nach Beaugency zurückzukehren, um dem Courier Gegenbefehl zu geben, der selbst wieder zurückgekehrt wäre, um dem Herrn Prinzen den Gegenbefehl zu überbringen.«
»Seine Majestät ist also in Orleans?«
»Noch näher, Monseigneur; Seine Majestät muß in diesem Augenblick in Meung angekommen sein.«
»Der Hof begleitet sie?«
»Ja, Monseigneur.«
»Ah! ich vergaß, mich bei Euch nach dem Herrn Cardinal zu erkundigen.«
»Seine Eminenz scheint sich einer guten Gesundheit zu erfreuen, Monseigneur.«
»Ohne Zweifel begleiten den Herrn Cardinal seine Nichten?«
»Nein, Monseigneur, Seine Eminenz hat den Fräulein von Mancini befohlen, nach Brouage abzureisen; sie folgen dem linken User der Loire, während der Hof auf dem rechten kommt.«
»Wie? Fräulein Marie von Mancini verläßt auch den Hof?« fragte
»Fräulein Marie von Mancini besonders,« antwortete Raoul discreter Weise.
Ein flüchtiges Lächeln, die unmerkliche Spur seines alten Intriguengeistes, erhellte die bleichen Wangen des Prinzen.
»Ich danke, Herr von Bragelonne,« sagte nun Monsieur; »Ihr werdet vielleicht den Auftrag an den Herrn Prinzen, den ich Euch gern übergeben möchte, nicht ausrichten und ihm nicht sagen wollen, sein Bote sei mir sehr angenehm gewesen, doch ich werde es ihm selbst sagen.«
Raoul verbeugte sich, um
Sogleich trat Herr von Saint-Remy ein und das Zimmer füllte sich mit Menschen.
»Meine Herren,« sprach der Prinz, »Seine Majestät erfreut mich mit der Ehre, einen Tag in Blois zuzubringen; ich rechne darauf, daß der König, mein Neffe, die Gunst, die er meinem Hause gewährt, nicht zu bereuen haben wird.«
»Es lebe der König!« riefen mit wüthender Begeisterung alle Leute vom Dienst und Herr von Saint-Remy vor Allen.
Gaston neigte das Haupt mit einer finsteren Traurigkeit; sein ganzes Leben hatte er das Geschrei: Es lebe der König! das über ihn hinging, anhören oder vielmehr aushalten müssen. Da er es lange Zeit nicht mehr gehört, so hatte sein Ohr ausgeruht; nun erhob sich vor ihm ein jüngeres, lebhafteres, glänzenderes Königthum wie eine neue, eine schmerzliche Herausforderung.
»Das ist nicht der Augenblick zum Plaudern, sondern zum Arbeiten,« sagte sie mit dem Tone einer Hausfrau, die sich ärgert.
Herr von Saint-Remy beeilte sich, den von den Officianten um Raoul gebildeten Kreis zu durchbrechen, so daß dieser das Vorzimmer erreichen konnte.
»Man wird hoffentlich für diesen Edelmann sorgen,« fügte Madame, sich an Herrn von Saint-Remy wendend, bei.
Der gute Mann lief sogleich Raoul nach.
»Madame beauftragt uns, Euch Erfrischungen zu reichen,« sagte er; »es ist auch eine Wohnung für Euch im Schlosse bereit.«
»Ich danke, Herr von Saint-Remy,« erwiederte Bragelonne; »Ihr wißt, wie sehr es mich drängt, dem Herrn Grafen, meinem Vater, meine Achtung zu bezeigen.«
»Es ist wahr, es ist wahr, Herr Raoul, ich bitte Euch, drückt ihm zugleich auch meine Ehrfurcht aus.«
Raoul machte sich von dem alten Edelmann los und ging weiter.
Als er, sein Pferd am Zügel führend, unter dem Thorgewölbe durchkam, rief ihm eine kleine Stimme aus dem Hintergrunde einer dunkeln Allee.
»Herr Raoul!« sagte die Stimme.
Der junge Mann wandte sich erstaunt um und sah ein braunes Mädchen, das einen Finger auf seine Lippen legte und die Hand gegen ihn ausstreckte. Dieses Mädchen war ihm unbekannt.
III.
Raoul machte einen Schritt gegen das Mädchen, das ihm zurief.
»Aber mein Pferd, Madame,« sagte er.
»Ihr scheint sehr verlegen zu sein! geht; es ist ein Schoppen im ersten Hof, bindet Euer Pferd dort an und kommt rasch.«
»Ich gehorche, Madame.«
Raoul brauchte nicht vier Minuten, um zu thun, was man ihm empfohlen hatte; er kam zu der kleinen Pforte, wo er in der Dunkelheit seine geheimnißvolle Führerin wiedersah, die ihn auf den Stufen einer Wendeltreppe erwartete.
»Seid Ihr muthig genug, um mir zu folgen, mein Herr Ritter?« fragte das Mädchen, lachend über das kurze Zögern, das Raoul einen Augenblick kundgegeben.
Dieser antwortete dadurch, daß er ihr auf der düsteren Treppe nacheilte. So erstiegen sie drei Stockwerke, er hinter ihr und mit seinen Händen, wenn er das Geländer suchte, ein seidenes Kleid berührend, das an den beiden Wänden der Treppe hinstreifte. Bei jedem falschen Tritt von Raoul rief ihm seine Führerin ein strenges:
»Man würde so bis oben in den Thurm des Schlosses hinaufsteigen, ohne eine Müdigkeit zu bemerken,« sagte Raoul.
»Dies beweist, daß Ihr sehr neugierig und sehr unruhig seid, mein Herr; doch beruhigt Euch: wir sind an Ort und Stelle.«
Das Mädchen stieß eine Thüre auf, welche auf der Stelle, ohne irgend einen Uebergang, mit einer Lichtwoge den Ruheplatz der Treppe füllte, auf dem Raoul, das Geländer haltend, erschien.
Seine Führerin ging immer weiter; er folgte ihr; sie trat in ein Zimmer; Raoul trat wie sie ein.
Sobald er in der Falle war, hörte er einen Schrei, wandte sich um und sah zwei Schritte von sich, die Hände gefaltet, die Augen geschlossen, das schöne blonde Mädchen mit den blauen Augen und den weißen Schultern, das ihn, als es ihn erkannte, Raoul genannt hatte.
Er sah das Mädchen und errieth so viel Liebe, so viel Glück in dem Ausdruck seiner Augen, daß er mitten im Zimmer auf die Kniee sank und seinerseits den Namen Louise flüsterte.
»Ah! Montalais! Montalais!« seufzte diese, »es ist eine große Sünde, so zu täuschen.«
»Ich! ich habe Euch getäuscht?«
»Ja, Ihr sagt mir, Ihr gehet hinab, um Erkundigung einzuziehen, und nun laßt Ihr diesen Herrn heraufkommen!«
»Dies mußte wohl sein. Wie hätte er sonst den Brief bekommen, den Ihr ihm schriebet?«
Und sie deutete mit dem Finger auf diesen Brief, der noch auf dem Tisch lag; rascher, obgleich sie mit einem merkwürdigen körperlichen Zögern sich bewegte, streckte Louise die Hand aus, um ihn festzuhalten. Raoul begegnete dieser ganz warmen, ganz zitternden Hand; er nahm sie in seine Hände und zog sie so ehrfurchtsvoll an seine Lippen, daß er mehr einen Hauch, als einen Kuß darauf niederlegte.
Mittlerweile hatte Fräulein von Montalais den Brief genommen, sorgfältig, wie es die Frauen thun, dreieckig zusammengelegt und in ihre Brust gesteckt.
»Seid unbesorgt, Louise,« sagte sie, »dieser Herr wird den Brief ebenso wenig hier nehmen, als der selige Ludwig XIII. die Billets aus dem Schnürleibe von Fräulein von Hautefort nahm.«
Raoul erröthete, als er das Lächeln der beiden Mädchen wahrnahm, und bemerkte nicht, daß die Hand von Louise in der seinigen geblieben war.
»Nun!« sagte Montalais, »Ihr verzeiht mir, Louise, daß ich Euch den Herrn gebracht habe, und Ihr, mein Herr, Ihr grollt mir nicht, daß Ihr mir gefolgt seid, um das Fräulein zu sehen. Und da der Friede geschlossen ist, stellt mich Herrn von Bragelonne vor, Louise.«
»Herr Vicomte,« sprach Louise mit ihrer ernsten Anmuth und ihrem unschuldsvollen Lächeln, »ich habe die Ehre, Euch Fräulein Aure von Montalais, Ehrendame Ihrer königlichen Hoheit Madame und zugleich meine Freundin, meine vortreffliche Freundin, vorzustellen.«
Raoul grüßte auf eine ceremoniöse Weise.
»Und mich, Louise,« sagte er, »stellt Ihr mich nicht auch dem Fräulein vor?«
»Oh! sie kennt Euch! sie kennt Euch ganz und gar!«
Dieses naive Wort machte Montalais lachen und Raoul vor Glück seufzen, denn er deutete es: sie kennt
»Die Höflichkeiten sind abgemacht, Herr Vicomte,« sagte Montalais; »hier ist ein Stuhl, setzt Euch und sagt uns geschwinde die Neuigkeit, die Ihr so in aller Eile überbringt.«
»Mein Fräulein, das ist kein Geheimniß mehr. Der König hält auf seiner Reise nach Poitiers in Blois an, um Seine königliche Hoheit zu besuchen.«
»Der König! hier!« rief Montalais, ihre Hände an einander schlagend; »wir sollen den Hof sehen! Faßt Ihr das, Louise? Den wahren Hof von Paris? Oh! mein Gott! aber wann dies, mein Herr?«
»Vielleicht diesen Abend, mein Fräulein; sicherlich morgen.«
Montalais machte eine Geberde des Aergers,
»Da hat man nicht einmal Zeit, sich vorzubereiten, ein Kleid zurechtzurichten! Wir sind hier zurück wie die Polinnen! wir werden Portraits aus der Zeit von Heinrich IV. gleichen! . . . Ah! mein Herr, was für eine abscheuliche Neuigkeit bringt Ihr uns da!«
»Meine Fräulein, Ihr werdet immer schön sein.«
»Das ist abgeschmackt! . . . Wir werden immer schön sein, ja, weil die Natur uns leidlich gemacht hat, aber wir werden lächerlich sein, weil uns die Mode vergessen hat . . . Ach! lächerlich! man wird mich lächerlich sehen, mich!«
»Wer dies?« fragte Louise naiv.
»Wer dies? Ihr seid seltsam, meine Liebe! . . . Ist dies eine Frage, die man an mich richten kann?
»Verzeiht, meine Freundin, aber da Jedermann hier gewohnt ist, uns so zu sehen, wie wir sind . . . «
»Einverstanden, doch das ändert sich, und wir werden sogar für Blois lächerlich sein; denn neben uns wird man die Moden von Paris sehen und begreifen, daß wir nach der Mode von Blois gekleidet sind! . . . Das ist zum Verzweifeln!«
»Tröstet Euch, mein Fräulein.«
»Ah! basta! im Ganzen ist das nur schlimm für diejenigen, welche mich nicht nach ihrem Geschmack finden werden!« sagte Montalais philosophisch.
»Diese wären sehr schwierig,« versetzte Raoul, getreu seinem System regelmäßiger Galanterie.
»Ich danke, Herr Vicomte. Wir sagten also, der König komme nach Blois?«
»Mit dem ganzen Hof.«
»Die Fräulein Mancini werden dabei sein?«
»Nein, gerade sie nicht.«
»Doch da der König, wie man hört, nicht ohne Fräulein Marie sein kann?«
»Mein Fräulein, er wird wohl ohne sie sein müssen. Der Herr Cardinal will es; er verbannt seine Nichten nach Brouage.«
»Er! der Heuchler!«
»Stille!« sagte Louise, indem sie ihren Finger auf ihre rosigen Lippen drückte.
»Bah! Niemand kann mich hören. Ich sage, der alte Mazarino Mazarini ist ein Heuchler und brennt vor Begierde, seine Nichte zur Königin von Frankreich zu machen.«
»Nein, mein Fräulein, der Herr Cardinal läßt im Gegentheil Seine Majestät die Infantin Maria Theresia heirathen.«
Montalais schaute Raoul ins Gesicht und rief:
»Ihr glaubt an diese Mährchen, Ihr Pariser? Ah! wir in Blois sind stärker als Ihr.«
»Mein Fräulein, da der König Poitiers hinter sich läßt und nach Spanien reist, da die Artikel des Heirathsvertrages zwischen Don Luis de Haro und Seiner Eminenz festgestellt sind, so seht Ihr wohl ein, daß es sich nicht mehr um Kinderspiele handelt.«
»Ah! ich denke, der König ist der König.«
»Allerdings, mein Fräulein, doch der Cardinal ist der Cardinal.«
»Er ist also kein Mensch, der König? Er liebt also Marie Mancini nicht?«
»Er betet sie an.«
»Nun wohl, so wird er sie heirathen; wir bekommen Krieg mit Spanien; Herr von Mazarin gibt einige von den Millionen aus, die er bei Seite gelegt hat, unsere Edelleute verrichten Heldenthaten, wenn sie mit den stolzen Castilianern zusammentreffen, und viele von ihnen kehren mit Lorbeeren bekränzt zu uns zurück, und wir bekränzen sie dann mit Myrthen. So verstehe ich die Politik.«
»Montalais, Ihr seid toll,« sagte Louise, »jede Uebertreibung zieht Euch an, wie das Feuer die Schmetterlinge anzieht.«
»Louise, Ihr seid so vernünftig, daß Ihr nie lieben werdet.«
»Oh!« machte Louise mit einem zärtlichen Vorwurf, »begreift doch, Montalais! Die Königin Mutter wünscht ihren Sohn mit der Infantin zu verheirathen; soll der König seiner Mutter ungehorsam sein? Ist es die Sache eines königlichen Herzens wie das seine, ein schlimmes Beispiel zu geben? Wenn die Eltern die Liebe verbieten, verjagen wir die Liebe!«
Und Louise seufzte.
Raoul schlug mit einer gezwungenen Miene die Augen nieder; Montalais brach in ein Gelächter aus,
»Ich habe keine Eltern,« sagte sie.
»Ihr habt ohne Zweifel Nachrichten von der Gesundheit des Herrn Grafen de la Fère?« sagte Louise mit einem Seufzer, der in seinem beredten Ausdruck viel Schmerz enthüllte.
»Nein, mein Fräulein,« erwiederte Raoul, »ich habe meinem Vater noch keinen Besuch gemacht, doch ich war im Begriff, mich nach seinem Hause zu begeben, als Fräulein von Montalais die Güte hatte, mich zurückzuhalten; ich hoffe, der Herr Graf befindet sich wohl. Nicht wahr, Ihr habt nichts Unangenehmes sagen hören?«
»Nichts, Herr Raoul, nichts, Gott sei Dank!«
Hier trat ein Stillschweigen ein, während dessen sich zwei Seelen, welche denselben Gedanken verfolgten, vollkommen verstanden, selbst ohne den Beistand eines einzigen Blickes.
»Ah! mein Gott!« rief plötzlich Montalais, »man kommt herauf.«
»Wer kann das sein?« sagte Louise, unruhig aufstehend.
»Meine Fräulein, ich belästige Euch vielleicht, ich bin ohne Zweifel unbescheiden gewesen,« stammelte Raoul, der sich sehr unbehaglich fühlte.
»Es ist ein schwerer Tritt,« sagte Louise.
»Ah! wenn es nicht Herr Malicorne ist, so wollen wir uns nicht dadurch stören lassen,« versetzte Montalais.
Louise und Raoul schauten sich an, um sich zu fragen, wer dieser Herr Malicorne wäre.
»Seid unbesorgt,« fuhr Montalais fort, »er ist nicht eifersüchtig.«
»Aber, mein Fräulein,« sagte Raoul.
»Ich verstehe . . . Nun, er ist so verschwiegen, als ich bin.«
»Mein Gott!« rief Louise, welche ihr Ohr an die Thüre gehalten hatte, »ich erkenne den Gang meiner Mutter.«
»Frau von Saint-Remy! wo mich verbergen?« sagte Raoul, indem er bittend Montalais anschaute, welche ein wenig den Kopf verloren zu haben schien.
»Ja,« sagte diese, »ich erkenne auch die klappernden Stelzschuhe. Es ist unsere vortreffliche Mutter! Herr Vicomte, es ist sehr Schade, daß das Fenster auf ein Pflaster geht und fünfzig Fuß über der Erde liegt.«
Raoul schaute mit verwirrtem Wesen nach dem Bakum, Louise faßte ihn am Arm und hielt ihn zurück.
»Ah! bin ich denn toll!« sagte Montalais, »habe ich denn nicht den Schrank für die Ceremonienkleider! er sieht wahrhaftig aus, als wäre er dazu gemacht.«
Es war die höchste Zeit, Frau von Saint-Remy stieg rascher als gewöhnlich herauf; sie kam auf den Ruheplatz in dem Augenblick, wo Montalais wie in den Ueberraschungsscenen den Schrank schloß, indem sie ihren Leib an die Thüre drückte.
»Ah!« rief Frau von Saint-Remy, »Ihr seid hier, Louise?«
»Ja, Madame,« erwiederte sie, bleicher, als wenn sie eines Verbrechens überwiesen worden wäre. »Gut! gut!«
»Setzt Euch, Madame,« sagte Montalais und bot Frau von Saint-Remy einen Stuhl an, den sie so stellte, daß sie dem Schrank den Rücken zuwandte.
»Ich danke, Fräulein Aure, ich danke; kommt geschwinde, meine Tochter, wir wollen gehen.«
»Wohin soll ich denn gehen, Madame?«
»Nach Hause; müßt Ihr nicht Eure Toilette vorbereiten?«
»Wie beliebt?« fragte Montalais, die schleunigst die Erstaunte spielte, so sehr befürchtete sie, Louise könnte eine Unvorsichtigkeit begehen.
»Ihr wißt also die Neuigkeit nicht?« fragte Frau von Saint-Remy.
»Welche Neuigkeit sollen zwei Mädchen in diesem Taubenschlag erfahren, Madame?«
»Wie! . . . Ihr habt Niemand gesehen?«
»Madame, Ihr sprecht in Räthseln, und Ihr laßt uns am kleinen Feuer sterben!« rief Montalais, die, als sie Louise immer bleicher sah, nicht mehr wußte, welchem Heiligen sie sich weihen sollte.
Endlich gewahrte sie bei ihrer Freundin einen sprechenden Blick, einen von jenen Blicken, welche eine Mauer verstehen würde. Louise bezeichnete ihrer Freundin den Hut, den unglücklichen Hut von Raoul, der sich auf dem Tisch breit machte.
Montalais warf sich davor, ergriff ihn mit ihrer linken Hand, schob ihn hinter sich und verbarg ihn gänzlich, während sie sprach.
»Nun,« sagte Frau von Saint-Remy, »es ist ein Courier eingetroffen, der die nahe bevorstehende Ankunft des Königs meldet. Da, meine Fräulein, handelt es sich darum, schön zu sein!«
»Geschwinde, geschwinde!« rief Montalais, »folgt, Eurer Frau Mutter, Louise, und laßt mich mein Ceremonienkleid zurecht richten.«
Louise stand auf; ihre Mutter nahm sie bei der Hand und führte sie auf den Ruheplatz.?
»Kommt,« sagte sie.
Und ganz leise:
»Wenn ich Euch verbiete, zu Montalais zu gehen, warum geht Ihr doch zu ihr?«
»Madame, es ist meine Freundin. Uebrigens kam ich so eben.«
»Hat man Niemand in Eurer Gegenwart sich verbergen lassen?« »Madame!«
»Ich habe einen Männerhut gesehen, den von dem Burschen, von dem Taugenichts!« »Madame!« rief Louise.
»Von dem nichtsthuerischen Malicorne! Ein Ehrenfräulein so besuchen . . . pfui!«
Und die Stimmen verloren sich in den Tiefen der kleinen Treppe.
Montalais hatte nicht das Geringste von diesen . Worten verloren, die ihr das Echo wie durch einen Trichter zusandte.
Sie zuckte die Achseln und sagte, als sie Raoul sah, der, aus seinem Versteck hervortretend, ebenfalls gehört hatte: ’’
»Arme Montalais! Opfer der Freundschaft! . . . Armer Malicorne! . . . Opfer der Liebe!«
Sie schwieg, als sie die tragikomische Miene von Raoul gewahrte, der ärgerlich über sich selbst war, daß er an einem Tage so viele Geheimnisse erlauert hatte.
»Oh l mein Fräulein,« sagte er, »wie soll ich Euch für Eure Güte erkenntlich sein?«
»Wir werden unsere Rechnung eines Tags ordnen,« erwiederte sie; »für den Augenblick macht Euch aus dem Staub, Herr von Bragelonne, denn Frau von Saint-Remy ist durchaus nicht nachsichtig, und irgend eine Indiscretion von ihrer Seite könnte hier eine für uns Alle sehr ärgerliche Haussuchung herbeiführen. Gott befohlen!«
»Aber Louise . . . wie erfahren? . . .
»Geht! geht! König Ludwig XI, wußte sehr wohl, was er that, als er die Post erfand.«
»Ach!« seufzte Raoul.
»Und bin ich nicht da, ich, die ich so viel werth bin, als alle Posten des Königreichs? Geschwinde! zu Pferde! Wenn Frau von Saint-Remy wieder heraufkommt, um mir Moral zu lesen, so soll sie Euch nicht mehr hier finden.«
»Sie würde es meinem Vater sagen, nicht wahr?« murmelte Raoul.
»Und Ihr würdet gezankt werden! Ah! Vicomte, man sieht wohl, daß Ihr vom Hofe kommt: Ihr seid furchtsam wie der König. Bei Gott! wir in Blois wissen uns besser der Erlaubniß von Papa zu überheben! Fragt Malicorne.«
Nach diesen Worten schob das Mädchen Raoul an den Schultern vor die Thüre; er schlüpfte am Thorweg hin, fand sein Pferd, schwang sich darauf und sprengte fort, als ob er die acht Leibwachen von Monsieur auf den Fersen hätte.
IV.
Raoul folgte der wohlbekannten, seinem Gedächtniß so theuren Straße, welche von Blois nach dem Hause des Grafen de la Fère führte.
Der Leser wird uns einer neuen Beschreibung dieses Gebäudes überheben. Er ist in anderen Zeiten mit uns dahin gekommen. Er kennt es. Nur hatten seit der letzten Reise, die wir dahin gemacht, die Mauern eine grauere Farbe und der Backstein harmonischere Kupfertöne angenommen; die Bäume waren größer geworden, und der Baum, der früher seine mageren Arme über die Hecken ausstreckte, warf nun gerundet, buschig, üppig, unter seinen von Saft angeschwollenen Aesten fernhin den dichten Schatten mit Blüthen oder Früchten für den Wanderer aus.
Raoul erblickte in der Ferne das spitzige Dach, die zwei kleinen Thürmchen, den Taubenschlag in den Ulmen und die Tauben, welche sich beständig im Fluge, ohne ihn je verlassen zu können, um den Backsteinkegel drehten, den süßen Erinnerungen ähnlich, die um eine heitere, reine Seele flattern.
Als er sich näherte, vernahm er das Geräusch der Kloben, welche unter dem Gewicht schwerer Eimer knarrten; es kam ihm auch vor, als hörte er das schwermüthige Seufzen des Wassers, das in den Brunnen zurückfällt, ein trauriges, unheimliches, feierliches Geräusch, welches das Ohr des Kindes oder des Träumers so trifft, daß es weder das eine, noch der andere mehr vergißt; ein Geräusch, das die englischen Dichter Splass, die arabischen Poeten Gasgachau nennen, und das wir Franzosen, die wir auch gern Dichter sein möchten, nur durch die Umschreibung:
Es war mehr als ein Jahr, daß Raoul seinen Vater zum letzten Mal besucht hatte. Er hatte diese ganze Zeit bei dem Herrn Prinzen zugebracht.
Nach allen den Bewegungen der Fronde, deren erste Periode wir früher zu erzählen versuchten, hatte sich Louis von Condé öffentlich, feierlich und ohne Rückhalt mit dem Hof versöhnt. Während der ganzen Zeit, welche der Bruch des Herrn Prinzen mit dem König dauerte, bot der Herr Prinz, der längst den Grafen von Bragelonne liebgewonnen hatte, diesem alle Vortheile an, welche einen jungen Menschen blenden können. Getreu seinen Grundsätzen der Loyalität und der Anhänglichkeit an das Königthum, die er eines Tags vor seinem Sohn in den Gruftgewölben von Saint-Denis entwickelt hatte, schlug der Graf de la Fère im Namen von Raoul stets Alles aus. Mehr noch, statt Herrn von Condé bei seiner Rebellion zu folgen, folgte der Vicomte, für den König kämpfend, Herrn von Turenne, Als sodann Herr von Turenne ebenfalls die königliche Sache zu verlassen schien, verließ er Herrn von Turenne, die er es bei Herrn von Condé gemacht hatte. Folge dieser unabänderlichen Linie des Benehmens war, daß, da Turenne und Condé immer nur unter der Fahne des Königs Sieger geblieben, Raoul, trotz seiner Jugend, zehn Siege und nicht eine Niederlage, durch die seine Tapferkeit und sein Gewissen zu leiden gehabt hätten, in das Verzeichniß seiner Dienste eintragen durste.
Raoul hatte also nach dem Wunsche seines Vaters hartnäckig und passiv dem Glückssterne von Ludwig XIV. gedient, trotz aller Abfälle, welche in jener Zeit endemisch und. man darf wohl sagen, beinahe unvermeidlich waren.
Als Herr von Condé wieder in Gnade kam, benützte er Alles, und besonders sein Privilegium der Amnestie, um viele Dinge, die ihm bewilligt worden waren, zurückzuverlangen und unter Anderem auch Raoul. In seinem unerschütterlichen, gefunden Beistande schickte der Herr Graf de la Fère Raoul sogleich zu dem Prinzen zurück.
Ein Jahr war also seit der letzten Trennung des Vaters und des Sohnes abgelaufen; einige Briefe hatten die Schmerzen seiner Abwesenheit gemildert, aber nicht geheilt. Man hat gesehen, daß Raoul in Blois eine andere Liebe, als die kindliche Liebe zurückließ.
Doch lassen wir ihm die Gerechtigkeit widerfahren, daß Raoul ohne den Zufall und Fräulein von Montalais, zwei versuchende Dämone, nach Erfüllung seiner Botschaft sogleich nach dem Hause seines Vaters galoppirt wäre, wobei er ohne Zweifel den Kopf umgedreht hätte, jedoch ohne einen Augenblick anzuhalten, und hätte er auch Louise die Arme nach ihm ausstrecken sehen.
Der erste Theil seines Rittes wurde auch von Raoul dem Bedauern des Vergangenen, das er so schnell verlassen, nämlich der Geliebten geweiht; die andere Hälfte dem Freunde, den er wiederfinden sollte . . . zu langsam für seine Sehnsucht.
Raoul fand die Gartenthüre offen und sprengte sein Pferd unter die Allee, ohne auf die Zeichen des Zorns zu merken, die mit seinen Armen ein Greis machte, der ein Tricot von veilchenblauer Wolle trug und eine alte, abgetragene Sammetmütze auf dem Kopf hatte.
Dieser Greis, der mit seinen Händen eine Rabatte von Zwergrosen und Margarethenblumen ausgätete, entrüstete sich, als er ein Pferd so in seine mit frischem Sand bestreuten und gerechten Alleen lausen sah.
Er wagte sogar ein kräftiges: He! das den Reiter sich umzudrehen bewog. Nun ging rasch eine Veränderung vor, denn sobald der Greis das Gesicht von Raoul gesehen hatte, sing er an, in der Richtung des Hauses wegzulaufen, mit einem unterbrochenen Knurren, das bei ihm der Paroxismus einer tollen Freude zu sein schien.
Raoul kam zu den Ställen, übergab sein Pferd einem kleinen Lackei und stieg die Freitreppe mit einem Eifer hinauf, welcher sicherlich das Herz seines Vaters ergötzt hätte.
Er durchschritt das Vorzimmer, den Speisesaal und den Salon, ohne Jemand zu finden; endlich, als er an die Thüre des Cabinets des Herrn Grafen de la Fère kam, klopfte er ungeduldig an und trat, beinahe ohne das Wort:
Der Graf saß vor einem mit Papieren und Büchern bedeckten Tisch. Es war immer noch der edle und schöne Mann von einst; doch die Zeit hatte seinem Adel, seiner Schönheit einen feierlicheren, ausgezeichneteren Charakter verliehen. Eine weiße, faltenlose Stirne unter seinen langen, mehr grauen, als schwarzen Haaren, ein durchdringendes und sanftes Auge unter den Wimpern eines Jünglings, der seine und kaum ergrauende Schnurrbart, welcher Lippen von einer so reinen und zarten Formung umgab, als wären sie nie von sterblichen Leidenschaften zusammengezogen worden; eine gerade und geschmeidige Taille, eine tadellose, aber abgemagerte Hand, dies war der erhabene Edelmann, dessen Lob unter dem Namen Athos so vieler ausgezeichneter Menschen Mund ausgesprochen hatte. Er beschäftigte sich eben damit, die Blätter eines Heftes Manuscript, das ganz von seiner Hand ausgefüllt war, zu verbessern.
Raoul faßte seinen Vater bei den Schultern, beim Hals, wie er konnte, und umarmte ihn so zärtlich, so rasch, daß der Graf weder die Kraft, noch die Zeit hatte, sich loszumachen und seine väterliche Erschütterung zu bewältigen.
»Ihr hier, Ihr hier, Raoul!« sprach er. »Ist das möglich?«
»Oh! Herr, Herr! welche Freude, Euch wiederzusehen!«
»Ihr antwortet mir nicht, Vicomte? Habt Ihr einen Urlaub, um in Blois zu sein, oder ist ein Unglück in Paris geschehen?«
»Es ist, Gott sei Dank! nur Glückliches geschehen,« erwiederte Raoul, der sich allmälig beruhigte; »der König verheirathet sich, wie ich Euch in meinem letzten Briefe zu melden die Ehre gehabt habe, und reist nach Spanien. Seine Majestät wird durch Blois kommen.«
»Um
»Ja, Herr Graf. Da er befürchtete, er könnte ihn unversehens überfallen, oder da er ihm besonders angenehm zu sein wünschte, so hat mich der Herr Prinz abgeschickt, um die Quartiere bereit zu halten.«
»Habt Ihr
»Ich habe diese Ehre gehabt.«
»Im Schloß?«
»Ja, mein Herr,« erwiederte Raoul, die Augen niederschlagend, weil er ohne Zweifel in der Frage des Grafen mehr als Neugierde fühlte.
»Ah! wahrhaftig, Vicomte? Ich mache Euch mein Compliment.«
Raoul verbeugte sich.
»Aber Ihr habt in Blois noch Jemand gesehen?«
»Ich habe Ihre königliche Hoheit
»Sehr gut. Doch ich spreche nicht von
Raoul erröthete und antwortete nicht.
»Ihr hört mich nicht, wie es scheint, Herr Vicomte?« sprach Herr de la Fère, ohne seine Frage stärker zu betonen, während er jedoch seinem Blicke einen etwas strengeren Ausdruck verlieh.
»Ich höre Euch vollkommen, Herr Graf,« erwiederte Raoul, »und wenn ich meine Antwort vorbereite, so geschieht es nicht, weil ich eine Lüge suche, wie Ihr wißt.«
»Ich weiß, daß Ihr nie lügt, und muß mich auch wundern, daß Ihr so lange Zeit braucht, um mir Ja oder Nein zu sagen.«
»Ich kann Euch nur antworten, wenn ich Euch gut verstehe, und wenn ich Euch gut verstanden habe, so werdet Ihr meine ersten Worte schlimm aufnehmen! Es mißfällt Euch ohne Zweifel, Herr Graf, daß ich . . . «
»Fräulein de la Vallière gesehen habe, nicht wahr?«
»Von ihr wollt Ihr sprechen, ich weiß es wohl, Herr Graf,« sagte Raoul mit unbeschreiblicher Weichheit.
»Und ich frage Euch, ob Ihr sie gesehen habt?«
»Herr Graf, als ich ins Schloß kam, wußte ich durchaus nicht, Fräulein de la Vallière könnte dort sein; erst als ich zurückkehrte, nachdem ich meine Sendung vollbracht hatte, führte uns der Zufall zusammen. Ich habe die Ehre gehabt, ihr meine Achtung zu bezeigen.«
»Wie heißt der Zufall, der Euch mit Fräulein de la Vallière zusammenbrachte?«
»Fräulein von Montalais, mein Herr.«
»Wer ist Fräulein von Montalais?«
»Eine junge Person, die ich nicht kannte, die ich nie gesehen hatte. Sie ist Ehrenfräulein von
»Herr Vicomte, ich werde mein Verhör nicht weiter treiben und mache es mir schon zum Vorwurf, daß ich es so lange habe dauern lassen. Ich hatte Euch empfohlen, Fräulein de la Vallière zu vermeiden und sie nur mit meiner Erlaubniß zu sehen. Oh! ich weiß, daß Ihr mir die Wahrheit gesagt und keinen Schritt gethan habt, um sich ihr zu nähern. Der Zufall hat mich beeinträchtigt; ich habe Euch nicht anzuklagen. Ich werde mich also mit dem begnügen, was ich Euch schon in Beziehung auf Fräulein de la Vallière gesagt habe. Gott sei mein Zeuge, ich mache ihr keinen Vorwurf; es läßt sich nur nicht mit meinen Plänen in Einklang bringen, daß Ihr ihr Haus besucht. Ich bitte Euch noch einmal, mein lieber Raoul, Euch hiernach zu richten.
Es war, als ob das so reine und durchsichtige Auge von Raoul bei diesem Worte sich trübte.
»Nun, mein Freund,« fuhr der Graf mit seinem sanften Lächeln und seinem gewöhnlichen Tone fort, »sprechen wir nun von etwas Anderem. Ihr werdet vielleicht zu Eurem Dienste zurückkehren?«
»Nein, mein Herr, ich kann den ganzen Tag bei Euch bleiben. Der Herr Prinz hat mir glücklicher Weise keine andere Pflicht vorgeschrieben. als die, welche so sehr mit meinen Wünschen übereinstimmte.«
»Der König befindet sich wohl?«
»Vortrefflich.«
»Und der Herr Prinz auch?«
»Wie immer.«
Der Graf vergaß Mazarin: das war eine alte Gewohnheit.
»Wohl! Raoul, da Ihr nur mir gehört, so werde ich Euch meinerseits auch meinen ganzen Tag schenken. Umarmt mich noch einmal . . . Ihr seid zu Hause, Vicomte . . . Ah! hier ist unser alter Grimaud! . . . Kommt, Grimaud, der Herr Vicomte will Euch auch umarmen.«
Der lange Greis ließ sich das nicht wiederholen; er lief mit offenen Armen herbei. Raoul ersparte ihm die Hälfte des Wegs.
»Wollen wir nun mit einander in den Garten gehen, Raoul? Ich zeige Euch die neue Wohnung, die ich Euch für Eure Urlaube habe bereiten lassen, und während wir die Pflanzungen, die ich angelegt, und zwei neue Reitpferde, die ich getauscht, anschauen, gebt Ihr mir Nachricht von unsern Freunden in Paris.«
Der Graf schloß sein Manuscript, nahm den jungen Mann beim Arm und ging mit ihm in den Garten.
Grimaud schaute schwermüthig Raoul nach, der mit dem Kopf beinahe an dem Querholz der Thüre anstreifte, und während er seinen weißen Knebelbart streichelte, entschlüpfte ihm das tiefe Wort:
»Groß geworden.«
V.
Während der Graf de la Fère mit Raoul die neuen Gebäude besucht, die er hatte errichten lassen, und die neuen Pferde die er gekauft, werden uns unsere Leser erlauben, sie nach der Stadt Blois zurückzuführen und einer ungewöhnlichen Bewegung in dieser Stadt beiwohnen zu lassen.
Es hatte sich besonders in den Gasthöfen der Gegenschlag der von Raoul überbrachten Neuigkeit fühlbar gemacht.
In der That, wenn der König und der Hof, das heißt hundert Reiter, zehn Carossen, zweihundert Pferde und ebenso viele Bedienten. als Herren in Blois angekommen wären, wo würden sich alle diese Menschen unterbringen, wo würden sich alle die Edelleute aus der Umgegend einquartieren, welche in zwei bis drei Stunden eintreffen müßten, sobald die Nachricht das Centrum ihrer Verbreitung erweitert hätte, wie jene wachsenden Kreise, welche das Fallen eines in einen ruhigen See geschleuderten Steines hervorbringt?
Am Morgen so friedlich, wie wir gesehen, als der ruhigste See der Welt, füllte sich Blois bei der Nachricht von der Ankunft des Königs mit Lärmen und Gesumme.
Alle Bedienten des Schlosses gingen unter der Aufsicht der Hausofficianten in die Stadt, um Mundvorräthe zu holen, und zehn Couriere zu Pferd galoppirten nach Chambord, um Wildpret zu bestellen, nach den Fischereien von Beuvron, um Fische herbeizuschaffen, nach den Gewächshäusern von Chaverny wegen der Blumen und Früchte.
Man zog aus dem Meublemagazin kostbare Teppiche und Tapeten, Lustres mit vergoldeten Ketten; ein Heer von Armen fegte die Höfe und wusch die steinernen Vorplätze ab, während ihre Weiber jenseits der Loire die Fluren durchwühlten, um allerlei Gras und Feldblumen zu suchen. Um nicht unter diesem Luxus der Reinlichkeit zu bleiben, machte die ganze Stadt ihre Toilette mit großer Verstärkung an Bürsten, Besen und Wasser. Durch die beständigen Waschungen angeschwellt, wurden die Bäche der obern Stadt Flüsse in der untern Stadt, und das, es ist nicht zu leugnen, zuweilen sehr schmutzige kleine Pflaster scheuerte sich, brillantirte sich in den befreundeten Strahlen der Sonne.
Die Musiken bereiteten sich vor; die Schubladen leerten sich, man kaufte bei den Handelsleuten Wachs, Bänder und Degenquasten; die Hausfrauen sorgten für Vorräthe an Fleisch, Brod und Spezereien, Viele Bürger, deren Haus ausgestattet war, als sollte es eine Belagerung aushalten, zogen schon, da sie sich mit nichts Anderem mehr zu beschäftigen hatten, ihre Festtagskleider an und wandten sich nach dem Thore der Stadt, um die Ersten zu sein, welche den Zug sehen oder signalisiren würden, Sie wußten wohl, der König würde erst in der Nacht, oder vielleicht erst am folgenden Morgen ankommen. Doch was ist das Warten, wenn nicht eine Art von Tollheit, und was ist die Tollheit, wenn nicht ein Uebermaß von Hoffnung?
In der untern Stadt, kaum hundert Schritte vom Schloß der Stände, zwischen dem Mail und dem Schloß, in einer ziemlich hübschen Straße, die man damals die Rue Vieille nannte, und die auch in der That sehr alt sein mußte, erhob sich ein ehrwürdiges Gebäude mit spitzigem Giebel, von breiter, untersetzter Form, verziert mit drei Fenstern nach der Straße im ersten Stock, zwei im zweiten und einem kleinen Ochsenauge im dritten.
Auf den Seiten dieses Dreiecks hatte man vor Kurzem ein ziemlich weites Parallelogramm gebaut, das ohne alle Umstände in die Straße eingriff, nach dem Gebrauch, der in jener Zeit bei dem Bauherrnamt ganz einheimisch war. Wohl sah sich die Straße um ein Drittel verengt, aber das Haus fand sich beinahe um die Hälfte erweitert: ist das nicht eine hinreichende Ausgleichung?
Eine Ueberlieferung behauptete, dieses Haus mit dem spitzigen Giebel sei zur Zeit von Heinrich III, von einem Rathe der Stände bewohnt gewesen, den die Königin Catharina nach den Einen besucht habe, nach den Ändern habe erdrosseln lassen. Wie dem auch sein mag, die gute Dame mußte ihren Fuß vorsichtig auf die Schwelle dieses Gebäudes gesetzt haben.
Nachdem der Rath durch Erdroßlung oder eines natürlichen Todes gestorben war, gleichviel, wurde das Haus verkauft, sodann verlassen und endlich von den andern Häusern der Straße vereinzelt. Erst um die Mitte der Regierung von Ludwig XIII. richtete sich ein Italiener Namens Cropoli, der aus den Küchen des Marschall d’Ancre entkommen war, in diesem Hause ein. Er gründete eine kleine Gastwirthschaft, worin so vortreffliche, so seine Macaroni fabricirt wurden, daß man von mehreren Meilen in der Runde herbeikam, um solche zu holen oder zu essen.
Die Verherrlichung des Hauses rührte davon her, daß die Königin Maria von Medicis, welche bekanntlich im Schloß der Stände gefangen saß, einmal davon hatte holen lassen.
Es geschah dies gerade an dem Tag, wo sie sich durch das berühmte Fenster flüchtete. Die Platte mit Macaroni war, kaum berührt von dem königlichen Mund, auf dem Tisch geblieben.
In Folge der doppelten Ehre, die dem dreieckigen Haus widerfahren war, der Ehre einer Erdroßlung und einer Schüssel Macaroni, war dem armen Cropoli der Gedanke gekommen, seiner Gastwirthschaft einen pomphaften Titel zu geben. Doch seine Eigenschaft als Italiener war keine Empfehlung in jener Zeit, und sein geringes, sorgfältig verborgenes Vermögen hinderte ihn, sich zu sehr hervorzustellen.
Als er sich dem Sterben nahe sah, was im Jahr 1643, nach dem Tod von König Ludwig XIII., geschah, ließ er seinen Sohn, einen Küchenjungen von den schönsten Hoffnungen, kommen, empfahl ihm, das Geheimniß der Macaroni wohl zu bewahren, seinen Namen französisch zu machen, eine Französin zu heirathen und endlich, wenn der politische Horizont von den Wolken, die ihn bedeckten, frei wäre, – man gebrauchte schon in jener Zeit diese rednerische Figur, welche in unsern Tagen in den leitenden Artikeln der Pariser Journale und in der Kammer so sehr beliebt ist, – von dem benachbarten Schmied ein schönes Schild machen zu lassen, worauf ein berühmter Künstler, den er zum Voraus bezeichnete, zwei Portraits von Königinnen, mit den Worten als Umschrift:
malen sollte.
Nach dieser Empfehlung hatte der gute Cropoli nur noch die Kraft, seinem jungen Nachfolger einen Kamin zu bezeichnen, unter dessen Platte er tausend Louis d’or von zehn Franken vergraben hatte, worauf er verschied.
Cropoli Sohn ertrug als ein Mann von Herz den Verlust mit Resignation und den Gewinn ohne Anmaßung.
Er fing an, das Publicum daran zu gewöhnen, daß er das Schluß-I so wenig als möglich klingen ließ, und mit Unterstützung der allgemeinen Gefälligkeit nannte man ihn bald nur noch Herr Cropole, was ein ganz französischer Name ist.
Sodann heirathete er, da er gerade eine kleine Französin bei der Hand hatte, in die er verliebt war und deren Eltern er eine anständige Mitgift dadurch entriß, daß er die Unterlage der Platte vom Kamin zeigte.
Nach Erfüllung dieser zwei ersten Punkte forschte er nach dem Maler, der das Schild machen sollte.
Der Maler war bald gefunden.
Es war ein alter Italiener, ein Nacheiferer der Raphael und Carracci, aber ein unglücklicher Nacheiferer. Er behauptete, von der venetianischen Schule zu sein, ohne Zweifel, weil er ungemein die Farbe liebte. Seine Werke, von denen er nie eines verkauft hatte, verletzten das Auge auf hundert Schritte und mißfielen den Bürgern furchtbar, so daß er am Ende nichts mehr that.
Er rühmte sich immer, einen Badesaal für die Frau Marschallin d’Ancre gemalt zu haben, und beklagte sich, daß dieser Saal bei dem Unglück des Marschalls verbrannt worden sei.
Als Landsmann war Cropoli nachsichtig gegen Pittrino, Dies war der Name des Künstlers, Vielleicht hatte er die berühmten Gemälde des Badesaals gesehen. Soviel ist jedenfalls gewiß, daß er eine solche Ächtung, sogar eine solche Freundschaft für den ausgezeichneten Pittrino hegte, daß er ihn zu sich nahm.
Dankbar und von Macaroni gefüttert, war Pittrino bemüht, den Ruf dieses nationalen Gerichtes zu verbreiten, und er hatte auch zur Zeit seines Gründers dem Hause Cropoli durch seine unermüdliche Zunge vortreffliche Dienste geleistet.
Als er alt wurde, hing er sich an den Sohn an wie früher an den Vater, und er wurde eine Art von Aufseher eines Hauses, wo ihm seine unbescholtene Redlichkeit, seine anerkannte Mäßigkeit, seine sprichwörtliche Keuschheit und hundert andere Tugenden, deren Aufzählung wir für unnöthig erachten, einen ewigen Platz am Herd mit dem Rechte der Ueberwachung des Gesindes gab.
Ueberdies war er es, der die Macaroni kostete, um den Geschmack für die alterthümliche Ueberlieferung zu bewahren, und man muß sagen, daß er nicht ein Körnchen Pfeffer zu viel, oder ein Atom Parmesankäse zu wenig hingehen ließ. Seine Freude war sehr groß an dem Tag, wo er, berufen, das Geheimniß von Cropoli Sohn zu theilen, das berühmte Schild zu malen beauftragt wurde.
Man sah ihn voll Eifer in einer alten Schachtel wühlen, worin er allerdings ein wenig von den Ratten zerfressene aber immer noch mögliche Pinsel, Farben In beinahe ausgetrockneten Blasen, Leinöl in einer Flasche und eine Palette wiederfand, die einst Broncino, diesem diou de la pittoure, wie der ultramontane Künstler in seiner stets jugendlichen Begeisterung sagte, gehört hatte.
Pittrino war um die ganze Freude der Wiederherstellung seiner Ehre gewachsen.
Er machte es, wie es Raphael gemacht hatte, er veränderte seine Manier und malte nach der Weise von Albano mehr zwei Göttinnen, als zwei Königinnen. Diese zwei erhabenen Damen waren so anmuthreich auf dem Schilde, sie boten den erstaunten Blicken einen solchen Verein von Lilien und Rosen, das bezaubernde Resultat der Veränderung der Manier von Pittrino, sie hatten so anakreontische Sirenenstellungen, daß der vornehmste Schöppe, als er in den Saal von Cropole zugelassen wurde, um das Kapitalstück zu sehen, sogleich erklärte, diese Damen wären zu schön und von einem zu sehr belebten Reiz, um vor dem Angesicht der Vorübergehenden als Wirthsschild zu figuriren.
»Seine königliche Hoheit Monsieur,« sagte man Pittrino, »der häufig in unsere Stadt kommt, würde sich nicht herbeilassen, seine erhabene Frau Mutter so wenig gekleidet zu sehen, und er würde Euch in die Dublietten der Stände schicken, denn das Herz dieses glorreichen Prinzen ist nicht immer so mild. Wischt also die zwei Sirenen, oder die Legende aus, sonst verbiete ich Euch die Ausstellung des Schilds. Das geschieht in Eurem eigenen Interesse, Meister Cropole, und in dem Eurigen, Seigneur Pittrino.«
Was war hierauf zu sagen? Man mußte dem Schoppen für seine Freundlichkeit danken, was Cropole auch that.
Doch Pittrino blieb düster und enttäuscht.
Er fühlte wohl, was kommen würde.
Der Bauherr war nicht sobald abgegangen, als Cropole, die Arme kreuzend, zu ihm sagte:
»Nun, Meister, was werden wir thun?«
»Wir werden die Umschrift wegstreichen,« erwiederte traurig Pittrino. »Ich habe hier vortreffliches Elfenbeinschwarz, das wird in einem Nu abgemacht sein, und wir ersetzen die Medicis durch Nymphen oder Sirenen, wie es Euch beliebt.«
»Nein,« erwiederte Cropole, »der Wille meines Vaters wäre nicht erfüllt. Meinem Vater lag . . . «
»Es lag ihm an den Figuren,« sagte Pittrino.
»Es lag ihm an der Schrift,« erwiederte Cropole.
»Zum Beweis, daß ihm an den Figuren lag, dient, daß er sie ähnlich bestellt hatte, und sie sind es,« entgegnete Pittrino.
»Ja, aber wenn sie es nicht gewesen wären, wer hätte sie ohne die Schrift erkannt? Wer würde heute, da das Gedächtniß der Blaisois in Beziehung auf diese beiden berühmten Personen erlischt, Catharina und Maria ohne die Worte: Aux Médicis! erkannt haben.«
»Aber meine Figuren?« rief Pittrino in Verzweiflung, denn er fühlte, daß der kleine Cropole Recht hatte. »Ich will die Frucht meiner Arbeit nicht verlieren.«
»Und ich will nicht, daß Ihr in das Gefängnis spaziert und ich in die Dublietten komme.«
»Löschen wir Medicis aus,« sprach Pittrino flehend,
»Nein,« entgegnete Cropole entschieden. »Es kommt mir ein Gedanke, ein vortrefflicher Gedanke . . . Eure Malerei soll erscheinen und meine Legende auch. Heißt Medici im Italienischen nicht Mediciner, Aerzte?«
»Ja, im Plural.«
»Ihr bestellt mir ein neues Schild beim Schmied; Ihr malt darauf sechs Aerzte und schreibt darunter:
Das gibt ein herrliches Wortspiel.«
»Sechs Aerzte! unmöglich! Und die Composition?« rief Pittrino.
»Das ist Eure Sache, doch es wird so sein, ich will es, es muß sein: meine Macaroni brennen an.«
Dieser Grund war unumstößlich; Pittrino gehorchte. Er componirte das Schild für sechs Aerzte mit der Schrift; der Schöpfte billigte und gab die Erlaubniß.
Das Schild fand wüthenden Beifall in der Stadt . . . was zum Beweise dient, daß die Poesie vor den Bürgern stets Unrecht gehabt hat, wie Pittrino sagte.
Um seinen gewöhnlichen Maler zu entschädigen, hing Cropole in seinem Schlafzimmer die Nymphen des vorhergehenden Schildes auf, was Madame Cropole erröthen machte, so oft sie dieselben beim Auskleiden betrachtete.
So kam es, daß das Haus mit dem Giebel ein Schild hatte, daß der, Gasthof zu den Medicis, der sein Glück machte, genöthigt war, sich durch das von uns geschilderte Viereck zu vergrößern . . . so auch, daß es in Blois einen Gasthof dieses Namens gab, dessen Eigenthümer Meister Cropole, dessen gewöhnlicher Maler Meister Pittrino war.
VI.
So gegründet und empfohlen durch sein Schild, ging das Gasthaus von Meister Cropole einem soliden Wohlstand entgegen.
Es war nicht ein ungeheures Vermögen, was Meister Cropole in Aussicht hatte, aber er durste hoffen, die tausend Louis d’or, die ihm sein Vater vermacht, zu verdoppeln, tausend andere durch den Verkauf des Hauses und des Fonds zu bekommen, und endlich frei zu leben wie ein Bürger seiner Stadt,
Cropole war erpicht auf den Gewinn; er empfing außer steh vor Freude die Nachricht von der Ankunft von König Ludwig XIV.
Er, seine Frau, Pittrino und zwei Küchenjungen bemächtigten sich sogleich aller Bewohner des Taubenschlags, des Hühnerhofs und des Kaninchengartens, so daß man in den Höfen des Gasthauses zu den Medicis so viel Weheklagen und Geschrei hörte, als man einst in Rama gehört hatte.
Cropole hatte für den Augenblick nur einen einzigen Reisenden.
Dies war ein Mann von ungefähr dreißig Jahren, schön, groß, ernst, oder vielmehr schwermüthig in allen seinen Geberden und Blicken.
Er trug ein Kleid von schwarzem Sammet mit Schmelz verziert; ein weißer Kragen, einfach wie der der strengsten Puritaner, hob die matte, zarte Tinte seines jugendlichen Halses hervor; ein leichter blonder Schnurrbart bedeckte kaum seine bebende, stolze Lippe.
Wenn er mit den Leuten sprach, schaute er ihnen ins Gesicht, es ist wahr, ohne daß sich eine Absicht fühlbar machte, aber auch ohne Bedenken, und dabei wurde der Glanz seiner blauen Augen dergestalt unerträglich, daß sich mehr als ein Blick vor dem seinigen senkte, wie es der schwächere Degen in einem Einzelkampfe thut.
In dieser Zeit, wo sich die Menschen, alle von Gott gleich geschaffen, in Folge der Vorurtheile in zwei unterschiedene Kasten, die bürgerliche und die adelige, theilten, wie sie sich in der That in zwei Racen, die schwarze und die weiße, abtheilen, in dieser Zeit, sagen wir, konnte derjenige, dessen Portrait wir skizzirt haben, nicht für etwas Anderes, als für einen Edelmann, und zwar von der besten Abkunft, gehalten werden. Man durste zu diesem Ende nur seine weißen Hände mit den langen, zart zugespitzten Fingern betrachten, seine Hände, deren Adern bei der geringsten Bewegung unter der Haut durchschienen, deren Glieder sich bei der mindesten Zuckung rötheten.
Dieser Edelmann war allein bei Cropole angekommen. Er hatte, ohne zu zögern, ohne nur zu überlegen, die bedeutendste Wohnung genommen, die ihm der Wirth in einer sehr habgierigen Absicht bezeichnete, in einer Absicht, welche die Einen verdammenswerth nennen werden, während sie die Andern sehr lobenswerth heißen, wenn sie zugeben, daß Cropole Physiognomiker war und die Leute nach dem ersten Anblick beurtheilte.
Diese Wohnung war diejenige, aus welcher das ganze Vordertheil des alten dreieckigen Hauses bestand: ein großer Salon, beleuchtet durch zwei Fenster im ersten Stock, ein kleines Zimmer daneben und eines darüber.
Seit seiner Ankunft hatte aber dieser Edelmann das Mahl, das man ihm in seinem Zimmer aufgetragen, kaum berührt. Er hatte nur durch zwei Worte den Gastwirth in Kenntniß gesetzt, es würde,ein Reisender Namens Parry kommen, und ihm empfohlen, diesen Reisenden sogleich heraufzuführen.
Dann beobachtete er ein so tiefes Stillschweigen, daß Cropole, der besonders die guten Gesellschafter liebte, sich dadurch beinahe beleidigt fühlte.
An dem Morgen des Tages, wo diese Geschichte beginnt, stand der erwähnte Edelmann frühzeitig auf, trat an das Fenster seines Salon, stützte sich auf das Geländer seines Balcon und schaute traurig und hartnäckig nach den beiden Seiten der Straße, ohne Zweifel, um auf die Ankunft des Reisenden zu lauern, den er dem Wirth bezeichnet hatte.
Er sah so den kleinen Cortége von
Plötzlich setzten ihn der Durcheinander der Armen, Kelche nach den Wiesen zogen, der galoppirenden Eilboten, der Pflasterwäscher, der Lieferanten des königlichen Hauses, der erhitzten und schwatzhaften Ladenbursche, der rasselnden Karren, der lausenden Friseurs und der diensteifrigen Pagen, dieser Tumult, dieser Lärmen, sagen wir, setzten ihn in Erstaunen, doch ohne daß er etwas von der unempfindlichen, erhabenen Majestät verlor, die dem Adler und dem Löwen den klaren, stolzen Blick mitten unter den Hurras, dem Geschrei und dem Stampfen der Jäger und der Neugierigen verleiht.
Bald wurden durch die Weheklagen der im Hühnerhofe erwürgten Opfer, durch die eiligen Schritte von Madame Cropole auf der so schmalen und sonoren hölzernen Treppe, durch den hüpfenden Gang von Pittrino, der noch am Morgen vor der Thüre mit dem Phlegma eines Holländers rauchte, die Aufmerksamkeit und die Verwunderung des Reisenden mehr rege gemacht.
Als er sich erhob, um sich zu erkundigen, öffnete sich die Thüre seines Zimmers.
Doch statt des Gesichtes, das er zu sehen hoffte, erschien Meister Cropole und hinter ihm im Halbschatten der Treppe das ziemlich anmuthige, aber durch die Neugierde gemein gewordene Gesicht von Madame Cropole, welche einen flüchtigen Blick auf den Edelmann warf und verschwand.
Cropole schritt mit lächelnder Miene, mehr gekrümmt, als gebückt, vor.
Eine Geberde des Unbekannten befragte ihn, ohne daß ein Wort gesprochen wurde.
»Mein Herr,« sprach Cropole, »ich wollte mich erkundigen . . . soll ich sagen Euere Herrlichkeit, oder Herr Graf, oder Herr Marquis?«
»Sagt: mein Herr, und sprecht geschwinde,« antwortete der Fremde mit einem hochmüthigen Ausdruck, der keine Widerrede zuließ.
»Ich wollte mich erkundigen, wie der Herr die Nacht zugebracht habe, und ob der Herr diese Wohnung zu behalten beabsichtige.«
»Mein Herr, es tritt ein Umstand ein, auf den wir nicht gerechnet hatten.«
»Welcher?«
»Seine Majestät Ludwig XIV. kommt heute in unsere Stadt und ruht hier einen, vielleicht zwei Tage aus.«
Ein lebhaftes Erstaunen trat auf dem Gesichte des Unbekannten hervor.
»Der König von Frankreich kommt nach Blois?«
»Er ist unter Weges, mein Herr.«
»Ein Grund mehr für mich, zu bleiben,« sagte der Unbekannte.
»Sehr gut, mein Herr; doch behält der Herr die ganze Wohnung?«
»Ich verstehe Euch nicht. Warum sollte ich heute weniger haben, als ich gestern gehabt habe?«
»Weil . . . Eure Herrlichkeit wird mir erlauben, ihr das zu sagen, weil ich gestern, als Ihr diese Wohnung wähltet, nicht irgend einen Preis festsetzen mußte, der Eure Herrlichkeit hätte können glauben machen, ich beurtheile zum Voraus ihre Mittel . . . während ich heute . . . «
Der Unbekannte erröthete. Es kam ihm sogleich der Gedanke, man halte ihn für arm und man beleidige ihn.
»Während Ihr mich heute zum Voraus beurtheilt?« erwiederte er kalt.
»Mein Herr, ich bin ein artiger Mann, Gott sei Dank, und obgleich ich nur ein Wirth zu sein scheine, habe ich doch edelmännisches Blut in mir. Mein Vater war Diener und Officiant des verstorbenen Herrn Marschall d’Ancre, dessen Seele Gott in Gnaden haben möge.«
»Ich bestreite Euch diesen Punkt nicht, mein Herr; ich Wunsche nur zu wissen, und zwar sogleich zu wissen, worauf Eure Fragen abzielen.«
»Mein Herr, Ihr seid zu vernünftig, um nicht zu begreifen, daß unsere Stadt klein ist, daß der Hof sie überströmen wird, daß die Häuser von Einwohnern vollgepfropft sind, und daß folglich die Miethzinse einen beträchtlichen Preis erreichen werden.«
Abermals erröthend, sprach der Unbekannte:
»Macht Eure Bedingungen.«
»Ich thue dies mit Bedenken, mein Herr, weil ich einen ehrlichen Gewinn suche, und weil ich ein Geschäft machen will, ohne unhöflich oder grob in meinen Forderungen zu sein . . . Die Wohnung aber, die Ihr inne habt, ist bedeutend groß und Ihr seid allein . . . «
»Das ist meine Sache.«
»Oh! gewiß; ich gebe auch dem Herrn nicht den Abschied.«
Dem Unbekannten floß das Blut nach den Schläfen; er schleuderte dem armen Cropole, dem Abkömmling eines Officianten vom Herrn Marschall d’Ancre, einen Blick zu, der ihn unter die bekannte Kaminplatte schlüpfen gemacht hätte, wäre Cropole nicht durch die Frage seiner Interessen an seinen Platz gefesselt gewesen.
»Soll ich gehen?» sagte er; »erklärt Euch rasch.«
»Herr, Herr, Ihr habt mich nicht verstanden. Was ich thue, ist sehr delicat, aber ich drücke mich schlecht aus, oder vielleicht, da der Herr ein Fremder ist, was ich am Accent erkenne . . . «
Der Unbekannte sprach in der That mit dem leichten Schnarren, was der Hauptcharakter der englischen Accentuirung ist, selbst bei den Menschen dieser Nation, welche so rein als möglich Französisch sprechen.
»Da der Herr ein Fremder ist, sage ich, so ist er es vielleicht, der die Nuancen meiner Worte nicht aufsaßt. Ich behaupte, der Herr könnte eines oder zwei von den drei Zimmern, die er inne hat, abtreten, was seinen Miethzins bedeutend vermindern und mein Gewissen erleichtern würde; es ist hart, den Preis der Zimmer unvernünftig erhöhen zu müssen, wenn man die Ehre hat, sie zu einem niedrigen Preis anzuschlagen.«
»Wie viel beträgt der Miethzins seit gestern?«
»Mein Herr» einen Louis d’or mit der Kost und der Verpflegung des Pferdes.«
»Gut. Und von heute?«
»Ah! das ist gerade die Schwierigkeit! Heute Ist der Tag der Ankunft des Königs; kommt der Hof, um Nachtlager zu halten, so zählt der Tag beim Miethzins. Daraus geht hervor, daß drei Zimmer zu zwei Louis d’or das Zimmer sechs Louis d’or machen. Zwei Louis d’or, mein Herr, ist nichts, aber sechs Louis d’or ist viel.«
Von roth, wie man ihn gesehen, wurde der Unbekannte blaß.
Er zog aus seiner Tasche heldenmüthig eine Börse, worauf ein Wappen gestickt war, das er sorgfältig in seiner hohlen Hand verbarg. Diese Börse war von einer Magerkeit, von einer Flachheit, von einer Hohlheit, welche dem Auge von Cropole nicht entging.
Der Unbekannte leerte diese Börse in seine Hand; sie enthielt drei Doppellouis d’or, welche den Werth von sechs Louis d’or bildeten, wie sie der Wirth forderte. Doch Cropole hatte sieben im Ganzen verlangt.
Er schaute also den Unbekannten an, als wollte er sagen: »Hernach?«
»Es restirt ein Louis d’or, nicht wahr, Meister Wirth?«
»Ja, Herr, aber . . . «
Der Fremde suchte in der Tasche seines Beinkleids und leerte sie; sie enthielt ein kleines Portefeuille, einen goldenen Schlüssel und einige Silbermünze.
Aus dieser Münze machte er die Gesammtsumme eines Louis d’or.
»Ich danke, mein Herr,« sagte Cropole. »Nun muß ich nur noch wissen, ob der Herr seine Wohnung auch morgen zu behalten gedenkt, in welchem Falle ich sie ihm überlassen könnte, während ich sie, wenn der Herr dies nicht zu thun gedächte, den Leuten Sr, Majestät, welche ankommen werden, versprechen würde.«
»Das ist richtig,« erwiederte der Unbekannte nach langem Stillschweigen. »Doch da ich, wie Ihr sehen konntet, kein Geld mehr habe, während ich Eure Wohnung dennoch behalte, so müßt Ihr diesen Diamant in der Stadt verkaufen oder als Pfand behalten.«
Cropole schaute den Diamant so lange an, daß der Unbekannte rasch zu ihm sagte:
»Es ist mir lieber, wenn Ihr ihn verkauft, mein Herr, er ist dreihundert Pistolen werth. Ein Jude – findet sich ein Jude in Blois? – wird Euch zweihundert, zweihundert und fünfzig sogar geben; nehmt das, was er Euch gibt, und sollte er Euch auch nur den Preis Eurer Wohnung anbieten. Geht.«
»Oh! mein Herr,« entgegnete Cropole, beschämt durch die Niedrigkeit, in die ihn der Unbekannte durch diese so edle und so uneigennützige Abtretung, sowie auch durch diese unstörbare Geduld gegen so viel Argwohn, gegen so viele Plackereien versetzte; »oh! mein Herr, ich hoffe wohl, man stiehlt in Blois nicht, wie Ihr zu befürchten scheint, und wenn der Diamant so viel werth ist, als Ihr sagt . . . «
Der Unbekannte schmetterte Cropole abermals mit dem Blicke seines azurblauen Auges nieder.
»Glaubt mir, ich verstehe mich nicht darauf!« rief er.
»Aber die Juweliere verstehen sich darauf,« sagte der Unbekannte. »Fragt sie. Ich denke, unsere Rechnung ist nun abgeschlossen, nicht wahr, Herr Wirth?«
»Ja, mein Herr, und zu meinem großen Bedauern, denn ich befürchte den Herrn beleidigt zu haben.«
»Keines Wegs,« erwiederte der Unbekannte mit der Majestät seiner ganzen Mächtigkeit.
»Oder den Anschein gehabt zu haben, als schinde ich einen edlen Reisenden . . . Bringt die Notwendigkeit in Anschlag, mein Herr.«
»Sprechen wir nicht mehr davon und laßt mich allein.«
Cropole machte eine tiefe Verbeugung und entfernte sich mit verlegener Miene, was bei ihm ein vortreffliches Herz und wahre Reue offenbarte.
Der Unbekannte schloß selbst die Thüre und schaute, als er allein war, auf den Grund seiner Börse, woraus er ein seinen Diamant, seine einzige Quelle, enthaltendes Beutelchen genommen hatte.
Er befragte auch die Leere seiner Taschen, schaute die Papiere in seinem Portefeuille an und überzeugte sich von der vollkommenen Entblößung, in der er sich befand.
Dann schlug er die Augen zum Himmel mit der erhabenen Bewegung einer verzweifelten Ruhe auf, wischte mit seiner Hand einige Schweißtropfen ab, welche seine edle Stirne durchfurchten, und richtete seinen kaum zuvor noch mit einer göttlichen Majestät erfüllten Blick wieder auf die Erde.
Der Sturm war fern von ihm hingezogen, vielleicht hatte er in der Tiefe seiner Seele gebetet.
Er trat wieder ans Fenster, nahm wieder seinen Platz auf dem Balcon ein und blieb hier unbeweglich, todt, bis zu dem Augenblick, wo sich der Himmel zu verdunkeln anfing, die ersten Fackeln durch die duftende Straße zogen und allen Fenstern das Signal zur Erleuchtung gaben.
VII.
Während der Unbekannte mit Theilnahme diese Lichter betrachtete und auf all dieses Geräusch horchte, trat Meister Cropole in sein Zimmer mit zwei Dienern, die den Tisch deckten.
Der Fremde schenkte ihnen nicht die geringste Aufmerksamkeit.
Da näherte sich Cropole seinem Gaste und flüsterte ihm mit tiefer Ehrfurcht zu:
»Mein Herr, der Diamant ist geschätzt worden.«
»Ah!« machte der Reisende. »Nun?«
»Nun, mein Herr, der Juwelier Seiner königlichen Hoheit gibt zweihundert und achtzig Pistolen dafür.«
»Ihr habt sie?«
»Ich glaubte sie nehmen zu müssen, machte jedoch zur Bedingung bei dem Handel, daß, wenn der Herr seinen Diamant, bis wieder Gelder eingehen würden, behalten wollte, dieser Diamant zurückgegeben werden müßte.«
»Keines Wegs. Ich habe Euch gesagt, Ihr sollet ihn verkaufen.«
»Dann habe ich gleichsam gehorcht, da ich, ohne definitiv zu verkaufen, das Geld in Empfang nahm.«
»Macht Euch bezahlt,« sagte der Unbekannte.
»Ich werde es thun, mein Herr, da Ihr es durchaus verlangt.«
Ein trauriges Lächeln schwebte über die Lippen des Edelmanns.
»Legt das Geld auf diese Lade,« sagte er, indem er sich umwandte und zugleich durch eine Geberde das genannte Meuble bezeichnete.
Cropole legte einen ziemlich schweren Sack nieder, aus dem er den Preis des Miethzinses erhob.
»Der Herr wird mir nun nicht den Schmerz bereiten, nicht zu Nacht zu essen,« sprach Cropole . . . »schon ist das Mittagessen ausgeschlagen worden, und das ist beleidigend für das Haus der Medicis. Seht, mein Herr, das Mahl ist aufgetragen, und ich wage sogar beizufügen, daß es gut aussteht.«
Der Unbekannte verlangte ein Glas Wein, brach ein Stück Brod, und verließ das Fenster nicht, um zu essen und zu trinken.
Bald hörte man ein gewaltiges Geräusch von Fanfaren und Trompeten: Ausrufungen erhoben sich in der Ferne, ein verworrenes Gesumme füllte den untern Theil der Stadt, und der erste Lärmen, der deutlich an das Ohr des Fremden drang, war der des Hufschlags vorrückender Pferde.
»D« König! der König!« wiederholte eine geräuschvolle, gedrängte Menge.
»Der König!« wiederholte Cropole, der seinen Gast und seine Zartgefühlsideen im Stiche ließ, um seine Neugierde zu befriedigen.
Mit Cropole stießen und vermengten sich auf der Treppe Madame Cropole, Pittrino, die Gehilfen und die Küchenjungen,
Der Zug rückte langsam vor, beleuchtet von Tausenden von Fackeln, theils von der Straße, theils von den Fenstern aus.
Nach einer Compagnie Musketiere und einem ganz geschlossenen Corps von Edelleuten kam die Sänfte des Herrn Cardinal Mazarin. Sie wurde gezogen wie ein Wagen von vier Rappen.
Die Pagen und die Leute des Cardinals marschirten dahinter.
Dann kam die Carosse der Königin Mutter, ihre Ehrenfräulein an den Schlägen, ihre Edelleute zu Pferd auf beiden Seiten.
Hiernach erschien der König, auf einem schönen Pferde von sächsischer Race, mit langer Mähne, reitend. Der junge Prinz zeigte, indem er gegen einige Fenster grüßte, woher die lebhaftesten Ausrufungen kamen, sein schönes, liebreizendes Antlitz.
Zu den Seiten des Königs, aber zwei Schritte entfernt, ritten der Prinz von Condé, Herr Dangeau und zwanzig andere Höflinge, gefolgt von ihren Leuten und ihrem Gepäcke, den wahrhaft triumphartigen Zug schließend.
Dieses Gepränge war von einer militärischen Ordnung.
Nur einige Höflinge, und zwar unter den Alten, hatten Reisekleider, beinahe Alle trugen das militärische Gewand. Man sah sogar Viele mit dem Ringkragen und dem büffelledernen Koller, wie zur Zeit von Heinrich IV. und Ludwig XIII.
Als der König an ihm vorüber kam, fühlte der Unbekannte, der sich, um besser zu sehen, über den Balcon geneigt und sein Gesicht, indem er es auf seinen Arm stützte, verborgen hatte, sein Herz von bitterer Eifersucht anschwellen und überströmen.
Der Lärm der Trompeten berauschte ihn, der Zuruf des Volks betäubte ihn; er ließ einen Augenblick seine Vernunft in diese Woge von Licht, von Tumult und glänzenden Bildern fallen.
»Er ist König!« murmelte er mit einem Ton der Verzweiflung und des Schmerzes, der bis zum Throne Gottes aufsteigen mußte.
Dann, ehe er von seiner düsteren Träumerei zurückgekehrt war, erloschen all dieses Geräusch, all diese Herrlichkeit. An der Ecke der Straße blieben unter dem Fremden, nur heisere, nicht zusammenklingende Stimmen, die in Zwischenräumen: Es lebe der König! riefen.
Es blieben auch die sechs Lichter, welche die Bewohner des Gasthofes der Medicis hielten, nämlich zwei für Cropole, zwei für Pittrino, eines für jeden Küchenjungen.
Cropole wiederholte unablässig:
»Wie gut ist der König und wie sehr gleicht er seinem höchstseligen Herrn Vater.«
»Im Schönen,« sagte Pittrino.
»Wie stolz ist seine Miene!« fügte Madame Cropole bei, welche schon ihre Bemerkungen mit denen ihrer Nachbarn und Nachbarinnen vermischte.
Cropole nährte diese Reden mit seinen persönlichen Bemerkungen, ohne wahrzunehmen, daß ein Greis zu Fuß, der jedoch ein kleines irisches Pferd am Zügel nachzog, die Gruppe der Frauen und Männer, welche sich vor den Medicis aufgestellt hatte, durchschneiden wollte.
Doch in diesem Augenblick wurde die Stimme des Fremden am Fenster hörbar.
»Herr Wirth, macht doch, daß man bis zu Eurem Hause gelangen kann.«
Cropole wandte sich um, sah jetzt erst den Greis und machte ihm Platz, daß er vorüber konnte.
Das Fenster schloß sich wieder.
Pittrino bezeichnete dem Ankömmling den Weg, und dieser trat ein, ohne ein Wort von sich zu geben.
Der Fremde wartete auf dem Ruheplatz, er streckte die Arme nach dem Greis aus und führte ihn zu einem Stuhl, doch-dieser widerstand.
»Oh! nein, nein, Mylord,« sagte er, »Mich vor Euch setzen, niemals!«
»Parry!« rief der Edelmann, »ich bitte Euch, Euch, der Ihr von England, von so fern her kommt! Ah! man sollte Euer Alter nicht solche Strapazen wie die meines Dienstes aushalten lassen. Ruht aus . . . «
»Ich habe Euch vor Allem meine Antwort zu geben, Mylord.«.
»Parry . . . ich beschwöre Dich, sage mir nichts . . . denn wenn die Neuigkeit gut gewesen wäre, würdest Du Deinen Satz nicht so angefangen haben. Du nimmst einen Umweg, weil die Nachricht schlecht ist.«
»Mylord,« erwiederte der Greis, »laßt Euch nicht zu rasch beunruhigen. Es ist nicht Alles verloren, wie ich hoffe. Es bedarf des Willens, der Beharrlichkeit und besonders der Resignation.«
»Parry,« entgegnete der junge Mann, »ich bin allein durch tausend Hinterhalte, tausend Fallen, tausend Gefahren hierhergekommen: glaubst Du an meinen Willen? Ich habe diese Reise zehn Jahre lang überdacht, trotz aller Rathschläge und aller Hindernisse: glaubst Du an meine Beharrlichkeit? Ich habe diesen Abend den letzten Diamant meines Vaters verkauft, denn ich hatte nichts mehr, um mein Lager zu bezahlen, und der Wirth war im Begriff, mich fortzujagen.«
Parry machte eine Geberde der Entrüstung, welche der junge Mann durch einen Händedruck und ein Lächeln erwiederte.
Der Greis hob seine zitternden Hände zum Himmel empor.
»Sprich,« sagte der Fremde, »verbirg mir nichts: was ist geschehen?«
»Meine Erzählung wird kurz sein, Mylord, doch, um des Himmels willen, zittert nicht so.«
»Das geschieht vor Ungeduld. Parry; laß hören, was hat Dir der General gesagt?«
»Zuerst wollte mich der General gar nicht empfangen.«
»Er hielt Dich für einen Spion?«
»Ja, Mylord; doch ich schrieb ihm einen Brief.«
»Nun?«
»Er hat ihn angenommen, er hat ihn gelesen, Mylord.«
»Dieser Brief erklärte ihm wohl meine Lage und meine Wünsche?«
»Oh! ja,« sagte Parry mit einem traurigen Lächeln, »er schilderte getreulich Eure Ansicht.«
»Sodann, Parry . . . «
»Sodann schickte mir der General durch einen Adjutanten meinen Brief zurück und ließ mir ankündigen, wenn ich mich am andern Tag noch im Umkreise seines Commandos befände, würde er mich verhaften lassen.«
»Verhaften!« murmelte der junge Mann, »Dich, meinen treusten Diener, verhaften!«
»Ja, Mylord.«
»Und Du hattest doch Parry unterzeichnet?«
»Mit allen Buchstaben, Mylord; und der Adjutant kannte mich von Saint-James und von Whitehall,« fügte der Greis mit einem Seufzer bei.
Der junge Mann neigte sich träumerisch und düster.
»Das hat er vor seinen Leuten gethan,« sagte er, indem er sich selbst durch eine Hoffnung zu täuschen suchte . . . »Doch was hat er unter der Hand gethan, unter vier Augen, von ihm zu Dir? Antworte.«
»Ach! Mylord, er hat mir vier Reiter geschickt, die mir das Pferd gaben, auf dem Ihr mich habt ankommen sehen. Diese Reiter führten mich mit der größten Eile bis zu dem kleinen Hafen von Tenby, wo sie mich gleichsam auf ein Fischerboot warfen, das nach der Bretagne segelte, und so bin ich hier.«
»Oh!« seufzte der junge Mann, indem er krampfhaft mit seiner Hand seine nervige Kehle zusammenpreßte, in der ein Schluchzen emporstieg. »Parry, das ist Alles, das ist wirklich Alles?«
»Ja, Mylord, es ist Alles.«
Nach dieser kurzen Antwort von Parry trat ein langer Zwischenraum des Stillschweigens ein, man hörte nur das Geräusch vom Absatz des jungen Mannes, der damit voll Wuth den Boden peinigte.
Der Greis wollte es versuchen, das Gespräch zu verändern, denn es führte zu allzu traurigen Gedanken.
»Mylord,« fragte er, »was bedeutet denn all das Geräusch, das mir voranging? wer sind die Leute, die: Es lebe der König! rufen? Von welchem König ist die Rede, und warum alle diese Lichter?«
»Ah l Parry,« erwiederte ironisch der junge Mann, »Du weißt nicht, daß der König seine gute Stadt Blois besucht; alle diese Trompeten gehören ihm, alle diese mit Gold überzogenen Schabracken gehören ihm, alle diese Edelleute haben Schwerter, welche ihm gehören. Seine Mutter fährt ihm in einem prachtvollen, mit Silber und Gold eingelegten Wagen voran. Glückliche Mutter! Sein Minister häuft ihm Millionen an und führt ihn zu einer reichen Braut. Deshalb ist all dieses Volk so freudig, es liebt seinen König, es schmeichelt ihm durch seinen tausendfachen Zuruf und schreit: Es lebe der König! es lebe der König!«
»Gut, gut, Mylord!« sagte Parry, noch unruhiger über die Wendung des neuen Gesprächs, als über das alte.
»Du weißt,« fuhr der Unbekannte fort, »daß
»Mylord, im Namen des Himmels!«
»Du hast Recht, Parry, ich bin ein Feiger, und wenn ich nichts für mich thue, was wird Gott thun! Nein, nein, ich habe zwei Arme, Parry, ich habe ein Schwert . . . «
Und er schlug heftig mit seiner Hand auf seinen Arm und nahm sein Schwert von der Wand, an der es hing,
»Was wollt Ihr thun, Mylord?«
»Parry, was ich thun will? Was Jedermann in meiner Familie thut; meine Mutter lebt von der öffentlichen Wohlthätigkeit, meine Schwester bettelt für meine Mutter, ich habe irgendwo Brüder, welche ebenfalls für sie betteln. Ich, der Aelteste, will es machen wie sie Alle, ich will Almosen fordern!«
Und nach diesen Worten, die er durch ein nerviges, schreckliches Gelächter kurz abschnitt, gürtete der junge Mann sein Schwert um, nahm seinen Hut vom Schrank, ließ sich einen schwarzen Mantel, den er während der ganzen Reise getragen hatte, auf der Schulter befestigen, drückte dem Greis, der ihn voll Angst anschaute, beide Hände und sprach:
»Mein guter Parry, laß Dir Feuer machen, iß, trinke, schlafe, sei glücklich: laß uns selig sein, mein treuer Freund, mein einziger Freund: wir sind reich wie Könige!«
Er gab dem Sack mit den Pistolen einen Faustschlag, daß er schwer auf die Erde fiel, brach wieder in jenes finstere Gelächter aus, das Parry so sehr erschreckt hatte, und während das ganze Haus schrie, sang und sich zum Empfang und zur Einquartierung der Reisenden, denen ihre Lackeien vorangegangen, bereit hielt, schlüpfte er durch den großen Saal auf die Straße, wo ihn der Greis, der sich an das Fenster gestellt hatte, nach einer Minute aus dem Gesicht verlor.
VIII.
Durch die Erzählung, die wir zu geben versuchten, hat man gesehen, daß der Einzug von König Ludwig XIV. in die Stadt Blois geräuschvoll und glänzend war. Seine junge Majestät schien damit auch sehr zufrieden.
Als er unter die Halle des Schlosses der Stände kam, fand hier der König, umgeben von seinen Wachen und Edelleuten, S. K. H. den Herzog Gaston von Orleans, dessen von Natur majestätische Physiognomie von den feierlichen Umständen einen neuen Schimmer und eine neue Würde angenommen hatte.
Mit ihren großen Ceremoniengewändern geschmückt, erwartete
Unter dem Lärmen der Trommeln, der Trompeten und der Vivats überschritt der junge König die Schwelle des Schlosses, in welchem Heinrich III. zweiundsiebzig Jahre früher den Mord und den Verrath zu Hilfe gerufen hatte, um auf seinem Haupte und in seinem Hause eine Krone zu bewahren, welche schon von seiner Stirne glitt, um auf eine andere Familie zu fallen.
Aller Augen, nachdem sie den jungen, so schönen, so reizenden, so edlen König bewundert hatten, suchten den so alten, so bleichen, so gebückten andern König von Frankreich, der ganz anders König war, als der erste, und Cardinal von Mazarin genannt wurde.
Ludwig war damals ausgestattet mit allen natürlichen Gaben, welche den wahren Edelmann bilden: er hatte ein glänzendes und zugleich sanftes Auge von reinem Azurblau, Doch die geschicktesten Physiognomiker, diese Taucher der Seele, hätten, ihre Blicke darauf heftend, wenn es einem Unterthan gegönnt gewesen wäre, den Blick des Königs auszuhalten, die geschicktesten Physiognomiker, sagen wir, hätten nie den Boden dieses Abgrunds von Sanftmuth finden können. Es war mit den Augen des Königs, wie mit der unermeßlichen Tiefe des blauen Himmelsgewölbes, oder mit dem noch furchtbareren und beinahe ebenso erhabenen Azur, den das Mittelländische Meer unter dem Kiel seiner Schisse an einem schönen Sommertag öffnet, ein riesiger Spiegel, auf dem der Himmel bald seine Gestirne, bald seine Stürme wiederstrahlen zu lassen liebt.
Der König war von kleinem Wuchs; er maß kaum fünf Fuß zwei Zoll; doch seine Jugend entschuldigte diesen Fehler, der überdies durch einen großen Adel aller seiner Bewegungen und durch eine gewisse Gewandtheit in den Leibesübungen ausgeglichen wurde.
Es war in der That schon der König, und es war viel, König zu sein in jener Zeit traditioneller Ehrfurcht und Ergebenheit; doch da man ihn bis dahin dem Volk ziemlich wenig und stets ziemlich armselig gezeigt hatte, da diejenigen, welchen man ihn zeigte, bei ihm seine Mutter, eine Frau von hoher Gestalt, und den Herrn Cardinal, einen Mann von schöner Stattlichkeit, sahen, so fanden ihn Viele wenig genug König, um zu sagen: Der König ist minder groß als der Herr Cardinal.
Wie es auch mit diesen auf den Körper bezüglichen Bemerkungen sein mag, die man besonders in der Hauptstadt machte, der junge Prinz wurde wie ein Gott von den Einwohnern von Blois und beinahe wie ein König von seinem Oheim und seiner Tante,
Es ist jedoch nicht zu leugnen, als er im Empfangssaal Fauteuils von gleicher Größe für sich, seine Mutter, den Cardinal, seine Tante und seinen Oheim sah, eine geschickt durch die Halbkreisform der Versammlung verborgene Anordnung, da erröthete Ludwig XlV. vor Zorn und schaute umher, um sich durch die Physignomie der Anwesenden zu versichern, ob man ihm diese Demüthigung absichtlich bereitet habe. Da er jedoch nichts auf dem unempfindlichen Gesicht des Cardinals, nichts auf dem seiner Mutter, nichts auf dem der übrigen Anwesenden sah, so fügte er sich und nahm Platz, dabei indessen besorgt, sich vor aller Welt zu setzen.
Die Edelleute und die Damen wurden Ihren Majestäten und dem Herrn Cardinal vorgestellt.
Der König bemerkte, daß seine Mutter und er selten den Namen derjenigen kannten, welche man ihnen vorstellte, während, der Cardinal im Gegentheil nie verfehlte, mit einem vortrefflichen Gedächtniß und einer bewunderungswürdigen Geistesgegenwart mit jedem von seinen Gütern, von seinen Voreltern oder seinen Kindern zu sprechen, von denen er ihnen einige nannte, was diese würdigen Dorfjunker entzückte und in dem Gedanken bestätigte, derjenige sei allein und wahrhaft König, welcher seine Unterthanen kenne, aus demselben Grunde, aus dem die Sonne keine Nebenbuhlerin habe, weil die Sonne allein erwärme und erleuchte.
Seit langer Zeit begonnen, obgleich man dies nicht vermuthete, nahm also das Studium des jungen Königs seinen Fortgang, und er betrachtete aufmerksam, um wo möglich irgend etwas in ihrer Physiognomie auszuscheiden, die Gesichter, die ihm Anfangs unbedeutend und trivial vorgekommen waren.
Man servirte einen Imbiß. Ohne daß er es wagte, die Gastfreundschaft seines Oheims anzusprechen, erwartete ihn der König voll Ungeduld. Auch diesmal wurde ihm alle, wenn nicht seinem Rang, doch wenigstens seinem Appetit gebührende Ehre zu Theil.
Der Cardinal begnügte sich, mit seinen verwelkten Lippen ein Bouillon zu berühren, das man ihm in einer goldenen Tasse anbot. Der allmächtige Minister, der der Königin Mutter ihre Regentschaft, dem König sein Königthum genommen hatte, war nicht im Stande gewesen, der Natur einen guten Magen zu nehmen.
Anna von Oesterreich, welche schon am Krebs litt, Woran sie sechs oder acht Jahre später sterben mußte, aß kaum mehr als der Cardinal.
Als der Imbiß vorüber war, erhob sich auf ein Zeichen der Billigung von Herrn von Mazarin der König und fing an, in Folge einer Einladung seiner Tante, die Reihen der Versammlung zu durchwandern.
Die Damen bemerkten nun, – es gibt gewisse Dinge, für welche die Damen eben so gute Beobachterinnen in Blois, als in Paris sind, – die Damen bemerkten nun, Ludwig XlV. habe einen raschen und kühnen Blick, was den Reizen von einem guten Gehalt einen ausgezeichneten Würdiger versprach. Die Männer ihrerseits bemerkten, der Prinz sei stolz und hochmüthig, er liebe es, die Augen sich senken zu machen, die ihn zu lang und zu fest anschauten, was einen strengen Herrn zu weissagen schien.
Ludwig XlV. hatte ungefähr den dritten Theil seiner Revue vollendet, als seine Ohren ein Wort traf, das Seine Eminenz aussprach, welche sich mit Monsieur unterhielt.
Dieses Wort war ein Frauenname.
Kaum hatte Ludwig XIV. dieses Wort vernommen, als er nichts Anderes mehr hörte und, den Bogen des Kreises, der seinen Besuch erwartete, vernachlässigend, nur bemüht war, so rasch als möglich das Ende der krummen Linie zu expediren.
Als guter Höfling erkundigte sich
Was dem König Anfangs auffiel, war ein gewisser Contrast in der Stimme der zwei Redenden. Die Stimme von
Es war, als wünschte er, daß diese Stimme am Ende des Saals ein Ohr träfe, das sich zu sehr entfernte.
»Monseigneur,« erwiederte er, »die Fräulein von Mancini haben noch eine ganze Erziehung zu vollenden, Pflichten zu erfüllen, eine Stellung zu erlernen. Der Aufenthalt an einem jungen und glänzenden Hof zerstreut sie ein wenig.«
Bei diesem letzten Beiwort lächelte Ludwig traurig. Wohl war der Hof jung, doch der Geiz des Cardinals hatte es so eingerichtet, daß sich nichts von Glanz bemerkbar machte.
»Doch Ihr habt nicht die Absicht, sie in ein Kloster zu bringen oder zu Bürgerinnen zu machen?« entgegnete
»Keines Wegs,« erwiederte der Cardinal, indem er seine italienische Aussprache so bezwang, daß sie von sanft und sammetartig, wie sie war, scharf und vibrirend wurde; »keines Wegs. Ich habe ganz einfach die Absicht, sie zu verheirathen, und zwar so gut, als nur immer möglich.«
»Es wird nicht an Partien fehlen, Herr Cardinal,« sagte
»Ich hoffe, Monseigneur, um so mehr, als Gott ihnen zugleich die Anmuth, die Weisheit und die Schönheit gegeben hat.«
Während dieses Gespräches vollendete, wie gesagt, Ludwig XlV., geführt von
»Mademoiselle Arnoulx,« sagte die Prinzessin, Seiner Majestät eine große Blonde von zweiundzwanzig Jahren vorstellend, die man bei einem ländlichen Feste für eine Bäuerin im Sonntagsstaate hätte halten können, »Mademoiselle Arnoulx, die Tochter meiner Musiklehrerin.«
Der König lächelte.
»Mademoiselle Aure von Montalais,« fuhr
Diesmal war es nicht mehr der König, der lachte, sondern es war die Vorgestellte, weil sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben von
Montalais, unsere alte Bekanntin, machte auch Seiner Majestät eine tiefe Verbeugung, und dies sowohl aus Ehrfurcht, als aus Noth , denn es handelte sich darum, gewisse Zusammenziehungen ihrer lachenden Lippen zu verbergen, welche der König wohl nicht ihrem wahren Beweggrund hätte zuschreiben können.
Gerade in diesem Augenblick geschah es, daß der König das Wort hörte, das ihn beben machte.
»Und die dritte heißt?« fragte
»Marie,
Ohne Zweifel lag in diesem Wort eine Zauberkraft, denn der König bebte, wie gesagt, als er es hörte; er zog Madame gegen die Mitte des Kreises, als wollte er irgend eine vertrauliche Frage an sie richten, in Wirklichkeit aber, um sich dem Cardinal zu nähern, und sagte hier lachend und mit halber Stimme:
»Frau Tante, mein Lehrer in der Geographie hat mich nicht davon unterrichtet, daß Blois so wunderbar weit von Paris entfernt ist.«
»Wie so, mein Neffe?« fragte
»Es scheint in der That, die Moden brauchen mehrere Jahre, um diesen Raum zu durchdringen. Seht doch die Fräulein an!«
»Ich kenne sie.«
»Einige sind hübsch.«
»Sagt das nicht so laut, Herr Neffe, Ihr werdet sie verrückt machen.«
»Wartet, wartet, meine liebe Tante,« erwiederte der König lächelnd, »der zweite Theil meines Satzes muß den ersten verbessern. Nun! meine liebe Tante, Einige scheinen alt und Andere scheinen häßlich zu sein durch ihre zehnjährigen Moden.«
»Aber, Sire, Blois ist nur fünf Tagereisen von Paris entfernt.«
»Ei!« sagte der König, »das ist es, zwei Jahre Aufenthalt im Tag.«
»Ah! wahrhaftig, Ihr findet? Das ist seltsam, ich bemerke es nicht.«
»Seht, meine Tante,« fuhr Ludwig XIV. fort, indem er sich immer mehr Mazarin näherte, unter dem Vorwand, seinen Gesichtspunkt zu wählen, »schaut neben diesem gealterten Plunder, neben diesen anmaßenden Frisuren dieses einfache weiße Kleid an. Es ist ohne Zweifel eines von den Ehrenfräulein meiner Mutter, obgleich ich es nicht kenne. Seht diese einfache Tournüre, diese anmuthige Haltung! Das lasse ich mir gefallen! das ist eine Frau, während alle die Andern nur Kleider sind.«
»Mein lieber Neffe,« entgegnete
»Ah! meine Tante!« rief der König mit einer Miene des Zweifels.
»Nähert Euch, Louise,« sprach Madame.
Und das Mädchen, das uns schon unter diesem Namen erschienen ist, näherte sich schüchtern, erröthend und beinahe gebeugt unter dem königlichen Blick.
»Mademoiselle Louise Fransoise de la Beaume-Leblanc, Tochter des Marquis de La Vallière,« sprach Madame mit ceremoniösem Tone zum König.
Und die Vorgestellte verbeugte sich mit so viel Anmuth unter der tiefen Schüchternheit, die ihr die Gegenwart des Königs einflößte, daß dieser, sie anschauend, einige Worte des Gesprächs von
»Stieftochter,« fuhr
Es gab keine Anmuth, keine Schönheit, keine Jugend, die einer solchen Vorstellung widerstehen konnte. Der König lächelte. Mochten die Worte von Madame ein Scherz oder eine Naivetät sein, es war jedenfalls die unbarmherzige Aufopferung Alles dessen, was Ludwig reizend und poetisch an dem Mädchen gefunden hatte.
Fräulein de la Vallière war für Madame und durch den Gegenschlag für den König im Augenblick nur die Stieftochter eines Mannes, der ein erhabenes Talent für getrüffelte wälsche Hühner besaß.
Doch die Fürsten sind einmal so beschaffen. Die Götter waren auch so im Olymp. Diana und Venus mußten wohl die schöne Alkmene und die arme Jo mißhandeln, wenn man sich aus Zerstreuung herabließ, zwischen Nektar und Ambrosia von den sterblichen Schönheiten bei der Tafel von Jupiter zu sprechen.
Zum Glück War Louise so tief gebückt, daß sie die Worte von Madame nicht hörte, daß sie das Lächeln des Königs nicht sah. Wenn dieses arme Kind, das genug guten Geschmack besaß, um allein unter allen seinen Gefährtinnen auf den Einfall zu kommen, sich weiß zu kleiden, wenn dieses für alle Schmerzen so leicht Zugängliche Herz von den grausamen Worten von
Und Montalais selbst, das Mädchen mit den geistreichen Ideen, hätte es nicht versucht, sie zum Leben zurückzurufen, denn die Lächerlichkeit tödtet Alles, selbst die Schönheit.
Doch Louise, der die Ohren summten, deren Augen verschleiert waren, hörte, wie gesagt, zum Glück nichts, sah nichts, und der König, dessen Aufmerksamkeit beständig auf die Unterhaltung des Cardinals mit seinem Oheim gerichtet war, beeilte sich, zu diesen zurückzukehren.
Er kam gerade in dem Augenblick, wo Mazarin mit den Worten endigte:
»Marie reist mit ihren Schwestern in dieser Stunde nach Brouage ab. Ich lasse sie dem User der Loire folgen, das dem entgegengesetzt ist, welchem wir folgen, und wenn ich ihre Reise gut berechne, so werden sie nach den Befehlen, die ich gegeben habe, morgen auf der Höhe voll Blois sein.«
Diese Worte wurden mit dem Takt, der Maßhaltung, der Sicherheit rücksichtlich des Tons, der Absicht und des Gewichts gesprochen, welche del Signor Giulio Mazarini den ersten Komödianten der Welt machten.
Folge hiervon war, daß sie gerade in das Herz von Ludwig XlV. trafen, und daß der Cardinal, als er sich auf das einfache Geräusch der Tritte Seiner Majestät, welche sich eben näherte, umwandte, auf dem Antlitz seines Zöglings die unmittelbare Wirkung wahrnahm, die eine einfache Röthe den Augen Seiner Eminenz verrieth. Was war es aber auch, ein so einfaches Geheimniß zu ergründen, für denjenigen, dessen Schlauheit seit zwanzig Jahren alle Diplomaten Europas überlistet hatte?
Es schien von nun an, sobald er diese letzten Worte gehört, als hätte der König einen vergifteten Pfeil ins Herz bekommen. Er hielt es nicht mehr am Platze aus, er ließ einen unsichern, todten Blick auf dieser ganzen Versammlung umherschweifen. Er befragte mehr als zwanzigmal mit dem Auge die Königin Mutter, die sich dem Vergnügen der Unterhaltung mit ihrer Schwägerin hingab und überdies, durch den Blick von Mazarin zurückgehalten, die in den Mienen ihres Sohnes enthaltenen Bitten nicht zu verstehen schien.
Von diesem Augenblick an wurde Alles, Musik, Blumen, Lichter, Schönheiten, verhaßt und albern für Ludwig XIV. Nachdem er sich hundertmal auf die Lippen gebissen, seine Arme und seine Beine gereckt hatte, wie das wohlerzogene Kind, das, weil es nicht zu gähnen wagt, alle Arten, seine Langweile kundzugeben, erschöpft; nachdem er abermals vergebens Mutter und Minister angefleht hatte, wandte er ein verzweifeltes Auge nach der Thüre, das heißt nach der Freiheit.
An dieser Thüre sah er, umrahmt von der Vertiefung, an die sie sich anlehnte, kräftig hervortretend, eine stolze Gestalt mit braunem Gesicht, einer Adlernase, einem harten, aber funkelnden Auge, grauen, langen Haaren und schwarzem Schnurrbart, einen wahren Typus militärischer Schönheit, dessen Ringkragen, mehr funkelnd als ein Spiegel, alle Lichtstrahlen, die sich auf ihm concentrirten, brach und in Blitzen, zurücksandte. Dieser Officier hatte einen grauen Hut mit rother Feder auf dem Kopf, ein Beweis, daß er im Dienst hierher berufen war, und nicht für sein Vergnügen: wäre er für sein Vergnügen erschienen, wäre er Höfling gewesen, statt Soldat zu sein, so hätte er, da man sein Vergnügen immer um einen gewissen Preis bezahlen muß, seinen Hut in der Hand gehabt.
Was noch mehr bewies, daß dieser Officier im Dienst war und eine Aufgabe, an die er gewöhnt, erfüllte, ist der Umstand, daß er mit gekreuzten Armen, mit einer merkwürdigen Gleichgültigkeit und einer erhabenen Apathie die Freuden und die Langweile dieses Festes überwachte. Er schien besonders wie ein Philosoph – alle alte Soldaten sind Philosophen – unendlich viel besser die Langweile, als die Freuden zu verstehen; doch die eine nahm er hin, während er der anderen gar wohl zu entbehren wußte.
Er lehnte also, wie gesagt, am geschnitzten Simswerk der Thüre, als die traurigen und müden Augen des Königs zufällig den seinigen begegneten.
Es war, wie es scheint, nicht das erste Mal, daß die Augen des Officiers diesen Augen begegneten, und er kannte aus dem Grund den Styl und den Gedanken derselben, denn sobald er seinen Blick auf die Physiognomie des Königs geheftet und durch die Physiognomie gelesen hatte, was in seinem Herzen vorging, nämlich welcher Berg er, welcher Ueberdruß es bedrückte, wie der schüchterne Entschluß, wegzugehen, sich in der Tiefe dieses Herzens regte, begriff er, man müsse dem König einen Dienst leisten, ohne daß er es verlange, ihm einen Dienst leisten beinahe wider seinen Willen, und er rief kühn, als ob er die Cavalerie an einem Schlachttage befehligte, mit schallender Stimme:
»Der Dienst des Königs!«
Bei diesen Worten, welche die Wirkung des Donners machten, der mit seinem Tosen Orchester, Gesänge, Rauschen und Summen der Spaziergänger übertäubte, schauten der Cardinal und die Königin Mutter mit Erstaunen Seine Majestät an.
Bleich, aber entschlossen, unterstützt durch die Anschauung seines eigenen Gedankens, den er im Geist des Officiers der Musketiere wiedergefunden hatte, was ihm durch den Befehl, den dieser gab, sich geoffenbart, erhob sich Ludwig XIV. von seinem Fauteuil und machte einen Schritt gegen die Thüre.
»Ihr geht, mein Sohn?« fragte die Königin, während Mazarin sich begnügte, mit seinem Blick zu fragen, der sanft hätte scheinen können, wäre er nicht so durchdringend gewesen.
»Ja, Madame, ich fühle mich ermüdet und möchte überdies gern diesen Abend schreiben.«
Ein Lächeln schwebte über die Lippen des Ministers, der den König mit einem Zeichen des Kopfes zu entlassen schien.
Der König verbeugte sich, durchschritt den Saal
An der Thüre erwartete den König ein Spalier von zwanzig Musketieren.
Am Ende dieses Spaliers stand der unempfindliche Officier, sein bloßes Schwert in der Hand.
Der König ging vorüber und die ganze Menge erhob sich auf die Fußspitzen, um ihn noch einmal zu sehen.
Zehn Musketiere, welche die Menge in dem Vorzimmer und auf den Stufen trennten, machten dem König Platz.
Die zehn andern umschloßen den König und
Die Leute vom Dienst kamen hinten.
Dieser kleine Cortége begleitete den König bis zu den für Ihn bestimmten Gemächern.
Es waren dieselben, welche König Heinrich III. während seines Aufenthalts bei den Ständen bewohnt hatte.
Dieser Gang bestand Anfangs aus einem kleinen viereckigen Vorzimmer, das selbst an schönen Tagen düster war.
»Sire,« sagte er, »Ihr seid auf der Stelle, wo der Herzog von Guise den ersten Dolchstoß erhielt.«
Sehr unwissend in geschichtlichen Dingen, kannte der König zwar die Thatsache, ohne aber entfernt mit den Oertlichkeiten oder den einzelnen Umständen vertraut zu sein.
»Ah!« machte er schaudernd.
Und er blieb stehen.
Jedermann blieb vor und hinter ihm stehen.
»Sire,« fuhr Gaston fort, »der Herzog war ungefähr, wo ich bin; er ging in der Richtung, in der Eure Majestät geht; Herr von Loignes war an dem Ort, wo in diesem Augenblick Euer Lieutenant der Musketiere steht, Herr von Sainte-Maline und die Leute Seiner Majestät waren hinter ihm und um ihn. Hier wurde er getroffen.«
Der König wandte sich nach seinem Officier um und sah etwas wie eine Wolke über sein martialisches, kühnes Gesicht hinziehen.
»Ja, von hinten,« murmelte der Lieutenant mit einer Geberde erhabener Verachtung.
Und er suchte sich wieder in Marsch zu setzen, als ob es ihm unbehaglich zwischen diesen einst vom Verrath heimgesuchten Mauern gewesen wäre.
Doch der König, dem es wohl ganz genehm war, etwas zu erfahren, schien geneigt, diesem unseligen Ort noch einen Blick zu schenken.
Gaston begriff den Wunsch seines Neffen.
»Seht, Sire,« sagte er, indem er eine Kerze aus den Händen von Herrn von Saint-Remy nahm, »hier ist er gefallen. Es stand hier ein Bett, dessen Vorhänge er zerriß, da er sich daran halten wollte.«
»Warum scheint der Boden an dieser Stelle ausgehöhlt?« fragte Ludwig.
»Weil auf diese Stelle das Blut floß.« antwortete Gaston; »das Blut drang tief in das Eichenholz, und nur durch Aushöhlung gelang es, dasselbe verschwinden zu machen. Und,« fügte Gaston bei, indem er sein Licht dem bezeichneten Orte näherte, »und dabei widerstand noch diese röthliche Tinte allen Versuchen, die man machte, um sie zu tilgen.«
Ludwig XIV. erhob die Stirne. Vielleicht dachte er an die blutige Spur, die man ihm eines Tags im Louvre gezeigt hatte, und die, ein Seitenstück zu der in Blois, von dem König, seinem Vater, einst mit dem Blut von Cancini gemacht worden war.
»Vorwärts!« sagte er.
Man schritt sogleich weiter; denn die Erschütterung hatte ohne Zweifel der Stimme des jungen Prinzen einen befehlenden Ton gegeben, den man nicht bei ihm gewohnt war.
Als man bei der für den König bestimmten Wohnung ankam, zu der man nicht nur durch den Gang, dem wir gefolgt, sondern auch durch eine große, nach dem Hofe gehende Treppe gelangte, sagte Gaston:
»Wolle Eure Majestät diese Wohnung, so unwürdig sie ist, Euch zu beherbergen, Sire, gnädigst annehmen.«
»Mein Oheim,« erwiederte der junge Prinz, »ich danke Euch für Eure herzliche Gastfreundschaft.«
Gaston verbeugte sich vor seinem Neffen, der ihn umarmte, und entfernte sich.
Von den zwanzig Musketieren, die den König begleitet hatten, führten zehn
Die zehn andern wurden von dem Officier ausgestellt, der selbst in fünf Minuten alle Oertlichkeiten mit dem kalten, sicheren Blick untersuchte, den die Gewohnheit nicht immer gibt, insofern dieser Blick dem Genie gehörte.
Als alle seine Leute aufgestellt waren, wählte er zu seinem Hauptquartier das Vorzimmer, wo er einen Lehnstuhl, eine Lampe, Wein, Wasser und trockenes Brod fand.
Er belebte die Lampe, trank ein halbes Glas Wein, drehte seine Lippen unter einem ausdrucksvollen Lächeln, richtete sich in seinem großen Lehnstuhl ein und traf alle Vorkehrungen, um zu schlafen.
IX.
Dieser Officier, der schlief oder zu schlafen sich anschickte, war trotz seiner sorglosen Miene mit einer schweren Verantwortlichkeit belastet.
Lieutenant der Musketiere des Königs, befehligte er die ganze Compagnie, welche von Paris gekommen war, und diese Compagnie bestand aus hundert und zwanzig Mann; doch mit Ausnahme der zwanzig, von denen wir gesprochen haben, waren die andern mit dem Wachdienst bei der Königin Mutter und besonders beim Herrn Cardinal beschäftigt.
Monsignore Giulio Mazarini sparte an den Reisekosten für seine Leibwachen; er benutzte daher die des Königs, und zwar in bedeutendem Umfang, da er fünfzig davon für sich nahm, ein Umstand, der Jedem, dem die Gebräuche dieses Hofes fremd gewesen wären, sehr unschicklich vorgekommen sein müßte.
Auch müßte es dem. mit den Gebräuchen dieses Hofes Nichtvertrauten, wenn nicht unschicklich, doch wenigstens sonderbar vorgekommen sein, daß die für den Herrn Cardinal bestimmte Seite des Schlosses glänzend beleuchtet und voll Bewegung war. Die Musketiere bezogen die Wache vor jeder Thüre und verwehrten Jedermann den Eintritt, die Couriere ausgenommen, welche selbst auf der Reise dem Cardinal wegen seiner Correspondenzen folgten.
Zwanzig Mann hatten den Dienst bei der Königin Mutter; dreißig ruhten aus, um ihre Kameraden am andern Tag abzulösen.
Auf der Seite des Königs im Gegentheil Dunkelheit, Stille, Einsamkeit. Sobald die Thüren geschlossen waren, kein Schein mehr von einem Königthum. Alle Leute vom Dienst hatten sich allmälig entfernt. Der Herr Prinz hatte fragen lassen, ob Seine Majestät seine Dienste begehre, und auf das herkömmliche Nein des Lieutenants der Musketiere, der die Gewohnheit der Frage und der Antwort hatte, fing Alles an zu entschlummern wie bei einem guten Bürgersmann.
Und dennoch konnte man leicht vom Corps du logis, das der junge König bewohnte, die Musiken des Festes hören und die reich beleuchteten Fenster des großen Saales sehen.
Zehn Minuten, nachdem er in seinem Zimmer war, konnte Ludwig XlV. an einer gewissen Bewegung, welche sich stärker ausprägte, als die bei seinem Abgang, den Abgang des Cardinals erkennen, der sich mit einer großen Escorte von Edelleuten und Damen nach seinem Bette begab.
Uebrigens brauchte man, um diese ganze Bewegung wahrzunehmen, nur durch das Fenster zu schauen, dessen Läden nicht geschlossen waren.
Seine Eminenz durchschritt den Hof, zurückgeleitet von
Hinter diesen zwei Paaren zog Alles einher, Ehrendamen, Pagen, Officiere; die Fackeln entzündeten den ganzen Hof wie durch einen Brand mit beweglichen Reflexen, dann verlor sich das Geräusch der Tritte und Stimmen in den obern Stockwerken.
Niemand dachte nun mehr an den König, der sich mit den Ellenbogen auf das Gesimse seines Fensters stützte, wo er all dieses Licht sich verlaufen gesehen, all dieses Geräusch sich entfernen gehört hatte; Niemand, wenn nicht der Unbekannte aus dem Gasthause zu den Medicis, der dort, in seinen schwarzen Mantel gehüllt, wie wir erzählten, weggegangen war.
Er war geraden Wegs zum Schloß hinaufgestiegen und mit seinem schwermüthigen Gesicht in der Gegend des Palastes, den das Volk noch umgab, umhergestreift, und als er sah, daß Niemand die große Pforte und die Halle bewachte, in Betracht, daß die Soldaten von
Was ihn aller Wahrscheinlichkeit nach veranlaßte, sich nach dieser Seite zu wenden, war der Glanz der Kerzen und Fackeln und das geschäftige, Wesen der Pagen und Leute vom Dienst.
Doch er wurde plötzlich durch eine Musketenbewegung und durch den Ruf einer Schildwache aufgehalten.
»Wohin geht Ihr, Freund?« fragte der Mann von der Wache.
»Ich gehe zum König,« antwortete ruhig und stolz der Unbekannte.
Der Soldat rief einen von den Officianten Seiner Eminenz, der mit dem Tone eines Kanzleibeamten, welcher einen Bittsteller im Ministerium bei seinen Nachfragen zurechtweist, die Worte fallen ließ:
»Die andere Treppe gegenüber.«
Und ohne sich weiter um den Unbekannten zu bekümmern, setzte der Officiant sein unterbrochenes Gespräch fort.
Der Fremde wandte sich, ohne etwas zu erwiedern, nach der bezeichneten Treppe.
Auf dieser Seite kein Geräusch, keine Lichter mehr.
Nur die Dunkelheit, unter der man eine Schildwache, einem Schatten ähnlich, umherirren sah; nur das Stillschweigen, bei dem man das Geräusch ihrer Tritte, begleitet von dem Klirren der Sporen auf den Platten, hören konnte.
Dieser Mann von der Wache war einer von den zwanzig Musketieren, die der Person des Königs beigegeben waren; er versah seinen Dienst mit der Steifheit und Gewissenhaftigkeit einer Statue.
»Wer da?« rief er.
»Gut Freund,« antwortete der Unbekannte.
»Was wollt Ihr?«
»Mit dem König sprechen.«
»Oh! oh! mein lieber Herr, das kann kaum sein.«
»Und warum nicht?«
»Weil der König zu Bette gegangen ist.« .
»Schon zu Bette gegangen?«
»Ja.«
»Gleichviel, ich muß ihn sprechen.«
»Und ich sage Euch, daß es unmöglich ist.«
»Doch . . . «
»Entfernt Euch,«
»Ist das der Befehl?«
»Ich habe Euch keine Rechenschaft zu geben. Entfernt Such.«
Diesmal begleitete die Wache das Wort mit einer drohenden Geberde; doch der Unbekannte rührte sich nicht mehr, als wenn seine Füße Wurzel gefaßt hätten.
»Herr Musketier,« sagte er, »Ihr seid Edelmann?«
»Ich habe die Ehre.«
»Wohl! ich bin es auch, und unter Edelleuten ist man sich einige Rücksicht schuldig.«
Der Musketier senkte das Gewehr, besiegt durch die Würde, mit der diese Worte gesprochen worden waren.
»Sprecht, mein Herr,« sagte er, »und wenn Ihr etwas von mir fordert, was in meiner Macht liegt. ..«
»Ich danke, Ihr habt einen Officier, nicht wahr?«
»Unsren Lieutenant, ja, mein Herr.«
»Ich wünsche mit Eurem Lieutenant zu sprechen.«
»Ah! das ist etwas Anderes. Geht hinauf, mein Herr.«
Der Unbekannte grüßte den Musketier auf eine, herablassende Weise und stieg die Treppe hinauf, während der Ruf:
»Lieutenant, ein Besuch!« von Wache zu Wache ihm voranging und den Officier im ersten Schlafe störte.
Seinen Stiefel schleppend, sich die Augen reibend und seinen Mantel zuhäkelnd, ging der Lieutenant dem Fremden drei Schritte entgegen. ,
»Was steht zu Dienst, mein Herr?« fragte er.
»Ihr seid der Officier vom Dienst, Lieutenant der Musketiere?«
»Ich habe die Ehre.«
»Mein Herr, ich muß nothwendig den König sprechen.«
Der Lieutenant schaute den Unbekannten aufmerksam an, und mit diesem Blick, so rasch er war, sah er Alles, was er sehen wollte: eine tiefe Distinction unter einem gewöhnlichen Kleid.
»Ich nehme nicht an, daß Ihr ein Narr seid, und dennoch scheint Ihr mir in der Lage, zu wissen, daß man nicht so bei einem König eintritt, ohne daß er die Einwilligung dazu gibt.«
»Er wird einwilligen.«
»Mein Herr, erlaubt mir, das zu bezweifeln; der König ist vor einer Viertelstunde erst zurückgekehrt und muß eben im Auskleiden begriffen sein. Ueberdies ist ein Verbot gegeben worden.«
»Wenn er erfährt, daß ich es bin,« erwiederte der Unbekannte sich emporrichtend, »so wird er das Verbot aufheben.«
Der Officier war immer mehr erstaunt, immer mehr unterjocht.
»Darf ich, wenn ich einwillige, Euch zu melden, wenigstens wissen, wen ich melde, mein Herr?«
»Ihr werdet Seine Majestät Karl II., König von England, Schottland und Irland melden.«
Der Officier stieß einen Schrei des Erstaunens aus, wich zurück, und man konnte auf seinem Gesicht eine der schmerzlichsten Bewegungen sehen, die je ein energischer Mann in die Tiefe seines Herzens zurückzudrängen gesucht hat.
»Oh! ja, Sire,« sagte er, »ich hätte Euch erkennen sollen.«
»Ihr habt mein Portrait gesehen?«
»Nein, Sire.«
»Ihr habt mich selbst früher gesehen, bei Hofe, ehe man mich aus Frankreich weg jagte?«
»Nein, Sire, das ist es auch nicht.«
»Wie hättet Ihr mich dann erkennen sollen, da Ihr weder mein Portrait, noch mich selbst gesehen?«
»Sire, ich habe Seine Majestät den König, Euren Vater, in einem furchtbaren Augenblick gesehen.«
»Am Tag . . . «
»Ja.«
Eine düstere Wolke zog über die Stirne des Prinzen. Dann sie mit der Hand entfernend, sprach er:
»Erscheint es Euch noch als eine Schwierigkeit, mich zu melden?«
»Sire, verzeiht mir,« erwiederte der Officier, »ich konnte nicht einen König unter diesem so einfachen Aeußeren vermuthen, und ich sah doch . . . ich hatte die Ehre, es Euerer Majestät so eben zu sagen, ich sah König Karl I . . . Doch verzeiht, ich eile, den König zu benachrichtigen.«
Dann noch einmal umkehrend, fragte er:
»Euere Majestät wünscht ohne Zweifel, daß diese Zusammenkunft geheim bleibe?«
»Ich verlange es nicht, doch wenn es möglich ist, sie geheim zu halten . . . «
»Es ist möglich, Sire, denn ich kann mich der Pflicht, den ersten Hofcavalier vom Dienst davon in Kenntniß zu setzen, überheben; doch Eure Majestät muß sich dann herbeilassen, mir ihren Degen zu übergeben.«
»Das ist wahr, ich vergaß, daß Niemand bewaffnet beim König von Frankreich eintreten darf.«
»Eure Majestät wird eine Ausnahme machen, wenn sie will; dann werde ich aber meine Verantwortlichkeit sicher stellen, indem ich den Dienstthuenden des Königs benachrichtige.«
»Hier ist mein Degen, mein Herr. Beliebt es Euch nun, mich Seiner Majestät zu melden, mein Herr?«
»Auf der Stelle, Sire.«
Und der Officier klopfte sogleich an die Verbindungsthüre, die ihm der Kammerdiener öffnete.
»Seine Majestät der König von England!« sagte der Officier.
»Seine Majestät der König von England!« wiederholte der Kammerdiener.
Bei diesen Worten öffnete ein Cavalier beide Flügel der Thüre des Königs, und man sah Ludwig XIV., ohne Hut und ohne Degen, in seinem offenen Wamms, mit den Zeichen des größten Erstaunens vorschreiten.
»Ihr, mein Bruder! Ihr in Blois,« rief Ludwig XIV, während er mit einer Geberde den Cavalier und den Kammerdiener entließ, welche in ein benachbartes Zimmer gingen.
»Sire,« erwiederte Karl II. »ich wollte mich nach Paris begeben, in der Hoffnung, Eure Majestät dort zu sehen, als ich durch das Gerücht Eure nahe bevorstehende Ankunft in dieser Stadt erfuhr. Ich verlängerte sodann meinen Aufenthalt, weil ich Euch etwas ganz Besonderes mitzutheilen habe.«
»Entspricht Euch dieses Cabinet, mein Bruder?«
»Vollkommen, Sire, denn ich glaube nicht, daß man uns hören kann.«
»Ich habe meinen Cavalier und meinen Wächter entlassen, sie sind in dem benachbarten Zimmer. Dort unter jenem Verschlag ist ein einsames Cabinet, das auf ein Vorzimmer geht, und im Vorzimmer habt Ihr Niemand gesehen, als einen Officier, nicht wahr?«
»Ja, Sire.«
»Nun, so sprecht, mein Bruder, ich höre Euch.«
»Sire, ich fange an, und möge Eure Majestät Mitleid mit dem Unglück unseres Hauses fassen.«
Der König von Frankreich erröthete und rückte sein Fauteuil näher zu dem des Königs von England.
»Mein Bruder,« sprach er, »es ist schmählich zu sagen, aber selten redet der Cardinal in meiner Gegenwart von Politik. Mehr noch: früher ließ ich mir historische Schriften von Laporte, meinem Kammerdiener, vorlesen,; doch er hat diese Vorlesungen eingestellt und mir Laporte genommen, so daß ich meinen Bruder Karl bitten muß, mir alle diese Dinge wie einem Menschen zu sagen, der nichts davon wüßte.«
»Wohl! Sire, wenn ich die Dinge so weit oben als möglich anfasse, habe ich eine Hoffnung mehr, das Herz Eurer Majestät zu rühren.«
»Sprecht, mein Bruder, sprecht.«
»Ihr wißt, Sire, daß ich im Jahr 1650, während der Expedition von Cromwell nach Irland, nach Edinburgh berufen, in Scone gekrönt wurde. Ein Jahr später, verwundet in einer der Provinzen, die er usurpirt hatte, marschirte Cromwell wieder gegen uns. Mit ihm zusammenzutreffen war meine Absicht, aus Schottland wegzukommen mein Wunsch.«
»Schottland war aber beinahe Euer Geburtsland?« versetzte der junge König.
»Ja, aber die Schottländer waren grausame Landsleute für mich! Sire, sie nöthigten mich, die Religion meiner Väter zu verleugnen; sie henkten Lord Montrose, meinen ergebensten Diener, weil er nicht Convenanter war, und da der arme Märtyrer, dem man vor seinem Tode eine Gnade anbot, verlangte, daß man seinen Körper in so viel Stücke zerreiße, als es Städte in Schottland gebe, damit man überall Zeugen seiner Treue finde, so konnte ich nicht aus einer Stadt heraus, oder in eine Stadt hinein, ohne an irgend einem Fetzen dieses Körpers vorüberzukommen, der für mich gehandelt, gekämpft, geathmet hatte.
»Ich zog also vermittelst eines verwegenen Marsches durch die Armee von Cromwell und kam nach England. Der Protector verfolgte mich bei dieser seltsamen Flucht, die eine Krone zum Ziel hatte . . . Hätte ich vor ihm London erreichen können, so wäre ohne Zweifel der Preis des Rennens mein gewesen, aber er holte mich in Worcester ein.
»Der Genius Englands war nicht mehr in uns, sondern in ihm, Sire; am 3. September 1651, am Jahrestag der für die Schottländer so unglücklichen Schlacht von Dunbar, wurde ich besiegt. Zweitausend Menschen fielen um mich her, ohne dass mir der Gedanke kam, einen Schritt rückwärts zu thun. Endlich mußte ich fliehen.
»Von da an wurde meine Geschichte ein Roman. Mit der größten Erbitterung verfolgt, schnitt ich mir die Haare ab und verkleidete mich als Holzhauer. Eine Nacht, die ich in den Zweigen einer Eiche zubrachte, gab diesem Baum den Namen der Königseiche, den sie noch hat. Meine Abenteuer in der Grafschaft Strafford, aus der ich die Tochter meines Wirthes auf dem Rücken tragend entkam, bilden immer noch den Gegenstand der Erzählungen am Abend und werden den Stoff zu einer Ballade geben. Dies Alles, Sire, werde ich eines Tages zur Belehrung der Könige, meiner Brüder, niederschreiben.
»Ich erwähne, wie ich, als ich bei Herrn Norton ankam, einen Kaplan des Hofes traf, der dem Kegelspiel zusah, und einen alten Diener, der mich, in Thrakien zerfließend, beim Namen nannte und mich beinahe eben so sicher durch seine Treue, getödtet hätte, als ein Anderer durch seinen Verrath. Ich erwähne endlich meiner Schrecknisse, ja, Sire, meiner Schrecknisse, als bei dem Obersten Windham ein Hufschmied, der unsere Pferde untersuchte, erklärte, sie seien im Norden beschlagen worden.«
»Das ist seltsam,« sagte Ludwig XIV» »ich wußte dies Alles nicht. Ich wußte nur, daß Ihr Euch in Brighelmsted einschifftet und in der Normandie landetet.«
»Oh, mein Gott!» sprach Karl, »wenn Du es gestattest, daß ein König so die Geschichte des andern nicht kennt, wie sollen sie dann einander beistehen?«
»Doch sagt, mein Bruder,« fuhr Ludwig XIV. fort, »wie könnt Ihr, da Ihr so schlimm in England aufgenommen worden seid, noch etwas von diesem unglücklichen Land und diesem rebellischen Volk hoffen?«
»Oh! Sire, seit der Schlacht von Worcester haben sich dort alle Dinge sehr verändert I Cromwell ist gestorben, nachdem er mit Frankreich einen Vertrag unterzeichnet hat, in welchem er seinen Namen über den Eurigen setzte. Er ist gestorben am 3. September 1658, einem neuen Jahrestag der Schlachten von Worcester und Dunbar.
»Sein Sohn wurde sein Nachfolger.
»Doch gewisse Menschen, Sire, haben Familie und keinen Erben. Die Erbschaft von Oliver lastete zu schwer auf Richard, der weder Republicaner noch Royalist war; Richard, der seine Leibwachen sein Mittagsbrod verzehren und seine Generale die Republik regieren ließ, Richard hat am 22. April 1659 dem Protectorat entsagt. Es ist etwas mehr als ein Jahr, Sire.
»Seit dieser Zeit ist England nur ein Spielhaus, wo Jeder um die Krone meines Vaters würfelt. Die zwei heftigsten Spieler sind Lambert und Monk. Nun, Sire, auch ich möchte mich gern in die Partie mischen, wo der Einsatz auf meinen königlichen Mantel geworfen wird. Sire, eine Million, um einen von diesen Spielern zu bestechen, um mir einen Verbündeten aus ihm zu machen, öder zweihundert von Euren Edelleuten, um sie aus meinem Palaste Whitehall zu verjagen, wie Jesus die Verkäufer aus dem Tempel verjagte.«
»Ihr begehrt also von mir . . . « sagte Ludwig XIV.
»Eure Hilfe, nämlich das, was sich die Könige nicht nur gegenseitig schuldig sind, sondern auch das, was sich die Christen einander schuldig sind; Eure Hilfe, Sire, sei es an Geld, sei es an Menschen; Eure Hilfe, und in einem Monat, mag ich nun Lambert dem Monk, oder Monk dem Lambert entgegenstellen, habe ich mein väterliches Erbe wiedererobert, ohne daß es mein Land eine Guinee, meine Unterthanen einen Tropfen Blut gekostet hat, denn sie sind nun berauscht von Revolution, Protectorat und Republik und verlangen nichts Anderes, als ganz schwankend zu fallen und im Königthum zu entschlummern. Eure Hilfe, Sire, und ich werde Eurer Majestät mehr schuldig sein, als meinem Vater. Armer Vater! der den Untergang unseres Hauses so theuer bezahlt hat! Ihr seht, Sire, ob ich unglücklich bin, ob ich trostlos bin, denn nun klage ich meinen Vater an!«
Und das Blut stieg Karl II. in sein bleiches Gesicht und er blieb einen Augenblick, den Kopf zwischen seinen beiden Händen und wie geblendet durch dieses Blut, das sich über die Blasphemie des Sohnes zu empören schien.
Der junge König war nicht minder unglücklich, als sein älterer Bruder; er bewegte sich in seinem Fauteuil unruhig hin und her und fand kein Wort der Erwiederung.
Endlich fand Karl II., dem zehn Lebensjahre mehr eine höhere Kraft zu Beherrschung seiner Gemüthsbewegungen gaben, wieder zuerst das Wort.
»Sire,« sagte er, »Eure Antwort? ich erwarte sie wie ein Verurtheilter seinen Spruch. Soll ich leben, soll ich sterben?«
»Mein Bruder,« antwortete der französische Prinz König Karl II.: »Ihr verlangt eine Million von mir, ich habe aber noch nie den vierten Theil dieser Summe besessen! ich besitze nichts! Ich bin nicht mehr König von Frankreich, als Ihr König von England seid. Ich bin ein Name, ich bin eine Ziffer mit Sammet bekleidet, worauf Lilien gestickt sind, mehr nicht. Ich bin auf einem sichtbaren Thron, das ist der einzige Vortheil, den ich vor Eurer Majestät habe. Ich besitze nichts, ich bin nichts.«
»Ist das wahr?« rief Karl II.
»Mein Bruder,« sprach Ludwig die Stimme dämpfend, »ich habe eine Dürftigkeit, ich habe Entbehrungen ertragen, wie sie meine ärmsten Edelleute nicht ertragen haben. Wenn mein armer Laporte bei Euch wäre, so würde er Euch sagen, daß ich in zerrissenen Leintüchern geschlafen habe, durch deren Löcher meine Beine durchgingen! er würde Euch sagen, daß man mir später, wenn ich nach meinen Carossen verlangte, halb von den Ratten in meinen Remisen zerfressene Wagen brachte; er würde Euch sagen, daß man, wenn ich mein Mittagsbrod begehrte, in der Küche des Cardinals fragte, ob zu essen für den König da sei. Und heute noch, da ich zwei und zwanzig Jahre alt bin, da ich das Alter der großen königlichen Volljährigkeit erreicht habe, heute, da ich den Schlüssel des Schatzes, die Leitung der Politik, die Suprematie des Kriegs und des Friedens haben sollte, schaut umher, seht, was man mir läßt; seht diese Verlassenheit, diese Geringschätzung, dieses Stillschweigen, während dort, seht dort, schaut diesen Eifer, diese Lichter, diese Huldigungen. Dort, dort, seht, dort ist der wahre König von Frankreich, mein Bruder.«
»Beim Cardinal?«
»Beim Cardinal, ja.«
»Dann bin ich verurtheilt.«
Ludwig XIV. erwiederte nichts.
»Verurtheilt ist das Wort, denn ich werde den nie bitten, der meine Mutter und meine Schwester, die Tochter und die Enkelin von Heinrich IV., vor Hunger und Kälte hätte sterben lassen, würden ihnen nicht Herr von Retz und das Parlament Holz und Brod geschickt haben.«
»Sterben!« murmelte Ludwig XIV.
»Nun!« fuhr der König von England fort, »der arme Karl II., der Enkel von Heinrich IV., wie Ihr, wird Hungers sterben, wie beinahe seine Mutter und seine Schwester gestorben wären.«
Ludwig faltete die Stirne und drehte heftig die Spitzen seiner Manchetten zusammen.
Diese Starrheit, diese Unbeweglichkeit, welche einer sichtbaren Gemüthsbewegung als Maske dienten, berührten schlagend König Karl II., der die Hand des jungen Mannes nahm.
»Ich danke, mein Bruder,« sagte er, »Ihr habt mich beklagt, das ist Alles, was ich in der Lage, in der Ihr Euch befindet, von Euch verlangen konnte.«
»Sire,« sprach plötzlich Ludwig XIV., das Haupt erhebend, »Ihr braucht, wie Ihr mir gesagt habt, eine Million oder zweihundert Edelleute?«
»Sire, eine Million wird mir genügen.«
»Das ist wenig.«
»Einem einzigen Menschen angeboten ist es viel. Man hat oft Ueberzeugungen minder theuer bezahlt; ich werde es nur mit käuflichen Menschen zu thun haben.«
»Zweihundert Edelleute, bedenkt, das ist nur ein wenig mehr als eine Compagnie.«
»Sire, es gibt in unserer Familie eine Tradition: Vier Männer, vier meinem Vater ergebene französische Edelleute haben meinen Vater, der vom Parlament verurtheilt, von einer Armee bewacht und von einer Nation umgeben war, beinahe gerettet.«
»Wenn ich also eine Million oder zwei hundert französische Edelleute für Euch bekommen kann, werdet Ihr zufrieden sein und mich für Euren guten Bruder halten?«
»Ich werde Euch für meinen Retter halten, und wenn ich den Thron meines Vaters besteige, soll England, wenigstens so lange ich regiere, eine Schwester Frankreichs sein, wie Ihr ein Bruder für mich werdet gewesen sein.«
»Nun, mein Bruder,« sprach Ludwig aufstehend, »was Ihr zu verlangen zögert, werde ich verlangen! was ich nie für mich selbst thun wollte, werde ich für Euch thun. Ich werde den König von Frankreich aufsuchen, den andern, den reichen, den mächtigen, und werde ihn um diese Million oder um die zweihundert Edelleute bitten; und wir werden sehen! . . . «
»Oh!« rief Karl, »Ihr seid ein edler Freund, Sire, ein Herz von Gott geschaffen! Ihr rettet mich, mein Bruder, und wenn Ihr das Leben braucht, das Ihr mir zurückgebt, verlangt es von mir!«
»Stille, mein Bruder, stille!« sagte Ludwig ganz leise. »Nehmt Euch in Acht, daß man uns nicht hört! Wir sind noch nicht am Ziele.. Von Mazarin Geld verlangen ist mehr als durch einen Zauberwald reiten, in dem jeder Baum einen Dämon enthält, ist mehr als eine Welt erobern.«
»Doch, Sire, wenn Ihr bittet? . . . «
»Ich sagte Euch, daß ich nie gebeten habe,« antwortete Ludwig mit einem Stolz, der den König von England erbleichen machte.
Und als dieser, einem verwundeten Menschen ähnlich, eine rückgängige Bewegung machte, sprach er:
»Verzeiht, mein Bruder, ich habe keine Mutter, keine Schwester, welche leiden. Mein Thron ist hart und nackt; aber ich sitze gut auf meinem Thron. Verzeiht, mein Bruder, werft mir dieses Wort nicht vor, es ist das eines Selbstsüchtigen. Ich werde es auch durch ein Opfer sühnen. Ich will den Cardinal aufsuchen. Erwartet mich, Sire, ich bitte Euch. Bald komme ich zurück.«
X.
Während sich der König rasch nach dem vom Cardinal bewohnten Flügel des Schlosses wandte, wobei er nur seinen Kammerdiener mitnahm, trat der Officier der Musketiere, athmend wie ein Mensch, der lange seinen Athem zurückzuhalten genöthigt gewesen ist, aus dem von uns erwähnten kleinen Cabinet, das der König verlassen glaubte. Dieses kleine Cabinet hatte einen Theil des Zimmers gebildet und war durch nichts Anderes, als durch eine dünne Scheidewand davon getrennt. Diese Trennung, welche nur eine für die Augen war, erlaubte daher auch dem am mindesten indiscreten Ohr, Alles zu hören, was in diesem Zimmer vorging.
Es unterlag also keinem Zweifel, daß der Lieutenant der Musketiere Alles gehört hatte, was bei Seiner Majestät vorgegangen war.
Durch die letzten Worte des jungen Königs in Kenntniß gesetzt, ging er zeitig genug heraus, um ihn im Vorübergehen zu begrüßen und mit dem Blick zu begleiten, bis er im Corridor verschwunden war.
Dann, als er verschwunden war, schüttelte er den Kopf auf eine Weise, die nur ihm gehörte, und sprach mit einer Stimme, der vierzig Jahre, außerhalb der Gascogne zugebracht, ihren gascognischen Accent nicht hatten benehmen können:
»Trauriger Dienst, trauriger Herr! . . . «
Nach diesen Worten nahm der Lieutenant wieder seinen Platz in seinem Fauteuil, streckte die Beine aus und schloß die Augen wie ein Mensch, der schläft oder nachsinnt.
Wahrend dieses kurzen Monologs und der Scenirung, die darauf folgte, während sich der König durch die langen Gänge des alten Schlosses zu Herrn von Mazarin begab, ereignete sich eine ganz andere Scene beim Cardinal.
Mazarin hatte sich, etwas von der Gicht geplagt, zu Bette gelegt. Doch da er ein Mann von Ordnung war, der sogar den Schmerz benutzte, so nöthigte er seine Nachtwache, die gehorsame Dienerin seiner Arbeit zu sein. Dem zu Folge ließ er sich von Bernouin, seinem Kammerdiener, ein kleines Reisepult bringen, um auf seinem Bett schreiben zu können.
Doch die Gicht ist keine Feindin, die sich so leicht besiegen läßt, und da der Anfangs dumpfe Schmerz bei jeder Bewegung, die er machte, immer einschneidender wurde, so fragte er Bernouin:
»Ist Brienne nicht da?«
»Nein, Monseigneur,« erwiederte der Kammerdiener, »Herr von Brienne hat sich mit Eurer Erlaubniß zu Bette gelegt. Doch wenn es Eure Eminenz wünscht, kann man ihn ganz wohl wecken.«
»Nein, es ist nicht der Mühe werth. Wir wollen doch sehen. Verfluchte Zahlen!«
Und der Cardinal fing an zu träumen, während er an seinen Fingern rechnete.
»Oh! Zahlen!« sagte Bernouin. »Gut! wenn sich Eure Eminenz in ihre Berechnungen vertieft, so verspreche ich ihr bis Morgen die schönste Migräne! Und dabei ist Herr Guénaud nicht hier.«
»Du hast Recht, Bernouin. Nun! Du wirst Brienne ersetzen, mein Freund. In der That, ich hätte Herrn von Colbert mitnehmen sollen. Dieser junge Mann arbeitet gut, Bernouin, sehr gut. Ein Junge von Ordnung.«
»Ich weiß das nicht,« erwiederte der Kammerdiener; »doch ich liebe das Gesicht von Eurem jungen Mann, der so gut arbeitet, nicht.«
»Es ist gut, es ist gut, Bernouin! man braucht Deine Ansicht nicht. Stelle Dich dahin, nimm Feder und schreibe.«
»Hier bin ich, Monseigneur. Was soll ich schreiben?«
»Hier, es ist gut, unter die zwei schon geschriebenen Zeilen.«
»Ich habe es.«
»Schreibe: Siebenmal hundert sechzig tausend Livres.«
»Es ist geschrieben.«
»Auf Lyon . . . «
Der Cardinal schien zu zögern.
»Auf Lyon,« wiederholte Bernouin.
»Drei Millionen, neunmal hunderttausend Livres.«
»Gut, Monseigneur.«
»Auf Bordeaux sieben Millionen.«
»Sieben,« wiederholte Bernouin.
»Ah ja!« sagte der Cardinal mit Laune, »sieben.« Dann sich verbessernd, fügte er bei: »Du begreifst, Bernouin, dies Alles ist Geld, das ausgegeben werden muß.«
»Ei! Monseigneur, ob das auszugeben oder einzukassiren ist, mir liegt nichts daran, da alle diese Millionen nicht mir gehören.«
»Diese Millionen gehören dem König. Es ist Geld des Königs, das ich berechne. Wie sagten wir? . . . Du unterbrichst mich immer! Sieben Millionen auf Bordeaux. Ah! ja, das ist wahr. Auf Madrid vier. Ich erkläre Dir, wem dieses Geld gehört, Bernouin, insofern alle Welt so einfältig ist, zu glauben, ich sei Millionen reich. Ich weise diese Albernheit zurück. Ein Minister hat übrigens nichts für sich. Fahre fort. Allgemeine Einnahmen sieben Millionen, liegende Güter neun Millionen. Hast Du geschrieben, Bernouin?«
»Ja, Monseigneur.«
»Börse sechsmal hundert tausend Livres; verschiedene Werthe zwei Millionen. Ah! ich vergaß: Mobiliar der verschiedenen Schlösser . . . «
»Soll ich schreiben der Krone?« fragte Bernouin.
»Nein, nein, das ist unnöthig, das ist darunter verstanden. Hast Du geschrieben, Bernouin?«
»Ja, Monseigneur.«
»Und die Zahlen?«
»Sind unter einander gesetzt.«
»Addire, Bernouin.«
»Neununddreißig Millionen, zweimal hundert sechzigtausend Livres, Monseigneur.«
»Ah!« machte der Cardinal mit einem Ausdruck des Aergers, »es sind noch nicht vierzig Millionen.«
Bernouin fing wieder an zu addiren.
»Nein, Monseigneur, es fehlen siebenmal hundert vierzigtausend Livres.«
Mazarin verlangte, die Rechnung und revidirte sie aufmerksam.
»Gleichviel,« sagte Bernouin, »neun und dreißig Millionen, zweimal hundert und sechzigtausend Livres, das ist ein schöner Pfennig.«
»Ah! Bernouin, das möchte ich dem König zeigen.«
»Seine Eminenz sagte mir doch, dieses Geld gehöre Seiner Majestät.«
»Allerdings, aber sehr klar, sehr liquid. Diese neun und dreißig Millionen werden schon in Anspruch genommen und reichen nicht zu.«
Bernouin lächelte auf seine Weise und wie ein Mensch, der nur glaubt, was er glauben will, während er den Nachttrank des Cardinals bereitete und sein Kopfkissen zurecht richtete.
»Oh!« sagte Mazarin, als der Kammerdiener weggegangen war, »noch nicht vierzig Millionen! Ich muß doch die Zahl von fünfundvierzig erreichen, die ich mir festgestellt habe. Doch wer weiß, ob ich die Zeit haben werde! Ich sinke, ich gehe, ich werde’ nicht zum Ziel kommen. Aber lassen sich nicht vielleicht ein paar Millionen in den Taschen unserer guten Freunde, der Spanier, finden? Sie haben Peru entdeckt, diese Leute, und was Teufels, es muß ihnen noch etwas davon übrig sein.«
Während er so sprach und, ganz mit seinen Zahlen beschäftigt, nicht mehr an seine Gicht dachte, welche durch eine geistige Sorge zurückgedrängt wurde, die bei dem Cardinal die mächtigste von allen seinen Sorgen war, stürzte Bernouin ganz erschrocken in’s Zimmer.
»Nun,« fragte der Cardinal, »was gibt es denn?«
»Der König, Monseigneur, der König!«
»Wie, der König?« versetzte Mazarin, rasch sein Papier verbergend. »Der König hier! der König zu dieser Stunde! Ich glaubte, er läge längst im Bett. Was hat er denn?«
Ludwig XlV. konnte diese letzten Worte hören und die Geberde des Cardinals sehen, der sich erschrocken auf seinem Bett erhob, denn er trat in diesem Augenblick in das Zimmer.
»Es ist nichts, Herr Cardinal, oder wenigstens nichts, was Euch beunruhigen könnte: eine wichtige Mittheilung, die ich Eurer Eminenz noch diesen Abend zu machen habe, nichts sonst.«
Mazarin dachte sogleich an die so sehr in die Augen fallende Aufmerksamkeit, die der König seinen Fräulein von Mancini betreffenden Worten geschenkt hatte, und die Mittheilung schien ihm aus dieser Quelle zu kommen. Er erheiterte sich also auf der Stelle und nahm seine freundlichste Miene an, eine Veränderung der Physiognomie, worüber der junge König eine außerordentliche Freude empfand, und als Ludwig sich gesetzt hatte, sprach der Cardinal:
»Sire, ich möchte allerdings Eure Majestät stehend hören, doch die Heftigkeit meines Uebels . . . «
»Keine Etiquette unter uns, theurer Herr Cardinal,« erwiederte Ludwig liebevoll; »ich bin Euer Zögling und nicht Euer König, Ihr wißt es wohl, und besonders, da ich diesen Abend als Bittsteller und sehr demüthiger Sollicitant mit dem sehnlichen Wunsche, gut aufgenommen zu werden, zu Euch komme.«
Als Mazarin die Rothe des Königs sah, wurde er in seiner ersten Idee bestärkt, nämlich in der, daß unter allen diesen schönen Worten ein Liebesgedanke stecke. Diesmal täuschte sich der politische Schlaukopf, so sein er auch war: diese Röthe ward nicht durch die schamhaften Wogungen einer jugendlichen Leidenschaft veranlaßt, sondern nur durch das schmerzhafte Zusammenziehen des königlichen Stolzes.
Als guter Oheim schickte sich Mazarin also an, das Geständniß zu erleichtern.
»Sprecht, Sire,« sagte er, »und da Eure Majestät die Gnade haben will, einen Augenblick zu vergessen, daß ich ihr Unterthan bin, um mich ihren Lehrer und Meister zu nennen, so versichere ich Eure Majestät aller meiner ergebenen und zärtlichen Gefühle.«
»Ich danke, Herr Cardinal,« antwortete der König. »Was ich von Eurer Eminenz zu erbitten habe, ist übrigens wenig für sie!«
»Desto schlimmer,« erwiederte der Cardinal, »desto schlimmer, Sire. Ich wollte, Eure Majestät würde etwas Wichtiges, ein Opfer sogar von mir fordern. Doch was es auch sein mag, was Ihr von mir verlangen möget, ich bin bereit. Euer Herz durch Gewähren zu erleichtern, mein lieber Sire.«
»Nun wohl, so hört, um was es sich handelt.« sprach der König mit einem Herzklopfen, das an Hast nichts Aehnliches hatte, als das Herzklopfen des Ministers, »ich habe so eben den Besuch meines Bruders, den Königs von England, empfangen.«
Mazarin zuckte in seinem Bett auf, als ob er mit der Leidener Flasche oder mit der Voltaischen Säule in Berührung gesetzt worden wäre, während zugleich ein Erstaunen oder vielmehr eine Enttäuschung sein Gesicht mit einem solchen Schimmer des Zorns beleuchtete, daß Ludwig XIV., so wenig er Diplomat war, wohl sah, der Minister habe etwas ganz Anderes zu hören gehofft.
»Karl II.!« rief Mazarin mit einer heiseren Stimme und einer verächtlichen Bewegung der Lippen. »Ihr habt den Besuch von Karl II. empfangen?«
»Von König Karl II.,« versetzte Ludwig XIV., der freundlich dem Enkel von Heinrich IV. den Titel bewilligte, den Mazarin ihm zu geben vergaß. »Ja, Herr Cardinal, dieser arme Prinz hat mein Herz durch die Erzählung seiner unglücklichen Schicksale gerührt. Seine Noth ist groß, Herr Cardinal, und es kam mir peinlich vor, mir, der ich mir meinen Thron habe streitig machen sehen, mir, der ich in den Tagen der Unruhen aus meiner Hauptstadt zu fliehen genöthigt war, mir endlich, der ich das Unglück kenne, einen flüchtigen, aus seinem Eigenthum vertriebenen Bruder ohne Unterstützung zu lassen.«
»Ei!« sagte der Cardinal ärgerlich, »warum hat er nicht wie Ihr einen Jules Mazarin bei sich! Seine Krone wäre unangetastet geblieben.«
»Ich weiß, was mein Haus Eurer Eminenz Alles schuldig ist,« erwiederte mit stolzem Tone der König, »und glaubt mir, mein Herr, ich meines Theils werde es nie vergessen. Gerade weil mein Bruder, der König von England, nicht das mächtige Genie bei sich hat, das mich gerettet, gerade deshalb möchte ich ihm die Hilfe desselben Genies verschaffen und Euren Arm bitten, sich über seinem Kopf auszustrecken, fest überzeugt, Herr Cardinal, daß Eure Hand, wenn sie ihn nur berührte, ihm seine zum Fuße des Schaffots seines Vaters gefallene Krone wieder auf die Stirne zu setzen vermöchte.«
»Sire,« erwiederte Mazarin, »ich danke Euch für die gute Meinung, die Ihr von mir hegt, doch wir haben nichts dort zu schaffen: das sind Wüthende, welche Gott verleugnen und ihren Königen die Köpfe abschlagen. Sie sind gefährlich, wie Ihr seht, Sire, und schmutzig zu berühren, seitdem sie sich im königlichen Blut und in Covenanter Koth gewälzt haben. Diese Politik hat mir nie zugesagt, und ich stoße sie zurück.«
»Ihr könnt uns auch dadurch helfen, daß Ihr sie durch eine andere ersetzt.«
»Durch welche?«
»Durch die Wiedereinsetzung von Karl II. zum Beispiel.«
»Ei! mein Gott!« rief Mazarin, »sollte sich,zufällig der arme Sire mit dieser Chimäre schmeicheln?«
»Ja,« sprach der junge König, erschrocken über die Schwierigkeiten, die das, so sichere Auge seines Ministers in diesem Plane zu sehen schien; »er verlangt sogar hierzu nur eine Million.«
»Das ist Alles! »»Eine kleine Million, wenn es Euch beliebt!«« rief ironisch der Cardinal, seinen italienischen Accent bezwingend. »»Eine kleine Million, wenn es Euch beliebt, mein Bruder!«« Fort, eine Bettlerfamilie!«
»Cardinal,« sprach Ludwig XIV., das Haupt erhebend, »diese Bettlerfamilie ist ein Zweig meiner Familie.«
»Seid Ihr reich genug, Andern Millionen zu geben, Sire? Habt Ihr Millionen?«
Oh!« erwiederte Ludwig XIV. mit einem erhabenen Schmerz, den er indessen durch die Kraft des Willens nicht auf seinem Gesichte hervorzutreten zwang; »oh! ja, Herr Cardinal, ich weiß, daß ich arm bin, aber die Krone Frankreichs ist wohl eine Million werth, und um eine gute Handlung zu vollbringen, werde ich, wenn es sein muß, meine Krone verpfänden. Ich finde wohl Juden, die mir eine Million darauf leihen.«
»Ah! Sire, Ihr sagt, Ihr braucht eine Million?» fragte Mazarin.
»Ja, mein Herr, das sage ich.«
»Ihr täuscht Euch sehr, Sire, Ihr braucht viel mehr als dies. Bernouin! Ihr sollt sehen, wie viel Ihr in Wirklichkeit nöthig habt. Bernouin!«
»Wie! Cardinal,« sagte der König, »Ihr wollt einen Lackei bei meinen Angelegenheiten zu Rath ziehen!«
»Bernouin!« rief abermals der Cardinal, ohne daß er die Demüthigung des jungen Prinzen zu bemerken schien, »Komm’ hierher und sage mir die Zahl, die ich früher von Dir forderte, mein Freund.«
»Cardinal, Cardinal, habt Ihr mich nicht gehört?« sprach Ludwig, vor Entrüstung erbleichend.
»Sire, ärgert Euch nicht; ich behandle die Angelegenheiten Eurer Majestät offen. Jedermann in Frankreich weiß es, meine Bücher liegen vor Aller Augen, Was hieß ich Dich so eben thun, Bernouin?«
»Eure Eminenz hieß mich eine Addition machen.«
»Du hast es gethan, nicht wahr?«
»Ja, Monseigneur.«
»Um die Summe herauszustellen, welche Seine Majestät in diesem Augenblick nöthig hätte? Sagte ich das nicht? Sei offenherzig, mein Freund.«
»Eure Eminenz sagte mir das.«
»Und welche Summe wünschte ich?«
»Fünf und vierzig Millionen, glaube ich.«
»Und welche Summe fanden wir, indem wir alle unsere Mittel und Quellen zusammenfaßten?«
»Neun und dreißig Millionen, zweimal hundert und sechzigtausend Livres.«
»Es ist gut, Bernouin, das ist Alles, was ich wissen wollte; verlasse uns nun,« sprach der Cardinal, indem er seinen glänzenden Blick auf den vor Erstaunen stummen jungen König heftete.
»Aber dennoch . . . « stammelte der König.
»Ah! Ihr zweifelt noch, Sire,« sagte der Cardinal. »Wohl, hier habt Ihr den Beweis für das, was ich sagte.«
Und Mazarin zog unter seinem Kopfkissen das mit Zahlen bedeckte Papier hervor und reichte es dem König, der das Gesicht abwandte, so tief war sein Schmerz.
»Da Ihr also eine Million wünscht, Sire, da diese Million hier nicht aufgeführt ist, so hat Eure Majestät sechsundvierzig Millionen nöthig. Es gibt aber keinen Juden auf der Welt, welcher eine solche Summe borgen würde, nicht einmal auf die Krone von Frankreich.«
Der König ballte krampfhaft seine Fäuste unter seinen Manchetten, stieß sein Fauteuil zurück und sprach:
»Es ist gut, mein Bruder, der König von England, wird also Hungers sterben.«
»Sire, entgegnete Mazarin in demselben Ton, »erinnert Euch des Sprichworts, das ich Euch hier als den Ausdruck der vernünftigsten Politik gebe: Freue dich, arm zu sein, wenn dein Nachbar auch arm ist.«
Ludwig sann einen Augenblick nach, während er einen neugierigen Blick auf das Papier warf, von dem ein Ende unter dem Kopfkissen vorstand, und sagte sodann:
»Es ist also völlig unmöglich, meiner Geldforderung zu entsprechen?«
»Durchaus, Sire.«
»Bedenkt, daß es mir später eine Unannehmlichkeit bereiten wird, wenn er ohne mich den Thron besteigt.«
»Wenn Eure Majestät nur das befürchtet, so mag sie ruhig sein,« sagte rasch der Cardinal.
»Es ist gut, ich dringe nicht weiter darauf.«
»Habe ich Euch wenigstens überzeugt, Sire?« fragte der Cardinal, seine Hand auf die des Königs legend.
»Vollkommen.«
»Verlangt alles Andere, Sire, und ich werde glücklich sein, es Euch zu bewilligen, da ich Euch dies verweigern mußte.«
»Alles Andere, mein Herr?«
»Ah! ja, bin ich nicht mit Leib und Seele im Dienste Eurer Majestät? Hollah! Bernouin, Lichter, Wachen für Seine Majestät! Seine Majestät kehrt in ihre Gemächer zurück.«
»Noch nicht, mein Herr, und da Ihr Euren guten Willen zu meiner Verfügung stellt, so will ich davon Gebrauch machen.«
»Für Euch, Sire?« fragte der Cardinal, in der Hoffnung, es würde endlich von seiner Nichte die Rede sein.
»Nein, mein Herr, nicht für mich, sondern immer für meinen Bruder Karl.«
Das Gesicht von Mazarin verdüsterte sich, und er brummelte ein paar Worte, die der König nicht verstehen konnte.
XI.
Statt des Zögerns, mit dem er eine Viertelstunde vorher den Cardinal angegangen hatte, konnte man nun in den Augen des jungen Königs jenen Willen lesen, gegen den man zu kämpfen vermag, den man vielleicht durch seine eigene Ohnmacht bricht, der aber wenigstens, wie eine Wunde in der Tiefe des Herzens, die Erinnerung an seine Niederlage behalten wird.
»Diesmal, Herr Cardinal, handelt es sich um etwas, was leichter zu finden ist, als eine Million.«
»Glaubt Ihr, Sire?« sagte Mazarin, indem er den König mit jenem schlauen Auge anschaute, das im tiefsten Grunde der Herzen las.«
»Ja, ich glaube es, und wenn Ihr den Gegenstand meiner Bitten kennen werdet.«
»Glaubt Ihr denn, ich kenne ihn nicht. Sire?«
»Ihr wißt, was mir zu sagen übrig ist?«
»Hört, Sire, die eigenen Worte von König Karl.«
»Oh! da bin ich begierig!«
»Höret also: »»Und wenn dieser Geizhals, dieser knauserige Italiener.«« hat er gesagt . . . «
»Herr Cardinal! . . . «
»Das ist der Sinn, wenn es auch nicht die Worte sind. Ei, mein Gott! ich grolle ihm deshalb nicht, Sire, Jeder sieht mit seinen Leidenschaften. Er hat also gesagt: »»Wenn dieser knauserige Italiener Euch die Million verweigert, die wir verlangen, Sire, wenn wir, in Ermangelung von Geld, auf die Diplomatie zu verzichten genöthigt sind, nun so verlangen wir von ihm fünfhundert Edelleute.««
Der König bebte, denn der Cardinal hatte sich nur in der Zahl getäuscht.
»Nicht wahr, Sire. so ist es?« rief der Minister mit triumphirendem Ausdruck; »dann hat er die schönen Worte beigefügt: »»Ich habe Freunde jenseits der Meerenge; diesen Freunden fehlt es nur an einem Anführer und an einem Banner. Wenn sie mich, wenn sie das Banner Frankreichs sehen, werden sie sich um mich sammeln, denn sie werden begreifen, daß ich Eurer Unterstützung theilhaftig bin. Die Farben der französischen Uniform sind bei mir soviel werth, als die Million, die uns Herr von Mazarin verweigern wird.«« (Denn er wußte wohl, daß ich diese Million verweigern würde.). »»Mit diesen fünfhundert Edelleuten werde ich siegen, Sire, und alle Ehre wird Euch zufallen.«« Das ist es, was er sagte, oder ungefähr sagte, nicht wahr? wobei er seine Worte mit glänzenden Metaphern, mit pomphaften Bildern umgeben hat, denn sie sind Schwätzer in der Familie! Der Vater hat noch auf dem Schaffot gesprochen.«
Der Schweiß der Scham floß Ludwig von der Stirne. Er fühlte, daß es nicht seiner Würde entsprach, so seinen Bruder beleidigen zu hören; aber er wußte noch nicht, wie man aufzutreten hatte, besonders demjenigen gegenüber, vor dem er Alles, sogar seine Mutter, sich hatte beugen sehen.
Endlich strengte er sich an und sprach: »Aber, Herr Cardinal, es handelt sich nicht um fünfhundert Edelleute, sondern um zweihundert.«
»Ihr seht wohl, daß ich errathen habe, was er forderte.«
»Mein Herr, es ist mir nicht eingefallen, zu leugnen, daß Ihr ein tiefes Auge habt, und deshalb dachte ich, Ihr würdet meinem Bruder Karl eine so einfache und so leicht zu bewilligende Sache wie die, welche ich , in seinem Namen oder vielmehr in dem meinigen von Euch verlange, nicht verweigern.«
»Sire,« erwiederte Mazarin, »ich treibe nun seit dreißig Jahren Politik. Ich habe sie Anfangs mit dem Herrn Cardinal von Richelieu, dann allein getrieben. Diese Politik ist nicht immer ehrlich gewesen, ich muß es gestehen, aber sie war nie ungeschickt. Diejenige aber, welche man in diesem Augenblick Eurer Majestät vorschlägt, ist zugleich unehrlich und ungeschickt.«
»Unehrlich, mein Herr!«
»Sire, Ihr habt einen Vertrag mit Herrn Cromwell geschlossen.«
»Ja; und in diesem Vertrag hat Herr Cromwell über mir unterzeichnet.«
»Warum habt Ihr Euren Namen so tief unten an geschrieben, Sire? Herr Cromwell fand einen guten Platz und nahm ihn; das war so ziemlich seine Gewohnheit. Ich komme also auf Herrn Cromwell zurück. Ihr habt einen Vertrag mit Ihm, nämlich mit England, da Herr Cromwell, als Ihr diesen Vertrag unterzeichnetet, England war.«
»Herr Cromwell ist todt.«
»Ihr glaubt das, Sire?«
»Allerdings, da ihm sein Sohn Richard in der Regierung gefolgt ist und selbst entsagt hat.«
»Wohl! das ist es gerade. Richard hat bei dem Tod von Cromwell geerbt, und England bei der Entsagung von Richard. Der Vertrag bildete einen Theil der Erbschaft, kam er nun in die Hände von Herrn Richard, oder in die von England. Der Vertrag ist also immer noch gut und so gültig als je. Warum solltet Ihr ihn vereiteln, Sire? Was hat sich verändert? Karl II. will heute, was wir vor zehn Jahren nicht wollten; doch das ist ein Fall, für den man vorhergesehen. Ihr seid der Verbündete von England, Sire, und nicht der von Karl II. Es war ohne Zweifel ungebührlich aus dem Gesichtspunkt der Familie betrachtet, daß man einen Vertrag mit einem Mann, der dem Schwager des Königs, Eures Vaters, den Kopf abschlagen ließ, unterzeichnet und ein Bündnis; mit einem Parlament geschlossen hat, das man dort ein Croupion-Parlament nennt; das war ungebührlich ich gestehe es zu, aber es war nicht ungeschickt aus dem Politischen Gesichtspunkte, da ich Eurer damals noch minderjährigen Majestät durch diesen Vertrag die Widerwärtigkeiten und Plackereien eines äußeren Krieges erspart habe, in den noch die Fronde . . . Ihr erinnert Tuch der Fronde, Sire (der junge König neigte das Haupt), in den noch die Freude eine unselige Verwirrung gebracht hätte. Und hierdurch beweise ich Eurer Majestät, daß jetzt einen andern Weg einschlagen, ohne unsere Verbündeten zu benachrichtigen. zugleich ungeschickt und unehrlich wäre. Wir würden den Krieg anfangen und das Unrecht auf unsere Seite stellen; wir würden den Krieg anfangen, während wir verdienten, daß man uns bekriegte, und wir hätten die Miene, als fürchteten wir ihn, während wir denselben hervorrufen würden; denn eine Erlaubniß fünfhundert Mann, zweihundert Mann, fünfzig Mann, zehn Mann ertheilt bleibt immer eine Erlaubnis). Ein Franzose, das ist die Nation, eine Uniform, das ist die Armee. Nehmt zum Beispiel an, Sire, Ihr habet früher oder später Krieg mit Holland, was früher oder später sicherlich der Fall sein wird, oder mit Spanien, was vielleicht geschieht, wenn Eure Heirath scheitert (Mazarin schaute den König mit einem tiefen Blick an), und es gibt tausend Ursachen, welche Eure Heirath scheitern machen können; nun wohl, würdet Ihr es billigen, wenn England den Vereinigten Provinzen oder der Infantin ein Regiment, eine Compagnie, oder sogar nur eine Corporalschaft von englischen Edelleuten schickte? Fändet Ihr, es halte sich streng in den Grenzen seines Allianzvertrags?«
Ludwig horchte; es kam ihm seltsam vor, daß Mazarin Treue und Glauben anrief, er, der Urheber von so vielen politischen Betrügereien und Ueberlistungen, die man Mazarinaden nannte.
»Aber,« sagte der König, »ohne ihnen eine offene Vollmacht zu geben, kann ich doch wenigstens Edelleute meines Staates nicht abhalten, nach England zu gehen, wenn es ihnen beliebt.«
»Ihr müßt sie zwingen, zurückzukehren, Sire, oder wenigstens gegen ihre Anwesenheit als Feinde in einem verbündeten Land protestiren.«
»Doch sprecht, Herr Cardinal, Ihr, ein so tiefes Genie, laßt uns ein Mittel suchen, diesen armen König zu unterstützen, ohne daß wir uns compromittiren.«
»Das ist es gerade, was ich nicht will, mein lieber Sire,« sagte Mazarin. »Wenn England nach meinen Wünschen handelte, so könnte es nicht besser handeln; wenn ich von hier aus die Politik Englands leitete, ich würde sie nicht anders leiten. So regiert, wie man es regiert, ist England ein ewiges Nest für Prozesse. Holland begünstigt Karl II. Laßt Holland machen; sie werden sich ärgern, sie werden sich schlagen; das sind die einzigen Seemächte; laßt sie einander ihre Marinen zerstören; wir werden die unsrige mit den Trümmern ihm Schisse bauen, und zwar nur, wenn wir Geld haben, um die Nägel zu kaufen.«
»Oh! wie’ armselig und schmutzig ist Alles, was Ihr mir da sagt, Herr Cardinal!«
»Ja, aber wie wahr ist es, Sire, das müßt Ihr gestehen. Mehr noch: ich nehme einen Augenblick die Möglichkeit an, daß Ihr Euer Wort brechen und den Vertrag vereiteln oder umgehen würdet; man sieht oft, daß man sein Wort bricht und einen Vertrag vereitelt; doch dies geschieht, wenn man ein großes Interesse hat, es zu thun, oder wenn man sich durch den Vertrag zu sehr belästigt und beengt fühlt, Wohl, Ihr werdet die Erlaubniß zu der Anwerbung geben, die man von Euch verlangt; Frankreich, sein Banner, was dasselbe ist, wird über die Meerenge ziehen und kämpfen, Frankreich wird besiegt werden.«
»Warum dies?«
»Meiner Treue, Seine Majestät König Karl II. ist ein geschickter General, und Worcester gibt uns schöne Garantien!«
»Er hat es nicht mehr mit Cromwell zu thun, mein Herr.«
»Ja, aber er wird es mit Monk zu thun haben, der noch viel gefährlicher ist. Dieser brave Bierwirth, von dem wir sprachen, war ein Erleuchteter, er hatte Augenblicke der Entzückung, der Ausdehnung, der Anschwellung, während welcher er sich spaltete, wie ein zu volles Faß; durch diese Spalten kamen dann immer einige Tropfen seines Gedankens hervor, und am Muster erkannte man den ganzen Gedanken. Cromwell ließ uns so mehr als zehnmal in seine Seele eindringen, während man diese Seele mit dreifachem Erz. wie Horaz sagt, umhüllt glaubte. Aber Monk! Ah! Sire, Gott behüte Euch, daß Ihr je Politik mit Herrn Monk zu treiben habt! Er hat mir seit einem Jahr alle die grauen Haare gemacht, die ich auf dem Kopfe habe! Monk ist leider kein Erleuchteter mehr, er ist ein Politiker; er spaltet sich nicht, er zieht sich zusammen. Seit zehn Jahren hat er die Augen auf ein Ziel gerichtet, und noch hat Niemand errathen, auf welches. Wie es Ludwig XI. rieth, verbrennt er jeden Morgen seine Nachtmütze. An dem Tag, wo dieser langsame und in der Stille gereifte Plan hervortreten wird, wird er auch mit allen Bedingungen des Erfolgs, welche stets das Unvorhergesehene begleiten, hervortreten.
»Das ist Monk, Sire, von dem Ihr vielleicht nie hattet sprechen hören, dessen Namen Ihr vielleicht nicht einmal kanntet, ehe Euer Bruder Karl II. ihn vor Euch aussprach: nämlich ein Wunder an Tiefe und Starrsinn, die zwei einzigen Dinge, an denen sich der Geist und der Eifer abstumpfen. Sire, ich habe Eifer gehabt, als ich noch jung war, Sire, ich habe stets Geist gehabt, ich kann mich dessen rühmen, da man es mir vorwirft. Ich habe einen schönen Weg gemacht mit diesen zwei Eigenschaften, da ich vom Sohn eines Fischers von Piscina erster Minister von Frankreich geworden bin, und als solcher, Eure Majestät hat wohl die Güte, es anzuerkennen, habe ich dem Throne Eurer Majestät einige Dienste geleistet. Wohl! Sire, hätte ich auf meinem Wege Monk getroffen, statt Herrn von Beaufort, Herrn von Retz oder den Herrn Prinzen zu finden, so wären wir verloren gewesen. Laßt Euch leichtsinnig ein, Sire, und Ihr werdet in die Klauen dieser politischen Soldaten fallen. Der Helm von Monk, Sire, ist eine eiserne Kiste, in deren Tiefe er seine Gedanken verschließt und wozu Niemand einen Schlüssel hat. Bei ihm, oder vielmehr vor ihm verbeuge ich mich, Sire, ich, der ich nur ein Sammelbaret habe.«
»Was glaubt Ihr denn, daß Monk will?«
»Ei! wenn ich das wüßte, Sire, so würde ich Euch nicht sagen, Ihr sollet ihm mißtrauen, denn ich wäre stärker als er: aber bei ihm habe ich Furcht, zu errathen; zu errathen! Ihr begreift mein Wort? Denn wenn ich errathen zu haben glaube, so werde ich bei einer Idee stehen bleiben und diese Idee unwillkührlich verfolgen. Seitdem dieser Mensch dort die Gewalt in Händen hat, bin ich wie jene Verdammten von Dante, denen Satan den Hals umgedreht: sie gehen vorwärts und schauen rückwärts; ich gehe Spanien zu, verliere aber London nicht aus den Augen. Errathen heißt bei diesem Teufel von Menschen sich täuschen, und sich täuschen heißt sich zu Grunde richten. Gott behüte mich, daß ich je zu errathen suche, was er wünscht; ich begnüge mich damit, und das ist schon genug, zu bespähen, was er thut; ich glaube aber, – Ihr begreift das Gewicht des Wortes: ich glaube? ich glaube in Beziehung auf Monk macht zu nichts verbindlich? . . . ich glaube, daß er ganz einfach Lust hat, Cromwell in der Regierung zu folgen. Euer Karl II. hat ihm schon durch zehn Personen Vorschläge machen lassen; er beschränkte sich darauf, daß er die zehn Vermittler fortjagte, ohne ihnen etwas Anderes zu sagen, als: »»Geht, oder ich lasse Euch hängen!«« Dieser Mensch ist ein Grab! In diesem Augenblick spielt Monk den Ergebenen gegen das Croupion-Parlament! von dieser Ergebenheit laß ich mich nicht bethören: Monk will nicht ermordet werden. Ein Mord würde ihn mitten in seinem Werke aufhalten, und sein Werk muß in Erfüllung gehen; ich glaube auch, doch glaubt nicht, was ich glaube, Sire; ich sage, ich glaube aus Gewohnheit; ich glaube, daß Monk das Parlament schont bis zu dem Tag, wo er es zermalmen wird. Man verlangt Schwerter von Euch, doch dies geschieht, um sich gegen Monk zu schlagen; Gott behüte uns, daß wir uns gegen Monk schlagen, Sire, denn Monk wird uns schlagen, und von Monk geschlagen, werde ich mich in meinem ganzen Leben nicht mehr trösten! Ich würde sagen, Monk habe diesen Sieg seit zehn Jahren vorhergesehen. Um Gotteswillen, Sire! aus Freundschaft für Euch, wenn nicht aus Rücksicht für sich selbst, halte sich Karl II. ruhig; Eure Majestät wird ihm eine kleine Rente zufließen lassen, sie wird ihm eines ihrer Schlösser geben. Ei! ei! wartet doch! Da fällt mir der Vertrag, der bekannte Vertrag ein, von dem wir so eben sprachen! Eure Majestät hat nicht einmal das Recht, ihm ein Schloß zu geben!«
»Wie so?«
»Ja, ja. Seine Majestät hat sich verbindlich gemacht, König Karl keine Gastfreundschaft zu gewähren, ihn sogar aus Frankreich wegzuschicken, deshalb haben wir ihn weggeschickt, und nun ist er zurückgekommen! Sire, ich hoffe, Ihr werdet Eurem Bruder begreiflich machen, daß er nicht bei uns bleiben kann, daß dies unmöglich ist, daß er uns compromittirt, oder ich selbst . . . «
»Genug, mein Herr!« sprach Ludwig XIV. aufstehend. »Wenn Ihr mir eine Million verweigert, so seid Ihr berechtigt dazu: Eure Millionen gehören Euch; wenn Ihr mir zweihundert Edelleute verweigert, so seid Ihr abermals in Eurem Recht, denn Ihr seid erster Minister und habt in den Augen von Frankreich die Verantwortlichkeit in Beziehung auf Krieg und Frieden; maßt Ihr Euch aber an, mich, den König, zu verhindern, dem Enkel Heinrich IV., meinem Vetter, dem Gefährten meiner Kindheit, Gastfreundschaft zu gewähren, so sage ich Euch, daß hier Eure Macht ein Ende hat, daß hier mein Wille anfängt.«
»Sire,« sprach Mazarin, entzückt so wohlfeilen Kaufes loszukommen, da er überdies nur so hitzig gekämpft hatte, um es dahin zu bringen, »Sire, ich werde mich stets vor dem Willen meines Königs beugen; mein König behalte also bei sich oder in einem seiner Schlösser den König von England, Mazarin wisse es, aber der Minister soll es nicht wissen.«
»Gute Nacht, mein Herr,« sprach Ludwig XIV., »trostlos gehe ich von hinnen.« —
»Aber überzeugt, und mehr brauche ich nicht.«
Der König antwortete nicht; er entfernte sich ganz nachdenkend, überzeugt, nicht von dem, was Mazarin gesagt, sondern von etwas, was er zu sagen sich wohl gehütet hatte, von der Nothwendigkeit, alles Ernstes seine Angelegenheiten und die von Europa zu studieren, denn er sah, daß sie schwierig und dunkel waren.
Ludwig fand den König von England auf demselben Platze sitzend, wo er ihn gelassen hatte.
Als ihn der englische Prinz sah, gewahrte er mit dem ersten Blick die Entmuthigung in düsteren Buchstaben auf die Stirne seines Vetters geschrieben.
Er nahm zuerst das Wort, als wollte er Ludwig das schmerzliche Geständniß, das er ihm zu machen hatte, erleichtern, und sprach:
»Wie es auch sein mag, nie werde ich die Güte, die Freundschaft vergessen, von der Ihr mir einen Beweis gegeben habt.«
»Ah!« erwiederte Ludwig XIV. mit dumpfem Tone, »der gute Wille ist unfruchtbar, mein Bruder!«
Karl II. wurde furchtbar bleich, fuhr mit einer kalten Hand über seine Stirne und kämpfte einige Augenblicke gegen eine Blendung, die ihn wanken machte.
Ich begreife,« sagte er, »keine Hoffnung mehr!« Ludwig faßte die Hand von Karl II. und sprach:
»Wartet, mein Bruder, und übereilt nichts, Alles kann sich ändern; es sind die äußersten Entschlüsse, die die Sachen zu Grunde richten; ich flehe Euch an, fügt noch ein Jahr der Prüfung mehr den Jahren bei, die Ihr schon ausgestanden habt. Es bietet sich in diesem Augenblick, um Euch zum Handeln zu bestimmen, nicht mehr günstige Gelegenheit, als in irgend einem andern; kommt mit mir, mein Bruder, ich gebe Euch eine meiner Residenzen, diejenige, welche Euch zu bewohnen beliebt; ich werde das Auge mit Euch auf die Ereignisse geheftet halten, wir bereiten sie mit einander vor; auf, mein Bruder, Muth gefaßt!«
Karl II. machte seine Hand von der des Königs los und wich zurück, um mit mehr Ceremonie zu grüßen. »Ich danke Euch von ganzem Herzen, Sire,« sprach er, »doch ich habe ohne Erfolg den größten König der Erde gebeten; nun will ich Gott um ein Wunder bitten.«
Und er ging hinaus, ohne mehr hören zu wollen, die Stirne hoch, die Hand zitternd, mit einer schmerzhaften Zusammenziehung seines edlen Gesichtes und mit jener düsteren Tiefe des Blicks, der, keine Hoffnung mehr in der Welt der Menschen findend, nach Jenseits zu gehen scheint, um von anderen Welten zu verlangen.
Als ihn der Officier der Musketiere so leichenbleich vorüberkommen sah, verbeugte er sich beinahe bis auf die Kniee, um ihn zu grüßen.
Er nahm sodann eine Kerze, rief zwei Musketieren und stieg mit dem unglücklichen König die öde Treppe hinab, wobei er in der linken Hand seinen Hut hielt, dessen Feder die Stufen fegte.
Als sie vor der Thüre waren, fragte der Officier den König, nach welcher Seite er sich wenden würde, damit er die Musketiere dahin schicken könnte.
»Mein Herr,« erwiederte Karl II. mit halber Stimme, »Ihr, der Ihr meinen Vater gekannt habt, wie Ihr sagt, Ihr habt vielleicht für ihn gebetet? Wenn dies so ist, so vergeßt auch mich nicht in Euren Gebeten. Ich gehe nun allein und bitte Euch, mich nicht zu begleiten und mich auch nicht ferner begleiten zu lassen.«
Der Officier verbeugte sich und schickte seine Musketiere in das Innere des Palastes zurück.
Er aber blieb einen Augenblick unter dem Thorweg, um Karl II. sich entfernen und im Schatten der sich drehenden Straße verlieren zu sehen.
»Zu diesem, wie einst zu seinem Vater,« murmelte er, »würde Athos, wenn er da wäre, mit Recht sagen«
»Heil der gefallenen Majestät!«
Als er sodann die Treppe hinaufstieg, sprach er auf jeder Stufe:
»Ah! wie gemein ist der Dienst, den ich zu thun habe? Ah! der klägliche Herr! Ein Leben so zugebracht ist nicht mehr erträglich, und es ist Zeit, daß ich meinen Entschluß fasse! Kein Edelmuth, keine Energie mehr,« fuhr er fort; »dem Meister ist es gelungen, der Zögling leidet für immer an der Schwindsucht. Mordioux! ich werde dem nicht widerstehen. Vorwärts, Ihr Leute,« rief er, in das Vorzimmer eintretend, »was schaut Ihr mich so an? Löscht die Lichter aus und kehrt auf Eure Posten zurück! Ah! Ihr bewacht mich? Ah, Ihr hütet mich, nicht wahr, Ihr guten Leute? Brave Dummköpfe! ich bin nicht der Herzog von Guise, und man wird mich nicht in diesem kleinen Gang ermorden. Ueberdies,« fügte er ganz leise bei, »überdies wäre das ein Entschluß, und man faßt keine Entschlüsse mehr, seitdem der Herr Cardinal von Richelieu todt ist. Ah! das lasse ich mir gefallen, das war ein Mann! Es ist entschieden, schon morgen werfe ich die Kasake in die Nesseln!«
Dann sich eines Andern besinnend, sagte er:
»Nein, noch nicht! ich habe noch eine äußerste Probe durchzumachen, und ich werde sie durchmachen; doch diese, das schwöre ich, ist die letzte, Mordioux!«
Er hatte noch nicht vollendet, als eine Stimme aus dem Zimmer des Königs ertönte.
»Herr Lieutenant?« sprach diese Stimme.
»Hier bin ich,« antwortete er.
»Der König verlangt Euch zu sprechen.«
»Ah!« sagte der Lieutenant, »vielleicht über das, was ich denke.«
Und er trat beim König ein.
XII.
Als der König den Officier bei sich sah, entließ er seinen Kammerdiener und seinen Hofcavalier.
»Wer hat morgen den Dienst, mein Herr?« fragte er sodann.
Der Lieutenant verbeugte sich mit der Höflichkeit eines Soldaten und erwiederte:
»Ich, Sire.«
»Wie, Ihr abermals?«
»Ich immer.«
»Wie kommt das, mein Herr?«
»Sire, die Musketiere geben auf der Reise alle Posten des Hauses Eurer Majestät, nämlich den Eurigen, den der Königin Mutter, und den des Herrn Cardinals, der vom König den besten Theil, oder vielmehr den zahlreichsten Theil seiner königlichen Garde entlehnt.«
»Aber die Zwischenzeiten?«
»Es gibt keine Zwischenzeit, Sire, außer für zwanzig bis dreißig Mann, welche von hundertundzwanzig Mann ausruhen. Im Louvre ist das etwas Anderes, und wenn ich im Louvre wäre, würde ich abwechselnd mit meinem Brigadier ruhen; doch unter Weges, Sire, weiß man nicht, was vorfallen kann, und ich liebe es, mein Geschäft selbst zu thun.«
»Ihr habt also alle Tage die Wache?«
»Und alle Nächte. Ja, Sire.«
»Mein Herr, ich kann das nicht dulden, und ich will, daß Ihr ausruht.«
»Das ist sehr gut, Sire; doch ich, ich will es
»Wie beliebt?« fragte der König, der Anfangs den Sinn dieser Antwort nicht begriff.
»Ich sage, Sire, daß ich mich nicht einem Fehler aussetzen will. Wenn mir der Teufel einen schlimmen Streich zu spielen hätte, so würde er, Ihr begreift, Sire, da er den Menschen kennt, mit dem er es zu thun hat, so würde er den Augenblick wählen, wo ich nicht da wäre. Meinen Dienst und den Frieden meines Gewissens vor Allem.«
»Aber mit diesem Handwerk, mein Herr, werdet Ihr Euch tödten.«
»Ei! Sire, ich treibe dieses Handwerk schon seit fünfunddreißig Jahren und bin derjenige Mensch von Frankreich und Navarra, welcher sich am Besten befindet. Seid übrigens unbesorgt für mich, Sire, ich bitte Euch. Das käme mir zu seltsam vor, insofern ich es gar nicht gewohnt bin.«
Der König schnitt das Gespräch durch eine neue Frage kurz ab.
»Ihr werdet also morgen früh hier sein?« sagte er.
»Wie gegenwärtig, ja, Sire.«
Der König ging nun einige Male in seinem Zimmer auf und ab; es war leicht zu sehen, daß er vor Verlangen, zu sprechen, brannte, daß ihn aber irgend eine Furcht abhielt.
Unbeweglich, seinen Hut in der Hand, die Faust auf der Hüfte, beobachtete der Lieutenant den König bei allen seinen Bewegungen, und während er ihn beobachtete, brummte er auf seinen Schnurrbart beißend:
»Er hat nicht für eine halbe Pistole Entschlossenheit, bei meiner Ehre! Wetten wir, daß er nicht sprechen wird.«
Der König ging beständig auf und ab, wählend er von Zeit zu Zeit einen Seitenblick auf den Lieutenant warf.
»Das ist sein leibhaftiger Vater,« fuhr dieser in seinem geheimen Monolog fort, »er ist zugleich hochmüthig, geizig und furchtsam. Die Pest über seinen Lehrer!«
Ludwig blieb stehen.
»Lieutenant,« sagte er.
»Hier, Sire.«
»Warum habt Ihr diesen Abend dort im Saale: »»Der Dienst des Königs! Die Musketiere Seiner Majestät!«« gerufen?«
»Weil Ihr mir den Befehl dazu gegeben.«
»Ich?«
»Ihr selbst.«
»Ich habe wahrhaftig nicht ein Wort hiervon gesagt, mein Herr.«
»Sire, man gibt einen Befehl durch ein Zeichen, durch eine Geberde, durch einen Augenwink eben so offen und klar, als mit den Worten. Ein Diener, der nur Ohren hätte, wäre nur die Hälfte von einem guten Diener.«
»Eure Augen sind also sehr scharf, mein Herr?«
»Warum dies, Sire?«
»Weil sie das sehen, was nicht ist.«
»Meine Augen sind in der That gut, Sire, obgleich sie ihrem Herrn viel und seit langer Zeit gedient haben; so oft es etwas für sie zu sehen gibt, versäumen sie auch die Gelegenheit nicht. Diesen Abend haben sie aber gesehen, daß Eure Majestät erröthete, so gewaltig war ihre Lust, zu gähnen: daß Eure Majestät mit beredtem Flehen zuerst Seine Eminenz, sodann Ihre Majestät, die Königin Mutter, und endlich die Thüre anschaute, durch welche man hinausgeht; und sie haben das, was ich gesagt, so gut bemerkt, daß sie die Lippen Eurer Majestät die Worte: »»Wer wird machen, daß ich von hier weggehen kann?«« artikuliren sahen.«
»Mein Herr!«
»Oder wenigstens, Sire: »»Meine Musketiere!«« dann zögerte ich nicht. Dieser Blick war für mich, das Wort war für mich, und ich rief sogleich : »»Die Musketiere Seiner Majestät!«« Und dies ist so wahr, Sire, daß mir Eure Majestät nicht nur nicht Unrecht, sondern sogar Recht gegeben hat, indem sie auf der Stelle wegging.«
Der König wandte sich ab, um zu lächeln: dann nach einigen Sekunden heftete er sein durchsichtiges Auge wieder auf dieses so verständige, so kühne und so feste Antlitz, das man hätte für das energische und stolze Profil des Adlers im Angesicht der Sonne halten können.
»Es ist gut,« sagte er nach kurzem Stillschweigen, während er, jedoch vergebens, die Augen seines Officiers sich zu senken zwingen wollte.
Als dieser aber sah, daß der König nichts mehr sagte, drehte er sich auf seinen Absätzen, machte drei Schritte, um wegzugehen, und murmelte dabei:
»Er wird nicht sprechen, Mordioux! er wird nicht sprechen.«
»Ich danke, mein Herr,« sagte sodann der König.
»In der That,« fuhr der Lieutenant fort, »es hätte nur noch gefehlt, daß ich getadelt worden wäre, weil ich minder einfältig war als ein Anderer.«
Und er ging auf die Thüre zu, wobei er seine Sporen militärisch klirren ließ.
Als er aber die Schwelle erreicht hatte, da fühlte er, daß ihn der Wunsch des Königs zurückzog, und wandte sich um.
»Eure Majestät hat mir Alles gesagt?« fragte er mit einem Tone, den nichts wiederzugeben vermöchte, und der, ohne daß es schien, als forderte er das königliche Vertrauen heraus, so viel überzeugende Treuherzigkeit enthielt, daß der König auf der Stelle antwortete:
»Nicht Alles, mein Herr, nähert Euch.«
»Ah!« murmelte der Officier; »endlich kommt er.«
»Hört mich.«
»Ich verliere nicht ein Wort, Sire.«
»Ihr steigt morgen früh gegen halb fünf Uhr zu Pferde und laßt auch ein Pferd für mich satteln.«
»Aus den Ställen Eurer Majestät?«
»Nein, ein Pferd von einem Eurer Musketiere.«
»Sehr wohl, Sire. Ist das Alles?«
»Und Ihr begleitet mich.«
»Allein?«
»Allein.«
»Soll ich Eure Majestät abholen oder sie erwarten?«
»Ihr werdet mich erwarten.«
»Wo dies, Sire?«
»An der kleinen Parkthüre.«
Der Lieutenant verbeugte sich, denn er begriff, der König habe ihm Alles gesagt, was er ihm zu sagen hatte.
Der König entließ ihn in der That mit einer ganz liebenswürdigen Geberde seiner Hand.
Der Officier ging aus dem Zimmer des Königs weg und setzte sich philosophisch wieder in seinen Lehnstuhl, wo er, weit entfernt, zu schlummern, wie man in Betracht der vorgerückten Stunde der Nacht hätte glauben können, tiefer nachdachte, als er es je gethan.
Der Erfolg dieser Betrachtungen war durchaus nicht so traurig, als es seine vorhergehenden Betrachtungen gewesen waren.
»Nun! er hat angefangen,« sagte er; »die Liebe treibt ihn an, er schreitet vorwärts! Der König ist bei ihm eine Nulle, aber der Mensch wird vielleicht etwas werth sein. Uebrigens werden wir wohl morgen früh sehen . . . Oh! oh!« rief er plötzlich, sich aufrichtend, »das ist ein riesiger Gedanke, Mordioux, und vielleicht liegt mein Glück in diesem Gedanken!«
Nach diesem Ausruf stand der Officier auf und durchmaß, die Hände in den Taschen seines Rockes, das ungeheure Vorzimmer, das ihm als Wohnung diente.
Die Kerze flammte wüthend unter der Arbeit eines frischen Windes, der, durch die Risse der Thüre und die Spalten der Fenster eindringend, schräge den Saal durchschnitt. Sie verbreitete einen röthlichen, ungleichen, bald strahlenden, bald getrübten Schimmer, und man. sah an der Wand den großen Schatten des Lieutenants, als Silhouette ausgeschnitten, wie eine Figur von Callot, mit dem Degen in der Form eines Spießes und mit dem befiederten Filzhut auf- und abgehen.
»Gewiß ist es so,« murmelte er; »wenn ich mich nicht ganz gewaltig täusche, stellt Mazarin dem jungen Verliebten eine Falle; der Mazarin hat diesen Abend ein Rendez-vous und eine Adresse auf eine so gefällige Weise gegeben, als es nur Herr Dangeau selbst hätte thun können. Ich habe es gehört und kenne den Werth der Worte. »»Morgen früh«« hat er gesagt, »»werden sie auf der Höhe der Brücke von Alois sein.«« Mordioux das ist klar! und besonders für einen Liebenden! Darum diese Verlegenheit, darum dieses Zögern, darum der Befehl: »»Herr Lieutenant meiner Musketiere, morgen früh um vier Uhr zu Pferde.«« Das ist so klar, als hätte er mir gesagt: »»Herr Lieutenant meiner Musketiere, morgen früh auf der Brücke von Blois, hört Ihr?«« Es waltet also hier ein Staatsgeheimniß ob, das ich, der Schwache, zu dieser Stunde in meinen Händen habe. Und warum habe ich es in meinen Händen? Weil ich gute Augen besitze, wie so eben Seiner Majestät bemerkte. Man sagt ja, er liebe wüthend diese kleine Puppe von einer Italienerin! Man sagt ja, er habe sich seiner Mutter zu Füßen geworfen, um sie zu bitten, die Italienerin heirathen zu dürfen; man sagt, die Königin habe sogar am Hof von Rom nachgefragt, ob eine solche Heirath, gegen ihren Willen geschlossen, gültig wäre! Ah! wenn ich noch fünf und zwanzig Jahre alt wäre, wenn ich hier an meiner Seite diejenigen hätte, die ich nicht mehr habe! wenn ich nicht die ganze Welt tief verachtete, würde ich Herrn von Mazarin mit der Königin Mutter, Frankreich mit Spanien entzweien, und eine Königin nach meiner Art machen. Doch basta!«
Und der Lieutenant ließ seinen Finger zum Zeichen der Verachtung schnalzen.
»Dieser elende Italiener, dieser Knauser, dieser Erzfilz, der dem König von England eine Million verweigert hat, würde mir vielleicht nicht tausend Pistolen für die Neuigkeit geben, die ich ihm überbrächte. Oh! Mordioux! ich werde kindisch, ich werde stumpfsinnig! Der Mazarin etwas geben! Ah! ah! ah!«
Und der Officier fing an ganz allein furchtbar zu lachen.
»Schlafen wir,« sagte er, »schlafen wir, und zwar sogleich; mein Geist ist durch den Abend ermüdet, und wird morgen klarer sehen.«
Und auf diese Empfehlung, die er an sich selbst richtete, hüllte er sich, seines königlichen Nachbars spottend, in einen Mantel.
Fünf Minuten nachher schlief er mit geschlossenen Fäusten und leicht geöffneten Lippen, wobei ihm zwar nicht sein Geheimniß entschlüpfte, wohl aber ein sonores Schnarchen aus seinem Munde kam, das sich nach Belieben unter dem majestätischen Gewölbe des Vorzimmers entwickelte.
XIII.
Die Sonne beleuchtete kaum mit ihren ersten Strahlen die großen Baumgruppen des Parkes und die hohen Wetterfahnen des Schlosses, als der junge König, schon seit mehr als zwei Stunden wach und ganz der Schlaflosigkeit der Liebe unterthan, seinen Laden selbst öffnete und einen neugierigen Blick in die Höfe des entschlummerten Palastes warf.
Er sah, daß die verabredete Stunde gekommen war; die große Uhrentafel des Hofes bezeichnete sogar ein Viertel nach vier Uhr.
Er weckte seinen Kammerdiener nicht, der in einiger Entfernung in tiefem Schlaf lag; er kleidete sich selbst an, und als dieser Diener ganz erschrocken herbeikam und glaubte, er habe seinen Dienst versäumt, schickte ihn Ludwig in sein Zimmer und empfahl ihm völliges Stillschweigen. Dann stieg er die kleine Treppe hinab, ging durch eine Seitenpforte hinaus und erblickte längs der Parkmauer einen Reiter, der ein Pferd an der Hand hielt.
Dieser Retter war in seinem Mantel und unter seinem Hut unkenntlich.
Was das Pferd betrifft, welches wie das eines reichen Bürgers gesattelt war, so bot es dem geübtesten Auge nichts Bemerkenswerthes.
Ludwig nahm den Zaum dieses Pferdes; der Officier hielt ihm den Steigbügel, ohne selbst den Sattel zu verlassen, und fragte Seine Majestät mit bescheidener Stimme nach ihren Befehlen.
»Folgt mir,« antwortete Ludwig XIV.
Der Officier setzte sein Pferd hinter dem seines Gebieters in Trab und sie ritten so gegen die Brücke hinab.
Als sie jenseits der Loire waren, sprach der König:
»Mein Herr, Ihr werdet mir das Vergnügen machen, geradeaus zu reiten, bis Ihr einen Wagen erblickt; ich verweile hier.«
»Wird Eure Majestäten Gnade haben, mir den Wagen, den ich zu entdecken beauftragt bin, ein wenig zu bezeichnen?«
»Ein Wagen, in welchem Ihr zwei Damen, und wahrscheinlich auch ihre Zofen sehen werdet.«
»Sire, – ich will keinen Irrthum begehen: gibt es noch ein anderes Merkmal, an welchem ich diesen Wagen zu erkennen vermag?«
»Aller Wahrscheinlichkeit wird das Wappen des Herrn Cardinals daran sein.«
»Es ist gut, Sire,« erwiederte der Officier, völlig klar über den Gegenstand, den er erkennen sollte.
Er setzte sein Pferd in starken Trab und ritt nach der vom König bezeichneten Seite. Doch er hatte noch nicht fünfhundert Schritte gemacht, als er vier Maulthiere und dann einen Wagen hinter einem kleinen Hügel herauf kommen sah.
Hinter diesem Wagen kam ein anderer. Der Officier bedurfte nur eines Blickes, um sich zu versichern, daß dies die Equipagen waren, die er zu suchen hatte.
Er wandte auf der Stelle sein Pferd um, ritt zum König zurück und sagte:
»Sire, dort sind,die Carossen. Die erste enthält in der That zwei Damen mit ihren Kammerfrauen; die zweite enthält Bedienten, Mundvorräthe, Kleider.«
»Gut, gut,« erwiederte der König mit bewegter Stimme. »Ich bitte Euch, geht nun und sagt diesen Damen, ein Cavalier von Hofe wünsche ihnen allein seine Ehrfurcht zu bezeigen.«
Der Officier sprengte im Galopp fort.
»Mordioux!« sagte er während des Reitens, »das ist ein neues, und ich hoffe ehrenvolles Amt; ich beklagte mich, daß ich nichts sei; ich bin Vertrauter des Königs. Ein Musketier! das ist, um vor Stolz zu bersten!«
Er näherte sich dem Wagen und vollzog seinen Auftrag als galanter und geistreicher Bote.
Zwei Damen saßen in der That im Wagen, die eine von großer Schönheit, obgleich ein wenig mager, die andere minder von der Natur begünstigt, aber beweglich, anmuthig und in den leichten Falten ihrer Stirne alle Merkmale des Willens vereinigend.
Ihre lebhaften und durchdringenden Äugen besonders sprachen beredter als alle verliebten Phrasen, welche in jener Zeit der Galanterie guter Ton waren.
An diese wandte sich d’Artagnan, ohne sich zu täuschen, obgleich die andere vielleicht hübscher war.
»Meine Damen,« sagte er, »ich bin der Lieutenant der Musketiere, und es ist auf dem Wege ein Cavalier, der Euch erwartet und Euch seine Huldigung darzubringen wünscht.
Bei diesen Worten, deren Wirkung er neugierig verfolgte, stieß die Dame mit den schwarzen Äugen einen Freudenschrei aus, neigte sich aus dem Schlag, streckte, als sie den Reiter herbeisprengen sah, diesem die Arme entgegen und rief:
»Ah! mein theurer Sire!«
Und alsbald entstürzten Thränen ihren Augen.
Der Kutscher hielt seine Pferde an, die Kammerfrauen standen verwirrt im Wagen auf, und die zweite Dame untermalte gleichsam nur eine Verbeugung, welche mit dem ironischsten Lächeln endigte, das je die Eifersucht auf Frauenlippen gezeichnet hat.
»Maria! theuere Maria!« rief der König, indem er in seine Hände die Hand der Dame mit den schwarzen Augen nahm.
Und er öffnete selbst den schweren Schlag und zog sie aus dem Wagen mit so viel Eifer, daß sie In seinen Armen lag, ehe sie die Erde berührte.
Auf der andern Seite des Wagens aufgepflanzt, sah und hörte der Lieutenant, ohne bemerkt zu werden.
Der König bot Fräulein von Mancini seinen Arm und hieß die Kutscher und Bedienten durch ein Zeichen weiter fahren.
Es mochte ungefähr sechs Uhr sein; der Weg war frisch und reizend; große Bäume mit Blättern, die noch in ihre goldenen Knospen gewickelt, ließen den wie flüssige Diamanten an ihren bebenden Zweigen hängenden Morgenthau herabträufeln; das Gras breitete sich duftend am Fuße der Hecken aus; seit einigen Tagen zurückgekehrt, beschrieben die Schwalben ihr ammuthigen krummen Linien zwischen dem Himmel und dem Wasser; ein Morgenwind, den die Waldungen in ihrer Blüthe mit Wohlgerüchen schwängerten, strich an dieser Straße hin und faltete die Wasserfläche des Stromes; alle diese Schönheiten des Tages, alle diese Düfte der Pflanzen, alle diese Ausathmungen der Erde gegen den Himmel berauschten die zwei Liebenden, welche auf einander gestützt, Auge in Auge, Hand in Hand, Seite an Seite einhergingen und, sich durch einen gemeinschaftlichen Wunsch hemmend, nicht zu sprechen wagten, so viele Dinge hatten sie sich zu sagen.
Der Officier sah, daß das verlassene Pferd hin und herschweifte und Fräulein von Mancini beunruhigte. Er benützte den Vorwand, um sich, das Pferd festhaltend, zu nähern, und ebenfalls zu Fuß zwischen den beiden Rossen, die er führte, verlor er weder ein Wort, noch eine Geberde der zwei Liebenden!
Fräulein von Mancini fing an und sprach:
»Ah! mein theurer Sire, Ihr verlaßt mich also nicht!«
»Nein,» erwiederte der König; »Ihr seht es wohl, Maria.«
»Man sagte mir doch so oft, kaum wären wir getrennt, so würdet Ihr nicht mehr an mich denken.«
»Theure Maria, bemerkt Ihr heute erst, daß wir von Leuten umgeben sind, die ein Interesse haben, uns zu täuschen?«
»Aber, Sire, diese Reise, diese Verbindung mit Spanien! Man verheirathet Euch!«
Ludwig neigte das Haupt.
Zu gleicher Zeit konnte der Officier in der Sonne die Blicke von Maria von Mancini, so funkelnd als einen Dolch, der aus der Scheide springt, glänzen sehen.
»Und Ihr habt nichts für unsere Liebe gethan?«
»Ah! mein Fräulein, wie könnt Ihr das glauben! Ich habe mich meiner Mutter zu Füßen geworfen, ich habe gebeten, ich habe gefleht! ich habe gesagt, all mein Glück sei in Euch; ich habe gedroht!«
»Nun?« fragte Maria lebhaft.
»Die Königin Mutter schrieb an den Hof nach Rom und man antwortete ihr, eine Heirath zwischen uns hätte keinen Werth und würde vom heiligen Vater für null und nichtig erklärt werden. Als ich endlich sah, daß es keine Hoffnung mehr für uns gab, bat ich, wenigstens meine Heirath mit der Infantin zu verzögern.«
»Dessen unerachtet seid Ihr auf dem Wege, um Ihr entgegenzureisen.«
»Was wollt Ihr! auf meine Bitten, auf mein Flehen, auf meine Thränen antwortete man mir mit der Staatsraison.«
»Nun?«
»Was soll ich machen, mein Fräulein, wenn sich der Wille von so Vielen gegen mich verbindet?«
Nun war die Reihe an Maria, das Haupt zu neigen.
»So werde ich für immer von Euch Abschied nehmen müssen.« sprach sie. »Ihr wißt, daß man mich verbannt, begräbt; Ihr wißt, daß man noch mehr thut, daß man mich auch verheirathet.
Ludwig wurde bleich und fuhr mit einer Hand an sein Herz.
»Hätte es sich nur um mein Leben gehandelt, denn auch ich wurde so heftig verfolgt, so wurde ich nachgegeben haben, aber ich glaubte, es handle sich um das Eurige, mein theurer Sire, und ich kämpfte, um Euch Euer Gut zu erhalten.«
»Oh! ja, mein Gut, meinen Schatz!« flüsterte der König, vielleicht mehr artig, als leidenschaftlich.
»Der Cardinal würde nachgegeben haben,« sprach Maria, »wenn Ihr Euch an ihn gewendet hättet, wenn Ihr in ihn gedrungen wäret. Der Cardinal den König von Frankreich seinen Neffen nennen! begreift Ihr das, Sire! Er hätte Alles hierfür gethan, er hätte sogar den Krieg unternommen; sicher, allein zu regieren unter dem doppelten Vorwand, er habe den König erzogen und er habe ihm seine Nichte gegeben, hätte der Cardinal jeden Willen bekämpft, jedes Hinderniß niedergeworfen. Oh! Sire, Sire, dafür flehe ich Euch. Ich bin eine Frau und sehe klar in Allem, was Liebe ist.«
Diese Worte brachten auf den König einen seltsamen Eindruck hervor. Es war, als kühlten sie seine Leidenschaft ab, statt sie zu exaltiren. Er ging langsamer und sprach hastig:
»Was wollt Ihr, mein Fräulein, Alles ist gescheitert.«
»Nur Euer Wille nicht, nicht wahr, mein lieber Sire?«
»Ah!« versetzte der König erröthend, »habe ich einen Willen?«
Ein schmerzliches: Oh! entschlüpfte Fräulein von Mancini, welche dieses Wort tief verwundete.
»Der König hat keinen andern Willen, als den, welchen ihm die Politik dictirt, welchen ihm die Staatsraison auferlegt.«
»Oh! Ihr habt keine Liebe!« rief Maria, »wenn Ihr mich liebtet, Sire, hättet Ihr einen Willen.«
Während Maria diese Worte sprach, schlug sie ihre Augen gegen ihren Geliebten auf, der bleicher und entstellter aussah, als ein Verbannter, wenn er auf immer sein Vaterland verlassen soll.
»Klagt mich an,« murmelte der König, »doch sagt nicht, ich liebe Euch nicht.«
Ein langes Stillschweigen folgte auf diese Worte, die der junge König mit einem sehr wahren und sehr tiefen Gefühl ausgesprochen hatte.
»Ich kann nicht denken, Sire, daß ich Euch morgen, übermorgen nicht mehr sehen soll ,« fuhr Maria mit einer letzten Anstrengung fort; »ich kann nicht denken, ich werde meine Tage fern von Paris beschließen, die Lippen eines Greises, eines Unbekannten werden diese Hand berühren, die Ihr in der Eurigen haltet; nein, in der That, ich kann nicht an dies Alles denken, mein theurer Sire, ohne daß mein armes Herz vor Verzweiflung zerspringt.«
Und Maria von Mancini zerfloß wirklich in Thränen.
Gerührt drückte der König seinerseits sein Sacktuch an seine Lippen und erstickte ein Schluchzen,
»Seht, die Wagen halten an,« sprach sie; »meine Schwester erwartet mich, die äußerste Stunde ist da: was Ihr entscheidet, ist für das ganze Leben entschieden! Oh! Sire, Ihr wollt also, daß ich Euch verliere? Ihr wollt, Ludwig, daß diejenige, zu der Ihr gesagt habt: »»Ich liebe Euch,«« einem Andern gehöre, als ihrem König, ihrem Herrn, ihrem Geliebten? Oh! Muth, ein Wort, ein einziges Wort! Specht: Ich will! und mein ganzes Leben ist mit dem Eurigen verkettet, und mein ganzes Herz gehört auf immer Euch.
Der König antwortete nicht.
Maria schaute ihn nun an, wie Dido Aeneas in den elysäischen Feldern anschaute, wild und verächtlich.
»Fahre hin also,« sprach sie, »fahre hin Leben, fahre hin Liebe, fahre hin Himmel!«
Und sie machte einen Schritt, um sich zu entfernen, doch der König hielt sie zurück, ergriff ihre Hand und drückte seine Lippen darauf; die Verzweiflung trug den Sieg über den Entschluß davon, den er innerlich gefaßt zu haben schien; er ließ auf diese schöne Hand eine von Bedauern brennende Thräne fallen, welche Maria beben machte, als ob diese Thräne wirklich gebrannt hätte.
Sie sah die feuchten Augen des Königs, seine bleiche Stirne, seine krampfhaften Lippen, und rief mit einem Ausdruck, den nichts wiederzugeben vermöchte:
»Oh! Sire, Ihr seid König, Ihr weint und ich gehe!«
Der König verbarg statt jeder Antwort sein Gesicht in seinem Sacktuch.
Der Officier stieß etwas wie ein Geschrei aus, das die beiden Pferde erschreckte.
Fräulein von Mancini verließ entrüstet den König, stieg hastig in den Wagen und rief dem Kutscher zu:
»Vorwärts, rasch vorwärts!«
Der Kutscher gehorchte, peitschte seine Pferde und der schwere Wagen erschütterte sich auf seinen kreischenden Achsen, während der König von Frankreich, allein, niedergeschlagen, vernichtet, weder vor sich, noch hinter sich zu schauen wagte.
XIV.
Als der König, wie alle Verliebte der Welt, lange dem Wagen, der seine Geliebte fortführte, nachgeschaut und ihn am Horizont hatte verschwinden sehen; als er sich hundertmal immer wieder nach derselben Seite umgewandt hatte und es ihm endlich gelungen war, die Aufregung seines Geistes und Herzens ein wenig zu mildern, erinnerte er sich endlich, daß er nicht allein war.
Der Officier hielt immer noch das Pferd am Zügel und hatte nicht jede Hoffnung verloren, den König auf seinen Entschluß zurückkommen zu sehen.
Es gab noch das Mittel, wieder zu Pferde zu steigen und dem Wagen nachzujagen: man würde durch das Warten nichts verloren haben.
Doch die Einbildungskraft des Lieutenants der Musketiere war zu glänzend und zu reich; sie ließ die des Königs hinter sich, der sich vor einem solchen übermäßigen Luxus wohl hütete.
Er begnügte sich, ganz nahe auf den Officier zuzugehen, und sagte mit kläglicher Stimme zu diesem:
»Vorwärts . . . es ist beendigt . . . zu Pferde.«
Der Officier ahmte diese Haltung, diese Langsamkeit, diese Traurigkeit nach, und bestieg langsam und traurig sein Pferd. Der König spornte sein Roß, der Lieutenant folgte ihm.
Auf der Brücke wandte sich Ludwig zum letzten Mal um. Geduldig wie ein Gott, der die Ewigkeit vor sich und hinter sich hat, hoffte der Officier abermals auf eine Rückkehr der Energie. Doch es war vergebens, nichts erschien. Ludwig erreichte die Straße, welche nach dem Schlosse führte, und kam zurück, als es sieben Uhr schlug. Als der König wirklich zurückgekehrt war und der Officier, der Alles sah, gesehen hatte, wie eine Ecke vom Vorhang am Fenster des Cardinals aufgehoben wurde, stieß er einen gewaltigen Seufzer aus, wie ein Mensch, dem man die engsten Fesseln abnimmt, und sagte mit halber Stimme:
»Ah! mein Officier, ich hoffe, das ist vorbei!«
Der König rief seinen Cavalier und sprach zu ihm:
»Ich werde vor zwei Uhr Niemand empfangen, versteht Ihr, mein Herr?«
»Sire,« erwiederte der Cavalier, »es ist Jemand da, der vorgelassen zu werden gebeten hat.«
»Wer denn?«
»Euer Lieutenant von den Musketieren.«
»Derjenige, welcher mich begleitet hat?«
»Ja, Sire.«
»Ah!« sagte der König, »laßt ihn eintreten.«
Der Officier trat ein.
Der König machte ein Zeichen, der Cavalier und der Kammerdiener gingen hinaus.
Ludwig folgte ihnen mit den Augen, bis sie die Thüre geschlossen hatten und die Vorhänge wieder hinter ihnen herabgefallen waren.
»Mein Herr,« sprach der König, »Ihr erinnert mich durch Eure Gegenwart an das, was ich Euch zu empfehlen vergessen, nämlich die vollkommenste Verschwiegenheit.«
»Oh! Sire, warum macht sich Eure Majestät die Mühe, mir dergleichen zu empfehlen? Man sieht wohl, daß sie mich nicht kennt.«
»Ja, mein Herr, das ist die Wahrheit. Ich weiß, daß Ihr verschwiegen seid, doch da ich nichts vorgeschrieben hatte . . . «
Der Officier verbeugte sich und fragte:
»Hat mir Eure Majestät nichts mehr zu sagen?«
»Nein, mein Herr, Ihr könnt Euch entfernen,«
»Werde ich die Erlaubniß erhalten, dies nicht eher zu thun, als bis ich zum König gesprochen habe, Sire?«
»Was habt Ihr mir mir zu sagen? Erklärt Euch, mein Herr.«
»Sire, eine Sache, ohne Wichtigkeit für Euch, die mich aber ungeheuer interessirt. Verzeiht mir also, daß ich davon rede. Ohne die Dringlichkeit, ohne die Nothwendigkeit hätte ich es nie gethan, und ich wäre stumm und klein, wie ich es stets gewesen, verschwunden.«
»Wie, verschwunden!«
»Ja.«
»Ich verstehe Euch nicht, mein Herr.«
»Sire, mit einem Wort,« sprach der Officier, »ich bitte Euch um meinen Abschied.«
Der König machte eine Bewegung des Erstaunens.
»Um Euren Abschied, Ihr, mein Herr? Ich bitte, auf wie lange?1«
»Auf immer, Sire.«
»Wie, Ihr wolltet meinen Dienst verlassen, mein Herr?« fragte Ludwig mit einer Bewegung, welche mehr als Erstaunen verrieth.
»Sire, ich bedaure, dies thun zu müssen.«
»Unmöglich.«
»Doch, Sire; ich werde alt; seit vier und dreißig bis fünf und dreißig Jahren trage ich den Harnisch; meine armen Schultern sind müde; ich fühle, daß ich den Platz Jüngeren überlassen muß; . . . ich bin nicht vom neuen Jahrhundert; ich habe noch einen Fuß im alten stecken, und daraus geht hervor, daß mich, da meinem Auge Alles fremd ist, Alles in Erstaunen setzt und betäubt. Kurz, ich habe die Ehre, Eure Majestät um meinen Abschied zu bitten.«
»Mein Herr, sprach der König, während er den Officier anschaute, der seine Kasake mit einer Leichtigkeit trug, um die ihn ein junger Mensch beneidet hätte, »Ihr seid stärker und kräftiger als ich.«
»Oh!« erwiederte der Officier mit einem Lächeln falscher Bescheidenheit, »Eure Majestät sagt mir das, weil ich noch ein ziemlich gutes Auge und einen ziemlich sichern Fuß habe, weil ich nicht schlecht zu Pferde bin, und weil mein Schnurrbart noch schwarz ist; aber Sire, das ist lauter eitel Ding; das sind lauter Illusionen . . . Schein, Rauch, Sire! Ich sehe noch jung aus, das ist wahr, doch im Grunde bin ich alt, und ehe sechs Monate vergehen, davon bin ich überzeugt, werde ich bresthaft, podagrisch, lahm sein. Also, Sire . . . «
»Mein Herr,« unterbrach ihn der König, »erinnert Euch Eurer Worte von gestern; Ihr sagtet mir auf demselben Platz, auf dem Ihr steht, Ihr erfreuet Euch der besten Gesundheit von ganz Frankreich, Strapazen seien Euch unbekannt, es mache Euch nicht die geringste Sorge, Tage und Nächte an Eurem Posten zuzubringen. Habt Ihr mir das gesagt, ja oder nein? Sucht in Eurem Gedächtnis, mein Herr.«
Der Officier stieß einen Seufzer aus.
»Sire,« sagte er, »das Alter ist eitel, und man muß wohl den Greisen verzeihen, wenn sie ihr Lob aussprechen, das Niemand mehr ausspricht. Es ist möglich, daß ich dies sagte; doch eine Wahrheit ist es, daß ich müde bin und um meinen Abschied bitte.«
»Mein Herr,« sprach der König, indem er mit einer Geberde voll jugendlicher Majestät auf den Officier zuging, »Ihr gebt mir nicht den wahren Grund an; Ihr wollt allerdings meinen Dienst verlassen, aber: Ihr verbergt mir den Beweggrund Eures Rückzugs.«
»Sire, glaubt mir…«
»Ich glaube, was ich sehe, mein Herr: ich sehe einen energischen , kräftigen Mann, voll Geistesgegenwart, den besten Soldaten von Frankreich vielleicht, dieser Mann kann mich entfernt nicht überreden, er bedürfe der Ruhe.«
»Ah! Sire,« sprach der Lieutenant mit Bitterkeit, »welche Lobeserhebungen! Euere Majestät macht mich ganz verwirrt! Energisch, kräftig, geistreich, tapfer, der beste Soldat der Armee! Sire, Eure Majestät übertreibt mein geringes Verdienst, so daß ich mich, eine so gute Meinung ich auch von mir habe, in der That gar nicht mehr erkenne. Wäre ich eitel genug, nur die Hälfte von den Worten Eurer Majestät zu glauben, so würde ich mich als einen kostbaren, unentbehrlichen Menschen betrachten; ich würde sagen, ein Diener, der so viele und so glänzende Eigenschaften in sich vereinige, sei ein unschätzbares Gut. Sire, nun bin ich aber, ich muß es sagen, heute ausgenommen, meiner Ansicht nach sehr unter meinem Werthe geschätzt worden. Ich wiederhole. Eure Majestät übertreibt also.«
Der König faltete die Stirne, denn er sah ein Lächeln bittern Spottes im Grunde der Worte des Officiers.
»Nun mein Herr,« sagte er, »greifen wir die Frage offen an. Sprecht, gefällt Euch mein Dienst nicht? Auf, keine Umwege, antwortet keck, freimüthig, ich will es.«
Der Officier, der seit einigen Augenblicken mit ziemlich verlegener Miene seinen Hut in seinen Händen hin und her drehte, erhob das Haupt bei diesen Worten und sprach:
»Oh! Sire, das macht es mir ein wenig leichter. Auf eine Frage, welche so offenherzig gestellt ist, werde ich auch offenherzig antworten. Die Wahrheit sagen ist ein gutes Ding, sowohl wegen des Vergnügens, das man empfindet, wenn man sich das Herz erleichtern kann, als wegen der Seltenheit der Sache. Ich werde also meinem König die Wahrheit sagen, während ich zugleich einem alten Soldaten seine Offenherzigkeit zu verzeihen bitte.«
Der König schaute seinen Officier mit einer lebhaften Unruhe an, die sich durch die Beweglichkeit seiner Geberden kundgab.
»Nun wohl, sprecht also,« erwiederte er; »denn ich bin ungeduldig, die Wahrheit zu hören, die Ihr mir zu sagen habt.«
Der Officier warf seinen Hut auf einen Tisch, und sein schon so verständiges und martialisches Gesicht nahm plötzlich einen seltsamen Charakter von Größe und Feierlichkeit an.
»Sire,« sagte er, »ich verlasse den Dienst des Königs, weil ich unzufrieden bin. Der Knecht darf sich in dieser Zeit achtungsvoll seinem Herrn nähern, wie ich es thue, ihm über seine Arbeit Bericht machen, ihm die Werkzeuge überbringen, ihm Rechenschaft über die Gelder ablegen, die ihm anvertraut worden sind, und sprechen: »»Meister, mein Tagewerk ist abgemacht, bezahlt mich, ich bitte Euch, und trennen wir uns.««
»Mein Herr, mein Herr!« rief der König, purpurroth vor Zorn.
»Ah! Sire,« entgegnete der Officier, einen Augenblick das Knie beugend, »nie war ein Diener ehrfurchtsvoller, als ich es vor Eurer Majestät bin; nur habt Ihr mir die Wahrheit zu sprechen befohlen. Und nun, da ich sie zu sagen angefangen, muß sie auch zu Tage ausgehen, selbst wenn Ihr mir zu schweigen befehlen würdet.«
Es lag ein solcher Ausdruck von Entschlossenheit in den gefalteten Gesichtsmuskeln des Officiers, daß ihm Ludwig nicht zu sagen brauchte, er könne fortfahren; er fuhr auch fort, während der König ihn mit einer Mischung von Neugierde und Bewunderung anschaute.
»Sire, es sind, wie gesagt, bald fünf und dreißig Jahre, daß ich dem Hause Frankreich diene; wenig Menschen haben in diesem Dienste so viel Degen als ich verbraucht, und die Degen, von denen ich spreche, waren gute Degen, Sire. Ich war ein Kind und unwissend in allen Dingen, mit Ausnahme des Muthes, als der König, Euer Vater, in mir einen Mann errieth. Ich war ein Mann, Sire, als der Cardinal von Richelieu, der sich darauf verstand, in mir einen Feind errieth. Sire, die Geschichte dieser Feindschaft der Ameise und des Löwen hättet Ihr von der ersten bis zur letzten Zeile in den geheimen Archiven Eurer Familie lesen können. Wenn Ihr je Lust bekommt, thut es, Sire; es lohnt sich schon der Mühe bei dieser Geschichte, das sage ich Euch. Ihr werdet darin lesen, daß der Löwe, ermüdet, abgemattet, keuchend, endlich Gnade verlangte und, man muß ihm diese Gerechtigkeit widerfahren lassen, auch begnadigte. Oh! Sire, das war eine schöne Zeit mit Schlachten besät wie eine Epopöe von Tusso oder Ariost! Die Wunder jener Zeit, an welche zu glauben die unsrige sich weigern würde, waren für uns Alltäglichkeiten. Fünf Jahre lang war ich ein Held alle Tage, wenigstens wie mir einige Personen von Verdienst sagten, und, Sire, ein Heldenthum von fünf Jahren ist lang. Ich glaube jedoch an das, was mir diese Leute gesagt haben. Man nannte sie Herr von Richelieu, Herr von Buckingham, Herr von Beaufort, Herr von Retz, auch ein tüchtiges Genie, dieser Mann, beim Straßenkrieg! König Ludwig XIII. endlich und sogar die Königin, Eure erhabene Mutter, welche eines Tags: »»
Der König biß sich auf die Lippen und warf sich heftig in einen Lehnstuhl.
»Ich bin Eurer Majestät beschwerlich,« sprach der Lieutenant. »Ei! Sire, so ist es mit der Wahrheit, es ist eine rauhe Gesellin; sie hat lauter eiserne Stacheln und verwundet den, welchen sie berührt, und zuweilen auch den, welcher sie sagt.«
»Nein, mein Herr,« entgegnete der König, »ich habe Euch aufgefordert zu sprechen, sprecht also.
»Nach dem Dienst des Königs und des Cardinals, kam der Dienst der Regentschaft, Sire. Ich habe mich auch gut bei der Fronde geschlagen; minder gut indessen als das erste Mal.
»Die Menschen singen an kleiner an Gestalt zu werden. Nichtsdestoweniger habe ich die Musketiere Eurer Majestät bei einigen gefährlichen Veranlassungen geführt, welche indessen auf dem Tagesbefehl der Compagnie geblieben sind. Mein Loos war damals ein schönes, ich war der Günstling von Herrn von Mazarin: Lieutenant hier! Lieutenant dort! Lieutenant rechts! Lieutenant links! Es wurde in Frankreich nicht ein Puff ausgetheilt, mit dessen Austheilung man nicht Euren unterthänigen Diener beauftragte; doch bald begnügte sich der Herr Cardinal nicht mehr mit Frankreich; er schickte mich für Rechnung von Herrn Cromwell nach England. Auch ein Herr, der nicht zart war, dafür stehe ich Euch, Sire. Ich habe die Ehre gehabt, ihn kennen zu lernen und vermochte ihn zu würdigen. Man hatte mir viel in Beziehung auf diese Sendung versprochen. Da ich alles Andere that, nur das nicht, womit man mich beauftragt hatte, so wurde ich auch großmüthig belohnt, denn man ernannte mich endlich zum Kapitän der Musketiere, nämlich man verlieh mir die beneidetste Stelle des Hofes, die, welche den Vortritt vor den Marschällen von Frankreich gibt: und das ist Gerechtigkeit, denn wer Kapitän der Musketiere sagt, sagt die Blüthe der Soldaten und der König der Braven!«
»Kapitän, mein Herr?« entgegnete der König, »Ihr irrt Euch, Lieutenant wollt Ihr sagen.«
»Nein, Sire, ich irre mich nie; Eure Majestät verlasse sich in diesem Punkte auf mich: Herr von Mazarin hat mir das Patent gegeben.«
»Nun?«
»Aber Herr von Mazarin, Ihr wißt das besser, als irgend Jemand, gibt nicht oft und nimmt zuweilen wieder, was er gibt; er nahm es mir wieder, als der Friede geschlossen war und er meiner nicht mehr bedurfte. Ich war allerdings nicht würdig, Herrn von Treville, erhabenen Andenkens, zu ersetzen, aber man hatte mir am Ende versprochen, man hatte mir gegeben und mußte dabei bleiben . . . «
»Das ist es, was Euch unzufrieden macht, mein Herr? Wohl! ich werde Erkundigungen einziehen; ich liebe die Gerechtigkeit und Eure Reclamation, obgleich militärisch gemacht, mißfällt mir nicht.«
»Oh! Sire,« erwiederte der Officier, »Eure Majestät hat mich schlecht verstanden; ich reclamire nun nichts mehr.«
»Uebermaß von Zartgefühl, mein Herr; ich werde auf Eure Angelegenheiten mein besonderes Augenmerk haben, und später . . . «
»Oh! Sire, welch ein Wort! später! seit dreißig Jahren lebe ich auf dieses Wort voll Güte, das von so vielen hohen Personen ausgesprochen worden ist, und das nun auch Euer Mund ausspricht. Später! so habe ich zwanzig Wunden bekommen, und so bin ich vierundfünfzig Jahre alt geworden, ohne je einen Louis d’or in meiner Börse zu besitzen und ohne je einen Beschützer auf meinem Wege gefunden zu haben, ich, der ich so viele Leute beschützte! Ich verändere auch die Formel, Sire, und wenn man zu mir sagt:
»Mein Herr, ich habe diese Sprache nicht erwartet, besonders nicht von Seiten eines Mannes, der stets bei Großen gelebt hat. Ihr vergeßt, daß Ihr mit dem König, daß Ihr mit einem Edelmann sprecht, der, wie ich denke, von so gutem Hause ist, als Ihr, und wenn ich sage später, so ist es eine Gewißheit.«
»Ich zweifle nicht daran, Sire; doch hört das Ende der furchtbaren Wahrheit, die ich Euch zu sagen hatte: sähe ich auf diesem Tische den Marschallsstab, das Schwert des Connetable, die Krone von Polen, so würde ich, das schwöre ich Euch statt
»Die Zukunft meiner Regierung reizt Euch wenig, wie es scheint, mein Herr,« sprach Ludwig mit stolzem Tone.
»Vergessenheit, überall Vergessenheit,« rief der Officier voll Adel, »der Herr hat den Diener vergessen, und der Diener ist nun dahin gebracht, daß er den Herrn vergessen muß. Ich lebe in einer unglücklichen Zeit, Sire! ich sehe die Jugend voll Entmuthigung und Furcht, ich sehe sie schüchtern und entblößt, während sie reich und mächtig sein müßte, So öffne ich zum Beispiel gestern Abend die Thüre des Königs von Frankreich einem König von England, dessen Vater ich, der Schwache, beinahe das Leben gerettet hätte, wäre nicht Gott gegen mich gewesen, Gott, der seinen Auserwählten Cromwell inspirirte! Ich öffne, sage ich, diese Thüre, nämlich den Palast eines Bruders einem Bruder, und sehe, hört, Sire, das schnürt mir das Herz zusammen! und sehe den Minister dieses Königs den Geächteten fortjagen und seinen Herrn dadurch demüthigen, daß er einen andern König, seines Gleichen, zum Elend verdammt; ich sehe meinen Fürsten, der jung, schön, brav ist, der den Muth im Herzen und den Blitz in den Augen hat, ich sehe ihn vor einem Priester zittern, der über ihn hinter den Vorhängen seines Alcoven spottet, wo er alles Gold von Frankreich an sich zieht, das er sodann in unbekannten Kisten verschlossen hält. Ja, ich verstehe Euren Blick, Sire. Ich werde keck bis zum Wahnsinn; doch was wollt Ihr! ich bin ein Alter, und ich sage Euch, meinem König, Dinge, die ich demjenigen, welcher sie in meiner Gegenwart ausspräche, in die Kehle zurückstoßen würde. Ihr habt mir auch befohlen, den Grund meines Herzens vor Euch auszuleeren, und ich ergieße zu den Füßen Eurer Majestät die Galle, die ich seit dreißig Jahren angehäuft habe, wie ich all mein Blut vergöße, wenn es mir Eure Majestät befehlen würde.«
Der König wischte, ohne ein Wort zu sagen, den kalten Schweiß ab, der gleichsam in Wellen von seinen Schläfen floß.
Die Minute des Stillschweigens, welche auf diesen heftigen Ausfall folgte, stellte für den, der gesprochen, und für den, der gehört hatte, Jahrhunderte des Leidens dar.
»Mein Herr,« sagte endlich der König, »Ihr habt das Wort Vergessenheit ausgesprochen; ich habe nur dieses Wort gehört und werde also auch nur dieses beantworten. Andere konnten vergeßlich sein, ich bin es nicht, und zum Beweise dient, daß ich mich eines Tags des Aufruhrs, eines Tags erinnere, wo das Volk, wüthend und brüllend wie das Meer, in das Palais-Royal eindrang, eines Tags endlich, wo ich mich stellte, als schliefe ich in meinem Bett, während ein einzelner Mann, mit entblößtem Schwert hinter dem Bettvorhang verborgen, über meinem Leben wachte, bereit, für mich das seinige zu wagen, wie er es zwanzigmal für die Glieder meiner Familie gewagt hatte. Sprecht, hieß der Edelmann, den ich damals nach seinem Namen fragte nicht Herr d’Artagnan?«
»Eure Majestät hat ein gutes Gedächtniß,« erwiderte kalt der Officier.
»Ihr seht, mein Herr,« fuhr der König fort, »Ihr seht, was ich, wenn ich solche Erinnerungen aus der Kindheit habe, im Alter des Verstandes ansammeln kann.«
»Eure Majestät ist von Gott reich ausgestattet worden.« sprach der Officier mit demselben Ton.
»Laßt hören, Herr d’Artagnan,« fuhr Ludwig mit einer fieberhaften Aufregung fort, »werdet Ihr nicht auch so geduldig sein, als ich bin? werdet Ihr nicht thun, was ich thue?«
»Und was thut Ihr, Sire?«
»Ich warte.«
»Eure Majestät kann das, weil sie jung ist; ich, Sire, ich habe keine Zeit, zu warten! das Alter steht vor meiner Thüre und der Tod folgt ihm, bis in den Grund meines Hauses schauend; Eure Majestät beginnt das Leben; sie ist voll von Hoffnung und zukünftigem Glück; aber ich, Sire, ich bin am andern Ende des Horizonts, und wir stehen so fern von einander, daß ich nie Zeit hätte, zu warten, bis Eure Majestät zu mir käme.«
Ludwig ging einmal im Zimmer auf und ab, stets diesen Schweiß abtrocknend, der die Aerzte sehr erschreckt haben mußte, hätten die Aerzte den König in einem solchen Zustand sehen können.
»Es ist gut, mein Herr,« sagte sodann Ludwig XIV. mit stolzem Tone; »Ihr wünscht Euren Abschied? Ihr sollt ihn haben. Ihr bietet mir Eure Entlassung vom Grade eines Lieutenants der Musketiere an?«
»Ich lege sie unterthänig zu den Füßen Eurer Majestät nieder.«
»Das genügt. Ich werde Befehl geben, daß man Euch in Ruhestand versetzt.«
»Ich werde Eurer Majestät tausendfach hierfür verbunden sein.«
»Mein Herr,« sprach der König mit einer gewaltigen Anstrengung gegen sich selbst, »ich glaube, daß Ihr einen guten Herrn verliert.«
»Und ich, Sire, ich weiß es gewiß.«
»Werdet Ihr je einen ähnlichen finden?«
»Oh! Sire, ich weiß wohl, daß Eure Majestät einzig in der Welt ist; ich werde auch fortan bei keinem König der Erde mehr Dienst nehmen und keinen andern Herrn haben, als mich selbst.«
»Ihr sagt es?«
»Ich schwöre es Eurer Majestät.«
»Ich nehme Euch beim Wort, mein Herr.«
D’Artagnan verbeugte sich.
»Und Ihr wißt, daß ich ein gutes Gedächtnis habe,« fügte der König bei.
»Ja, Sire, und dennoch wünschte ich, daß dieses Gedächtnis Eure Majestät zu dieser Stunde verließe, damit sie das Elend vergäße, das ich vor ihren Augen auszubreiten genöthigt gewesen bin. Seine Majestät steht so hoch über den Armen und Kleinen, daß ich Hoffnung habe.«
»Meine Majestät, mein Herr, wird es machen wie die Sonne, welche Alles sieht, Große und Kleine, Reiche und Arme, dem Einen den Glanz, dem Andern die Wärme, Allen das Leben verleihend. Gott befohlen, Herr d’Artagnan; Gott befohlen, Ihr seid frei.«
Und mit einem heiseren Schluchzen, das sich in seiner Kehle verlor, trat der König rasch in das anstoßende Zimmer.
D’Artagnan aber nahm seinen Hut von dem Tisch, auf den er ihn geworfen hatte, und ging hinaus.
Drittes bis Sechstes Bändchen
I.
D’Artagnan war noch nicht unten an der Treppe, als der König seinem Cavalier rief und zu ihm sagte:
»Ich habe Euch einen Auftrag zu geben, mein Herr.«
»Ich bin zu Eurer Majestät Befehlen.«
»So wartet also.«
Und der König schrieb folgenden Brief, der ihn mehr als. einen Seufzer kostete, obschon zu gleicher Zeit etwas wie das Gefühl des Triumphes in seinen Augen glänzte:
»Herr Cardinal,
»Euer wohlgewogener
Der König las seinen Brief noch einmal und siegelte ihn sodann selbst.
»Diesen Brief dem Herrn Cardinal,« sagte er.
Der Cavalier entfernte sich. An der Thüre von Mazarin traf er Bernouin, der voll Angst wartete.
»Nun?« fragte der Kammerdiener des Ministers.
»Mein Herr,« sagte der Cavalier, »hier ist ein Brief für Seine Eminenz.«
»Ein Brief! Ah! wir warteten darauf nach dem kleinen Ausflug von diesem Morgen.«
»Ah! Ihr wußtet, daß Seine Majestät . . . «
»In unserer Eigenschaft als erster Minister haben wir die amtliche Verpflichtung, Alles zu wissen. Und Seine Majestät bittet, fleht, denke ich?«
»Ich weiß nicht, doch sie hat oft geseufzt, während sie den Brief schrieb.«
»Ja, ja, ja, wir wissen, was das besagen will. Man seufzt aus Glück wie aus Kummer, mein Herr.«
»Der König hatte indessen bei seiner Rückkehr nicht die Miene eines sehr glücklichen Menschen.«
»Ihr werdet nicht gut gesehen haben. Ueberdies habt Ihr den König nur bei seiner Rückkehr gesehen, da er von seinem Lieutenant der Musketiere allein begleitet war. Ich aber, ich hatte das Fernrohr Seiner Eminenz und ich schaute, wenn sie sich ermüdet fühlte. Beide weinten, dessen bin ich sicher.«
»Nun! geschah es auch aus Glück, daß sie weinten?«
»Nein, aus Liebe, und sie schworen sich tausend zärtliche Dinge, die der König von ganzer Seele zu halten verlangt. Dieser Brief aber ist ein Anfang der Ausführung.«
»Und was denkt Seine Eminenz von dieser Liebe, welche für Niemand ein Geheimniß ist?«
Bernouin nahm den Boten von Ludwig am Arm und erwiederte mit halber Stimme, während er mit ihm die Treppe hinausstieg:
»Im Vertrauen gesagt, Seine Eminenz rechnet auf einen günstigen Ausgang dieser Angelegenheit. Ich weiß wohl, daß wir Krieg mit Spanien bekommen werden. Doch bah! der Krieg wird den Adel zufrieden stellen. Der Herr Cardinal wird seine Nichte königlich, und sogar mehr als königlich ausstatten. Es wird Geld, Feste und Schläge geben; Jedermann wird zufrieden sein.«
»Nun!« sagte der Cavalier den Kopf schüttelnd, »mir kommt dieser Brief sehr leicht vor, wenn er dies Alles enthalten soll.«
»Freund,« entgegnete Bernouin, »ich bin dessen, was ich sage, sicher: Herr d’Artagnan hat mir Alles erzählt.«
»Gut! und was hat er gesagt? laßt hören.«
»Ich habe ihn angeredet, um mich bei ihm im Auftrag des Cardinals zu erkundigen, doch wohl verstanden, ohne ihm unsere Absichten zu entdecken, denn Herr d’Artagnan ist ein seiner Spürhund.
»»Mein lieber, Herr Bernouin,«« hat er geantwortet, »»der König ist wahnsinnig in Fräulein von Mancini verliebt. Das ist Alles, was ich Euch sagen kann.««
»»Wie!«« fragte ich, »»dergestalt, daß Ihr glaubt, er wäre fähig, sich über die Pläne Seiner Eminenz wegzusetzen?««
»»Ah! fragt mich nicht, ich glaube, daß der König zu Allem fähig ist. Er hat einen eisernen Kopf, und was er will, will er sehr. Hat er sich in den Kopf gesetzt, Fräulein von Mancini zu heirathen, so wird er sie auch heirathen.««
»Und hiernach verließ er mich und ging in den Stall, nahm ein Pferd, sattelte es selbst, schwang sich darauf und jagte fort, als ob ihn der Teufel holte.«
»Und so glaubt Ihr? . . . «
»Ich glaube, daß der Herr Lieutenant von den Musketieren mehr wußte, als er sagen wollte.«
»Es ist also Eure Ansicht, daß Herr d’Artagnan . . . «
»Aller Wahrscheinlichkeit nach folgt er in größter Eile den Verbannten, um alle ersprießlichen Schritte für den günstigen Erfolg der Liebe des Königs zu thun.«
So plaudernd kamen die zwei Vertrauten vor die Thüre des Cabinets Seiner Eminenz. Der Cardinal hatte die Gicht nicht mehr; er ging voll Angst in seinem Zimmer auf und ab, horchte auf die Thüren und schaute nach den Fenstern.
Bernouin trat ein, gefolgt von dem Cavalier, der vom König Befehl hatte, den Brief Seiner Eminenz eigenhändig zu übergeben. Mazarin nahm den Brief, doch ehe er in öffnete, componirte er sich ein den Umständen angemessenes Lächeln, ein bequemes Mittel, die Gemüthsbewegungen, welcher Art sie auch sein mochten, zu verbergen. Auf diese Weise konnte der Eindruck, den der Brief auf ihn hervorbrachte, sich nicht durch den mindesten Reflex auf seinem Gesichte verrathen.
»Gut,« sagte er, als er den Brief gelesen und noch einmal gelesen hatte, »vortrefflich, mein Herr; meldet dem König, daß ich ihm für seinen Gehorsam gegen die Wünsche der Königin Mutter danke, und daß ich Alles thun werde, um seinen Willen in Erfüllung zu bringen.«
Der Cavalier ging ab. Kaum war die Thüre geschlossen, als der Cardinal, der für Bernouin keine Maske hatte, diejenige abwarf, welcher er sich einen Augenblick zu Verhüllung seiner Physiognomie bedient hatte, und mit seinem düstersten Ausdruck zu seinem Kammerdiener sagte:
»Ruft mir Herrn von Brienne.«
Nach fünf Minuten trat der Secretaire ein.
»Mein Herr,« sprach Mazarin, »ich habe der Monarchie einen großen Dienst geleistet, den größten, den ich ihr vielleicht je geleistet. Ihr werdet diesen Brief, der dies beglaubigt, zu Ihrer Majestät der Königin Mutter bringen, und wenn sie ihn Euch zurückgegeben hat, legt Ihr ihn in den Carton B, der von Documenten und Acten bezüglich auf meinen Dienst voll ist.«
Brienne trat wieder ab, und da dieser so interessante Brief entsiegelt war, so verfehlte er nicht, ihn unter Weges zu lesen. Es versteht sich von selbst, daß Bernouin, der mit aller Welt gut stand, nahe genug auf den Secretaire zutrat, um über seine Schulter lesen zu können. Die Nachricht verbreitete sich mit solcher Schnelligkeit im Schloß, daß Herr von Mazarin einen Augenblick befürchtete, sie könnte zu den Ohren der Königin gelangen, ehe Herr von Brienne ihr den Brief von Ludwig XIV. überreicht hätte. Ein paar Minuten nachher waren alle Befehle zum Ausbruch ertheilt und Herr von Condé, der den König bei seinem angeblichen Lever begrüßt hatte, schrieb in seine Tabletten die Stadt Poitiers als Aufenthalts- und Ruheort für Ihre Majestäten ein.
So entwickelte sich in einigen Augenblicken eine Intrigue, welche auf eine dumpfe Weise alle Diplomatien Europas beschäftigt hatte. Sie hatte indessen keinen andern klaren und scharf sich herausstellenden Erfolg, als daß ein armer Lieutenant der Musketiere seine Stelle und seine Anwartschaft auf erfreulichere Glücksumstände verlor, wogegen er aber seine Freiheit gewann.
Wir werden bald erfahren, wie Herr d’Artagnan diese Freiheit benützte. Für jetzt müssen wir, wenn es uns der Leser erlauben will, nach dem Gasthause zu den Medicis zurückkehren, in welchem sich ein Fenster in dem Augenblick öffnete, wo im Schloß die Befehle zur Abreise des Königs gegeben wurden.
Dieses Fenster, das sich öffnete, war das von einem der Zimmer von Karl. Den Kopf in seinen beiden Händen und die Ellenbogen auf einem Tisch, hatte der unglückliche König die Nacht in Thränen hingebracht, während der alte, schwächliche Parry, müde an Körper und Geist, in einem Winkel eingeschlafen war. Er hatte ein seltsames Schicksal, dieser getreue Diener, der bei der zweiten Generation die schreckliche Reihenfolge von Unglücksfällen, die auf der ersten gelastet, wieder anfangen sah. Als Karl II. die neue Niederlage, die er erlitten, wohl überdacht, als er die völlige Vereinzelung begriffen hatte, in die er, da seine neuste Hoffnung abermals entschwunden, versunken war, da ergriff ihn ein Schwindel und er fiel rückwärts in den Lehnstuhl, auf dessen Rand er gesessen hatte.
Nun aber bekam Gott Mitleid mit dem unglücklichen Prinzen und sandte ihm den Schlaf, den unschuldigen Bruder des Todes. Er weckte ihn erst um halb sieben Uhr, als die Sonne bereits in sein Zimmer schien und Parry, unbeweglich, aus Furcht, ihn aufzuwecken, mit tiefem Schmerz die schon durch das Wachen gerötheten Augen, die schon durch das Leiden und die Entbehrungen gebleichten Wangen betrachtete.
Endlich erwachte Karl beim Lärmen einiger schweren Wagen, welche gegen die Loire hinabfuhren. Er stand auf, schaute umher wie ein Mensch, der Alles vergessen hat, erblickte Parry, drückte ihm die Hand und befahl ihm, die Rechnung mit Meister Cropole in Ordnung zu bringen. Genöthigt, mit Parry zu rechnen, entledigte sich Meister Cropole dieses Geschäftes als ein ehrlicher Mann, was nicht zu leugnen ist; er machte nur seine gewöhnlichen Bemerkungen, nämlich daß die zwei Reisenden nichts gegessen, was ein doppelter Nachtheil für sein Haus sei, einmal, weil es demüthigend für seine Küche erscheinen müsse, und dann, weil es ihn nöthige, den Preis für ein Mahl zu verlangen, das unbenutzt geblieben, darum aber nicht minder verloren gehe. Parry wußte nichts hiergegen zu bemerken und bezahlte.
»Ich hoffe,« sagte der König, »es wird nickt dasselbe bei den Pferden der Fall gewesen sein . . . Ich ersehe aus Eurer Rechnung nicht, daß sie gefressen haben, und es wäre ein Unglück für Reisende, denen eine lange Reise bevorsteht, geschwächte Pferde zu finden.«
Doch bei diesem Zweifel nahm Cropole seine majestätische Miene an und erwiederte, die Krippe der Medicis sei nicht minder gastfreundlich, als ihre Speisekammer.
Der König stieg also zu Pferde. Sein alter Diener that dasselbe, und Beide schlugen den Weg nach Paris ein, beinahe ohne daß sie irgend Jemand in den Straßen und in den Vorstädten der Stadt begegneten.
Für den Prinzen war der Schlag um so grausamer, als eine neue Verbannung darin lag. Die Unglücklichen hängen sich an die kleinsten Hoffnungen an, wie die Glücklichen an das größte Glück, und wenn sie den Ort, wo diese Hoffnung ihrem Herzen geschmeichelt hat, verlassen müssen, fühlen sie den tödtlichen Kummer, den der Verbannte fühlt, wenn er den Fuß auf das Schiff setzt, das ihn in die Verbannung fortführen soll. Das schon oft verwundete Herz leidet offenbar bei dem geringsten Stich: es betrachtet wie ein Gut die augenblickliche Abwesenheit des Uebels, welche nur die Abwesenheit des Schmerzes allein ist; in das gräßlichste Unglück hat Gott die Hoffnung geworfen, wie jenen Wassertropfen, den der böse Reiche in der Hölle von Lazarus forderte.
Einen Augenblick war die Hoffnung von Karl II. mehr als eine flüchtige Freude gewesen. Dies war so, als er sich von seinem Bruder Ludwig gut aufgenommen sah. Da hatte sie einen Körper angenommen und sich zur Wirklichkeit gestaltet; dann aber hatte plötzlich wieder die Weigerung von Mazarin die scheinbare Wirklichkeit in den Zustand eines Traumes versenkt. Das so bald von Ludwig XIV. zurückgenommene Versprechen war nur ein Hohn gewesen. Ein Hohn wie seine Krone, wie sein Scepter, wie seine Freunde, wie Alles, was seine königliche Kindheit umgeben und seine geächtete Jugend verlassen hatte. Hohn! Alles war Hohn für Karl II. außer der kalten, schwarzen Ruhe, die ihm der Tod versprach.
Dies waren die Gedanken des unglücklichen Prinzen, als er über sein Roß gebeugt, dem er die Zügel überließ, unter der warmen, milden Sonne des Monats Mai hinritt, in der die finstere Menschenfeindlichkeit des Verbannten eine letzte Verspottung seines Schmerzes sah.
II.
Ein Reiter, der rasch auf der Straße, welche gegen Blois hinaufführte, einherkam, kreuzte die zwei Reisenden und lüpfte, so große Eile er auch hatte, seinen Hut, als er an ihnen vorüberritt. Der König merkte kaum auf diesen jungen Mann, denn der Reiter, der sie kreuzte, war ein junger Mann von vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahren, der sich zuweilen umwandte und freundschaftliche Zeichen einem andern Mann machte, welcher vor dem Gitter eines schönen Hauses stand: dieses Haus war weiß und roth, nämlich von Backstein und Stein, hatte ein Schieferdach und lag links von der Straße, der der Prinz folgte.
Dieser Mann, ein großer, magerer Greis mit weißen Haaren, – wir sprechen von demjenigen, welcher bei dem Gitter stand, – erwiederte die Zeichen, die ihm der jüngere machte, durch Zeichen des Abschieds so zärtlich, als ob es sein Vater gewesen wäre. Der junge Mann verschwand am Ende bei der ersten Biegung der mit schönen Bäumen besetzten Straße, und der Greis schickte sich an, in das Haus zurückzukehren, als die zwei Reisenden, welche bis vor das Gitter gekommen waren, seine Aufmerksamkeit erregten.
Der König ritt, wie gesagt, den Kopf gesenkt, die Arme träge, im Schritt einher und überließ sich beinahe ganz der, Laune seines Pferdes, während Parry hinter ihm, um von dem warmen Einfluß der Sonne besser durchdrungen zu werden, seinen Hut abgenommen hatte und seine Blicke rechts und links vom Weg umherschweifen ließ. Seine Augen begegneten denen des Greises, der am Gitter lehnte und, als ob er von einem seltsamen Schauspiel berührt worden wäre, einen Schrei ausstieß und einen Schritt gegen die zwei Reisenden machte.
Von Parry gingen seine Augen unmittelbar auf den König über, auf den er sie einige Secunden lang heftete. Diese prüfende Beschattung, so rasch sie auch war, hatte sogleich auf eine sichtbare Weise einen Wiederschein auf den Zügen des langen Greises zur Folge. Denn kaum hatte er den jüngeren von den Reisenden erkannt, und wir sagen erkannt, denn nur ein bestimmtes, wirkliches Erkennen vermochte einen solchen Act zu erklären, kaum, sagen wir, hatte er den jüngeren von den zwei Reisenden erkannt, als er zuerst mit einem ehrfurchtsvollen Erstaunen die Hände faltete, sodann seinen Hut vom Kopfe nahm und sich so tief verbeugte, daß man hätte glauben sollen, er wolle niederknieen.
Diese Kundgebung, so zerstreut, oder vielmehr so sehr der König auch in seine Gedanken versunken war, erregte sogleich seine Aufmerksamkeit,
Karl hielt sein Pferd an, wandte sich gegen Parry um und sagte:
»Mein Gott! Parry, wer ist denn dieser Mensch der mich so grüßt? Sollte er mich zufällig kennen?«
Ganz bewegt, ganz bleich, war Parry schon auf das Gitter zugeritten.
»Ah! Sire,« sagte er, indem er plötzlich fünf bis sechs Schritte von dem Greis, welcher wirklich niedergekniet war, sein Pferd anhielt, »Sire, Ihr seht mich ganz erstaunt, denn mir scheint, ich erkenne diesen braven Mann. Ja wohl! er ist es. Erlaubt mir Eure Majestät, daß ich mit ihm spreche?«
»Gewiß.«
»Seid Ihr es denn, Herr Grimaud?« fragte Parry.
»Ja, ich bin es,« erwiederte der lange Greis, indem er sich erhob, jedoch ohne etwas von seiner ehrerbietigen Haltung zu verlieren.
»Sire«’ sprach nun Parry, »ich täuschte mich nicht, dieser Mann ist der Diener des Grafen de la Fère, und der Graf de la Fère ist, wenn Ihr Euch entsinnt, der würdige Edelmann, von dem ich so oft mit Eurer Majestät gesprochen habe, daß die Erinnerung an ihn nicht nur in ihrem Geiste, sondern auch in ihrem Herzen zurückgeblieben sein muß.«
»Es ist der, welcher meinem Vater in seinen letzten Augenblicken beistand?« fragte Karl.
Und er bebte sichtbar bei dieser Erinnerung.
»Ganz richtig, Sire.«
»Ach! seufzte Karl.
Dann sich an Grimaud wendend, dessen lebhafte, gescheite Augen, wie es schien, in seinem Geist zu lesen suchten, fragte er:
»Mein Freund, sollte Euer Gebieter, der Herr Graf de la Fère, in dieser Gegend wohnen?«
»Dort,« antwortete Grimaud und bezeichnete mit seinem rückwärts ausgestreckten Arm das Gitter des weiß und rothen Hauses.
»Und der Herr Graf de la Fère ist in diesem Augenblick zu Hause?«
»Hinten, unter den Kastanienbäumen.«
»Parry.« sagte der König, »ich will sie nicht versäumen, diese für mich so kostbare Gelegenheit, dem Edelmann zu danken, dem unser Haus für ein so schönes Beispiel von Ergebenheit und Großmuth verpflichtet ist. Ich bitte Euch, haltet mein Pferd. Freund.«
Und der König warf den Zügel Grimaud zu und trat ganz allein bei Athos wie bei seines Gleichen ein. Karl war durch die so bündige Erklärung von Grimaud unterrichtet, – hinten unter den Kastanienbäumen; er ließ also das Haus links und ging gerade auf die bezeichnete Allee zu. Die Sache war leicht; die Gipfel dieser schon mit Blättern und Blüthen bedeckten Bäume überragten die von allen andern.
Als er unter die abwechselnd beleuchteten und düsteren Rauten kam, welche den Boden dieser Allee je nach den Launen ihres mehr oder minder belaubten Gewölbes verschiedenartig erscheinen ließen, erblickte der junge Prinz einen Herrn, der, die Hände auf dem Rücken, spazieren ging und in eine heitere Träumerei versunken zu sein schien. Ohne Zweifel hatte er sich oft wiederholen lassen, wie dieser Edelmann war, denn ohne zu zögern, ging Karl II. gerade auf ihn zu. Bei dem Geräusch seiner Tritte erhob der Graf de la Fère das Haupt, und als er sah, daß ein Unbekannter von edlem Anstand auf ihn zuschritt, lüpfte er seinen Hut und wartete. Einige Schritte von ihm nahm Karl II. ebenfalls seinen Hut in die Hand und sagte, als wollte er die stumme Frage des Grafen beantworten:
»Herr Graf, ich komme, um eine Pflicht bei Euch zu erfüllen. Seid langer Zeit habe ich Euch den Ausdruck einer tiefen Dankbarkeit zu überbringen. Ich bin Karl II., Sohn von Karl Stuart, der über England regierte und auf dem Schaffot starb.«
Bei diesem erhabenen Namen fühlte Athos einen Schauer seine Adern durchlaufen, und bei dem Anblick des jungen Prinzen, der entblößt vor ihm stand und ihm die Hand reichte, trübten zwei Thränen ein paar Secunden lang das durchsichtige Azur seiner schönen Augen.
Er verbeugte sich ehrfurchtsvoll; doch der Prinz nahm ihn bei der Hand und sprach:
»Seht, wie unglücklich ich bin, Herr Graf; es bedurfte des Zufalls, um mich in Eure Nähe zu bringen. Ach! müßte ich nicht die Leute, die ich liebe und ehre, bei mir haben, während ich darauf beschränkt bin, ihre Dienste in meinem Herzen und ihre Namen in meinem Gedächtniß zu behalten, so daß ich ohne Euren Diener, der den meinigen erkannte, vor Eurem Hause wie vor dem eines Fremden vorübergeritten wäre.«
»Es ist wahr,« sagte Athos, der mit der Stimme den ersten Theil der Worte des Prinzen und mit einer Verbeugung den zweiten erwiederte; »es ist wahr, Eure Majestät hat sehr schlimme Tage gesehen.«
»Und die schlimmsten werden leider vielleicht erst kommen!« sprach Karl.
»Sire, hoffen wir.«
»Graf, Graf!« fuhr Karl den Kopf schüttelnd fort, »ich habe bis gestern Abend gehofft, und zwar wie ein guter Christ, das schwöre ich Euch.«
Athos schaute den König an, als wollte er ihn befragen.
»Oh! die Geschichte ist leicht zu erzählen,« sagte Karl II. »Geächtet, von Allem entblößt, verachtet, entschloß ich mich, trotz meines tiefen Widerwillens, das Glück zum letzten Male zu versuchen. Steht es nicht da oben geschrieben, für unsere Familie werde. alles Glück und alles Unglück ewig von Frankreich kommen! Ihr wißt etwas davon, Ihr, mein Herr, der Ihr einer von den Franzosen seid, die mein unglücklicher Vater am Fuße seines Schaffots an seinem Todestag fand, nachdem er sie an den Schlachttagen zu seiner Rechten gefunden hatte.«
»Sire,« erwiederte Athos bescheiden, »ich war nicht allein, und meine Gefährten und ich haben unter diesen Umständen nur einfach unsere Pflicht als Edelleute gethan. Doch Eure Majestät wollte mir die Ehre erweisen, mir zu erzählen . . . «
»Es ist wahr. Ich hatte die Protection . . . verzeiht mein Zögern, doch für einen Stuart, wie Ihr leicht hegreifen werdet, Ihr, der Ihr Alles begreift, ist es hart, das Wort auszusprechen; ich hatte, sage ich, die Protection meines Vetters, des Stadhouders von Holland; aber ohne den Dazwischentritt oder wenigstens ohne die Genehmigung von Frankreich will der Stadhouder nicht die Initiative ergreifen. Ich kam also, um den König von Frankreich um diese Genehmigung zu bitten, die er mir verweigerte.«
»Er hat sie Euch verweigert, Sire?«
»Oh! nicht er; ich muß meinem Bruder Ludwig jede Gerechtigkeit widerfahren lassen, nicht er, sondern Mazarin.«
Athos biß sich auf die Lippen.
»Ihr findet vielleicht, ich hätte auf diese Weigerung gefaßt sein mäßen,« sagte der König, der die Bewegung bemerkt hatte.
»Das war in der That mein Gedanke, Sire,« erwiederte ehrfurchtsvoll der Graf; »ich kenne diesen Italiener seit langer Zeit.«
»Da beschloß ich, die Sache bis zum Ende zu treiben und sogleich das letzte Wort meines Verhängnisses zu erfahren; ich sagte meinem Bruder Ludwig, um weder Frankreich, noch Holland zu compromittiren, würde ich das Glück selbst versuchen, wie ich es schon gethan, mit zweihundert Edelleuten, wenn er mir sie geben, und mit einer Million, wenn er mir sie leihen wollte.«
»Nun, Sire?«
»Mein Herr, ich fühle in diesem Augenblick etwas Seltsames, das ist die Genugthuung der Verzweiflung. Es liegt für gewisse Seelen, und ich habe nun bemerkt, daß die meinige zu dieser Zahl gehört, eine wirkliche Genugthuung in der Sicherheit darüber, daß Alles verloren, und daß die Stunde, zu unterliegen, gekommen ist.«
»Oh!« rief Athos, »ich hoffe, Eure Majestät hat noch nicht die äußerste Grenze erreicht.«
»Um so zu sprechen, Herr Graf, um es zu versuchen, die Hoffnung in meinem Herzen wiederzubeleben müßt Ihr das, was ich Euch sagte, nicht gut begriffen haben. Ich kam nach Blois, Graf, um von meinem Bruder Ludwig das Almosen einer Million zu fordern, mit der ich meine Angelegenheiten wieder ins Geleise zu bringen die Hoffnung hatte, und mein Bruder Ludwig schlug mir meine Bitte ab. Ihr seht also wohl, daß Alles verloren ist.«
»Wird mir Eure Majestät erlauben, mit einer entgegengesetzten Ansicht zu antworten?«
»Wie, Graf, Ihr haltet mich für einen so gewöhnlichen Geist, daß Ihr glaubt, ich vermöge meine Lage nicht ins Auge zu fassen?«
»Sire, ich habe immer gesehen, daß in verzweifelten Lagen plötzlich die großen Umschläge des Schicksals zu Tage ausgehen.«
»Ich danke, Graf; es ist schön, Herzen wie das Eurige zu finden, Herzen, welche so sehr auf Gott und die Monarchie vertrauen, daß sie nie an einem königlichen Geschick verzweifeln, so tief es auch gesunken sein mag. Leider sind Eure Worte, lieber Graf, wie jene Mittel, die man unfehlbare nennt, während sie dennoch, da sie nur bei heilbaren Wunden Hilfe zu leisten vermögen, am Tod scheitern. Ich danke Euch für die Beharrlichkeit, mit der Ihr mich tröstet; ich danke Euch für Euer treu ergebenes Andenken, aber ich weiß, woran ich mich zu halten habe. Nichts wird mich nunmehr retten. Und hört, mein Freund, ich war so sehr überzeugt, daß ich den Weg der Verbannung mit meinem alten Diener einschlug; ich kehre zurück, um meine brennenden Schmerzen in der kleinen Einsiedelei zu verzehren, die man mir in Holland anbietet! dort, glaubt mir, Graf, dort wird Alles bald beendigt sein, und der Tod wird rasch kommen; er ist so oft von diesem Leib, den die Seele zernagt, und von dieser Seele, die zum Himmel aufathmet, herbeigerufen worden.«
»Eure Majestät hat eine Mutter, eine Schwester, Brüder, Eure Majestät ist das Haupt der Familie, sie muß also Gott um ein langes Leben, statt um einen schnellen Tod bitten. Eure Majestät ist geächtet, flüchtig, doch sie hat ihr Recht für sich, sie muß nach Kämpfen, nach Gefahren, nach Thätigkeit und nicht nach der Ruhe des Himmels trachten.«
»Graf,« sprach Karl II. mit einem Lächeln voll unaussprechlicher Traurigkeit, »hörtet Ihr je sagen, ein König habe sein Reich mit einem Diener vom Alter von Parry und mit dreihundert Thalern, die dieser Diener in seiner Börse trägt, wiedererobert?«
»Nein, Sire, aber ich hörte sagen, und zwar mehr als einmal, ein entthronter König habe sein Reich mit einem festen Willen, mit Beharrlichkeit, mit Freunden und einer gut angewendeten Million Franken wieder gewonnen.
»Ihr habt mich also nicht begriffen? Ich habe diese Million von meinem Bruder Ludwig verlangt, und sie ist mir abgeschlagen worden.«
»Sire, will mir Eure Majestät einige Minuten gewähren und aufmerksam anhören, was ich ihr zu sagen habe?«
Karl II. schaute Athos fest an und erwiederte:
»Gern, mein Herr.«
»Dann werde ich Eurer Majestät den Weg weisen,« sagte der Graf und wandte sich nach dem Haus.
Und er führte den König in sein Cabinet, bat ihn zu sitzen und sprach:
»Sire, Eure Majestät hat mir so eben gesagt, bei dem Zustand der Dinge in England würde ihr eine Million genügen, um ihr Reich wieder zu erobern,«
»Wenigstens, um es zu versuchen und als König zu sterben, sollte es mir nicht gelingen.«
»Wohl, Sire, Eure Majestät geruhe, nach dem Versprechen, das sie mir geleistet, anzuhören, was mir zu sagen bleibt.«
Karl machte mit dem Kopf ein Zeichen der Beistimmung, Athos ging gerade auf die Thüre zu, schloß sie mit dem Riegel, nachdem er hinausgeschaut hatte, ob Niemand in der Nähe horche, und kam dann zurück.
»Sire,« sagte er, »Eure Majestät hat die Gnade gehabt, sich zu erinnern, daß ich dem edlen und unglücklichen König Karl Beistand leistete, als ihn seine Henker von Saint-James nach White-Hall führten.«
»Ja, gewiß, ich habe mich dessen erinnert und werde mich stets erinnern.«
»Sire, diese Geschichte ist traurig für einen Sohn anzuhören, der sie sich ohne Zweifel schon oft hat erzählen lassen; doch ich muß sie Euer Majestät wiederholen, ohne einen einzigen Umstand zu übergehen.«
»Sprecht, mein Herr.«
»Als der König, Euer Vater, das Schaffot bestieg, oder vielmehr von seinem Zimmer auf das vor seinem Fenster errichtete Schaffot ging, war Alles für seine Flucht vorbereitet. Der Henker war entfernt worden, man hatte ein Loch unter seiner Wohnung gemacht. Ich selbst endlich befand mich unter dem unseligen Gerüste und hörte dieses plötzlich unter seinen Tritten krachen.«
»Parry hat mir diese furchtbaren Umstände erzählt, mein Herr.«
Athos verbeugte sich und sprach:
»Hört, was er Euch nicht erzählen konnte, Sire, denn was folgt, ist zwischen Gott, Eurem Vater und mir vorgefallen, und nie habe ich es irgend einem Menschen, ich habe es nicht einmal meinen,theuersten Freunden anvertraut. »»Entferne Dich!«« sprach der König zu dem verlarvten Henker, »»nur für einen Augenblick, ich weiß wohl, daß ich Dir gehöre; vergiß nicht, daß Du erst, wenn ich das Signal gebe, zu schlagen hast. Ich will frei mein Gebet verrichten.««
»Verzeiht,« sagte Karl II. erbleichend, »aber Ihr, der Ihr so viele Einzelheiten von diesem unseligen Ereigniß wißt, Einzelheiten, welche, wie Ihr so eben sagtet, Niemand enthüllt worden sind, wißt Ihr den Namen dieses höllischen Henkers, dieses Feigen, der sein Gesicht verbarg, um ungestraft einen König zu ermorden?«
Athos erbleichte leicht.
»Seinen Namen?« sprach er; »ja, ich weiß ihn, doch ich kann ihn nicht sagen.«
»Und was ist aus ihm geworden? . . . denn Niemand in England hat sein Schicksal erfahren.«
»Er ist gestorben.«
»Doch nicht in seinem Bett gestorben, nicht eines sanften, ruhigen Todes, nicht des Todes ehrlicher Leute?«
»Er ist eines gewaltsamen Todes gestorben . . . in einer schrecklichen Nacht, zwischen dem Zorn der Menschen und dem Sturm Gottes. Von einem Dolchstoße durchbohrt, ist sein Leib in die Tiefe des Meeres gesunken. Gott vergebe seinem Mörder!«
»So gehen wir weiter,« sprach König Karl II., da er sah, daß der Graf nicht mehr sagen wollte.
»Der König von England, nachdem er, wie ich es erzählt, zu dem verlarvten Henker gesprochen hatte, fügte bei: »»Du wirst nicht eher schlagen, hörst Du wohl, als bis ich die Arme ausstrecke und rufe: R e m e m b e r!««
»In der That,« sagte Karl mit dumpfem Tone, »ich weiß, daß dies das letzte Wort ist, welches mein unglücklicher Vater gesprochen hat. Doch in welcher Absicht, für wen?«
»Für den französischen Edelmann, der unter seinem Schaffot stand.«
»Für Euch also, mein Herr?«
»Ja, Sire, und jedes der Wortes das er durch die Bretter des mit einem schwarzen Tuch bedeckten Blutgerüstes gesagt hat, tönen noch in meinem Ohr. Der König setzte also ein Knie auf die Erde. »»Graf de la Fère,«« sagte er, »»seid Ihr da?«« »»Ja, Sire,« antwortete ich. Da neigte sich der König,«
Ganz zitternd vor Theilnahme, ganz brennend vor Schmerz, neigte sich auch Karl II. gegen Athos, um eines nach dem andern die Worte aufzufassen, welche von den Lippen des Grasen kamen. Sein Kopf streifte den von Athos.
»Da neigte sich der König,« fuhr der Graf fort. »»Graf de la Fère,«« sagte er, »»ich konnte nicht von Dir gerettet werden, ich sollte es nicht sein. Nun aber, und würde ich eine Ruchlosigkeit begehen, sage ich: Ja, ich habe zu den Menschen, ich habe zu Gott gesprochen, und spreche zuletzt mit Dir. Um eine Sache aufrecht zu hatten, die ich für heilig hielt, habe ich den Thron meiner Väter verloren und das Erbe meiner Kinder verschleudert.««
Karl II, verbarg sein Gesicht in seinen Händen, und eine brennende Thräne drang durch seine weißen, abgemagerten Finger.
»»Eine Million in Gold bleibt mir,«« fuhr der König fort. »»Ich habe sie in den Gewölben des Schlosses von Newcastle in dem Augenblick vergraben, wo ich diese Stadt verließ.««
Karl II. erhob das Haupt mit einem Ausdruck schmerzlicher Freude, welcher Jedem, der dieses ungeheure Unglück kannte, ein Schluchzen entrissen hätte.
»Eine Million!« murmelte er, »oh! Graf!«
»»Du allein weißt, daß dieses Gold vorhanden ist; mache Gebrauch davon, wann Du es zum Wohle meines ältesten Sohnes für zeitgemäß hältst. Und nun, Graf de la Fère, nimm Abschied von mir.««
»»Gott befohlen, Sire!«« rief ich.
Karl II. stand auf und drückte seine glühende Stirne an ein Fenster. Athos aber fuhr fort:
»Da sprach der König das an mich gerichtete Wort: R e m e m b e r . . . und Ihr seht, Sire, daß ich mich erinnert habe.«
Der König konnte seiner Erschütterung nicht widerstehen. Athos sah, wie seine Schultern krampfhaft bebten. Er hörte ein Schluchzen, das die Brust des Unglücklichen beinahe zersprengte, und schwieg, selbst niedergedrückt durch die Woge bitterer Erinnerungen, die er über dem königlichen Haupte heraufbeschworen hatte.
Karl II. verließ das Fenster mit einer heftigen Anstrengung, verschlang seine Thränen und setzte sich zu Athos.
»Sire,« sagte dieser, »bis jetzt glaubte ich die Stunde, dieses letzte Mittel anzuwenden, wäre noch nicht gekommen; doch die Augen auf England geheftet, fühlte ich, sie nahe. Morgen wollte ich mich erkundigen, an welchem Ort der Welt Eure Majestät sich befinde, um mich zu ihr zu begeben. Sie kommt zu mir, und ich betrachte dies als ein Zeichen, daß Gott für uns ist.«
»Mein Herr,« sprach Karl, mit einer durch die Erschütterung noch gepreßten Stimme, »Ihr seid für mich, was nur ein von Gott gesandter Engel sein könnte; doch glaubt mir, seit zehn Jahren sind die Bürgerkriege über mein Land hingezogen und haben die Menschen niedergeworfen und den Boden durchwühlt; wahrscheinlich ist in den Eingeweiden meiner Erde nicht mehr Gold geblieben, als Liebe in den Herzen meiner Unterthanen.«
»Sire, der Ort, wo Seine Majestät die Million vergraben hat, ist mir wohl bekannt, und Niemand, dessen bin ich sicher, war im Stand, ihn zu entdecken. Ist denn das Schloß Newcastle völlig eingestürzt? Hat man es denn Stein für Stein zerstört und seine Wurzeln bis auf die letzte Fiber aus dem Boden gerissen?«
»Nein, es steht noch! doch in diesem Augenblick hält es der General Monk besetzt, der sein Quartier darin hat. Der einzige Ort, wo mich eine Hilfe erwartet, wo ich eine Quelle besitze, ist, wie Ihr seht, in der Gewalt meiner Feinde.«
»Sire, der General Monk kann den Schatz, von dem ich spreche, nicht entdeckt haben.«
»Ja, aber soll ich mich Monk ausliefern, um diesen Schatz zu erlangen? Oh! Ihr seht wohl, Graf, ich muß mit dem Schicksal abschließen, da es mich immer wieder niederreißt, wenn ich mich erhebe. Was soll ich mit Parry als meinem einzigen Diener, machen, mit Parry, den Monk schon einmal fortgejagt hat? Nein, nein, Graf, unterziehen wir uns diesem letzten Schlag.«
»Was Eure Majestät nicht thun kann, was Parry nicht mehr versuchen kann, glaubt Ihr, es werde mir gelingen?«
»Ihr, Graf, Ihr würdet gehen!«
»Ja, Sire, wenn es Eurer Majestät genehm ist, werde ich gehen,« sagte Athos, sich vor dem König verbeugend.
»Ihr, der Ihr hier so glücklich seid, Graf!«
»Ich bin nie glücklich,« Sire, so lange mir eine Pflicht zu erfüllen bleibt, und der König, Euer Vater, hat mir die hohe Pflicht vermacht, über Eurer Wohlfahrt zu wachen und sein Geld auf eine königliche Weise zu verwenden. Eure Majestät braucht mir also nur ein Zeichen zu geben, und ich breche mit ihr auf.«
»Ah! mein Herr,« sprach Karl II., der alle königliche Etiquette vergaß und Athos um den Hals fiel, »Ihr beweist mir, daß es einen Gott im Himmel gibt, und daß dieser Gott zuweilen den Unglücklichen, welche auf dieser Erde seufzen, Boten zuschickt.«
Tief bewegt durch diesen Erguß des jungen Mannes, dankte ihm Athos voll Ehrfurcht, näherte sich dem Fenster und rief:
»Grimaud, meine Pferde!«
»Wie! so auf der Stelle!« sagte der König; »oh! mein Herr, Ihr seid in der That ein wunderbarer Mann.«
»Sire,« erwiederte Athos, »ich kenne nichts Eiligeres, als den Dienst Eurer Majestät. Ueberdies,« fügte er lächelnd bei, »überdies ist dies eine Gewohnheit, die ich längst im Dienste der Königin, Eurer Tante, und im Dienste des Königs, Eures Vaters, angenommen habe. Warum sollte ich sie gerade in der Stunde verlieren, wo es sich um den Dienst Eurer Majestät handelt?«
»Welch ein Mann!« murmelte der König.
Dann, nachdem er einen Augenblick nachgedacht hatte, sprach Karl II.:
»Nein, Graf, ich kann Euch solchen Entbehrungen nicht aussetzen, ich habe nichts, um solche Dienste zu belohnen.«
»Bah!« sagte Athos lachend, »Eure Majestät treibt ihren Spott mit mir, sie hat eine Million. Ah! warum besitze ich nicht nur die Hälfte dieser Summe, ich hätte schon ein Regiment auf den Beinen. Aber, Gott sei Dank, es bleiben mir noch einige Rollen Gold und ein paar Familien-Diamanten. Eure Majestät wird sich hoffentlich herablassen, mit einem ergebenen Diener zu theilen.
»Mit einem Freund. Ja, Graf, doch unter der Bedingung, daß dieser Freund später mit mir theilen wird.«
»Sire,« sagte Athos, indem er eine Cassette öffnete, aus der er Gold und Juwelen nahm, »seht, wir sind nur zu reich. Zum Glück werden wir unserer vier gegen die Räuber sein.«
Die Freude machte das Blut gegen die bleichen Wangen von Karl II. strömen. Er sah Grimaud, der schon für die Reise gestiefelt war, zwei Pferde von Athos vor den Säulengang führen.
»Blaisois, diesen Brief dem Grafen von Bragelonne. Ich bin für Jedermann nach Paris gegangen. Dir ist das Haus anvertraut, Blaisois,« sprach Athos.
Blaisois verbeugte sich, umarmte Grimaud und schloß das Gitter.
III.
Es waren nicht zwei Stunden seit dem Aufbruch des Herrn vom Hause abgelaufen, der im Angesicht von Blaisois den Weg nach Paris eingeschlagen hatte, als ein Reiter auf einem guten Schecken vor dem Gitter anhielt und mit einem schallenden Halloh! den Stallknechten rief, welche noch einen Kreis mit den Gärtnern um Blaisois, den gewöhnlichen Historiker des Schloßgesindes, bildeten. Das ohne Zweifel Meister Blaisois wohlbekannte Halloh! bewog diesen, den Kopf umzudrehen, und er rief:
»Herr d’Artagnan! . . . lauft geschwinde, Ihr Leute, öffnet ihm das Thor.«
Ein Schwarm von acht Burschen eilte an das Gitter, und dieses wurde geöffnet, als ob es von Federn wäre. Und Alle überboten sich in Höflichkeiten, denn man wußte, welchen Empfang der Gebieter seinem Freund zu bereiten pflegte, und für solche Bemerkungen braucht man immer nur den Blick des Dieners zu befragen.
»Ah!« fragte mit einem ganz angenehmen Lächeln Herr d’Artagnan, der sich auf dem Steigbügel wiegte, um zu Boden zu springen, »wo ist denn der liebe Graf?«
»Ei! gnädiger Herr, Ihr habt wahrhaftig Unglück,« sagte Blaisois, »und als ein Unglück wird es auch der Herr Graf, unser Gebieter, betrachten, wenn er erfährt, daß Ihr hier angekommen seid! Der Herr Graf ist durch einen reinen Zufall vor nicht zwei Stunden weggeritten.«
D’Artagnan kümmerte sich nicht um so wenig.
»Gut,« sagte er, »daß Du immer noch das reinste Französisch der Welt sprichst: Du wirst mir Unterricht in der Grammatik und in der schönen Sprache geben, während ich die Rückkehr Deines Herrn erwarte.«
»Das ist nicht möglich, gnädiger Herr,« entgegnete Blaisois, »Ihr müßtet zu lange warten,«
»Er wird heute nicht zurückkommen?«
»Weder heute, noch morgen, noch übermorgen. Der Herr Graf hat eine Reise angetreten.«
»Eine Reise!« sagte d’Artagnan erstaunt, »Du erzählst mir da eine Fabel.«
»Gnädiger Herr, es ist die strengste Wahrheit, Der Herr Graf erwies mir die Ehre, mir das Haus zu empfehlen, und fügte mit seinem würdevollen und sanften Ton bei: »»Du sagst, ich reise nach Paris.««
»Nun gut!« rief d’Artagnan, »er reitet also gen Paris, das ist Alles, was ich wissen wollte; damit hättest Du anfangen sollen, Einfaltspinsel . . . Er hat zwei Stunden voraus?«
»Ja, gnädiger Herr.«
»Ich werde ihn bald eingeholt haben. Ist er allein?«
»Nein, gnädiger Herr.«
»Wer ist denn bei ihm?«
»Ein Edelmann, den ich nicht kenne, ein Greis und Herr Grimaud.«
»Das Alles wird nicht so schnell lausen als ich, und ich gehe,«
»Will mich der gnädige Herr einen Augenblick anhören?« sagte Blaisois, indem er sachte auf die Zügel des Pferdes drückte.
»Ja, wenn Du mir keine Phrasen machst, oder sie wenigstens rasch machst.«
»Nun, gnädiger Herr, das Wort Paris scheint mir nur ein Köder zu sein.«
»Oho!« rief d’Artagnan ernsthaft, ein Köder.«
»Ja, gnädiger Herr, und der Herr Graf geht nicht nach Paris, darauf wollte ich schwören.«
»Warum glaubst Du das?«
»Herr Grimaud weiß immer, wohin unser Herr geht, und er hatte mir versprochen, sobald man nach Paris gehen würde, ein wenig Geld mitzunehmen, das ich meiner Frau zukommen lasse.«
»Ah! Du hast eine Frau?«
»Ich hatte eine, sie war aus dieser Gegend, doch der Herr Graf fand sie schwatzhaft, und ich schickte sie nach Paris; das ist zuweilen unbequem, in andern Augenblicken aber sehr angenehm.«
»Ich verstehe; doch vollende: Du glaubst nicht, daß der Graf nach Paris geht?«
»Nein, gnädiger Herr, denn damit hätte Herr Grimaud sein Wort gebrochen, er wäre meineidig geworden, und das ist unmöglich.«
»Das ist unmöglich,« wiederholte d’Artagnan ganz träumerisch, weil er völlig überzeugt war. »Ich danke Dir, mein braver Blaisois.«
Blaisois verbeugte sich.
»Höre, Du weißt, daß ich nicht neugierig bin . . . Ich habe durchaus mit Deinem Herrn zu thun . . . Kannst Du nicht . . . Du, der Du so gut sprichst, mir durch ein ganz kleines Wörtchen begreiflich machen . . . Nur eine Sylbe, das Uebrige werde ich errathen.«
»Auf mein Wort, gnädiger Herr, ich könnte das nicht . . . Ich weiß gar nichts vom Zweck der Reise des Herrn Grafen . . . Was das Horchen an den Thüren betrifft, so ist mir das ungemein zuwider, und überdies ist es hier verboten.«
»Mein Lieber,« sagte d’Artagnan, »das ist ein schlimmer Anfang für mich. Doch gleichviel. Du weißt wenigstens die Zeit der Rückkehr des Grafen?«
»Eben so wenig als das Ziel seiner Reise.«
»Auf, Blaisois, auf, suche!«
»Der gnädige Herr zweifelt an meiner Aufrichtigkeit! Ah! der gnädige Herr betrübt mich sehr empfindlich!«
»Der Teufel hole Deine vergoldete Sprache!« brummte d’Artagnan. »Ein Bauernkerl mit einem einzigen Wort ist mehr werth! . . Gott befohlen!«
»Gnädiger Herr, ich habe die Ehre, Ihnen meinen Respect zu bezeigen.«
»Affe!« sagte d’Artagnan halblaut. »Der Bursche ist unerträglich.«
Er schaute das Haus noch einmal an, wandte sein Pferd um, und ritt weiter wie ein Mensch, dessen Geist durch keinen Aerger und durch keine Verlegenheit belästigt wird.
Als er am Ende der Mauer und den Nachschauenden aus dem Gesicht war, sprach er heftig aufathmend:
»Laß sehen, ist Athos zu Hause? Nein. Alle diese Taugenichtse, die im Hofe die Arme kreuzten, wären in vollem Schweiß gewesen, wenn sie der Herr hätte sehen können. Athos auf der Reise? . . . Das ist unbegreiflich. Ah bah! dieser ist teufelsmäßig geheimnißvoll . . . Und dann ist er nicht der Mann, den ich brauchte. Ich bedarf eines schlauen, ruhigen Geistes. Was ich will, findet sich in Melun, in einem gewissen mir bekannten Pfarrhaus. Fünf und vierzig Lieues, vier und ein halber Tag! Vorwärts, das Wetter ist schön und ich bin frei. Verschlingen wir den Raum.«
Und er setzte sein Pferd in Trab, nahm die Richtung gegen Paris, und stieg am vierten Tag nach seinem Wunsch in Melun ab.
D’Artagnan pflegte nie einen Menschen nach dem Weg oder um eine alltägliche Auskunft zu fragen. Bei dergleichen Dingen, wenn nicht ein sehr wesentlicher Irrthum zu befürchten war, verließ er sich auf seinen Scharfsinn, der ihn nie trügte, auf eine dreißigjährige Erfahrung, und auf die Gewohnheit, in den Physiognomien der Häuser wie in denen der Menschen zu lesen.
In Melun fand er sogleich das Pfarrhaus, ein reizendes Haus von rothem Backstein mit Gypsanwurf, mit Jungfernreben, die sich an den Dachrinnen hinrankten, und einem steinernen Kreuz. Aus der unteren Stube dieses Hauses drang ein Geräusch oder vielmehr ein Gemische von Stimmen hervor, ähnlich dem Gezwitscher der Vögelchen, wenn die Brut unter dem Flaum ausgeschlüpft ist. Eine von diesen Stimmen buchstabirte ganz deutlich das Alphabet. Eine fette und zugleich flötenartige Stimme zankte die Schwätzer und corrigirte die Fehler des Lesers.
D’Artagnan erkannte diese Stimme, und da das Fenster der unteren Stube offen war, so neigte er sich, noch zu Pferde sitzend, unter den Zweigen der Weinstöcke und der rothen Ranken der Jungfernreben und rief:
»Bazin, mein lieber Bazin, guten Morgen.«
Ein kurzer, dicker Mann mit glattem Gesicht und einem Schädel, der mit einem Kranze kurzgeschnittener grauer Haare geschmückt war, was eine Nachahmung der Tonsur bildete, stand auf, als er d’Artagnan hörte. Wir hätten nicht sagen sollen,
»Ihr!« sagte er, »Ihr, Herr d’Artagnan!«
»Ja, ich. Wo ist Aramis . . . nein, der Herr Chevalier d’Herblay . . . nein, ich irre mich abermals, der Herr Generalvicar?«
»Ah! gnädiger Herr,« antwortete Bazin voll Würde, »Monseigneur ist in seiner Diöcese.«
»Wie beliebt?« fragte d’Artagnan.
Bazin wiederholte seinen Satz.
»Ah! Aramis hat eine Diöcese?«
»Ja, gnädiger Herr, warum nicht?«
»Er ist also Bischof?«
»Woher kommt Ihr denn, daß Ihr das nicht wißt?« versetzte Bazin ziemlich unehrerbietig.
»Mein lieber Bazin, wir Heiden, wir Kriegsleute, wir wissen wohl, daß ein Mann Oberster, oder Chef eines Reiterregiments, oder Marschall von Frankreich ist, aber ob Einer Bischof, Erzbischof oder Papst, ist . . . der Teufel soll mich holen, wenn wir das eher erfahren, als bis drei Viertel der Erde ihren Nutzen daraus gezogen haben!«
»St! st!« sagte Bazin, die Augen aufreißend, »verderbt mir diese Kinder nicht, denen ich so gute Grundsätze einpräge.«
Die Kinder hatten sich wirklich um d’Artagnan gestellt, um sein Pferd, sein großes Schwert, seine Sporen und seine martialische Miene zu bewundern. Besonders aber bewunderten sie seine mächtige Stimme, so daß, als er seinen Schwur aussprach, die ganze Schule: »Der Teufel soll mich holen!« rief und dabei durch Gelächter, durch Jauchzen und Stampfen mit den Füßen einen Lärmen machte, bei dem sich der Musketier ganz behaglich fühlte, während der alte Pädagog darüber den Kopf verlor.
»Ruhig, stillgeschwiegen, ungezogene Brut!« sagte er . . . »Ah! nun, da Ihr gekommen seid, Herr d’Artagnan, entfliegen alle meine guten Grundsätze. Mit Euch reißt wie gewöhnlich die Unordnung wieder ein . . . Babel ist wiedergefunden . . . Ach! die Wüthenden! ah, guter Gott! welch ein Lärmen!«
Und der würdige Bazin theilte rechts und links Püffe aus, welche das Geschrei, die Natur desselben verändernd, mehr als verdoppelten.
»Ihr werdet wenigstens Niemand mehr hier verführen, mein Herr!« sagte er.
»Du glaubst?« erwiederte d’Artagnan mit einem Lächeln, bei dem Bazin ein Schauer über die Schultern lief.
»Er ist dazu fähig,« murmelte er.
»Wo ist die Diöcese Deines Herrn?«
»Monseigneur René ist Bischof von Vanne.«
»Wer hat ihn dazu ernennen lassen?«
»Der Herr Oberintendant, unser Nachbar.«
»Wie! Herr Fouquet?«
»Gewiß.«
»Aramis steht also gut mit ihm?«
»Monseigneur predigte alle Sonntage bei dem Herrn Oberintendanten in Vaux; dann jagten sie miteinander.«
»Ah!«
»Und Monseigneur arbeitete oft seine Homilien… nein, ich will sagen seine Predigten mit dem Herrn Oberintendanten aus.«
»Bah! dieser würdige Bischof predigt also in Versen?«
»Gnädiger Herr, scherzt um Gottes willen nicht über religiöse Dinge!«
»Gut, Bazin, gut. Somit ist Aramis in Vanne?«
»In Vanne in der Bretagne.«
»Du bist ein Duckmäuser, Bazin, das ist nicht wahr.«
»Seht selbst nach, die Zimmer des Pfarrhauses sind leer.«
»Er hat Recht,« sagte d’Artagnan das Haus betrachtend, das wirklich einsam und verlassen aussah.
»Aber Monseigneur mußte Euch wohl seine Beförderung schreiben?«
»Wann hat sie stattgefunden?«
»Vor einem Monat.«
»Ah! dann ist keine Zeit verloren. Aramis kann mich noch nicht nöthig gehabt haben. Aber, Bazin, warum folgst Du Deinem Hirten nicht?«
»Gnädiger Herr, ich kann nicht, ich habe Geschäfte.«
»Dein Alphabet?«
»Und meine Beichtkinder.«
»Wie! Du hörst Beichte? Du bist also Priester.«
»Es ist gerade, als ob ich es wäre. Ich habe so viel Beruf dazu.«
»Aber die Weihen?«
»Ah!« sprach Bazin mit würdevollem Ausdruck, »nun, da Monseigneur Bischof ist, werde ich schnell meine Weihen oder wenigstens meine Dispensationen haben.«
Und er rieb sich die Hände.
»Diese Leute sind offenbar nicht auszurotten,« sagte d’Artagnan zu sich selbst. Dann sprach er laut: »Laßt mir auftragen, Bazin.«
»Mit der größten Bereitwilligkeit, gnädiger Herr.«
»Fleischbrühe, ein Huhn und eine Flasche Wein.«
»Es ist heute Sonnabend, ein Fasttag also,« entgegnete Bazin.
»Ich habe eine Dispensation,« erwiederte d’Artagnan.
Bazin schaute ihn mit einer argwöhnischen Miene an,
»Ah! Meister Scheinheiliger, für wen hältst Du mich denn?« rief der Musketier; »wenn Du, der Du der Diener bist, auf Dispensation hoffst, um ein Verbrechen zu begehen, sollte ich, der Freund des Bischofs, keine Dispensation bekommen, um nach dein Belieben und Wunsche meines Magens an Fasttagen Fleisch zu essen? Bazin, sei liebenswürdiger gegen mich, oder, bei Gott! ich beklage mich beim König, und Du wirst nie Beichte hören. Du weißt, daß die Ernennung der Bischöfe dem König zukommt. Ich aber habe das Ohr des Königs und bin der Stärkere.«
Bazin lächelte heuchlerisch.
»Oh! wir haben den Herr Oberintendanten für uns, wir,« sagte er.
»Und Du kümmerst Dich also nichts um den König?«
Bazin antwortete nichts sein Lächeln war beredt genug.
»Mein Abendbrod,« sprach d’Artagnan. »Es geht auf sieben Uhr.«
Bazin wandte sich um und befahl dem Aeltesten von seinen Schülern, die Köchin zu benachrichtigen. D’Artagnan schaute mittlerweile das Pfarrhaus an.
»Puh! Monseigneur hat Seine Hochwürdigkeit hier sehr schlecht quartiert!« sagte er mit verächtlichem Tone.
»Wir haben das Schloß Vaux!« entgegnete Bazin.
»Das vielleicht so viel werth ist, als der Louvre,« sagte d’Artagnan höhnend.
»Mehr werth,« erwiederte Bazin mit der größten Kaltblütigkeit der Welt.
»Ah!« machte d’Artagnan.
Der Lieutenant hätte vielleicht den Streit fortgesetzt und für den Vorzug des Louvre gekämpft, aber er bemerkte, daß sein Pferd noch an einer Thüre angebunden war.
»Teufel!« sagte er, »laß doch für mein Pferd sorgen. Dein Herr, der Bischof, hat kein solches in seinen Ställen.«
Bazin warf einen schiefen Blick auf das Pferd und erwiederte:
»Der Herr Oberintendant hat ihm vier aus seinem Stalle geschenkt, und ein einziges von diesen vieren ist vier wie das Eurige werth.«
Das Blut stieg d’Artagnan ins Gesicht. Die Hand juckte ihn und er suchte auf dem Kopf von Bazin die Stelle, wohin seine Faust fallen sollte. Doch dieser Blitz ging vorüber, die Ueberlegung trat wieder ein und d’Artagnan sagte nur:
»Teufel! Teufel! ich habe wohl daran gethan, den Dienst des Königs zu verlassen. »Sprich, würdiger Bazin,« fügte er bei, »wie viel Musketiere hat der Herr Oberintendant?«
»Mit seinem Geld wird er alle Musketiere des Königreichs bekommen,« erwiederte Bazin, indem er sein Buch schloß und die Kinder mit Ruthenstreichen verabschiedete.
»Teufel! Teufel!« sagte d’Artagnan zum letzten Mal.
Und da man ihm meldete, es sei aufgetragen, folgte er der Köchin, die ihn in das Speisezimmer führte, wo das Abendbrot, seiner harrte.
D’Artagnan setzte sich zu Tische und griff das Huhn muthig an.
»Mir dünkt,« sagte d’Artagnan, während er kräftig in das Geflügel biß, das man ihm vorgesetzt und das man sichtbar zu mästen vergessen hatte, »mir dünkt, ich habe Unrecht gehabt, nicht sogleich Dienst bei diesem Herrn zu suchen. Dieser Oberintendant ist, wie es scheint, ein mächtiger Herr. In der That, wir wissen nichts, wir Leute bei Hof, und die Strahlen der Sonne verhindern uns, die großen Gestirne zu sehen, welche auch Sonnen sind, obschon ein wenig entfernter von unserer Erde.«
Da es d’Artagnan zu seinem Vergnügen und aus System ungemein liebte, die Leute über die Dinge, die ihn interessirten, plaudern zu machen, so gab er sich alle Mühe, Meister Bazin zum Sprechen zu bringen; doch das war rein vergebens: außer dem ermüdenden und übertriebenen Lob des Herrn Oberintendanten der. Finanzen gab Bazin, der auf seiner Hut war, der Neugierde von d’Artagnan durchaus nichts preis, als Plattheiten, weshalb d’Artagnan, hierüber schlechter Laune, schlafen zu gehen verlangte, sobald sein Mahl beendigt war.
D’Artagnan wurde von Bazin in ein ziemlich mittelmäßiges Zimmer geführt, wo er ein ziemlich schlechtes Bett fand. Man sagte ihm, Aramis habe die Schlüssel seiner Privatwohnung mitgenommen, und da er wußte, daß Aramis ein Mann von Ordnung war und gewöhnlich viele Dinge in seiner Wohnung zu verbergen hatte, so setzte ihn dies durchaus nicht in Erstaunen. Er griff also, obschon es ihm vergleichungsweise noch härter vorkam, das Bett ebenso muthig an, als er das Huhn angegriffen hatte, und da sein Schlaf so gut war als sein Appetit, so brauchte er kaum mehr Zeit, um zu entschlummern, als er gebraucht hatte, um den letzten Knochen seines Bratens auszusaugen.
Seitdem er bei Niemand mehr im Dienst stand, war es Vorsatz von d’Artagnan, einen ebenso harten Schlaf zu haben, als er früher einen leichten gehabt hatte; aber wie redlich und entschieden er auch diesen Vorsatz gefaßt, und wie groß sein Verlangen war, ihn gewissenhaft zu halten, er wurde dennoch mitten in der Nacht durch einen gewaltigen Lärmen von Wagen und berittenen Lackeien aufgeweckt. Eine plötzliche Beleuchtung überströmte die Wände seines Zimmers: er sprang im Hemd aus dem Bette und lief ans Fenster.
»Kommt der König zufällig zurück?« dachte er, sich die Augen ausreibend; »denn das ist in der That ein Gefolge, das nur einer königlichen Person gehören kann.«
»Es lebe der Herr Oberintendant!« rief oder schrie vielmehr an einem Fenster des Erdgeschosses eine Stimme, in welcher er die von Bazin erkannte, der, während er schrie, mit einer Hand ein Sacktuch schwang und in der andern einen großen Leuchter hielt.
D’Artagnan sah nun etwas wie eine glänzende menschliche Gestalt sich aus dem Schlage der HauptCarosse neigen; zu gleicher Zeit ließ ein, ohne Zweifel durch das seltsame Aussehen von Bazin erregtes, langes Gelächter, das aus derselben Carosse hervorkam, wenn man so sagen darf, einen freudigen Streifen auf dem Wege des raschen Zuges zurück.
»Ich hätte wohl sehen müssen, daß es nicht der König ist,« sagte d’Artagnan, »man lacht nicht so treuherzig, wenn der König vorüber kommt.«
»He! Bazin!« rief er seinem Nachbar zu, der sich zu drei Vierteln mit seinem Leibe aus dem Fenster neigte, um dem Wagen länger folgen zu können,
»He! was ist das?«
»Es ist Herr Fouquet,« antwortete Bazin mit einer Protectorsmiene.
»Und alle diese Leute?«
»Das ist der Hof von Herrn Fouquet.«
»Oho! was würde Herr von Mazarin sagen, wenn er das hörte!«
Und er legte sich ganz träumerisch wieder nieder und fragte sich, wie es komme, daß Aramis stets von den Mächtigsten des Reiches protegirt werde.
»Sollte er mehr Glück haben als ich, oder sollte ich dummer sein als er? – Bah!«
Dies war das Schlußwort, mit welchem d’Artagnan, weise geworden, nun jeden Gedanken und jede Periode seines Styls endigte. Früher sagte er: Mordioux, was ein Spornstreich war, aber nun, da er alt, murmelte er dieses philosophische Bah! das allen Leidenschaften als Ziel diente.
IV.
Als d’Artagnan sich überzeugt hatte, daß der Herr Generalvicar d’Herblay abwesend, und daß sein Freund weder in Melun, noch in der Gegend zu finden war, verließ er Bazin ohne Bedauern, schaute das prächtige Schloß Vaux, das in jener Herrlichkeit, die sein Ruin war, zu glänzen anfing, mit einem mürrischen Gesichte an, kniff sich die Lippen wie ein mißtrauischer, argwöhnischer Mensch, gab seinem Schecken die Sporen und sagte:
»Immerzu, in Pierrefonds werde ich abermals den besten Menschen und die beste Kasse finden. Ich brauche aber nichts Anderes, da ich einen Gedanken habe.«
Wir wollen den Leser mit den prosaischen Vorfällen von d’Artagnan verschonen, der Pierrefonds am Morgen des dritten Tages erreichte. D’Artagnan kam durch Manteuil-le-Haudouin und Crépy. Von ferne sah er das Schloß von Louis von Orleans, das, Krondomäne geworden, unter der Obhut eines alten Hausmeisters stand. Es war eines von den wunderbaren Herrenhäusern des Mittelalters mit zwanzig Fuß dicken Mauern und hundert Fuß hohen Thürmen.
D’Artagnan ritt an seinen Mauern hin, maß seine Thürme mit den Augen und stieg im Thal ab. Aus der Entfernung überschaute er das Schloß von Porthos, das am User eines großen Teiches lag und sich an einen herrlichen Wald anlehnte. Es ist dasselbe, das wir schon unsern Lesern zu beschreiben die Ehre gehabt haben, und wir beschränken uns daher darauf, es nur zu bezeichnen. Das Erste, was d’Artagnan nach den schönen Bäumen, nach der Maisonne, welche die grünen Hügel vergoldete, und nach den mit frischem Laub bedeckten Waldungen erblickte, die sich gegen Compiègne ausdehnen, war ein großer rollender Kasten, geschoben von zwei Lackeien und gezogen von zwei anderen. In diesem Kasten befand sich ein ungeheures grün und goldenes Ding, das geschoben und gezogen die lachenden Alleen des Parkes durchmaß. Von fern war dieses Ding unerklärbar und bedeutete durchaus nichts; betrachtete man es näher, so war es ein in grünes, mit Galonen besetztes Tuch gehülltes Faß; kam man noch näher, so erkannte man einen Menschen, dessen untere Extremität sich in dem Kasten ausbreitete und dessen Inhalt ausfüllte; am Ende aber war es Mousqueton, Mousqueton weiß von Haaren und roth von Gesicht wie Polichinelle.
»Bei Gott!« rief d’Artagnan, »es ist der liebe Herr Mouston.«
»Ah!« rief der Dicke, »ah! welch ein Glück! welche Freude! es ist Herr d’Artagnan! . . . haltet, Ihr Lümmel!«
Diese letzten Worte waren an die Lackeien gerichtet, die ihn zogen und schoben. Der Kasten hielt an, und mit einer ganz militärischen Pünktlichkeit nahmen die vier Lackeien gleichzeitig ihre galonnirten Hüte ab und stellten sich hinter dem Kasten auf.
»Ah! Herr d’Artagnan,« sprach Mousqueton, »warum kann ich nicht Eure Kniee umfassen! Aber ich bin, wie Ihr seht, unbeholfen geworden.«
»Ei! mein lieber Mousqueton, das macht das Alter.«
»Nein, gnädiger Herr, nicht das Alter, sondern die Gebresten, der Kummer.«
»Kummer! Ihr, Mousqueton!« sagte d’Artagnan, während er rings um den Kasten ging; »seid Ihr verrückt, mein lieber Freund? Gott sei Dank! Ihr befindet Euch wie eine dreihundertjährige Eiche!«
»Ah! die Beine, gnädiger Herr, die Beine!« entgegnete der treue Diener.
»Wie, die Beine!«
»Ja, sie wollen mich nicht mehr tragen.«
»Die undankbaren! Ihr nährt sie indessen gut, wie mir scheint, mein lieber Mousqueton.«
»Ach! ja, Sie haben mir in dieser Hinsicht keinen Vorwurf zu machen,« erwiederte Mousqueton mit einem Seufzer; »ich habe stets für meinen Körper gethan, was ich konnte, denn ich bin nicht selbstsüchtig.«
Und er seufzte abermals.
»Will Mousqueton auch Baron werden, daß er so seufzt?« dachte d’Artagnan.
»Mein Gott, gnädiger Herr,« sagte Mousqueton, sich einer peinlichen Träumerei entreißend, »wie glücklich wird es Monseigneur machen, daß Ihr an ihn gedacht habt.«
»Der gute Porthos!« rief d’Artagnan, »ich brenne vor Begierde, ihn zu umarmen!«
»Oh!« sprach Mousqueton gerührt, »ich werde es ihm ganz gewiß schreiben, gnädiger Herr.«
»Wie!« rief d’Artagnan, »Du wirst es ihm schreiben?«
»Heute noch, ohne Verzug.«
»Er ist also nicht hier?«
»Nein, gnädiger Herr.«
»Doch er ist in der Nähe? er ist nicht fern?«
»Ei! weiß ich es, gnädiger Herr, weiß ich es?« versetzte Mousqueton.
»Mordioux!« rief der Musketier, mit dem Fuß stampfend, »ich habe doch Unglück Porthos, der Stubenhocker!«
»Gnädiger Herr, es kann keinen Menschen geben, der so viel zu Hause ist, als Monseigneur . . . aber . . . «
»Was?«
»Wenn ein Freund dringt . . . «
»Ein Freund?«
»Ei! allerdings, der würdige Herr d’Herblay.«
»Aramis ist in Porthos gedrungen?«
»Hört, wie sich die Sache verhält, Herr d’Artagnan: Herr d’Herblay schrieb an Monseigneur . . . «
»Wahrhaftig!«
»Einen Brief, einen so dringlichen Brief, gnädiger Herr, daß hier Alles dadurch in Aufruhr gebracht wurde.«
»Erzähle mir das, mein Freund,« sagte d’Artagnan, »doch schicke zuvor diese Herren ein wenig weg.«
Mousqueton stieß ein: »Packt Euch, Ihr Schlingel!« mit einer so mächtigen Lunge aus, daß der, Hauch ohne die Worte genügt hätte, um die vier Lackeien wie Dunst verfliegen zu machen. D’Artagnan setzte sich auf die Deichsel des Kastens und öffnete seine Ohren.
»Gnädiger Herr,« sagte Mousqueton, »Monseigneur bekam also einen Brief vom Herrn Generalvicar d’Herblay . . . vor acht oder neun Tagen: es war am Tag der ländlichen Vergnügungen, ja, an einem Mittwoch folglich.«
»Wie so?« versetzte d’Artagnan; »am Tag der ländlichen Vergnügungen?«
»Ja, gnädiger Herr; wir hatten so viele Vergnügungen in dieser köstlichen Gegend, daß wir völlig damit überhäuft waren und uns genöthigt sahen, eine Vertheilung einzuführen.«
»Wie sehr erkenne ich hierin die Ordnungsliebe von Porthos. Mir wäre dieser Gedanke nicht gekommen. Es ist allerdings wahr, ich bin mit Vergnügungen nicht überhäuft.«
»Wir waren es,« sagte Mousqueton.
»Und wie habt Ihr das eingerichtet?» fragte d’Artagnan.
»Das ist ein wenig lang, gnädiger Herr.«
»Gleichviel, wir haben Zeit, und dann sprecht Ihr so gut, mein lieber Mousqueton, daß es eine wahre Freude ist. Euch anzuhören.«
»Es ist richtig,« sprach Mousqueton mit einem Zeichen der Zufriedenheit, welches offenbar davon herrührte, daß man ihm Gerechtigkeit widerfahren ließ; »es ist richtig, ich habe große Fortschritte in der Gesellschaft von Monseigneur gemacht.«
»Mousqueton, ich erwarte die Vertheilung der Vergnügungen und zwar mit Ungeduld; ich will wissen, ob ich an einem guten Tag angekommen bin.«
»Oh! Herr d’Artagnan,« erwiederte Mousqueton schwermüthig, »seitdem Monseigneur abgereist ist, sind alle Vergnügungen entflohen.«
»Nun, mein lieber Mousqueton, sammelt Eure Erinnerungen.«
»Mit welchem Tag wollen wir anfangen?«
»Fangt mit dem Sonntag an, das ist der Tag des Herrn.«
»Mit dem Sonntag, Herr d’Artagnan?«
»Ja.«
»Sonntag, religiöse Vergnügungen: Monseigneur geht in die Messe, nimmt das geweihte Brod und läßt sich von seinem gewöhnlichen Geistlichen Predigten halten und Lehren geben. Das ist nicht sehr belustigend; doch wir erwarten einen Carmeliter von Paris, der unsere Pfarrei versehen wird, und der sehr gut spricht, wie man versichert; das wird uns aufwecken, denn der gegenwärtige Pfarrer schläfert uns ein. Am Sonntag also religiöses Vergnügen. Am Montag weltliche Vergnügungen.«
»Ah! ah!« sagte d’Artagnan, »was verstehst Du darunter, Mousqueton? Laß ein wenig hören, wie diese weltlichen Vergnügungen beschaffen sind.«
»Gnädiger Herr, am Montag gehen wir in Gesellschaft, wir empfangen, wir machen Besuche; man spielt Laute, man tanzt, man macht Reime nach vorgeschriebenen Sylben oder verbrennt endlich ein wenig Weihrauch zu Ehren der Damen.«
»Teufel!» rief der Musketier, der die ganze Stärke seiner Beugemuskeln zu Hilfe rufen mußte, um eine ungeheure Lust zum Lachen zu. unterdrücken, »Teufel! das ist äußerst galant.«
»Dienstag, gelehrte Vergnügungen.«
»Ah! gut!« sagte d’Artagnan, »wie sind diese? setze mir das ein wenig auseinander, mein lieber Mousqueton.«
»Monseigneur hat eine Weltkugel gekauft, die ich Euch zeigen werde; sie füllt den ganzen Umfang des großen Thurmes, mit Ausnahme einer Gallerie, die er über der Kugel hat bauen lassen; es sind Bindfaden und Messingdrähte da, an welchen man die Sonne und den Mond angehängt hat. Das dreht sich und ist sehr schön. Monseigneur zeigt mir die Meere und die entfernten Länder; wir versprechen uns, nie dahin zu gehen. Das ist voll Interesse.«
»Voll Interesse, ganz richtig,« wiederholte d’Artagnan. »Und am Mittwoch?«
»Am Mittwoch ländliche Vergnügungen, wie ich Euch schon zu sagen die Ehre gehabt habe: wir schauen die Schafe und Ziegen von Monseigneur an; wir lassen die Schäferinnen bei Schallmeien und Sackpfeifen tanzen, wie in einem Buch geschrieben ist, das Monseigneur in seiner Bibliothek besitzt und das den Titel halt:
»Herr Racan vielleicht?«
»So ist es, Herr Racan. Doch das ist noch nicht Alles. Wir fischen mit der Leine in dem kleinen Canal, wonach wir mit Blumen bekränzt zu Mittag speisen. Dies für den Mittwoch.«
»Teufel!« sagte d’Artagnan, »der Mittwoch ist nicht schlecht eingetheilt. Und der Donnerstag? was kann dem armen Donnerstag bleiben?«
»Er ist nicht unglücklich, gnädiger Herr,« erwiederte Mousqueton lächelnd. »Am Donnerstag olympische Spiele. Ah! gnädiger Herr, das ist herrlich! Wir lassen alle jungen Vasallen von Monseigneur kommen sie werfen die Scheibe, sie ringen, sie kämpfen, sie halten Wettläuse. Monseigneur läuft nicht mehr, ich auch nicht. Aber Monseigneur wirft die Scheibe wie kein Anderer. Und wenn er einen Faustschlag gibt, o welch ein Unglück!«
»Wie, welch ein Unglück?«
»Ja, gnädiger Herr, man ist genöthigt gewesen, auf den Streithandschuh Verzicht zu leisten: er zerschmetterte die Schädel, zerbrach die Kinnbacken, drückte die Brust ein. Das ist ein reizendes Spiel, aber Niemand wollte es mehr mit ihm spielen.«
»Also das Faustgelenke . . . «
»Oh! gnädiger Herr, das ist solider als je. Monseigneur läßt in den Beinen ein wenig nach, er gesteht es selbst; doch das hat sich in die Arme geflüchtet.«
»So daß er wie früher Ochsen niederschlägt?«
»Noch besser, Herr d’Artagnan, er drückt Mauern ein. Kürzlich, nachdem er bei einem seiner Pächter zu Nacht gegessen hatte, Ihr wißt, wie populär und gut Monseigneur ist, nach dem Nachtessen, sage ich, macht er den Spaß und gibt der Mauer einen Faustschlag, Die Mauer stürzt ein, das Dach sinkt nach und drei Männer und eine alte Frau sind erstickt.«
»Guter Gott! Mousqueton, und Dein Herr?«
»Oh! Herr d’Artagnan, ihm wurde nur der Kopf ein wenig geschunden. Wir machten ihm Umschläge auf dem wunden Fleisch mit einem Wasser, das uns die Nonnen gaben. Doch nichts an der Faust.«
»Nichts?«
»Gar nichts, Herr d’Artagnan.«
»Genug mit den olympischen Spielen! sie müssen zu theuer zu stehen kommen, denn die Witwen und die Waisen . . . «
»Man gibt ihnen Pension, gnädiger Herr; ein Zehntel vom Einkommen von Monseigneur wird dazu verwendet.«
»Gehen wir auf den Freitag über,« sagte d’Artagnan.
»Am Freitag edle und kriegerische Vergnügungen. Wir jagen, wir üben uns in den Waffen, wir richten Falken ab, wir reiten Pferde zu. Der Samstag ist der Tag der geistigen Vergnügungen: wir rüsten unsern Geist aus, wir schauen die Gemälde und die Statuen von Monseigneur an; wir schreiben sogar und zeichnen Pläne; wir schießen endlich mit den Kanonen von Monseigneur.«
»Ihr zeichnet Pläne und brennt die Kanonen ab?«
»Ja, gnädiger Herr.«
»Mein Freund,« sagte d’Artagnan, »Herr du Vallon besitzt in der That den schärfsten und liebenswürdigsten Geist, den ich kenne; doch es gibt eine Art von Vergnügungen, die Ihr, wie mir scheint, vergessen habt.«
»Welche, gnädiger Herr?« fragte Mousqueton ängstlich.
»Die materiellen Vergnügungen.«
Mousqueton erröthete.
»Was versteht Ihr hierunter, Herr d’Artagnan?« sagte er, die Augen niederschlagend.
»Ich verstehe darunter die Tafel, den guten Wein, den Abend mit dem Kreisen der Flasche ausgefüllt.«
»Ah! gnädiger Herr, diese Vergnügungen zählen nicht, denn wir treiben sie alle Tage.«
»Mein braver Mousqueton,« sagte d’Artagnan, »verzeih mir, ich war dergestalt von Deiner reizenden Erzählung in Anspruch genommen, daß ich darüber den Hauptpunkt unseres Gespräches vergaß, nämlich den, daß ich wissen wollte, was der Herr Generalvicar d’Herblay Deinem Herrn geschrieben haben mochte.«
»Es ist wahr, Herr d’Artagnan, die Vergnügungen haben uns zerstreut. Nun, so hört, wie die Sache sich verhält.«
»Ich höre, mein lieber Mouston.«
»Am Mittwoch . . . «
»Am Tage der ländlichen Vergnügungen?«
»Ja . . . am Mittwoch kommt ein Brief, er empfängt ihn aus meinen Händen. Ich hatte die Schrift erkannt.«
»Nun?«
»Monseigneur liest ihn und ruft: »»Geschwinde, meine Pferde! meine Waffen!««
»Ah! mein Gott!« sagte d’Artagnan, »abermals ein Duell?«
»Nein, gnädiger Herr; der Brief enthielt nur die Worte: »»Lieber Porthos, begebt Euch auf den Weg, wenn Ihr vor Nachtgleiche ankommen wollt. Ich erwarte Euch.««
»Mordioux!« murmelte d’Artagnan träumerisch, »das ist dringend, wie es scheint.«
»Ich glaube wohl . . . Und so reiste Monseigneur noch an demselben Tag mit seinem Secretaire ab, um wo möglich zu rechter Zeit einzutreffen.«
»Und er ist wohl zu rechter Zeit angekommen?«
»Ich hoffe es. Monseigneur, der, wie Ihr wißt, sehr rüstiger Natur ist, wiederholte unabläßig: »»Donner Gottes, was ist denn das, Nachtgleiche? Teufel! das muß gut beritten sein, wenn es vor mir ankommen soll.««
»Und Du glaubst, daß Porthos zuerst eingetroffen ist?« fragte d’Artagnan.
»Ich bin dessen sicher. Nachtgleiche, so reich das auch sein mag, hat gewiß keine Pferde, wie Monseigneur.«
D’Artagnan bezwang seine Lachlust, weil ihm die Kürze des Briefes von Aramis viel zu denken gab. Er folgte Mousqueton, oder vielmehr dem Karren von Mousqueton bis ins Schloß und setzte sich an eine üppig bestellte Tafel, deren Honneurs man ihm wie einem König machte. Doch er vermochte nicht mehr aus Mousqueton herauszubringen. Der treue Diener weinte nach Herzenslust und das war Alles.
Nachdem d’Artagnan eine Nacht in einem vortrefflichen Bett zugebracht hatte, träumte er viel über den Sinn des Briefes von Aramis, beunruhigte er sich über die Beziehungen der Nachtgleiche zu den Angelegenheiten von Porthos, und da er nichts begriff, wenn nicht, daß es sich um ein Liebschäftchen des Bischofs handelte, für welches die Tage nothwendig den Nächten gleich sein müßten, so verließ d’Artagnan Pierrefonds, wie er Melun, wie er das Schloß des Grafen de la Fère verlassen hatte. Dies geschah jedoch nicht ohne eine Schwermuth, welche mit Fug und Recht für eine der düstersten Launen von d’Artagnan gelten konnte. Den Kopf gesenkt, das Auge stier, ließ er seine Beine auf beiden Seiten seines Pferdes herabhängen und sagte zu sich selbst in jener schwankenden Träumerei, welche zuweilen bis zur erhabensten Beredtsamkeit aufsteigt:
»Keine Freunde, keine Zukunft, nichts mehr! Meine Kräfte sind gebrochen, wie der Bund unserer vergangener Freundschaft! Oh! das Alter kommt, kalt, unerbittlich; es hüllt in seinen Trauerflor Alles, was in meiner Jugend glänzte, duftete; dann wirft es diese sanfte Bürde auf seine Schulter und trägt sie mit dem Uebrigen in den bodenlosen Abgrund des Todes.«
Ein Schauer schnürte dem Gascogner, der gegen alle Unglücksfälle des Lebens so stark und muthig war, das Herz zusammen, einige Augenblicke schienen ihm die Wolken schwarz, kam ihm die Erde schlüpfrig und thonig vor, wie die der Friedhöfe.
»Wohin gehe ich? . . . « sagte er zu sich selbst; »was will ich machen? . . . Allein, ganz allein, ohne Familie, ohne Freunde . . . Bah!« rief er plötzlich.
Und er gab beide Sporen seinem Rosse, das, da es keine Schwermuth in dem kräftigen Hafer von Pierrefonds gefunden hatte, die Erlaubniß benützte, seine Heiterkeit durch ein Galopptempo zu zeigen, welches zwei Meilen fortwährte.
»Nach Paris!« sagte d’Artagnan zu sich selbst.
Und am andern Tag stieg er in Paris ab.
Er hatte zehn Tage zu dieser Reise gebraucht.
V.
Der Lieutenant stieg vor einem Laden der Rue des Lombards mit dem Schild zum goldenen Mörser ab. Ein Mann von gutem Aussehen, der eine weiße Schürze trug und seinen grauen Schnurrbart mit einer dicken, kräftigen Hand streichelte, stieß einen Freudenschrei aus, als er den Schecken erblickte.
»Herr Chevalier,« sagte er, »ah! Ihr seid es.«
»Guten Morgen, Planchet,« erwiederte d’Artagnan, der sich bückte, um in den Laden einzutreten.
»Geschwinde, herbei, Ihr Leute,« rief Planchet, »Einer für das Pferd von? Herrn d’Artagnan, Einer für sein Zimmer, Einer für sein Abendbrod!«
»Ich danke, Planchet, guten Morgen, meine Kinder,« sagte d’Artagnan zu den eifrigen Ladenburschen.
»Ihr erlaubt, daß ich diesen Kaffee, diesen Zuckersyrup und diese gekochten Weinbeeren besorge?« sagte Planchet, »sie sind für die Küche des Herrn Oberintendanten bestimmt.«
»Besorge es immerhin.«
»Es ist in einem Augenblick geschehen, dann speisen wir zu Nacht.«
»Mache, daß wir allein speisen,« sagte d’Artagnan, »ich habe, mit Dir zu sprechen.«
Planchet schaute seinen ehemaligen Herrn auf eine bezeichnende Weise an.
»Oh! sei unbesorgt, es ist nur Angenehmes,« bemerkte d’Artagnan.
»Desto besser! desto besser.«
Und Planchet athmete, während d’Artagnan sich ganz einfach im Laden auf einen Ballen Pfröpfe setzte und sich die Oertlichkeit betrachtete . . . Der Laden war gut ausgestattet! man athmete den Duft von Ingwer, Zimmt und gemahlenem Pfeffer ein, der d’Artagnan niesen machte.
Glücklich, an der Seite eines so berühmten Kriegsmannes, eines Lieutenants der Musketiere zu sein, der der Person des Königs nahe stand, arbeiteten die Ladenbursche mit einer Begeisterung, die an Wahnsinn grenzte, und bedienten die Kunden mit einer verächtlichen Hast, welche mehr als einem derselben auffiel.
Planchet strich das Geld ein und machte seine Rechnungen, in denen er sich durch Artigkeiten unterbrach, welche an die Person seines alten Herrn adressirt waren. Planchet bediente sich gegen seine Kunden der kurzen Sprache und der stolzen Vertraulichkeit des reichen Kaufmanns, der Jedermann bedient, aber Niemand erwartet. D’Artagnan bemerkte dieses Benehmen mit einem Vergnügen, das wir später auseinandersetzen werden. Er sah allmälig die Nacht kommen, und endlich führte ihn Planchet in ein Zimmer des ersten Stocks, wo unter Ballen und Kisten ein sehr reinlich gedeckter Tisch die zwei Gäste erwartete.
D’Artagnan benützte einen Augenblick des Zögerns, um Planchet anzuschauen, den er seit einem Jahr nicht gesehen hatte. Der verständige Planchet hatte an Bauch zugenommen, aber sein Gesicht war nicht aufgedunsen. Sein glänzender Blick spielte noch mit Leichtigkeit in seinen tiefen Augenhöhlen, und das Fett, das alle charakteristischen Erhabenheiten des menschlichen Gesichtes nivellirt, hatte weder seine hervorspringenden Backenknochen, das Merkmal der List und der Gierde, noch sein spitziges Kinn, das Merkmal der Schlauheit und Beharrlichkeit, erreicht. Planchet thronte mit eben so viel Majestät im Speisezimmer, als im Laden. Er bot seinem ehemaligen Herrn ein einfaches Mahl, aber ein Pariser Mahl: den Braten, im Ofen des Bäckers fertig gemacht, mit den Gemüsen, den Salat und den Nachtisch aus dem Laden selbst genommen. D’Artagnan war sehr zufrieden, daß der Spezereihändler hinter einem Fasse eine Flasche Anjou-Wein hervorzog, was während des ganzen Lebens von d’Artagnan dessen Lieblingswein gewesen.
»Früher, gnädiger Herr,« sagte er mit einem treuherzigen Lächeln, »früher war ich es, der Euren Wein trank, nun seid Ihr es, der den meinen trinkt.«
»Und, Gott sei Dank, Planchet, ich werde ihn, wie ich hoffe, noch lange trinken, denn jetzt bin ich frei.«
»Frei! Ihr habt einen Urlaub, Herr?«
»Einen unbeschränkten!«
»Ihr verlaßt den Dienst?« fragte Planchet erstaunt.
»Ja, ich ruhe aus.«
»Und der König?« rief Planchet, der nicht glauben konnte, der König vermöchte der Dienste eines Mannes wie d’Artagnan zu entbehren.
»Der König wird anderswo sein Glück suchen . . . Doch wir haben gut zu Nacht gespeist, Du bist in der Laune guter Einfälle, Du regst mich an, Dir Mittheilungen zu machen, öffne Deine Ohren.«
»Ich öffne.«
Und Planchet öffnete mit einem mehr treuherzigen, als boshaften Lächeln eine Flasche weißen Wein.
»Laß mir nur meinen Verstand.«
»Oh! wenn Ihr den Kopf verliert, gnädiger Herr . . . «
»Nun gehört mein Kopf mir, Planchet, und ich gedenke ihn mehr als je zu schonen. Sprechen wir zuerst von den Finanzen . . . Wie befindet sich mein Geld?«
»Vortrefflich, Herr. Die zwanzigtausend Livres, die ich von Euch erhalten habe, sind immer noch in meinem Geschäft angelegt und tragen neun Procent. Ich gebe Euch sieben davon und gewinne auf Euch.«
»Und Du bist immer noch zufrieden?«
»Entzückt . . . Ihr bringt mir weitere?«
»Etwas Besseres . . . Aber brauchst Du denn?«
»Oh! nein . . . Jeder will mir gegenwärtig anvertrauen . . . Ich dehne meine Geschäfte aus.«
»Das war Dein Plan.«
»Ich mache ein wenig Banque . . . Ich kaufe Waaren von meinen hilfsbedürftigen Zunftgenossen, ich leihe denjenigen Geld, welche wegen der Zahlungen, die sie zu leisten haben, in Verlegenheit sind . . . «
»Ohne Wucher?«
»Oh! Herr, in der vorigen Woche habe ich zwei Duelle hinter dem Boulevard wegen des Wortes gehabt, das Ihr so eben ausgesprochen.«
»Wie so?«
»Ihr, werdet das sogleich verstehen: es handelt sich um ein Anlehen. Der Entlehner gibt mir als Unterpfand Cassonadzucker, mit der Bedingung, daß ich diesen verkaufen könnte, wenn die Heimbezahlung innerhalb einer bestimmten Frist nicht stattfinden würde. Ich leihe ihm tausend Livres. Er bezahlt nicht; ich verkaufe den Cassonadzucker um dreizehnhundert Livres. Er erfährt es und verlangt hundert Thaler. Meiner Treue, ich weigere mich, sie ihm zu geben, unter dem Vorwand, ich könne die Waare nur um neunhundert Livres verkaufen. Er sagt mir, ich treibe Wucher. Ich bitte ihn, mir das hinter dem Boulevard zu wiederholen. Es ist ein ehemaliger Garde, er kommt, und ich renne ihm Euren Degen durch den linken Schenkel.«
»Alle Wetter! was für eine Banque machst Du!«
»Bei den dreizehn Procent schlage ich mich noch obendrein . . . das ist mein Charakter.«
»Nimm nur zwölf und nenne den Rest Prämie und Maklerlohn.«
»Ihr habt Recht, gnädiger Herr. Doch Eure Angelegenheit?«
»Ah! Planchet, das ist sehr lang und sehr schwer zu sagen,«
»Sagt es immerhin.«
D’Artagnan kratzte sich am Schnurrbart, wie ein Mensch, der über das Geständniß, das er machen will, in Verlegenheit ist, und demjenigen, welchem er es machen soll, mißtraut.
»Es ist eine Anlage?«
»Ja.«
»Von schönem Ertrag.«
»Von sehr schönem Nutzen: vierhundert Procent, Planchet.«
Planchet schlug so gewaltig mit der Faust auf den Tisch, daß die Flaschen aufsprangen, als ob sie Angst hätten.
»Ist das bei Gott möglich?«
»Ich glaube, es wird mehr sein,« erwiederte d’Artagnan, »doch ich sage lieber weniger.«
»Ah! Teufel!« rief Planchet näher hinzurückend . . . »Aber, gnädiger Herr, das ist prächtig! Kann man viel Geld dabei anlegen?«
»Jeder zwanzigtausend Livres, Planchet.«
»Das ist Euer ganzes Haben. Auf wie lauge?«
»Auf einen Monat.«
»Und das wird uns eintragen?«
»Jedem fünfzigtausend Livres; rechne.«
»Das ist ungeheuer! . . . Man wird sich gut schlagen müssen . . . um einen solchen Preis.«
»Ich glaube in der That, daß man sich nicht schlecht wird schlagen müssen,« erwiederte d’Artagnan mit derselben Ruhe. »Doch diesmal sind wir zu zwei, und ich übernehme die Streiche für mich allein.«
»Gnädiger Herr, ich werde es nicht dulden.«
»Planchet, Du kannst nicht dabei sein, Du müßtest Deinen Handel verlassen.«
»Das Geschäft wird nicht in Paris gemacht?«
»Nein.«
»Ah! im Ausland?«
»In England.«
»Land der Speculationen, es ist wahr,« sagte Planchet; »ein Land, das ich genau kenne. Ohne neugierig zu sein, erlaube ich mir doch zu fragen, was für eine Art von Geschäften es ist?«
»Es ist eine Restauration.«
»Von Denkmalen?«
»Ja, von Baudenkmalen. Wir werden White-Hall restauriren.«
»Das ist bedeutend . . . Und in einem Monat, glaubt Ihr?«
»Ich übernehme es.«
»Es ist Eure Sache, gnädiger Herr, und sobald Ihr Euch einmal damit besaßt . . . «
»Ja, das ist meine Sache . . . ich bin ganz unterrichtet . . . Dennoch frage ich Dich gern um Rath.«
»Viel Ehre . . . doch ich verstehe mich schlecht auf Architektur.«
»Planchet, Du hast Unrecht, Du bist ein vortrefflicher Baumeister . . . eben so gut als ich bei dem, wovon die Rede ist.«
»Ich danke . . . «
»Ich gestehe, ich war versucht, die Sache den bewußten Herren anzubieten, aber sie sind von ihren Häusern abwesend . . . Das ist ärgerlich, ich kenne keine kühnere, geschicktere . . . «
»Ah! wie es scheint, wird eine Concurrenz eintreten und das Unternehmen streitig gemacht werden?«
Oh! . . ja, Planchet, ja! . . . «
»Ich brenne vor Begierde, etwas Näheres zu hören.«
»Gut . . . ; schließe zuvor alle Thüren.«
»Ja, gnädiger Herr.«
Und Planchet schloß sich, den Schlüssel dreimal umdrehend, ein.
»Gut . . . nun setze Dich zu mir.«
Planchet gehorchte.
»Doch öffne auch das Fenster, das Geräusch der Vorübergehenden und der Wagen wird alle diejenigen taub machen, die uns hören könnten.«
Planchet öffnete das Fenster, wie man es ihn hieß, und die Strömung des Geräusches, die sich im Innern fing, – Schreien, Bellen, Räder, Tritte, – betäubte selbst d’Artagnan, wie er es gewünscht hatte. Da trank er ein Glas weißen Wein und fing mit folgenden Worten an:
»Planchet, ich habe einen Gedanken.«
»Ah! gnädiger Herr, daran erkenne ich Euch,« sagte der Spezereihändler, schnaubend vor Ungeduld.
VI.
Nach einem Augenblick, in welchem er nicht nur einen Gedanken, sondern alle seine Gedanken zu sammeln schien, fuhr d’Artagnan fort:
»Mein lieber Planchet, Du mußt wohl von Seiner Majestät König Karl I. von England haben sprechen hören?«
»Leider, ja, gnädiger Herr, denn Ihr habt Frankreich verlassen, um ihm Hilfe zu leisten, doch er fiel trotz dieser Hilfe und hätte Euch beinahe in seinen Sturz hineingerissen.«
»Ganz richtig, ich sehe, daß Du ein gutes Gedächtniß hast, Planchet.«
»Pest! gnädiger Herr, man müßte sich wundern, wenn ich dieses Gedächtniß, so schlecht es auch wäre, verloren hätte. Hat man Grimaud, der, wie Ihr wißt, nicht besonders viel erzählt, erzählen hören, wie der Kopf von König Karl gefallen ist, wie Ihr eine halbe Nacht in einem minirten Schiffe gefahren seid und den guten Herrn Mordaunt, einen gewissen Dolch mit goldenem Heft in der Brust, habt auf das Wasser zurückkommen sehen, so vergißt man dergleichen Dinge nicht.«
»Es gibt doch wohl Menschen, die sie vergessen, Planchet.«
»Ja, diejenigen, welche sie nicht gesehen haben oder nie von Grimaud erzählen hörten.«
»Nun, desto besser, da Du Dich aller dieser Dinge entsinnst, so brauche ich Dich nur an Eines zu erinnern, daran, daß König Karl I. einen Sohn hatte.«
»Er hatte sogar zwei, ohne Euch Lügen strafen zu wollen, Herr,« entgegnete Planchet, »denn ich habe den zweiten, den Herrn Herzog von York, eines Tags in Paris gesehen, als er sich in’s Palais-Royal begab, und man versicherte mich damals, es wäre dies der zweite Sohn von König Karl I. Was den ältesten betrifft, so habe ich nur die Ehre, ihn dem Namen nach, nicht aber von Gesicht zu kennen.«
»Das ist es gerade, worauf wir kommen müssen, Planchet: nämlich auf den ältesten Sohn, der früher Prinz von Wales hieß und sich nun Karl II. König von England nennt.«
»König ohne Königreich, Herr,« sprach Planchet mit gewichtiger Miene.
»Ja, Planchet, und Du kannst beifügen, ein unglücklicher Prinz, unglücklicher, als ein in dem elendesten Quartier von Paris verlorener Mensch aus dem Volk.«
Planchet machte eine Geberde voll jenes alltäglichen Mitleids, das man den Fremden bewilligt, von denen man denkt, man werde nie mit ihnen in Berührung kommen. Dabei sah er in dieser politisch sentimentalen Operation keinen Handelsgedanken von Herrn d’Artagnan zum Vorschein kommen, und ein solcher Gedanke war es hauptsächlich, worauf er wartete. D’Artagnan, der die Dinge und die Menschen zu begreifen gewohnt war, begriff auch Planchet.
»Ich komme zur Sache,« sagte er. »Dieser junge Prinz, dieser König ohne Königreich, wie Du richtig bemerktest, hat mich sehr interessirt. Ich, d’Artagnan, habe ihn bei Mazarin, der ein Knauser, um Beistand, bei Ludwig, der ein Kind ist, um Hilfe stehen sehen, und mir, der ich mich darauf verstehe, kam es vor, als ob in diesem verständigen Auge des entsetzten Königs, in dem Adel seiner ganzen Person, der über all seinem Unglück oben schwimmen geblieben ist, Stoff zu einem Mann von Herz und zu einem König läge.«
Planchet billigte stillschweigend: dies Alles gab, wenigstens in seinen Augen, noch keine Aufklärung über die Idee von d’Artagnan. Der Musketier fuhr fort:
»Ich habe nun folgendermaßen geurtheilt. Höre wohl, Planchet, denn wir nähern uns dem Schluß.«
»Ich höre.«
»Die Könige sind nicht so dicht auf der Erde gesät, daß sie die Völker da finden, wo sie ihrer bedürfen. Dieser König ohne Königreich aber ist meiner Ansicht nach ein vorbehaltenes Korn, das in irgend einer Jahreszeit zur Blüthe gelangen muß, vorausgesetzt, daß es eine geschickte, discrete und kräftige Hand, den Boden, den Himmel und den Zeitpunkt auswählend, einsät.«
Planchet billigte immer mit dem Kopf, und dies bewies, daß er immer noch nicht begriff.
»Armes, kleines Königskorn! sagte ich zu mir selbst, und in der That, ich war wirklich gerührt, Mancher, was mich auf den Gedanken bringt, ich gehe mit einer Dummheit um, und deshalb wollte ich Dich um Rath fragen, mein Freund.«
Planchet erröthete vor Vergnügen und Stolz.
»Armes, kleines Königskorn! ich hebe dich auf und will dich in eine gute Erde werfen.«
»Ah! mein Gott,« rief Planchet, indem er seinen alten Herrn starr anschaute, als zweifelte er an dem Zustand seiner Vernunft.
»Nun, was?« fragte d’Artagnan, »was verletzt Dich?«
»Mich, nichts, gnädiger Herr.«
»Du hast gesagt: »»Ah! mein Gott!««
»Ihr glaubt?«
»Ich bin dessen sicher. Solltest Du schon begreifen?«
»Ich gestehe, Herr d’Artagnan, ich habe bange . . . «
»Zu begreifen?«
»Ja.«
»Zu begreifen, ich wolle Karl II., der keinen Thron mehr hat, wieder den Thron besteigen machen? Ist es so?«
Planchet sprang auf eine ganz wunderbare Weise von seinem Stuhle auf und rief:
»Ah! ah! das nennt Ihr also eine Restauration?«
»Ja, Planchet, nennt man die Sache nicht so?«
»Allerdings, allerdings. Aber habt Ihr Euch auch wohl überlegt?«
»Was?«
»Das, was dort ist.«
»Wo?«
»In England.«
»Und was ist dort, Planchet?«
»Vor Allem, gnädiger Herr, bitte ich Euch um Verzeihung, wenn ich mich in diese Dinge mische, welche nichts mit meinem Handel gemein haben: doch da Ihr mir ein Geschäft vorschlagt . . . denn nicht wahr, Ihr schlagt mir ein Geschäft vor?«
»Ein herrliches, Planchet.«
»Doch da Ihr mir ein Geschäft vorschlagt, so habe ich das Recht, zu bestreiten.«
»Streite, Planchet; aus dem Streite geht das Licht hervor.«
»Nun wohl, da es mir der gnädige Herr erlaubt, so sage ich ihm, daß es dort vor Allem die Parlamente gibt.«
»Sodann die Armee.«
»Gut. Siehst Du noch etwas?«
»Hernach die Nation.«
»Ist das Alles?«
»Die Nation, welche zum Sturz und zur Enthauptung des seligen Königs, des Vaters von diesem, eingewilligt hat und sich nicht wird Lügen strafen wollen.«
»Planchet, mein Freund,« sprach d’Artagnan, »Du urtheilst wie ein Käse! Die Nation . . . die Nation ist müde dieser Herren, welche barbarische Namen führen und ihr Psalmen vorsingen. Wenn es einmal gesungen sein soll, mein lieber Planchet, so habe ich bemerkt, daß die Nationen lieber ein lustiges Lied als einen Choral singen. Erinnere Dich der Fronde, wie hat man damals gesungen? Und das war die gute Zeit!«
»Nicht zu sehr, nicht zu sehr, denn ich wäre beinahe gehenkt worden.«
»Aber man hat Dich wirklich gehenkt?«
»Nein.«
»Und unter all diesen Liedern hat Dein Glück seinen Anfang genommen.«
»Das ist wahr.«
»Du hast also nichts zu sagen?« »Doch! ich komme auf die Armee und die Parlamente zurück.«
»Ich habe gesagt, ich entlehne zwanzigtausend Livres von Herrn Planchet und ich füge zwanzigtausend Livres von meiner Seite bei; mit diesen vierzigtausend Livres bringe ich eine Armee auf die Beine.«
Planchet faltete die Hände; er sah, daß d’Artagnan ernsthaft war, und glaubte ganz treuherzig, sein Herr habe den Verstand verloren.
»Eine Armee! . . . ah! gnädiger Herr,« erwiederte er mit seinem freundlichsten Lächeln, aus Furcht, diesen Narren zu reizen und einen Wüthenden aus ihm zu machen. »Eine Armee . . . von wie viel?«
»Von vierzig Mann,« antwortete d’Artagnan.
»Vierzig gegen vierzigtausend, das ist nicht genug. Ich weiß wohl, Ihr seid für Euch allein so viel werth als tausend, Herr d’Artagnan; doch wo werdet Ihr neun und dreißig Männer finden, welche Euch an Werth gleichkommen, oder wenn Ihr sie findet, wer wird Euch das Geld geben, um sie zu bezahlen?«
»Nicht schlecht, Planchet. Ah! Teufel, Du wirst ein Höfling.«
»Nein, gnädiger Herr, ich sage, was ich denke, und deshalb sage ich, daß ich bange habe vor dem ersten regelmäßigen Treffen, das Ihr mit Euren vierzig Mann liefern werdet.«
»Ich werde auch kein regelmäßiges Treffen liefern, mein lieber Planchet,« erwiederte der Gascogner lachend. »Wir haben im Alterthum sehr schöne Beispiele von klugen Rückzügen und Märschen, welche darin bestanden, daß man den Feind vermied, statt ihn anzugreifen. Du mußt das wissen, Planchet, Du, der Du die Pariser an dem Tag befehligtest, wo sie sich hätten gegen die Musketiere schlagen sollen, und der Du die Märsche und Gegenmärsche damals so gut zu berechnen wußtest, daß Du die Place-Royale nicht verließest.«
Lachend erwiederte Planchet:
»Es ist wahr, wenn sich Eure vierzig Mann beständig verbergen, und wenn sie nicht ungeschickt sind, dürfen sie hoffen, nicht geschlagen zu werben; doch Ihr habt irgend ein Resultat im Auge?«
»Ohne allen Zweifel. Vernimm, welches Verfahren meiner Ansicht nach anzuwenden ist, um Seine Majestät König Karl II. rasch wieder auf den Thron zu bringen.«
»Gut!« rief Planchet, seine Aufmerksamkeit verdoppelnd, »laßt dieses Verfahren hören. Zuvor scheint mir aber, daß wir etwas vergessen.«
»Was?«
»Wir haben die Nation, welche lieber lustige Lieder als Psalmen singt, und die Armee, die wir nicht bekämpfen, beiseit gestellt; es bleiben jedoch noch die Parlamente, welche nicht singen.«
»Und die sich eben so wenig schlagen. Wie, Planchet, Du, ein Mann von Verstand, kümmerst Dich um einen Hausen solcher Schreier und Prahlhänse? Die Parlamente kümmern mich nichts.«
»Sobald sie Euch nichts kümmern, gehen wir darüber weg, gnädiger Herr.«
»Ja, und kommen wir zum Resultat. Du erinnerst Dich Cromwells, Planchet.«
»Ich habe viel von ihm reden hören, gnädiger Herr.«
»Es war ein gewaltiger Kriegsmann.«
»Und hauptsächlich ein furchtbarer Fresser.«
»Wie so?«
»Ja, er hat mit einem Mal England verschlungen.«
»Nun, Planchet, wenn Einer am Vorabend des Tages, wo er England verschlang, Herrn Cromwell verschlungen hätte?«
»Ah! Herr, es ist einer der ersten Grundsätze der Mathematik, daß das Enthaltende größer sein muß, als der Inhalt.«
»Sehr gut, Planchet! Das ist gerade unsere Angelegenheit.«
»Aber Herr Cromwell ist todt und sein Enthaltendes ist nun das Grab.«
»Mein lieber Planchet, ich sehe mit Vergnügen, daß Du nicht nur ein Mathematiker, sondern auch ein Philosoph geworden bist.«
»Gnädiger Herr, bei meinem Spezereigeschäft brauche ich viel gedrucktes Papier und dabei belehre ich mich.«
»Bravo! Dann weißt Du also, – denn Du hast die Mathematik und die Philosophie nicht ohne ein wenig Geschichte gelernt, – Du weißt, daß nach dem so großen Cromwell ein ganz kleiner gekommen ist.«
»Ja, der hieß Richard, und er hat es gemacht wie Ihr, Herr d’Artagnan, er hat seine Entlassung genommen.«
»Gut! sehr gut! Nach dem Großen, der gestorben ist, nach dem Kleinen, der seine Entlassung genommen hat, kam ein Dritter. Dieser heißt Herr Monk: das ist ein sehr gewandter General, denn er hat sich nie geschlagen; es ist ein sehr starker Diplomat, denn er spricht nie, und ehe er zu einem Menschen: Guten Morgen! sagt, denkt er zwölf Stunden nach und sagt am Ende: Guten Abend! was man dann als ein Wunder ausschreit, da es sich gerade richtig trifft.«
»Ich finde das in der That sehr stark,« sprach Planchet; »doch ich kenne einen andern Politiker, der eine große Aehnlichkeit mit diesem hat.«
»Nicht wahr. Herr von Mazarin?«
»Er selbst.«
»Du hast Recht, Planchet; nur trachtet Herr von Mazarin nicht nach dem Thron von Frankreich, und das ändert das Ganze, siehst Du? Nun also, diesen Herrn Monk, der England ganz gebraten auf seinem Teller hat und schon den Mund aufsperrt, um es zu verschlingen, diesen Herrn Monk, der zu den Leuten von Karl II. und zu Karl II. selbst sagt: Nescio vos . . . «
»Ich verstehe das Englische nicht.«
»Ja, aber ich verstehe es. Nescio vos bedeutet: Ich kenne Euch nicht. Diesen Herrn Monk, den gewichtigsten Mann von England, wenn er es verschlungen haben wird . . . «
»Nun?«
»Nun, mein Freund, ich gehe hinüber, und mit meinen vierzig Mann entführe ich ihn, packe ich ihn ein und bringe ihn nach Frankreich, wo sich meinen geblendeten Augen zwei Partien zeigen.«
»Und den meinigen!« rief Planchet ganz entzückt vor Begeisterung. »Wir sperren ihn in einen Käfig und zeigen ihn für Geld.«
»Was Du da gefunden hast, ist eine dritte Partie, an die ich nicht dachte.«
»Findet Ihr sie gut?«
»Ja, gewiß, doch ich halte die meinigen für besser.«
»Laßt die Eurigen hören.«
»1. Ich setze ihn auf Lösegeld.«
»Auf wie viel?’
»Teufel! ein Bursche dieser Art ist wohl hunderttausend Thaler werth.«
»Oder?«
»Oder, was noch besser ist, ich überliefere ihn König Karl, der, da er weder mehr einen Armeegeneral zu fürchten, noch einen Diplomaten zu überlisten hat, sich selbst wieder auf den Thron setzen und mir, sobald er darauf sitzt, die fraglichen hunderttausend Thaler bezahlen wird. Das ist der Gedanke, den ich gehabt habe; was sagst Du dazu, Planchet?«
»Herrlich, herrlich!« rief Planchet zitternd vor Aufregung. »Und wie ist Euch dieser Gedanke gekommen?«
»Er ist mir eines Morgens am User der Loire gekommen, während Ludwig XIV., unser König, Thränen auf der Hand von Fräulein von Mancini vergoß.«
»Gnädiger Herr, ich stehe Euch dafür, der Gedanke ist erhaben. Aber . . . «
»Ah! es gibt ein aber!«
»Verzeiht. Aber er ist ein wenig wie die Haut von jenem schönen Bären, Ihr wißt, die man verkaufen wollte, welche man jedoch zuvor von dem lebendigen Bären nehmen mußte. Um Herrn Monk zu fangen, wird es nicht ohne einen Kampf abgehen.«
»Allerdings. Doch da ich eine Armee anwerbe . . . «
»Ja, ja, ich verstehe, ein Handstreich. Oh! dann werdet Ihr siegen, gnädiger Herr, denn Niemand kommt Euch in solchen Treffen gleich.«
»Es ist wahr, ich habe Glück darin,« erwiederte d’Artagnan mit stolzer Einfachheit; »Du begreifst, wenn ich hierzu meinen theuren Athos, meinen braven Porthos und meinen schlauen Aramis hätte, so wäre die Sache abgemacht; doch sie sind verloren, wie es scheint, und Niemand weiß, wo man sie finden soll. Ich werde also den Schlag allein ausführen. Dünkt Dir nun das Geschäft gut und die Anlage vortheilhaft?«
»Zu sehr! zu sehr!«
»Warum dies?«
»Weil die schönen Dinge nie zu Stande kommen.«
»Diese Sache ist unfehlbar, und zum Beweis hierfür dient, daß ich mich selbst dazu verwende. Das wird für Dich ein ziemlich hübscher Gewinn und für mich ein ziemlich interessanter Streich sein. Man wird sagen: »»So war das Alter von Herrn d’Artagnan.«« Und ich bekomme einen Platz in den Geschichten und sogar in der Geschichte. Planchet, ich bin lüstern nach Ehre.«
»Gnädiger Herr,« rief Planchet, »wenn ich bedenke, daß hier bei mir, mitten unter meiner Cassonade, meinen gedörrten Pflaumen und meinem Zimmt dieser riesige Plan zur Reise kommt, so ist es mir, als wäre mein Laden ein Pallast.«
»Nimm Dich in Acht, Planchet, nimm Dich in Acht, wenn das Geringste hiervon ruchbar wird, erfolgt die Bastille für uns Beide; nimm Dich in Acht, Freund, denn wir machen ein Complott. Herr Monk ist der Verbündete von Herrn von Mazarin, nimm Dich in Acht!«
»Herr, wenn man die Ehre gehabt hat, Euch anzugehören, so weiß man nichts von Furcht, und wenn man sich des Vortheils erfreut, durch ein gemeinschaftliches Interesse mit Euch verbunden zu sein, so schweigt man.«
»Sehr gut, das ist noch mehr Deine Sache, als die meinige, insofern ich in acht Tagen in England sein werde.«
»Geht, gnädiger Herr, je eher, desto besser.«
»Das Geld ist also bereit?«
»Morgen soll es bereit sein, morgen werdet Ihr es aus meiner Hand empfangen. Wollt Ihr Gold oder Silber?«
»Gold, das ist bequemer; doch sprich, wie werden wir das einrichten?«
»Oh! mein Gott, auf die allereinfachste Weise, Ihr gebt mir nur einen Empfangschein.«
»Nein, nein,« entgegnete d’Artagnan, »es muß in allen Dingen Ordnung sein.«
»Das ist auch meine Ansicht . . . doch bei Euch, Herr d’Artagnan . . . «
»Aber wenn ich dort sterbe, wenn ich durch eine Musketenkugel getödtet werde, wenn ich zerplatze, weil ich Bier getrunken habe?«
»Glaubt mir, Herr, in diesem Fall wäre ich so über Euren Tod betrübt, daß ich nicht an das Geld dächte.«
»Ich danke, Planchet, doch das ändert nichts. Wir fassen, wie zwei Anwaltsschreiber, einen Vertrag ab, den man einen Gesellschaftsvertrag nennen könnte.«
»Gern, gnädiger Herr.«
»Ich weiß wohl, daß das schwer abzufassen ist, doch wir werden es versuchen.«
»Versuchen wir es.«
»Planchet, hole Feder, Tinte und Papier.«
D’Artagnan nahm die Feder, tauchte sie in die Tinte und schrieb:
»Die Summe von hundert und fünfzigtausend Livres,« sagte Planchet naiv, als er sah, daß d’Artagnan inne hielt.
»Ah! Teufel, wie?« rief d’Artagnan, »die Theilung kann nicht zur Hälfte stattfinden, das wäre nicht richtig.«
»Wir legen aber jeder die Hälfte ein,« entgegnete Planchet schüchtern.
»Ja, aber höre die Clausel, mein lieber Planchet, und findest Du sie nicht in jeder Hinsicht billig, wenn sie geschrieben ist, nun so streichen wir sie aus.«
Und d’Artagnan schrieb:
»Sehr gut!« rief Planchet.
»Ist das gerecht?« fragte d’Artagnan.
»Vollkommen gerecht.«
»Und Du wirst mit hunderttausend Livres zufrieden sein?«
»Bei Gott! ich glaube wohl. Hunderttausend Livres für zwanzigtausend!«
»Und verstehst Du wohl, in einem Monat.«
»Wie, in einem Monat?«
»Ja, ich verlange nicht mehr als einen Monat.«
»Herr d’Artagnan, ich gebe Euch sechs Wochen,« sagte Planchet großmüthig.
»Ich danke,« erwiederte höflich der Musketier.
Wonach die zwei Verbündeten die Urkunde noch einmal überlasen.
»Ganz vollkommen, gnädiger Herr,« sagte Planchet, »der selige Herr Coquenard, der erste Mann der Frau Baronin du Vallon, hätte es nicht besser machen können.«
»Findest Du? Nun! so wollen wir unterzeichnen.«
Und Beide unterzeichneten.
»Auf diese Art werde ich gegen Niemand eine Verbindlichkeit haben,« sagte d’Artagnan.
»Aber ich werde eine Verbindlichkeit gegen Euch haben,« erwiederte Planchet.
»Nein, denn so zärtlich ich auch an meiner Haut hänge, Planchet, so kann ich sie doch dort lassen, und dann verlierst Du Alles. Wetter! dabei fällt mir die Hauptsache ein, eine unerläßliche Clausel. Ich schreibe:
Bei dieser letzten Clausel faltete Planchet die Stirne, als er aber das so glänzende Auge, die so muskelige Hand, den so kräftigen und geschmeidigen Rückgrath seines Associe ansah, da saßte er wieder Muth und fügte ohne Bedauern, ohne Reue seiner Unterschrift noch einen Federzug bei. D’Artagnan that dasselbe. So wurde der erste bekannte Gesellschaftsvertrag abgefaßt; vielleicht ist man seitdem der Form und dem Wesen nach ein wenig davon abgegangen.
»Nun aber,« sagte Planchet, während er d’Artagnan ein letztes Glas Wein einschenkte, »nun aber wollen wir schlafen, mein lieber Herr.«
»Nein,« erwiederte d’Artagnan, »denn das Schwierigste bleibt noch zu thun und über diesem Schwierigsten will ich träumen.«
»Bah!« rief Planchet, »ich habe so großes Vertrauen auf Euch, daß ich meine hunderttausend Livres nicht für neunzigtausend geben würde.«
»Und der Teufel hole mich, ich glaube, Du hättest Recht.«
Hiernach nahm d’Artagnan ein Licht, stieg in sein Zimmer hinauf und legte sich zu Bette.
VII.
D’Artagnan träumte so gut die ganze Nacht hindurch, daß sein Plan schon am andern Morgen festgestellt war.
»So soll es sein!« sagte er, indem er sich in seinem Bett aufsetzte und seinen Ellenbogen auf sein Knie und sein Knie auf seine Hand stützte; »so soll es sein! Ich suche vierzig sehr sichere und kräftige Männer unter Leuten aus, die sich in einer etwas gefährdeten Lebenslage befinden, aber an die Disciplin gewöhnt sind. Nichts, wenn sie nicht zurückkommen, oder die Hälfte ihren Seitenverwandten. Was Kost und Wohnung betrifft, so geht das die Engländer an, welche Ochsen auf der Weide, Speck im Ständer, Hühner im Geflügelhof und Korn in der Scheune haben. Ich stelle mich dem General Monk mit diesem Corps vor. Er wird mich annehmen. Ich gewinne sein Vertrauen und mißbrauche es so schnell als möglich.«
Doch ohne weiter zu gehen, unterbrach sich d’Artagnan, schüttelte den Kopf und fuhr dann wieder fort:
»Nein, ich würde es nicht wagen, Athos das zu erzählen: das Mittel ist also nicht ehrenhaft. Ich muß Gewalt brauchen, ich muß es ganz gewiß, ohne daß meine Rechtschaffenheit dabei in irgend einer Hinsicht im Spiel sein darf. Mit vierzig Mann durchstreife ich als Parteigänger das Land. Ja, aber wenn ich nicht vierzigtausend Engländer treffe, wie Planchet sagte, sondern nur ganz einfach vierhundert. Dann werde ich geschlagen, in Betracht, daß sich unter meinen vierzig Kriegern wenigstens zehn Glasköpfe finden werden, zehn, die sich aus Dummheit sogleich todtschlagen lassen. Nein, es ist in der That unmöglich, vierzig sichere Leute zu finden; das gibt es nicht. Man muß sich mit dreißig begnügen. Mit dreißig habe ich das Recht, ein Zusammentreffen mit gewaffneter Hand zu vermeiden, – wegen der kleinen Anzahl meiner Leute, und wenn das Zusammentreffen dennoch stattfindet, so ist meine Macht viel sicherer bei dreißig Mann, als bei vierzig. Ueberdies erspare ich fünftausend Franken, nämlich den achten Theil meines Kapitals, und das ist schon der Mühe werth.
»Abgemacht, ich werde also dreißig Mann haben. Ich theile sie in drei Banden, – wir zerstreuen uns im Land, mit dem geschärften Befehl, uns im gegebenen Augenblick wieder zu versammeln; zu zehn und zehn erregen wir keinen Verdacht und kommen unbemerkt durch. Ja, ja, dreißig, das ist eine vortreffliche Zahl. Es sind drei Zehner, drei, diese göttliche Zahl. Und eine Compagnie von dreißig Mann, wenn sie beisammen ist, wird immerhin noch etwas Imposantes haben,
»Oh! ich Unglücklicher!« fuhr d’Artagnan fort, »ich brauche dreißig Pferde; dadurch kann man sich zu Grunde richten. Wo Teufels hatte ich den Kopf, daß ich die Pferde vergaß! Man darf nicht daran denken, einen solchen Streich ohne Pferde auszuführen. Gut!, es sei, wir wollen dieses Opfer bringen, aber wir nehmen die Pferde im Lande, – sie sind dort nicht schlecht.
»Doch, alle Wetter! daran dachte ich nicht, zu drei Banden braucht man nothwendig drei Commandanten, und das ist die Schwierigkeit: einen von drei Commandanten habe ich schon, das bin ich; ja, aber die zwei anderen werden für sich allein beinahe so viel kosten, als die ganze übrige Truppe. Nein, ich müßte offenbar nur einen Lieutenant haben. In diesem Fall werde ich dann meine Truppe auf zwanzig Mann beschränken. Ich weiß wohl, daß zwanzig Mann wenig ist; da ich aber mit dreißig entschlossen war, die Schläge nicht zu suchen, so werde ich das mit zwanzig noch viel mehr thun. Zwanzig, das ist eine runde Zahl; das vermindert auch die Zahl der Pferde um zehn, was wohl in Betracht zu ziehen ist . . . und dann mit einem guten Lieutenant . . .
»Mordioux! wie schön sind doch Geduld und Berechnung! Wollte ich mich nicht mit vierzig Mann einschiffen und nun beschränke ich mich auf zwanzig mit dem gleichen Erfolg! Zehntausend Livres Ersparnisse auf einmal und mehr Sicherheiten, das läßt sich hören. Jetzt- handelt es sich nur noch darum, diesen Lieutenant zu finden, finden wir ihn also und hernach . . . Das ist nicht leicht; ich brauche einen braven, wackeren Mann, einen zweiten, wie ich bin. Ja, aber der Lieutenant wird mein Geheimniß besitzen, und da dieses Geheimniß eine Million werth ist und ich meinem Mann nur tausend Livres, höchstens fünfzehnhundert Livres, bezahle, so wird mein Mann das Geheimniß an Monk verkaufen. Mordioux! keinen Lieutenant. Ueberdies wird dieser Mann, und wäre er stumm wie ein Schüler von Pythagoras, einen Lieblingssoldaten bei der Truppe haben, den er zu seinem Sergenten macht; der Soldat wird das Geheimniß ergründen, falls jener ehrlich ist und es nicht verkaufen will. Dann wird der Sergent, minder redlich und minder ehrgeizig, das Ganze für fünfzigtausend Livres hergeben. Ah! das ist unmöglich. Der Lieutenant ist entschieden unmöglich! Dann aber keine Brüche mehr, ich kann meine Truppe in zwei Theile theilen und auf zwei Punkten zugleich agiren; ohne ein anderes Ich, das . . . Doch wozu auf zwei Punkten agiren, da wir nur einen Mann zu sangen haben? wozu soll ich mein Corps dadurch schwächen, daß ich die Rechte hierhin und die Linke dorthin stelle?
»Ein einziges Corps, Mordioux! ein einziges, und zwar befehligt von d’Artagnan, ah! sehr gut! Doch zwanzig Mann, die in einer Bande marschiren, sind Jedermann verdächtig; man darf nicht zwanzig Reiter mit einander marschiren sehen, sonst wird eine Compagnie gegen sie abgeschickt, die nach dem Losungswort fragt und, zeigt man sich verlegen, es zu geben, Herrn d’Artagnan und seine Leute wie Kaninchen niederschießt.
»Ich beschränke mich also auf zehn Mann; auf diese Art agire ich einfach und mit Einheit; ich werde zur Vorsicht genöthigt sein, was die Hälfte des Gelingens bei einer Angelegenheit ist, wie ich sie unternehme. Die große Zahl hätte mich vielleicht zu einer Thorheit verleitet. Zehn Pferde zu kaufen oder zu nehmen, ist keine Schwierigkeit mehr. Oh! ein vortrefflicher Gedanke, der in alle meine Adern vollkommene Ruhe bringt. Kein Verdacht, kein Losungswort, keine Gefahr mehr! Zehn Mann sind Knechte oder Handlungsdiener. Zehn Mann, welche mit Waaren beladene Pferde führen, werden geduldet, überall gut aufgenommen. Zehn Mann reisen für Rechnung des Hauses Planchet und Compagnie in Frankreich. Dagegen ist nichts zu sagen. Wie Handarbeiter gekleidet, haben diese zehn Mann ein gutes Jagdmesser, eine gute Muskete auf dem Kreuze des Pferdes und eine gute Pistole im Holfter. Sie lassen sich nie beunruhigen, weil sie keine schlimme Absichten haben. Sie sind im Grunde vielleicht ein wenig Schmuggler, doch was thut das? Die Schmuggelei ist nicht, wie die Vielweiberei, ein Verbrechen, für das man gehenkt wird. Das Schlimmste, was uns begegnen kann, ist, daß man uns unsere Waaren confiscirt. Was liegt daran, wenn man uns unsere Waaren confiscirt! Das ist in der That ein herrlicher Plan! Nur zehn Mann, zehn Mann, die ich für meinen Dienst anwerbe; zehn Mann so entschlossen wie vierzig, die mich wie vier kosten werden, gegen die ich über meinen Plan nicht den Mund öffne, denen ich nur ganz einfach sage: »»Meine Freunde, es ist ein Schlag zu thun!««
»Auf diese Art müßte der Teufel sehr schlau sein, sollte er mir einen von seinen Streichen spielen. Fünfzehntausend Livres erspart! das ist herrlich bei zwanzig!
Beruhigt und gestärkt durch seine geistreiche Berechnung, blieb d’Artagnan bei diesem Plan stehen und beschloß, nichts mehr daran zu ändern. Er hatte schon auf einer Liste, die ihm sein nie vertrocknendes Gedächtniß lieferte, zehn ausgezeichnete Männer aus der Classe vom Schicksal mißhandelter oder von den Gerichten beunruhigter Abenteurer . . . Hiernach stand d’Artagnan auf und ging sogleich auf Forschung aus, nachdem er Planchet zuvor gesagt hatte, er brauche ihn nicht beim Frühstück und vielleicht auch nicht beim Mittagessen zu erwarten. Anderthalb Tage, die er in gewissen Winkelschenken von Paris umherlief, genügten ihm für seine Ernte, und ohne daß er seine Abenteurer sich mit einander in Verbindung setzen ließ, hatte er eine reizende Sammlung von schlimmen Gesichtern zusammengebracht, die ein Französisch sprachen, das minder rein war, als das Englische, dessen sie sich bedienen sollten.
Es waren meistentheils Garden, deren Verdienst d’Artagnan bei verschiedenen Gelegenheiten hatte schätzen können, Leute, welche die Völlerei, unglückliche Degenstiche, unerwartete Gewinne im Spiel oder die ökonomischen Reformen von Herrn von Mazarin den Schatten und die Einsamkeit, diese zwei großen Tröster geplagter Seelen, zu suchen genöthigt hatten.
Sie trugen auf ihrem Gesicht und an ihren Kleidern die Spuren der Herzensleiden, die sie ausgestanden. Einige hatten ein zerrissenes Gesicht, Alle hatten zerfetzte Kleider. D’Artagnan half auf das Eifrigste dieser brüderlichen Noth durch eine weise Vertheilung der Gesellschaftsthaler ab: er wachte darüber, daß diese Thaler zur körperlichen Verschönerung der Truppe angewendet wurden, und beschied seine Rekruten in den Norden von Frankreich, zwischen Berghes und Saint-Omer. Sechs Tage wurden als unerstreckliche Frist gegeben, und d’Artagnan kannte hinreichend den guten Willen, die frohe Laune und die Redlichkeit dieser Leute, um sicher zu sein, es würde nicht Einer beim Appel fehlen.
Als diese Befehle gegeben waren, als man den Sammelplatz bestimmt hatte, nahm er von Planchet Abschied, der sich bei ihm nach seiner Armee erkundigte. D’Artagnan hielt es nicht für geeignet, Planchet die Einschränkung seines Personals mitzutheilen, denn er befürchtete, durch dieses Geständniß das Vertrauen seines Associe zu schwächen. Planchet freute sich ungemein, als er horte, die Armee sei ganz angeworben, und er sei eine Art von König auf halbe Rechnung, der von seinem Comptoir-Thron aus ein Truppencorps, bestimmt, gegen das treulose Albion, diesen ewigen Feind aller wahrhaft französischen Herzen, Krieg zu führen, besolde.
Planchet bezahlte also in schönen Doppellouis d’or zwanzigtausend Livres an d’Artagnan für seinen Theil, und weitere zwanzigtausend Livres, immer in schönen Doppellouis d’or für den Theil von d’Artagnan. D’Artagnan legte jede von den beiden Summen in einen Sack und wog jeden Sack mit der Hand.
»Dieses Geld ist sehr lästig, mein lieber Planchet,« sagte er, »weißt Du, daß das mehr als dreißig Pfund wiegt?«
»Bah! Euer Pferd trägt das wie eine Feder.«
D’Artagnan schüttelte den Kopf.
»Sage mir nicht dergleichen Dinge, Planchet: ein Pferd, das außer dem Reiter und dem Mantelsack mit dreißig Pfund belastet ist, schwimmt nicht mehr so leicht durch einen Fluß, setzt nicht mehr so leicht über eine Mauer oder über einen Graben, und wenn das Pferd nichts taugt, so taugt auch der Reiter nichts. Du weißt? das allerdings nicht, Du, der Du Dein ganzes Leben beim Fußvolk gedient hast.«
»Wie soll man es aber machen, gnädiger Herr?« fragte Planchet ganz verlegen.
»Höre, ich bezahle meine Armee bei der Rückkehr in die Heimath. Behalte meine Hälfte mit zwanzigtausend Livres, die Du während dieser Zeit umtreibst.«
»Und meine Hälfte?«
»Ich nehme sie mit.«
»Euer Vertrauen ehrt mich, doch wenn Ihr nicht zurückkommt?«
»Das ist möglich, obgleich nicht sehr wahrscheinlich! Doch für den Fall, daß ich nicht zurückkommen würde, Planchet, gib mir eine Feder, daß ich mein Testament mache.«
D’Artagnan nahm eine Feder, Papier und schrieb auf ein einfaches Blatt:
Planchet schien sehr neugierig, zu erfahren, was d’Artagnan geschrieben hatte.
»Hier, lies,« sagte der Musketier zu Planchet.
Bei den letzten Zeilen traten Planchet die Thränen in die Augen.
»Ihr glaubt, ich hätte das Geld nicht ohne dieses gegeben? dann will ich nichts von Euren fünftausend Livres.«
Lächelnd erwiederte d’Artagnan:
»Nimm es an, nimm es an: Du wirst auf diese Art nur fünfzehntausend statt zwanzig verlieren und nicht versucht sein, um nichts zu verlieren, der Unterschrift Deines Herrn und Freundes Schmach anzuthun.«
Wie rannte er doch das Herz der Menschen und der Spezereihändler, dieser liebe Herr d’Artagnan!
Diejenigen, welche den Don Quixote einen Narren nannten, weil er allein mit seinem Knappen Sancho auf Eroberung eines Reiches ausging, und diejenigen, welche Sancho einen Narren nannten, weil er mit seinem Herrn auf Eroberung eben dieses Reiches auszog, hätten gewiß kein anderes Urtheil über d’Artagnan und Planchet gefällt.
Der Erstere galt jedoch für einen seinen Geist unter den feinsten Geistern des französischen Hofes, und der zweite hatte sich mit Recht den Ruf eines der stärksten Köpfe unter den Krämern und Spezereihändlern der Rue des Lombards, folglich von Paris, folglich von Frankreich erworben.
Betrachtete man aber diese Männer nur aus dem Gesichtspunkte, den man für alle Menschen anwendet, und die Mittel, mit deren Hilfe sie einen König wieder auf seinen Thron zu setzen gedachten, nur in Vergleichung zu andern Mitteln, so würde sich das winzigste Gehirn des Landes, wo die winzigsten Gehirne sind, gegen die ungeheuerliche Anmaßung des Lieutenants und gegen die Albernheit seines Verbündeten empört haben.
Zum Glück war d’Artagnan nicht der Mann, der auf die Alfanzereien, die man um ihn her trieb, oder auf die Commentare hörte, die man über ihn macht«. Er hatte den Wahlspruch angenommen: »
Um einen Anfang zu machen, brach d’Artagnan beim schönsten Wetter der Welt auf, ohne Wolken am Himmel, ohne Wolken im Geist, freudig und stark, ruhig und entschieden, gestählt durch seine Entschlossenheit und folglich eine zehnfache Dosis von jenem mächtigen Fluidum mit sich tragend, das die Erschütterungen der Seele aus den Nerven hervorspringen machen und das der menschlichen Maschine eine Kraft und einen Einfluß verleiht, wovon sich zukünftige Jahrhunderte aller Wahrscheinlichkeit nach mehr arithmetisch Rechenschaft geben werden, als wir das heute thun können. Er folgte, wie in vergangenen Zeiten, der an Abenteuern fruchtbaren Straße, die, ihn einst nach Boulogne geführt hatte, und die er zum vierten Male machte. Er konnte beinahe unter Wegs die Spur seines Trittes auf dem Pflaster und die seiner Faust an den Thüren der Gasthöfe erkennen; stets thätig und gegenwärtig, weckte sein Gedächtnis jene Jugend wieder auf, welche dreißig Jahre später weder sein großes Herz, noch sein stählernes Faustgelenke Lügen gestraft hätten.
Welch eine reiche Natur war die Natur dieses Mannes! er besaß alle Leidenschaften, alle Fehler, alle Schwächen, und der seinem Verstande inwohnende Widerspruchsgeist verwandelte alle diese Unvollkommenheiten in entsprechende gute Eigenschaften. In Folge seiner beständig umherschweifenden Einbildungskraft hatte d’Artagnan Angst vor einem Schatten, und weil er sich schämte, daß er Angst hatte, ging er auf diesen Schatten los und wurde über alle Maßen muthig, wenn wirklich eine Gefahr vorhanden war. Alles in ihm war voll Bewegung und deshalb Genuß. Er liebte ungemein die Gesellschaft Anderer, langweilte sich aber nie in der seinigen, und mehr als einmal, – hätte man ihn, wenn er allein war, studiren können, – würde man ihn haben über die Scherze, die er sich selbst erzählte, oder über die drolligen Phantasten lachen sehen, die, er sich gerade fünf Minuten vor dem Augenblick schuf, wo die Langweile kommen mußte.
D’Artagnan war vielleicht diesmal nicht so heiter, als er es mit der Aussicht gewesen wäre, einige gute Freunde in Calais statt der zehn, schlimmen Bursche zu finden, die er dort treffen sollte; doch die Schwermuth beschlich ihn nicht mehr als einmal des Tages, und so erhielt er ungefähr fünf Besuche von dieser finsteren Gottheit, ehe er das Meer in Boulogne erblickte. Doch einmal hier, fühlte sich d’Artagnan der Thätigkeit nahe, und jedes andere Gefühl, als das des Selbstvertrauens verschwand, um nie mehr zurückzukehren. Von Boulogne folgte er der Küste bis Calais.
Calais war der allgemeine Sammelplatz, und in Calais hatte er jedem von seinen Rekruten das Gasthaus zum Großen Monarchen bezeichnet, wo das Leben nicht theuer war, wo die Matrosen ihre Einkehr hatten, wo die Männer vom Schwert, mit lederner Scheide, wohlverstanden, Lager, Tisch, Speise und Trank, kurz alle Süßigkeiten des Daseins um dreißig Sous täglich erhielten.
D’Artagnan nahm sich vor, sie bei ihrem Vagabundenleben zu überraschen, um nach dem ersten Anschein zu beurtheilen, ob er auf sie als auf gute Kumpane rechnen könnte.
Er kam um halb fünf Uhr Abends in Calais an.
VIII.
Das Gasthaus zum Großen Monarchen lag in einer kleinen, mit dem Hafen parallel lausenden Straße, ohne auf den Hasen selbst zu gehen; einige Gäßchen durchschnitten, wie die Sprossen die zwei Parallelen der Leiter durchschneide«, die zwei großen geraden Linien des Hafens und der Straße. Durch die Gäßchen gelangte man unversehens aus dem Hasen in die Straße und von der Straße an den Hasen.
D’Artagnan kam zum Hasen, schlug den Weg durch eines dieser Gäßchen ein und gelangte unversehens vor das Wirthshaus zum Großen Monarchen.
Der Augenblick war gut gewählt und konnte d’Artagnan an sein erstes Auftreten im Gasthaus zum Freimüller in Meung erinnern. Matrosen, welche Würfel gespielt hatten, waren in Streit gerathen und bedrohten sich mit der größten Wuth. Der Wirth, die Wirthin und zwei Kellner beobachteten voll Angst den Kreis dieser schlimmen Spieler, aus deren Mitte der Krieg, mit Messern und Beilen, losbrechen zu wollen schien.
Das Spiel nahm indessen seinen Fortgang.
Eine steinerne Bank war von zwei Männern besetzt, welche so vor der Thüre Wache zu halten schienen; an vier Tischen im Hintergrunde des gemeinschaftlichen Zimmers saßen acht weitere Personen. Weder die Männer aus der Bank, noch diejenigen an den Tischen nahmen an dem Streit oder am Spiel Antheil. D’Artagnan erkannte seine zehn Angeworbenen in diesen so kalten, so gleichgültigen Zuschauern.
Der Streit nahm immer mehr zu. Jede Leidenschaft hat, wie das Meer, ihre Fluth und ihre Ebbe. Ein Matrose, bei dem die Leidenschaft den Paroxismus erreicht hatte, warf den Tisch und das Geld um, das darauf lag. Der Tisch fiel, das Geld rollte. Auf der Stelle stürzte sich das ganze Personal des Wirthshauses auf die Einsätze, und viele Silberstücke wurden von Leuten aufgerafft, die sich aus dem Staub machten, während sich die Matrosen balgten.
Nur die zwei Männer von der Bank und die acht im Innern schienen sich, obgleich sie aussahen, als ob sie einander ganz fremd wären, das Wort gegeben zu haben, völlig unempfindlich mitten unter diesem Geschrei der Wuth und dem Geräusch des Geldes zu bleiben. Zwei von ihnen beschränkten sich darauf, daß sie die Kämpfenden, welche bis unter ihren Tisch kamen, mit dem Fuß zurückstießen.
Zwei Andere gingen eher, als daß sie an diesem ganzen Tumult Theil nahmen, mit den Händen in ihren Taschen hinaus; wieder zwei Andere stiegen endlich auf den Tisch, den sie inne hatten, wie es, um nicht zu ertrinken, Leute thun, die von einem Steigen des Wassers überrascht werden.
»Ah! ah!« sagte zu sich selbst d’Artagnan, dem keiner von den von uns erwähnten Umständen entgangen war, »das ist eine hübsche Sammlung: umsichtig, ruhig, an den Lärmen gewöhnt, gegen Schlägereien unempfindlich; Teufel! ich habe eine glückliche Hand gehabt.«
Plötzlich wurde seine Aufmerksamkeit auf einen Punkt des Zimmers gelenkt.
Die zwei Männer, welche die Kämpfenden mit dem Fuß zurückgestoßen hatten, sahen sich von den Matrosen, die sich wieder ausgesöhnt, mit Schmähungen angefallen.
Halb trunken vom Zorn und ganz vom Bier, fragte einer von ihnen mit drohendem Tone den kleineren von den zwei Vernünftigen, warum er mit seinem Fuß Geschöpfe des guten Gottes berührt habe, welche keine Hunde seien. Und während er diese Frage that, setzte er, um ihr mehr Nachdruck zu geben, seine dicke Faust auf die Nase des Rekruten von Herrn d’Artagnan.
Dieser Mensch erbleichte, ohne daß man zu erkennen vermochte, ob er aus Angst oder aus Zorn erbleichte. Als der Matrose dies sah, schloß er, es geschehe aus Angst, und hob seine Faust in der sehr klaren Absicht auf, sie auf den Kopf des Fremden zurückfallen zu lassen. Doch ohne daß man den Bedrohten sich rühren sah, versetzte er dem Matrosen einen so gewaltigen Stoß auf den Magen, daß dieser unter furchtbarem Geschrei bis an das Ende des Zimmers fortrollte. Durch den Corpsgeist rasch wieder vereinigt, fielen in demselben Augenblick alle Kameraden des Besiegten über den Sieger her.
Mit derselben Kaltblütigkeit, von der er schon einen Beweis gegeben, faßte der Letztere, ohne die Unklugheit zu begehen, nach seinen Waffen zu greisen, einen Bierkrug mit zinnernem Deckel und schlug damit zwei oder drei von den Angreifenden nieder; dann, als er eben der Ueberzahl unterliegen sollte, begriffen die sieben andern Schweigsamen in der Stube, die sich nicht gerührt hatten, daß ihre Sache auf dem Spiel war, und eilten ihm zu Hilfe.
Zu gleicher Zeit wandten sich die zwei Gleichgültigen an der Thüre mit einem Stirnefalten um, das ganz offenbar ihre Absicht andeutete, den Feind von hinten zu packen, wenn er nicht von seinem Angriff abstünde.
Der Wirth, seine Kellner und zwei Nachtwächter, welche eben vorüberkamen und aus Neugierde zu weit in die Stube eindrangen, wurden mit in das Gemenge hineingerissen und braun, und blau geprügelt. Die Pariser schlugen wie Cyclopen, mit einer Einhelligkeit und einer Taktik, welche Zuschauern Vergnügen machen mußte; endlich gezwungen, vor der Ueberzahl ihren Rückzug zu nehmen, verschanzten sie sich jenseits des großen Tisches, den sie gemeinschaftlich zu vier aufhoben, während sich die vier anderen jeder mit einem Gestell bewaffneten, so daß sie mit einem Streich acht Matrosen niederschlugen, auf deren Kopf sie ihre ungeheure Schnellbank hatten spielen lassen.
Der Boden war also schon mit Verwundeten bestreut, und der Saal voll Geschrei und Staub, als d’Artagnan, zufrieden mit dieser Probe, den Degen in der Hand vortrat und, mit dem Knopf auf Alles einschlagend, was er an emporgerichteten Köpfen fand, ein kräftiges Hollah! ausstieß, was dem Streit sogleich ein Ende machte. Man drängte sich mit aller Macht vom Mittelpunkt gegen den Umkreis, so daß d’Artagnan bald vereinzelt und Alles beherrschend dastand.
»Was ist das?« fragte er sodann die Versammlung mit dem majestätischen Ton von Neptun, als er das quos ego aussprach.
Auf der Stelle und beim ersten Ton, um in der Virgilischen Metapher fortzufahren, steckten die Rekruten von Herrn d’Artagnan, von denen jeder einzeln seinen Gebieter und Herrn erkannte, zugleich ihren Zorn und ihr Klopfen mit den Brettern und ihre Schläge mit den Gestellen wieder ein.
Die Matrosen, als sie dieses lange entblößte Schwert, diese martialische Miene und den behenden Arm sahen, die ihren Feinden in der Person eines Mannes zu Hilfe kamen, der an das Befehlen gewöhnt zu sein schien, die Matrosen, sagen wir, hoben ihre Verwundeten und ihre Krüge auf.
Die Pariser wischten ihre Stirne ab und verbeugten sich vor ihrem Chef.
D’Artagnan wurde mit Complimenten und Glückwünschen vom Wirth zum Großen Monarchen überhäuft.
Er nahm sie hin wie ein Mann, welcher weiß, daß man Ihm nicht zu viel bietet, und erklärte dann, er würde in Erwartung des Abendbrods am Hafen spazieren gehen.
Zugleich nahm Jeder von den Angeworbenen, der den Appel begriff, seinen Hut, stäubte seinen Rock ab und folgte d’Artagnan.
Doch während er umherschlenderte, während er Alles prüfend anschaute, hütete sich d’Artagnan wohl, stille zu stehen; er wandte sich nach der Düne, und erschrocken, sich so einander auf der Spur zu finden, unruhig, zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken und hinter sich Gefährten zu sehen, auf welche sie nicht rechneten, folgten ihm die zehn Männer, indem sie sich gegenseitig wüthende Blicke zuwarfen.
Erst in der tiefsten Aushöhlung der niedersten Düne wandte sich d’Artagnan, lächelnd, als er wahrnahm, daß sie sich so weit von einander entfernt hielten, gegen sie um, machte ihnen ein friedliches Zeichen mit der Hand und rief:
»He! he! meine Herren, verschlingen wir uns nicht; Ihr seid gemacht, um mit einander zu leben und Euch in allen Punkten zu verstehen, und nicht, um einander zu verschlingen.«
Da hörte alles Zaudern auf, die Männer athmeten, als ob man sie aus einem Sarg gezogen hätte, und schauten einander freundlich an. Nach dieser Beschauung richteten sie ihre Augen auf ihren Führer, der, längst vertraut mit der großen Kunst, zu Leuten von diesem Schlag zu sprechen, ihnen aus dem Stegreif folgende kleine Rede hielt, die er mit einer gascognischen Energie betonte.
»Meine Herren, Ihr wißt Alle, wer ich bin. Ich habe Euch angeworben, weil ich Euch als wackere Leute kannte und bei einem glorreichen Unternehmen betheiligen wollte. Stellt Euch vor, indem Ihr mit mir arbeitet, arbeitet Ihr für den König. Ich sage Euch indessen zum Voraus, daß ich mich, wenn Ihr etwas von dieser Annahme durchblicken laßt, genöthigt sehen werde. Euch den Schädel auf die Weise zu zerschmettern, die mir gerade am bequemsten ist. Es ist Euch nicht unbekannt, meine Herren, daß die Staatsgeheimnisse gerade wie ein tödtliches Gift wirken: so lange sich das Gift in seiner Büchse befindet und gut eingeschlossen ist, schadet es nicht, aus der Büchse tödtet es. Tretet nun näher zu mir heran, und Ihr sollt von diesem Geheimniß erfahren, was ich Euch sagen kann.«
Alle traten mit einer Bewegung der Neugierde auf ihn zu.
»Nähert Euch,« fuhr d’Artagnan fort, »und der Vogel, der über unsern Köpfen hinstreicht, das Kaninchen, das auf den Dünen spielt, der Fisch, der aus dem Wasser springt, sollen uns nicht hören können. Es handelt sich darum, in Erfahrung zu bringen und dem Herrn Oberintendanten der Finanzen zu berichten, wie viel die englische Schmuggelei den französischen Kaufleuten Eintrag thut. Ich werde überall Eingang suchen und Alles sehen. Wir sind arme picardische Fischer, durch einen Sturm auf die Küste geworfen. Es versteht sich von selbst, daß wir Fische verkaufen, gerade wie die ächten Fischer. Nur könnte man errathen, wer wir sind, und uns beunruhigen; wir müssen also ganz nothwendig im Stande sein, uns zu vertheidigen. Aus diesem Grunde habe ich Euch als Leute von Geist und Muth gewählt. Wir werden ein gutes Leben führen und keine große Gefahr laufen, weil wir einen mächtigen Beschützer hinter uns haben, mit dessen Hilfe keine Verlegenheit möglich ist. Eines nur ist mir ärgerlich; doch ich hoffe, daß Ihr mich nach einer kurzen Erklärung aus der Verlegenheit ziehen werdet. Es ist mir nämlich ärgerlich, daß ich eine Mannschaft dummer Fischer mitnehmen soll, die uns ganz ungeheuer belästigen, beengen wird, während, wenn zufällig Leute unter Euch wären, die das Meer gesehen hätten . . . «
»Oh! das ist keine so große Sache!« sagte einer von den Rekruten von d’Artagnan, »ich bin drei Jahre lang Gefangener der Seeräuber von Tunis gewesen und kenne die Führung des Schiffes wie ein Admiral.«
»Seht Ihr,« rief d’Artagnan,’»seht Ihr, welch eine wunderbare Sache es um den Zufall ist!«
D’Artagnan sprach diese Worte mit einem unbeschreiblichen Ausdruck scheinbarer Treuherzigkeit. Denn d’Artagnan wußte ganz wohl, daß dieses Opfer der Seeräuber ein ehemaliger Freibeuter war, und er hatte ihn, gerade weil er diesen Umstand wußte, angeworben. D’Artagnan aber sagte nie mehr, als er zu sagen nöthig hatte, um die Leute in Zweifel zu lassen. Er ließ sich die Erklärung gefallen und nahm die Wirkung an, ohne daß er sich um die Ursache zu bekümmern schien.
»Und ich,« sagte ein Zweiter, »ich habe zufällig einen Oheim, der die Arbeiten im Hafen von La Rochelle leitet und beaufsichtigt. Schon als Kind habe ich auf den Fahrzeugen gespielt und ich nehme es, was die Handhabung des Ruders und des Segels betrifft, mit dem ersten dem besten Matrosen auf.«
Dieser log kaum mehr als der Andere, er hatte sechs Jahre auf den Galeeren Seiner Majestät in la Ciotat gerudert.
Zwei Andere waren offenherziger, sie gestanden ganz einfach, daß sie auf einem Schiff als Soldaten zur Strafe gedient hatten, und errötheten nicht darüber. D’Artagnan war so Chef von zehn Kriegsleuten und vier Matrosen; er hatte zugleich eine Land- und eine Seearmee, was den Stolz von Planchet auf den höchsten Grad gesteigert haben müßte, wenn Planchet diesen Umstand gekannt hätte.
Es handelte sich nur noch um den allgemeinen Verhaltungsbefehl, und d’Artagnan gab diesen ganz pünktlich. Er schärfte seinen Leuten ein, sich zum Aufbruch nach dem Haag bereit zu halten, wobei die Einen der Küste, welche bis Breskens führt, die Anderen der Straße nach Antwerpen folgen sollten.
Mit Berechnung jedes Marschtages wurden Alle in vierzehn Tagen nach dem Hauptplatze Haag beschieden.
D’Artagnan empfahl seinen Leuten, sich nach ihrem Gutdünken, aus Sympathie, zu zwei und zwei zu paaren. Er selbst wählte unter den am wenigsten auffallenden Galgengesichtern zwei Leibwachen, die er schon früher kennen gelernt und die keine andere Fehler hatten, als daß sie Spieler und Trunkenbolde waren. Diese zwei Menschen hatten nicht jeden Begriff von Civilisation verloren, und unter reinlichen Kleidern würden ihre Herzen wieder zu schlagen angefangen haben. Um keine Eifersucht zu erregen, ließ d’Artagnan die Anderen vorangehen. Er behielt seine zwei Bevorzugten bei sich, kleidete sie in seinen eigenen Putz und brach mit ihnen auf.
Diesen, welche er mit einem unbeschränkten, Vertrauen zu beehren schien, machte, er ein falsches Geständniß, bestimmt, den Erfolg des Unternehmens zu sichern. Er gestand ihnen, es handle sich nicht darum, zu sehen, wie viel die englische Schmuggelei dem französischen Handel Eintrag thun konnte, sondern im Gegentheil, wie viel die französische Schmuggelei dem englischen Handel zu schaden vermöchte. Diese Menschen schienen überzeugt, und waren es auch wirklich. D’Artagnan aber war sicher, bei ihrer ersten Schwelgerei, wenn sie vollgetrunken wären, würde Einer von den Beiden das höchst wichtige Geheimniß der ganzen Bande aufschwatzen. Sein Spiel kam ihm unfehlbar vor.
Vierzehn Tage nach Allem dem, was wir in Calais haben vorfallen sehen, war die ganze Bande im Haag versammelt.
D’Artagnan sah, daß alle seine Leute sich mit merkwürdigem Scharfsinn schon in mehr oder minder vom Meer mißhandelte Matrosen verwandelt hatten.
D’Artagnan ließ sie in einer Schenke von Nieuwkerk-Straat schlafen, und nahm selbst seine Wohnung am großen Canal.
Er erfuhr, daß der König von England zu seinem Verbündeten, Wilhelm II. von Nassau, Stadhouder von Holland, zurückgekehrt war. Er erfuhr auch, daß durch die Weigerung von Ludwig XIV. der Schutz, den man ihm bis dahin bewilligt, kälter geworden, und daß er sich deshalb in ein kleines Haus in Scheveningen, das auf den Dünen am Ufer des Meers, eine Stunde vom Haag entfernt, lag, zurückgezogen hatte.
Hier tröstete sich, wie man sagte, der unglückliche Geächtete über seine Verbannung damit, daß er mit jener den Prinzen seines Geschlechts eigenthümlichen Schwermuth auf die ungeheure Nordsee hinausschaute, die ihn von England trennte, wie sie einst Maria Stuart von Frankreich getrennt hatte. Hier, hinter einigen schönen Bäumen des Waldes von Scheveningen, auf dem seinen Sande, wo das goldene Heidekraut der Dünen wächst, vegetirte Karl II. wie dieses, unglücklicher als dieses, denn er lebte das Leben des Geistes und hoffte und verzweifelte abwechselnd.
D’Artagnan ritt einmal bis Scheveningen, um dessen, was man über diesen Prinzen erzählte, sicher zu sein. Er sah in der That Karl II. nachdenkend und allein durch eine kleine Thüre, welche nach dem Gehölze ging, herauskommen und bei Sonnenuntergang am Gestade spazieren gehen, ohne daß er nur die Aufmerksamkeit der Fischer erregte, welche, am Abend zurückgekehrt, wie die alten Seeleute des Archipels, ihre Barken auf den Sand des Users zogen., D’Artagnan erkannte den König, Er sah ihn seinen düstern Blick auf die ungeheure Wasserfläche heften und auf seinem bleichen Gesicht die rothen Strahlen der schon durch die schwarze Linie des Horizonts abgeschnittenen Sonne einsaugen. Dann kehrte Karl II. immer allein, immer langsam und traurig, und sich damit belustigend, daß er unter seinen Tritten den zerreiblichen Sand krachen ließ, in das vereinzelte Haus zurück.
Schon an demselben Abend miethete d’Artagnan für tausend Livres eine Fischerbarke, welche viertausend werth war. Er bezahlte diese tausend Livres baar und deponirte die dreitausend anderen beim Bürgermeister. Wonach er, ohne daß man sie sah und in finsterer Nacht, die sechs Mann einschiffte, welche seine Landarmee bildeten, und beim Eintritt der Fluth, um drei Uhr Morgens, stach er in die See, wobei er mit den vier Andern manoeuvrirte und sich auf das Wissen seines Galeerensklaven verließ, gerade als ob dieser der beste Lootse des Hafens gewesen wäre.
IX.
Während die Könige und die Menschen sich so mit England beschäftigten, das sich ganz allein regierte und, man muß es zu seinem Lobe sagen, nie so schlecht regiert gewesen war, verfolgte ein Mann, auf den Gott sein Auge gerichtet und seinen Finger gelegt hatte, ein Mann vom Schicksal bestimmt, seinen Namen mit glänzenden Charakteren in das Buch der Geschichte einzuschreiben, im Angesichte der Welt ein Werk voll Geheimnis; und Kühnheit. Er ging, und Niemand wußte, wohin er gehen wollte, obgleich nicht nur England, sondern auch Frankreich und ganz Europa ihn festen Schrittes und den Kopf hoch einhergehen sahen. Alles, was man über diesen Mann wußte, wollen wir sagen.
Monk hatte sich für die Freiheit des
Lambert und Monk, Alles faßte sich in diesen zwei Männern zusammen, von denen der erste den militärischen Despotismus, der zweite den reinen Republicanismus vertrat. Diese zwei Männer waren die zwei einzigen politischen Repräsentanten der Revolution, in welcher Karl l. zuerst seine Krone und sodann sein Haupt verloren hatte.
Lambert verleugnete indessen seine Absichten nicht; er suchte eine ganz militärische Regierung zu gründen und sich zum Haupte dieser Regierung zu machen.
Monk, ein strenger Republicaner, wie die Einen sagten wollte das
So hatten sich Lambert, der das Parlament verfolgte, und Monk, der sich für dasselbe aussprach, gegenseitig einander zu Feinden erklärt.
Monk und Lambert waren auch von Anfang an darauf bedacht, sich jeder eine Armee zu bilden; Monk in Schottland, wo die Presbyterianer und Royalisten, nämlich die Unzufriedenen, waren; Lambert in London, wo sich, wie immer, die stärkste Opposition gegen die Macht fand, die es vor Augen hatte. Monk stellte in Schottland den Frieden wieder her, bildete sich hier ein Heer und machte -sich daraus eine Zufluchtstätte: das eine bewachte die andere^ Monk wußte, daß der vom Herrn für eine große Veränderung bezeichnete Tag noch nicht gekommen war; sein Schwert schien auch in_seine Scheide genietet zu sein. Unüberwindlich in seinem wilden, gebirgigen Schottland, unumschränkter General, König eines Heeres von elftausend alten Soldaten, die er mehr als einmal zum Siege geführt hatte, eben so gut und besser über die Angelegenheiten in London unterrichtet als Lambert, der in der City in Garnison lag: dies war die Stellung von Monk, als er sich hundert Meilen von London für das Parlament erklärte. Lambert wohnte, wie gesagt, im Gegentheil in der Hauptstadt. Er hatte hier den Mittelpunkt von allen Operationen, und vereinigte hier um sich her sowohl alle seine Freunde, als das ganze niedrige Volk, das ewig geneigt ist, die Feinde der bestehenden Gewalt zu lieben.
Es war in London, wo Lambert erfuhr, daß Monk von den Grenzen von Schottland dem Parlament seine Unterstützung angedeihen ließ. Er dachte, es sei keine Zeit zu verlieren, und die Tweed sei nicht so weit entfernt von der Themse, daß nicht eine Armee einen Schritt von einem Fluß zum andern machen könnte, besonders wenn sie gut befehligt würde. Er wußte auch, daß die Soldaten in dem Maß, in welchem sie in England eindrängen, auf dem Wege einen Schneeball bilden würden, – das Emblem der Glückskugel, die für den Ehrgeizigen nur eine Stufe ist, welche sich unabläßig vergrößert, um ihn zu seinem Ziele zu führen. Er sammelte also sein sowohl durch die Zusammensetzung, als durch die Zahl furchtbares Heer, und eilte Monk entgegen, der, einem mitten durch Klippen rudernden Schiffer ähnlich, in ganz kleinen Tagmärschen, die Nase im Wind, auf das Geräusch horchend und die Luft witternd, die von London kam, vorrückte.
Die zwei Armeen erblickten sich auf der Höhe von Newcastle; Lambert, der zuerst angekommen war, campirte in der Stadt selbst.
Immer umsichtig, machte Monk da Halt, wo er war, und nahm sein Hauptquartier in Coldstream an der Tweed.
Der Anblick von Lambert verbreitete Freude im Heer von Monk, während im Gegentheil der Anblick von Monk Verwirrung in die Armee von Lambert brachte. Es war, als hätten sich diese unerschrockenen Raufer, die so viel Lärmen in den Straßen von London gemacht, in der Hoffnung, mit Niemand zusammenzutreffen, auf den Weg begeben, und als ob nun, da sie sahen, daß sie einer Armee begegneten, und daß diese Armee nicht nur eine Fahne, sondern auch eine Sache und ein Princip vor ihnen aufpflanzte, es war, sagen wir, als hätten diese unerschrockenen Raufer nun bedacht, daß sie minder gute Republicaner seien, als die Soldaten von Monk, insofern diese das Parlament unterstützten, während Lambert nichts unterstützte, nicht einmal sich selbst.
Hätte aber Monk nachzudenken gehabt, oder hätte er nachgedacht, so wäre dies sehr traurig gewesen, denn die Geschichte erzählt, und diese schamhafte Dame lügt bekanntlich nie, man habe am Tage seiner Ankunft in Coldstream vergebens in der ganzen Stadt einen Hammel gesucht.
Wäre Monk an der Spitze eines englischen Heeres gestanden, so hätte er dieses ganze Heer desertiren zu sehen befürchten müssen. Doch es ist bei den Schottländern nicht wie bei den Engländern, für welche das Fleisch ein ganz unerläßliches Bedürfniß ist; ein armes, nüchternes Volk, leben die Schottländer von etwas Gerste, welche zwischen zwei Steinen zerrieben, mit Brunnenwasser eingerührt und auf einem glühenden Sandstein gebacken wird.
War ihre Gerste ausgetheilt, so kümmerten sich die Schottländer nicht mehr darum, ob es Fleisch in Coldstream gab oder nicht gab.
Nicht sehr vertraut mit dem Gerstenkuchen, hatte Monk Hunger, und eben so ausgehungert als er, schaute sein Generalstab ängstlich nach rechts und links, um zu erfahren, was man zum Abendbrod bereitete.
Monk zog Erkundigungen ein; seine Vorhut hatte bei ihrer Ankunft die Stadt verlassen und die Speisekammern leer gefunden; auf Fleischer und Bäcker durfte man in Coldstream nicht rechnen. Man fand also nicht das kleinste Stückchen Brod für die Tafel des Generals.
Als diese Berichte, die einen immer so wenig beruhigend, als die andern, erfolgten, erklärte Monk, da er den Schrecken und die Entmuthigung auf allen Gesichtern sah, er habe keinen Hunger, überdies würde man am andern Tag essen, da Lambert wahrscheinlich am andern Tag eine Schlacht zu liefern beabsichtigte; würde er hierbei in Newcastle überwältigt, so müßte er seinen Proviant preisgeben, wäre er der Sieger, so würden die Soldaten von Monk für immer vom Hunger befreit.
Dieser Trost war nur bei einer kleinen Zahl wirksam; doch daran lag Monk wenig, denn Monk war sehr unumschränkt unter dem Anschein der vollkommensten Sanftheit.
Jeder mußte also zufrieden sein oder wenigstens scheinen, Monk, der eben so hungerig war, als seine Leute, aber die größte Gleichgültigkeit in Betreff des fehlenden Hammels heuchelte, schnitt ein einen halben Zoll langes Stück Tabak von der Carotte eines Sergenten ab, der zu seinem Gefolge gehörte, und fing an genanntes Stück zu kauen, indem er seine Lieutenants versicherte, der Hunger sei eine Chimäre, und überdies könne man nie hungern, so lange man etwas unter seinen Zahn zu legen, habe.
Dieser Scherz stellte einige von denjenigen zufrieden, welche dem ersten Schluß, den Monk aus der Nähe von Lambert gezogen, widerstanden waren; die Zahl der Widerspänstigen nahm also um eben so viele Köpfe ab; die Wache zog auf, die Patrouillen fingen an und der General setzte sein frugales Mahl unter einem offenen Zelte fort.
Zwischen seinem Lager und dem seines Feindes erhob sich eine Abtei, von der heut zu Tage kaum noch einige Trümmer übrig sind, welche aber damals noch stand und die Newcastle-Abtei genannt wurde. Sie war auf einem weiten Terrain gebaut, das, unabhängig vom Fluß und von der Ebene, beinahe ein von Quellen gespeister und von Regen unterhaltener Sumpf war. Doch mitten unter diesen mit hohem Gras, Schilfrohr und Binsen bedeckten Wasserlachen sah man solidere Theile des Bodens sich erheben, welche einst den Gemüsegarten, den Park, den Lustgarten und die anderen Zubehöre der Abtei bildeten, einer von jenen großen Seespinnen ähnlich, deren Leib rund ist, während sich die Füße im Umkreis ausstrecken.
Der Gemüsegarten, einer von den längsten Füßen der Abtei, dehnte sich bis zum Lager von Monk aus. Leider war man, wie gesagt, in den ersten Tagen des Monats Juni und der, übrigens verlassene, Gemüsegarten bot wenig Mittel.
Monk ließ diesen Ort bewachen als den am meisten zu Ueberfällen geeigneten. Wohl sah man jenseits der Abtei die Feuer des feindlichen Generals. Doch zwischen den Feuern und der Abtei floß die Tweed, ihre leuchtenden Schuppen unter den dichten Schatten einiger großen Steineichen entrollend.
Monk kannte diese Stellung vollkommen, da ihm Newcastle und seine Umgegend schon mehr als einmal als Hauptquartier gedient hatten. Er wußte, daß am Tag sein Feind ohne Zweifel Blänkler in diese Ruine werfen und hier ein Scharmützel suchen dürfte, daß er sich aber in der Nacht wohl hüten würde, gewagter Weise hier zu erscheinen. Er befand sich also in Sicherheit.
Seine Soldaten konnten ihn auch nach dem, was er prunkhafter Weise sein Abendmahl nannte, nämlich nachdem er die oben erwähnte Kauübung vorgenommen hatte, wie später Napoleon am Vorabend der Schlacht von Austerlitz, auf seinem Strohstuhle sitzend halb unter dem Schimmer seiner Lampe, halb unter dem Strahle des Mondes, der am Himmel aufzugehen anfing, schlafen sehen.
Woraus hervorgeht, daß es ungefähr halb zehn Uhr Abends war.
Plötzlich wurde der General diesem vielleicht scheinbaren Halbschlaf von einer Truppe Soldaten entzogen, welche unter einem Freudengeschrei herbeiliefen und mit den Füßen an die Pfosten des Zeltes schlugen, um Monk aufzuwecken.
Es war nicht nöthig, einen so gewaltigen Lärmen zu machen. Der General öffnete die Augen.
»Nun! meine Kinder, was geht denn vor?« fragte der General.
»General,« antworteten mehrere Stimmen, »General, Ihr werdet zu Nacht essen.«
»Ich habe zu Nacht gegessen?« erwiederte dieser ruhig, »und ich verdaute, wie Ihr seht. Doch tretet ein, und sagt mir, was Euch hierher führt?«
»General, eine gute Kunde!«
»Bah! hat uns Lambert sagen lassen, er werde sich morgen schlagen?«
»Nein, aber wir haben eine Barke weggenommen, welche Fische in das Lager von Newcastle brachte.«
»Und Ihr habt Unrecht gehabt, meine Freunde. Diese Herren von London sind delicat, sie halten große Stücke auf ihr erstes Gericht; Ihr versetzt sie in sehr schlechte Laune; sie werden diesen Abend und morgen unbarmherzig sein. Die Artigkeit würde verlangen, Herrn Lambert seine Fische und seine Fischer zurückzuschicken, wenn nicht . . . «
Der General dachte einen Augenblick nach.
»Sagt mir, wenn’s beliebt,« fuhr er fort, »wer sind diese Fischer?«
»Picardische Seeleute, welche an der Küste von Frankreich oder von Holland fischten und durch einen Sturm auf die unsrige geworfen worden sind.«
»Sprechen einige von ihnen unsere Sprache?«
»Der Anführer hat uns ein paar Worte Englisch gesagt,«
Das Mißtrauen des Generals war rege geworden, während er diese Nachrichten erhielt.
»Es ist gut,« sagte er, »Ich wünsche diese Leute zu sehen. Führt sie hierher.«
Sogleich ging ein Officier ab, um sie zu holen.
»Wie viel sind es?» fuhr Monk fort, »und was für ein Fahrzeug haben sie?«
»Es sind ihrer zehn bis zwölf, mein General, und sie haben eine Art von Fischerbarke von holländischer Bauart, wie es uns vorkam.«
»Und Ihr sagt, sie haben Fische in das Lager von Lambert gebracht?«
»Ja, General, es scheint sogar, sie haben einen sehr guten Fang gethan.«
»Gut, wir werden das sehen,« sagte Monk.
In demselben Augenblick kam wirklich der Officier zurück und brachte den Anführer der Fischer, einen Mann von ungefähr fünfzig bis fünfundfünfzig Jahren, aber von gutem Aussehen. Er war von mittlerem Wuchse und trug einen, Rock von grober Wolle und eine bis auf die Augen eingedrückte Mütze; ein Messer stack in seinem Gürtel, und er ging mit dem eigenthümlichen Zögern der Seeleute, welche, da sie, wegen der Bewegung des Schiffes, nie wissen, ob sie ihren Fuß auf den Boden oder in den leeren Raum setzen, jedem ihrer Schritte eine so feste Lage geben, als ob es sich darum handelte, einen Grundpfahl einzurammen.
Monk betrachtete lange mit einem seinen, durchdringenden Bück den Fischer, der ihm auf jene halb spöttische, halb alberne Weise der französischen Bauern zulächelte.
»Du sprichst Englisch?« fragte Monk in vortrefflichem Französisch.
»Ah! sehr schlecht, Mylord,« antwortete der Fischer.
Diese Antwort wurde mehr mit dem lebhaften, gestoßenen Accente der Leute jenseits der Loire, als mit dem etwas schleppenden Accent der westlichen und nördlichen Gegenden Frankreichs gegeben,
»Aber Du sprichst es doch?« sagte Monk, um noch einmal diesen Accent zu studiren,
»Wir Seeleute,« erwiederte der Fischer, »sprechen ein wenig alle Sprachen.«
»Du bist also Fischer?«
»Für heute, Mylord, Fischer und zwar ein ausgezeichneter Fischer. Ich habe einen Bar gefangen, der wenigstens dreißig Pfund wiegt, und mehr als fünfzig Seebarben: ich habe auch kleine Merlane, welche gebacken vortrefflich schmecken werden.«
»Du kommst mir vor, als hättest Du mehr im Meerbusen von Gascogne, als im Kanal gefischt,« sagte Monk lächelnd.
»Ich bin in der That aus dem Süden . . . kann man deshalb nicht ein guter Fischer sein?«
»Doch, und ich kaufe Dir Deinen Fang ab; sprich nun offenherzig, für wen hattest Du ihn bestimmt?«
»Mylord, ich verberge Euch nicht, daß ich, der Küste folgend, nach Newcastle fahren wollte, als eine Abtheilung Retter, welche in umgekehrter Richtung auf dem User ritten, meine Barke durch ein Zeichen bis zum Lager von Eurer Herrlichkeit zurückfahren hießen, wobei sie uns mit einem Musketenfeuer bedrohten, wenn wir uns weigern sollten. Da ich nicht für den Krieg ausgerüstet war, so mußte ich gehorchen,« fügte der Fischer lächelnd bei.
»Und warum wolltest Du zu Lambert gehen und nicht zu mir?«
»Mylord, soll ich offenherzig sein? erlaubt es Eure Herrlichkeit?«
»Ja, und ich befehle es Dir sogar im Nothfall.«
»Nun, Mylord, ich wollte zu Herrn Lambert, weil diese Herren von der Stadt gut bezahlen, während Ihr Schottländer, Puritaner, Presbyterianer, Convenanter, wie Ihr Euch heißen möget, wenig eßt und gar nichts bezahlt.«
Monk zuckte die Achseln, ohne sich jedoch zugleich eines Lächelns erwehren zu können.
»Und warum fischtest Du an unserer Küste, da Du aus dem Süden bist?«
»Weil ich so dumm gewesen bin, mich in der Picardie zu verheirathen.«
»Ja, aber die Picardie ist nicht England.«
»Mylord, der Mensch treibt das Schiff in’s Meer, aber Gott und der Wind thun das Uebrige und treiben das Schiff, wohin es ihnen beliebt.«
»Du hattest also nicht die Absicht, bei uns zu landen?«
»Nie.«
»Und welchen Weg hast Du gemacht?«
»Wir kamen von Ostende zurück, wo man schon Makrelen gesehen hatte, als uns ein heftiger Südwind abfallen machte; da wir sahen, daß es vergeblich gewesen wäre, mit ihm zu kämpfen, so fuhren wir vor ihm. Wir mußten also den Fang, der gut war, um ihn nicht zu verlieren, im nächsten Hasen von England verkaufen; dieser nächste Hasen aber war Newcastle; es bot sich uns eine gute Gelegenheit, denn man sagte uns, es finde sich Volk im Uebermaß im Lager, Volk im Uebermaß in der Stadt; das Lager und die Stadt seien voll von sehr reichen und sehr hungerigen Herren, sagte man uns abermals, und so wandte ich mich nach Newcastle.«
»Und wo sind Deine Gefährten?«
»Oh! sie sind an Bord geblieben; es sind Matrosen ohne alle Bildung.«
»Während Du?« fragte Monk.
»Oh! ich bin viel mit meinem Vater umhergefahren und weiß, wie man ein Sou, ein Thaler, eine Pistole, ein Louis d’or und ein Doppellouis d’or in allen Sprachen Europas sagt: meine Mannschaft hört auch auf mich wie auf ein Orakel und gehorcht mir wie einem Admiral.«
»Du hattest also Herrn Lambert als den besten Kunden gewählt?«
»Ja, gewiß. Sagt, offenherzig, Mylord, hatte ich mich getäuscht?«
»Das wirst Du später sehen,«
»In jedem Fall, Mylord, wenn ein Fehler obwaltet, ist es meine Schuld, und Ihr dürft deshalb nicht meinen Kameraden böse sein.«
»Das ist offenbar ein gescheiter Bursche!« dachte Monk.
Dann nach einigen Minuten, die er dazu anwandte um den Fischer geistig näher anzuschauen, fragte er:
»Du kommst von Ostende, wie Du sagst?«
»Ja, Mylord, in gerader Linie.«
»Dann hast Du wohl von den Angelegenheiten des Tages reden hören, denn ich zweifle nicht daran, daß man sich in Frankreich und in Holland damit beschäftigt. Was macht derjenige, welchen man den König von England nennt?«
»Oh! Mylord,« rief der Fischer mit einer geräuschvollen und schwatzhaften Offenherzigkeit, »das ist eine glückliche Frage, und Ihr hättet Euch an Niemand besser wenden können, als an mich, denn ich kann Euch in der That vortrefflich Antwort geben. Stellt Euch vor, daß ich in Ostende, wo ich anlegte, um die paar Makrelen zu verkaufen, die wir gefangen hatten, den Exkönig auf den Dünen in Erwartung seiner Pferde, die ihn nach dem Haag bringen sollten, spazieren gehen sah; es ist ein großer, bleicher Mensch mit schwarzen Haaren und einer etwas harten Miene. Er sieht aus, als ob er unpäßlich wäre, und ich glaube, die Luft von Holland wird ihm nicht zuträglich sein.«
Monk folgte mit großer Aufmerksamkeit der raschen, gefärbten und weitschweifigen Rede des Fischers in einer Sprache, die nicht die seinige war; zum Glück sprach er, wie gesagt, das Französische mit großer Leichtigkeit. Der Fischer gebrauchte seinerseits bald ein französisches Wort, bald ein englisches Wort, bald ein Wort, das gar keiner Sprache anzugehören schien und ein gascognisches war. Glücklicher Weise sprachen seine Augen für ihn, und zwar so beredt, daß man zwar ein Wort seines Mundes, aber nicht eine einzige Absicht seiner Augen verlieren konnte.
Der General schien mit seiner Prüfung immer mehr zufrieden.
»Du mußtest sagen hören, dieser Exkönig, wie Du ihn nennst, habe sich in einer Absicht nach dem Haag gewendet?«
»O ja, gewiß,« antwortete der Fischer, »ich habe das sagen hören.«
»Und in welcher Absicht?«
»Immer in derselben; hat er nicht die fixe Idee, nach England zurückzukehren?«
»Das ist wahr,« sprach Monk nachdenkend.
»Abgesehen davon,« fügte der Fischer bei, »daß der Stadhouder . . . Ihr wißt, Mylord, Wilhelm II . . . «
»Nun?«
»Er wird ihn mit seiner Lanzen Macht unterstützen.«
»Ah! Du hast das sagen hören?«
»Nein, aber ich glaube es.«
»Du bist stark in der Politik, wie es scheint?« fragte Monk.
»Oh! wir Seeleute, Mylord, die wir das Wasser und die Luft, das heißt, die zwei beweglichsten Dinge der Welt, zu studiren pflegen, täuschen uns im Uebrigen selten.«
»Höre,« sagte Monk, das Gespräch verändernd, »man behauptet, Du werdest uns, gut speisen.«
»Ich werde mein Möglichstes thun, Mylord.«
»Was verlangst Du für Deinen Fang?«
»Ich bin nicht so dumm, daß ich einen Preis mache, Mylord.«
»Warum dies?«
»Weil meine Fische Euch gehören.«
»Mit welchem Recht?«
»Mit dem Rechte des Stärkern.«
»Aber es ist meine Absicht, sie Dir zu bezahlen.«
»Das ist sehr großmüthig von Euch, Mylord.«
»Und zwar zu ihrem vollen Werth.«
»Ich verlange nicht viel.«
»Und wie viel verlangst Du denn?«
»Ich verlange nur, gehen zu dürfen.«
»Wohin? zum General Lambert?«
»Ich!« rief der Fischer, »warum sollte ich nach Newcastle gehen, da ich keine Fische mehr habe?«
»In jedem Fall höre mich.«
»Ich höre.«
»Einen Rath . . . «
»Wie, Mylord will mich bezahlen und mir auch noch einen guten Rath geben? Mylord ist gar zu gütig!«
Monk schaute fester als je den Fischer an, gegen den er immer noch einen gewissen Argwohn zu haben schien.
»Ja, ich will Dich bezahlen und Dir einen Rath geben, denn diese zwei Dinge stehen im Zusammenhang. Wenn Du zu General Lambert zurückkehrst . . . «
Der Fischer machte eine Bewegung mit dem Kopf und mit den Schultern, welche bedeutete:
»Wenn er darauf besteht, wollen wir ihm nicht widersprechen.«
»Schlage nicht den Weg durch den Sumpf ein,« fuhr Monk fort,
»Du wirst Geld bei Dir haben, und es sind im Moor einige Hinterhalte von Schottländern, die ich dahin gelegt habe. Das sind durchaus nicht geschmeidige Leute, welche die Sprache, die Du sprichst, schlecht verstehen, obgleich sie mir aus drei Sprachen zusammengesetzt zu sein scheint; sie könnten Dir wieder abnehmen, was ich Dir gegeben hätte, und in Deine Heimath zurückgekehrt würdest Du unfehlbar sagen, der General Monk habe zwei Hände, eine schottische und eine englische, und mit der schottischen Hand nehme er wieder, was er mit der englischen gegeben habe.«
»Oh! General, seid unbesorgt, ich werde gehen, wohin Ihr wollt,« sagte der Fischer mit einer Aengstlichkeit, welche zu ausdrucksvoll war, um nicht übertrieben zu sein. »Ich verlange nichts Anderes, als hier zu bleiben, wenn Ihr wollt, daß ich hier bleibe.«
»Ich glaube Dir,« erwiederte Monk mit einem unmerklichen Lächeln; »aber ich kann Dich doch nicht unter meinem Zelt behalten.«
»Ich bin nicht so anmaßend, dies zu verlangen, und wünsche nur. Eure Herrlichkeit möchte mir einen Platz anweisen. Unseretwegen braucht sie sich nicht zu belästigen, denn für uns ist eine Nacht bald vorüber.«
»Dann will ich Dich zu Deiner Barke führen lassen.«
»Wie es Eurer Herrlichkeit beliebt. Nur wäre ich Eurer Herrlichkeit unendlich dankbar, wenn sie mich wollte durch einen Zimmermann zurückführen lassen.«
»Warum dies?«
»Weil die Herren von Eurer Armee, indem sie meine Barke am Kabel, das ihre Pferde zogen, den Fluß hinauffahren ließen, dieselbe ein wenig an den Felsen des Users zerrissen, so daß ich wenigstens zwei Fuß Wasser in meinem Raum habe.«
»Ein Grund mehr, daß Du Dein Fahrzeug überwachst, wie mir scheint.«
»Mylord, ich bin ganz zu Euren Befehlen,« sagte der Fischer. »Ich will meine Körbe ausladen, wo Ihr wollt; dann werdet Ihr mich bezahlen, wenn es Euch beliebt; Ihr werdet mich zurückschicken, wenn es Euch genehm ist. Ihr seht, daß sich leicht mit mir leben läßt.«
»Ja, ja, Du bist ein guter Teufel,« erwiederte Monk, dessen forschender Blick nicht den geringsten Schatten in dem durchsichtigen Auge des Fischers hatte finden können. »Hollah! Digby.«
Es erschien ein Adjutant.
»Ihr werdet diesen würdigen Burschen und seine Gefährten zu den kleinen Zelten der Marketender vor den Sümpfen führen; auf diese Art sind sie ganz in der Nähe ihrer Barke und brauchen doch nicht diese Nacht im Wasser zu schlafen. Was gibt es, Spithead?«
Spithead war der Sergent, von dem Monk ein Stück Tabak zum Abendbrot, entlehnt hatte.
Spithead antwortete, als er in das Zelt des Generals eintrat, ohne gerufen zu sein, auf die Frage von Monk:
»Mylord, ein französischer Cavalier ist so eben bei den Vorposten erschienen und verlangt mit Eurer Herrlichkeit zu sprechen.«
Dies wurde, wohl verstanden, in englischer Sprache gesagt.
Aber obgleich es in dieser Sprache gesprochen wurde, machte doch der Fischer eine leichte Bewegung, welche Monk, mit seinem Sergenten beschäftigt, nicht bemerkte.
»Und wer ist dieser Cavalier?» fragte Monk.
»Mylord,« antwortete Spithead, »er hat es mir gesagt, doch diese verteufelten französischen Namen sind für eine schottische Kehle so schwer auszusprechen, daß ich es nicht behalten konnte. Uebrigens ist dieser Cavalier, wie mir die Wachen gesagt haben, derselbe, der sich gestern auf der Etape eingefunden hat und den Eure Herrlichkeit nicht empfangen wollte.«
»Es ist wahr» ich hatte meine Officiere zu einer Berathung versammelt.«
»Was bestimmt Mylord in Betreff dieses Cavaliers?«
»Man führe ihn hierher.«
»Soll man Vorsichtsmaßregeln nehmen?«
»Welche?«
»Ihm zum Beispiel die Augen verbinden?’’
»Wozu? Er wird nichts sehen, als was man nach meinem Willen sehen soll, nämlich daß ich elftausend Brave um mich habe, die nichts Anderes verlangen, als sich zu Ehren des Parlaments, Schottlands und Englands zu erwürgen.«
»Und dieser Mann, Mylord?« sagte Spithead auf den Fischer deutend, der während dieses Gesprächs unbeweglich wie ein Mensch, welcher sieht, aber nicht begreift, stehen geblieben war.
»Ah! es ist wahr,« versetzte Monk.
Dann sich gegen den Fischer umwendend, sprach er:
»Auf Wiedersehen, mein Braver; ich habe ein Lager für Dich gewählt. Digby, führt ihn. Sei unbesorgt, man wird Dir Dein Geld sogleich schicken.«
»Ich danke, Mylord,« sagte der Fischer.
Und nachdem er sich verbeugt hatte, ging er mit Digby ab.
Hundert Schritte vom Zelt fand er seine Kameraden wieder, welche unter sich mit einer Zungenfertigkeit flüsterten, die nicht ganz von Unruhe frei zu sein schien, doch er machte ihnen ein Zeichen, das sie wohl beruhigte.
»Hollah, Ihr Leute!« rief der Patron, »kommt hierher: Seine Herrlichkeit der General Monk ist so großmüthig, uns unsere Fische zu bezahlen und uns Gastfreundschaft für diese Nacht zu gewähren.«
Die Fischer sammelten sich um ihren Anführer, und geleitet von Digby, begab sich die kleine Truppe nach dem ihr angewiesenen Posten.
Während sie so fortwanderten, kamen die Fischer in der Dunkelheit an der Wache vorüber, die den französischen Cavalier zum General Monk führte.
Dieser Cavalier war zu Pferde und in einen weiten Mantel gehüllt, weshalb ihn der Patron nicht sehen konnte, so groß auch seine Neugierde zu sein schien. Der Cavalier aber, der nicht wußte, daß er so nahe an Landsleuten vorüberkam, schenkte der kleinen Truppe nicht die geringste Aufmerksamkeit.
Der Adjutant quartierte seine Gäste in einem ziemlich reinlichen Zelte ein, das eine irische Marketenderin verlassen mußte, welche die Nacht zubringen konnte, wo sie mit ihren sechs Kindern Platz fand. Ein großes Feuer brannte vor diesem Zell und warf sein purpurnes Licht auf die mit Gras bewachsenen Wasserlachen des Sumpfes, den ein frischer Abendwind runzelte. Als die Einquartierung geschehen war, wünschte der Adjutant den Matrosen eine gute Nacht, indem er ihnen bemerkte, man sehe von der Schwelle des Zeltes aus die Masten der Barke, die sich auf der Tweed schaukle, was zum Beweis diene, daß sie noch nicht untergesunken sei.
Dieser Anblick schien den Patron der Fischer unendlich zu erfreuen.
X.
Der französische Edelmann, den Spithead Monk gemeldet hatte, und der so gut in seinen Mantel gehüllt an dem Fischer vorübergeritten war, welcher aus dem Zelt des Generals fünf Minuten, ehe er eintrat, herauskam, der französische Edelmann, sagen wir, zog durch die verschiedenen Posten, ohne im Geringsten umherzuschauen, aus Furcht, indiscret zu sein. Man führte ihn, dem Befehl gemäß, in das Zelt des General Monk. Der Cavalier blieb allein in dem Vorzimmer, das vor dem Zelt kam, und wartete hier auf Monk, der, um zu erscheinen, nur so lange zögerte, als er brauchte, um die Meldung seiner Leute zu hören und durch die leinene Scheidewand das Gesicht desjenigen zu studiren, welcher um eine Unterredung bat.
Ohne Zweifel bestätigte die Meldung der Leute, welche den französischen Cavalier begleitet hatten, die Discretion, mit der er zu Werk gegangen war, denn der erste Eindruck, den auf den Fremden der Empfang machte, der ihm von Seiten des Generals zu Theil wurde, war viel günstiger, als er in einem solchen Augenblick und von einem so argwöhnischen Mann erwartet hatte. Nichtsdestoweniger heftete Monk seiner Gewohnheit gemäß, als er sich dem Fremden gegenüber fand, auf diesen seine durchdringenden Blicke, welche der Fremde, ohne in Verlegenheit zu gerathen oder unruhig zu werden, aushielt. Nach Verlauf von einigen Secunden bedeutete der General durch eine Geberde der Hand und des Kopfes, daß er warte.
»Mylord,« sprach der Cavalier in vortrefflichem Englisch, »ich habe Eure Ehren um eine Unterredung in einer sehr wichtigen Angelegenheit bitten lassen.«
»Mein Herr,« erwiederte Monk französisch, »Ihr sprecht unsere Sprache sehr rein für einen Sohn des Festlands. Ich bitte Euch um Verzeihung, denn ohne Zweifel ist meine Frage unbescheiden, sprecht Ihr das Französische mit derselben Reinheit?«
»Ihr dürft Euch nicht darüber wundern, Mylord, daß ich das Englische ziemlich geläufig spreche; ich habe in meiner Jugend in England gewohnt und seitdem zwei Reisen in diesem Land gemacht.«
Diese Worte wurden französisch gesprochen, und zwar mit einer Sprachreinheit, welche nicht nur einen Franzosen, sondern sogar einen Franzosen aus der Gegend von Tours bezeichnete.
»Und in welchem Theil voit England habt Ihr gewohnt, mein Herr?«
»In meiner Jugend in London, Mylord, sodann um’s Jahr 1635 machte ich eine Vergnügungsreise in Schottland; im Jahr 1648 endlich wohnte ich einige Zeit in Newcastle und besonders in dem Kloster, dessen Gärten von Eurer Armee besetzt sind.«
»Entschuldigt mich, mein Herr, doch von meiner Seite werdet Ihr diese Frage begreifen, nicht wahr?«
»Ich würde mich wundern, Mylord, solltet Ihr dieselbe nicht machen.«
»Sprecht nun, mein Herr, womit kann ich Euch dienlich sein, und was wünscht Ihr von mir?«
»Hört, Mylord; doch sind wir allein?«
»Vollkommen allein, mein Herr, mit Ausnahme des Postens, der uns bewacht.«
Als Monk diese Worte sprach, schob er die Leinwand des Zeltes mit der Hand zurück und zeigte dem Cavalier, daß die Schildwache höchstens zehn Schritte entfernt war, und daß man auf den ersten Ruf in einer Secunde bewaffneten Beistand haben konnte.
»Wenn es so ist, Mylord,« sagte der Fremde mit so ruhigem Tone, als stünde er seit langer Zeit in freundschaftlicher Verbindung mit Monk, »wenn wir allein sind, so bin ich entschlossen, mit Eurer Herrlichkeit zu sprechen, da ich weiß, daß Ihr ein redlicher Mann seid. Die Mittheilung, die ich Euch zu machen habe, wird Euch übrigens beweisen, wie hoch ich Euren Werth schätze.«
Erstaunt über diese Sprache, welche zwischen ihm und dem französischen Edelmann wenigstens die Gleichheit feststellte, heftete Monk sein durchdringendes Auge auf den Fremden und sagte mit einer Ironie, welche nur durch die Biegung der Stimme bemerkbar war, denn es rührte sich nicht eine Muskel seines Gesichtes:
»Ich danke Euch, mein Herr; doch ich bitte, sagt mir vor Allem, wer seid Ihr?«
»Ich habe meinen Namen schon dem Sergenten genannt, Mylord.«
»Entschuldigt, er ist ein Schottländer, und es war ihm schwierig, ihn zu behalten.«
»Ich heiße Graf de la Fère,« sagte Athos sich verbeugend.
»Graf de la Fère?« versetzte Monk, in seinem Gedächtniß suchend. Verzeiht, mein Herr, doch mir scheint, es ist nicht das erste Mal, daß ich diesen Namen höre. Nehmt Ihr einen Posten am französischen Hose ein?«
»Keinen. Ich bin ein einfacher Edelmann.«
»Welche Würde?«
»König Karl I. hat mich zum Ritter vom Hosenbandorden gemacht, und Anna von Oesterreich hat mir das Band des heiligen Geistordens gegeben. Das sind meine einzigen Würden, mein Herr.«
»Das Hosenband! den heiligen Geistorden! Ihr seid Ritter von diesen zwei Orden, mein Herr?«
»Ja.«
»Bei welcher Veranlassung ist Euch eine solche Gunst zu Theil geworden?«
»Für Dienste, die ich Ihren Majestäten geleistet habe.«
Monk schaute voll Erstaunen diesen Mann an, der ihm zugleich so einfach und so groß vorkam. Dann, als hätte er darauf verzichtet, das Geheimniß dieser Einfachheit und dieser Größe zu ergründen, über das ihm der Fremde keine andere Auskunft, als die, welche er schon erhalten, zu geben geneigt zu sein schien, sagte er.
»Ihr seid es wohl, der gestern bei den Vorposten erschienen ist?«
»Und den man zurückgewiesen hat, ja, Mylord.«
»Viele Officiere, mein Herr, gestatten Niemand den Eintritt in ihr Lager, besonders am Vorabend einer wahrscheinlichen Schlacht. Doch ich weiche darin von meinen Collegen ab und liebe es, nichts hinter mir zu lassen. Jede Warnung ist mir gut; jede Gefahr wird mir von Gott geschickt, und ich wäge sie in meiner Hand mit der Energie ab, die er mir gegeben hat. Ihr seid auch gestern nur wegen des Raths, den ich eben hielt, zurückgewiesen wurden. Heute bin ich frei, sprecht.«
»Mylord, Ihr habt um so besser daran gethan, mich zu empfangen, als es sich weder um die Schlacht, die Ihr dem General Lambert zu liefern im Begriff seid, noch um Euer Lager handelt, und zum Beweise mag dienen, daß ich, um Eure Leute nicht zu sehen, den Kopf abgewendet, und um Eure Zelte nicht zu zählen, die Äugen geschlossen habe. Nein, ich komme, um für mich zu sprechen, Mylord.«
»Sprecht also, mein Herr.«
»So eben,« fuhr Athos fort, »so eben hatte ich die Ehre, Eurer Herrlichkeit zu sagen, ich habe lange in Newcastle gewohnt: es war dies zur Zeit von König Karl I., und als der selige König durch die Schottländer Herrn Cromwell ausgeliefert wurde.«
»Ich weiß es.« erwiederte Monk mit kaltem Ton.
»Ich hatte in jenem Augenblick eine starke Summe in Gold, und aus einer Ahnung vielleicht, wie die Dinge am andern Tage gehen müßten, verbarg ich sie in dem Hauptkeller des Klosters von Newcastle, in dem Thurm, dessen Gipfel Ihr von hier aus vom Mond versilbert seht. Mein Schatz ist also dort vergraben worden, und ich komme, um Eure Herrlichkeit zu bitten, Ihr möget mir erlauben, ihn von dort zurückzunehmen, ehe vielleicht, wenn sich die Schlacht nach jener Seite zieht, eine Mine oder irgend ein anderes Kriegsspiel das Gebäude zerstört und mein Gold verzettelt oder so sichtbar macht, daß sich die Soldaten desselben bemächtigen.«
Monk verstand sich auf die Menschen; er sah auf dem Gesichte von diesem jede Energie, jede Vernunft, jede mögliche Klugheit. Er konnte also nur einem hochherzigen Vertrauen, die Offenbarung des französischen Edelmanns zuschreiben, und er zeigte sich tief gerührt dadurch.
»Mein Herr,« sagte er, »Ihr habt Euch in Eurer Meinung über mich in der That nicht getäuscht. Doch ist es die Summe werth, daß Ihr Euch einer Gefahr aussetztet? Glaubt Ihr sogar, daß sie noch an dem Ort ist, wo Ihr sie gelassen habt?«
»Sie ist noch dort, zweifelt nicht daran.«
»Das ist eine Frage; doch die andere . . . Ich fragte Euch, war die Summe so stark, daß Ihr Euch deshalb solchen Gefahren aussetzen mußtet?«
»Sie ist wirklich stark, ja, Mylord, und es ist eine Million, die ich in zwei Tonnen eingeschlossen habe.«
»Ein Million!« rief Monk, den diesmal Athos ebenfalls fest und lang anschaute.
Monk bemerkte es; da regte sich sein Mißtrauen wieder.
»Das ist ein Mensch,« sagte er, »der mir eine Falle stellt. Mein Herr,« fuhr er laut fort, »Ihr möchtet gern diese Summe zurücknehmen, so viel ich begreife?«
»Wenn es Euch beliebt, Mylord.«
»Heute?«
»Noch diesen Abend, und zwar wegen der Umstände, die ich Euch erklärt habe.«
»Aber, mein Herr,« entgegnete Monk, »der General Lambert ist ebenso nahe bei der Abtei, wo Ihr zu thun habt, als ich. Warum habt Ihr Euch nicht an ihn gewendet?«
Mylord, wenn man in wichtigen Verhältnissen handelt, muß man vor Allem mit seinem Instinct zu Rathe gehen: der General Lambert flößt mir aber nicht das vertrauen ein, das Ihr mir einflößt.«
»Es sei, mein Herr, Ich werde machen, daß Ihr Euer Geld wieder auffindet, wenn es überhaupt noch da ist, denn es kann am Ende nicht mehr da sein. Seit 1643 sind zwölf Jahre abgelaufen und viele Ereignisse vorgefallen.«
Monk hob diesen Punkt hervor, um zu sehen, ob der französische Edelmann den Ausweg ergreifen würde, der ihm geöffnet war, aber Athos verzog keine Miene.
»Ich versichere Euch, Mylord,« erwiederte er ruhig, »ich bin hinsichtlich meiner zwei Tonnen fest überzeugt, daß sie weder den Platz, noch den Herrn verändert haben.«
Diese Antwort benahm Monk einen Verdacht, gab ihm aber einen andern ein.
Ohne Zweifel war der Franzose ein Emissär, den man abgesandt hatte, um den Beschützer des Parlaments zu einem Fehler zu verleiten; das Gold war nur ein Köder; mit Hilfe dieses Köders wollte man ohne Zweifel die Habgier des Generals rege machen. Dieses Gold sollte gar nicht bestehen. Es handelte sich für Monk darum, den französischen Cavalier auf einer Lüge und einer List zu ertappen, und gerade aus der Falle, in. der ihn seine Feinde fangen wollten, einen Triumph für seinen Ruf zu ziehen. Sobald sich Monk über das, was zu thun war, entschieden hatte, sagte er zu Athos:
»Mein Herr, Ihr werdet mir ohne Zweifel die Ehre erweisen, mein Abendbrod mit mir zu theilen?«
»Ja Mylord.« antwortete Athos sich verbeugend, »denn Ihr erweist mir eine Ehre, der ich mich durch die Neigung, die mich zu Euch hinzieht, würdig fühle.«
»Es ist um so freundlicher von Euch, daß Ihr meine Einladung so bereitwillig annehmt, als meine Köche durchaus nicht zahlreich und geübt, und als meine Proviantmeister diesen Abend mit leeren Händen zurückgekommen sind, so daß, wenn sich nicht ein Fischer Eurer Nation in mein Lager verirrt hätte, der General Monk sich heute ohne Abendbrod niederlegen müßte. Ich habe also frische Fische, wie mir der Verkäufer sagte.«
»Mylord, ich entspreche hauptsächlich Eurer Einladung, um die Ehre zu haben, einige Augenblicke länger in Eurer Gesellschaft zuzubringen.«
Nach diesem Austausch von Höflichkeiten, in dessen Verlauf Monk nichts von seiner Umsicht verlor, wurde das Abendbrod, oder das, was dessen.Stelle einnehmen sollte, auf einen Tisch von Tannenholz aufgetragen.
Monk bedeutete dem Grafen de la Fère durch ein Zeichen, er möge sich an diesen Tisch setzen/und nahm ihm gegenüber Platz: eine einzige Platte mit gesottenem Fisch bedeckt entsprach, den zwei erhabenen Gästen geboten, mehr ausgehungerten Magen, als schmierigen Gaumen.
Während er zu Nacht speiste, nämlich den mit schlechtem Ale besprengten Fisch aß, ließ sich Monk die letzten Ereignisse der Fronde, die Aussöhnung von Herrn von Condé mit dem König, die wahrscheinliche Vermählung Seiner Majestät mit der Infantin Maria Theresia erzählen, doch er vermied, wie es Athos selbst vermied, jede Anspielung auf die politischen Interessen, welche in diesem Augenblick England, Frankreich und Holland einigten, oder vielmehr veruneinigten.
Monk überzeugte sich bei diesem Gespräch von einer Sache, die er schon bei dem Austausch der ersten Worte bemerkte, daß er es nämlich mit einem Mann von hoher Distinction zu thun hatte.
Dieser Mann konnte kein Mörder sein, und es widerstrebte Monk, ihn für einen Spion zu halten, doch an Athos war genug Feinheit und zugleich Festigkeit bemerkbar, daß Monk in ihm einen Verschwörer zu erkennen glaubte.
Als sie vom Tische aufstanden, fragte Monk:
»Ihr glaubt also an Euren Schatz, mein Herr?«
»Ja, Mylord.«
»Im Ernst?«
»In vollem Ernst.«
»Und Ihr glaubt, Ihr werdet den Platz wieder finden, wo er vergraben ist?«
»Bei der ersten Einsicht.«
»Wohl, mein Herr,« sagte Monk, »aus Neugierde werde ich Euch begleiten. Und ich muß Euch um so mehr begleiten, als Ihr die größten Schwierigkeiten finden würdet, wenn Ihr ohne mich oder ohne einen meiner Lieutenants im Lager umhergehen wolltet.«
»General, ich winde es nicht dulden, daß Ihr Euch stören ließet, bedürfte ich nicht in der That Eurer Gesellschaft; doch da ich erkenne, daß diese Gesellschaft nicht nur ehrenvoll, sondern nothwendig für mich ist, so nehme ich Euer Anerbieten an.«
»Wünscht Ihr, daß wir Leute mitnehmen?« sagte Monk.
»General, ich glaube, es ist unnöthig, wenn Ihr es nicht selbst etwa für nothwendig erachtet. Zwei Männer und ein Pferd werden genügen, um die zwei Tonnen auf die Felucke zu schaffen, die mich gebracht hat.«
»Aber man wird hacken, graben, die Erde umwühlen, die Steine spalten müssen, und Ihr gedenkt doch wohl dieses Geschäft nicht allein abzumachen?«
»General, man braucht weder zu hacken, noch die Erde zu umwühlen. Der Schatz ist in der Gruft des Klosters begraben; unter einem Stein, in welchem ein dicker, eiserner Ring eingelöthet ist, öffnet sich eine kleine Staffel von vier Stufen, Dort sind die zwei Tonnen, Ende an Ende und mit Gyps übertüncht, so daß das Ganze die Form eines Sarges hat. Dabei ist eine Inschrift, die mir zu Erkennung des Steines dienen muß, und da ich in einer Angelegenheit von so zarter Natur, bei einer Vertrauenssache kein Geheimniß vor Eurer Herrlichkeit haben will, so nenne ich Euch diese Inschrift:
»Hic jacet venerabilis Petrus Guilelmus Scott. Canon. Honorab. Conventius novi castelli. Obiit quarta et decima die Febr. ann, dom. CIƆIƆCVIII.
Monk verlor kein Wort. Er staunte entweder über die wunderbare Doppelheit dieses Mannes und über die ausgezeichnete Weise, wie er seine Rolle spielte, oder über die Treuherzigkeit, über den guten Glauben, womit er sein Gesuch in einer Lage vorbrachte, wo es sich um eine Million handelte, die gegen einen Dolchstoß mitten unter einer Armee gewagt wurde, welche den Raub wie eine Wiedererstattung betrachtet hätte.
»Es ist gut,« sagte er, »ich begleite Euch, und das Abenteuer kommt mir so wunderbar vor, daß ich selbst die Fackel tragen will.«
Während er diese Worte sprach, schnallte er ein kurzes Schwert um, steckte er eine Pistole in seinen Gürtel und entblößte bei dieser Bewegung, die sein Wamms ein wenig öffnete, die seinen Ringe eines Panzerhemdes, das bestimmt war, ihn vor dem ersten Dolchstoß eines Mörders zu schützen.
Nachdem er dies gethan, nahm er einen schottischen Dirk in seine linke Hand, wandte sich gegen Athos um und sagte:
»Seid Ihr bereit, mein Herr? ich bin es.«
Athos nahm im Gegensatz zu dem, was Monk gethan, seinen Dolch und legte ihn auf den Tisch, schnallte die Kuppel seines Degens los, legte diesen neben seinen Dolch, öffnete ohne Affectation die Agraffen seines Wammses, als wollte er sein Sacktuch suchen, und zeigte unter seinem seinen Batisthemd seine bloße, weder durch Angriffs- noch Vertheidigungswaffen geschützte Brust.
»Das ist in der That ein seltsamer Mann,« sagte Monk, »er ist völlig unbewehrt; er muß also einen Hinterhalt dort gelegt haben.«
»General,« sprach Athos, als hätte er den Gedanken von Monk errathen, »es ist Euer Wille, daß wir allein seien, sehr gut; doch ein großer Feldherr muß sich nie verwegen aussetzen; es ist Nacht, der Weg durch das Moor kann Gefahren bieten, laßt Euch begleiten.«
»Ihr habt Recht.« erwiederte Monk.
Und er rief:
»Digby!«
Der Adjutant erschien.
»Fünfzig Mann mit dem Degen und der Muskete,« befahl er.
Und er schaute Athos an.
»Das ist sehr wenig, wenn eine Gefahr droht,« sagte Athos; »es ist zu viel, wenn keine droht.«
»Ich werde allein gehen,« sprach Monk. »Digby, ich brauche Niemand. Kommt, mein Herr.«
XI.
Athos und Monk durchschritten mit einander auf ihrem Wege vom Lager nach der Tweed denjenigen Theil der Gegend, durch welchen Digby die Fischer geführt hatte, als sie von der Tweed nach dem Lager gingen. Der Anblick dieses Ortes, der Anblick der Veränderungen, welche die Menschen hier bewirkt hatten, war ganz geeignet, den grüßten Eindruck auf eine so zarte und so lebhafte Einbildungskraft wie die von Athos hervorzubringen. Athos schaute nur diese verwüsteten Orte an; Monk schaute nur Athos an, der, die Augen bald zum Himmel aufgeschlagen, bald auf die Erde gerichtet, suchte, dachte, seufzte.
Digby, den der letzte Befehl des Generals und besonders der Ausdruck, mit dem er gegeben worden, beunruhigt hatten, folgte den nächtlichen Wanderern ungefähr zwanzig Schritte; als sich aber der General umwandte, als ob er darüber, daß man seinen Befehlen nicht Folge leistete, erstaunt wäre, begriff der Adjutant, sein Benehmen müßte unbescheiden erscheinen, und kehrte in sein Zelt zurück.
Er vermuthete, der General wolle incognito in seinem Lager eine von jenen von der Wachsamkeit gebotenen Revuen vornehmen, welche jeder erfahrene Feldherr am Vorabend eines entscheidenden Treffens vorzunehmen nicht verfehlt; er erklärte sich für diesen Fall die Gegenwart von Athos, wie sich ein Untergeordneter stets Alles erklärt, was von Seiten des obersten Führers Geheimnißvolles vorgeht, Athos konnte und mußte sogar in den Augen von Digby ein Spion sein, dessen Mittheilungen den General erleuchten sollten.
Nachdem sie ungefähr zehn Minuten durch die Zelte und Posten gegangen waren, die sich in der Umgegend des Hauptquartiers viel näher angeschlossen fanden, gelangte Monk mit seinem Begleiter auf eine kleine Chaussee, welche in drei Zweigen auslief. Der links führte nach dem Fluß, der in der Mitte nach der Abtei Newcastle am Moor, der rechts durchschnitt die ersten Linien des Lagers von Monk, nämlich die Linien zunächst bei der Armee von Lambert. Jenseits des Flusses war ein Vorposten von dem Heere von Monk, der den Feind überwachte: er bestand aus hundert und fünfzig Schottländern, welche über die Tweed geschwommen waren und für den Fall eines Angriffs wieder zurückschwimmen und das Lärmzeichen geben sollten; doch da sich an diesem Ort keine Brücke fand und die Soldaten von Lambert sich nicht so rasch ins Wasser begaben, wie die von Monk, so schien der letztere auf dieser Seite nicht viel zu befürchten.
Diesseits des Flusses, etwa fünfhundert Schritte von der alten Abtei, hatten die Fischer ihre Wohnstätte, mitten unter einem wimmelnden Haufen kleiner Zelte, welche die benachbarten Clans, die ihre Weiber und Kinder mit sich führten, aufgeschlagen hatten.
Dieses ganze Gemenge bot im Mondschein einen ergreifenden Anblick; der Halbschatten adelte jede Einzelheit, und das Licht, dieser Schmeichler, der sich nur der glatten Seite der Dinge anschmiegt, hob auf jeder verrosteten Muskete den noch unberührten Fleck, auf jedem Leinwandfetzen den weißesten und am wenigsten beschmutzten Theil hervor.
Monk kam also mit Athos, diese düstere Landschaft durchschreitend, welche von einem doppelten Schimmer, vom silbernen Schimmer des Mondes und vom röthlichen Schimmer der sterbenden Wachtfeuer, beleuchtet war, nach dem Scheideweg der drei Chausseen. Hier blieb er stehen, wandte sich an feinen Gefährten und fragte ihn:
»Mein Herr, werdet Ihr Euren Weg erkennen?«
»General, wenn ich mich nicht täusche, führt der mittlere Weg gerade nach der Abtei.«
»So ist es; doch wir werden Licht nöthig haben, um in den unterirdischen Gewölben sicher zu gehen.«
Monk wandte sich um.
»Ah! Digby ist uns gefolgt, wie es scheint,« fügte er bei; »desto besser, er wird uns verschaffen, was wir brauchen.«
»Ja, General, es ist in der That dort ein Mensch, der seit einiger Zeit hinter uns geht.«
»Digby?« rief Monk, »Digby? Ich bitte, kommt hierher.«
Doch statt zu gehorchen, machte der Schatten eine Bewegung des Erstaunens, und statt vorzuschreiten, zurückweichend, bückte er sich und verschwand längs dem Hafendamm, indem er sich nach dem Quartier wandte, das den Fischern angewiesen worden war.
»Es scheint, es war nicht Digby,« sagte Monk.
Beide waren mit dem Auge dem Schalten, der auf diese Art verschwand, gefolgt. Doch ein Mensch, der um elf Uhr Abends in einem Lager, das zehn bis zwölftausend Mann inne hatten, umherschweift, ist nichts so Seltenes, daß Athos und Monk über dieses Verschwinden halten in Unruhe gerathen sollen.
»Da wir indessen nothwendig eine Laterne, eine Fackel oder dergleichen haben müssen, um zu sehen, wohin wir unsere Füße setzen, so wollen wir diese Laterne suchen,« sagte Monk.
»General, der erste der beste Soldat wird uns leuchten.«
»Nein,« erwiederte Monk, der beobachten wollte, ob nicht irgend ein Zusammenwirken Mischen dem Grasen de la Fère und den Fischern stattfinde, »nein, einer von den französischen Matrosen, welche diesen Abend Fische an mich verkauft haben, wäre mir lieber. Sie gehen morgen wieder ab, und das Geheimniß wird bei ihnen besser bewahrt sein; während, wenn sich das Gerücht verbreitete, man habe Schätze in der Abtei von Newcastle gefunden, meine Hochländer glauben würden, es liege unter jeder Platte eine Million, und dann ließen sie vom ganzen Gebäude keinen Stein auf dem andern.«
»Macht es, wie Ihr wollt, General,« sagte Athos mit so natürlichem Ton, daß ihm offenbar Alles, Soldat oder Fischer, gleichgültig war, und daß man leicht einsehen konnte, er gebe Niemand einen Vorzug.
Monk näherte sich der Chaussee, hinter welcher derjenige verschwunden war, den der General für Digby gehalten hatte, und begegnete einer Patrouille, welche die Runde durch die Zelte machte und sich nach dem Hauptquartier wandte; er wurde mit seinem Gefährten angehalten, gab das Losungswort und ging weiter.
Durch das Geräusch erweckt, erhob sich ein Soldat in seinem Plaid, um zu sehen, was vorgehe.
»Fragt ihn, wo die Fischer seien,« sagte Monk zu Athos; »wenn ich diese Frage an ihn richtete, würde er mich erkennen.«
Athos näherte sich dem Soldaten, der ihm das Zelt bezeichnete; sogleich wandten sich Monk und Athos nach dieser Seite.
Es kam dem General vor, als ob in dem Augenblick, wo er sich näherte, ein Schatten dem ähnlich, welchen er schon gesehen, in das Zelt schlüpfte; als er aber eintrat, erkannte er, daß er sich getäuscht haben mußte, denn Alles schlief durcheinander, und man sah nur verschlungene Arme und Beine.
Athos, der befürchtete, man habe ihn im Verdacht, er siehe in Verbindung mit einem von seinen Landsleuten, blieb vor dem Zelt.
»Halloh!« rief Monk französisch, »aufgewacht!«
Zwei oder drei Schläfer erhoben sich.
»Ich brauche einen Mann, um mir zu leuchten,« fuhr Monk fort.
Alles gerieth in Bewegung, die Einen erhoben sich, die Andern standen völlig auf. Der Anführer war zuerst aufgestanden.
»Eure Herrlichkeit kann sich auf uns verlassen,« sagte er mit einer Stimme, welche Athos beben machte. »Wohin soll es gehen?«
»Ihr werdet es sehen. Rasch eine Laterne!«
»Ja, Eure Herrlichkeit. Beliebt es Eurer Herrlichkeit, daß ich sie begleite?«
»Du oder ein Anderer, das ist mir gleichgültig, wenn mir nur Einer leuchtet.«
»Das ist seltsam,« dachte Athos, »was für eine sonderbare Stimme hat dieser Fischer!«
»Feuer, Ihr Leute!« rief der Fischer, »rasch, beeilt Euch!«
Dann sich an denjenigen wendend, welcher zunächst bei ihm war, sagte er leise:
»Leuchte Du, Menneville, und sei auf Alles gefaßt.«
Einer von den Fischern schlug Feuer und zündete mit Hilfe eines Schwefelhölzchens eine Laterne an.
Sogleich war das Zelt vom Licht überströmt.
»Seid Ihr bereit, mein Herr?« fragte Monk Athos, der sich abwandte, um sein Gesicht nicht der Helle auszusetzen.
»Ja, General,« erwiederte er.
»Ah! der französische Edelmann,« sagte ganz leise der Anführer der Fischer. »Pest! ich habe einen guten Gedanken gehabt, daß ich Dir den Auftrag gegeben, Menneville; er brauchte mich nur zu erkennen! Leuchte, leuchte!«
Dieses Gespräch wurde im Hintergrunde des Zeltes und so leise geführt, daß Monk nicht eine Sylbe hören konnte. Ueberdies plauderte er mit Athos.
Menneville machte sich während dieser Zeit bereit, oder er erhielt vielmehr Befehle von seinem Anführer.
»Nun?« sagte Monk.
»Hier, mein General,« sprach der Fischer.
Monk. Athos und der Fischer verließen das Zelt.
»Es ist unmöglich,« dachte Athos; »welches Hirngespenst machte ich mir da!«
»Gehe voran, folge der mittleren Chaussee und strecke die Beine aus,« sagte Monk zu dem Fischer.
Sie waren nicht zwanzig Schritte gegangen, als derselbe Schatten, der im Zelt zu verschwinden geschienen hatte, wieder herauskam, bis zu den Grundpfählen fortkroch und, beschützt durch diese Brüstung, welche in der Gegend der Chaussee angebracht war, neugierig beobachtete, wohin der General ging.
Alle Drei verschwanden im Nebel. Sie wanderten gegen Newcastle, dessen weiße Steine man schon wie Grabsteine erblickte.
Nachdem sie einige Secunden unter der Vorhalle Halt gemacht hatten, drangen sie in das Innere. Das Thor war mit Arthieben erbrochen. Ein Posten von vier Mann schlief in voller Sicherheit in einer Vertiefung, so gewiß glaubte man sich, der Angriff könnte nicht von dieser Seite kommen.
»Diese Leute werden Euch nicht unangenehm sein?« sagte Monk zu Athos.
»Im Gegentheil, sie werken die Fässer wälzen helfen, wenn es Eure Herrlichkeit erlaubt.«
»Ihr habt Recht.«
Obgleich völlig eingeschlafen, erwachte der Posten doch bei den ersten Tritten der nächtlichen Gäste mitten unter dem Grase und den Brombeerstauden, die sich des Thorwegs bemächtigt hatten, Monk sagte das Losungswort und drang, immer die Laterne voran, in das Innere des Klosters. Er kam zuletzt, die geringste Bewegung von Athos überwachend, seinen Dirk ganz entblößt und bereit, ihn dem Edelmann in die Hüfte zu stoßen, bei der ersten verdächtigen Geberde, die er von ihm sehen würde. Doch Athos ging festen, sicheren Schrittes durch die Säle und Höfe.
Es fand sich keine Thüre, kein Fenster mehr an diesem Gebäude. Die Thüren waren verbrannt worden, einige auf dem Platz, und die Kohlen waren noch durch die Wirkung des Feuers ausgezackt, das ohne Zweifel ohnmächtig, diese durch eiserne Nägel zusammengehaltenen, massigen eichenen Bohlen ganz und gar zu zerstören, von selbst erloschen war. An den Fenstern waren alle Scheiben zerbrochen, und man sah durch die Löcher Nachtvögel entfliehen, welche der Schein der Laterne erschreckte. Zugleich fingen riesige Fledermäuse an, um die zwei Ueberlästigen ihre weiten schweigsamen Kreise zu ziehen, während man in dem Lichte, das an die hohen steinernen Mauern geworfen wurde, ihren Schatten zittern sah. Dieses Schauspiel war beruhigend für Denker. Monk schloß daraus, es befinde sich kein Mensch im Kloster, da die scheuen Thiere noch hier waren und bei seiner Annäherung entflohen.
Nachdem er die Trümmer überschritten und mehr als eine Epheuranke ausgerissen hatte, die gleichsam als ein Wächter der Einsamkeit dastand, gelangte Athos in das Gewölbe, das unter dem großen Saal lag, dessen Eingang aber in die Kapelle führte. Hier blieb er stehen.
»Wir sind an Ort und Stelle, General,« sagte er.
»Hier ist also die Platte?«
»Ja.«
»In der That, ich erkenne den Ring, doch dieser Ring ist flach eingelöthet.«
»Wir brauchen einen Hebel.«
»Das kann man sich leicht verschaffen.«
Umherschauend erblickten Monk und Athos eine kleine Esche von drei Zoll im Durchmesser, welche in einer Ecke der Mauer emporgewachsen war und bis zu einem Fenster reichte, das ihre Zweige verblendet hatten.
»Hast Du ein Messer?« fragte Monk den Fischer.
»Ja, Herr.«
»So schneide diesen Baum ab.«
Der Fischer gehorchte, doch nicht ohne daß sein Messer Scharten bekam.
Als die Esche abgeschnitten und zu einem Hebel geformt war, drangen die drei Männer in das unterirdische Gewölbe.
»Bleibe hier stehen,« sagte Monk, dem Fischer einen Winkel des Gewölbes bezeichnend, »wir haben Sprengpulver bei uns, und Deine Laterne wäre gefährlich.«
Der Mann wich mit einem gewissen Schrecken zurück und blieb pünktlich an dem Posten, den man ihn angewiesen hatte, während Monk und Athos sich um eine Säule wandten, an deren Fuß ein Mondstrahl gerade auf den Stein fiel, welchen zu suchen der Graf de la Fère von so fern her gekommen war.
»Hier ist es,« sagte Athos, auf die lateinische Inschrift deutend.
»Ja,« sprach Monk.
Dann, da er dem Franzosen noch ein Mittel, auszuweichen, bieten wollte, fügte er bei:
»Bemerkt Ihr nicht, daß man schon in diesen Keller gedrungen, ist und daß mehrere Statuen zerbrochen sind?«
»Mylord, Ihr habt ohne Zweifel sagen hören, die religiöse Ehrfurcht Eurer Schottländer gebe gern zur Bewachung den Statuen der Todten die kostbaren Gegenstände, die sie im Leben besessen. So mußten die Soldaten glauben, unter dem Fußgestell der Statuen, welche die Mehrzahl dieser Gräber schmückten, wäre ein Schatz vergraben. Deshalb haben sie Fußgestell und Statue zerbrochen; doch das Grab des ehrwürdigen Stiftsherrn, mit dem wir es zu thun s haben, zeichnet sich nicht durch ein Denkmal aus. Es ist einfach und wurde beschützt durch die abergläubische Furcht, welche Eure Puritaner stets vor einem Kirchenraube gehabt haben; nicht ein Stückchen von dem Mauerwerk dieses Grabes ist zerbröckelt worden.«
»Das ist wahr,« sagte Monk., Athos nahm den Hebel.
»Soll ich Euch helfen?« fragte Monk.
»Ich danke, Mylord. Eure Herrlichkeit soll nicht die Hand an ein Werk legen, dessen Verantwortlichkeit sie vielleicht nicht gern übernähme, wenn sie die wahrscheinlichen Folgen davon kennen würde.«
Monk schaute empor.
»Was wollt Ihr damit sagen?« fragte er.
»Ich will damit sagen . . . Doch dieser Mensch . . . «
»Wartet . . . ich begreife, was Ihr befürchtet, und will es Euch beweisen.«
Monk wandte sich gegen den Fischer um, dessen! Silhouette man durch die Laterne beleuchtet erblickte, und rief ihm in befehlendem Ton zu:
»Come here, friend!«
Der Fischer rührte sich nicht.
»Es ist gut,« fuhr er fort, »er versteht das Englische nicht. Sprecht also Englisch mit mir, wenn es Euch beliebt, mein Herr.«
»Mylord,« erwiederte Athos, »oft sah ich, daß Menschen unter gewissen Umständen die Selbstbeherrschung, besaßen, auf eine Frage nicht zu antworten, die man in einer Sprache, welche sie verstanden, an sie richtete. Der Fischer ist vielleicht gelehrter, als wir glauben. Wollt also die Güte haben, ihn wegzuschicken, Mylord.«
»Offenbar wünscht er mich allein in diesem Gewölbe zu behalten,« dachte Monk. »Gleichviel, wir wollen bis zum Ende gehen; ein Mann ist so viel werth als der andere, und wir sind allein.«
»Mein Freund,« sagte Monk zu dem Fischer, »steige wieder die Treppe hinauf, die wir herabgestiegen sind, und wache, damit uns Niemand hier stört.«
Der Fischer machte eine Bewegung, um zu gehorchen.
»Laß Deine Laterne hier,« fügte Monk bei, »sie könnte Deine Gegenwart verrathen und Dir einen, Musketenschuß eintragen.«
Der Fischer schien diesen Rath zu würdigen, stellte die Laterne auf den Boden und verschwand unter dem Gewölbe der Treppe.
Monk nahm die Laterne und trug sie zum Fuße der Säule.
»Ah!« sagte er, »es ist wohl Gold in diesem Grabe versteckt?«
»Ja, Mylord, und in fünf Minuten werdet Ihr nicht mehr daran zweifeln.«
Zu gleicher Zeit that Athos einen gewaltigen Streich auf den Kalk, der sich, der Spitze des Hebels eine Spalte bietend, trennte. Athos drückte die Hebestange in diese Spalte ein, und bald gaben ganze Stücke Kalk, sich wie runde Platten ablösend, nach. Da saßte der Graf die Steine und hob sie durch Erschütterungen aus, deren man so zarte Hände, wie die seinigen, nicht hätte fähig halten sollen.
»Mylord,« sprach er, »das ist das Mauerwerk, von dem ich Such gesagt habe.«
»Ja, aber ich sehe die Tonnen noch nicht,« erwiederte Monk.
»Wenn ich einen Dolch hätte, so solltet Ihr sie bald sehen,» versetzte Athos umherschauend. »Leider habe ich den meinigen im Zelte Eurer Herrlichkeit vergessen.«
»Ich würde Euch wohl den meinigen anbieten, aber die Klinge scheint viel zu schwach für die Arbeit zu sein, für die Ihr sie bestimmt.«
Athos schien um sich her irgend einen Gegenstand zu suchen, der die gewünschte Waffe ersetzen könnte.
Monk verlor nicht eine Bewegung seiner Hände, nicht einen Ausdruck seiner Augen.
»Warum verlangt Ihr nicht das Messer von dem Fischer?« fragte Monk; »er hatte ein Messer.«
»Ah! ganz richtig,« erwiederte Athos, »er hat sich desselben bedient, um den Baum abzuschneiden.«
Und er ging gegen die Treppe und sagte zu dem Fischer:
»Freund, ich bitte, werft mir Euer Messer herab, ich brauche es.«
Man hörte das Geräusch des Messers auf den Stufen.
»Nehmt es,« sagte Monk, »es ist ein starkes Werkzeug, wie ich gesehen habe, und eine feste Hand kann es mit Vortheil anwenden.«
Athos schien den Worten von Monk nur den natürlichen und einfachen Sinn beizulegen, unter dem sie verstanden werden sollten. Er bemerkte auch nicht, oder schien wenigstens nicht zu bemerken, daß Monk, als er wieder zu ihm kam, zurücktrat und seine linke Hand an den Kolben seiner Pistole legte; mit der rechten hielt er schon seinen Dirk, Er ging ans Werk, wandte Monk den Rücken zu und gab ihm sein Leben, ohne die Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen, preis. Athos schlug einige Minuten lang so geschickt und so scharf auf den dazwischen liegenden Gyps, daß er sich in zwei Theile trennte, und daß nun Monk zwei Tonnen erblickte, welche mit ihren Enden an einander stießen und durch ihr Gewicht unbeweglich in ihrer Umhüllung gehalten wurden.
»Mylord,« sprach Athos, »Ihr seht, daß mich meine Ahnungen nicht täuschten.«
»Ja, mein Herr,« erwiederte Monk, »und ich habe allen Grund, zu glauben, daß Ihr zufrieden seid, nicht wahr?«
»Gewiß; der Verlust dieses Geldes wäre äußerst empfindlich für mich gewesen; doch ich war fest überzeugt, Gott, der die gute Sache beschützt, würde die Entwendung dieses Geldes, das zu ihrem Siege beitragen muß, nicht gestattet haben.«
»Bei meiner Ehre, Ihr seid eben so geheimnißvoll in Worten, als in Handlungen, mein Herr,« sprach Monk, »Ich begriff Euch vorhin durchaus nicht, als Ihr sagtet, Ihr wollet nicht auf mich die Verantwortlichkeit des Werkes laden, das Ihr vollbringt.«
»Ich hatte Recht, wenn ich dies sagte, Mylord.«
»Und nun sprecht Ihr von der guten Sache. Was versteht Ihr unter den Worten: die gute Sache? Wir vertheidigen in diesem Augenblick in England fünf oder sechs Sachen, und dessenungeachtet hält Jeder die seinige nicht nur für die gute, sondern sogar für die beste. Welche ist die Eurige? sprecht, unumwunden, damit wir sehen, ob wir über den Punkt, auf den Ihr ein so großes Gewicht zu legen scheint, derselben Ansicht sind.«
Athos heftete auf Monk einen von den tiefen Blicken, die gleichsam an denjenigen, welchen man anschaut, die Herausforderung richten, er möge es versuchen, einen einzigen von seinen Gedanken zu verbergen; dann nahm er seinen Hut ab und begann mit einer feierlichen Stimme, während der General, eine Hand auf seinem Gesicht, diese lange nervige Hand seinen Schnurrbart und seinen Kinnbart umschließen und sein schwermüthiges Auge in den Tiefen des Gewölbes umherirren ließ.
XII.
»Mylord,« sprach der Graf de la Fère, »Ihr seid ein edler Engländer, Ihr seid ein redlicher Mann; Ihr sprecht mit einem edlen Franzosen, mit einem Mann von Herz. Ich sagte Euch, das in diesen zwei Tonnen enthaltene Gold gehöre mir, ich hatte Unrecht! es ist dies die erste Lüge, die ich in meinem Leben gesprochen habe, allerdings eine augenblickliche Lüge. Dieses Gold ist das Eigenthum von König Karl II., der, aus seinem Vaterland verbannt, aus seinem Palast vertrieben, eine Waise zugleich seines Vaters und seines Thrones, selbst des traurigen Glückes beraubt ist, auf den Knieen den Stein zu küssen, auf dem von der Hand seiner Mörder die einfache Grabschrift steht, welche ewig um Rache gegen sie schreien wird:
»»Hier liegt König Karl I.««
Monk erbleichte leicht, und durch einen unmerklichen Schauer runzelte sich seine Haut und sträubte sich sein grauer Schnurrbart.
»Ich,« fuhr Athos fort, »ich, der Graf de la Fère, ich der einzige, der letzte Getreue, der dem armen verlassenen Prinzen geblieben ist, habe ihm angeboten, den Mann aufzusuchen, von dem heute das Schicksal des Königthums in England abhängt, und ich bin gekommen, und ich habe mich unter den Blick dieses Mannes gestellt, ich. habe mich nackt und unbewehrt in seine Hände gegeben und sage zu ihm:
»»Mylord, hier ist das letzte Mittel eines Feinsten, den Gott zu Eurem Herrn, den seine Geburt zu Eurem König gemacht hat; von Euch, von Euch allein hängen seine Zukunft und sein Leben ab. Wollt Ihr dieses Gold anwenden, um England von den Uebeln zu heilen, die es während der Anarchie erleiden mußte, das heißt, wollt Ihr oder wollt Ihr nicht König Karl II. unterstützen oder ihn wenigstens gewähren lassen? Ihr seid der Herr, Ihr seid der König, allmächtiger König und Herr, denn der Zufall macht oft das Werk der Zeit und Gottes zu Nichte. Ich bin allein mit Euch, Mylord; erschreckt es Euch, daß der Erfolg ein getheilter sein soll, bedrückt Euch meine Genossenschaft, Ihr seid bewaffnet, Mylord, und hier ist ein geöffnetes Grab; berauscht Euch im Gegentheil die Begeisterung für Eure Sache, seid Ihr das, was Ihr zu sein scheint, gehorcht Eure Hand in dem, was Ihr unternehmt. Eurem Geist und Euer Geist Eurem Herzen, so ist hier das Mittel, der Sache Eures Feindes Karl Stuart für immer den Todesstoß zu geben. Tödtet den Mann, den Ihr vor Augen habt, denn dieser Mann wird zu demjenigen, welcher ihn geschickt, nicht zurückkehren, ohne ihm das Gut zu bringen, das ihm von Karl I., seinem Vater, anvertraut worden ist, und nehmt das Gold, das den Bürgerkrieg zu unterhalten dienen kann. Ach! Mylord, das ist die unselige Bedingung dieses unglücklichen Prinzen: er muß bestechen oder tödten, denn Alles widersteht ihm, Alles stößt ihn zurück, Alles ist ihm feindselig, und dennoch ist er mit dem göttlichen Siegel bezeichnet, und um sein Blut nicht Lügen zu strafen, muß er den Thron wieder besteigen oder auf dem heiligen Boden des Vaterlandes sterben.««
»Mylord, Ihr habt mich verstanden. Jedem Andern, als dem erhabenen Mann, der mich hört, hätte ich gesagt: »»Mylord. Ihr seid arm; Mylord, der König bietet Euch diese Million als Angeld eines ungeheuren Handels; nehmt sie und dient Karl II, wie ich Karl l. gedient habe, und ich bin fest überzeugt, daß Gott, der uns hört, der uns sieht, der allein in Eurem für alle menschlichen Blicke verschlossenen Herzen liest . . . ich bin fest überzeugt, daß Euch Gott ein seliges ewiges Leben nach einem glücklichen Tod schenken wird.«« Doch zu dem General Monk, zu dem erhabenen Mann, dessen Größe ich ermessen zu haben glaube, sage ich:
»Mylord, es gibt für Euch in der Geschichte der Völker und der Könige einen glänzenden Platz, eine unsterbliche, unvergängliche Glorie, wenn Ihr allein, ohne ein anderes Interesse als das Wohl Eures Vaterlandes und das Interesse, der Gerechtigkeit die Stütze Eures Königs werdet. Viele Andere sind Eroberer und glorreiche Usurpatoren geworden. Ihr, Mylord, Ihr werdet Euch begnügt haben, der tugendhafteste, der unbescholtenste und der redlichste der Menschen zu sein. Ihr werdet eine Krone in Eurer Hand gehabt haben, und statt sie Eurer Stirne anzuschmiegen, habt Ihr sie auf die Stirne desjenigen gesetzt, für welchen sie bestimmt war. Oh! Mylord, handelt so, und Ihr vermacht der Nachwelt den beneidetsten Namen, den je ein menschliches Geschöpf zu tragen sich rühmen kann.««
Athos hielt inne. Während der ganzen Zeit, die der edle Ritter gesprochen, hatte Monk kein Zeichen der Billigung oder der Mißbilligung von sich gegeben; kaum hatten sich während dieser gewaltigen, aufstachelnden Rede seine Augen mit jenem Feuer belebt, das den Verstand und den Scharfsinn bezeichnet. Der Graf de la Fère schaute ihn traurig an und fühlte, als er dieses düstere Gesicht sah, wie die Entmuthigung tief in sein Herz eindrang. Endlich schien sich Monk zu beleben, und das Stillschweigen brechend sprach er mit sanftem und ernstem Tone:
»Mein Herr, ich will mich zur Erwiederung Eurer eigenen Worte bedienen. Jedem Andern als Euch würde ich durch die Austreibung, durch das Gefängnis oder durch etwas noch Schlimmeres antworten. Denn Ihr versucht mich am Ende und thut wir zugleich Gewalt an. Doch Ihr seid einer von den Männern, mein Herr, denen man die Aufmerksamkeiten und die Räcksichten, die sie verdienen, nicht verweigern kann; Ihr seid ein braver Edelmann, mein Herr, ich sage es und ich verstehe mich daraus. So eben spracht Ihr mir von einem Gute, das Euch der verstorbene König für seinen Sohn anvertraut habe: Seid Ihr nicht einer von jenen Franzosen, die, wie ich sagen hörte, Karl aus White-Hall entführen wollten?«
»Ja, Mylord, ich befand mich während, der Hinrichtung unter dem Schaffot; ich, der ich ihn nicht hatte retten können, empfing auf meine Stirne das Blut des königlichen Märtyrers; ich empfing zu gleicher Zeit das letzte Wort von Karl I.; zu mir sagte er«:
»Ich habe viel von Euch sprechen hören, mein Herr,« sagte Monk, »doch ich fühle mich glücklich, daß ich Euch von Anfang an nach meiner eigenen Eingebung und nicht nach Erinnerungen geschätzt habe. Ich werde Euch deshalb Erklärungen geben, die ich noch Niemand gegeben, und Ihr werdet einsehen, welchen Unterschied ich zwischen Euch und den Personen mache, die bis jetzt zu mir gesandt worden sind.«
Athos verbeugte sich und schickte sich an, gierig diese Worte einzusaugen, welche eines nach dem andern von dem Munde von Monk fielen, diese Worte so selten und kostbar wie der Thau in der Wüste.
»Ihr sprecht mir von König Karl II,« begann Monk; »doch ich bitte Euch, mein Herr, sagt mir, was geht mich dieses Gespenst eines Königs an? Ich bin alt geworden im Krieg und in der Politik, welche heut zu Tage so eng mit einander verbunden sind, daß jeder Mann vom Schwert, kraft seines Rechtes oder seines Ehrgeizes, mit einem persönlichen Interesse und nicht blindlings hinter einem Officier, wie bei den gewöhnlichen Kriegen, kämpfen muß. Ich wünsche vielleicht nichts, aber ich fürchte viel. Auf dem Krieg beruht heute die Freiheit Englands und vielleicht die jedes Engländers. Warum soll ich, der ich frei bin in der Stellung, die ich mir gemacht habe, die Hand den Ketten eines Fremden reichen? Karl ist nur dieses für mich. Er hat Schlachten geliefert, die er verloren, folglich ist er ein schlechter Feldherr! er hat bei keiner Unterhandlung gesiegt, folglich ist er ein schlechter Diplomat; er hat sein Elend an allen Höfen Europas umhergetragen, folglich ist es eine schwache, kleinmüthige Seele. Nichts Edles, nichts Großartiges, nichts Starkes ist noch aus diesem Geist hervorgegangen, der eines der größten Reiche der Erde zu regieren trachtet. Ich kenne also diesen Karl nur unter schlimmen Aussichten, und Ihr wollt, daß ich, ein Mann von gesundem Verstand, mich freiwillig zum Sklaven eines Geschöpfes mache, das an militärischer Fähigkeit, an Politik und an Würde unter mir steht? Nein, mein Herr, hat mich eine große und edle Handlung Karl schätzen gelehrt, dann werde ich vielleicht seine Rechte auf einen Thron anerkennen, von dem wir den Vater gestoßen haben, weil es ihm an den Tugenden gebrach, an denen es bis jetzt auch dem Sohne gebricht; bis jetzt aber erkenne ich, was Rechte betrifft, nur die meinigen an. Die Revolution hat mich zum General gemacht, mein Schwert wird mich zum Protector machen, wenn ich will. Karl zeige sich, er erscheine und unterwerfe sich dem Wettkampf, der dem Genie geöffnet ist; und er erinnere sich besonders, daß er einem Geschlechte angehört, von dem man mehr verlangen wird, als von jedem andern. Sprechen wir also nicht mehr hiervon, mein Herr, ich schlage weder aus, noch nehme ich an; ich behalte mir vor, ich warte.«
Athos wußte, daß Monk zu gut von Allem unterrichtet war, was sich auf Karl II., bezog, um den Streit weiter zu treiben. Es war weder hierzu die Stunde, noch der Ort.
»Mylord,« sagte er, »ich habe Euch also nur noch zu danken.«
»Und wofür, mein Herr? Dafür, daß Ihr mich gut beurtheilt habt, und daß ich nach Eurem Urtheil. gehandelt habe? Oh! wahrhaftig, ist das der Mühe werth? Dieses Geld, das Ihr König Karl überbringen werdet, soll mir als Beweis für ihn dienen, wenn ich sehe, was er damit zu machen verstehen wird. Ohne Zweifel werde ich eine Ansicht fassen, die ich nicht habe.«
»Glaubt sich indessen Eure Herrlichkeit, nicht zu gefährden, wenn sie eine Summe abgehen läßt, welche bestimmt ist, den Waffen ihres Feindes zu dienen?«
Mein Feind, sagt Ihr? Ei! mein Herr, ich habe keine Feinde. Ich bin im Dienst des Parlaments, das mir den General Lambert und den König Karl, seine Feinde und nicht die meinigen, zu bekämpfen befiehlt. Ich kämpfe also. Würde mir im Gegentheil das Parlament befehlen, den Hafen von London mit Fahnen zu schmücken, die Soldaten am User zu versammeln, König Karl II. zu empfangen . . . «
»Ihr würdet gehorchen?« rief Athos voll Freude.
»Verzeiht,« erwiederte Monk lächelnd, »ich, ein Graukopf, war im Begriff . . . in der That, wo hatte ich denn meinen Verstand? ich war im Begriff, eine jugendliche Albernheit zu sagen.«
»Ihr würdet also nicht gehorchen?«
»Ich sage das eben so wenig, mein Herr. Vor Allem das Heil meines Vaterlandes! Gott, der mir gnädigst die Kraft verliehen hat, wollte ohne Zweifel, daß ich diese Kraft zum Wohl Aller besäße, und er hat mir zugleich die Unterscheidungsgabe verliehen. Fiele es dem Parlament ein, mir dergleichen zu befehlen, so würde ich nachdenken.«
Athos verdüsterte sich.
»Ah! ich sehe, daß Eure Herrlichkeit entschieden nicht geneigt ist, Karl II. zu begünstigen?«
»Ihr fragt mich immer, Herr Graf; laßt nun die Reihe auch an mir sein, wenn es Euch beliebt.«
»Thut es, mein Herr, und möge Euch Gott den Gedanken eingeben, mit mir so offenherzig zu reden, als ich Euch antworten werde?«
»Welchen Rath werdet Ihr Eurem Prinzen geben, wenn Ihr ihm diese Million zurückgebracht habt?«
Athos schaute Monk mit einem stolzen, entschiedenen Blick an und erwiederte:
»Mylord, mit dieser Million, welche Andere vielleicht zu Unterhandlungen anwenden würden, will ich dem König rathen, zwei Regimenter anzuwerben, sich nach Schottland, wo Ihr den Frieden wiederhergestellt habt, zu begeben und dem Volk die Freiheiten zu verleihen, die ihm die Revolution versprochen, aber nicht völlig gewährt hat. Ich werde ihm rathen, dieses kleine Heer, das sich, glaubt mir, vergrößern würde, in Person zu befehligen, sich die Fahne in der Hand und das Schwert in der Scheide tödten zu lassen und zu sagen: »»Engländer! das ist der Dritte meines Geschlechts, den Ihr tödtet: nehmt Euch in Acht vor der Gerechtigkeit Gottes!««
Monk neigte das Haupt und träumte einen Augenblick.
»Wenn es ihm gelänge,« sagte er, »was unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich ist, denn nichts in der Welt ist unmöglich, was würdet Ihr ihm rathen?«
»Er möge bedenken, daß er durch den Willen Gottes seine Krone verloren, daß er sie aber durch den Willen der Menschen wieder erlangt habe.«
Ein spöttisches Lächeln schwebte über die Lippen von Monk.
»Leider, mein Herr, verstehen es die Könige nicht, einen guten Rath zu befolgen,« sagte er.
»Ah! Mylord, Karl II. ist kein König,« entgegnete Athos ebenfalls lächelnd, aber mit einem ganz andern Ausdruck, als es Monk gethan hatte.
»Nun, Herr Graf, machen wir die Sache kurz; nicht wahr, das ist Euer Wunsch?«
Athos verbeugte sich.
»Ich will also Befehl geben, daß man diese zwei Tonnen dahin bringt, wo Ihr sie zu haben wünscht. Wo haltet Ihr Euch auf?«
In einem kleinen Flecken an der Mündung des Flusses, Eure Herrlichkeit.«
»Oh! ich kenne den Flecken: nicht wahr, er besteht aus fünf bis sechs Häusern?«
»So ist es. Ich bewohne das erste, zwei Fischer haben es mit mir inne, und ihre Barke hat mich ans Land gebracht.«
»Doch Euer Schiff, mein Herr?«
»Mein Schiff liegt eine Viertelsmeile im Meer vor Anker und erwartet mich.«
»Ihr gedenkt aber doch nicht auf der Stelle abzureisen?«
»Mylord, ich werde es noch einmal versuchen, Eure Herrlichkeit zu überzeugen.«
»Das wird Euch nicht gelingen,« erwiederte Monk. »Doch es ist wichtig, daß Ihr Euch von Newcastle entfernt, ohne von Eurer Anwesenheit den geringsten Verdacht zurückzulassen, der Euch oder mir schaden könnte. Morgen, glauben mein? Officiere, werde mich Lambert angreifen. Ich verbürge mich im Gegentheil, daß er sich nicht rührt; das ist in meinen Augen unmöglich. Lambert führt ein Heer ohne übereinstimmende Grundsätze an, und mit solchen Elementen ist kein Heer möglich. Ich habe meine Soldaten dahin unterrichtet, daß sie meine Macht einer höheren Macht unterordnen, so daß sie nach mir, und nicht nur unter mir, noch etwas versuchen. Daraus geht Hervor, daß mein Heer, wenn ich todt bin, was geschehen kann, nicht sogleich demoralisirt sein wird; daraus geht hervor, daß, wenn es mir gefiele, zum Beispiel auf einige Zeit wegzugehen, was mir zuweilen gefällt, in meinem Lager nicht ein Schatten von Unruhe oder Unordnung entstünde. Ich bin der Magnet, die sympathetische und natürliche Kraft der Engländer. Alle diese zerstreuten Schwerter, die man gegen mich schickt, werde ich an mich ziehen. Lambert befehligt in diesem Augenblick achtzehntausend Ausreißer. Doch davon habe ich, wie Ihr wohl fühlt, nicht mit meinen Officieren gesprochen. Nichts ist nützlicher für eine Armee, als das Gefühl einer nahe bevorstehenden Schlacht: Jedermann bleibt wach, Jedermann ist auf seiner Hut. Ich sage Euch das, damit Ihr in voller Sicherheit leben möget. Beeilt Euch also nicht zu sehr, über das Meer zurückzukehren: binnen acht Tagen wird sich etwas Neues ereignen, sei es die Schlacht, sei es der Vergleich. Dann, da Ihr mich als einen redlichen Mann beurtheilt und mir Euer Geheimniß anvertraut habt, und da ich Euch für dieses Vertrauen zu danken habe, werde ich Euch einen Besuch machen, oder Euch zu mir bitten. Ich fordere Euch also noch einmal auf, reist nicht eher ab, als bis Ihr Kunde von mir habt.«
»Ich verspreche es Euch, General,« rief Athos von einer so großen Freude ergriffen, daß er trotz seiner Vorsicht einen Funken davon aus seinen Augen springen zu lassen sich nicht erwehren konnte.
Monk gewahrte diese Flamme und löschte sie sogleich durch jenes stumme Lächeln aus, das stets bei denjenigen, welche mit ihm sprachen, den Weg abschnitt, den sie in seinem Geiste gemacht zu haben glaubten.
»Mylord,« sagte Athos, »acht Tage bestimmt Ihr mir als Frist?«
»Ja, mein Herr, acht Tage.«
»Und was soll ich während dieser acht Tage thun?«
»Wenn eine Schlacht stattfindet, haltet Euch fern, ich bitte Euch. Ich weiß, daß die Franzosen nach dergleichen Unterhaltungen lüstern sind; Ihr würdet gern sehen wollen, wie wir uns schlagen, und könntet dabei eine verirrte Kugel in den Leib bekommen; unsere Schottländer schießen sehr schlecht, und ein würdiger Edelmann wie Ihr soll nicht verwundet auf den Boden Frankreichs zurückkehren. Ich will endlich nicht genöthigt sein, selbst Eurem Prinzen die von Euch zurückgelassene Million zu überschicken; denn man würde dann sagen, und zwar mit Recht, ich bezahle den Prätendenten, damit er gegen das Parlament Krieg führe.
»Geht, mein Herr, und es geschehe zwischen uns, wie es verabredet ist.«
»Ah! Mylord,« sprach Athos, »welche Freude wäre es für mich, zuerst in das edle Herz eingedrungen zu sein, das unter diesem Mantel schlägt!«
»Ihr glaubt also entschieden, ich habe Geheimnisse,« sagte Monk, ohne den halb heiteren Ausdruck seines Gesichtes zu verändern. »Ei! mein Herr, welches Geheimnis? soll sich denn in dem hohlen Kopf eines Soldaten finden? Doch es ist spät, unsere Laterne erlischt und wir wollen unsern Mann rufen.«
»Hollah!« rief Monk französisch, indem er sich der Treppe näherte, »hollah! Fischer!«
Schlaftrunken durch die Frische der Nacht, antwortete der Fischer mit einer heiseren Stimme und fragte, was man von ihm wolle.
»Gehe bis zum Posten,« sagte Monk, »und befiehl dem Sergenten im Auftrag des General Monk, sogleich hierherzukommen.«
Das war ein Befehl, der sich leicht vollziehen ließ, denn durch die Anwesenheit des Generals in dieser verödeten Abtei neugierig gemacht, hatte sich der Sergent allmälig genähert und war nur einige Schritte vom Fischer entfernt.
Der Befehl des Generals gelangte also unmittelbar zu ihm und er lief herbei.
»Nimm ein Pferd und zwei Mann,« sagte Monk.
»Ein Pferd und zwei Mann?« wiederholte der Sergent.
»Ja; kannst Du Dir ein Pferd mit einem Saumsattel oder zwei Körben verschaffen?«
»Gewiß, hundert Schritte von hier, im Lager der Schotten.«
»Gut.«
»Was soll ich mit dem Pferd machen, General?«
»Schau.«
Der Sergent stieg die drei oder vier Stufen vollends herab, welche ihn von Monk trennten, und erschien unter dem Gewölbe.
»Siehst Du dort, wo jener Herr ist?« sagte Monk.
»Ja, mein General.«
»Du siehst jene zwei Tonnen?«
»Vollkommen.«
»Es sind zwei Tonnen, von denen die eine Pulver, die andere Kugeln enthält; ich möchte sie gern nach dem kleinen Flecken am User des Flusses schassen lassen, den ich morgen mit zweihundert Musketieren zu besetzen gedenke. Du begreifst, es ist ein geheimer Auftrag, denn diese Bewegung kann über das Gewinnen der Schlacht entscheiden.«
»Oh! mein General!« murmelte der Sergent.
»Wohl! laß also diese Tonnen auf dem Pferd festbinden und geleite sie mit zwei Mann bis nach dem Hause dieses Herrn, der mein Freund ist. Doch Du begreifst, Niemand darf es erfahren.«
»Ich ginge durch das Moor, wenn ich einen Weg kennen würde,« sagte der Sergent.
»Ich kenne einen,« sprach Athos; »er ist nicht breit, aber sicher, da er auf Grundpfählen angelegt ist, und wenn wir vorsichtig zu Werke gehen, werden wir an Ort und Stelle kommen.«
»Thut, was dieser Cavalier Euch befiehlt,« sagte Monk.
»Hoho! die Tonnen sind schwer,« rief der Sergent, der eine aufzuheben suchte.
»Jede wiegt vierhundert Pfund, wenn sie enthalten, was sie enthalten sollen, nicht wahr, mein Herr?«
»Ungefähr,« antwortete Athos.
Der Sergent entfernte sich, um das Pferd und die Leute zu holen. Monk, der allein mit Athos blieb, gab sich absichtlich Mühe, nur über gleichgültige Dinge mit ihm zu sprechen, während er zerstreut im Gewölbe umherschaute. Als er sodann die Tritte der Pferde hörte, sagte er:
»Ich lasse Euch bei Euren Leuten, mein Herr, und kehre ins Lager zurück. Ihr seid in Sicherheit.«
»Ich werde Euch also wiedersehen, Mylord?« fragte Athos.
»Abgemacht, mein Herr, und mit großem Vergnügen.«
Monk reichte Athos die Hand.
»Ah! Mylord, wenn Ihr wolltet!« flüsterte Athos.
»Stille, mein Herr, es ist unter uns verabredet, nicht mehr hiervon zu sprechen,« sagte Monk.
Und er grüßte Athos, stieg die Treppe hinauf und kreuzte mitten auf der Treppe seine Leute, welche eben herabkamen. Er hatte nicht zwanzig Schritte außerhalb der Abtei gemacht, als sich ein entferntes, lange ausgedehntes Pfeifen hören ließ. Monk horchte, da er aber nichts mehr sah und nichts mehr hörte, ging er weiter. Da erinnerte er sich des Fischers und suchte ihn mit den Augen, doch der Fischer war verschwunden. Hätte er indessen aufmerksamer geschaut, als er es that, so würde er gesehen haben, wie dieser Mensch tief gebückt wie eine Schlange an den Mauersteinen hinschlich und sich im Nebel verlor, der über die Oberfläche des Moors hinstreifte. Hätte er diesen Nebel zu durchdringen versucht, so würde er gleichfalls ein Schauspiel gesehen haben, das seine Aufmerksamkeit erregt haben müßte: es waren dies die Masten der Barke des Fischers, welche ihren Platz verändert hatte und sich nun ganz nahe am User des Flusses befand.
Doch Monk sah nichts, und da er dachte, er habe nichts zu befürchten, so wanderte er auf der öden Straße fort, welche nach dem Lager führte. Nun erst kam,ihm dieses Verschwinden des Fischers seltsam vor und ein wirklicher Verdacht fing an seinen Geist zu belagern. Er hatte den einzigen Posten, der ihn beschützen konnte, Athos zur Verfügung gestellt, und der Weg, den er zurücklegen mußte, um sein Lager zu erreichen, betrug eine Meile.
Der Nebel stieg mit einer solchen Dichtheit auf, daß man die Gegenstände auf eine Entfernung von zehn Schritten kaum unterscheiden konnte.
Monk glaubte nun etwas wie das Geräusch eines Ruders zu hören, das dumpf auf das sumpfige Wasser in seiner Nähe schlug.
»Wer ist da?« rief er.
Doch Niemand antwortete. Da spannte er seine Pistole, nahm seinen Degen in die Hand und beschleunigte seine Schritte, ohne jedoch Jemand rufen zu wollen. Dieses Rufen, das nicht durchaus nothwendig war, kam ihm seiner unwürdig vor.
XIII.
Es war sieben Uhr Morgens: die ersten Strahlen des Tages beleuchteten die Teiche, in denen sich die Sonne wie eine rothe Kugel wiederspiegelte, als Athos erwachend und das Fenster seines Schlafzimmers öffnend, das nach dem Flusse ging, ungefähr in einer Entfernung von fünfzehn Schritten den Sergenten und die Leute erblickte, die ihn am Abend vorher begleitet hatten und, nachdem sie die Tonnen bei ihm niedergelegt, auf der Chaussee rechts nach dem Lager zurückgekehrt waren.
Warum waren diese Menschen, nachdem sie ins Lager zurückgekehrt, wieder gekommen? Dies war die Frage, die sich plötzlich dem Geist von Athos darbot.
Den Kopf hoch, schien der Sergent auf den Augenblick zu lauern, wo der fremde Edelmann erscheinen würde, um ihn anzurufen. Erstaunt, diejenigen hier wiederzufinden, die er am Abend vorher sich hatte entfernen sehen, konnte er sich nicht enthalten, ihnen seine Verwunderung hierüber zu bezeigen.
»Darüber dürft Ihr Euch nicht wundern, mein Herr,« sagte der Sergent, »gestern hat mir der General über Eurer Sicherheit zu wachen befohlen, und ich habe diesem Befehl Folge geleistet.«
»Ist der General im Lager?« fragte Athos.
»Ohne allen Zweifel, mein Herr, da Ihr ihn verließet, als er sich dahin begab.«
»Wohl! so erwartet mich, ich will zu ihm gehen, um ihm zu melden, mit welcher Treue Ihr Euren Auftrag erfüllt habt, und zugleich um meinen Degen zu holen, den ich gestern auf seinem Tisch liegen ließ.«
»Das trifft sich vortrefflich,« sagte der Sergent, »denn wir wollten Euch darum bitten.«
Athos glaubte eine gewisse zweideutig treuherzige Miene im Gesichte des Sergenten wahrzunehmen, doch das Abenteuer des unterirdischen Gewölbes konnte die Neugierde dieses Menschen erregt haben, und es war daher nicht besonders auffallend, daß er auf seinem Gesicht die Gefühle ein wenig durchblicken ließ, die seinen Geist bewegten.
Athos schloß sorgfältig die Thüre und übergab den Schlüssel Grimaud, der seine Wohnung unter dem Schirmdache genommen hatte, unter dem man in den Speisekeller gelangte, wo die Tonnen aufbewahrt waren. Der Sergent begleitete den Grasen de la Fère bis ins Lager. Hier wartete eine neue Wache und löste die vier Mann ab, welche Athos geführt hatten.
Diese neue Wache wurde befehligt vom Adjutanten Digby, welcher unter Weges auf Athos so wenig ermuthigende Blicke heftete, daß der Franzose sich fragte, woher diese Wachsamkeit und diese Strenge gegen ihn kämen, während man ihn am Tage vorher so völlig frei gelassen.
Er ging nichtsdestoweniger weiter nach dem Hauptquartier und verschloß in seinem Innern die Bemerkungen, die ihn die Menschen und die Dinge zu machen nöthigten. Er fand unter dem Zelte des Generals, wo er am Tage zuvor eingeführt worden war, drei höhere Officiere: dies waren der Lieutenant von Monk und zwei Obersten. Athos erblickte seinen Degen; er lag noch auf dem Tisch des Generals, an dem Platz, wo er ihn gelassen hatte.
Keiner von den Offerieren hatte Athos gesehen, keiner kannte ihn folglich. Der Lieutenant von Monk fragte, als er Athos erblickte, ob dies nicht der französische Edelmann sei, mit dem der General das Zelt verlassen habe.
»Ja, Eure Ehren, er ist es,« antwortete der Soldat.
»Mir scheint, ich leugne das nicht,« sprach Athos mit stolzem Tone; »und nun, meine Herren, erlaubt mir meinerseits, Euch um eine Erklärung zu bitten, wozu alle diese Fragen und besonders warum der Ton, in dem Ihr sie thut.«
»Mein Herr,« erwiederte der Lieutenant, »wenn wir diese Fragen an Euch richten, so haben wir das Recht, sie zu thun, und wenn wir sie in diesem Ton stellen, so geschieht dies, glaubt mir, weil dieser Ton der Lage der Dinge entspricht.«
»Meine Herren,« entgegnete Athos, »Ihr wißt nicht, wer ich bin, doch ich muß Euch bemerken, daß ich hier nur den General Monk als meines Gleichen anerkenne. Wo ist er? Man führe mich vor ihn und wenn er eine Frage an mich zu richten hat, so werbe ich antworten, und zwar, wie ich hoffe, auf eine ihn befriedigende Weise. Ich wiederhole, meine Herren, wo ist der General?«
»Ei, bei Gott! Ihr wißt besser als wir, wo er ist!« rief der Lieutenant.
»Ich?«
»Gewiß, Ihr.«
»Mein Herr, ich verstehe Euch nicht.«
»Ihr werdet mich verstehen, und sprecht vor Allem leiser, mein Herr. Was hat Euch der General gestern gesagt?«
Athos lächelte verächtlich.
»Es handelt sich hier nicht darum, zulächeln, sondern zu antworten,«» rief aufbrausend einer von den Obersten.
»Und ich, meine Herren, ich erkläre Euch, daß ich nicht antworten werde, wenn ich nicht dem General gegenüberstehe.«
»Ihr wißt wohl, daß Ihr etwas Unmögliches verlangt,« sagte der Oberste, der schon gesprochen hatte.
»Zum zweiten Male gibt man mir dieselbe seltsame Antwort auf den Wunsch, den ich ausdrücke,« sprach Athos. »Ist der General abwesend?«
Die Frage von Athos wurde so treuherzig ausgesprochen und der Graf hatte dabei eine so unschuldig erstaunte Miene, daß die drei Officiere Blicke wechselten. Der Lieutenant nahm durch eine Art von stillschweigender Uebereinkunft mit den zwei andern Officieren das Wort und sagte:
»Mein Herr, der General hat Euch gestern an der Grenze des Klosters verlassen?«
»Ja, mein Herr.«
»Und wohin seid Ihr gegangen?«
»Es ist nicht an mir. Euch zu antworten, sondern an denjenigen, welche mich begleitet haben. Das sind Eure Soldaten, befragt sie.«
»Aber wenn es uns beliebt. Euch zu befragen?«
»Dann wird es mir belieben, Euch zu erwiedern, mein Herr, daß ich von Niemand hier abhängig bin, daß ich hier nur den General kenne und nur ihm antworten werde.«
»Es sei, doch da wir die Herren sind, so werden wir uns zum Kriegsgericht erheben, und wenn Ihr Richter vor Euch habt, müßt Ihr wohl antworten.«
Das Antlitz von Athos drückte nur Erstaunen und Verachtung statt des Schreckens aus, den die Officiere darauf zu lesen erwarteten.
»Schottische oder englische Richter mir, der ich Unterthan des Königs von Frankreich, mir, der ich unter den Schutz der britischen Ehre gestellt bin! Ihr seid Narren, meine Herren,« rief Athos die Achseln zuckend.
»Mein Herr, Ihr behauptet also, Ihr wisset nicht, wo der General ist?« sagten sie.
»Hierauf habe ich schon geantwortet.«
»Ja; aber Ihr habt etwas Unglaubliches geantwortet.«
»Es ist dennoch wahr, meine Herren. Die Leute meines Standes lügen gewöhnlich nicht. Ich bin Edelmann, wie ich Euch schon bemerkte, und wenn ich den Degen an meiner Seite habe, den ich gestern aus einem Uebermaß von Zartgefühl auf dem Tische ließ, wo er noch liegt, so wird mir, glaubt mir, Keiner Dinge sagen, die ich nicht hören will. Heute bin ich entwaffnet; wenn Ihr meine Richter zu sein Euch anmaßt, so richtet mich; wenn Ihr nur meine Henker seid, so tödtet mich!«
»Aber, mein Herr? . . . « fragte mit höflicherem Tone der Lieutenant, berührt von der Größe und Kaltblütigkeit von Athos.
»Mein Herr, ich kam hierher, um mit Eurem General im Vertrauen über wichtige Angelegenheiten zu sprechen. Es war kein gewöhnlicher Empfang, der Empfang, den er mir zu Theil werden ließ. Die Berichte Eurer Soldaten können Euch hiervon überzeugen. Wenn er mich so empfing, so wußte der General, welche Ansprüche ich auf Ächtung zu machen habe. Ich denke, Ihr nehmt nun nicht an, ich werde Euch meine Geheimnisse oder gar die seinigen offenbaren.«
»Aber was enthielten denn die Tonnen?«
»Habt Ihr diese Frage nicht an Eure Soldaten gerichtet? Was haben sie Euch geantwortet?«
»Sie enthalten Pulver und Blei.«
»Von wem erhielten sie diese Kunde? sie mußten Euch das sagen.«
»Vom General; doch wir lassen uns nicht bethören.«
»Nehmt Euch in Acht, mein Herr, ich bin es nicht mehr, den Ihr Lügen straft, sondern Euer Chef.«
Die Officiere schauten sich abermals an; Athos fuhr fort:
»Vor Euren Soldaten hat mir der General gesagt, ich möge acht Tag warten, in acht Tagen würde er mir die Antwort geben, die er mir zu ertheilen habe. Bin ich entflohen? Nein, ich warte.«
»Er hat Euch acht Tage warten heißen!« rief der Lieutenant.
»Mein Herr, ich habe ein Sloop in der Mündung des Flusses vor Anker, ich konnte es gestern ohne die geringste Schwierigkeit erreichen und mich einschiffen. Bin ich aber geblieben, so geschah dies einzig und allein, um den Wünschen des Generals zu entsprechen, da mich Seine Herrlichkeit ersuchte, nicht ohne eine letzte Audienz abzureisen, deren Zeitpunkt sie selbst auf acht Tage feststellte. Ich wiederhole Euch also, daß ich warte,«
Der Lieutenant wandte sich gegen die zwei andern Officiere um und sagte mit leiser Stimme:
»Wenn dieser die Wahrheit spricht, so wäre noch Hoffnung vorhanden. Der General hätte so geheime Unterhandlungen pflegen müssen, daß er es sogar für unklug gehalten haben würde, uns davon in Kenntniß zu setzen. Seine Abwesenheit würde sodann acht Tag dauern.«
Dann sich an Athos wendend, sprach er:, »Mein Herr, Eure Erklärung ist von der höchsten Wichtigkeit, wollt Ihr sie unter dem Siegel des Schwurs wiederholen?«
»Mein Herr,« antwortete Athos, »ich habe immer in einer Welt gelebt, in der man mein einfaches Wort als den heiligsten der Schwüre betrachtete.«
»Diesmal jedoch, mein Herr, sind die Verhältnisse ernster als alle diejenigen, in denen Ihr Euch je befunden haben möget. Es handelt sich um das Heil einer ganzen Armee. Bedenkt es wohl. Der General ist verschwunden und wir forschen nach ihm. Ist das Verschwinden natürlich? Ist ein Verbrechen begangen worden? Müssen wir unsere Nachforschungen bis auf’s Aeußerste treiben? Sollen wir In Geduld warten? In diesem Augenblick, mein Herr, hängt Alles von dem Wort ab, das Ihr aussprechen werdet.«
»So befragt zögere ich nicht,« erwiederte Athos; »ja, ich hatte eine vertrauliche Unterredung mit dem General und bat ihn um eine Antwort über gewisse Interessen; ja, der General, der sich ohne Zweifel nicht vor der Schlacht, die man erwartet, aussprechen konnte, bat mich, noch acht Tage in dem Hause zu warten, das ich bewohne, und versprach mir zugleich, ich würde ihn in acht Tagen wiedersehen. Ja, dies Alles ist wahr, und ich schwöre es bei Gott, der der unumschränkte Herr meines Lebens und des Eurigen ist.«
Athos sprach diese Worte mit so viel Größe und mit solcher Feierlichkeit, daß die drei Officiere beinahe überzeugt waren. Einer von den Obersten wollte indessen noch einen Versuch machen und sagte:
»Mein Herr, obgleich wir nun von dem, was Ihr behauptet, überzeugt sind, liegt doch in dem Allem ein seltsames Geheimniß. Der General ist ein zu kluger Mann, um so sein Heer am Vorabend einer Schlacht zu verlassen, ohne wenigstens einen von uns davon in Kenntniß zu setzen. Ich, was mich betrifft, kann nichts Anderes glauben, als daß ein seltsames Ereigniß die Ursache dieses Verschwindens ist. Gestern sind fremde Fischer hierhergekommen, um ihre Fische zu verkaufen; man quartierte sie dort unten bei den Schottländern ein, nämlich am Wege, dem der General folgte, um mit dem Herrn in die Abtei zu gehen und von dort zurückzukehren. Einer dieser Fischer hat den General mit einer Laterne begleitet . . . und diesen Morgen waren Barke und Fischer von der Fluth fortgetragen verschwunden.«
»Ich,« versetzte der Lieutenant, »ich sehe darin nichts, was nicht natürlich wäre, denn diese Leute waren keine Gefangenen.«
»Nein; aber ich wiederhole, einer von ihnen hat dem General und dem Herrn in dem Gewölbe der Abtei geleuchtet, und Digby versichert uns, der General habe schlimmen Verdacht über diese Leute gehabt. Wer sagt uns aber, daß diese Fischer nicht mit dem Herrn einverstanden waren, und nachdem der Streich ausgeführt, sei dieser Herr, der sicherlich muthig ist, nicht geblieben, um uns durch seine Gegenwart zu beruhigen und es zu verhindern, daß unsere Nachforschungen die geeignete Richtung nehmen?«
Diese Rede machte Eindruck auf die zwei andern Officiere.
»Mein Herr,« sprach Athos, »erlaubt mir, Euch zu bemerken, daß es Eurem scheinbar sehr richtigen Urtheil doch in dem, was mich betrifft, an Haltbarkeit fehlt. Ihr sagt, ich sei geblieben, um den Verdacht abzuwenden; der Verdacht regt sich im Gegentheil in mir, wie in Euch, und ich sage Euch: Es ist nicht möglich, meine Herren, daß sich der General am Vorabend einer Schlacht wegbegeben hat, ohne irgend Jemand davon in Kenntniß zu setzen. Ja, bei dem Allem waltet ein seltsames Ereigniß ob; ja, statt müßig zu bleiben und zu warten, müßt Ihr jede Wachsamkeit, jede mögliche Thätigkeit entwickeln. Ich bin Euer Gefangener, meine Herren, auf mein Wort oder auf eine andere Weise. Meine Ehre ist dabei betheiligt, daß man erfährt, was aus dem General Monk geworden ist, so daß ich, wenn Ihr zu mir sagtet: Geht, antworten würde: Nein, ich bleibe, – und daß ich, wenn Ihr mich um meine Meinung fragtet, beifügen müßte: Ja, der General ist das Opfer irgend einer Verschwörung, denn wenn er das Lager hätte verlassen müssen, so würde er es gesagt haben. Sucht also, forscht, durchwühlt die Erde, durchwühlt das Meer; der General ist nicht weggegangen, oder wenigstens nicht mit seinem eigenen Willen weggegangen.«
Der Lieutenant machte den anderen Officieren ein Zeichen.
»Nein, mein Herr,« sagte er, »nein, Ihr geht Eurerseits zu weit. Der General hat nichts von den Ereignissen zu erleiden, und er ist es ohne Zweifel im Gegentheil, der sie lenkt. Was Monk zu dieser Stunde thut, hat er schon oft gethan. Wir haben also Unrecht, uns zu beunruhigen; seine Abwesenheit wird ohne Zweifel von kurzer Dauer sein. Wir werden uns auch wohl hüten, in einer Kleinmüthigkeit, die uns der General zum Verbrechen machen würde, seine Abwesenheit, welche die Armee demoralisiren könnte, ruchbar werden zu lassen. Der General gibt uns einen ungeheuren Beweis seines Vertrauens; zeigen wir uns desselben würdig. Meine Herren, das tiefste Stillschweigen bedecke dies Alles mit einem undurchdringlichen Schleier; wir behalten den Herrn nicht wegen eines Argwohns gegen ihn hinsichtlich des Verbrechens, sondern um auf eine wirksamere Weise das Geheimniß der Abwesenheit des Generals, das wir unter uns verschließen, zu sichern; bis auf neuen Befehl wird der Herr auch im Generalquartier wohnen.«
»Meine Herren,« entgegnete Athos, »Ihr vergeßt, daß mir der General in dieser Nacht ein Gut anvertraut hat, das ich hüten muß. Gebt mir jede Bewachung, die Euch beliebt, fesselt mich, wenn Ihr wollt, doch laßt mir das Haus, das ich bewohne, als Gefängnis. Ich schwöre Euch bei meinem adeligen Ehrenwort, der General würde es Euch bei seiner Rückkehr zum Vorwurf machen, daß Ihr ihm hierin mißfallen habet.«
Die Officiere beriethen sich einen Augenblick; nach dieser Berathung sagte der Lieutenant:
»Es sei, mein Herr, kehrt in Eure Wohnung zurück.«
Dann gaben sie Athos eine Wache von fünfzig Mann, die ihn in seinem Haus einschloß, ohne ihn eine Secunde aus dem Gesicht zu verlieren.
Das Geheimniß blieb bewahrt, aber die Stunden, aber die Tage vergingen, ohne daß der General zurückkam und ohne daß man ferner Kunde von ihm erhielt.
XIV.
Zwei Tage nach den von uns erzählten Ereignissen und während man jeden Augenblick in seinem Lager den General Monk erwartete, der nicht dahin zurückkehrte, ging eine kleine holländische Felucke mit einer Equipage von zehn Mann an der Küste von Scheveningen, ungefähr einen Kanonenschuß vom Lande, vor Anker. Es war stockfinstere Nacht, die See stieg in der Dunkelheit und die Stunde eignete sich vortrefflich, um Passagiere und Waaren auszuschiffen.
Die Rhede von Scheveningen bildet einen weiten Halbmond; sie ist durchaus nicht tief und ziemlich unsicher; man sah hier auch nur flämische Houques oder von jenen holländischen Barken liegen, welche die Fischer auf Rollen auf den Sand ziehen, wie es die Alten nach der Mittheilung von Virgil machten. Steigt die Woge und treibt gegen das Land, so ist es nicht klug, das Fahrzeug zu nahe an die Küste gelangen zu lassen, denn wenn der Wind frisch ist, versanden sich die Vordertheile und der Sand an dieser Küste ist schwammicht, er nimmt leicht, aber gibt nicht ebenso wieder. Aus diesem Grunde löste sich ohne Zweifel die Schaluppe vom Schiff, sobald dieses Anker geworfen hatte, und fuhr mit acht Leuten von der Mannschaft, unter denen man einen Gegenstand von länglicher Form unterschied, der ein Ballen oder eine Art von Korb sein mochte.
Das Ufer war verlassen, die paar Fischer, welche die Dünen bewohnen, hatten sich schlafen gelegt. Die einzige Schildwache, welche die Küste hütete (eine sehr schlecht bewachte Küste in Betracht, daß das Landen eines großen Schiffes unmöglich war), hatte, ohne das Beispiel der Fischer, die sich niedergelegt, völlig befolgen zu können, dieselben doch insofern nachgeahmt, daß sie eben so tief in ihrem Schilderhause schlief, als jene in ihren Betten. Das einzige Geräusch, das man hörte, war also das Pfeifen des Nachtwindes, der durch das Heidekraut der Düne strich. Doch es waren ohne Zweifel mißtrauische Leute, die Leute, die sich näherten, denn diese wirkliche Stille und diese scheinbare Einsamkeit beruhigten sie noch nicht. Kaum sichtbar wie ein dunkler Punkt auf dem Ocean glitt auch ihre Schaluppe, geräuschlos, das Rudern vermeidend, um nicht gehört zu werden, über das Wasser hin und fuhr so nahe als möglich ans Land.
Kaum spürte man Grund, als ein einziger Mann aus dem Fahrzeug sprang, nachdem er einen kurzen Befehl mit jenem Tone gegeben, der die Gewohnheit des Gebietens bezeichnet. In Folge dieses Befehls glänzten alsbald mehrere Musketen bei dem schwachen Schimmer des Meeres, diesem Spiegel des Himmels, und der bereits erwähnte längliche Ballen, welcher ohne Zweifel die Schmuggelwaare enthielt, wurde mit unendlicher Vorsicht ans Land geschafft. Sogleich lief der Mann, der die Schaluppe zuerst verlassen hatte, schräge nach dem Dorfe Scheveningen, wobei er seine Richtung nach der vordersten Spitze des Waldes nahm. Hier suchte er das Haus, das wir schon einmal durch die Bäume erblickt, und das wir als die mittlerweilige Wohnung – eine sehr bescheidene Wohnung – desjenigen bezeichnet haben, welchen man aus Artigkeit den König von England nannte.
Alles schlief hier, wie überall; nur ein großer Hund von der Race derjenigen, welche die Fischer von Scheveningen an kleine Karren spannen, um ihre Fische nach dem Haag zu bringen, stieß ein furchtbares Gebelle aus, sobald die Tritte des Fremden unter den Fenstern hörbar wurden. Doch statt den Ankömmling zu erschrecken, schien ihm diese Bewachung im Gegentheil eine große Freude zu bereiten, denn seine Stimme wäre vielleicht unzulänglich gewesen, um die Leute des Hauses aufzuwecken, während bei einer Hilfsmacht von solcher Stärke diese Stimme beinahe unnöthig wurde. Der Fremde wartete also, bis das schallende und wiederholte Gebelle aller Wahrscheinlichkeit nach seine Wirkung hervorgebracht hatte, und wagte es dann, zu rufen. Bei dem Ton seiner Stimme brüllte der Hund mit solcher Heftigkeit, daß sich bald im Innern eine andere Stimme hörbar machte, die den Hund zu beschwichtigen suchte. Als sodann der Hund wirklich beschwichtigt war, fragte diese zugleich schwache, gebrochene und höfliche Stimme:
»Was wünscht Ihr?«
»Ich will zu Seiner Majestät König Karl II.,« antwortete der Fremde.
»Was wollt Ihr von ihm?«
»Ich will ihn sprechen.«
»Wer seid Ihr?«
»Ah! Mordioux! Ihr fragt mich zu viel; ich liebe es nicht, ein Gespräch durch die Thüren zu führen.«
»Sagt nur Euren Namen.«
»Ich liebe es eben so wenig, meinen Namen in freier Luft anzugeben; seid indessen unbesorgt, ich werde Euren Hund nicht fressen, und bitte Gott, er möge auch so rücksichtsvoll gegen mich verfahren.«
»Ihr bringt vielleicht Nachrichten, nicht wahr, mein Herr?« sagte die Stimme geduldig und ausforschend wie die eines Greises.
»Ich stehe Euch dafür, daß ich Nachrichten bringe, die man nicht erwartet! Oeffnet also, wenn es Euch beliebt.«
»Mein Herr,« fuhr der Greis fort, »glaubt Ihr bei Eurer Seele und Eurem Gewissen, diese Nachrichten seien es werth, daß man den König aufweckt?«
»Um der Liebe Gottes willen, mein guter Herr, zieht Eure Riegel, ich schwöre Euch, die Mühe, die Ihr Euch gemacht habt, wird Euch nicht verdrießen. Auf mein Ehrenwort, ich bin mein Gewicht in Gold werth.«
»Mein Herr, ich kann Euch dennoch nicht öffnen, ohne daß Ihr mir Euren Namen sagt.«
»Es muß also sein?«
»Das ist der Befehl meines Gebieters, Herr.«
»Nun! so hört meinen Namen . . . Doch ich mache Euch zum Voraus darauf aufmerksam, daß Ihr durch diesen Namen durchaus nichts erfahrt.«
»Gleichviel, sagt ihn immerhin.«
»Wohl, ich bin der Chevalier d’Artagnan.«
Die Stimme gab einen Schrei von sich.
»Ah! mein Gott!« sprach der Greis jenseits der Thüre, Herr d’Artagnan! welches Glück! Ich sagte mir doch, ich kenne diese Stimme.«
»Halt!« rief d’Artagnan, »man kennt meine Stimme hier! das ist schmeichelhaft!«
»Oh! ja, man kennt sie, erwiederte der Greis, den Riegel ziehend, »und das diene Euch zum Beweis!«
Und bei diesen Worten führte er d’Artagnan ein, der beim Schimmer der Laterne, welche er in der Hand trug, seinen hartnäckigen Gegenredner erkannte.
»Ah! Mordioux!« rief er, »es ist Parry, ich hätte es vermuthen sollen.«
»Parry, ja, mein lieber Herr d’Artagnan, ich bin es. Welche Freude, Euch wiederzusehen!«
»Ihr habt wohl gesagt: welche Freude!« sprach d’Artagnan dem Greis die Hände drückend. »Doch nicht wahr, Ihr werdet den König benachrichtigen?«
»Der König schläft, mein lieber Herr.«
»Mordioux! weckt ihn auf, und er wird Euch nicht schmähen, daß Ihr ihn gestört habt, das sage ich Euch.«
»Ihr kommt im Auftrag des Grafen, nicht wahr?«
»Welches Grafen?«
»Des Grafen de la Fère.«
»Von Athos? Meiner Treue! nein, ich komme in meinem eigenen Auftrag. Rasch, Parry, den König, ich muß den König sehen!«
Parry glaubte nicht länger widerstehen zu dürfen; er kannte d’Artagnan seit langer Zeit; er wußte, daß, obgleich er Gascogner war, seine Worte nie mehr versprachen, als sie halten konnten. Er durchschritt einen Hof und ein Gärtchen, beschwichtigte den Hund, der im Ernst Musketierfleisch kosten wollte, und klopfte an den Laden eines Zimmers, das im Erdgeschoß eines kleinen Pavillon lag.
Sogleich antwortete ein kleiner Hund, der dieses Zimmer bewohnte, dem großen Hund, der den Hof inne hatte.
»Armer König!« sagte d’Artagnan zu sich selbst, »das sind seine Leibwachen: allerdings ist er deshalb nicht schlechter bewacht.«
»Was will man von mir?« fragte der König aus dem Hintergrunde des Zimmers.
»Sire, der Herr Chevalier d’Artagnan ist da und will Euch Nachrichten bringen.«
Alsbald hörte man Geräusch in diesem Zimmer; eine Thüre öffnete sich und eine scharfe Helle überströmte den Corridor und den Garten.
Der König arbeitete beim Scheine einer Lampe. Papiere lagen zerstreut auf seinem Schreibtisch umher, und er hatte den Entwurf eines Briefes begonnen, der durch die vielen Durchstriche verrieth, welche Mühe es ihm gemacht, denselben zu schreiben.
»Tretet ein, Herr Chevalier,« sprach er sich umwendend.
Dann, als er den Fischer erblickte, fragte Karl: . »Was sagtet Ihr denn, Parry? wo ist denn Herr d’Artagnan?«
»Er steht vor Euch, Sire,« antwortete d’Artagnan.
»In dieser Tracht?«
»Ja. Schaut mich an, Sire; erkennt Ihr mich nicht als denjenigen, welchen Ihr in Blois in den Vorzimmern von König Ludwig XIV. gesehen habt?«
»Doch, mein Herr, und ich erinnere mich auch, daß ich mich sehr über Euch zu freuen hatte.«
D’Artagnan verbeugte sich.
»Es war meine Pflicht, mich zu benehmen, wie ich es gethan habe, sobald ich wußte, daß es Eure Majestät war, mit der ich zu sprechen die Ehre hatte.«
»Ihr Bringt mir Nachrichten, sagt Ihr?«
»Ja, Sire.«
»Ohne Zweifel im Auftrag des Königs von Frankreich?«
»Meiner Treue, nein, Sire,« erwiederte d’Artagnan. »Eure Majestät mußte dort sehen, daß sich der König von Frankreich nur um seine eigene Majestät bekümmert.«
Karl schlug die Augen zum Himmel auf.
»Nein,« fuhr d’Artagnan fort, »nein, Sire. Ich bringe Euch Nachrichten, welche aus ganz persönlichen Thatsachen bestehen. Doch ich wage zu hoffen, daß Eure Majestät Thatsachen und Nachrichten mit einiger Huld vernehmen wird.«
»Sprecht, mein Herr.«
»Wenn ich mich nicht irre, Sire, hat Eure Majestät in Blois viel von der schlimmen Lage der Dinge in England gesprochen.«
Erröthend entgegnete Karl:
»Dem König von Frankreich allein erzählte ich . . . «
»Oh! Eure Majestät täuscht sich,« erwiederte kalt der Musketier, »ich weiß mit den Königen im Unglück zu sprechen; sie sprechen sogar nur, wenn sie im Unglück sind, mit mir: sind sie einmal glücklich, so schauen, sie mich nicht mehr an. Ich hege also nicht nur die tiefste Ehrfurcht, sondern auch die unbeschränkteste Ergebenheit für Euch, und das bedeutet etwas bei mir, glaubt mir, Sire. Als ich nun Eure Majestät über ihr Schicksal reden hörte, da fand ich, Ihr seid hochherzig, edel und wisset das Unglück gut zu ertragen.«
»In der That,« sagte Karl erstaunt, »ich weiß nicht, was ich vorziehen soll, Eure Freiheiten oder Eure Ehrerbietung.«,
»Ihr werdet sogleich wählen, Sire,« sprach d’Artagnan. »Eure Majestät beklagte sich also bei ihrem Bruder Ludwig XIV. über die Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen habe, um nach England zurückzukehren und ohne Menschen und Geld ihren Thron wieder zu besteigen.«
Hier entschlüpfte Karl eine Bewegung der Ungeduld.
»Und das Haupthinderniß, auf das sie auf ihrem Wege stoße,« fuhr d’Artagnan fort, »sei ein gewisser General, der die Armee des Parlaments befehlige und dort die Rolle eines zweiten Cromwell spiele. Hat Eure Majestät das nicht gesagt?«
»Ja, doch ich wiederhole Euch, mein Herr, diese Worte waren nur für die Ohren des Königs bestimmt.«
»Und Ihr werdet sehen, Sire, es war sehr gut, daß sie in die Ohren seines Lieutenants der Musketiere gefallen sind; dieser für Eure Majestät so lästige General war, glaube ich, Monk; habe ich den Namen richtig gehört, Sire?«
»Ja, mein Herr; doch ich wiederhole, wozu alle diese Fragen?«
»Oh! ich weiß es wohl, Sire, die Etiquette gestattet es nicht, daß man die Könige fragt; doch ich hoffe, Eure Majestät wird mir sogleich meinen Verstoß gegen die Etiquette vergeben. Eure Majestät fügte bei, wenn sie ihn indessen sehen, sich mit ihm besprechen, von Angesicht zu Angesicht ihm gegenüber stehen könnte, so würde sie entweder mit Gewalt oder durch Ueberredung dieses Hinderniß, das einzige ernste, das einzige wahre, das einzige unüberwindliche auf ihrem Wege, besiegen.«
»Dies Alles ist wahr, mein Herr; mein Schicksal, meine Zukunft, meine Dunkelheit oder mein Glanz hängen von diesem Mann ab; doch was wollt Ihr hieraus schließen?«
»Nur Eines: ist der General Monk in dem Grade lästig, wie Ihr sagt, so wäre es ersprießlich. Eure Majestät von ihm zu befreien oder ihr einen Verbündeten aus ihm zu machen.«
»Mein Herr, ein König, der weder ein Heer, noch Geld bat, da Ihr nun doch einmal meine Unterredung mit meinem Bruder angehört habt, vermag nichts gegen einen Mann, wie Monk.«
»Ja, Sire, ich weiß wohl, das war Eure Meinung, doch zum Glück für Euch war es nicht die meinige.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Daß ich ohne eine Armee und ohne eine Million gethan habe, was Eure Majestät nur mit einer Armee und einer Million thun zu können glaubte.«
»Wie! was sagt Ihr? was habt Ihr gethan?«
»Was ich gethan habe? Nun, Sire, ich habe den für Euch so lästigen Mann dort festgenommen.«
»In England?«
»Allerdings, Sire.«
»Ihr habt Monk in England festgenommen?«
»Hätte ich zufällig schlimm daran gethan?«
»In der That, mein Herr, Ihr seid ein Narr.«
»Ganz und gar nicht, Sire.«
»Ihr habt Monk gefangen genommen?«
»Ja, Sire.«
»Wo dies?«
»Mitten in seinem Lager.«
Der König bebte vor Ungeduld und zuckte die Achseln.
»Und da ich ihn auf der Landstraße bei Newcastle gefangen genommen habe, so bringe ich ihn Eurer Majestät,« sprach d’Artagnan ganz einfach.
»Ihr bringt ihn mir!« rief der König, beinahe entrüstet über das, was er für eine Mystification hielt.
»Ja, Sire,« antwortete d’Artagnan mit demselben Ton, »ich bringe ihn Euch; er ist dort in einer großen Kiste, an der Löcher angebracht sind, damit er athmen kann.«
»Mein Gott!«
»Oh! seid unbesorgt, Sire, man hat jede mögliche Rücksicht für ihn gehabt. Er kommt also völlig unversehrt und wohlbehalten hier an. Beliebt es Eurer Majestät, ihn zu sehen, mit ihm zu reden oder ihn in’s Wasser werfen zu lassen?«
»Oh! mein Gott!« wiederholte Karl, »oh! mein, Gott! mein Herr, sprecht Ihr die Wahrheit? Beleidigt Ihr mich nicht durch einen unwürdigen Scherz?
»Ihr solltet diesen unerhört verwegenen und genialen Streich ausgeführt haben? Unmöglich!«
»Erlaubt mir Eure Majestät, das Fenster zu öffnen?« fragte d’Artagnan, indem er es öffnete.
Der König hatte nicht einmal Zeit, ja zu sagen. D’Artagnan ließ einen langen, schrillen Pfiff vernehmen, den er dreimal in der Stille der Nacht wiederholte.
»Man wird ihn nun Eurer Majestät bringen,« sagte er.
XV.
Der König konnte sich von seinem Erstaunen nicht erholen und schaute bald das lächelnde Gesicht des Musketiers, bald das dunkle Fenster an, das sich gegen die Nacht öffnete. Doch ehe er sich einen bestimmten Gedanken gemacht hatte, brachten fünf von den Leuten von d’Artagnan, – zwei blieben zu Bewachung der Barke zurück, – nach dem Hause, wo ihn Parry empfing, den Gegenstand von länglicher Form, der für diesen Augenblick das Geschick Englands enthielt.
Vor seiner Abreise von Calais hatte d’Artagnan in dieser Stadt eine Art von Sarg, breit und tief genug, daß sich ein Mensch bequem darin umwenden konnte, machen lassen. Gehörig ausgepolstert, bildeten der Boden und die Seiten ein Bett, das so sanft war, daß man in diesem Käfig durch das Schwanken des Schiffes keine Stöße zu erleiden hatte. Das kleine Gitter, dessen d’Artagnan gegen den König erwähnt hatte, war wie ein Helmvisir in der Höhe des Gesichtes des Menschen angebracht. Es war so gearbeitet, daß bei dem geringsten Schrei ein plötzlicher Druck diesen Schrei und zur Roth den, welcher geschrieen, ersticken konnte.
D’Artagnan kannte seine Mannschaft und seinen Gefangenen so gut, daß er auf der ganzen Fahrt zwei Dinge befürchtete: entweder würde der General den Tod dieser seltsamen Sklaverei vorziehen und sich dadurch, daß er sprechen wolle, ersticken lassen, oder seine Wächter würden sich durch die Anerbietungen des Gefangenen in Versuchung führen lassen und ihn, d’Artagnan, an der Stelle von Monk in die Kiste stecken.
D’Artagnan hatte auch die zwei Tage und die zwei Nächte allein mit dem General bei der Kiste zugebracht; er hatte ihm Wein und Speise geboten, was er ausschlug, und ihn beständig über das Schicksal, das seiner in Folge dieser seltsamen Gefangenschaft harrte, zu trösten gesucht. Zwei Pistolen auf dem Tisch und sein bloßer Degen beruhigten d’Artagnan über etwaige Unbescheidenheiten von Außen. Sobald er sich in Scheveningen befand, war er völlig beruhigt. Seine Leute fürchteten ungemein jedes Zusammentreffen mit den Herren vom Lande. Ueberdies hatte er für seine Sache denjenigen interessirt, der ihm moralisch als Lieutenant diente, und den wir aus den Namen Menneville haben antworten hören. Dieser, welcher kein Mensch von gewöhnlichem Geiste war, hatte mehr zu wagen, als die Anderen, weil er mehr Bewußtsein besaß. Er glaubte an eine Zukunft im Dienste von d’Artagnan, und dem zu Folge hätte er sich eher in Stücke zerhauen lassen, als daß er den vom Anführer gegebenen Befehl verletzt haben würde. Ihm hatte auch d’Artagnan, als er sich ausschiffte, die Kiste und das Athmen des Generals anvertraut. Ihn hatte er beauftragt, die Kiste, sobald ein dreimaliges Pfeifen hören würde, durch sieben Mann forttragen zu lassen. Und der Lieutenant gehorchte, wie man sieht.
Als die Kiste im Hause des Königs war, entließ d’Artagnan diese Leute mit einem freundlichen Lächeln und sagte zu ihnen:
»Meine Herren, Ihr habt Seiner Majestät König Karl II., der ehe sechs Wochen vergehen, König von England sein wird, einen großen Dienst geleistet. Eure Belohnung soll verdoppelt werden; kehrt zurück und erwartet mich auf dem Schiff.«
Wonach Alle mit Freudenschreien weggingen, welche selbst den Hund erschreckten.
D’Artagnan hatte die Kiste in das Vorzimmer des Königs bringen lassen. Er schloß mit der größten Pünktlichkeit die Thüren dieses Vorzimmers, öffnete die Kiste und sagte zu dem General:
»Mein General, ich habe mich tausendmal bei Euch zu entschuldigen; meine Manieren sind eines Mannes, wie Ihr seid, nicht würdig gewesen, ich weiß es wohl; doch es war nothwendig, daß Ihr mich für einen Schiffspatron hieltet. Und dann ist England ein für die Transporte sehr unbequemes Land. Ich hoffe daher, Ihr werdet dies Alles in Erwägung ziehen. Hier aber, mein General,« fuhr d’Artagnan fort, »hier ist es Euch frei gestellt, aufzustehen und zu gehen.«
Nachdem er dies gesagt, durchschnitt er die Bande, mit denen die Arme und Hände des Generals gefesselt waren. Dieser stand auf und setzte sich mit dem Wesen eines Menschen, der den Tod erwartet. D’Artagnan öffnete sodann die Thüre des Cabinets von Karl und sprach:
»Sire, hier ist Euer Feind, Herr Monk. Ich hatte mir gelobt, dies für Euren Dienst zu thun. Es ist geschehen, befehlt nun.«
»Herr Monk,« fügte er bei, indem er sich gegen seinen Gefangenen umwandte, »Ihr seid vor Seiner Majestät dem König Karl II., dem Gebieter und Herrn von Großbritannien.«
Monk schaute den jungen Prinzen mit seinem kalt stoischen Blick an und sagte:
»Ich kenne keinen König von Großbritannien, ich kenne sogar Niemand hier, der würdig wäre, den Namen eines Edelmanns zu führen, denn im Auftrag von König Karl II. hat mir ein Emissär, den ich für einen ehrlichen Menschen hielt, eine schändliche Falle gestellt. Ich habe mich in dieser Falle fangen lassen, schlimm genug für mich! Ihr, der Versucher,« sagte er zum König, »Ihr, der Vollstrecker,« sagte er zu d’Artagnan, »erinnert Euch nun dessen, was ich zu Euch spreche: Ihr habt meinen Leib, Ihr könnt ihn tödten, und ich fordere Euch dazu auf, denn nie werdet Ihr meine Seele oder meinen Willen haben. Und nun verlangt kein Wort mehr von mir, denn von diesem Augenblick an werde ich nicht einmal mehr um zu schreien den Mund öffnen. Ich habe es gesagt.«
Und er sprach diese letzten Worte mit der unüberwindlichen Entschlossenheit des verstocktesten Puritaners. D’Artagnan schaute seinen Gefangenen wie ein Mensch an, der den Werth jedes Wortes kennt, und diesen Werth nach dem Ton bestimmt, mit dem die Worte gesprochen worden sind.
»Es ist wahr,« sagte er leise zum König, »der General ist ein entschlossener Mann; seit zwei Tagen wollte er weder einen Bissen Brod, noch einen Schluck Wein zu sich nehmen. Da aber von diesem Augenblick an Eure Majestät über sein Schicksal zu entscheiden hat, so wasche ich meine Hände, wie Pilatus sagt.«
Monk wartete stehend, bleich und in sein Schicksal ergeben, das Auge starr und die Arme gekreuzt.
D’Artagnan wandte sich gegen ihn um und sprach:
»Ihr begreift vollkommen, daß Eure, übrigens sehr schöne Rede Niemand, selbst nicht einmal Euch befrieden kann. Seine Majestät wollte Euch sprechen . . . Ihr widersetztet Euch einer Zusammenkunft; ich aber habe diese Zusammenkunft unvermeidlich gemacht. Warum solltet Ihr nun, da Ihr dem König von Angesicht zu, Angesicht gegenübersteht, da Ihr durch eine von Eurem Willen unabhängige Gewalt hier seid, warum solltet Ihr Euch zu einer Strenge zwingen, die ich als unnütz und albern betrachte. Was Teufels! sprecht, und wäre es nur, um nein zu sagen.«
Monk that die Lippen nicht aus einander; Monk wandte die Augen nicht ab; Monk streichelte sich den Schnurrbart mit einer bedenklichen Miene, woraus sich schließen ließ, die Dinge würden eine unangenehme Wendung nehmen.
Während dieser Zeit war Karl II. in ein tiefes Nachdenken versunken. Zum ersten Male stand er Monk gegenüber, diesem Mann, den er so sehr zu sehen gewünscht, und mit jenem eigenthümlichen Blick, den Gott dem Adler und den Königen gegeben, hatte er die Tiefe seines Herzens erforscht.
Er sah Monk in der That entschlossen, eher zu sterben, als zu sprechen, was nichts Außerordentliches von Seiten eines so bedeutenden Mannes war, dessen Wunde in diesem Augenblick so grausam sein mußte. Karl II, faßte auf der Stelle einen von den Entschlüssen, bei denen ein gewöhnlicher Mensch um sein Leben, ein General um sein Glück, ein König um sein Reich spielt.
»Mein Herr,« sagte er zu Monk, »Ihr habt in einigen Punkten vollkommen Recht. Ich fordere Euch also nicht auf, mir zu antworten, sondern mich anzuhören.«
Während eines kurzen Stillschweigens, das nun eintrat, schaute der König Monk fest an, doch dieser blieb unempfindlich.
»Ihr habt mir so eben einen schmerzlichen Vorwurf gemacht, mein Herr,« fuhr der König fort. »Ihr habt gesagt, einer meiner Emissäre habe Such in Newcastle eine Falle gestellt, und das kann, beiläufig gesagt, Herr d’Artagnan nicht auf sich beziehen, Herr d’Artagnan, dem ich vor Allem aufrichtigen Dank für seine hochherzige, für seine heldenmüthige Ergebenheit schuldig bin.«
D’Artagnan verbeugte sich ehrfurchtsvoll, Monk verzog keine Miene.
»Denn Herr d’Artagnan, – bemerkt wohl, Herr Monk, daß ich Euch dies nicht sage, um mich zu entschuldigen, – denn Herr d’Artagnan,« fuhr der König fort, »ist nach England aus eigenem Antrieb, ohne Interesse, ohne Befehl, ohne Hoffnung gegangen, – als ein ächter Edelmann, um einem unglücklichen König einen Dienst zu leisten und den ausgezeichneten, erhabenen Handlungen eines so gut angewendeten Lebens noch eine schöne That mehr beizufügen.«
D’Artagnan erröthete ein wenig und hustete, um sich eine gewisse Haltung zu geben. Monk rührte sich nicht.
»Ihr glaubt nicht an das, was ich Euch sage, Herr Monk,« sprach der König. »Ich begreife das: solche Beweise von aufopfernder Ergebenheit sind so selten, daß man ihre Wirklichkeit in Zweifel ziehen könnte.«
»Der Herr hätte sehr Unrecht, wenn er Euch nicht glauben würde,« rief d’Artagnan, »denn was Eure Majestät gesagt hat, ist strenge Wahrheit, und zwar so strenge Wahrheit, daß es scheint, ich habe, da ich den General aufsuchte, etwas gethan, was Jedermann zuwider ist. Verhielte es sich so, so wäre ich wahrhaftig darüber in Verzweiflung.«
»Herr d’Artagnan,« sprach der König, indem er den Musketier bei der Hand nahm, »glaubt mir, Ihr habt mich eben so sehr zu Dank verpflichtet, als wenn Ihr meiner Sache den Sieg verschafft hättet, denn Ihr habt mir einen unbekannten Freund geoffenbart, dem ich stets erkenntlich sein, den ich stets lieben werde.«
Und der König drückte ihm herzlich die Hand.
»Und,« fuhr er Monk grüßend fort, »und einen Feind, den ich fortan nach seinem Werthe schätzen werde.«
Die Augen des Puritaners schleuderten einen Blitz, aber einen einzigen, und einen Moment durch diesen Blitz erleuchtet, nahm sein Gesicht alsbald wieder seine düstere Unempfindlichkeit an.
»Herr d’Artagnan,« fuhr Karl II. fort, »hört also, was sich ereignet hat: Der Herr Graf de la Fère, den Ihr, glaube ich, kennt, ging nach Newcastle ab . . . «
»Athos!« rief d’Artagnan.
»Ja, das ist, so viel ich weiß, sein Kriegsname. Der Graf de la Fère ging also nach Newcastle ab, und er wollte vielleicht eben den General zur Unterredung mit mir oder mit den Anhängern meiner Partei bewegen, als Ihr, wie es scheint, gewaltsam bei dieser Unterhandlung in’s Mittel getreten seid.«
»Mordioux!« sagte d’Artagnan, »er war es ohne Zweifel, der an demselben Abend ins Lager kam, an welchem ich mit meinen Fischern dort war.«
Ein unmerkliches Falten der Stirne von Monk offenbarte d’Artagnan, daß er richtig errathen hatte.
»Ja, ja,« murmelte er, »ich glaubte seine Gestalt zu erkennen, ich glaubte seine,Stimme zu hören. Daß ich verflucht sei! Oh! Sire, verzeiht, ich wähnte meine Barke gut gesteuert zu haben.«
»Ich finde nichts schlimm hierbei,« erwiederte der Könige »wenn nicht, daß mich der General beschuldigt, ich habe ihm eine Falle stellen lassen, was nicht so ist. Nein, General, das sind nicht die Waffen, deren ich mich gegen Euch zu bedienen gedachte; Ihr werdet das bald sehen. Mittlerweile wenn ich Euch mein Ehrenwort als Edelmann gebe, glaubt mir, mein Herr, glaubt mir. Nun ein Wort mit Euch, Herr d’Artagnan.«
»Ich höre auf den Knieen.«
»Nicht wahr, Ihr seid mir sehr zugethan?«
»Ihr habt es gesehen.«
»Gut. Bei einem Mann wie Ihr genügt ein Wort. Ueberdies sind neben dem Wort die Handlungen. General, wollt mir folgen. Kommt mit uns, Herr d’Artagnan.«
Ein wenig erstaunt, schickte sich d’Artagnan an zu gehorchen. Karl II. ging hinaus, Monk folgte ihm, d’Artagnan folgte Monk. Karl schlug den Weg ein, dem d’Artagnan gefolgt war, um zu ihm zu kommen, und bald traf die frische Seeluft die drei nächtlichen Wanderer ins Gesicht, und fünfzig Schritte jenseits einer kleinen Thüre, welche Karl öffnete, fanden sie sich wieder auf der Düne im Angesicht des Meeres, das, nachdem es zu steigen aufgehört, wie ein müdes Ungeheuer am Gestade ruhte.
Karl schritt nachdenkend, den Kopf gesenkt und die Hand unter seinem Mantel, vorwärts, Monk folgte ihm, die Arme frei und den Blick unruhig, dann kam d’Artagnan, die Faust am Griffe seines Degens.
»Wo ist das Schiff, das Euch gebracht hat, mein Herr?« fragte Karl den Musketier.
»Dort, Sire, ich habe sieben Mann und einen Officier, die mich in jener kleinen Barke, welche von einem Feuer beleuchtet ist, erwarten.«
»Ah! ja, die Barke ist auf den Sand gezogen, und ich sehe sie; doch Ihr seid sicherlich nicht auf dieser Barke nach Newcastle gekommen?«
»Nein, Sire, ich hatte für meine Rechnung eine Felucke gemiethet, welche sich einen Kanonenschuß von den Dünen vor Anker gelegt hat. In dieser Felucke haben wir die Fahrt gemacht.«
»Mein Herr,« sprach der König zu Monk, »Ihr seid frei.«
Monk, so willenskräftig er auch war, konnte sich eines Ausrufs nicht erwehren. Der König machte eine bestätigende Bewegung mit dem Kopf und fuhr fort:
»Wir wecken einen Fischer vom Dorfe, der noch in dieser Nacht sein Fahrzeug ins Meer setzt und Euch dahin führt, wohin Ihr ihm zu gehen befehlen werdet. Herr d’Artagnan hier wird Eure Ehren geleiten. Ich stelle Herrn d’Artagnan unter den Schutz Eurer Redlichkeit, Herr Monk.«
Monk entschlüpfte ein Gemurmel des Erstaunens und d’Artagnan ein Seufzer. Der König stieß, ohne daß er etwas zu bemerken schien, an das tannene Gitter, das die Hütte des ersten Fischers schloß, der auf der Düne wohnte, und rief:
»Holla! Keyser, erwache!«
»Wer ruft?« fragte der Fischer.
»Ich, Karl der König.«
»Ah! Mylord,« rief Keyser, der ganz angekleidet aus dem Segel aufstand, in welchem er lag, wie man in einer Hängematte liegt, »was steht zu Dienst?«
»Patron Keyser,«’ antwortete Karl, »Du wirst Dich sogleich zu einer Fahrt bereit halten. Dieser Reisende hier miethet Deine Barke und wird Dich gut bezahlen. Bediene ihn gut.«
Und der König machte einige Schritte rückwärts, um Monk frei mit dem Fischer reden zu lassen.
»Ich will nach England fahren,« sagte Monk, der so viel Holländisch sprach, als er brauchte, um sich verständlich zu machen.
»Auf der Stelle,« erwiederte der Patron, »auf der Stelle, wenn Ihr wollt.«
»Aber das wird lange dauern?« fragte Monk.
»Keine halbe Stunde, Eure Ehren. Mein ältester Sohn macht in diesem Augenblick mein Schiff segelfertig, weil wir am Morgen um drei Uhr auf den Fischfang auslaufen müssen.«
»Nun, ist es abgemalt?« fragte Karl hinzutretend.
»Abgesehen vom Preis, ja, Sire,« antwortete der Fischer.
»Das ist meine Sache,« sagte Karl; »der Herr ist mein Freund.«
Monk bebte bei diesem Wort und schaute Karl an.
»Gut, Mylord,« erwiederte Keyser.
In diesem Augenblick hörte man den Sohn von Keyser, der vom User aus in ein Ochsenhorn blies.
»Und nun, meine Herren, geht,« sprach der König.
»Sire,« sagte d’Artagnan, »Eure Majestät wolle die Gnade haben, mir einige Minuten zu gestatten. Ich hatte Leute angeworben; ich gehe ohne sie weg und muß sie in Kenntniß setzen.«
»Pfeift ihnen,« erwiederte Karl lächelnd.
D’Artagnan pfiff wirklich, während der Patron Keyser seinem Sohn antwortete, und es liefen vier Männer unter der Anführung von Menneville herbei.
»Hier habt Ihr eine gute Abschlagszahlung,« sagte d’Artagnan und übergab ihnen eine Börse, welche zwei tausend fünfhundert Livres in Gold enthielt. Erwartet mich in Calais, Ihr wißt wo.«
Nach diesen Worten ließ d’Artagnan einen tiefen Seufzer ausstoßend die Börse in die Hand von Menneville fallen.
»Wie! Ihr verlaßt uns?« riefen die Leute.
»Auf kurze Zeit oder auf lange, wer weiß es?« erwiederte d’Artagnan. »Doch mit diesen 2500 Livres und den 2500, die Ihr schon erhalten habt, seid Ihr nach unserer Uebereinkunft bezahlt. Verlassen wir uns also, meine Kinder.«
»Aber das Schiff?«
»Kümmert Euch nicht darum.«
»Unsere Effecten sind am Bord der Felucke.«
»Ihr holt sie und begebt Euch dann sogleich auf den Weg.«
»Ja, Commandant.«
D’Artagnan kehrte zu Monk zurück und sagte:
»Mein Herr, ich erwarte Eure Befehle, denn wir werden mit einander aufbrechen, wenn Euch meine Gesellschaft nicht zu unangenehm ist.«
»Im Gegentheil, mein Herr,« erwiederte Monk.
»Auf, meine Herren, schiffen wir uns ein!« rief der Sohn von Keyser.
Karl grüßte edel und würdig den General und sprach zu ihm:
»Ihr werdet mir die Unannehmlichkeit und die Gewalt, die Ihr erlitten habt, verzeihen, wenn Ihr überzeugt seid, daß ich nicht die Ursache davon bin.«
Monk verbeugte sich tief, ohne zu antworten. Der König sagte absichtlich kein Wort abgesondert zu d’Artagnan, laut aber sprach er:
»Ich danke Euch abermals, Herr Chevalier, ich danke Euch für Eure Dienste: sie werden Euch vom Herrn im Himmel belohnt werden, der für mich allein, wie ich hoffe, die Prüfungen und den Schmerz vorbehält.«
Monk folgte Keyser und seinem Sohn und schiffte sich mit ihnen ein.
D’Artagnan kam hinter ihnen und murmelte:
»Ah! mein armer Planchet! ich befürchte, wir haben eine schlechte Speculation gemacht.«
XVI.
Während der Ueberfahrt sprach Monk mit d’Artagnan nur in Fällen dringender Notwendigkeit. Zögerte der Franzose, sein Mahl zu nehmen, ein armseliges Mahl, bestehend aus gesalzenem Fisch, Zwieback und Wachholderbranntwein, so rief ihm Monk und sagte:
»Zu Tische, mein Herr.«
Dies war Alles. Gerade weil er bei großen Veranlassungen äußerst bündig war, entnahm d’Artagnan kein günstiges Vorzeichen aus dieser Kürze für den Erfolg seiner Sendung. Da ihm aber viel Zeit übrig blieb, so zerbrach er sich während dieser Zeit den Kopf damit, daß er nachsann, wie Athos Karl II. gesehen, wie er mit ihm den Plan zu dieser Abreise entworfen habe, und wie er endlich in das Lager von Monk gekommen sei; und der arme Lieutenant der Musketiere riß sich ein Haar aus dem Schnurrbart, so oft er daran dachte, Athos sei ohne Zweifel der Cavalier gewesen, der Monk in der Nacht der Entführung begleitet habe.
Endlich nach einer Fahrt von zwei Nächten und zwei Tagen landete der Patron Keyser an der Stelle, wo Monk, der während der Ueberfahrt alle Befehle gab, das Ausschiffen befohlen hatte. Dies war gerade an der Mündung des kleinen Flusses, in deren Nähe Athos seine Wohnung gewählt hatte.
Der Tag neigte sich, eine schöne Sonne tauchte, einem glühenden stählernen Schilde ähnlich, das untere Ende ihrer Scheibe an der blauen Linie des Meeres nieder. Die Felucke segelte immer weiter den Fluß aufwärts, der an dieser Stelle ziemlich breit war; doch Monk befahl in seiner Ungeduld, zu landen, und der Nachen von Keyser brachte ihn in Gesellschaft von d’Artagnan an das schwammige, mit Rohr bewachsene User des Flusses.
An den Gehorsam gewöhnt, folgte d’Artagnan durchaus wie der gefesselte Bär seinem Herrn folgt; doch seine Lage demüthigte ihn ungemein und er brummelte ganz leise, der Dienst der Könige sei bitter und der beste von allen tauge nichts,
Monk ging mit großen Schritten, als wäre er noch nicht sicher, den Boden von England wieder erreicht zu haben, während man schon ganz deutlich die paar Häuser von Matrosen und Fischern erblickte, welche auf dem kleinen Kai dieses armseligen Hafens zerstreut lagen. Plötzlich rief d’Artagnan:
»Gott vergebe mir, dort brennt ein Haus.«
Monk schaute empor. Das Feuer fing in der That an, ein Haus zu verzehren. Es war an einem kleinen Schoppen angelegt worden, der an dieses Haus stieß, dessen Dach es ergriffen hatte. Der frische Abendwind kam dem Brand zu Hilfe.
Die zwei Reisenden beschleunigten ihre Schritte; sie hörten ein gewaltiges Geschrei und sahen, als sie näher kamen, die Soldaten ihre Waffen schwingen und die Faust gegen das angezündete Haus ausstrecken. Es war ohne Zweifel diese bedrohliche Beschäftigung, der zu Folge man es versäumt hatte, die Felucke zu signalisiren.
Monk blieb plötzlich stehen und drückte zum ersten Mal seine Gedanken in Worten aus.
»Ei!« sagte er, »das sind vielleicht nicht mehr meine Soldaten, sondern die von Lambert.«
Diese Worte enthielten zugleich einen Schmerz, eine Befürchtung und einen Vorwurf, was d’Artagnan gar wohl begriff. Während der Abwesenheit des Generals konnte Lambert in der That eine Schlacht geliefert, gesiegt, die Truppen des Parlaments zerstreut und mit seinem Heer den Platz der ihrer festesten Stütze beraubten Armee von Monk eingenommen haben. Bei diesem Zweifel, der aus dem Geist von Monk in den seinigen überging, urtheilte d’Artagnan also:
»Von zwei Dingen wird eines geschehen: entweder hat Monk bei dem, was er gesagt, Recht gehabt, und es sind nur noch die Lambertisten in der Gegend, die Lambertisten, das heißt Feinde, die mich vortrefflich aufnehmen werden, da sie mir ihren Sieg zu verdanken, haben, oder es hat sich nichts verändert und Monk, der sein Lager an demselben Platz findet. wird ganz entzückt sein und sich bei seinen Repressalien nicht zu hart zeigen.«
Während er so dachte, gingen die zwei Reisenden immer weiter, und bald befanden sie sich mitten unter einer kleinen Truppe von Seeleuten, welche mit Schmerz zuschauten, wie das Haus abbrannte, aber eingeschüchtert durch die Drohungen der Soldaten nichts zu sagen wagten.
Monk wandte sich an einen von den Seeleuten und fragte:
»Was geht denn vor?«
»Mein Herr,« antwortete dieser Mann, der in Monk unter dem dicken Mantel, in den er gewickelt war, keinen Officier erkannte, »dieses Haus wird von einem Fremden bewohnt, der den Soldaten verdächtig geworden ist. Sie wollten unter dem Vorwand, ihn ins Lager zu führen, bei ihm eindringen, er aber ließ sich nicht durch ihre Anzahl erschrecken, bedrohte mit dem Tod den Ersten, der seine Thürschwelle zu überschreiten versuchen würde, und da sich Einer fand, der das wagte, so streckte ihn der Franzose mit einem Pistolschuß nieder.«
»Ah! es ist ein Franzose?« sagte d’Artagnan sich die Hände reibend. »Gut!«
»Wie, gut!« versetzte der Fischer.
»Nein, ich wollte sagen . . . hernach? . . . Ich habe mich versprochen.«
»Hernach, mein Herr? Die Anderen sind wüthend geworden wie Löwen; sie feuerten mehr als hundert Musketenschüsse nach dem Hause ab, aber der Franzose, war hinter seiner Mauer geschützt, und so oft man durch die Thüre eindringen wollte, war man einem Schuß von seinem Bedienten ausgesetzt, der gut trifft. So oft man das Fenster bedrohte, begegnete man der Pistole des Herrn. Denkt nur, es sind schon sieben Mann zu Boden gestreckt.«
»Ah! mein braver Landsmann!« rief d’Artagnan, »warte, warte, ich komme zu Dir, und wir werden bald mit dieser ganzen Canaille fertig sein.«
»Einen Augenblick Geduld, mein Herr,« sagte Monk: »wartet.«
»Lange?«
»Nein, nur solange, als ich brauche, um eine Frage zu machen.«
Dann sich gegen den Fischer umwendend, fragte er mit einer Bewegtheit, die er trotz seiner Selbstbeherrschung nicht zu verbergen vermochte:
»Mein Freund, ich bitte, wem gehören diese Soldaten?«
»Wem sollen sie gehören, wenn nicht dem wüthenden Monk?«
»Es ist also keine Schlacht geliefert worden?«
»Ah! ja wohl! Wozu denn? Die Armee von Lambert schmilzt wie der Schnee im April. Alles läuft Monk zu, Officiere und Soldaten. In acht Tagen wird Lambert keine fünfzig Mann mehr haben.«
Der Fischer wurde von einer neuen Salve nach dem Hause gerichteter Flintenschüsse, und von einem neuen Pistolenschuß unterbrochen, der diese Salve beantwortete und den Unternehmendsten von den Angreifern niederwarf. Der Grimm der Soldaten erreichte den höchsten Grad.
Das Feuer stieg immer mehr und Rauch und Flammen wirbelten am First des Hauses empor. D’Artagnan konnte sich nicht mehr länger halten.
»Mordioux!« sagte er zu Monk, den er von der Seite anschaute, »Ihr seid General und laßt Eure Soldaten die Häuser abbrennen und die Leute ermorden! Dabei schaut Ihr ganz ruhig zu und wärmt Euch Eure Hände am Brand. Mordioux! Ihr seid kein Mann.«
»Geduld, mein Herr, Geduld!« sprach Monk lächelnd.
»Geduld, Geduld! bis dieser brave Edelmann geröstet ist, nicht wahr?« rief d’Artagnan fortstürzend.
»Bleibt, mein Herr,« sprach Monk gebieterisch.
Und er schritt auf das Haus zu. Eben näherte sich demselben ein Officier und rief dem Belagerten zu:
»Das Haus brennt, Du wirst in einer Stunde geröstet sein. Noch ist es Zeit, sage uns, was Du vom General Monk weißt, und Du sollst unversehrt bleiben. Antworte, oder beim heiligen Patrick! . . . «
Der Belagerte antwortete nicht; ohne Zweifel lud er seine Pistole wieder.
»Man hat nach Verstärkung geschickt,« fuhr der Officier fort; »in einer Viertelstunde werden hundert Mann um dieses Haus versammelt sein.«
»Um eine Antwort zu geben, verlange ich, daß sich Jedermann von hier entferne,« sagte der Franzose; »ich will frei hinausgehen, mich ins Lager begeben, oder ich lasse mich hier tödten.«
»Tausend Donner!« rief d’Artagnan, »das ist die Stimme von Athos! Ah! Canaillen.«
Und das Schwert von d’Artagnan zuckte aus der Scheide.
Monk hielt ihn zurück, trat selbst vor und rief mit schallender Stimme:
»Hollah! was macht man hier? Digby, warum dieses Feuer? warum dieses Geschrei?«
»Der General!« rief Digby und ließ seinen Degen fallen.
»Der General!« wiederholten die Soldaten.
»Nun! was ist darüber zu staunen?« fragte Monk mit ruhigem Ton.
Dann, als die Stille wiederhergestellt war:
»Sprecht, wer hat das Feuer angezündet?«
Die Soldaten neigten das Haupt.
»Wie! ich frage, und man antwortet mir nicht!« sagte Monk. »Wie! ich tadle, und man macht nicht wieder gut! Dieses Feuer brennt noch, glaube ich!«
Sogleich liefen die zwanzig Soldaten weg, holten Eimer, Wasserkrüge, Fässer, und löschten den Brand mit demselben Eifer, mit dem sie ihn einen Augenblick zuvor verbreitet hatten. Doch vor Allem und als der Erste hatte schon d’Artagnan eine Leiter an das Haus gelegt, und er rief:
»Athos! ich bin es, ich, d’Artagnan; tödtet mich nicht, theurer Freund.«
Und einige Minuten nachher schloß er den Grafen in seine Arme.
Seine ruhige Miene behauptend, riß Grimaud mittlerweile die Befestigung des Erdgeschosses nieder, öffnete die Thüre und kreuzte ganz gelassen auf der Schwelle seine Arme. Nur gab er, als er die Stimme von d’Artagnan hörte, einen Ausruf des Erstaunens von sich.
Als das Feuer gelöscht war, erschienen die Soldaten ganz verwirrt, Digby an der Spitze.
»General,« sagte dieser, »entschuldigt uns. »Was wir gethan haben, geschah aus Liebe für Eure Ehren, die man verloren glaubte.«
»Ihr seid Narren, meine Herren. Verloren! verliert sich ein Mann wie ich! Ist es mir zufällig nicht erlaubt, mich nach meinem Wohlgefallen zu entfernen, ohne Euch davon in Kenntniß zu setzen? Haltet Ihr mich zufällig für einen Bürgersmann der City? Darf ein Ehrenmann, mein Freund, mein Gast, belagert, umstellt, mit dem Tod bedroht werden, weil man ihn beargwohnt? Was bedeutet das Wort beargwohnen? Gott verdamme mich, wenn ich nicht Alles erschießen lasse, was dieser brave Mann nicht getödtet hat!«
»General,« sprach Digby mit kläglichem Tone, »wir waren zu achtundzwanzig, und hier liegen acht von uns.«
»Ich ermächtige den Grafen de la Fère, die zwanzig Anderen diesen acht nachzuschicken,« sagte Monk.
Und er reichte Athos die Hand.
»Man kehre ins Lager zurück,« sprach Monk. »Herr Digby, Ihr habt einen Monat Arrest.«
»General . . . «
»Das wird Euch lehren, mein Herr, ein andermal nur nach meinen Befehlen zu handeln.«
»Ich hatte die des Lieutenants, General.«
»Der Lieutenant hat Euch keine solche Befehle zu geben, und er wird statt Eurer in den Arrest gehen, wenn er Euch wirklich diesen Ehrenmann zu verbrennen, geboten hat.«
»Er hat mir das nicht befohlen, General; er hat mir befohlen, ihn ins Lager zu führen, doch der Herr Graf wollte uns nicht folgen.«
»Ich wollte nicht, daß man in mein Haus eindränge und plünderte,« sagte Athos mit einem bezeichnenden Blick gegen Monk.
»Und Ihr habt wohl daran gethan,« rief Monk. »Ins Lager, sage ich Euch.«
Die Soldaten entfernten sich mit gesenktem Kopf.
»Nun, da wir allein sind,« sprach Monk zu Athos, »wollt mir sagen, warum Ihr hartnäckig hier geblieben seid, da Ihr doch Eure Felucke hattet.«
»Ich wartete auf Euch, General,« erwiederte Athos. »Hatte mich Eure Ehren nicht in acht Tagen beschieden?«
Ein beredter Blick von d’Artagnan machte Monk bemerkbar, diese zwei so braven Männer seien nicht im Einverständniß bei seiner Entfernung gewesen. Er wußte es schon.
»Mein Herr,« sagte er zu d’Artagnan, »Ihr hattet vollkommen Recht. Wollt mich einen Augenblick mit dem Herrn Grafen de la Fère sprechen lassen,«
D’Artagnan benützte diesen Abschied, um Grimaud guten Tag zu sagen.
Monk bat Athos, ihn in das Zimmer zu führen, das er bewohnte. Dieses Zimmer war noch voll von Rauch und Trümmern. Mehr als fünfzig Kugeln hatten, durch das Fenster eindringend, die Wand beschädigt. Man fand hier einen Tisch, ein Tintenfaß und Alles, was man zum Schreiben braucht, Monk nahm eine Feder und schrieb eine einzige Zeile, unterzeichnete, faltete das Papier zusammen, versiegelte den Brief mit dem Petschaft seines Ringes, übergab ihn Athos und sprach:
»Mein Herr, überbringt, wenn es Euch beliebt, diesen Brief König Karl II. und reist auf der Stelle ab, wenn Euch nichts mehr hier zurückhält.«
»Und die Tonnen?« fragte Athos.
»Die Fischer, die mich hierhergebracht haben, werden Euch dieselben an Bord schaffen helfen. Seid, wenn es möglich ist, in einer Stunde abgereist.«
»Ja, General,« sprach Athos.
»Herr d’Artagnan!« rief Monk durch das Fenster.
D’Artagnan stieg hastig die Treppe hinauf.
»Umarmt Euren Freund und sagt ihm Lebewohl, mein Herr, denn er kehrt nach Holland zurück.«
»Nach Holland!» rief d’Artagnan; »und ich?«
»Es steht Euch frei, ihm zu folgen, mein Herr; doch ich bitte Euch, zu bleiben,« sagte Monk. »Werdet Ihr es mir abschlagen?«
»Oh! nein, General, ich bin zu Euren Befehlen.«
D’Artagnan umarmte Athos und hatte kaum Zeit, .ihm Lebewohl zu sagen. Monk beobachtete Beide. Dann beaufsichtigte er selbst die Vorkehrungen zur Abfahrt, den Transport der Tonnen an Bord und die Einschiffung von Athos. Sobald dies geschehen, nahm er d’Artagnan, der ganz verblüfft, ganz bewegt war, am Arm und führte ihn gegen Newcastle. Während er aber am Arm von Monk fortschritt, murmelte d’Artagnan leise:
»Ei! ei! mir scheint, die Actien des Hauses Planchet und Compagnie steigen wieder.«
XVII.
Obgleich d’Artagnan nun auf einen besseren Erfolg hoffte, hatte er doch die Lage der Dinge nicht gut begriffen. Die Reise von Athos nach England, die Verbindung des Königs mit Athos und die seltsame Verschlingung seines Planes mit dem des Grafen de la Fère bildeten für d’Artagnan Gegenstände ernsten Nachsinnens. Das Beste war, sich gehen zu lassen. Eine Unklugheit war begangen worden, und obschon ihm die Ausführung seines Planes gelungen, hatte er doch noch keinen von den Vortheilen des Gelingens geerntet. Da Alles verloren war, wagte man nichts mehr.
D’Artagnan folgte Monk mitten in sein Lager. Die Rückkehr des Generals brachte eine wunderbare Wirkung hervor, denn man hielt ihn für verloren. Doch mit seinem strengen Gesicht und mit seiner eisigen Haltung schien Monk seine eifrigen Lieutenants und seine entzückten Soldaten nach der Ursache ihrer Fröhlichkeit zu fragen. Zu dem Lieutenant, der ihm entgegengekommen war und von der Unruhe sprach, in die sie sein Abgang versetzt habe, sagte er auch:
»Warum dies? Bin ich gezwungen. Euch Rechenschaft abzulegen?«
»Aber Eure Ehren, die Lämmer ohne den Hirten können zittern.«
»Zittern!« erwiederte Monk mit seiner ruhigen, mächtigen Stimme; »oh! mein Herr, welches Wort! . . . Gott verdamme mich! wenn meine Lämmer nicht Zähne und Klauen haben, so verzichte ich darauf, ihr Hirte zu sein. Ah! Ihr zittertet, mein Herr.«
»General, für Euch . . . «
»Mischt Euch in das, was Euch angeht, und wenn mir Gott auch nicht den Verstand von Oliver Cromwell geschickt hat, so besitze ich doch den, welchen er mir geschickt; ich begnüge mich damit, so klein er auch sein mag.«
Der Officier« erwiederte nichts, und da Monk seinen Leuten auf diese Art Stillschweigen auferlegte, so blieben sie alle überzeugt, er habe ein wichtiges Werk vollführt, oder sie auf eine Probe gestellt. Das hieß diesen bedächtigen und geduldigen Geist wenig kennen. Hatte Monk den guten Glauben der Puritaner, seiner Verbündeten, so mußte er mit viel Inbrunst dem heiligen Patron danken, der ihn aus der Kiste von Herrn d’Artagnan gezogen.
Während diese Dinge vorgingen, wiederholte unser Musketier unablässig:
»Mein Gott, mache, daß Herr Monk nicht so viel Eigenliebe hat, als ich, denn ich erkläre, wenn mich Jemand so in eine Kiste mit dem Gitter auf dem Mund gesteckt und wie ein Kalb übers Meer geschleppt hätte, würde ich eine so schlimme Erinnerung an meine klägliche Miene in dieser Kiste und einen so häßlichen Groll gegen denjenigen, welcher mich eingesperrt, bewahren, ich würde so sehr befürchten, auf dem Gesichte dieses Boshaften ein sarkastisches Lächeln oder in seiner Haltung eine groteske Nachahmung meiner Lage in der Kiste sehen zu müssen, daß ich ihm, Mordioux! . . . daß ich ihm einen guten Dolch als Entschädigung für das Gitterwerk in die Kehle stieße und ihn in einen wahren Sarg nagelte, zum Andenken an den falschen Sarg, worin ich geschimmelt.«
D’Artagnan sprach dies in vollem Ernst, denn unser Gascogner war eine empfindliche Haut. Zum Glück hatte Monk andere Ideen; er öffnete den Mund nicht über die Vergangenheit gegen seinen furchtsamen Sieger, doch er ließ ihn sehr nahe bei seinen Arbeiten zu, er nahm ihn bei einem Recognosciren mit, so daß er, was er ohne Zweifel lebhaft wünschte, eine Wiederherstellung seiner Ehre im Geiste von d’Artagnan erhielt. Dieser benahm sich als Schmeichler-Zunftmeister: er bewunderte die ganze Taktik von Monk und die Ordnung seines Lagers. Er scherzte sehr angenehm über die Umschanzungen von Lambert, der sich, wie er sagte, unnöthiger Weise die Mühe gegeben habe, ein Lager für zwanzigtausend Mann zu schließen, während Ihm ein Morgen Landes für den Korporal und die fünfzig Leibwachen, die ihm vielleicht getreu geblieben, genügt hätte.
Sogleich nach seiner Ankunft nahm Monk den Vorschlag einer Zusammenkunft an, den Lambert gemacht und den die Lieutenants von Monk, unter dem Vorwand, der General sei krank, zurückgewiesen hatten. Diese Zusammenkunft war weder lang, noch interessant. Lambert forderte ein Glaubensbekenntniß von seinem Nebenbuhler. Dieser erklärte, er habe keine andere Meinung als die Mehrzahl. Lambert fragte, ob es nicht ersprießlicher wäre, den Krieg durch ein Bündniß, als durch eine Schlacht zu endigen. Monk verlangte acht Tage, um darüber nachzudenken. Lambert konnte ihm diese Frist nicht verweigern, und Lambert hatte doch, als er kam, gesagt, er würde das Heer von Monk verschlingen. Da sich in Folge der Zusammenkunft, welche die Anhänger von Lambert voll Ungeduld erwarteten, nichts entschied, – da weder ein Vertrag abgeschlossen, mich eine Schlacht geliefert wurde, – so fing, wie es Herr d’Artagnan vorhergesehen, das rebellische Heer an, die gute Sache der schlechten und das Parlament, so kläglich es auch sein mochte, der prunkhaften Nichtigkeit der Pläne des General Lambert vorzuziehen.
Man erinnerte sich überdies der guten Mahle in London, des Ueberflusses an Ale und Sherry, den der Bürger der City seinen Freunden, den Soldaten, bezahlte, man schaute mit Schrecken das Schwarzbrod des Krieges, das trübe Wasser der Tweed an, das zu salzig für das Glas, zu wenig für den Fleischtopf war, und man sagte sich: Wären wir nicht besser auf der andern Seite? Werden die Braten nicht in London für Monk gargekocht?
Von nun an hörte man in der Armee von Lambert nur noch vom Desertiren sprechen. Die Soldaten ließen sich durch die Macht der Grundsätze fortreißen, welche, wie die Disciplin, das nothwendige Band von jedem Corps sind, das sich in irgend einem Zweck gebildet hat. Monk vertheidigte das Parlament. Lambert rief es an. Monk hatte nicht mehr Lust, das Parlament zu unterstützen, als Lambert, doch er hatte es auf seine Fahnen geschrieben, so daß sich die von der Gegenpartei genöthigt sahen, auf die ihrigen Rebellion zu schreiben, was in puritanischen Ohren schlecht klang. Man kam also von Lambert zu Monk, wie Sünder von Baal zu Gott kommen.
Monk machte seine Berechnung: bei tausend Ausreißern im Tag brauchte Lambert zwanzig Tage, um sein Heer zu verlieren; aber bei den Dingen, welche stürzen, wachsen Gewicht und Geschwindigkeit mit einander in einem solchen Maße, daß hundert am ersten, fünfhundert am zweiten, tausend am dritten Tag durch, gingen. Doch von tausend stieg die Desertion rasch auf zweitausend, dann auf viertausend, und nach acht Tagen faßte Lambert, der wohl fühlte, es wäre ihm unmöglich, die Schlacht anzunehmen, wenn man sie ihm anbieten würde, den weisen Entschluß, in der Nacht sein Lager zu verlassen, um nach London zurückzukehren und Monk dadurch zuvorzukommen, daß er sich eine neue Macht mit der militärischen Partei bilden würde.
Frei und ohne Unruhe marschirte Monk als Sieger, gegen London, wobei sich sein Heer auf seinem Zuge durch alle schwebenden Parteien vergrößerte. Er schlug sein Lager bei Barnet, das heißt vier Meilen von der Hauptstadt auf, geliebt vom Parlament, das in ihm einen Beschützer zu sehen glaubte, und erwartet vom Volk, das ihn, um ihn zu beurtheilen, hervortreten sehen wollte. D’Artagnan selbst war nicht im Stand gewesen, seine Taktik zu beurtheilen. Er beobachtete, er bewunderte. Monk konnte nicht mit einem festen Entschluß in London einziehen, ohne dort dem Bürgerkrieg zu begegnen. Er temporisirte einige Zeit.
Plötzlich und ohne daß es Jemand erwartete, verjagte Monk die Militärpartei aus London und quartierte sich in der City, mitten unter den Bürgern, auf Befehl des Parlaments ein; dann, in dem Augenblick, wo die Bürger gegen Monk schrieen, in dem Augenblick, wo selbst die Soldaten ihren Führer anklagten, erklärte Monk, der sich der Stimmenmehrheit sicher sah, dem Parlament, es müsse abdanken, die Versammlung aufheben und seinen Platz einer Regierung abtreten, welche kein Scherz sei. Monk sprach diese Erklärung, unterstützt von fünfzigtausend Schwertern aus, denen an demselben Abend mit Hurrahs wahnsinniger Freude fünfmal hunderttausend Einwohner der guten Stadt London beitraten.
In dem Augenblick, wo sich das Volk nach seinem Triumph und seinen schwelgerischen Mahlen auf offener Straße nach dem Herrn umsah, den es sich geben könnte, erfuhr man, es sei ein Schiff vom Haag mit Karl II. abgegangen.
»Meine Herren,« sprach Monk zu seinen Officieren, »ich gehe dem gesetzlichen König entgegen. Wer mich liebt, folgt mir!«
Diese Worte, welche d’Artagnan nicht ohne einen Freudenschauer vernahm, wurden mit einem ungeheuren Zuruf aufgenommen.
»Mordioux!« sprach er zu Monk, »das ist kühn, mein Herr.«
»Nicht wahr, Ihr begleitet mich?« fragte Monk.
»Bei Gott, General! Doch ich bitte, sagt mir, was Ihr mit Athos, das heißt mit dem Herrn Grasen de la Fère . . . Ihr wißt . . . an dem Tage unserer Ankunft geschrieben habt.«
»Ich habe kein Geheimniß vor Euch,« erwiederte Monk, »ich schrieb die Worte: »»Sire, ich erwarte Eure Majestät in sechs Wochen in Dover.««
»Ah! rief d’Artagnan, »ich sage nicht, das ist kühn, ich sage, das ist gut gespielt. Das nenne ich einen schönen Streich!«
»Und Ihr versteht Euch darauf,« sprach Monk.
Dies war die einzige Anspielung, die der General auf seine Reise nach Holland gemacht hatte.
XIII.
Der König von England hielt mit großem Gepränge seilen Einzug zuerst in Dover und dann in London. Er hatte seine Brüder zu sich berufen, er hatte seine Mutter und seine Schwester mitgenommen. England war seit so langer Zeit sich selbst, nämlich der Tyrannei, der Mittelmäßigkeit und der Unvernunft preisgegeben gewesen, daß die Rückkehr von König Karl II., den die Engländer indessen nur als den Sohn eines Mannes kannten, welchem sie den Kopf abgeschlagen, zu einem wahren Fest für die drei Königreiche wurde. Alle die Wünsche, alle die Zurufe, die seine Rückkehr begleiteten, machten auch einen solchen Eindruck auf den jungen König, daß er sich an das Ohr von Jack von York, seinem jüngeren Bruder, neigte und zu ihm sagte:
»Wahrhaftig, Jack, mir scheint, es ist unser Fehler, wenn wir so lange aus einem Lande abwesend waren, wo man uns so sehr liebt.«
Der Zug war prachtvoll. Ein herrliches Wetter begünstigte die Feierlichkeit. Karl hatte seine ganze Jugend, seine ganze frohe Laune wiedererlangt; er schien verwandelt; die Herzen lachten ihm zu wie die Sonne.
Mitten in dieser geräuschvollen Menge von Höflingen und Anbetern, die sich nicht zu erinnern schienen, daß sie den Vater des neuen Königs von White-Hall nach dem Blutgerüst, geführt hatten, betrachtete ein Mann in der Kleidung eines Lieutenants der Musketiere, ein Lächeln auf seinen dünnen, geistreichen Lippen, bald das Volk, das seine Segnungen und Glückwünsche brüllte, bald den Prinzen, der den Gerührten spielte und besonders die Frauen grüßte, deren Sträuße unter die Füße seines Pferdes fielen.
»Was für ein schönes Handwerk ist doch das eines Königs!« sagte dieser Mann, in seiner Betrachtung fortgerissen und so sehr in seine Gedanken vertieft, daß er mitten auf dem Wege stehen blieb und den Zug an sich vorüber ließ. »Dieser Fürst ist in der That mit Gold und Diamanten geschmückt wie ein Salomo, buntscheckig mit Blumen überzogen wie eine Wiese im Frühjahr; er wird mit vollen Händen aus der ungeheuren Kasse schöpfen, worin ihm seine heute getreuen, vor Kurzem noch sehr ungetreuen Unterthanen ein paar Karren voll Goldstangen aufgehäuft haben. Man wirft ihm Sträuße zu, um ihn darunter zu begraben, und wenn er vor zwei Monaten erschienen wäre, würde man ihm eben so viel Kanonen- und Musketenkugeln zugeschleudert haben, als man ihm heute Blumen zuwirft. Es ist offenbar etwas werth, auf eine gewisse Weise geboren zu werden, was den Gemeinen nicht mißfallen möge, welche behaupten, es liege ihnen nichts an ihrer gemeinen Geburt.«
Der Zug ging immer weiter, und mit dem König entfernten sich die Zurufe in der Richtung des Palastes; dessen ungeachtet wurde unser Officier immer noch gehörig herumgestoßen.
»Mordioux!« fuhr der Denker fort, »hier sind viele Leute, die mir auf die Füße treten und die mich für sehr wenig oder vielmehr für nichts halten, in Betracht, daß sie Engländer sind, und daß ich ein Franzose bin. Wollte man alle diese Leute fragen: Wer ist Herr d’Artagnan? so würden sie antworten: Nescio vos. Aber man sage ihnen: Hier zieht der König vorüber, hier zieht Herr Monk vorüber, so werben sie brüllen: Es lebe der König! Es lebe Herr Monk! bis ihnen ihre Lungen den Dienst verweigern. Indessen,« fuhr er fort, indem er mit jenem so seinen und zuweilen so stolzen Blick die Menge sich verlaufen sah, »bedenkt indessen ein wenig, Ihr guten Leute, was König Karl gethan hat, was Herr Monk gethan hat, und denkt dann auch ein wenig an das, was dieser arme Unbekannte, den man Herrn d’Artagnan nennt, gethan hat. Es ist wahr, Ihr wißt es nicht, weil es unbekannt ist, was Euch vielleicht abhält, darüber nachzudenken! Doch bah! was liegt daran! Karl II, bleibt dessen ungeachtet ein großer König, obgleich er zwölf Jahre verbannt gewesen ist, und Herr Monk ein großer Kapitän, obgleich er die Reise nach Holland in einer Kiste gemacht hat. Da es nun anerkannt ist, daß der eine ein großer König und der andere ein großer Kapitän bleibt: Huzza for the King Charles II.! Huzza for the captain Monk!«
Und seine Stimme vermischte sich mit den Stimmen von Tausenden von Zuschauern, die sie einen Augenblick beherrschte. Und um den ergebenen Mann besser zu spielen, schwang er seinen Hut in der Luft. Es hielt ihm Jemand den Arm mitten in seinem geräuschvollen, freudigen Loyalisme. (So nannte man 1660 das, was man heut zu Tage Royalisme nennt.)
»Athos!« rief d’Artagnan, »Ihr hier!«
Und die zwei Freunde umarmten sich.
»Ihr hier, und da Ihr hier seid, seid Ihr nicht inmitten aller dieser Höflinge, mein lieber Graf?« fuhr der Musketier fort. »Wie! Ihr, der Held des Festes, reitet nicht auf der linken Seite Seiner restaurirten Majestät, wie Herr Monk auf ihrer rechten Seite reitet? In der That, ich begreife weder Euren Charakter, noch den des Prinzen, der Euch so viel schuldig ist.«
»Immer spöttisch, mein lieber d’Artagnan,« sprach Athos. »Werdet Ihr denn diesen häßlichen Fehler nie ablegen?«
»Aber Ihr nehmt keinen Antheil am Zug?« »Ich nehme keinen Antheil daran, weil ich nicht wollte,«
»Und warum wolltet Ihr nicht?«
»Weil ich weder Gesandter, noch Botschafter, noch Repräsentant des Königs von Frankreich bin, und weil es mir nicht zusagt, mich so nahe bei einem andern König zu zeigen, den mir Gott nicht zum Herrn gegeben hat.«
»Mordioux! Ihr habt Euch doch sehr nahe bei seinem Vater gezeigt.«
»Das ist etwas Anderes, Dieser sollte sterben.«
»Und das, was Ihr für Jenen gethan habt . . . «
»Ich habe es gethan, weil ich es thun mußte. Doch Ihr wißt, ich vermeide jede Schaustellung. König Karl II., der meiner nun nicht mehr bedarf, lasse mich in meiner Ruhe und in meinem Schatten, mehr verlange ich nicht von ihm.«
D’Artagnan seufzte.
»Was habt Ihr?« sagte Athos; »man sollte glauben, diese glückliche Rückkehr des Königs nach London mache Euch traurig, mein Freund, Euch, der Ihr doch mindestens so viel als ich für Seine Majestät gethan habt.«
»Nicht wahr?« rief d’Artagnan, auf seine gascognische Weise lachend, »nicht wahr, ich habe auch viel für Seine Majestät gethan, ohne daß man es vermuthet?«
»Oh! ja, und der König weiß es wohl, mein Freund.«
»Er weiß es!« versetzte mit bitterem Tone der Musketier; »bei meiner Treue, ich glaubte das nicht und suchte es sogar in diesem Augenblick zu vergessen.«
»Aber er, mein Freund, er wird es nicht vergessen, dafür stehe ich Euch.«
»Ihr sagt mir das, um mich ein wenig zu trösten, Athos.«
»Und worüber?«
»Mordioux! über alle die Ausgaben, die ich gemacht habe. Ich habe mich zu Grunde gerichtet, mein Freund, zu Grunde gerichtet für die Wiedereinsetzung dieses jungen Fürsten, der so eben sein isabellfarbiges Pferd hier vorübertänzeln ließ.«
»Der König weiß nicht, daß Ihr Euch zu Grunde gerichtet habt, mein Freund, aber er weiß, daß er Euch, viel schuldig ist.«
»Hilft mich das irgend Etwas, Athos? Ich lasse Euch Gerechtigkeit widerfahren, Ihr habt edel gearbeitet. Doch ich, der ich scheinbar Schuld gewesen bin, daß Eure Combination scheiterte, ich habe hier in Wirklichkeit den Sieg verschafft. Folgt meiner Berechnung: Ihr hättet vielleicht durch die Ueberredung, durch ein sanftes Wesen den General Monk nicht gewonnen, während ich diesen theuren General auf eine so rauhe Weise behandelte, daß sich dem Prinzen die Gelegenheit bot, sich edelmüthig zu zeigen; dieser Edelmuth, der ihm durch die Thatsache meines glücklichen Mißgriffes eingegeben worden ist, wird Karl durch die Wiedereinsetzung bezahlt, welche Monk bereitet hat.«
»Dies Alles ist eine unleugbare Wahrheit, lieber Freund.«
»So unleugbar diese Wahrheit sein mag, so ist es darum doch nicht minder wahr, theurer Freund, daß ich sehr geliebt von Herrn Monk, der mich den ganzen Tag my dear captain nennt, obgleich ich weder sein Lieber, noch sein Kapitän bin, und sehr geschätzt vom König, der meinen Namen schon vergessen hat, zurückkehren werde; es ist nicht minder wahr, sage ich, daß ich in mein schönes Vaterland zurückkehre, verflucht von den Soldaten, die ich in der Hoffnung auf einen großen Sold angeworben, verflucht vom braven Planchet, von dem ich einen Theil seines Vermögens entlehnt habe.«
»Wie so? Was Teufels hat bei dem Allem Planchet zu thun?«
»Ja wohl, mein Theurer, diesen so zierlichen, so lächelnden, so angebeteten König glaubt Herr Monk zurückgerufen zu haben, Ihr bildet Euch ein ihn unterstützt zu haben, ich glaube ihn zurückgeführt zu haben, das Volk wähnt ihn wiedererlangt zu haben, er denkt, er sei so zu Werke gegangen, daß er seinen Thron wiedergewonnen, und dennoch ist nichts von dem Allem wahr: Karl II., König von, England, Schottland und Irland, ist auf seinen Thron durch einen Spezereihändler von Frankreich gebracht worden, der in der Rue des Lombards wohnt und Planchet heißt. So steht es um die Größe! Eitelkeit, sagt die Schrift, Eitelkeit, Alles ist eitel.«
Athos konnte sich eines Lachens über die wunderliche Laune seines Freundes nicht enthalten.
»Guter d’Artagnan,« sagte er, indem er ihm liebevoll die Hand drückte, »solltet Ihr mehr Philosoph mehr sein? Gereicht es Euch nicht zur Befriedigung, daß Ihr mir das Leben gerettet, wie Ihr dies durch Eure glückliche Ankunft mit Monk in der Stunde gethan habt, wo mich die verfluchten Anhänger des Parlaments lebendig verbrennen wollten?«
»Ah! ah!« sagte d’Artagnan, »Ihr hattet es ein wenig verdient, dieses Brennen, mein lieber Graf.«
»Wie! weil ich die Million von König Karl gerettet habe?«
»Welche Million?«
»Ah! es ist wahr. Ihr habt das nie erfahren, mein Freund; doch Ihr dürft mir deshalb nickt grollen, es war nicht mein Geheimniß. Das Wort
»Und das
»Ganz richtig. Dieses Wort bedeutete: Erinnere Dich, daß eine Million in den Gewölben von Newcastle vergraben ist, und daß diese Million meinem Sohn gehört.«
»Ah! sehr gut, ich begreife. Doch was ich auch begreife, und was mir furchtbar vorkommt, ist, daß Seine Majestät König Karl II., so oft er an mich denkt, sich sagen wird: »»Das ist ein Mensch, durch dessen Schuld ich beinahe meine Krone verloren hatte. Zum Glück bin ich edelmüthig, groß, voll Geistesgegenwart gewesen.«« Dies wird von mir und von sich dieser junge Herr sagen, der in einem sehr abgetragenen Wamms in das Schloß von Blois kam und mich, seinen Hut in der Hand, fragte, ob ich ihm nicht Eintritt beim König von Frankreich verschaffen wolle.«
»D’Artagnan, d’Artagnan,« sprach Athos, seine Hand auf die Schulter des Musketiers legend, »Ihr seid nicht billig.«
»Ich habe das Recht dazu.«
»Nein, denn Ihr kennt die Zukunft nicht.«
D’Artagnan schaute seinem Freund in die Augen und lachte.
»In der That, mein lieber Athos,« sagte er, »Ihr habt herrliche Worte, die ich nur bei Euch und bei dem Herrn Cardinal Mazarin kennen lernte.«
Athos machte eine Bewegung.
»Verzeiht,« fuhr d’Artagnan lachend fort, »verzeiht, wenn ich Euch beleidige. Die Zukunft! hu! wie schön sind doch die Worte, welche versprechen, und wie füllen sie den Mund so gut in Ermanglung von etwas Anderem! Mordioux! wann werde ich, nachdem ich so Viele gefunden, welche versprachen, Einen finden, der gibt!
»Doch lassen wir das,« fuhr d’Artagnan fort. »Was macht Ihr hier, mein lieber Athos, seid Ihr Schatzmeister des Königs?«
»Wie! Schatzmeister des Königs?«
»Ja, da der König eine Million besitzt, so braucht er einen Schatzmeister. Der König von Frankreich, der ohne einen Sou ist, hat wohl seinen Oberintendanten der Finanzen, Herrn Fouquet. Es ist wahr, dagegen besitzt Herr Fouquet eine schöne Anzahl von Millionen.«
»Oh! unsere Million ist schon lange ausgegeben,« sagte Athos lachend.
»Ich begreife, sie ist in Seide, in Sammet, in Edelsteinen und in Federn aller Art und von allen Farben aufgegangen. Alle diese Prinzen und Prinzessinnen bedurften gar sehr der Schneider und der Näherinnen. Ei! Athos, erinnert Ihr Euch, was wir ausgegeben haben, um uns zu equipiren, als wir bei La Rochelle im Felde lagen, und um unsern Einzug zu Pferde zu halten? Zwei bis dreitausend Livres, bei meiner Treue; doch der Leib eines Königs ist weiter und man braucht eine Million, um den Stoff zu kaufen. Sagt, Athos, seid Ihr nicht Schatzmeister, so seid Ihr wenigstens wohl gelitten bei Hofe?«
»So wahr ich ein Edelmann bin, ich weiß es nicht,« erwiederte Athos ganz einfach.
»Ei! geht doch, Ihr solltet es nicht wissen!«
»Ich habe den König seit Dover nicht wiedergesehen.«
»Mordioux, dann hat er Euch vergessen, das ist königlich!«
»Seine Majestät hat so viel zu thun gehabt.«
»Oh!« rief d’Artagnan mit einer von jenen witzigen Grimassen, wie nur er allein sie zu machen wußte, »bei meiner Ehre, ich fange wieder an, mich in Monsignor Giulio Mazarin zu verlieben. Wie! mein lieber Athos, der König hat Euch nicht wiedergesehen?«
»Nein.«
»Und Ihr seid nicht wüthend?«
»Ich? warum? Bildet Ihr Euch etwa ein, mein lieber d’Artagnan, ich habe für den König auf diese Art gehandelt? Ich kenne ihn gar nicht, diesen jungen Mann. Ich habe den Vater vertheidigt, der einen für mich geheiligten Grundsatz vertrat, und ich habe mich zum Sohn aus Sympathie für eben diesen Grundsatz hinziehen lassen. Dieser Vater war indessen ein würdiger Cavalier, ein edler Sterblicher, wie Ihr Euch erinnern werdet.«
»Es ist wahr, ein braver, vortrefflicher Mann, der ein trauriges Leben, aber einen sehr schönen Tod hatte.«
»Wohl, mein lieber d’Artagnan, begreift: diesem König, diesem Mann von Herz, diesem Freund, meines Geistes, wenn ich so sagen darf, schwur ich in seiner letzten Stunde, treu das Geheimniß über ein vergrabenes Gut zu bewahren, das seinem Sohn zugestellt werden sollte, um ihn bei Gelegenheit zu unterstützen; der junge Mann suchte mich aus; er erzählte mir von seinem Unglück, er wußte nicht, daß ich etwas Anderes für ihn war, als eine lebendige Erinnerung an seinen Vater; ich erfüllte gegen Karl II. nur, was ich Karl l. versprochen hatte. Was liegt mir daran, ob er dankbar oder undankbar ist! Ich habe mir einen Dienst geleistet, indem ich mich von dieser Verantwortlichkeit frei machte, und nicht ihm.«
»Ich habe immer behauptet, die Uneigennützigkeit sei die schönste Sache der Welt,« sagte d’Artagnan seufzend.
»Wie! mein lieber Freund, seid Ihr nicht in derselben Lage wie ich? Wenn ich Eure Worte gut begriffen, ließet Ihr Euch durch das Unglück dieses jungen Mannes rühren; das ist noch viel schöner von Euch, als von mir, denn ich hatte eine Pflicht zu erfüllen, während Ihr dem Sohn des Märtyrers durchaus nichts schuldig waret. Ihr hattet ihm nicht den Preis für jenen kostbaren Blutstropfen zu bezahlen, den er vom Boden seines Schaffots auf meine Stirne fallen ließ. Was Euch zu handeln bewog, ist das Herz allein, das Ihr unter Eurem scheinbaren Skepticismus, unter Eurem scharfen Gespötte besitzt; ich vermuthe, Ihr habt das Vermögen eines Dieners, das Eurige Vielleicht eingesetzt, Ihr geiziger Wohlthäter, und man mißkennt Euer Opfer. Was ist daran gelegen! Wollt Ihr Planchet sein Geld zurückgeben? Ich begreife das, mein Freund, denn es geziemt sich nicht, daß ein Edelmann von einem Untergeordneten entlehnt, ohne ihm Kapital und Zinsen heimzubezahlen. Es sei! ich werde la Fère verkaufen, wenn es sein muß, oder wenn es nicht nöthig ist, einen kleinen Pachthof. Ihr bezahlt Planchet und, glaubt mir, es bleibt Korn genug für uns Beide und für Raoul auf meinen Speichern. Auf diese Art, mein Freund, werdet Ihr nur gegen Euch selbst eine Verbindlichkeit haben, und wenn ich Euch gut kenne, wird es keine geringe Befriedigung für Euren Geist sein, daß Ihr Euch sagen könnt: »»Ich habe einen König gemacht.«« Habe ich Recht?«
»Athos! Athos!« murmelte d’Artagnan träumerisch, »ich sagte Euch schon einmal, am Tag, wo Ihr predigt, werde ich in die Kirche gehen; an dem Tag, wo Ihr mir sagen werdet, es gebe eine Hölle, bekomme ich bange vor dem Rost und dem Schürhaken. Ihr seid besser als ich, oder vielmehr besser als die ganze Welt, und ich kann mir nur ein Verdienst zuerkennen, das, daß ich nicht eifersüchtig bin. Außer diesem Fehler habe ich, Gott soll mich verdammen, wie die Engländer sagen, alle andere.«
»Ich kenne Niemand, der den Werth von d’Artagnan besäße,« erwiederte Athos. »Doch wir sind nun ganz sachte zu dem Haus gekommen, das ich bewohne; wollt Ihr bei mir eintreten, mein Freund?«
»Ei! das ist die Taverne zum Hirschhorn, wie mir scheint.« sagte d’Artagnan.
»Ich gestehe, mein Freund, ich habe sie ein wenig deshalb gewählt. Ich liebe die alten Bekannten, ich setze mich gern an den Platz, wo ich ganz gelähmt von Müdigkeit, ganz von der Verzweiflung ergriffen niedersank, als Ihr am 31. Januar Abends zurückkamet.«
»Nachdem ich die Wohnung des verkleideten Henkers entdeckt hatte? Ja, das war ein furchtbarer Tag.«
»Kommt also,« sagte Athos.
Sie traten in die einst gemeinschaftliche Stube ein. Die Taverne im Allgemeinen und diese Stube insbesondere hatten große Veränderungen erlitten. Der ehemalige Wirth der Musketiere, der für einen Gastgeber ziemlich reich geworden war, hatte seine Schenke geschlossen und aus der erwähnten Stube eine Niederlage für Colonialwaaren gemacht. Das übrige Haus vermiethete er meublirt an Fremde.
Mit unsäglicher Gemüthsbewegung erkannte d’Artagnan die ganze Ausstattung des Zimmers im ersten Stock wieder: das Täfelwerk, die Tapeten und sogar die Landkarte, welche Porthos mit so viel Liebe in seinen Mußestunden studirte.
»Es sind elf Jahre,« rief d’Artagnan, »und es ist mir, als wäre es ein Jahrhundert.«
»Und mir, als wäre es ein Tag,« sprach Athos. »Seht Ihr, welche Freude es mir bereitet, mein Freund, zu denken, daß ich Euch hier habe, daß ich Eure Hand drücke, daß ich weit von mir weg Degen und Dolch werfen, daß ich ohne Mißtrauen diese Flasche Xeres berühren kann. Oh! diese Freude vermöchte ich Euch nur auszudrücken, wenn unsere beiden Freunde hier wären, hier an den zwei Ecken dieses Tisches, und wenn Raoul, mein vielgeliebter Raoul, auf der Schwelle mit seinen großen, so glänzenden und so sanften Augen uns zuschauen würde.«
»Ja, ja,« sprach d’Artagnan sehr bewegt, »das ist wahr. Ich billige besonders den ersten Theil Eures Gedankens: es ist süß, da zu lächeln, wo wir so mit Recht schauerten, wenn wir bedachten, jeden Augenblick könnte Herr Mordaunt auf der Treppe erscheinen.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre, und d’Artagnan, so brav er war, konnte sich einer leichten Bewegung des Schreckens nicht erwehren.
Athos begriff ihn und sagte lächelnd:
»Es ist unser Wirth, der mir einen Brief bringt.«
»Ja, Mylord,« sagte der gute Bürgersmann, »ich bringe in der That Eurer Herrlichkeit einen Brief.«
»Ich danke,« sprach Athos und nahm den Brief, ohne ihn anzuschauen. »Sagt mir, mein lieber Wirth, erkennt Ihr diesen Herrn nicht?«
Der Greis hob den Kopf in die Höhe und schaute d’Artagnan aufmerksam an.
»Nein,« erwiederte er.
»Es ist einer von den Freunden, von denen ich gesprochen habe; er wohnte vor elf Jahren mit mir hier!«
»Oh! es haben so viele Fremde hier gewohnt!«
»Ja, aber wir haben am 31. Januar 1641 hier gewohnt,« fügte Athos bei, der durch diese Erläuterung das träge Gedächtniß des Wirthes aufzustacheln glaubte.
»Es ist möglich,« erwiederte der Wirth lächelnd, »doch das ist schon so lange her.«
Er verbeugte sich und ging hinaus.
»Ich danke,« sprach d’Artagnan, »verrichtet Thaten, führt Revolutionen aus, versucht es, Euren Namen in Stein oder in Erz mit mächtigen Schwertern zu graben, es gibt etwas, was rebellischer, härter, vergeßlicher ist als das Eisen, das Erz und der Stein, das ist der gealterte Schädel eines Wirthes, der in seinem Gewerbe reich geworden; er erkennt mich nicht mehr! ich hätte ihn wahrhaftig wiedererkannt.«
Lächelnd entsiegelte Athos den Brief.
»Ah!« sagte er, »ein Brief von Parry.«
»Oho!« rief d’Artagnan, »lest, mein Freund, lest, er enthält ohne Zweifel etwas Neues.«
Athos schüttelte den Kopf und las:
»Herr Graf,
»unterthäniger und gehorsamer Diener
»Parry.«
»Ihr seht, mein lieber d’Artagnan. »man darf an dem Herzen der Könige nicht verzweifeln.«
»Verzweifelt nicht daran, Ihr habt Recht,« erwiederte d’Artagnan.
»Oh! theurer, lieber Freund,« sagte Athos, dem die unmerkliche Bitterkeit von d’Artagnan nicht entgangen war, »verzeiht. Sollte ich, ohne es zu wollen, meinen besten Kameraden verletzt haben?«
»Ihr seid ein Narr, Athos, und zum Beweis werde ich Euch bis ins Schloß, das heißt, bis an die Thüre begleiten, das ist ein Spaziergang für mich,«
»Ihr geht mit mir hinein, mein Freund, ich will Seiner Majestät sagen . . . «
»Laßt das!« unterbrach ihn d’Artagnan mit einer Mischung von wahrem und falschem Stolz; »wenn es etwas Schlimmeres gibt, als selbst zu lügen, so ist es, durch Andere lügen zu lassen. Brechen wir auf, mein Freund, der Spaziergang wird herrlich sein; ich zeige Euch im Vorübergehen das Haus von Herrn Monk, der mich bei sich aufgenommen hat. Meiner Treue, ein schönes Haus! Wißt Ihr, in England General sein trägt mehr ein, als in Frankreich Marschall sein.«
Athos ließ sich ganz traurig über diese Heiterkeit, welche d’Artagnan heuchelte, wegführen.
Die ganze Stadt war in freudiger Aufregung; die zwei Freunde stießen sich jeden Augenblick an Enthusiasten, welche sie in ihrer Trunkenheit aufforderten: Es lebe König Karl! zu rufen. D’Artagnan antwortete durch ein Knurren und Athos durch ein Lächeln. Sie kamen so bis zu dem Hause von Monk, an welchem man wirklich vorüber mußte, um zum Palast von Saint-James zu gelangen.
Athos und d’Artagnan sprachen wenig unter Weges, gerade weil sie, wenn sie gesprochen hätten, sich zu viel zu sagen gehabt haben würden. Athos dachte, wenn er spräche, würde es den Anschein haben, als offenbarte er Freude, und diese Freude könnte d’Artagnan verletzen. Dieser befürchtete seinerseits, wenn er spräche, eine gewisse Bitterkeit durchblicken zu lassen, welche ihn für Athos lästig machen könnte. Es fand ein seltsamer Wetteifer des Stillschweigens zwischen der Zufriedenheit und der bösen Laune statt. D’Artagnan gab zuerst dem Jucken nach, das er gewöhnlich an seiner Zungenspitze fühlte.
»Athos,« sagte er, »Ihr erinnert Euch der Stelle in den Denkwürdigkeiten von d’Aubigné, wo der treue Diener, ein Gascogner wie ich, arm wie ich und, ich hatte beinahe gesagt, brav wie ich, von den Knausereien von Heinrich IV. erzählt? Mein Vater sagte mir immer, wie ich mich erinnere, Herr d’Aubigné sei ein Lügner; doch seht selbst, wie alle Prinzen, welche vom großen Heinrich abstammen, diesen nachahmten.«
»Ach! geht doch, d’Artagnan, die Könige von Frankreich geizig? Ihr seid ein Narr, mein Freund.«
»Oh! Ihr gesteht nie die Fehler Anderer zu, Ihr, der Ihr vollkommen seid. Doch in der That, Heinrich IV. war geizig. Ludwig XIII., sein Sohn, war es ebenfalls; nicht wahr, wir wissen etwas davon zu erzählen? Gaston trieb diesen Fehler bis zum Uebermaß und zog sich in dieser Hinsicht den Haß von Allem zu, was ihn umgab. Henriette, die arme Frau! hat wohl daran gethan, geizig zu sein, sie, die nicht jeden Tag aß, sie, die sich nicht jedes Jahr wärmte, und sie hat dadurch ein Beispiel ihrem Sohn Karl II., dem Enkel des großen Heinrich IV., gegeben, der geizig ist wie seine Mutter und wie sein Großvater. Sprecht, habe ich die Genealogie der Geizigen gut aufgesagt?«
»D’Artagnan, mein Freund,» rief Athos, »Ihr seid sehr hart gegen das Adlergeschlecht, das man die Bourbonen nennt.«
»Und ich vergaß das Schönste! . . . den andern Enkel des Bearners, Ludwig XIV., meinen Exherrn. Doch der ist hoffentlich geizig, da er seinem Bruder Karl nicht eine Million leihen wollte! Ah! ich sehe, Ihr ärgert Euch. Zum Glück sind wir bei meinem Haus, oder vielmehr bei dem von meinem Freunde Monk.«
»Lieber d’Artagnan, Ihr ärgert mich nicht, Ihr betrübt mich: es ist in der That grausam, einen Mann von Verdienst neben der Stellung zu sehen, die seine Verdienste ihm hätten verschaffen müssen; mir scheint, Euer Name, theurer Freund, ist so strahlend als die schönsten Namen des Kriegs und der Diplomatie. Sagt mir, ob die Luynes, ob die Bellegarde, ob die Bassompierre wie wir Glück und Ehre verdienten; Ihr habt Recht, hundertmal Recht, mein Freund.«
D’Artagnan seufzte und ging seinem Freund unter die Vorhalle des Hauses von Monk voran, der mitten in der City wohnte.
»Erlaubt,« sprach er, »ich lasse meine Börse zu Hause; denn wenn unter dem Gedränge die geschickten Spitzbuben von London, die man sogar in Paris so sehr rühmt, mir den Rest meiner armseligen Thaler stehlen würden, so könnte ich nicht mehr nach Frankreich zurückkehren. So zufrieden ich aber von Frankreich weggegangen bin, so freudetrunken kehre ich dahin zurück, insofern sich alle meine früheren Vorurtheile gegen Frankreich in Begleitung von vielen andern wieder in mir festgestellt haben.«
Athos antwortete nichts.
»Habt also einen Augenblick Geduld, und ich folge Euch,« sagte d’Artagnan; »ich weiß wohl, daß es Euch drängt, dorthin zu gehen, um Eure Belohnung in Empfang zu nehmen; doch glaubt mir, es drängt mich nicht minder, mich an Eurer Freude, wenn auch nur von ferne, zu weiden . . . Erwartet mich also.«
D’Artagnan schritt durch das Vorhaus, als ein Mensch, halb Diener, halb Soldat, der bei Monk die Functionen eines Portier und einer Wache versah, unsern Musketier anhielt und in englischer Sprache zu ihm sagte:
»Verzeiht, Mylord d’Artagnan.«
»Nun, was gibt es?« fragte dieser; »verabschiedet mich der General auch vollends? Es fehlte mir nur noch, daß ich von ihm ausgetrieben würde!«
Französisch gesprochen, brachten diese Worte nicht den geringsten Eindruck auf denjenigen hervor, an den sie gerichtet waren, denn dieser sprach nur ein mit dem rauhsten Schottisch vermischtes Englisch. Doch Athos wurde schmerzlich davon ergriffen, denn d’Artagnan fing an auszusehen, als ob er Recht hätte.
Der Engländer zeigte d’Artagnan einen Brief und sprach:
»From the general.«
»Gut, das ist es; mein Abschied,« sagte der Gascogner. »Soll ich es lesen, Athos?«
»Ihr täuscht Euch nothwendig, oder ich kenne keine ehrlichen Leute mehr außer Euch und mir,« erwiederte Athos.
D’Artagnan zuckte die Achseln und entsiegelte den Brief, während der Engländer ihm ganz unempfindlich, damit er durch das Licht beim Lesen unterstützt würde, eine Laterne vorhielt.
»Nun! was habt Ihr?« fragte Athos, als er die plötzliche Veränderung in den Gesichtszügen des Lesers wahrnahm.
»Nehmt und lest selbst,« sprach der Musketier.
Athos nahm das Papier und las:
Der Brief war von Monk.
XIX.
»Nun?« rief Athos mit einem sanften Vorwurf, als d’Artagnan den von Monk an ihn gerichteten Brief gelesen hatte.
»Nun!« erwiederte d’Artagnan roth vor Vergnügen und ein wenig vor Scham, »das ist eine Artigkeit, welche zu nichts verbindet . . . doch es ist am Ende eine Artigkeit.
»Ich muß gestehen, ich konnte nicht wohl glauben, der Prinz sei undankbar,« sprach Athos,
»Es ist wahr, seine Gegenwart steht seiner Vergangenheit sehr nahe,« sagte d’Artagnan, »doch bis jetzt hat Alles meine Meinung gerechtfertigt.
»Ich gebe es zu, theurer Freund, ich gebe es zu! Ah! Euer guter Blick ist wiedergekehrt. Ihr könnt nicht glauben, wie sehr mich das freut.«
»Seht,« sagte d’Artagnan, »Karl II. empfängt Herrn Monk um neun Uhr, mich wird er um zehn Uhr empfangen, das ist eine große Audienz, eine von denjenigen, welche wir im Louvre Austheilung von Hofweihwasser nennen. Stellen wir uns unter die Traufe, mein lieber Freund.«
Athos antwortete nichts, und Beide wandten sich, ihre Schritte beschleunigend, nach dem Palast von Saint-James, den die Menge immer noch belagerte, um an den Scheiben die Schatten der Höflinge und die Reflexe der königlichen Person zu sehen.
Es schlug acht Uhr, als die zwei Freunde in der von Höflingen und Bittstellern gefüllten Gallerte Platz nahmen. Jeder blickte nach diesen einfachen Kleidern von seltsamer Form, nach diesen so edlen und charaktervollen Köpfen. Athos und d’Artagnan fingen, nachdem sie mit zwei Blicken diese ganze Versammlung überschaut hatten, wieder an mit einander zu plaudern.
Plötzlich entstand ein gewaltiger Lärmen am Ende der Gallerie: es war der General Monk, der gefolgt von zwanzig Officieren eintrat, welche auf jedes Lächeln von ihm lauerten, denn noch am Tage vorher war er Herr von England und man vermuthete einen schönen andern Tag für den Wiederhersteller der Familie der Stuarts.
»Meine Herren,« sprach Monk, sich umwendend, »ich bitte, erinnert Euch, daß ich fortan nichts mehr bin. Vor Kurzem noch befehligte ich die Hauptarmee der Republik; nun gehört diese Armee dem König, in dessen Hände ich, seinem Gebot gemäß, die Macht, die ich gestern besaß, niederlegen werde.«
Ein großes Erstaunen drückte sich in allen Gesichtern aus, und der Kreis der Schmeichler und Bittenden, der Monk einen Augenblick vorher umschloß, erweiterte sich allmälig und verlor sich am Ende in den großen Wogungen der Menge. Monk wartete im Vorzimmer wie alle Welt. D’Artagnan konnte sich nicht enthalten, hierüber eine Bemerkung gegen den Grafen de la Fère zu machen, der die Stirne faltete. Plötzlich öffnete sich die Thüre des Cabinets von Karl, und es erschien der junge König, dem zwei Officianten seines Hauses vorangingen.
»Guten Abend, meine Herren,« sprach er. »Ist der General Monk hier?«
»Hier bin ich, Sire,« erwiederte der alte General.
Karl eilte auf ihn zu, drückte ihm mit glühender Freundschaft die Hände und sagte laut:
»General, ich habe so eben Euer Patent unterzeichnet: Ihr seid Herzog von Albermale, und es ist meine Absicht, daß keiner Euch an Macht und Vermögen in diesem Königreich gleichkomme, wo Euch, den edlen Montrose ausgenommen, keiner an Rechtschaffenheit, Muth und Talent gleichgekommen ist. Meine Herren, der Herzog ist Obercommandant unserer Heere zu Wasser und zu Land; wollt ihm in dieser Eigenschaft die ihm schuldige Achtung erweisen.«
Während sich Jeder um den General drängte, der alle diese Huldigungen hinnahm, ohne einen Augenblick seine gewöhnliche Unempfindlichkeit zu verlieren, sagte d’Artagnan zu Athos:
»Wenn man bedenkt, daß dieses Herzogthum, dieses Commando der Heere zu Wasser und zu Land, mit einem Wort, alle diese Größen in einer Kiste von sechs Fuß Länge und drei Schuh Breite eingesperrt waren!«
»Freund,« erwiederte Athos, »viel mächtigere Größen müssen sich mit kleineren Kisten begnügen; sie verschließen für immer . . . «
Plötzlich erblickte Monk die zwei Edelleute, die sich beiseit hielten und warteten, bis sich die Woge verlaufen hätte. Er bahnte sich einen Weg und ging auf sie zu, so daß er sie mitten in ihren philosophischen Betrachtungen überraschte.
»Ihr spracht von mir?« sagte er mit einem Lächeln.
»Mylord,« antwortete Athos, »wir sprachen auch von Gott.«
Monk dachte einen Augenblick nach und sagte dann heiter:
»Sprechen wir auch ein wenig vom König, wenn es Euch beliebt, denn Ihr habt, glaube ich, Audienz beim König.«
»Um neun Uhr,« sagte Athos,
»Um zehn Uhr,« sagte d’Artagnan.
»Treten wir sogleich in das Cabinet ein,« sprach Monk und bedeutete seinen beiden Gefährten, sie möchten vorangehen, was weder der Eine, noch der Andere thun wollte.
Der König war während dieses ganz französischen Streites in die Mitte der Gallerie zurückgekehrt.
»Oh! meine Franzosen,« sagte er mit jenem Tone sorgloser Heiterkeit, den er trotz so großen Kummers, trotz so vieler Unglücksfälle nicht verloren hatte. »Die Franzosen, mein Trost!«
D’Artagnan und Athos verbeugten sich.
»Herzog, führt diese Herren in mein Studirzimmer. Ich gehöre Euch, meine Herren,« fügte er in französischer Sprache bei. Und er fertigte rasch seinen Hof ab, um zu seinen Franzosen, wie er sie nannte, zurückzukehren.
»Herr d’Artagnan,« sprach er, als er in sein Cabinet eintrat, »es freut mich, Euch wiederzusehen.«
»Sire, ich fühle mich im höchsten Grade glücklich. Eure Majestät im Palast von Saint-James begrüßen zu dürfen.«
»Mein Herr, Ihr wolltet mir einen sehr großen Dienst leisten, und ich bin Euch Dank dafür schuldig. Befürchtete ich nicht, in die Rechte meines Obercommandanten einzugreifen, so böte ich Euch irgend einen Eurer würdigen Posten bei unserer Person an.«
»Sire,« entgegnete d’Artagnan, »als ich den Dienst des Königs von Frankreich verließ, versprach ich meinem Fürsten, keinem andern König zu dienen.«
»Ah! das macht mich sehr unglücklich,« sagte Karl, »ich hätte gern viel für Euch gethan, denn Ihr gefallt mir . . . «
»Sire . . . «
»Laßt sehen,« fuhr Karl mit einem Lächeln fort, »kann ich es nicht dahin bringen, daß Ihr Euer Wort brecht? Herzog, helft mir. Wenn man Euch, oder wenn ich Euch vielmehr den Oberbefehl über meine Musketiere anböte?«
D’Artagnan verbeugte sich tiefer als das erste Mal und erwiederte:
»Zu meinem großen Bedauern müßte ich das huldreiche Anerbieten Eurer Majestät ausschlagen; ein Edelmann hat nur sein Wort, und dieses Wort ist, wie ich Eurer Majestät zu sagen die Ehre gehabt, dem König von Frankreich verpfändet.«
»Sprechen wir nicht mehr davon,« sagte der König, sich gegen Athos umwendend.
Und er verließ d’Artagnan, der in die heftigsten Schmerzen der Enttäuschung versank.
»Ah! ich sagte es doch,« murmelte der Musketier; »Worte! Hofweihwasser! Die Könige haben stets ein wunderbares Talent, uns das, wovon sie wissen, daß wir es nicht annehmen werden, anzubieten, und sich ohne Gefahr freigebig zu zeigen. Ich Dummkopf! . . . ich dreifacher Dummkopf, der ich war, daß ich einen Augenblick hoffte.«
Während dieser Zeit nahm Karl Athos bei, der Hand und sprach zu ihm:
»Graf, Ihr seid für mich ein zweiter Vater gewesen; der Dienst, den Ihr mir geleistet habt, läßt sich nicht bezahlen. Dennoch gedenke ich Euch zu belohnen. Ihr seid von meinem Vater zum Ritter vom Hosenbandorden ernannt worden; das ist ein Orden, den alle Könige Europas zu tragen sich zur Ehre rechnen müssen; durch die Königin Regentin zum Ritter vom heiligen Geist, was ein nicht minder erhabener Orden ist; ich füge den vom goldenen Vließ bei, den mir, der König von Frankreich geschickt, welchem der König von Spanien, sein Schwiegervater, bei Gelegenheit seiner Vermählung zwei gegeben hatte; dagegen habe ich jedoch einen Dienst von Euch zu verlangen.«
»Sire,« sprach Athos ganz verwirrt, »mir das goldene Vließ, während der König von Frankreich der Einzige meines Landes ist, der sich dieser Auszeichnung erfreut.«
»Ihr sollt in Eurem Land und überall allen denen gleichstehen, welche die souveränen Fürsten mit ihrer Gunst beehrt haben,« sprach Karl, indem er die Kette von seinem Halse nahm, »und ich bin überzeugt, Graf, daß mir mein Vater aus der Tiefe seines Grabes zulächelt.«
»Es ist doch seltsam,« sprach d’Artagnan, während sein Freund auf den Knieen den hochgefeierten Orden empfing, den ihm der König übertrug, »es ist unglaublich, daß ich stets den Regen des Glückes auf diejenigen, welche mich umgeben, habe fallen sehen, während nicht ein Tropfen je mich getroffen hat! Bei meinem Ehrenwort, man könnte sich die Haare ausraufen, wenn man neidisch wäre.«
Athos stand auf. Karl umarmte ihn zärtlich.
»General,« sagte er zu Monk; dann sich mit einem Lächeln unterbrechend, »verzeiht, ich wollte Herzog sagen . . . Seht, wenn ich mich irre, so geschieht es, weil das Wort Herzog noch zu kurz für mich ist . . . Ich suche immer einen längeren Titel . . . Ich möchte Euch gern so nahe an meinem Thron sehen, daß ich wie zu Ludwig XV,: Mein Bruder! sagen könnte. Oh! ich habe es, und Ihr werdet beinahe mein Bruder sein, denn ich mache Euch zum Vicekönig von Irland und Schottland, mein lieber Herzog . . . Auf diese Art werde ich fortan keinen Irrthum mehr begehen.«
Der Herzog ergriff die Hand des Königs, aber ohne Begeisterung, ohne Freude, wie er Alles that. Sein Herz war indessen von dieser letzten Gunst erschüttert worden. Geschickt mit seiner Freigebigkeit zu Rathe gehend, hatte Karl dem Herzog Zeit gelassen zu wünschen . . . obgleich er nicht so viel hätte wünschen können, als man ihm gab.
»Mordioux!« brummelte d’Artagnan, »der Platzregen beginnt. Oh! man könnte den Verstand darüber verlieren!«
Und er wandte sich mit einer so verdrießlichen, so komisch kläglichen Miene ab, daß sich der König eines Lächelns nicht erwehren konnte. Monk schickte sich an, das Cabinet zu verlassen und von Karl Abschied zu nehmen.
»Wie, mein Getreuer,« sagte der König zum Herzog, »Ihr geht?«
»Wenn es Eure Majestät erlaubt, denn ich bin in der That sehr müde . . . Die Aufregung des Tages hat mich entkräftet, und ich bedarf der Ruhe.«
»Doch ich hoffe, Ihr geht nicht ohne Herrn d’Artagnan?«
»Warum, Sire?« fragte der alte Krieger.
»Ihr wißt wohl, warum,« sprach der König.
Monk schaute Karl erstaunt an und erwiederte:
»Ich bitte Eure Majestät um Verzeihung, ich weiß nicht, was sie sagen will.«
»Oh! das ist möglich; doch wenn Ihr vergeßt, vergißt Herr d’Artagnan nicht.«
Nun prägte sich das Erstaunen in dem Gesicht des Musketiers aus.
»Sprecht, Herzog,« sagte der König, »wohnt Ihr nicht mit Herrn d’Artagnan zusammen?«
»Ich habe die Ehre gehabt, Herrn d’Artagnan eine Wohnung anzubieten, ja, Sire.«
»Dieser Gedanke ist Euch von Euch selbst, und Euch allein gekommen?«
»Von mir selbst und mir allein, ja, Sire.«
»Nun, es konnte nicht anders sein, der Gefangene ist immer in der Wohnung seines Siegers.«
Erröthend sprach Monk:
»Ah! es ist wahr, ich bin der Gefangene von Herrn d’Artagnan.«
»Allerdings, Monk, da Ihr noch nicht losgekauft seid; doch macht Euch keine Sorge, ich, der ich Euch Herrn d’Artagnan entrissen habe, ich werde Euer Lösegeld bezahlen.«
Die Augen von d’Artagnan gewannen wieder ihre Heiterkeit und ihren Glanz; der Gascogner fing an zu begreifen. Karl ging auf ihn zu und sprach:
»Der General ist nicht reich und könnte Euch nicht bezahlen, was er werth ist. Ich bin sicherlich reicher; doch nun, da er Herzog und, wenn nicht König, wenigstens beinahe König ist, beträgt sein Werth eine Summe die ich Euch vielleicht auch nicht bezahlen könnte. Laßt hören, Herr d’Artagnan, schont mich: wie viel bin ich Euch schuldig?«
Entzückt über die Wendung, welche die Sache nahm, doch vollkommen sich selbst beherrschend, antwortete d’Artagnan:
»Sire, Eure Majestät hat Unrecht, sich zu beunruhigen. Als ich das Glück hatte, Seine Herrlichkeit gefangen zu nehmen, war Herr Monk nur General; man ist mir folglich nur das Lösegeld für einen General schuldig. Doch der General wolle die Güte haben, mir seinen Degen zurückzugeben, und ich halte mich für bezahlt, denn es gibt in der Welt nur den Degen des Generals, der so viel werth ist, als er.«
»Odds fish!« wie mein Vater sagte,« rief Karl II., »das ist ein artiger Vorschlag und ein artiger Mann, nicht wahr, Herzog?«
»Bei meiner Ehre, ja, Sire,« antwortete der Herzog.
Und er zog seinen Degen.
»Mein Herr,« sagte er zu d’Artagnan, »hier ist das, was Ihr verlangt. Viele haben bessere Klingen in der Hand gehalten, doch so bescheiden auch die meinige sein mag, sie ist nie von mir einem Menschen übergeben worden.«
D’Artagnan nahm mit Stolz diesen Degen, der einen König gemacht hatte.
»Hoho!« rief Karl II.; »wie! ein Degen, der mir meinen Thron zurückgegeben, sollte aus diesem Königreich kommen und nicht eines, Tags seine Stelle unter meinen Kronjuwelen haben? Nein, bei meiner Seele, das wird nicht geschehen! Kapitän d’Artagnan, ich gebe Euch zweimal hundert tausend Livres für diesen Degen; ist das zu wenig, so sagt es mir.«
»Es ist zu wenig, Sire,« erwiederte d’Artagnan mit einem unnachahmlichen Ernst. »Vor Allem will ich ihn durchaus nicht verkaufen, doch wenn es Eure Majestät wünscht, so ist es Befehl. Ich gehorche also; aber die Ehrfurcht, die ich dem erhabenen Krieger schuldig bin, der mich hört, heischt es, daß ich das Pfand meines Sieges um ein Drittel höher schätze. Ich verlange also dreimal hundert tausend Livres für den Degen, oder ich gebe ihn Eurer Majestät umsonst.«
Und er nahm ihn bei der Spitze und reichte ihn dem König.
Karl brach in ein schallendes Gelächter aus.
»Ein artiger Mann und ein lustiger Geselle! Odds fish! nicht wahr, Herzog? nicht wahr, Graf? Er gefällt mir, und ich liebe ihn. Hört, Chevalier d’Artagnan, nehmt dieses.«
Und er ging an einen Tisch, ergriff eine Feder und schrieb eine Anweisung von dreimal hunderttausend Livres auf seinen Schatzmeister.
D’Artagnan nahm sie, wandte sich ernst gegen Monk um und sprach:
»Ich weiß, ich habe noch zu wenig verlangt; doch glaubt mir, Herr Herzog, ich wäre eher gestorben, als daß ich mich hätte durch den Geiz verleiten lassen.«
Der König lachte wieder wie der glücklichste Cokney seines Reiches.
»Ihr kommt noch einmal zu mir, ehe Ihr geht, Chevalier,« sagte er; »ich brauche noch einen Vorrath von Heiterkeit, nun, da mich meine Franzosen verlassen.«
»Ah! Sire, bei der Heiterkeit wird es nicht sein wie bei dem Degen des Herzogs; ich gebe sie Eurer Majestät gratis,« erwiederte d’Artagnan, dessen Füße die Erde nicht mehr berührten.
»Und Ihr, Graf,« fügte Karl, sich an Athos wendend, bei, »kommt auch noch einmal, ich habe Euch einen wichtigen Auftrag anzuvertrauen. Eure Hand, Herzog.«
Monk reichte dem König die Hand.
»Gott befohlen, meine Herren,« sprach Karl, indem er den zwei Franzosen jedem eine Hand bot, die sie an ihre Lippen drückten.
»Nun!« fragte Athos, als sie außen waren, »seid Ihr zufrieden?«
»Stille!« erwiederte d’Artagnan ganz bewegt vor Freude; »ich bin noch nicht vom Schatzmeister zurück, die Traufe kann mir auf den Kopf fallen.«
XX.
D’Artagnan verlor keine Zeit, und sobald es anständig und geeignet war, machte er dem Herrn Schatzmeister Seiner Majestät seinen Besuch.
Es wurde ihm die Freude zu Theil, ein Stück Papier, bedeckt mit einer sehr häßlichen Handschrift, gegen eine wunderbare Anzahl kürzlich erst mit dem BIldniß Seiner allergnädigsten Majestät König Karl II. geschlagener Thaler zu vertauschen.
D’Artagnan wußte sich leicht zu beherrschen; doch bei dieser Gelegenheit konnte er sich nicht enthalten, eine Freude zu offenbaren, die der Leser wohl begreifen wird, weniger einige Nachsicht mit einem Mann haben will, der seit seiner Geburt nie so viele Geldstücke und Rollen, in einer für das Auge wahrhaft angenehmen Ordnung neben einander gelegt, gesehen hatte.
Der Schatzmeister schob alle diese Rollen in Säcke und schloß jeden Sack mit einem Stempel mit dem Wappen von England, eine Gunst, welche die Schatzmeister nicht Jedermann bewilligen.
Unempfindlich und gerade so artig, als er es gegen einen mit der Freundschaft des Königs beehrten Mann sein mußte, sagte er sodann zu d’Artagnan:
»Nehmt Euer Geld fort, mein Herr.«
Euer Geld! Dieses Wort machte tausend Saiten vibriren, welche d’Artagnan zuvor nie in seinem Herzen gefühlt hatte.
Er ließ die Säcke auf einen Karren laden und kam tief nachsinnend nach Hause zurück. Ein Mann, der dreimal hunderttausend Livres besitzt, kann keine glatte Stirne mehr haben: eine Runzel für jedes Hunderttausend ist nicht zu viel.
D’Artagnan schloß sich ein, aß nicht zu Mittag, verwehrte Männiglich seine Thüre, wachte, die Lampe angezündet, die Pistole gespannt auf dem Tisch, die ganze Nacht und träumte über ein Mittel, es zu verhindern, daß diese schönen Thaler, welche aus der königlichen Kasse in die seinige übergegangen waren, nicht wieder aus seiner Kasse in die Taschen irgend eines Diebes übergingen. Das beste Mittel, das der Gascogner fand, war, seinen Schatz für den Augenblick unter Schlösser zu legen, welche solid genug wären, daß keine Faust sie zu erbrechen vermöchte, künstlich genug, daß kein gewöhnlicher Schlüssel sie öffnen könnte.
D’Artagnan erinnerte sich, daß die Engländer Meister in der Mechanik und im conservativen Gewerbsfleiß sind; er beschloß, schon am andern Tag einen Mechaniker aufzusuchen, der eine Kasse an ihn verkaufen würde.
Er hatte nicht weit zu gehen. Meister Will Jobson, der auf Picadilly wohnte, hörte seine Vorschläge an, begriff seine Wünsche und versprach ihm, ein Sicherheitsschloß zu verfertigen, das ihn jeder Angst für die Zukunft überheben würde.
»Ich gebe Euch einen ganz neuen Mechanismus,« sagte er. »Bei dem ersten etwas ernstlichen Versuch, den Einer auf Euer Schloß unternimmt, öffnet sich ein unsichtbares Plättchen, ein kleiner ebenfalls unsichtbarer Lauf speit eine hübsche kupferne Kugel im Gewicht einer Mark aus und wirst den Ungeschickten nicht ohne ein gewisses bemerkbares Geräusch nieder. Was haltet Ihr davon?«
»Ich sage, das ist wahrhaft sinnreich.« rief d’Artagnan, »die kleine kupferne Kugel gefällt mir ungemein. Doch die Bedingungen, Herr Mechaniker?«
»Vierzehn Tage für die Ausführung und vierzehntausend Livres zahlbar bei der Ablieferung,« rief der Handwerksmann.
D’Artagnan faltete die Stirne. Vierzehn Tage waren eine hinreichende Frist, daß die Spitzbuben in London die Nothwendigkeit einer Kasse bei ihm verschwinden machen konnten. Was die vierzehntausend Livres betrifft, so hieß dies sehr schwer das bezahlen, was ein wenig Wachsamkeit ihm umsonst verschaffen konnte.
»Ich danke, mein Herr, ich werde es mir überlegen,« sagte er.
Und er kehrte in raschem Lauf nach Hause zurück. Niemand hatte sich seinem Schatz genähert.
An demselben Tag machte Athos seinem Freund einen Besuch und fand ihn so sorgenvoll, daß er ihm sein Erstaunen darüber äußerte.
»Wie, Ihr seid nun reich,« sagte er, »und nicht heiter, Ihr, der Ihr Euch so sehr nach dem Reichthum sehntet?«
»Mein Freund, die Freuden, an die man nicht gewöhnt ist, belästigen mehr als der Kummer, der zur Gewohnheit geworden war. Gebt mir einen Rath, wenn es Euch beliebt. Ich kann Euch hierüber fragen. Euch, der Ihr stets Geld gehabt habt: sagt, wenn man Geld hat, was macht man damit?«
»Das hängt von den Umständen ab.«
»Was habt Ihr mit dem Eurigen gemacht, daß Ihr dadurch weder zu einem Geizhals, noch zu einem Verschwender wurdet? Denn der Geiz vertrocknet das Herz und die Verschwendung ersäuft es, nicht wahr?«
»Fabricius könnte nicht richtiger sprechen. Doch in der That, mein Geld hat mich nie belästigt.«
»Sagt, legt Ihr es auf Zinsen an?«
»Nein; Ihr wißt, daß ich ein ziemlich hübsches Haus habe, und daß dieses Haus den besten Theil meiner Habe bildet?«
»Ich weiß es.«
»Ihr werdet auf diese Art ebenso reich als ich und sogar noch reicher als ich, wenn Ihr wollt, durch das selbe Mittel sein.«
»Aber die Renten, kassirt Ihr sie ein?«
»Nein.«
»Was denkt Ihr von einem Versteck in einer Mauer?«
»Ich habe nie Gebrauch davon gemacht.«
»Dann habt Ihr einen Vertrauten, einen sichern Geschäftsführer, der Euch die Interessen zu einem mäßigen Preise bezahlt?«
»Keineswegs.«
»Mein Gott! was macht Ihr dann?«
»Ich gebe Alles aus, was ich habe, und ich hake nur, was ich ausgebe, mein lieber d’Artagnan.«
»Ah! das ist Eure Art! Doch Ihr seid ein wenig Fürst, Ihr, und fünfzehn bis sechzehntausend Livres Einkünfte zerschmelzen Euch zwischen den Fingern; und dann habt Ihr viele Ausgaben für die Repräsentation.«
»Ich sehe nicht ein, daß Ihr viel weniger vornehmer Herr seid, als ich, mein Freund, und Euer Geld wird Euch gerade ausreichen.«
»Dreimal hundert tausend Livres! Dabei sind zwei Drittel Ueberfluß.«
»Verzeiht, doch mir schien, als hättet Ihr mir gesagt . . . ich glaubte zu hören . . . ich bildete mir ein, Ihr hättet einen Associe.«
»Ah! Mordioux, das ist wahr!« rief d’Artagnan erröthend, »Planchet. Bei meinem Leben, ich vergaß Planchet! . . . Ah! nun sind meine hunderttausend Thaler angegriffen . . . Das ist Schade, die Summe war rund, wohlklingend . . . Es ist wahr, Athos, ich bin durchaus nicht reich. Welches Gedächtnis? habt Ihr!«
»Ja, es ist ziemlich gut, Gott sei Dank!«
»Dieser brave Planchet,« murmelte d’Artagnan, »er hatte da keinen schlechten Traum. Teufel, welche Speculation! Nun, was einmal gesagt ist, ist gesagt.«
»Wie viel gebt Ihr ihm?«
»Oh!« machte d’Artagnan, »er ist kein schlimmer Bursche, ich werde immerhin gut mit ihm in Ordnung kommen; seht, ich habe Unglück, ich habe Kosten gehabt, dies Alles muß in Anrechnung gebracht werden.«
»Mein Lieber, ich bin Eurer sehr sicher,« sprach Athos ruhig, »und ich habe nicht bange für diesen guten Planchet; seine Interessen sind besser in Euren Händen als in den seinigen; doch nun, da Ihr nichts mehr hier zu thun habt, laßt uns abreisen, wenn es Euch beliebt. Ihr bedankt Euch bei Seiner Majestät, fragt, ob sie Euch keinen Befehl zu ertheilen habe, und in sechs Tagen können wir die Thürme von Notre-Dame erschauen.«
»Mein Freund, ich brenne in der That vor Verlangen, abzureisen, und werde auf der Stelle in Ehrfurcht vom König Abschied nehmen.«
»Und ich will noch einige Personen in der Stadt begrüßen und dann gehöre ich Euch,« sprach Athos.
»Wollt Ihr mir Grimaud leihen?«
»Von Herzen gern . . . Was gedenkt Ihr mit ihm zu machen?«
»Etwas sehr Einfaches, was ihn nicht ermüden wird. Ich werde ihn bitten, meine Pistolen zu bewachen, welche hier auf dem Tisch neben diesen Kisten liegen.«
»Sehr gut,« sagte Athos unstörbar.
»Und nicht wahr, er wird sich nicht entfernen?«
»Ebenso wenig als die Pistolen selbst.«
»Dann gehe ich zu Seiner Majestät. Auf Wiedersehen.«
D’Artagnan kam wirklich in den Palast von Saint-James, wo Karl II., der gerade mit dem Schreiben seiner Briefe beschäftigt war, ihn eine gute Stunde im Vorzimmer warten ließ.
Während d’Artagnan in der Gallerie auf und ab, von den Thüren zu den Fenstern und von den Fenstern zu den Thüren ging, glaubte er einen Mantel dem von Athos ähnlich, durch das Vestibule schreiten zu sehen; doch in dem Augenblick, wo er diesen Umstand bewahrheiten wollte, rief ihn der Huissier zu Seiner Majestät.
Karl II. rieb sich die Hände, während er den Dank unseres Freundes entgegennahm.
»Chevalier,« sagte er, »Ihr habt Unrecht, mir dankbar zu sein; ich habe Euch nicht den vierten Theil von dem bezahlt, was die Geschichte von der Kiste, in die Ihr den braven General . . . ich meine den vortrefflichen Herzog von Albermale, eingesperrt, werth ist.« Und der König brach in ein schallendes Gelächter aus.
D’Artagnan glaubte Seine Majestät nicht unterbrechen zu dürfen und lächelte mit einer stolzen Bescheidenheit.
»Ah!« fuhr Karl II. fort, »hat Euch unser lieber Monk wirklich verziehen?«
»Verziehen! ich hoffe ja, Sire.«
»Ei! . . . der Streich war grausam . . . Den ersten Mann der englischen Revolution wie einen Häring in eine Tonne packen! . . . An Eurer Stelle würde ich nicht trauen, Chevalier.«
»Aber, Sire . . . «
»Ich weiß, daß Monk Euch seinen Freund nennt . . . Doch er hat ein zu tiefes Auge, um nicht Gedächtniß zu besitzen, eine zu hohe Augenbraue, um nicht sehr hoffärtig zu sein, Ihr wißt grande supercilium.«
»Ich werde sicherlich Lateinisch lernen,« sagte d’Artagnan zu sich selbst.
»Hört,« rief der König entzückt, »ich muß Eure Aussöhnung bewerkstelligen; ich werde mich dabei so benehmen . . . «
D’Artagnan biß sich auf die Lippen.
»Erlaubt mir Eure Majestät, ihr die Wahrheit zu sagen?«
»Sprecht, Chevalier.«
»Sire, Ihr macht mir furchtbar bange . . . wenn Eure Majestät meine Angelegenheit ordnet, wie sie hierzu Lust zu haben scheint, so bin ich ein verlorener Mann; der Herzog läßt mich ermorden.«
Der König schlug abermals ein Gelächter auf, das die Angst von d’Artagnan in Schrecken verwandelte.
»Sire, ich bitte, habt die Gnade, diese Unterhandlung mir zu überlassen . . . und wenn Ihr dann meiner Dienste nicht mehr bedürft . . . «
»Nein, Chevalier. Ihr wollt abreisen?« versetzte Karl II. mit einer immer mehr beunruhigenden Heiterkeit.
»Wenn Eure Majestät nichts mehr von mir zu verlangen hat.«
Karl wurde allmälig wieder ernst.
»Nur Eines. Besucht meine Schwester, Lady Henriette; kennt sie Euch?«
»Nein, Sire; doch . . . ein alter Soldat wie ich ist kein angenehmes Schauspiel für eine junge und heitere Prinzessin.«
»Es ist mein Wille, sage ich, daß meine Schwester Euch kennen lerne; sie soll im Nothfall auf Euch zählen können.«
»Sire, Alles, was Eurer Majestät theuer ist, wird für mich heilig sein.«
»Wohl . . . Parry! komm, mein guter Parry.«
Die Seitenthüre öffnete sich; Parry trat ein und sein Gesicht strahlte, sobald er den Chevalier erblickte.
»Was macht Rochester?« fragte der König.
»Er ist mit den Damen auf dem Kanal,« erwiederte Parry.
»Und Buckingham.«
»Auch.«
»Ganz vortrefflich! Du führst den Chevalier zu Villiers, – dies ist der Herzog von Buckingham, Chevalier, – und Du bittest den Herzog, Herrn d’Artagnan Lady Henriette vorzustellen.«
Parry verbeugte sich und lächelte d’Artagnan zu.
»Chevalier,« fuhr der König fort, »das ist Eure Abschiedsaudienz, und Ihr könnt sodann abreisen, wenn Ihr wollt.«
»Sire, ich danke.«
»Doch schließt Euren Frieden mit Monk.«
»Oh! Sire . . . «
»Ihr wißt, daß einer meiner Vasallen zu Eurer Verfügung steht.«
»Aber, Sire, Ihr überhäuft mich mit Güte, und ich werde es nie dulden, daß Officiere Eurer Majestät sich meinetwegen bemühen.«
Der König klopfte d’Artagnan auf die Schulter und erwiederte:
»Niemand bemüht sich Euretwegen, Chevalier, sondern eines Botschafters wegen, den ich nach Frankreich schicke, und dem Ihr, glaube ich, gern als Gefährte dienen werdet, denn Ihr kennt ihn.«
D’Artagnan schaute ganz erstaunt.
»Es ist ein gewisser Graf de la Fère . . . der, welchen Ihr Athos nennt,« fügte der König bei, indem er das Gespräch endigte, wie er es begonnen hatte, nämlich durch ein freudiges Gelächter. »Lebt wohl, Chevalier, lebt wohl. Liebt mich, wie ich Euch liebe.«
Hiernach machte der König Parry ein Zeichen, um ihn zu fragen, ob Jemand in dem anstoßenden Cabinet warte, und verschwand in diesem Cabinet, während der Chevalier ganz verblüfft über die seltsame Audienz an seinem Platze stehen blieb.
Der Greis nahm ihn freundschaftlich beim Arm und führte ihn nach den Gärten.
XXI.
Auf dem Kanal mit dem undurchsichtig grünen Gewässer, mit der marmornen Einfassung, worauf die Zeit schwarze Flecken und Moosplatten ausgebreitet hatte, schwamm majestätisch eine lange, flache Barke unter der englischen Flagge, überragt von einem Prachthimmel und ausgeschmückt mit langen damascirten Stoffen, die ihre Fransen im Wasser schleppten. Acht Schiffer, welche sachte auf die Ruder drückten, machten die Barke sich auf dem Kanal mit der anmuthigen Langsamkeit der Schwäne fortbewegen, die, gestört in ihrem alten Besitzthum durch den Sog des Fahrzeugs, von fern diese Herrlichkeit und dieses Geräusch vorüberziehen sahen. Wir sagen Geräusch, denn auf der Barke befanden sich vier Zither- und Lautenspieler, zwei Sänger und mehrere ganz von Gold und Edelsteinen schimmernde Höflinge, welche nach Herzenslust ihre weißen Zähne zeigten, um Lady Stuart zu gefallen, der Enkelin von Heinrich IV., der Tochter von Karl I., der Schwester von Karl II., welche den Ehrenplatz unter dem Prachthimmel dieser Barke einnahm.
Wir kennen diese junge Prinzessin, wir haben sie im Louvre mit ihrer Mutter gesehen, wo es ihr an Holz, an Brod gebrach, wo sie vom Coadjutor und den Parlamenten ernährt wurde. Sie hatte, wie ihre Brüder, eine harte Jugend durchgemacht; dann war sie plötzlich aus diesem langen und grausamen Traum auf den Stufen eines Thrones sitzend, umgeben von Höflingen und Schmeichlern erwacht. Wie Maria Stuart, als sie aus dem Gefängnis trat, athmete sie daher das Leben und die Freiheit, und mehr noch die Macht und den Reichthum ein.
Lady Henriette war heranwachsend eine merkwürdige Schönheit geworden, welche die Restauration, die so eben stattgefunden, berühmt machte. Das Unglück hatte ihr den Schimmer des Stolzes benommen, doch das Glück gab ihr denselben wieder. Sie glänzte in ihrer Freude und in ihrer Wohlfahrt wie jene Treibhauspflanzen, welche, in einer Nacht beim ersten Froste des Herbstes vergessen, ihren Kopf geneigt haben, aber am andern Tage, in der Atmosphäre, in der sie geboren worden, wieder erwärmt, sich glänzender als je erheben.
Lord Villiers von Buckingham, Sohn von demjenigen, welcher eine so bedeutende Rolle in den ersten Kapiteln dieser Geschichte spielt, Lord Villiers von Buckingham, ein schöner Cavalier, schwermüthig bei den Frauen, lustig bei den Männern, und Vilmot von Rochester, lustig bei beiden Geschlechtern, standen in diesem Augenblick vor Lady Henriette und machten sich das Recht, sie zum Lächeln zu bringen, streitig.
Die junge schöne Prinzessin, die sich an ein mit Gold gesticktes Kissen von Sammet anlehnte und die Hände träge in das Wasser hängen ließ, horchte gleichgültig auf die Musiker, ohne sie zu hören, und hörte auf die Höflinge, ohne daß sie das Aussehen hatte, als horchte sie auf sie.
Lady Henriette, dieses Wesen voll Anmuth, dieses weibliche Geschöpf, das die Reize Frankreichs mit denen von England verband, war, da sie noch nicht geliebt hatte, grausam in ihrer Coquetterie. Das Lächeln, diese naive Gunstbezeugung der jungen Mädchen, erleuchtete auch nicht einmal ihr Antlitz, und wenn sie zuweilen die Augen aufschlug, so geschah es, um sie mit solcher Starrheit auf den einen oder den andern Cavalier zu heften, daß ihre Galanterie, so dreist sie auch sonst war, darüber in Unruhe gerieth und schüchtern wurde.
Das Schiss ging immer weiter, die Musiker strengten alle ihre Kräfte an und die Höflinge kamen allmälig außer Athem. Die Fahrt kam ohne Zweifel der Prinzessin eintönig vor, denn plötzlich schüttelte sie den Kopf mit einer Miene der Ungeduld und sagte:
»Es ist genug, meine Herren, kehren wir zurück.«
»Ah! Madame,« erwiederte Buckingham, »wir sind sehr unglücklich, es ist uns nicht gelungen, Eure Hoheit die Spazierfahrt angenehm finden zu lassen.«
»Meine Mutter erwartet mich,« sprach Lady Henriette, »auch muß ich es Euch offenherzig gestehen, meine Herren, ich langweile mich.«
Und während sie dieses grausame Wort sagte, suchte die Prinzessin jeden von den zwei jungen Leuten, welche über eine solche Offenherzigkeit bestürzt zu sein schienen, durch einen Blick zu trösten. Der Blick brachte seine Wirkung hervor. Die zwei Gesichter klärten sich auf; doch sogleich, als hätte die königliche Coquette gedacht, sie habe zu viel für zwei Sterbliche gethan, machte sie eine Bewegung, wandte ihren zwei Anbetern den Rücken zu und schien.sich in eine Träumerei zu versenken, an der sie offenbar keinen Theil hatten.
Buckingham biß sich voll Zorn auf die Lippen, denn er war wirklich in Lady Henriette verliebt, und in dieser Eigenschaft nahm er Alles im Ernst. Rochester biß sich auch darauf, doch da sein Geist immer sein Herz beherrschte, so geschah dies einzig und allein, um ein boshaftes Gelächter zurückzudrängen.
Die Prinzessin ließ an dem steilen User mit dem zarten, blühenden Rasen ihre Augen hinschweifen, die sie von den beiden jungen Leuten abwandte. Sie erblickte in der Ferne Parry und d’Artagnan.
»Wer kommt dort?« fragte sie.
Die zwei jungen Leute wandten sich mit der Geschwindigkeit des Blitzes um.
»Parry,« antwortete Buckingham, »nur Parry.«
»Verzeiht,« sagte Rochester, »ich sehe, wie mir scheint, einen Begleiter bei ihm.«
»Ja, einmal,« sprach die Prinzessin, »und dann, sagt, Mylord, was bedeuten die Worte: »»Nur Parry?««
»Madame,« erwiederte Buckingham gereizt, »der treue Parry, der umherirrende Parry, der ewige Parry ist, glaube ich, von keiner großen Bedeutung.«
»Ihr täuscht Euch, Herr Herzog: Parry, der umherirrende Parry ist immer im Dienste meiner Familie umhergeirrt, und der Anblick dieses Dieners ist stets für mich ein süßes Schauspiel.«
Lady Henriette verfolgte die bei hübschen Frauen und besonders bei gefallsüchtigen Frauen gewöhnliche Progression: sie ging von der Laune zum Widerspruch über; der Verliebte hatte die Laune ausgehalten, er mußte sich unter dem Widerspruchsgeiste beugen. Buckingham machte einen Bückling, antwortete aber nicht.
»Es ist wahr,« sagte Rochester, sich ebenfalls verbeugend, »Parry ist ein Muster von einem Diener; doch Madame, er ist nicht mehr jung, und wir lachen nur, wenn wir heitere Dinge sehen. Ist ein Greis etwas sehr Heiteres?«
»Genug, Mylord,« entgegnete Lady Henriette, »dieser Gegenstand des Gesprächs verletzt mich.«
Dann mit sich selbst sprechend, fuhr sie fort:
»Es ist wahrlich unerhört, wie wenig Rücksicht die Freunde meines Bruders auf seine Diener haben.«
»Ah! Madame,« rief Buckingham, »Eure Hoheit durchbohrt mir das Herz mit einem von ihren eigenen Händen geschmiedeten Dolch.«
»Was soll dieser in Form eines französischen Madrigals ausgedrückte Satz bedeuten? Ich verstehe ihn nicht.«
»Er soll bedeuten, Madame, daß Ihr selbst, so gut, so bezaubernd, so gefühlvoll Ihr seid, zuweilen über das abgeschmackte Geschwätze dieses guten Parry, für den Eure Hoheit heute so wunderbar empfindlich ist, gelacht, – verzeiht, ich wollte sagen, gelächelt habt.«
»Es mag sein, Mylord,« erwiderte Lady Henriette, »habe ich mich so vergessen, so habt Ihr Unrecht, mich daran zu erinnern.«
Und sie machte eine Bewegung der Ungeduld.
»Dieser gute Parry will mich, glaube ich, sprechen, Herr von Rochester, ich bitte, laßt ans Land fahren.«
Rochester beeilte sich, den Befehl der Prinzessin zu wiederholen, und nach wenigen Minuten berührte die Barke das User.
»Steigen wir aus,« sagte Lady Henriette, indem sie den Arm nahm, den ihr Rochester bot, obgleich Buckingham viel näher war und ihr den seinigen auch geboten hatte. Dann führte Rochester mit einem schlecht verborgenen Hochmut, der Buckingham das Herz durchbohrte, die Prinzessin über die kleine Brücke, welche die Schiffsleute von der königlichen Barke an das Ufer gelegt hatten.
»Wohin geht Eure Hoheit?« fragte Rochester.
»Ihr seht es, Mylord, zu dem guten Parry, der, wie Mylord Buckingham sagte, umherirrt und mich mit seinen durch die Thränen, die er über unser Unglück vergossen, geschwächten Augen sucht.«
»Oh! mein Gott!« sagte Rochester, »wie traurig ist Eure Hoheit heute! Es ist in der That, als kämen wir ihr wie lächerliche Narren vor.«
»Sprecht für Euch,« unterbrach ihn Buckingham ärgerlich: »ich mißfalle Ihrer Hoheit so sehr, daß ich ihr als gar nichts vorkomme.«
Weder Rochester, noch die Prinzessin antworteten; man sah nur Lady Henriette ihren Ritter in rascherem Lause fortziehen, Buckingham blieb zurück und benützte diese Vereinzelung, um so wüthende Bisse in sein Sacktuch zu thun, daß das Tuch beim dritten Zahnschlag in Fetzen zerrissen war.
»Parry, guter Parry,« sagte die Prinzessin mit ihrer sanften Stimme, »komm hierher; ich sehe, daß Du mich suchst, und ich erwarte Dich.«
»Ah! Madame,« sprach Rochester, der seinem, wie gesagt, zurückgebliebenen Gefährten freundlich zu Hilfe kam, »wenn Parry Eure Hoheit nicht sieht, so ist der Mann, der ihn begleitet, ein genügender Führer selbst,für einen Blinden, denn, in der That, dieser Mensch hat Flammenaugen, es ist ein Leuchtthurm mit doppelter Lampe.«
»Der ein sehr schönes und martialisches Gesicht beleuchtet,« sagte die Prinzessin, entschlossen, jedem Scherz eine scharfe Spitze entgegenzubieten.
Rochester verbeugte sich.
»Einer von den kräftigen Soldatenköpfen, wie man sie nur in Frankreich sieht,« fügte die Prinzessin mit, der Hartnäckigkeit des Weibes bei, das der Straflosigkeit sicher ist.
Rochester und Buckingham schauten sich an, als wollten sie sagen:
»Aber was hat sie denn?«
»Seht, Herr von Buckingham, was Parry will,« sprach Lady Henriette, »geht.«
Der junge Mann, der diesen Befehl wie eine Gunstbezeugung betrachtete, faßte wieder Muth und lief Parry entgegen, welcher, stets von d’Artagnan gefolgt, langsam auf die edle Gesellschaft zuschritt. Parry ging langsam wegen seines Alters. D’Artagnan schritt langsam und edel einher, wie d’Artagnan mit einer Drittelsmillion gefüttert gehen mußte, nämlich ohne Prahlerei, aber auch ohne Schüchternheit. Als Buckingham, der mit großem Eifer dem Willen der Prinzessin entsprach, welche auf einer Marmorbank, als wäre sie von der kurzen Strecke, die sie gemacht, ermüdet, zurück geblieben war, als Buckingham, sagen wir, nur noch einige Schritte von Parry entfernt war, erkannte ihn dieser.
»Ah! Mylord,« sagte er ganz athemlos, »will Eure Herrlichkeit dem König gehorchen?«
»Worin, Herr Parry?« fragte der junge Mann mit einer Art von Kälte, welche indessen durch den Wunsch, der Prinzessin angenehm zu sein, etwas gemildert war.
»Seine Majestät bittet Euer Herrlichkeit, diesen Herrn Lady Henriette Stuart vorzustellen.«
»Wer ist der Herr?« fragte der Herzog mit hoffärtigem Wesen.
D’Artagnan war bekanntlich leicht zum Zorn zu reizen; der Ton von Lord Buckingham mißfiel ihm. Er schaute dem Höflinge scharf in’s Gesicht und zwei Blitze sprangen unter seiner gefalteten Stirne hervor. Dann aber suchte er sich zu überwinden und antwortete ruhig:
»Der Herr Chevalier d’Artagnan, Mylord.«
»Verzeiht, mein Herr, durch diesen Namen erfahre ich Euren Namen und nicht mehr.«
»Was meint Ihr damit?«
»Ich meine, daß ich Euch nicht kenne.«
»Ich bin glücklicher als Ihr,« erwiederte d’Artagnan, »denn ich habe die Ehre gehabt. Eure Familie und besonders Mylord Herzog von Buckingham, Euren erhabenen Vater, sehr genau kennen zu lernen.«
»Meinen Vater?« erwiederte Buckingham. »Inder That, mein Herr, es ist mir nun, als erinnerte ich mich . . . Der Herr Chevalier d’Artagnan, sagt Ihr?«
»In Person,« antwortete d’Artagnan sich verbeugend.
»Verzeiht, seid Ihr nicht einer von den Franzosen, welche zu meinem Vater in gewissen geheimen Beziehungen standen?«
»Ganz richtig, mein Herr, ich bin einer von jenen Franzosen.«
»Dann erlaubt mir eine Bemerkung: es ist doch seltsam, daß mein Vater zu seinen Lebzeiten nie von Euch hat sprechen hören.«
»Nein, mein Herr, doch er hat bei seinem Tode von mir sprechen hören, denn ich war es, der ihm durch den Kammerdiener von Anna von Oesterreich eine Warnung vor der Gefahr, die ihn bedrohte, zustellen ließ; leider kam die Warnung zu spät.«
»Gleichviel, mein Herr,« sagte Buckingham, »ich begreife nun: da Ihr die Absicht hattet, dem Vater einen Dienst zu leisten, so wollt Ihr nun die Protection des Sohnes in Anspruch nehmen.«
»Mylord,« erwiederte d’Artagnan phlegmatisch, »vor Allem nehme ich die Protection von Niemand in Anspruch. Seine Majestät König Karl II., dem ich einige Dienste zu leisten die Ehre gehabt habe, – (ich muß Euch sagen, mein Herr, daß mein Leben in dieser Beschäftigung hingegangen ist), – König Karl II., der mich mit einigem Wohlwollen beehrt, wünschte, daß ich Lady Henriette, seiner Schwester, vorgestellt würde, der ich In Zukunft vielleicht auch nützlich zu sein das Glück haben werde. Seine Majestät wußte Euch aber in diesem Augenblick bei Ihrer Hoheit und hat mich durch Parry an Euch adressirt. Es gibt hierbei kein anderes Geheimniß. Ich verlange durchaus nichts von Euch, und wenn Ihr mich nicht vorstellen wollt, so werde ich den Schmerz haben. Eurer hierbei entbehren zu müssen, und die Kühnheit, mich selbst vorzustellen.«
»Mein Herr,« entgegnete Buckingham, der durchaus das letzte Wort haben wollte, »Ihr werdet wenigstens nicht vor einer durch Euch hervorgerufenen Erklärung zurückweichen.«
»Ich weiche nie zurück.« antwortete d’Artagnan.
»Da Ihr geheime Beziehungen zu meinem Vater gehabt habt, so müßt Ihr einige Einzelheiten, einige besondere Umstände kennen.«
»Diese Beziehungen sind schon so fern von uns, – denn Ihr waret noch nicht einmal geboren, – und einiger unglücklicher Diamant-Nestelstifte wegen, die ich aus seinen Händen empfangen und nach Frankreich zurückgebracht habe, ist es wahrhaftig nicht der Mühe werth, so viele Erinnerungen wiederzuerwecken.«
»Ah! mein Herr,« sprach Buckingham lebhaft, indem er sich d’Artagnan näherte und ihm die Hand reichte, »Ihr seid es also! Ihr, den mein Vater so sehr suchte, und der so viel von uns erwarten konnte.«
»Erwarten, mein Herr! in der That, das ist meine Stärke, und ich habe mein ganzes Leben gewartet.«
Mittlerweile war die Prinzessin, müde, den Fremden nicht zu sich kommen zu sehen, aufgestanden und hatte sich genähert.
»Ihr werdet wenigstens nicht auf die Vorstellung zu warten haben, die Ihr von mir verlangt,« sagte Buckingham.
Dann wandte sich der junge Mann um, verbeugte sich vor Lady Henriette und sprach:
»Madame, gemäß dem Wunsche Eures Bruders habe ich die Ehre, Eurer Hoheit den Herrn Chevalier d’Artagnan vorzustellen.«
»Damit Eure Hoheit im Falle der Noth eine feste Stütze und einen ergebenen Freund habe,« fügte Parry bei.
D’Artagnan verbeugte sich.
»Ihr habt noch etwas zu sagen,« erwiederte Lady Henriette, d’Artagnan zulächelnd, während sie das Wort an den alten Diener richtete.
»Ja, Madame, der König wünscht, Eure Hoheit möge den Namen sorgfältig in ihrem Gedächtniß bewahren und sich des Verdienstes von Herrn d’Artagnan erinnern, dem Seine Majestät, wie sie sagt, die Wiedererlangung des Königreichs verdankt.«
Buckingham, die Prinzessin und Rochester schauten sich erstaunt an.
»Dies,« sagte d’Artagnan, »dies ist ein anderes kleines Geheimniß, dessen ich mich aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gegen den Sohn von König Karl II. rühmen werde, wie ich es gegen Euch wegen der Diamanten-Nestelstifte gethan habe.«
»Madame,« sprach Buckingham, »dieser Herr erinnert mich zum zweiten Male an ein Ereigniß, das meine Neugierde so sehr erregt, daß ich es wage, Euch um Erlaubnis zu bitten, einen Augenblick mit ihm beiseit treten und allein mit ihm sprechen zu dürfen.«
»Thut das, mein Herr,« antwortete die Prinzessin, »doch bringt schleunigst zu der Schwester den dem Bruder so sehr ergebenen Freund zurück.«
Und sie nahm wieder den Arm von Rochester, während Buckingham den von d’Artagnan nahm.
»Ah! Chevalier,« sagte Buckingham, »erzählt mir doch diese ganze Geschichte mit den Diamanten, die Niemand in England weiß, nicht einmal der Sohn desjenigen, welcher der Held davon war.«
»Mein Herr, ein einziger Mensch hatte das Recht, diese ganze Geschichte, wie Ihr sagt, zu erzählen, dies war Euer Vater, Mylord; er hat es für geeignet erachtet, zu schweigen, und ich bitte Euch um Erlaubniß, sein Beispiel nachahmen zu dürfen.«
Nachdem er so gesprochen, verbeugte sich d’Artagnan wie ein Mann, bei dem kein Bitten und Drängen irgend eine Macht ausüben würde.
»Wenn dem so ist, mein Herr,« sprach Buckingham, »so bitte ich Euch, verzeiht mir meine Unbescheidenheit, und wenn ich eines Tags auch nach Frankreich ginge . . . «
Und er wandte sich um und schaute noch einmal nach der Prinzessin, die sich nichts um ihn bekümmerte, da sie ganz in ein Gespräch mit Rochester vertieft war oder vertieft zu sein schien.
Buckingham seufzte.
»Nun, Mylord?« fragte d’Artagnan.
»Ich sagte also, wenn ich eines Tages auch nach Frankreich ginge . . . «
»Ihr werdet dahin gehen,« sprach d’Artagnan lächelnd, »ich stehe Euch dafür.«
»Und warum dies?«
»Ah! ich habe eine eigenthümliche Art der Vorhersagung, und selten täusche ich mich, wenn ich einmal vorhersage. Kommt Ihr also nach Frankreich? . . . «
»Wohl, mein Herr, Ihr, von dem die Könige die kostbare Freundschaft verlangen, die ihnen Kronen zurückgibt . . . darf ich Euch um ein wenig von der großen Theilnahme bitten, die Ihr meinem Vater habt angedeihen lassen?«
»Mylord,« erwiederte d’Artagnan, »glaubt mir, ich werde mich für sehr geehrt halten, wenn Ihr Euch dort noch erinnern wollt, daß Ihr mich hier gesehen habt. Und nun erlaubt . . . «
Dann sich gegen Lady Henriette umwendend, sprach er:
»Madame, Eure Hoheit ist eine Tochter Frankreichs, und in dieser Eigenschaft hoffe ich sie in Paris wiederzusehen. Einer meiner glücklichsten Tage wird der sein, wo mir Eure Hoheit einen Befehl ertheilen wird, der mich daran erinnert, daß sie die Empfehlung ihres erhabenen Bruders nicht vergessen hat.«
Und er verbeugte sich vor der jungen Prinzessin, die ihm mit einer ganz königlichen Anmuth die Hand zum Kusse reichte.
»Ah! Madame,« sagte Buckingham ganz leise, »was müßte man thun, um von Eurer Hoheit eine ähnliche Gunst zu erlangen?«
»Ei! Mylord,« erwiederte Lady Henriette, »fragt Herrn d’Artagnan, und er wird es Euch sagen.«
XXII.
Die Worte des Königs in Betreff der Eitelkeit von Monk hatten d’Artagnan keine geringe Furcht eingeflößt. Der Lieutenant hatte sein ganzes Leben die große Kunst besessen, seine Feinde zu wählen, und geschah es, daß er unversöhnliche und unüberwindliche annahm, so war dies der Fall, weil er unter keinem Vorwand es anders machen konnte. Doch die Gesichtspunkte verwandeln sich ungemein im Leben. Es ist dies eine magische Laterne, deren Ansichten das Auge des Menschen jedes Jahr verändert. Daraus geht hervor, daß zwischen dem letzten Tag eines Jahres, wo man weiß sah, und dem ersten des andern, wo man schwarz sehen wird, nur der Raum einer Nacht liegt.
Als d’Artagnan von Calais mit seinen zehn Strolchen abreiste, kümmerte er sich ebenso wenig darum, ob es einen Strauß mit Goliath, mit Nebukadnezar oder mit Holofernes gegolten hätte, oder ob er seinen Degen mit einem Rekruten gekreuzt oder einen Streit mit seiner Wirthin bekommen haben würde. Er glich dem Sperber, der, wenn er Hunger hat, einen Widder angreift. Der Hunger blendet. Aber der gesättigte d’Artagnan, der reiche d’Artagnan, d’Artagnan der Sieger, d’Artagnan stolz auf einen so schwierigen Triumph, d’Artagnan hatte zu viel zu verlieren, um nicht Zahl für Zahl mit dem wahrscheinlichen schlimmen Geschick zu rechnen.
Während er von seiner Vorstellung zurückkehrte, dachte daher d’Artagnan nur daran, einen so mächtigen Mann wie Monk für sich zu gewinnen, einen Mann, den auch Karl, obgleich er König war, auf das Schonendste behandelte und sich geneigt zu erhalten suchte; denn kaum wieder auf seinen Thron gestellt, konnte der Beschützte noch des Beschützers bedürfen, und würde ihm folglich vorkommenden Falles nicht die kleine Befriedigung verweigern, Herrn d’Artagnan deportiren, oder ihn in irgend einen Thurm von Middlessex einsperren, oder ihn auf der Ueberfahrt von Dover nach Boulogne ein wenig ertränken zu lassen. Solche Befriedigungen gewähren Könige den Vicekönigen, ohne sich irgend ein Bedenken daraus zu machen.
Es war sogar nicht einmal nöthig,.daß sich der König bei der Gegenrolle des Stückes, wo sich Monk seine Genugthuung nehmen würde, thätig zeigte. Die Rolle des Königs könnte sich ganz einfach darauf beschränken, daß er dem Vicekönig von Irland Alles verzeihen würde, was er gegen d’Artagnan unternähme. Das Gewissen des Herzogs von Albermale brauchte nicht mehr zu seiner Beruhigung als ein lachend ausgesprochenes! A b s o l v o t e, oder das Gekritzel Charles the King unten an einem Pergament, und mit diesen zwei ausgesprochenen oder drei geschriebenen Worten war der arme d’Artagnan für immer unter den Trümmern seiner Einbildungskraft begraben.
Und dann, was ein für einen so vorsichtigen Mann, wie unser Musketier, sehr beunruhigender Umstand war, und dann sah er sich allein, und die Freundschaft von Athos genügte nicht, um ihn zu beruhigen.
Hätte es sich nur um eine gute Austheilung von Degenstichen gehandelt, so würde der Musketier allerdings auf seinen Landsmann gezählt haben; doch bei zarten Verhältnissen zu einem König, wo das Vielleicht eines unglücklichen Zufalls zu der Rechtfertigung von Monk oder von Karl II. beitragen dürfte, kannte d’Artagnan hinreichend Athos, um sicher zu sein, er würde der Redlichkeit des Ueberlebenden den schönsten Theil bewilligen und sich darauf beschränken, viele Thrakien auf dem Grabe des Tobten zu vergießen und, falls der Todte sein Freund wäre, hernach eine Grabschrift für ihn mit den pomphaftesten Superlativen abzufassen.
»Offenbar,« dachte der Gascogner, und dieser Gedanke war das Resultat der Betrachtungen, die er ganz leise angestellt hatte, während wir sie ganz laut anstellen, »offenbar muß ich mich mit Herrn Monk versöhnen und einen Beweis von seiner vollkommenen Gleichgültigkeit in Beziehung auf das Vergangene erlangen. Ist er, was Gott verhüten möge, noch verdrießlich und zurückhaltend im Ausdruck dieses Gefühls, so gebe ich mein Geld Athos mit, ich bleibe in England gerade lang genug, um ihn zu entschleiern; dann, da ich ein lebhaftes Auge und einen leichten Fuß habe, ergreife ich das erste feindliche Zeichen, mache mich aus dem Staube, verberge mich bei Mylord von Buckingham, der mir im Grunde ein guter Teufel zu sein scheint, und erzähle ihm zum Lohn für seine Gastfreundschaft die ganze Geschichte mit den Diamanten, die jetzt Niemand mehr compromittiren kann, als eine alte Königin, welche, da sie nun die Frau eines Erzknausers, wie Herr von Mazarin, ist, wohl dafür, daß sie einst die Geliebte eines schönen, edlen Herrn wie Buckingham gewesen, angesehen werden darf. Mordioux! das ist abgemacht, und dieser Monk wird mich nicht übertreffen. Ei! überdies habe ich eine Idee!«
Man weiß, daß es d’Artagnan im Allgemeinen nicht an Ideen gebrach.
Während seines Selbstgesprächs hatte sich d’Artagnan bis ans Kinn zugeknöpft, und nichts erregte in ihm so sehr die Einbildungskraft, als diese Vorbereitung zu einem Kampf, von den Römern
»Mylord,« sagte d’Artagnan mit jenem Ausdruck von Offenherzigkeit, den der Gascogner so gut auf seinem listigen Gesicht zu verbreiten wußte, »Mylord, ich komme, um Eure Herrlichkeit um einen Rath zu bitten.«
Ebenso moralisch zugeknöpft, als es sein Gegner physisch war, erwiederte Monk:
»Verlangt, mein Lieber.«
Und sein Gesicht bot einen nicht minder offenen Ausdruck, als das von d’Artagnan.
»Mylord, versprecht mir vor Allem Geheimhaltung und Nachsicht.«
»Ich verspreche Euch Alles, was Ihr wollt. Sagt, was gibt es?«
»Mylord, ich bin nicht ganz mit dem König zufrieden.«
»Ah! wahrhaftig? Und in welcher Hinsicht, mein lieber Lieutenant, wenn es Euch beliebt?«
»Seine Majestät überläßt sich zuweilen für seine Diener sehr compromittirenden Scherzen, und der Scherz, Mylord, ist eine Waffe, welche die Leute vom Schwert, wie wir, ungemein verletzt.«
Monk gab sich alle Mühe, um seine Gedanken nicht zu verrathen; doch d’Artagnan belauerte ihn mit einer zu beharrlichen Aufmerksamkeit, um nicht eine unmerkliche Röthe auf seinen Wangen wahrzunehmen.
»Ich, was mich betrifft,« sagte Monk mit der allernatürlichsten Miene, »ich bin kein Feind des Scherzes, mein lieber Herr d’Artagnan; meine Soldaten werden Euch sogar sagen, daß ich sehr oft im Lager ganz gleichgültig und mit einem gewissen Geschmack sogar die satyrischen Lieder anhörte, welche von der Armee von Lambert in die meinige übergingen und sicherlich die Ohren eines empfindlicheren Generals, als ich bin, geschunden hätten.
»Oh! Mylord, ich weiß, daß Ihr ein vollkommener Mann seid, ich weiß, daß Ihr seit langer Zeit über den menschlichen Erbärmlichkeiten steht, doch es gibt Scherze und Scherze, und gewisse haben für meine Person das Vorrecht, mich über allen Begriff aufzureizen.«
»Darf man wissen welche, my dear?«
»Diejenigen, welche gegen meine Freunde, oder gegen die Leute, die ich verehre, gerichtet sind.«
Monk machte unmerkliche Bewegung, die indessen d’Artagnan nicht entging.
»Ei!« fragte Monk, inwiefern kann der Nadelstich, der einen Andern ritzt. Eure Haut verletzen? Sprecht, erzählt mir das!«
»Mylord, ich will es Euch durch zwei Worte auseinandersetzen: es handelt sich um Euch.«
Monk machte einen Schritt gegen d’Artagnan.
»Um mich?«
»Ja, und das kann ich mir nicht erklären; daran ist übrigens vielleicht auch Schuld, daß ich seinen Charakter nicht kenne. Wie kann der König das Herz haben, über einen Mann zu spotten, der ihm so viele und so große Dienste geleistet hat? Wie soll ich es begreifen, daß er sich damit belustigt, einen Löwen wie Ihr mit einer kleinen Fliege wie ich in Streit zu bringen?«
»Ich sehe auch durchaus nichts hiervon.«
»Doch, doch! Kurz der König, der mir eine Belohnung schuldig war, konnte mich wie einen Soldaten belohnen, ohne die Geschichte mit dem Lösegeld zu ersinnen, die Euch berührt, Mylord.«
»Nein,« entgegnete Monk lachend, »sie berührt mich auf keine Weise, das schwöre ich Euch.«
»Nicht in Beziehung auf mich, das sehe ich wohl ein; Ihr kennt mich, Mylord, ich bin so verschwiegen, daß das Grab in Vergleichung mit mir schwatzhaft erscheinen würde; aber versteht Ihr, Mylord?«
»Nein,« erwiederte Monk hartnäckig.
»Wenn ein Anderer das Geheimniß wüßte, das ich weiß . . . «
»Welches Geheimniß?«
»Ei! Mylord, das unglückliche Geheimniß von Newcastle.«
»Ah! die Million des Herrn Grafen de la Fère.«
»Nein, Mylord, nein; das Unternehmen auf Eure Herrlichkeit.«
»Das war gut gespielt, Chevalier, und es ließ sich nichts dagegen sagen; Ihr seid ein Kriegsmann, tapfer und listig zugleich, und dies beweist, daß Ihr die Eigenschaften von Fabius und von Hannibal vereinigt. Ihr habt Euch Eurer Mittel, der Stärke und der List, bedient; dagegen ist nichts einzuwenden, und es war meine Sache, mich zu hüten.«
»Ei! ich weiß es wohl, Mylord, und ich erwartete nicht weniger von Eurer Unparteilichkeit; wenn es auch nur die Entführung an und für sich gewesen wäre, Mordioux! das hätte nichts zu bedeuten; doch . . . «
»Was?«
»Doch die Umstände dieser Entführung.«
»Welche Umstände?«
»Ihr wißt wohl, was ich damit sagen will, Mylord.«
»Nein, Gott soll mich verdammen!«
»Es ist wahrhaftig sehr schwer zu. sagen!«
»Nun also?«
»Nun! die verteufelte Kiste.«
Monk erröthete sichtbar.
»Die unwürdige Kiste,« fuhr d’Artagnan fort, »die Kiste von Tannenholz, Ihr wißt?«
»Ich vergaß es.«
»Von Tannenholz, mit Löchern für die Nase und den Mund. In der That, Mylord, alles Uebrige war gut, doch die Kiste, die Kiste! war offenbar ein schlechter Spaß.«
Monk hatte alle Mühe, sich zu bewältigen.
»Und dennoch,« sprach d’Artagnan, »und dennoch ist es ganz einfach, daß ich, ein Abenteurer – Kapitän, dies gethan habe, weil ich, abgesehen von der etwas leichtsinnigen Handlung, die ich begangen, welche sich indessen vielleicht durch die ernsten Umstände entschuldigen läßt, Umsicht und Zurückhaltung habe.«
»Oh!« rief Monk, »glaubt mir, Herr d’Artagnan, ich kenne und schätze Euch.«
D’Artagnan verlor Monk nicht aus dem Blick; er studirte Alles, was im Geist des Generals, während er sprach, vorging.
»Doch es handelt sich nicht um mich,« fuhr er fort.
»Um wen handelt es sich denn?«
»Es handelt sich um den König, der nie seine Zunge im Zaum halten wird.«
»Nun, und wenn er am Ende spräche?« fragte Monk zitternd.
»Mylord,« erwiederte d’Artagnan, »ich bitte, verstellt Euch nicht gegen einen Mann, der so offenherzig spricht, als ich es thue. Ihr habt das Recht, reizbar in Eurer Empfindlichkeit zu sein, so gutmüthig Euer Charakter auch sonst sein mag. Was Teufels! es ist nicht am Platze, daß ein ernster Mann wie Ihr, der mit Kronen und Sceptern spielt wie ein Zigeuner mit Kugeln, es ist nicht am Platze, sage ich, daß ein ernster Mann wie eine Curiosität der Naturgeschichte in eine Kiste eingeschlossen wird; denn Ihr begreift, das wäre um alle Eure Feinde vor Lachen bersten zu machen, und Ihr seid so groß, so edel, so hochherzig, daß Ihr deren viele haben müßt. Dieses Geheimniß dürste das halbe Menschengeschlecht vor Lachen bersten machen, wenn man Euch in der Kiste darstellen wurde. Es ist aber nicht geziemend, daß man so über die zweite Person des Königreiches lacht.«
Monk verlor ganz und gar die Fassung bei dem Gedanken, sich in seiner Kiste dargestellt zu sehen. Die Lächerlichkeit, wie dies d’Artagnan richtig geahnet hatte, brachte auf ihn die Wirkung hervor, welche weder die Zufälle des Krieges, noch die Wünsche des Ehrgeizes, noch die Furcht vor dem Tod hatten hervorbringen können.
»Gut!« dachte der Gascogner, »er hat Angst: ich bin gerettet.«
»Oh! was den König betrifft,« sagte Monk, »seid unbesorgt, lieber Herr d’Artagnan, der König wird nicht mit Monk scherzen, das schwöre ich Euch!«
Der Blitz seiner Augen wurde auf dem Wege von d’Artagnan aufgefangen. Monk besänftigte sich sogleich wieder und fuhr fort:
»Der König ist eine zu edle Natur, der König ist zu hochherzig, um demjenigen übel zu wollen, der ihm Gutes gethan hat.«
»Oh! gewiß,« rief d’Artagnan. »Ich bin ganz und gar Eurer Ansicht, was das Herz des Königs betrifft, doch nicht hinsichtlich seines Kopfes: er ist gut, aber er ist leichtsinnig.«
»Seid ruhig, der König wird nicht leichtsinnig gegen Monk sein.«
»Ihr seid also ruhig, Mylord?«
»Von dieser Seite, ja, vollkommen.«
»Oh! ich begreife Euch, Ihr seid ruhig in Beziehung auf den König.«
»Wie ich Euch gesagt habe.«
»Ihr seid nicht ebenso ruhig in Beziehung auf mich?«
»Mir däucht, ich habe Euch versichert, daß ich an Eure Redlichkeit und Eure Verschwiegenheit glaube.«
»Gewiß, gewiß! doch Ihr werdet Eines bedenken.«
»Was?«
»Daß ich nicht allein bin, daß ich Gefährten habe, und was für Gefährten!«
»Oh! ja, ich kenne sie.«
»Leider, Mylord, sie kennen auch Euch.«
»Nun?«
»Sie sind dort in Boulogne und warten auf mich.«
»Und Ihr befürchtet . . . «
»Ja, ich befürchte, daß in meiner Abwesenheit . . . Bei Gott! wenn ich bei ihnen wäre, würde ich wohl für ihr Stillschweigen gutstehen.«
»Hatte ich Recht, wenn ich Euch sagte, sollte es eine Gefahr geben, so käme sie nicht von Seiner Majestät, wäre diese auch ein wenig zum Scherze geneigt, sondern von Euren Gefährten, wie Ihr sie nennt . . . Von einem König verspottet werden, ist am Ende noch erträglich; doch von Troßknechten . . . Gott verdamme mich!«
»Ja, ich begreife, das ist unerträglich, und deshalb wollte ich Euch fragen, Mylord . . . glaubt Ihr nicht, daß es gut wäre, wenn ich so bald als möglich nach Frankreich abreisen würde?«
»Gewiß, wenn Ihr denkt, daß Eure Gegenwart . . . «
»Allen diesen Schuften imponire? Oh! dessen bin ich sicher, Mylord.«
»Eure Gegenwart wird es indessen nicht verhindern, daß das Gerücht sich verbreitet, wenn es schon ein wenig laut zu werden begonnen hat.«
»Oh! es ist noch nichts davon laut geworden, Mylord, dafür bürge ich Euch. Glaubt mir in jedem Fall, daß ich zu Einem entschlossen bin.«
»Wozu?«
»Dem Ersten, der dieses Gerücht verbreitet, und dem Ersten, der es gehört hat, den Schädel zu zerschmettern. Dann komme ich nach England zurück, suche eine Zufluchtstätte und vielleicht auch Beschäftigung bei Eurer Herrlichkeit.«
»Oh! kommt zurück, kommt zurück!«
»Leider, Mylord, kenne ich nur Euch hier, und ich werde Euch nicht mehr finden, oder Ihr werdet mich in Eurer Größe vergessen haben.«
»Hört, Herr d’Artagnan,« erwiederte Monk, »Ihr seid ein vortrefflicher Mann, voll Geist und Muth; Ihr verdient jedes Glück dieser Welt; kommt mit mir nach Schottland, und ich schwöre Euch, ich gründe Euch in meinem Vicekönigthum ein Loos, um das Euch Jeder beneiden soll.«
»Oh! Mylord, das ist zu dieser Stunde unmöglich. Ich habe zu dieser Stunde eine heilige Pflicht zu erfüllen; ich habe über Eurem Ruhme zu wachen; ich habe es zu verhindern, daß ein schlechter Spaßmacher in den Augen der Zeitgenossen, wer weiß? vielleicht sogar in den Augen der Nachwelt, den Glanz Eures Namens trübt.«
»Der Nachwelt, Herr d’Artagnan?«
»Ei! gewiß! Alle Umstände dieser Geschichte müssen für die Nachwelt ein Geheimniß bleiben; denn nehmt an, diese unglückliche Geschichte mit der tannenen Kiste verbreite sich und man werde behaupten, Ihr habet den König nicht Kraft Eures freien Willens, sondern in Folge eines zwischen Euch in Scheveningen abgeschlossenen Vergleichs wieder auf seinen Thron gesetzt . . . ich mag dann immerhin sagen, wie sich die Sache zugetragen hat, ich, der ich es weiß, man wird mir nicht glauben und ausstreuen, ich habe einen Theil vom Kuchen erhalten und verzehre ihn.«
Monk faltete die Stirne und sprach:
»Ruhm, Ehre, Redlichkeit, Ihr seid nur leere Worte!«
»Nebel!« erwiederte d’Artagnan, »Nebel, durch den Niemand klar schauen kann.«
»Nun wohl! so geht nach Frankreich, mein lieber d’Artagnan,« sprach Monk, »geht, und um Euch England zugänglicher und angenehmer zu machen, nehmt ein Andenken von mir an.«
»Immerzu!« dachte d’Artagnan.
»Ich habe am Ufer der Clyde ein kleines Haus unter Bäumen, ein Cottage, wie man das hier nennt. Zu diesem Haus gehören ungefähr hundert Morgen Land, Nehmt es an.«
»Oh! Mylord . . . «
»Bei Gott! Ihr seid dort in Eurer Heimath, und es wird dies die Zufluchtstätte sein, von der Ihr vorhin spracht.«
»Wie, ich sollte Euch in diesem Grade verpflichtet sein, Mylord! Wahrhaftig, ich schäme mich dessen.«
»Nein, mein Herr,« erwiederte Monk mit einem seinen Lächeln, »nein, ich werde Euch verpflichtet sein.«
Und er drückte dem Musketier die Hand und fügte bei:
»Ich gehe und lasse die Schenkungsurkunde ausfertigen.«
D’Artagnan schaute ihm nach, als er nun wirklich wegging, und blieb ganz nachdenkend und sogar bewegt.
»Ah!« sagte er, »es ist doch ein braver Mann. Er ist ganz traurig, nur weil er fühlt, daß er aus Furcht vor mir und nicht aus Zuneigung so handelt. Nun! die Zuneigung soll kommen.«
Nach einem Augenblick tiefen Nachdenkens sprach er aber:
»Bah! wozu? es ist ein Engländer!«
Und er ging ebenfalls hinaus, etwas angegriffen von diesem Kampf.
»Ich bin also nun Grundeigenthümer,« dachte d’Artagnan, als er sich auf der Straße befand. »Doch wie Teufels soll ich das Haus mit Planchet theilen? Wenn ich nicht ihm die Güter gebe und das Schloß nehme, oder wenn nicht er das Schloß nimmt und ich . . . Pfui doch, Herr Monk würde nie dulden, daß ich ein Haus, das er bewohnt hat, mit einem Gewürzkrämer theilte! Er ist zu stolz hierzu! Warum übrigens hiervon sprechen? Ich habe dieses unbewegliche Gut nicht mit dem Gelde der Gesellschaft erworben, sondern mit meinem Verstand allein: es gehört also mir. Wir wollen Athos aufsuchen.«
Und er wandte sich nach der Wohnung des Grafen de la Fère.
XXIII.
»Ich bin offenbar im Glück,« sagte d’Artagnan zu sich selbst: »dieser Stern, der einmal im Leben des Menschen leuchtet, der für Hiob und für Ixus, den unglücklichsten der Juden und den ärmsten der Griechen geleuchtet hat, leuchtet nun auch für mich. Ich werde keine Thorheit begehen, ich werde es benützen; es ist spät genug, um einmal vernünftig zu sein.«
Er speiste diesen Abend in sehr guter Laune mit seinem Freund Athos, sagte ihm zwar nichts von der erwarteten Schenkung, konnte sich aber nicht enthalten, während er aß, seinen Freund über die Einsaat, über hie Pflanzungen, über den Ertrag zu befragen. Athos antwortete gefällig, wie er es immer that. Er dachte, d’Artagnan wolle Grundeigenthümer werden, nur beklagte er es mehr als einmal, daß er bei seinem Tischgenossen nicht mehr die so lebhafte Laune, die so belustigenden Witze des heiteren Gefährten der früheren Zeit fand.
D’Artagnan benutzte den Rest des gestandenen Fetts auf dem Teller, um Zahlen darein zu schreiben und Additionen von einer Staunen erregenden Rundheit zu machen.
Der Befehl, oder vielmehr die Erlaubniß zum Einschiffen traf noch am Abend bei ihnen ein. Während man dem Grafen das Papier übergab, überreichte ein anderer Bote d’Artagnan ein kleines Bündel Pergamente, versehen mit allen Siegeln, mit denen sich in England das Grundeigenthum schmückt. Athos überraschte ihn, als er noch damit beschäftigt war, in diesen verschiedenen Acten zu blättern, welche die Uebertragung der Eigenthumsrechte beurkundeten. Der kluge Monk, Andere würden gesagt haben: der großmüthige Monk, hatte die Schenkung in einen Kauf verwandelt und bescheinte den Empfang der Summe von fünfzehntausend Livres als Preis für die Abtretung.
Der Bote hatte sich schon entfernt. D’Artagnan las immer noch, Athos schaute ihm lächelnd zu. Als d’Artagnan dieses Lächeln wahrnahm, verschloß er alle seine Papiere in seinem Etui.
»Verzeiht,« sagte Athos.
»Oh! Ihr seid nicht indiscret, mein Lieber,« erwiderte der Lieutenant; »ich werde Euch sagen . . . «
»Nein, sagt mir nichts, ich bitte Euch! Befehle sind etwas so Heiliges, daß der mit diesen Befehlen Beauftragte seinem Vater, seinem Bruder nicht ein Wort davon gestehen muß. So würde ich, der ich mit Euch spreche und Euch zärtlicher liebe, als Vater, Bruder und Alles in der Welt . . . «
»Außer Eurem Raoul?«
»Ich werde Raoul noch mehr lieben, wenn er ein Mann ist, und wenn ich ihn habe in allen Phasen seines Charakters und seiner Handlungen hervortreten sehen, . . . wie ich Euch gesehen, mein Freund.«
»Ihr sagtet also, Ihr habet auch einen Befehl, und Ihr würdet ihn mir nicht mittheilen?«
»Ja, mein lieber d’Artagnan.«
D’Artagnan seufzte und sprach:
»Es gab eine Zeit, wo Ihr diesen Befehl ganz offen auf den Tisch gelegt und zu mir gesagt hättet:
»»D’Artagnan, lest uns. Porthos, Aramis und mir, dieses verwirrte Zeug vor.««
»Das ist wahr. Oh! das war die Jugend, das Vertrauen, die edle Periode des Lebens, wo das Blut befiehlt, wenn es durch die Leidenschaft erwärmt ist!«
»Nun, Athos, soll ich Euch etwas sagen?«
»Sprecht, Freund.«
»Diese anbetungswürdige Zeit, diese edle Periode, diese Herrschaft des erwärmten Blutes, sind allerdings lauter schöne Dinge; doch ich beklage ihren Verlust, ihr Hinscheiden nicht. Das ist gerade wie mit den Schülerjahren . . . ich habe immer irgendwo einen Dummkopf gefunden, der mir die Zeit der Aufgaben, der Ruthen, der trockenen Brodkrusten rühmte . . . Es ist sonderbar, nie habe ich dies geliebt, und so thätig, so nüchtern ich war (und Ihr wißt, ob ich dies gewesen bin, Athos), so einfach ich in meinen Kleidern erschien, habe ich darum doch nicht minder die Stickereien von Porthos mein erknappen, fadenscheinigen Kasake, die den Nordostwind im Winter, die Sonne im Sommer durchließ, vorgezogen. Seht, mein Freund, ich werde stets demjenigen mißtrauen, welcher behauptet, er ziehe das Schlimme dem Guten vor. Von der vergangenen Zeit aber, wo Alles schlimm für mich war, von der vergangenen Zeit, wo jeder Monat ein Loch mehr in meiner Kasake und in meiner Haut, einen Goldthaler weniger in meiner armseligen Börse sah, von dieser abscheulichen Zeit der Schwankungen beklage ich durchaus nichts, nichts, nichts, als unsere Freundschaft, denn bei mir gibt es ein Herz, und wunderbarer Weise ist dieses Herz nicht durch den Wind der Dürftigkeit, der durch die Löcher meines Mantels strich, vertrocknet, oder durch die Degen aller Fabriken, welche in die Löcher meines unglücklichen Fleisches eindrangen, durchbohrt worden.«
»Beklagt nicht unsere Freundschaft,« sprach Athos; »sie wird nur mit uns sterben. Die Freundschaft besteht hauptsächlich aus Erinnerungen und Gewohnheiten, und wenn Ihr so eben eine kleine Satyre auf die meinige gemacht habt, weil ich zögere, Euch meinen Auftrag in Frankreich zu enthüllen . . . «
»Ich? . . . O Himmel! wenn Ihr wüßtet, lieber und guter Freund, wie mir fortan alle Aufträge und Sendungen der Welt gleichgültig sein werden!«
Und er schob seine Pergamente in seine weite Tasche.
Athos stand vom Tische auf und rief den Wirth, um die Rechnung zu bezahlen.
»Seitdem ich Euer Freund bin,« sagte d’Artagnan, »habe ich nie eine Zeche bezahlt; Porthos oft, Aramis zuweilen, und Ihr zoget beinahe immer Eure Börse beim Nachtisch. Nun bin ich reich und will es versuchen, ob es Heldenmuth erfordert, zu bezahlen.«
»Thut es,« sprach Athos und steckte seine Börse wieder in seine Tasche.
Die zwei Freunde wandten sich sodann nach dem Hasen, doch nicht ohne daß d’Artagnan von Zeit zu Zeit rückwärts schaute, um den Transport seiner lieben Thaler zu bewachen. Die Nacht hatte ihren dichten Schleier über dem gelben Wasser der Themse ausgebreitet; man hörte die Geräusche der Tonnen und der Blockrollen, Vorläufer der Abfahrt, welche so oft das Herz der Musketiere in einer Zeit schlagen gemacht hatten, wo die Gefahr der See die geringste von denjenigen war, welchen sie die Stirne bieten sollten. Diesmal hatten sie sich auf einer großen Fregatte einzuschiffen, die sie in Gravesend erwartete, und stets zart in kleinen Dingen, hatte ihnen Karl II. eine von seinen Yachten mit zwölf Mann von seiner schottischen Leibwache geschickt, um dem Botschafter, den er nach Frankreich absandte, Ehre anzuthun. Um Mitternacht brachte die Yacht ihre Passagiere an Bord der Fregatte, und um acht Uhr Morgens schiffte die Fregatte den Botschafter und seinen Freund vor dem Hafendamm vor Boulogne aus. Während sich der Graf und Grimaud mit den Pferden beschäftigten, um unmittelbar nach Paris abzureisen, lief d’Artagnan nach dem Wirthshaus, wo ihn seinem Befehle gemäß seine kleine Armee erwarten sollte. Diese Herren frühstückten Austern, Seefische und aromatischen Branntwein, als d’Artagnan erschien. Sie waren sehr heiter, doch keiner hatte die Grenzen der Vernunft überschritten. Ein Freudengeschrei empfing den General.
»Hier bin ich,« sprach d’Artagnan: »der Feldzug ist beendigt. Ich komme und bringe Jedem den zugesagten Ergänzungssold.«
Die Augen glänzten,
»Ich wette, es finden sich schon keine hundert Livres mehr in der Bügeltasche des Reichsten von Euch.«
»Das ist wahr,« rief man im Chor.
»Meine Herren,« sprach nun d’Artagnan, »hört den letzten Befehl. Der Handelsvertrag ist durch den Handstreich abgeschlossen worden, der uns zu Herren des gewandtesten Finanzmanns von England gemacht hat, denn ich muß es Euch nun gestehen, der Mann, um dessen Entführung es sich handelte, war der Schatzmeister des General Monk.«
Das Wort Schatzmeister brachte eine gewisse Wirkung bei der ganzen Armee hervor. D’Artagnan bemerkte, daß nur allein die Augen von Menneville nicht von einem vollkommenen Glauben zeugten.
»Diesen Schatzmeister,« fuhr d’Artagnan fort, »habe ich auf ein neutrales Gebiet, nämlich nach Holland gebracht; ich habe ihn den Vertrag unterzeichnen lassen, ich habe ihn selbst nach Newcastle zurückgeführt, und da er mit unserem Verfahren gegen ihn zufrieden sein mußte, da die tannene Kiste stets ohne Stöße transportirt wurde und überdies ganz weich ausgepolstert war, so verlangte ich eine Belohnung für Euch. Hier ist sie.«
Er warf einen ziemlich ansehnlichen Sack auf das Tischtuch. Alle streckten unwillkührlich die Hand darnach aus.
»Einen Augenblick Geduld, meine Lämmer!« rief d’Artagnan; »wo es Beneficien gibt, gibt es immer auch Lasten.«
»Hoho!« murmelte die Versammlung.
»Wir werden uns in einer Stellung befinden, meine Freunde, welche für Leute ohne Gehirn nicht haltbar wäre; ich spreche unumwunden: wir stehen zwischen dem Galgen und der Bastille.«
»Oho!« rief der Chor.
»Das ist leicht zu begreifen. Ich mußte dem General Monk das Verschwinden seines Schatzmeisters erklären; ich erwartete hierzu den sehr unvorhergesehenen Augenblick der Zurückberufung von Karl II., der einer meiner Freunde ist.«
Die Armee tauschte einen Blick der Zufriedenheit gegen den ziemlich hoffärtigen Blick von d’Artagnan.
»Sobald der König wieder auf seinem Thron saß, gab ich Herrn Monk seinen Geschäftsführer zurück, es ist wahr, etwas gerupft, doch ich habe ihn immerhin zurückgegeben. Der General, als er mir verzieh, denn er hat mir verziehen, konnte sich nicht enthalten, mir folgende Worte zu sagen, die ich Euch Alle tief zwischen den Augen unter dem Gewölbe des Schädels einzugraben auffordere: »»Mein Herr, der Scherz ist gut, doch ich liebe natürlich die Scherze nicht; wenn je ein Wort von dem, was Ihr gethan habt«« (Ihr versteht, Herr von Menneville), »»Euren Lippen oder denen Eurer Gefährten entschlüpfte, so habe ich in meinem Gouvernement Schottland und Irland siebenhundert und einundvierzig Galgen von Eichenholz, welche mit Eisen gepflockt sind und jede Woche frisch mit Fett eingeschmiert werden. Ich mache mit einem von diesen Galgen jedem von Euch ein Geschenk, und bemerkt wohl, lieber Herr d’Artagnan,«« fügte er bei (bemerkt auch, lieber Herr von Menneville), »»es blieben mir immer noch siebenhundert und dreißig für meine kleinen Vergnügungen . . . Dabei . . . ««
»Ah! ah!« rief die Armee, »es ist noch etwas dabei?«
»Eine Erbärmlichkeit: »»Herr d’Artagnan, ich überschicke dem König von Frankreich den fraglichen Vertrag mit der Bitte, alle diejenigen, welche an dem Unternehmen Theil genommen, vorläufig in die Bastille zu stecken und dann mir zuzusenden; das ist eine Bitte, der der König sicherlich entsprechen wird.««
Ein Schrei des Schreckens erhob sich von allen Ecken des Tisches.
»Ruhig, ruhig,« sagte d’Artagnan; »dieser brave Herr Monk hat Eines vergessen; er weiß den Namen von keinem von Euch; ich allein kenne Euch, und ich werde Euch nicht verrathen, das mögt Ihr mir wohl glauben. Warum denn auch? Was aber Euch betrifft, so kann ich nicht annehmen, Ihr werdet je so albern sein, Euch selbst anzuzeigen, denn um die Ausgaben für Kost und Wohnung zu ersparen, würde Euch der König ganz einfach nach Schottland schicken, wo die siebenhundert und einundvierzig Galgen sind. So steht die Sache, meine Herren. Und nun habe ich dem, was ich Euch zu sagen die Ehre gehabt, kein Wort mehr beizufügen. Ich bin fest überzeugt, daß man mich vollkommen begriffen hat, nicht wahr, Herr von Menneville?«
»Vollkommen,« erwiederte dieser.
»Nun zu den Thalern!« sagte d’Artagnan; »schließt die Thüren.«
Er sprach es und schüttelte den Sack auf den Tisch aus, von wo mehrere schöne Goldthaler herabfielen.
Jeder machte eine Bewegung nach dem Boden.
»Gut, gut!« rief d’Artagnan; »Niemand bücke sich und ich werde meine Summe schon wieder finden.«
Er fand sie in der That, gab Jedem fünfzig von diesen schönen Thalern und empfing ebenso viel Segnungen, als er Goldstücke gegeben hatte.
»Wenn es Euch nun möglich wäre,« sagte er, »wenn es Euch möglich wäre, ein wenig in Ordnung zu leben, wenn Ihr gute und ehrliche Bürger würdet . . . «
»Das ist sehr schwierig,« sprach einer von den Anwesenden.
»Warum denn, Kapitän?« fragte ein Anderer.
»Weil ich Euch wieder aufgesucht und, wer weiß? von Zeit zu Zeit durch einen neuen Gewinn erquickt hätte . . . «
Er machte Menneville, der dies Alles mit ruhiger Miene anhörte, ein Zeichen und sprach:
»Menneville, kommt mit mir. Lebet wohl, meine Braven; ich ermahne Euch nicht, verschwiegen zu sein.«
Menneville folgte ihm, während die Abschiedsgrüße der Hilfstruppe sich mit dem sanften Geräusch des in ihren Taschen klingenden Goldes vermischte.
»Menneville,« sagte d’Artagnan, sobald sie auf der Straße waren, »Ihr seid kein Thor, nehmt Euch in Acht, einer zu werden; Ihr seht mir nicht aus, als hättet Ihr Angst vor dem Galgen von Herrn Monk, oder vor der Bastille von Sr. Majestät dem König Ludwig XlV.; doch Ihr werdet mir wohl die Ehre erweisen, vor mir Angst zu haben. Wohl, so hört: bei dem geringsten Wort, das Euch entschlüpfte, würde ich Euch tödten wie einen Hund. Ich habe die Absolution von unserem heiligen Vater, dem Papst, in der Tasche.«
»Ich versichere Euch, daß ich durchaus nichts weiß, Herr d’Artagnan, und daß alle Eure Worte Glaubensartikel für mich sind.«
»Ich war überzeugt, Ihr wäret ein Bursche von Geist,« sprach der Musketier; »es sind nun fünfundzwanzig Jahre, daß ich Euch so beurtheilt habe. Diese fünfzig Goldthaler, die ich Euch mehr gebe, sollen Euch beweisen, welche Stücke ich auf Euch halte.
»Ich danke, Herr d’Artagnan.«
»Hiermit könnt Ihr in der That ein ehrlicher Mann werden,« fuhr d’Artagnan mit dem ernstesten Tone fort. »Es wäre eine Schmach, wenn ein Geist wie der Eurige und ein Name, den Ihr nicht mehr zu führen wagt, für immer unter dem Rest eines schlimmen Lebens verschwinden müßten. Werdet ein anständiger Mann, Menneville, und lebt ein Jahr mit diesen hundert Goldthalern; das ist ein schöner Pfennig: doppelt der Sold eines Oberofficiers. In einem Jahr sucht mich auf und, Mordioux! ich werde etwas aus Euch machen.«
Menneville schwur, wie es seine Kameraden gethan hatten, er würde stumm sein wie das Grab. Und dennoch muß Einer gesprochen haben, und da es sicherlich nicht unsere neun Gesellen waren und ebenso wenig Menneville, so muß es wohl d’Artagnan gewesen sein, der als Gascogner die Zunge sehr nahe bei den Lippen hatte. Denn war er es nicht, wer sollte es denn sein? Und wie würde sich das Geheimniß mit der tannenen Kiste, woran Löcher angebracht, erklären, dieses Geheimniß, welches so vollständig zu unserer Kenntniß gelangt ist, daß wir, wie man sehen konnte, die Sache in allen ihren verborgensten Einzelheiten erzählt haben, welche Einzelheiten mit einem ebenso neuen, als unerwarteten Licht diesen ganzen Theil der Geschichte Englands, der bis jetzt von unsern Collegen, den Historikern, im Dunkeln gelassen worden ist, beleuchtet.
XXIV.
Sobald d’Artagnan seine Rechnungen geordnet und seine Vorschriften gegeben hatte, dachte er nur noch daran, so rasch als möglich nach Paris zurückzukehren. Athos drängte es, sein Haus wieder zu erreichen, um dort ein wenig auszuruhen. So unversehrt auch der Charakter und der Mensch geblieben sein mögen, so gewahrt doch der Reisende nach den Strapazen des Marsches mit Vergnügen am Ende des Tags, selbst wenn der Tag schön gewesen ist, daß die Nacht herannaht, die ihm den erquickenden Schlaf bringen wird. Ein wenig in ihre persönlichen Gedanken vertieft, sprachen die zwei Freunde, von Boulogne nach Paris nebeneinander reitend, von keinen Dingen, welche interessant genug waren, daß wir sie unsern Lesern mittheilen sollten: seinen Betrachtungen hingegeben und die Zukunft auf seine Weise aufbauend, war Jeder von ihnen hauptsächlich darauf bedacht, die Entfernung durch die Geschwindigkeit abzukürzen. Am Abend des vierten Tages nach ihrer Abreise von Boulogne kamen Athos und d’Artagnan vor den Barrieren von Paris an.
»Wohin geht Ihr, mein Freund?« fragte Athos. »Ich begebe mich unmittelbar nach meinem Hotel.«
»Und ich unmittelbar zu meinem Associe.«
»Zu Planchet?«
»Mein Gott, ja: zum goldenen Stößel.«
»Doch es versteht sich, daß wir uns wiedersehen?«
»Wenn Ihr in Paris bleibt, ja, denn ich bleibe.«
»Nein, nachdem ich Raoul umarmt, den ich zu mir in das Hotel beschieden, reise ich unmittelbar nach la Fère ab.«
»Gott befohlen also, theurer und vortrefflicher Freund.«
»Auf Wiedersehen vielmehr, denn ich weiß im Ganzen nicht, warum Ihr nicht bei mir in Blois wohnen solltet. Ihr seid nun frei. Ihr seid reich und ich werde Euch, wenn Ihr wollt, ein schönes Gut in der Gegend von Chiverny oder in der von Bracieur kaufen. Einerseits habt Ihr dann die schönsten Waldungen der Welt, welche an die von Chambord stoßen, andererseits herrliche Moorgründe. Ihr, der Ihr die Jagd liebt und mag es Euch lieb oder leid sein, Dichter seid, theurer Freund, Ihr werdet Fasanen, Kriechenten und Rallen finden, abgesehen von den Sonnenuntergängen und, Spazierfahrten im Nachen, daß Apollo und Nimrod darüber in Entzücken gerathen könnten. Bis Ihr einen Kauf gemacht habt, wohnt Ihr in la Fère, und wir gehen auf die Beize in den Weinbergen, wie es Ludwig der Dreizehnte gethan hat. Das ist ein vernünftiges Vergnügen für alte Leute wie wir sind.«
D’Artagnan nahm die Hände von Athos und erwiederte:
Theurer Graf, ich sage Euch weder ja noch nein. Laßt mich in Paris die Zeit zubringen, welche für mich durchaus nothwendig ist, um meine Geschäfte zu ordnen und mich allmälig an die sehr schwer lastende Idee zu gewöhnen, welche in meinem Gehirn schlägt und es blendet. Seht, ich bin reich, und bis ich mich an den Reichthum gewöhnt habe, werde ich, so wie ich mich kenne, ein unerträglicher Mensch sein. Ich bin aber noch nicht so dumm, daß es mir an Geist einem Freunde gegenüber, wie Ihr seid, fehlen würde. Das Kleid ist schön, das Kleid ist reich vergoldet, doch es ist neu und drückt mich an den Schultern.«
Athos lächelte.
»Es mag sein,« sagte er. »Doch was dieses Kleid betrifft, lieber d’Artagnan, wollt Ihr einen Rath von mir hören?«
»Oh! sehr gern.«
»Ihr werdet Euch nicht ärgern?«
»Geht doch!«
»Wenn Einem der Reichthum spät und plötzlich zukommt, so muß dieser Eine, um sich nicht zu verändern, geizig werden, nämlich nicht mehr Geld ausgeben, als er vorher hatte, oder ein Verschwender werden und so viel Schulden machen, daß er wieder arm wird.«
»Ah! was Ihr mir da sagt, gleicht ungemein einem Trugschluß, mein lieber Philosoph.«
»Ich glaube nicht. Wollt Ihr geizig werden?«
»Bei Gott, nein! Ich war es schon, als ich nichts hatte, und will mich ändern.«
»Also seid ein Verschwender.«
»Mordioux! noch weniger, die Schulden machen mir bange. Die Gläubiger kommen mir immer vor wie jene Teufel, welche die Verdammten auf dem Rost umdrehen, und da die Geduld nicht die bei mir vorherrschende Tugend ist, so bin ich stets versucht, die Teufel zu prügeln.«
»Ihr seid der vernünftigste Mensch, den ich kenne, und Ihr habt von Niemand einen Rath anzunehmen. Diejenigen, welche glauben würden, sie hätten Euch etwas zu lehren, wären Narren. Doch sind wir nicht in der Rue Saint-Honoré?«
»Ja, lieber Athos.«
»Seht, dort links, das lange weiße Häuschen ist das Hotel, wo ich meine Wohnung habe. Ihr werdet bemerken, daß es nur zwei Stockwerke hat. Das erste bewohne ich; das andere ist an einen Officier vermiethet, den sein Dienst acht bis neun Monate im Jahr entfernt hält, so daß ich, abgesehen von den Kosten, in diesem Hause bin, als ob ich bei mir wäre.«
»Oh! wie Ihr das gut einzurichten wißt, Athos! Welche Ordnung und welche Umsicht! das möchte ich in mir vereinigen. Doch was wollt Ihr, das ist angeboren und erwirbt sich nicht.«
»Schmeichler! . . . Nun aber Gott befohlen, lieber Freund. Vergeßt nicht, mich bei Planchet in’s Gedächtniß zurückzurufen! nicht wahr, es ist immer noch ein
Bursche von Geist?«
»Und von Herz, Athos. Gott befohlen!«
Sie trennten sich. Während dieses ganzen Gesprächs hatte d’Artagnan nicht eine Sekunde ein gewisses Packpferd, in dessen Körben, unter Heu, die Reisetaschen nebst dem Felleisen enthalten waren, aus dem Gesicht verloren. Es schlug neun Uhr auf Saint-Merri; die Ladendiener von Planchet schloßen eben die Bude. D’Artagnan ließ den Postknecht, der das Packpferd führte, an der Ecke der Rue des Lombards unter einem Wetterdach halten, rief einem Ladendiener von Planchet und übergab diesem nicht nur die zwei Pferde, sondern auch den Postknecht zur Bewachung; dann trat er bei dem Spezereihändler ein, der gerade sein Nachtessen beendigt hatte und mit einer gewissen Aengstlichkeit in seinem Kalender rechnete, in welchem er jeden Abend den abgelaufenen Tag durchstrich.
In dem Augenblick, wo Planchet, seiner Gewohnheit gemäß, mit der umgekehrten Feder den beendigten Tag seufzend durchstrich, stieß d’Artagnan mit dem Fuß auf die Thürschwelle, und dieser Stoß machte seinen eisernen Sporn klirren.
»Ah! mein Gott!« rief Planchet. Der würdige Spezereihändler konnte nicht mehr sagen; er hatte seinen Associe erschaut, d’Artagnan trat mit gekrümmtem Rücken und mit verdrießlichem Auge ein. Der Gascogner hatte seine Idee in Beziehung auf Planchet.
»Guter Gott! er ist traurig!« dachte der Spezereihändler, den Reisenden betrachtend.
Der Musketier setzte sich.
»Lieber Herr d’Artagnan!« sprach Planchet mit einem furchtbaren Herzklopfen, »endlich seid Ihr da! und wie steht es mit Eurer Gesundheit?«
»Ziemlich gut, Planchet, ziemlich gut,« antwortete d’Artagnan, einen Seufzer ausstoßend.
»Ihr seid hoffentlich nicht verwundet worden?«
»Bah!«
»Ah! ich sehe,« fuhr Planchet immer ängstlicher fort, »die Expedition ist eine anstrengende gewesen.«
»Ja,« machte d’Artagnan.
Ein Schauer durchlief den ganzen Leib von Planchet, »Ich würde gern trinken,« sagte der Musketier mit kläglicher Stimme, den Kopf erhebend.
Planchet lief selbst nach dein Schrank und schenkte d’Artagnan Wein in ein großes Glas ein. D’Artagnan schaute du Flasche an.
»Was für Wein ist das?« fragte er.
»Ach! es ist von dem, welchen Ihr besonders liebt, Herr,« erwiederte Planchet, »es ist der gute alte Anjou-Wein, der uns Alle beinahe eines Tags so theuer zu stehen gekommen wäre.«
Ah!« sagte d’Artagnan mit einem schwermüthigen Lächeln, »ah! mein armer Planchet, ich soll also noch guten Wein trinken!«
»Hört, mein lieber Herr,« sprach Planchet mit einer übermenschlichen Anstrengung, während das Zusammenziehen aller seiner Muskeln, seine Blässe und sein Zittern die tiefste Angst offenbarten; »hört, ich bin Soldat gewesen, und habe folglich Muth; laßt mich also nicht schmachten, lieber Herr d’Artagnan; nicht wahr, unser Geld ist verloren?«
D’Artagnan nahm sich, ehe er antwortete, eine Zeit, welche dem Spezereihändler wie ein Jahrhundert vorkam, Er hatte sich jedoch nur auf seinem Stuhl umgekehrt.
»Und wenn dies wäre,« erwiederte er langsam und indem er den Kopf von oben nach unten wiegte, »was würdest Du dazu sagen, mein armer Freund?«
Planchet wurde von bleich, wie er gewesen, völlig gelb. Es war, als hätte er seine Zunge verschlungen, so sehr schwoll seine Kehle an, so rötheten sich seine Augen.
»Zwanzigtausend Livres!« murmelte er, »zwanzigtausend Livres.«
Den Hals schlaff, die Beine ausgestreckt, die Hände träg, glich d’Artagnan einer Bildsäule der Entmuthigung. Planchet entriß den tiefsten Höhlen seiner Brust einen schmerzlichen Seufzer.
»Ah!« sagte er, »ich sehe, wie die Sache steht. Wir wollen Männer sein. Nicht wahr, es ist Doch Euer Leben ist gerettet, gnädiger Herr, und ist die Hauptsache.«
»Das Leben ist allerdings etwas, doch mittlerweile bin ich zu Grunde gerichtet.«
»Ah! Herr, wenn es auch so steht, so darf man darum doch noch nicht verzweifeln; Ihr verbindet Euch als Spezereihändler mit mir, ich mache Euch zu meinem Associe, wir theilen den Nutzen, und wenn es keinen Nutzen mehr gibt, nun, so theilen wir die Mandeln, die getrockneten Weinbeeren und die Pflaumen, und knaupeln mit einander das letzte Viertel holländischer Käse.«
D’Artagnan konnte nicht länger widerstehen.
»Mordioux!« rief er ganz bewegt, »Du bist ein braver Bursche, Planchet, bei meiner Ehre! Sprich, Hast Du nicht Komödie gespielt? Sprich, hast Du nicht dort unter dem Wetterdach das Pferd mit den Reisetaschen gesehen?«,
»Welches Pferd, welche Reisetaschen?« fragte Planchet, dem sich das Herz bei dem Gedanken, d’Artagnan würde ein Narr, zusammenschnürte.
»Ei! die englischen Reisetaschen!« rief d’Artagnan, ganz strahlend, ganz verklärt.
»Ah! mein Gott!« stammelte Planchet, vor dem blendenden Feuer seiner Blicke zurückweichend.
»Dummkopf! Du hältst mich für verrückt. Mordioux! mein Kopf ist im Gegentheil nie gesünder, mein Herz nie freudiger gewesen. Zu den Reisetaschen, Planchet, zu den Reisetaschen!«
»Mein Gott! zu welchen Reisetaschen?«
D’Artagnan schob Planchet nach dem Fenster und fragte:
»Siehst Du dort unter dem Wetterdach ein Pferd?«
»Ja.«
»Siehst Du, wie sein Rücken beschwert ist?«
»Ja, ja.«
»Siehst Du, wie einer von Deinen Ladendienern mit dem Postknecht plaudert?«
»Ja, ja, ja!«
»Nun! Du weißt den Namen dieses Burschen, da er in Deinem Dienst ist. Rufe ihn.«
»Abdon! Abdon!« schrie Planchet aus dem Fenster.
»Führe das Pferd hierher!« rief d’Artagnan.
»Führe das Pferd hierher!« brüllte Planchet.
»Nun zehn Livres dem Postknecht,« sagte d’Artagnan mit einem Ton, als ob er ein Manoeuvre befehligte; »zwei Diener, um die zwei ersten Taschen herauszutragen, zwei für die zwei letzten, und Feuer, Mordioux! Thätigkeit!«
Planchet stürzte nach den Stufen, als ob ihn der Teufel in die Beine gebissen hätte.
Einen Augenblick nachher stiegen die Ladendiener, sich unter ihrer Bürde biegend, die Treppe herauf. D’Artagnan schickte sie in ihre Dachstube zurück, verschloß sorgfältig die Thüre, wandte sich an Planchet, der seinerseits beinahe verrückt wurde, und sagte:
»Nun ist es an uns Beiden.«
Und er breitete eine große Decke auf dem Boden aus und leerte die erste Reisetasche darauf. Planchet that dasselbe mit der zweiten; dann schnitt d’Artagnan die dritte mit dem Messer auf. Als Planchet das lockende Geräusch von Silber und Gold hörte, als er aus dem Sack die glänzenden Thaler springen sah, welche hüpften und zuckten wie die Fische außerhalb des Wurfnetzes, als er sich bis an die Wade in die immer mehr steigende Fluth von gelben und weißen Stücken getaucht sah, ergriff ihn der Schwindel, er drehte sich um sich selbst wie ein vom Blitz getroffener Mensch, und sank schwerfällig auf den ungeheuren Haufen nieder, den sein Gewicht mit einem unbeschreiblichen Getöse zusammenbrechen machte.
Gleichsam erstickt durch die Freude, hatte Planchet das Bewußtsein verloren. D’Artagnan goß ihm ein Glas weißen Wein in’s Gesicht, was ihn sogleich wieder zum Leben zurückrief.
»Ah! mein Gott! ah! mein Gott! ah! mein Gott!« rief Planchet, seinen Schnurrbart und seinen Kinnbart abwischend.
In jener Zeit, wie in unseren Tagen, trugen die Spezereihändler einen ritterlichen Schnurrbart und den Kinnbart eines Landsknechts; nur sind die Silberbäder, welche in jener Zeit schon sehr selten waren, heut zu Tage völlig unbekannt geworden.
»Mordioux!« sagte d’Artagnan, »hier sind hunderttausend Livres für Euch, meinen Associs. Streiche Deinen Gewinn ein, wenn es Dir beliebt, ich will den meinigen einstreichen.«
»Oh! welch eine schöne Summe, Herr d’Artagnan, welch eine schöne Summe!«
»Vor einer halben Stunde bedauerte ich es ein wenig, daß diese schöne Summe Dir zukomme, aber nun bedaure ich es nicht mehr, und Du bist ein braver Krämer, Planchet. Doch machen wir nun gute Rechnung, da gute Rechnungen, wie man sagt, gute Freunde machen.«
»Oh! erzählt mir vor Allem die ganze Geschichte; das muß noch schöner sein, als das Geld.«
»Meiner Treue,« sprach d’Artagnan, seinen Schnurrbart streichelnd, »ich sage nicht nein, und denkt je ein Geschichtschreiber an mich, um es aufzuzeichnen, so kann er wohl behaupten, er habe an keiner schlechten Quelle geschöpft. Höre also, Planchet, ich will Dir erzählen.«
»Und ich will Stöße machen, fangt an, mein lieber Herr.«
»Nun also,« sprach d’Artagnan, Athem holend. »Nun also,«, sagte Planchet, die erste Hand voll Thaler zusammenraffend.
XXV.
In einem großen Zimmer des Palais-Royal, das mit dunkelfarbigem Sammet ausgeschlagen und mit einer großen Anzahl herrlicher Gemälde in goldenen Rahmen geschmückt war, sah man am Abend der Ankunft unserer zwei Franzosen den ganzen Hof vor dem Alkoven des Herrn Cardinal von Mazarin versammelt, der dem König und der Königin eine Spielpartie gab.
Ein kleiner Windschirm trennte die drei Tische, welche im Zimmer standen. An einem dieser Tische saßen der König und die zwei Königinnen. Ludwig XlV., der seinen Platz der jungen Königin, seiner Gemahlin, gegenüber hatte, lächelte dieser mit einem Ausdruck wahren Glückes zu. Anna von Oesterreich hielt die Karten gegen den Cardinal, und ihre Schwiegertochter half ihr beim Spiel, wenn sie nicht ihrem Gemahl zulächelte. Der Cardinal, der mit einem sehr abgemagerten, sehr angegriffenen Gesicht im Bette lag, ließ sich sein Spiel von der Gräfin Soissons halten und schaute unabläßig mit einem Blick voll Interesse und Habgier darein.
Der Cardinal hatte sich von Bernouin schminken lassen; doch das Roth, das an den Backenknochen allein glänzte, hob nur um so mehr die Blässe des übrigen Gesichts und das schimmernde Gelb der Stirne hervor. Nur die Augen hatten ein lebhafteres Feuer und auf diese Augen des Kranken hefteten sich von Zeit zu Zeit die unruhigen Blicke des Königs, der Königinnen und der Höflinge.
Es ist wahr, die zwei Augen von Signor Mazarini waren die mehr oder minder glänzenden Sterne, in welchen Frankreich im siebenzehnten Jahrhundert jeden Abend und jeden Morgen sein Geschick las.
Monseigneur gewann nicht und verlor nicht, er zeigte sich weder heiter noch traurig. Dies war eine Verdumpfung, in der ihn Anna von Oesterreich, voll Mitleid für seinen Zustand, nicht gern gelassen haben würde: doch um die Aufmerksamkeit des Kranken durch irgend einen Schlag zu erregen, hätte sie gewinnen oder verlieren müssen. Gewinnen war gefährlich, weil Mazarin seine Gleichgültigkeit in eine häßliche Grimasse verwandelt haben würde; verlieren war auch gefährlich, weil sie hätte betrügen müssen, und die Infantin, welche über dem Spiele ihrer Schwiegermutter wachte, ohne Zweifel über ihre Begünstigung des Cardinals geschrieen haben würde.
Diese Ruhe benützend, plauderten die Höflinge. Hatte Herr von Mazarin nicht gerade eine schlechte Laune, so war er ein gutmüthiger Fürst, und er, der Niemand zu singen hinderte, wenn man nur bezahlte, war nicht genug Tyrann, um Jemand am Sprechen zu hindern, wenn man nur zu verlieren sich entschloß.
Man plauderte also. Am ersten Tisch beschaute der junge Bruder des Königs, Philipp Herzog von Anjou sein hübsches Gesicht in dem Spiegel eines Kistchens. Sein Günstling, der Chevalier von Lorraine, horchte, auf den Lehnstuhl des Prinzen gestützt, mit geheimem Neid auf den Grafen von Guiche, einen anderen Günstling von Philipp, der in gewählten Worten die verschiedenen Wechselfälle im Schicksal des abenteuerlichen Königs Karl II. erzählte. Er sprach wie von fabelhaften Ereignissen von der Geschichte seiner Wanderungen in Schottland und von seinen Schrecknissen, als die feindlichen Parteien seine Fährte verfolgten, von den Nächten, die er auf Bäumen, von den Tagen, die er im Hunger und im Kampfe zubrachte. Allmälig, interessirte das Geschick des unglücklichen Königs die Zuhörer so sehr, daß das Spiel, selbst am königlichen Tisch, erlahmte, und daß der junge König nachdenkend, mit irrem Blick, ohne daß er der Sache Aufmerksamkeit zu schenken schien, der von dem Grasen von Guiche sehr malerisch vorgetragenen Odyssee in allen ihren Einzelheiten folgte.
Die Gräfin von Soissons unterbrach den Erzähler und sagte:
»Gesteht, Graf, Ihr schmückt aus.«
»Madame, ich erzähle wie ein Papagei alle die Geschichten, die mir von verschiedenen Engländern erzählt worden sind. Ich muß sogar zu meiner Schande sagen, daß ich wortgetreu bin wie eine Abschrift.«
»Karl II. wäre gestorben, wenn er dies Alles hätte aushalten müssen.«
Ludwig XIV. erhob seinen gescheiten, stolzen Kopf und sprach mit einer Stimme, welche noch vom schüchternen Kinde zeugte:
»Madame, der Herr Cardinal wird Euch sagen, daß zur Zeit meiner Minderjährigkeit die Sache Frankreichs auf dem Spiel stand, und daß ich, wenn ich größer und das Schwert zu ergreifen genöthigt gewesen wäre, dies zuweilen hätte thun müssen, um ein Abendbrot, zu gewinnen.«
»Gott sei Dank,« entgegnete der Cardinal, der zum ersten Mal sprach, »Eure Majestät übertreibt, denn, ihr Abendbrod war jedes mal pünktlich mit dem ihrer Bedienten gekocht.«
Der König erröthete.
»Oh!« rief Philipp unbesonnener Weise von seinem Platze aus, ohne daß er sich zu spiegeln aufhörte, »ich erinnere mich, daß einmal in Melun dieses Abendbrod für Niemand bereitet war, und daß der König zwei Drittel von einem Stück Brod aß, von dem er mir das andere Drittel überließ.«
Die ganze Gesellschaft, als sie Mazarin lachen sah, brach in ein Gelächter aus. Man schmeichelt den Königen durch die Erinnerung an ein vergangenes Mißgeschick, wie durch die Hoffnung auf ein zukünftiges Glück.
»Immerhin ist so viel gewiß, daß die Krone Frankreichs gut auf dem Haupte der Könige gehalten hat, während sie von dem des Königs von England gefallen ist.« fügte Anna von Oesterreich schleunigst bei; »und wenn zufällig diese Krone ein wenig wankte, denn es gibt zuweilen Thronbeben, wie es Erdbeben gibt, so stellte jedesmal, so oft die Empörung drohte, ein guter Sieg die Ruhe wieder her.«
»Mit einigen Kleinodien mehr bei der Krone,« sagte Mazarin.
Der Graf von Guiche schwieg; der König gab seinem Gesicht eine gewisse Haltung, und Mazarin wechselte mit Anna von Oesterreich einen Blick, als wollte er ihr für ihre Erfindung danken.
»Gleichviel,« sagte Philipp, seine Haare glättend, »mein Vetter Karl ist nicht schön, aber er ist sehr tapfer, er hat sich geschlagen wie ein Reitersknecht, und wenn er fortfährt, sich so zu schlagen, so wird er ohne Zweifel am Ende eine Schlacht wie . . . Rocroy gewinnen.«
»Er hat keine Soldaten,« unterbrach ihn Herr von Lorraine.
»Der Stadhouder von Holland, sein Verbündeter, wird ihm geben. Ich hätte ihm auch gegeben, wenn ich König von Frankreich gewesen wäre.«
Ludwig XIV. erröthete über die Maßen.
Mazarin stellte sich, als schaute er aufmerksamer als je sein Spiel an.
»Zu dieser Stunde,« sprach der Graf von Guiche, »ist das Geschick des unglücklichen Prinzen schon in Erfüllung gegangen. Hat ihn Monk getäuscht, so ist er verloren. Das Gefängnis, der Tod vielleicht werden beendigen, was die Verbannung, die Schlachten und die Entbehrungen angefangen hatten.«
Mazarin faltete die Stirne.
»Ist es ganz sicher, daß Seine Majestät König Karl II. das Haag verlassen hat?« fragte Ludwig XIV.
»Ganz sicher, Eure Majestät,« antwortete der Graf von Guiche. »Mein Vater hat einen Brief erhalten, in welchem ihm die einzelnen Umstände mitgetheilt werden: man weiß sogar, daß, der König in Dover gelandet ist, Fischer haben ihn in den Hafen einlaufen sehen; das Uebrige ist noch Geheimniß.«
»Ich möchte das Uebrige wohl wissen,« sprach ungestüm Philipp. »Ihr wißt es, mein Bruder.«
Ludwig XIV. erröthete abermals. Das war das dritte Mal seit einer Stunde.
»Fragt den Herrn Cardinal,« erwiederte er mit einem Ton, der Mazarin, Anna von Oesterreich und alle Welt die Augen aufschlagen machte.
»Dies will besagen, mein Sohn,« rief Anna von Oesterreich lachend, »der König liebe es nicht, daß man von Staatsangelegenheiten außerhalb des Rathes spreche.«
Philipp nahm gutwillig den Verweis hin und machte lächelnd eine tiefe Verbeugung zuerst vor dem König und dann vor seiner Mutter.
Doch Mazarin gewahrte aus dem Augenwinkel, daß sich eine Gruppe in einer Ecke des Gemaches bildete, und daß der Herzog von Orleans mit dem Grafen von Guiche und dem Chevalier von Lorraine, die sich nicht mehr laut aussprechen durften, leise wohl mehr sagen könnten, als nothwendig war. Er fing daher an, ihnen Blicke von Mißtrauen und Aengstlichkeit zuzuschleudern, und forderte zugleich Anna von Oesterreich auf, die Besprechung auf irgend eine Weise zu stören, als plötzlich Bernouin unter dem Vorhang im Bettgang des Cardinals erschien und seinem Herrn ins Ohr sagte:
»Monseigneur, ein Abgesandter Seiner Majestät des Königs von England.«
Mazarin konnte eine leichte Bewegung nicht verbergen, die der König gleichsam im Flug auffaßte. Weniger um eine Indiscretion zu vermeiden, als um nicht unnütz zu erscheinen, stand Ludwig XIV. sogleich auf, näherte sich Seiner Eminenz und wünschte ihr eine gute Nacht.
Die ganze Versammlung erhob sich mit einem gewaltigen Geräusch von rollenden Stühlen und zurückgeschobenen Tischen.
»Laßt allmälig die ganze Gesellschaft weggehen,« sagte Mazarin leise zu Ludwig XIV., »und wollt mir sodann einige Minuten bewilligen. Ich mache eine Angelegenheit ab, über die ich noch diesen Abend mit Eurer Majestät zu sprechen wünschte.«
»Und die Königinnen?« fragte Ludwig XIV.
»Und der Herr Herzog von Anjou,« sagte Seine Eminenz.
Zu gleicher Zeit drehte er sich nach dem Bettgang, dessen Vorhänge rasch herabfielen. Der Cardinal hatte jedoch seine Verschwörer nicht aus dem Blick verloren.
»Herr Graf von Guiche,« sagte er mit schetternder Stimme, während er hinter dem Vorhang den Schlafrock anzog, den ihm Bernouin reichte.
»Hier, Monseigneur,« antwortete der junge Mann sich nähernd.
»Nehmt meine Karten, Ihr habt Glück . . . Gewinnt mir ein wenig das Geld von diesen Herren.«
»Ja, Monseigneur.«
Der junge Mann setzte sich an den Tisch, von dem sich der König entfernte, um mit den Königinnen zu sprechen.
Es begann eine ziemlich ernste Partie zwischen dem Grafen und mehreren reichen Höflingen.
Philipp plauderte indessen über Putzsachen mit dem Chevalier von Lorraine, und man hörte hinter den Vorhängen des Alkoven das Rauschen des seidenen Schlafrocks von Mazarin nicht mehr.
Seine Eminenz war Bernouin in das an das Schlafzimmer stoßende Cabinet gefolgt.
XXVI.
Als der Cardinal in sein Cabinet kam, fand er den Grafen de la Fère, der, seiner harrend, voll Bewunderung einen sehr schönen Raphael betrachtete, welcher über einem mit goldenem Geschirr beladenen Credenztisch hing.
Seine Eminenz kam sachte, leicht und schweigsam wie ein Schatten, um gleichsam die Physiognomie des Grasen zu überrumpeln, wie er es zu thun pflegte, denn er errieth seiner Behauptung nach aus der einfachen Beschauung des Gesichtes eines Sprechenden, was das Resultat der Unterredung sein würde.
Doch diesmal täuschte sich Mazarin in seiner Erwartung. Er las durchaus nichts im Gesicht von Athos, nicht einmal die Ehrfurcht, die er in andern Gesichtern zu lesen gewohnt war.
Diese Nuance entging der schlauen Eminenz nicht. Mazarin war zu sehr mit den Menschen vertraut, um nicht in der kalten, beinahe hochmüthigen Höflichkeit von Athos ein Anzeichen von Feindseligkeit zu erblicken, was nicht die gewöhnliche Temperatur des Treibhauses war, das man den Hof nennt.
Athos war schwarz mit einer einfachen silbernen Stickerei gekleidet. Er trug den heiligen Geist, das Hosenband und das goldene Vließ, drei Orden von solcher Bedeutung, daß nur ein König allein oder ein Schauspieler sie vereinigen konnte.
Mazarin suchte lange in seinem etwas gestörten Gedächtniß, um den Namen zu finden, den er diesem eisigen Gesicht geben sollte, doch es gelang ihm nicht.
»Ich habe gewußt, es würde mir eine Botschaft von England zukommen,« sprach er endlich.
Und er setzte sich und entließ Bernouin und Brienne, der als Secretaire die Feder zu fuhren bereit war.
»Von Seiner Majestät dem König von England, ja, Eure Eminenz.«
»Ihr sprecht das Französische sehr rein für einen Engländer, mein Herr,« sagte Mazarin freundlich, während er beständig durch seine Finger den Orden vom heiligen Geist, das Hosenband, das goldene Vließ und besonders das Gesicht des Boten betrachtete.
»Ich bin kein Engländer, sondern ein Franzose, Herr Cardinal,« erwiederte Athos.
»Es ist eigenthümlich, daß der König von England Franzosen zu seinen Botschaftern wählt, und ich betrachte dies als ein gutes Vorzeichen . . . Wollt mir Euren Namen sagen, mein Herr.«
»Graf de la Fère,« antwortete Athos, sich weniger verbeugend, als es das Ceremoniel und der Stolz des allmächtigen Ministers heischten.
Mazarin bewegte leicht die Achseln, als wollte er sagen: »Ich kenne diesen Namen nicht.«
Athos verzog keine Miene.
»Und Ihr kommt, um mir zu eröffnen, mein Herr . . . « fuhr Mazarin fort.
»Ich kam im Auftrag Seiner Majestät des Königs von Großbritannien, um dem König von Frankreich zu verkündigen . . . «
Mazarin faltete die Stirne.
»Um dem König von Frankreich zu verkündigen. Seine Majestät König Karl II. habe glücklich den Thron seiner Väter wieder bestiegen.«
»Ihr habt ohne Zweifel Vollmachten?« fragte Mazarin mit kurzem, zänkischem Ton.
»Ja . . . Monseigneur.«
Dieses Wort Monseigneur kam mühsam über die Lippen von Athos; es war, als preßte er es zu sehr zusammen.
Athos zog aus einer Tasche von gesticktem Sammet, die er unter seinem Wamms trug, eine Depeche.
Der Cardinal streckte die Hand aus.
»Verzeiht, Monseigneur,« entgegnete Athos, »meine Depeche ist für den König.«
»Da Ihr Franzose seid, mein Herr, müßt Ihr wissen, was ein erster Minister am Hof von Frankreich bedeutet.«
»Es gab eine Zeit, wo ich mich in der That mit dem, was die ersten Minister bedeuten, beschäftigte! doch ich habe schon vor mehreren Jahren den Beschluß gefaßt, nur noch mit dem König zu verhandeln.«
»Dann werdet Ihr weder den Minister, noch den König sehen,« sagte Mazarin, der ärgerlich zu werden anfing, und stand auf.
Athos schob seine Depeche wieder in die Tasche, verbeugte sich ernst und machte einige Schritte nach der Thüre. Diese Kaltblütigkeit brachte Mazarin außer sich.
»Was für ein sonderbares diplomatisches Verfahren!« rief er; »sind wir noch in der Zeit, wo uns Herr Cromwell Kriegsknechte in Form von Geschäftsträgern schickte? Es fehlt Euch nichts, mein Herr, als die Pickelhaube auf dem Kopf und die Bibel am Gürtel.«
»Mein Herr,« erwiederte Athos trocken, »ich habe nie wie Ihr Gelegenheit gehabt, mit Herrn Cromwell zu verhandeln, und ich habe seine Geschäftsträger nur mit dem Schwert in der Hand gesehen; ich weiß folglich nicht, wie sie mit ersten Ministern verhandelten. Was aber den König von England Karl II. betrifft, so weiß ich, daß, wenn er an Seine Majestät König Ludwig XIV. schreibt, der Brief nicht an Seine Eminenz den Cardinal Mazarin gerichtet ist; in dieser Unterscheidung sehe ich keine Diplomatie.«
»Ah!« rief Mazarin, indem er sein abgemagertes Haupt erhob und mit der Hand an den Kopf schlug, »ich erinnere mich nun.«
Athos schaute ihn erstaunt an.
»Ja, so ist es!« sagte der Cardinal, beständig den Grafen anschauend; »ja, so ist es . . . ich erkenne Euch, mein Herr; ah! diavolo! ich wundere mich nicht mehr.«
»In der That, ich wunderte mich, daß mich Eure Eminenz mit ihrem vortrefflichen Gedächtniß nicht erkannte,« erwiederte Athos lächelnd.
»Immer widerhakig, immer mürrisch, mein Herr; wie nannte man Euch doch? wartet . . . ein Flußname . . . Potamos . . . nein . . . der Name einer Insel… Naxos . . . nein, per Jove! der Name eines Berges . . . Athos! ich habe es! Entzückt, Euch wiederzusehen und nicht mehr in Nueil zu sein, wo Ihr mich mit Euren verdammten Genossen Lösegeld bezahlen ließet . . . Fronde! stets Fronde! verfluchte Fronde! Oh! welch ein Sauerteig! Ah! mein Herr, warum haben Eure Antipathien die meinigen überlebt? Wenn Jemand sich zu beklagen hatte, so waret Ihr es nicht, der Ihr aus dieser Sache nicht nur ganz unversehrt, sondern auch mit dem Orden des heiligen Geistes am Hals hervorgegangen seid.«
»Herr Cardinal,« entgegnete Athos, »erlaubt mir, nicht in Betrachtungen dieser Art einzugehen. Ich habe eine Sendung zu vollbringen, . . werdet Ihr mich in den Mitteln, diese Sendung zum Ziele zu führen, erleichtern?«
»Ich wundere mich,« sprach Mazarin, ganz freudig, das Gedächtniß wieder gefunden zu haben, und ganz mit boshaften Stacheln besetzt, »ich wundere mich, Herr Athos . . . daß ein Frondeur, wie Ihr, eine Sendung zum Mazarin, wie man in der guten Zeit sagte, angenommen hat.«
Hierbei brach Mazarin in ein Gelächter aus, obschon ein schmerzlicher Husten seine Sätze durchschnitt und gleichsam in ein Schluchzen verwandelte.
»Ich habe nur eine Sendung an den König von Frankreich angenommen, Herr Cardinal,« entgegnete der Graf, jedoch mit weniger Schärfe, denn er glaubte genug Vortheile zu haben, um sich gemäßigt zeigen zu können.
»Immerhin, mein Herr Frondeur,« sagte Mazarin heiter, »immerhin wird vom König die Angelegenheit, mit der Ihr Euch beauftragt habt . . . «
»Mit der man mich beauftragt hat, Monseigneur; ich laufe den Aufträgen nicht nach.«
»Es mag sein; immerhin, sage ich, wird die Unterhandlung ein wenig durch meine Hände gehen . . . Verlieren wir also nicht eine kostbare Zeit . . . sagt mir die Bedingungen.«
»Ich habe die Ehre gehabt. Eure Eminenz zu versichern, nur der Brief von Seiner Majestät dem König Karl II. enthalte die Eröffnung seines Wunsches.«
»Hört! Ihr seid lächerlich mit Eurer Starrheit, Herr Athos . . . man sieht, daß Ihr Euch dort mit den Puritanern umhergetrieben . . . Euer Geheimnis weiß ich besser als Ihr, und Ihr habt vielleicht Unrecht gehabt, nicht einigermaßen einen sehr alten und sehr leidenden Mann zu berücksichtigen, der viel in seinem Leben gearbeitet und muthig das Feld für seine Ideen behauptet hat, wie Ihr für die Eurigen . . . Ihr wollt nichts sagen? gut; Ihr wollt mir Euren Brief nicht mittheilen? . . . vortrefflich; kommt mit mir in mein Zimmer, Ihr sollt mit dem König . . . und vor dem König sprechen . . . Nun noch ein letztes Wort: wer hat Euch das goldene Vließ gegeben? Ich erinnere mich, daß man sagte, Ihr habet das Hosenband, doch was das goldene Vließ betrifft, davon wußte ich nichts.«
»Kürzlich, Monseigneur, hat Spanien bei Gelegenheit der Verheirathung Seiner Majestät des Königs Ludwig XIV. König Karl II. ein Patent vom goldenen Vließ mit weißem Raum für den Namen überschickt; Karl II. übertrug den Orden mir und füllte das Weiße mit meinem Namen aus.«
Mazarin stand auf und kehrte, sich auf den Arm von Bernouin stützend, in seinen Bettgang im Augenblick zurück, wo man im Zimmer: der Herr Prinz! meldete. Der Prinz von Condé, der erste Prinz von Geblüt, der Sieger von Rocroy, Lens und Nördlingen, trat in der That bei Monsignor Mazarin, gefolgt von seinen Cavalieren, ein, und schon begrüßte er den König, als der erste Minister seinen Vorhang aufhob.
Athos hatte Zeit, Raoul zu erblicken, der dem Grafen von Guiche die Hand drückte und ein Lächeln gegen seinen ehrfurchtsvollen Gruß austauschte.
Er hatte auch Zeit, das strahlende Gesicht des Cardinals wahrzunehmen, als dieser vor sich auf dem Tisch eine ungeheure Masse Goldes sah, die der Graf von Guiche durch eine glückliche Hand, seitdem ihm Seine Eminenz die Karten anvertraut, gewonnen hatte. Botschafter, Botschaft und Prinzen vergessend, dachte er zuerst auch nur an das Gold.
»Wie!« rief der Greis; »dies Alles ist Gewinn?«
»Ungefähr fünfzigtausend Thaler, ja, Monseigneur,« erwiederte der Graf von Guiche aufstehend. »Soll ich nun Eurer Eminenz den Platz zurückgeben oder fortfahren?«
»Zurückgeben, zurückgeben! Ihr seid ein Narr, Ihr würdet Alles wieder verlieren, was Ihr gewonnen habt.«
»Monseigneur,« sagte der Prinz sich verbeugend.
»Guten Abend, Herr Prinz,« sprach der Minister mit leichtem Ton; »es ist sehr liebenswürdig von Euch, daß Ihr einen kranken Freund besucht.«
»Ein Freund!« murmelte der Graf de la Fère, ganz erstaunt, als er diese ungeheuerliche Verbindung in dem Wort: Freund! wahrnahm, da es sich um Mazarin und Condé handelte.
Mazarin errieth den Gedanken des Frondeur, denn er lächelte ihm triumphirend zu und sagte sogleich zum König:
»Sire, ich habe die Ehre, Eurer Majestät den Herrn Grafen de la Fère, Botschafter Seiner britischen Majestät, vorzustellen . . . Staatsangelegenheit, meine Herren!« fügte er bei, indem er mit der Hand alle diejenigen verabschiedete, welche im Zimmer versammelt waren, und diese Leute verschwanden auch wirklich, den Prinzen von Condé an ihrer Spitze, einzig und allein auf die Geberde von Mazarin.
Raoul folgte Herrn von Condé, nachdem er dem Grafen de lagere einen letzten Blick zugeworfen hatte.
Philipp von Anjou und die Königinnen schienen sich zu berathen, ob sie weggehen sollten.
»Familienangelegenheit!« sagte rasch Mazarin, Beide auf ihren Sitzen zurückhaltend. »Dieser Herr hier überbringt dem König einen Brief, durch welchen Karl II., völlig wieder in sein Reich eingesetzt, eine Verbindung zwischen Monsieur, dem Bruder des Königs, und Mademoiselle Henriette, der Enkelin von Heinrich IV., vorschlägt . . . Wollt dem König Euer Beglaubigungsschreiben übergeben, Herr Graf?«
Athos war einen Augenblick verblüfft. Wie konnte der Minister den Inhalt eines Briefes wissen, der nicht eine Minute von ihm gekommen war? Jedoch stets Herr über sich, reichte er die Depeche dem jungen König Ludwig XIV., der sie erröthend aus seinen Händen nahm. Ein feierliches Stillschweigen herrschte im Gemache des Cardinals. Es wurde nur gestört durch das matte Geräusch des Goldes, das Mazarin, während der König las, mit seiner gelben, vertrockneten Hand in ein Kistchen aufhäufte.
Siebentes bis Zehntes Bändchen
I.
Die Bosheit des Cardinals ließ dem Botschafter nicht viele Dinge zu sagen übrig; doch das Wort: wiedereingesetzt, war dem König aufgefallen, und sich an den Grafen wendend, auf den er seine Augen seit seinem Eintritt geheftet hielt, sprach Ludwig XIV.:
»Mein Herr, wollt uns etwas Genaueres über die Lage der Dinge in England mittheilen. Ihr kommt von diesem Land, Ihr seid Franzose, und die Orden, die ich auf Eurer Brust glänzen sehe, verkündigen mir einen Mann von Verdienst, und zugleich einen Mann von Rang.«
»Dieser Herr,« sagte der Cardinal, sich an die Königin Mutter wendend, »dieser Herr ist ein ehemaliger Diener Eurer Majestät, der Herr Graf de la Fère.«
Anna von Oesterreich war vergeßlich wie eine Königin, deren Leben von Stürmen und schönen Tagen gemischt. Sie schaute Mazarin an, dessen schlimmes Lächeln ihr irgend eine kleine Tücke verhieß. Dann forderte sie von Athos durch einen andern Blick eine Erklärung.
Der Cardinal fuhr fort:
»Der Herr war ein Musketier von Treville, im Dienst des seligen Königs . . . Der Herr kennt vollkommen England, wohin er mehrere Reisen zu verschiedenen Zeiten gemacht hat: er ist ein Unterthan von dem höchsten Verdienst.«
Diese Worte waren eine Anspielung auf alle die Erinnerungen, welche Anna von Oesterreich hervorzurufen stets zitterte. England war ihr Haß gegen Richelieu, ihre Liebe für Buckingham; ein Musketier von Treville war die ganze Odyssee der Triumphe, welche das Herz der jungen Frau schlagen gemacht, und der Gefahren, die den Thron der jungen Königin halb entwurzelt hatten.
Diese Worte übten eine große Gewalt aus, denn sie machten stumm und aufmerksam alle die königlichen Personen, die mit sehr verschiedenartigen Gefühlen die geheimnißvollen Jahre, welche die Jungen nicht erschaut, welche die Alten für immer verwischt geglaubt hatten, wieder auftauchen sahen.
»Sprecht, mein Herr,« sagte Ludwig XIV., der sich zuerst von der Unruhe, vom Argwohn und den Erinnerungen erholte.
»Ja, sprecht,« fügte Mazarin bei, dem die kleine Bosheit, welche er an Anna von Oesterreich verübt, seine Energie und seine Heiterkeit wieder verliehen.
»Sire,« sprach der Graf, »eine Art von Wunder hat das ganze Schicksal von König Karl II. geändert. Was die Menschen bis dahin nicht hatten thun können, beschloß Gott, zu vollführen.«
Mazarin hustete und bewegte sich unruhig in seinem Bett.
»Der König Karl,« fuhr Athos fort, »hat das Haag nicht mehr als Flüchtling, sondern als unumschränkter König verlassen, der nach einer Reise, fern von seinem Reich, unter allgemeinen Segnungen dahin zurückkehrt.«
»In der That, ein großes Wunder,« sagte Mazarin, »denn wenn die Nachrichten wahr gewesen sind, so hatte König Karl II., der unter Segnungen zurückgekehrt ist, sein Land unter Musketenschüssen verlassen.«
Der König blieb unempfindlich.
Jünger und leichtfertiger, vermochte sich Philipp eines Lächelns nicht zu erwehren, das Mazarin wie ein seinem Scherze gespendeter Beifall schmeichelte.
»In der That,« sprach der König, »es hat ein Wunder obgewaltet; doch Gott, der so viel für die Könige thut, Herr Graf, wendet die Hand der Menschen an, um seinen Plänen den Sieg zu verleihen. Welchen Menschen hat Karl II. hauptsächlich seine Wiedereinsetzung zu verdanken.
»Ah!« unterbrach der Cardinal ohne die geringste Rücksicht auf die Eitelkeit des Königs, »weiß Eure Majestät nicht, daß er sie Herrn Monk zu verdanken hat?«
»Ich muß es wissen,« erwiederte entschlossen Ludwig XIV.; »doch ich frage den Herrn Botschafter nach der Ursache der Veränderung dieses Herrn Monk.«
»Eure Majestät berührt hierdurch gerade die Hauptsache,« erwiederte Athos, »denn ohne das Wunder, von dem ich zu sprechen die Ehre gehabt, wäre Herr Monk ohne Zweifel der unbesiegbare Feind von König Karl II. geblieben. Gott wollte, daß eine seltsame, kühne, sinnreiche Idee in den Geist eines gewissen Mannes fiel, während eine ergebene, muthige Idee in den Geist eines gewissen Andern fiel. Das Zusammenwirken dieser zwei Ideen führte eine solche Veränderung in der Lage von Monk herbei, daß er von einem erbitterten Feind ein Freund für den entfernten König wurde.«
»Das ist gerade der Umstand, den ich wissen wollte, sagte der König . . . Wer sind die zwei Männer, von denen Ihr sprecht?«
»Zwei Franzosen, Sire.«
»In der That, das macht mich glücklich.«
»Und die zwei Ideen?« rief Mazarin; »ich bin begieriger auf die Ideen, als auf die Menschen.«
»Ja,« murmelte der König.
»Die zweite, die ergebene, die vernünftige Idee, die minder wichtige Idee, Sire, war, eine Million in Gold, welche König Karl l. in Newcastle vergraben hatte, dort zu holen und mit diesem Gold die Mitwirkung von Monk zu erkaufen.«
»Oho!« machte Mazarin, wiederbelebt bei dem Wort Million, »aber Newcastle war gerade von diesem Monk besetzt.«
»3a, Herr Cardinal, deshalb wagte ich es, die Idee zugleich muthig und ergeben zu nennen. Es war also die Aufgabe, wenn Monk die Anerbietungen des Unterhändlers ausschlug, König Karl II. das Eigenthum dieser Million wieder zu verschaffen, die man der Loyalität von General Monk entreißen mußte . . . Dies geschah trotz einiger Schwierigkeiten, der General war loyal und ließ die Million fortnehmen.«
»Mir scheint,« sagte der König träumerisch und schüchtern, »mir scheint, Karl II. hatte während seines Aufenthalts in Paris keine Kenntniß von dieser Million.«
»Mir scheint,« fügte der Cardinal höhnisch bei, »Seine Majestät der König von Großbritannien war vollkommen vom Vorhandensein dieser Million unterrichtet, doch Seine Majestät zog zwei Millionen einer einzigen vor.«
»Sire,« erwiederte Athos mit Festigkeit, »Seine Majestät König Karl II, war in Frankreich so arm, daß er kein Geld mehr hatte, um die Post zu nehmen, so aller Hoffnungen baar, daß er wiederholt nur an das Sterben dachte. Das Vorhandensein der Million in Newcastle war ihm so unbekannt, daß ohne einen Edelmann, einen Unterthanen Eurer Majestät, bei dem diese Million moralisch niedergelegt war, und der das Geheimniß Karl II. offenbarte, dieser Prinz noch in einer grausamen Vergessenheit vegetiren würde.«
»Gehen wir zu der sinnreichen, seltsamen, kühnen Idee über,« sagte Mazarin, dessen Scharfsinn einen Schlag ahnte. »Was für eine Idee war dies?«
»Hört . . . Da Herr Monk allein der Wiedereinsetzung des entthronten Königs sich entgegenstellte, so kam ein Franzose auf den Gedanken, dieses Hinderniß zu beseitigen.«
»Oho! dieser Franzose ist ein Ruchloser,« sprach Mazarin, »und die Idee ist nicht so sinnreich, daß der Urheber nicht durch einen Spruch des Parlaments auf der Grève aufgeknüpft oder gerädert werden sollte.«
»Eure Eminenz täuscht sich,« erwiederte Athos mit trockenem Tone, »ich sagte nicht, der fragliche Franzose habe beschlossen, Herrn Monk zu ermorden, sondern nur, ihn zu beseitigen. Die Worte der französischen Sprache haben einen Werth, eine Bedeutung, welche die französischen Edelleute vollkommen kennen. Ueberdies ist das eine Kriegssache, und wenn man den Königen gegen ihre Feinde dient, so hat man das Parlament nicht zu Richtern: man hat Gott zum Richter. Dieser französische Edelmann hatte also den Gedanken, sich der Person von Monk zu bemächtigen, und er führte seinen Plan aus.«
Der König belebte sich bei der Erzählung der kühnen Thaten.
Der jüngere Bruder Seiner Majestät schlug mit der Faust auf den Tisch und rief: »Ah! das ist schön!«
»Er entführte Monk?« sagte der König; »aber Monk war doch in seinem Lager?«
»Und der Edelmann war allein, Sire.«
»Das ist wunderbar!« rief Philipp.
»In der That wunderbar!« rief der König.
»Gut! nun sind die zwei kleinen Löwen entfesselt,« murmelte der Cardinal, Und mit einer ärgerlichen Miene, die er nicht zu verbergen suchte, sagte er:
»Diese Umstände sind mir unbekannt; verbürgt Ihr Euch für die Aechtheit, mein Herr?«
»Um so eher, Herr Cardinal, als ich die Ereignisse gesehen habe.«
»Ihr?«
»Ja, Monseigneur.«
Der König näherte sich unwillkührlich dem Grafen auf einer Seite, während ihn Philipp auf der andern bedrängte.
»Weiter, mein Herr, weiter,« riefen Beide gleichzeitig.
»Sire, als Monk von dem Franzosen festgenommen war, wurde er zu König Karl II. in’s Haag geführt . . . Der König schenkte Herrn Monk die Freiheit und der General gab dankbar dafür Karl II. den Thron von Großbritannien, für welchen so viele tapfere Leute ohne Erfolg gekämpft hatten.«
Philipp klatschte voll Begeisterung in die Hände. Bedachtsamer wandte sich Ludwig XIV. an den Grasen de la Fère und fragte:
»Ist dies in allen seinen Einzelheiten wahr?«
»Durchaus wahr, Sire.«
»Einer meiner Edelleute kannte das Geheimniß und hatte es bewahrt?«
»Ja, Sire.«
»Der Name dieses Edelmanns?«
»Es ist Euer Diener,« sprach Athos ganz einfach.
Ein Gemurmel der Bewunderung schwoll das Herz von Athos an. Selbst Mazarin hob die Arme zu seinem Betthimmel auf.
»Mein Herr,« sagte der König, »ich werde bemüht sein, ein Mittel zu finden. Euch zu belohnen.«
Athos machte eine Bewegung.
»Oh! nicht Euch für Eure Redlichkeit zu belohnen; Euch hierfür bezahlen wollen hieße Euch beleidigen! doch ich bin Euch eine Belohnung dafür schuldig, daß Ihr Antheil an der Wiedererhebung meines Bruders Karl II. gehabt habt.«
»Gewiß,« sagte Mazarin.
»Es ist dies der Triumph einer guten Sache, der das ganze Haus Frankreich mit Freude erfüllt,« fügte Anna von Oesterreich bei.
»Ich fahre fort,« sagte Ludwig XIV. »Ist es auch wahr, daß ein einziger Mann bis zu Monk in sein Lager gedrungen ist und ihn entführt hat?«
»Dieser Mann hatte zehn Gehilfen,« die er aus niedrigerem Range ausgewählt.«
»Nicht mehr?«
»Nicht mehr.«
»Und er heißt?«
»Herr d’Artagnan, früher Lieutenant der Musketiere Eurer Majestät,«
Anna von Oesterreich erröthete, Mazarin wurde gelb vor Scham, Ludwig XIV. verdüsterte sich und ein Schweißtropfen fiel von seiner bleichen Stirne.
»Was für Männer!« murmelte er.
Und unwillkührlich schleuderte er dem Minister einen Blick zu, der ihn erschreckt haben würde, hätte Mazarin nicht in diesem Augenblick seinen Kopf unter seinem Kissen verborgen.
»Mein Herr,« rief der junge Herzog von Anjou, indem er seine weiße, frauenartig zarte Hand auf den Arm von Athos legte, »ich bitte Euch, sagt diesem braven Mann, Monsieur, der Bruder des Königs, werde morgen vor hundert der besten Edelleute Frankreichs auf seine Gesundheit trinken.«
Und als der junge Mann diese Worte gesprochen, bemerkte er, daß die Begeisterung eine von seinen Manchetten verschoben hatte, und war nun nur bemüht, sie mit der größten Sorgfalt wieder in Ordnung zubringen.
»Sprechen wir von den Angelegenheiten, Sire,« sagte Mazarin, der sich weder begeisterte, noch Manchetten hatte.
»Ja, mein Herr,« erwiederte Ludwig XIV. »Beginnt Eure Mittheilung, Herr Graf,« fügte er sich an Athos wendend bei.
Athos begann wirklich und trug feierlich die Hand von Lady Henriette Stuart dem jungen Prinzen, dem Bruder des Königs, an.
Die Conferenz dauerte eine Stunde, wonach die Thüren des Gemaches den Höflingen geöffnet wurden, welche ihre Plätze wieder einnahmen, als ob sie bei keiner Vorkommenheit des Abends ausgeschlossen gewesen wären.
Athos fand sich mit Raoul zusammen, und der Vater und der Sohn konnten sich nun die Hand drücken.
II.
Während Mazarin sich von seiner tiefen Unruhe zu erholen suchte, wechselten Athos und Raoul einige Worte in einem Winkel des Zimmers.
»Ihr seid also wieder in Paris, Raoul?« sagte der Graf.
»Ja, Herr, seitdem der Herr Prinz zurückgekehrt ist.«
»Ich kann mich an diesem Ort, wo man uns beobachtet, nicht mit Euch besprechen, doch ich werde mich sogleich nach Hause begeben und Euch dort erwarten, sobald es Euer Dienst gestattet.«
Raoul verbeugte sich. Der Herr Prinz kam gerade auf sie zu.
Der Prinz hatte den klaren, tiefen Blick, der die Raubvögel der edlen Art auszeichnet; selbst seine Physiognomie bot mehrere unterscheidende Züge dieser Aehnlichkeit. Man weiß, daß bei dem Prinzen von Condé die Adlernase, spitzig, schneidend, von einer leicht zurücklaufenden, mehr hohen als niedrigen Stirne hervortrat, was nach den Worten der Spötter des Hofes, selbst gegen das Genie unbarmherziger Leute, dem Erben der erhabenen Prinzen des Hauses Condé mehr einen Adlerschnabel, als eine menschliche Nase verlieh.
Dieser durchdringende Blick, dieser gebieterische Ausdruck des ganzen Gesichtes beunruhigten gewöhnlich diejenigen, an welche der Prinz das Wort richtete, mehr als es die Majestät oder die regelmäßige Schönheit des Siegers von Rocroy gethan hätten. Ueberdies stieg die Flamme so schnell in diese hervorspringenden Augen, daß bei dem Herrn Prinzen jede Belebtheit dem Zorn glich. Wegen seines Ranges respectirte Jedermann bei Hof den Herrn Prinzen, und Viele, welche nur den Menschen ins Auge faßten, trieben den Respect sogar bis zum Schrecken.
Ludwig von Condé ging also auf den Grasen de la Fère und auf Raoul mit der offenbaren Absicht zu, von dem Einen begrüßt zu werden und den Andern anzureden.
Niemand grüßte mit mehr zurückhaltender Anmuth, als der Graf de la Fère. Er verachtete es, in eine Verbeugung alle die Nuancen zu legen, die ein Höfling gewöhnlich nur von einer und derselben Farbe entlehnt: vom Verlangen, zu gefallen. Athos kannte seinen persönlichen Werth und begrüßte einen Prinzen wie einen Menschen, wobei er durch etwas Sympathetisches, Unerklärbares das milderte, was seine unbeugsame Haltung Verletzendes für den Stolz des höheren Ranges haben konnte. Der Prinz wollte mit Raoul reden. Athos kam ihm zuvor und sagte:
»Wenn der Herr Vicomte von Bragelonne nicht einer der unterthänigsten Diener Eurer Hoheit wäre, so würde ich ihn bitten, meinen Namen vor Euch, mein Prinz, auszusprechen.«
»Ich habe die Ehre, mit dem Herrn Grasen de la Fère zu reden,« sagte sogleich Herr von Condé.
»Mein Beschützer,« fügte Raoul erröthend bei.
»Einer der redlichsten Männer des Königreichs,« sprach der Prinz, »einer der ersten Edelleute von Frankreich, von dem ich so viel Gutes habe sagen hören, daß ich ihn oft unter meine Freunde zählen zu dürfen wünschte.«
»Eine Ehre, gnädigster Herr,« erwiederte Athos, »der ich nur durch meine Achtung und meine Bewunderung für Eure Hoheit würdig wäre.«
»Herr von Bragelonne ist ein guter Officier,« sagte der Prinz, »und man sieht, daß er in einer guten Schule gewesen ist. Ah! Herr Graf, in Eurer Zeit hatten die Generale Soldaten.«
»Es ist wahr, Hoheit, doch heute haben die Soldaten Generale.«
Dieses Compliment, das so wenig die Farbe des Schmeichlers hatte, machte vor Freude einen Mann beben, den schon ganz Europa als einen Helden betrachtete, und der allen Geschmack an Lobeserhebungen verloren haben konnte.
»Es ist ärgerlich für mich, daß Ihr Euch aus dem Dienst zurückgezogen habt, Herr Graf,« sagte der Prinz, »denn der König wird unverzüglich auf einen Krieg mit England oder auf einen Krieg mit Holland bedacht sein müssen, und es wird einem Mann wie Euch, der Großbritannien wie Frankreich kennt, nicht an erwünschten Gelegenheiten fehlen.«
»Gnädigster Herr, ich glaube Euch bemerken zu dürfen, daß ich wohl daran gethan habe, mich aus dem Dienst zurück zu ziehen,« entgegnete Athos lächelnd. »Frankreich und Großbritannien werden fortan wie zwei Schwestern leben, wenn ich meinen Ahnungen glauben darf.«
»Euren Ahnungen?«
»Hört, Hoheit, was dort am Tisch des Herrn Cardinals gesprochen wird.«
»Beim Spiel?«
»Beim Spiel . . . ja, Hoheit.«
Der Cardinal hatte sich in der That auf einen Ellenbogen erhoben und dem jungen Bruder des Königs, der sich ihm sodann näherte, ein Zeichen gemacht.
»Monseigneur,« sagte der Cardinal, »ich bitte Euch, laßt alle diese Goldthaler fortnehmen.«
Und er bezeichnete den ungeheuren Haufen gelber glänzender Stücke, welche der Graf von Guiche allmälig durch eine äußerst glückliche Hand vor ihm zusammengebracht hatte.
»Mir!« rief der Herzog von Anjou.
»Ja, Monseigneur, diese fünfzigtausend Thaler gehören Euch.«
»Ihr schenkt sie mir?«
»Ich habe für Euch gespielt, Monseigneur,« erwiederte der Cardinal, der immer schwächer wurde, als ob die Anstrengung, Geld zu verschenken, alle seine physischen und moralischen Fähigkeiten erschöpft hätte.
»Oh! mein Gott,« murmelte Philipp ganz betäubt vor Freude, »welch ein schöner Tag!«
Und er machte selbst den Rechen mit seinen Fingern, schob einen Theil der Summe in seine Taschen und füllte diese, . . . doch mehr als das Drittel blieb noch auf dem Tisch.
»Chevalier,« sagte Philipp zu seinem Günstling, dem Chevalier von Lorraine, »komm.«
Der Günstling lief herbei.
»Stecke das Uebrige ein,« sprach der junge Prinz.
Diese seltsame Scene wurde von allen Anwesenden nur wie ein rührendes Familienfest aufgenommen. Der Cardinal gab sich das Ansehen eines Vaters gegen die Söhne von Frankreich, und die zwei jungen Prinzen waren unter seinem Flügel groß geworden. Niemand maß, wie man es in unseren Tagen thun würde, diese Freigebigkeit des ersten Ministers dem Hochmuth oder der Unverschämtheit zu.
Die Höflinge beneideten nur . . . Der König wandte den Kopf ab.
»Nie habe ich so viel Geld gehabt,« sage freudig der junge Prinz, während er durch das Zimmer schritt, um sich zu seinem Wagen zu begeben. »Nein, nie . . . Wie schwer das ist, fünfzigtausend Thaler!«
»Aber warum verschenkt der Herr Cardinal all dieses Geld auf einmal?« fragte ganz leise der Herr Prinz den Grafen de la Fère. »Er ist also sehr krank, dieser liebe Cardinal?«
»Ja, gnädigster Herr, ohne Zweifel sehr krank; er sieht auch schlecht aus, wie Eure Hoheit wahrnehmen kann.«
»Gewiß . . . doch daran wird er sterben, hundert und fünfzigtausend Livres! . . . Oh! das ist nicht zu glauben. Sprecht, Graf, warum dies? findet uns eine Ursache.«
»Gnädigster Herr, ich bitte geduldet Euch; seht, der Herr Herzog von Anjou kommt, mit dem Chevalier von Lorrain? plaudernd, hierher; ich würde mich nicht wundern, wenn sie mir die Mühe, indiscret zu sein, ersparten. Hört, was sie sagen.«
Der Chevalier sagte wirklich halblaut zum Prinzen:
»Monseigneur, es geht nicht mit natürlichen Dingen zu, daß Herr Mazarin Euch so viel Geld schenkt . . . Nehmt Euch in Acht, Ihr laßt Goldstücke fallen, Monseigneur. Was will der Cardinal von Euch, daß er so großmüthig ist?«
»Ich sagte Euch doch.« flüsterte Athos dem Herrn Prinzen in’s Ohr, »hier kommt die Antwort auf Eure Frage.«
»Sprecht, Monseigneur,« wiederholte ungeduldig der Chevalier, der, seine Tasche abwägend, den Betrag der Summe, die ihm zurückprallend zugefallen war, verdächtig fand.
»Mein lieber Chevalier, ein Hochzeitgeschenk.«
»Wie, ein Hochzeitgeschenk!«
»Ah! ja, ich heirathe,« erwiederte der Herzog von Anjou, ohne zu bemerken, daß er in diesem Augenblick vor dem Herrn Prinzen und vor Athos vorüberkam, welche sich Beide tief verbeugten.
Der Chevalier schleuderte dem jungen Herzog einen so gehässigen Blick zu, daß der Graf de la Fère darob erbebte.
»Ihr! Euch heirathen!« wiederholte er, »oh! das ist unmöglich; Ihr solltet diese Thorheit begehen?«
»Bah! ich begehe sie nicht; man läßt sie mich begehen,« erwiederte der Herzog von Anjou . . . »Doch komm geschwinde und laß uns unser Geld ausgeben.«
Hiernach verschwand er mit seinem Gefährten, lachend und plaudernd, während alle Stirnen sich auf seinem Wege beugten.
Da sprach der Herr Prinz leise zu Athos:
»Das ist also das Geheimniß?«
»Ich habe das nicht gesagt, Monseigneur.«
»Er heirathet die Schwester von Karl II?«
»Ich glaube ja.«
Der Prinz dachte einen Augenblick nach, und sein Auge schleuderte einen scharfen Blitz.
»Ah!« sagte er langsam, als ob er mit sich selbst spräche, »die Schwerter werden abermals an den Nagel gehängt . . . auf lange Zeit!« Und er seufzte.
Alles, was dieser Seufzer an dumpf ersticktem Ehrgeiz, an erloschenen Illusionen, an getäuschten Hoffnungen enthielt, nur Athos allein errieth es, denn er allein hatte den Seufzer gehört.
Alsbald verabschiedete sich der Herr Prinz und der König ging weg.
Mit einem Zeichen, das er Bragelonne machte, wiederholte Athos an diesen die Einladung, die er am Anfang dieser Scene gegen ihn ausgesprochen.
Allmälig leerte sich das Gemach und Mazarin blieb allein, Leiden preisgegeben, die er nicht einmal zu verbergen trachtete.
»Bernouin! Bernouin!« rief er mit gebrochener Stimme.
»Was befiehlt Monseigneur?«
»Guénaud, man rufe Guénaud,« sagte die Eminenz, »mir scheint, ich sterbe.«
Ganz Würzt lief Bernouin in das Cabinet, um den Befehl zu geben, und der Piqueur, der forteilte, um den Arzt zu holen, kreuzte den Wagen des Königs in der Rue Saint-Honoré.
III.
Der Befehl des Cardinals war dringend: Guénaud ließ nicht auf sich warten.
Er fand seinen Kranken im Bett zurückgeworfen, die Beine aufgeschwollen, den Magen zusammengepreßt. Mazarin war von einem heftigen Gichtanfall heimgesucht worden. Er litt grausam und mit der Ungeduld eines Mannes, der nicht an den Widerstand gewöhnt ist. Bei der Erscheinung von Guénaud rief er:
»Ah! nun bin ich gerettet.«
Guénaud war ein sehr gelehrter und sehr umsichtiger Mann, der nicht der Kritik von Boileau bedurfte, um Ruf zu erlangen. Stand er einer Krankheit gegenüber, und betraf diese auch die Person des Königs, so ging er schonungslos zu Werk. Er antwortete also Mazarin nicht, wie es der Minister erwartet: Hier ist der Arzt, fahre hin Krankheit!
Er untersuchte im Gegentheil die an dem Kranken wahrnehmbaren Symptome sehr sorgfältig und mit ernster Miene, und gab dann nur ein: »Hoho!« von sich.
»Nun, Guénaud? . . . Was für eine Miene nehmt Ihr an?«
»Ich nehme die Miene an, die man haben muß, wenn man Euer Uebel sieht, Monseigneur, ein sehr gefährliches Uebel.«
»Die Gicht . . . Oh! ja, die Gicht.«
»Mit einer Zuthat von andern Uebeln, Monseigneur.«
Mazarin erhob sich auf einen Ellenbogen und fragte gleichsam mit dem Blick und der Geberde:
»Was sagt Ihr mir da? Bin ich kranker, als ich glaubte?«
»Monseigneur,« sprach Guénaud, während er sich an das Bett des Cardinals setzte, »Eure Eminenz hat viel in ihrem Leben gearbeitet; Eure Eminenz hat viel gelitten.«
»Aber ich bin nicht alt, wie mir scheint . . . Der selige Herr von Richelieu zählte nur siebzehn Monate weniger, als ich, als er starb und zwar an einer tödtlichen Krankheit starb. Ich bin jung, Guénaud, bedenkt das wohl, ich bin kaum zweiundfünfzig Jahre alt.«
»Ah! Monseigneur, Ihr seid viel älter . . . Wie lange hat die Fronde gedauert?«
»Zu welchem Ende fragt Ihr mich das?«
»Zu einer medicinischen Berechnung, Monseigneur.«
»So etwa zehn Jahre …«
»Sehr gut; wollt jedes Jahr der Fronde zu drei Jahren rechnen, das macht dreißig; zwanzig und zwei und fünfzig aber machen zwei und siebzig Jahre, und das ist ein hohes Alter.«
Während er dies sagte, fühlte er dem Kranken den Puls. Dieser Puls war so voll von unerfreulichen Prognostiken, daß der Arzt sogleich, trotz der Unterbrechungen des Kranken fortfuhr:
»Setzen wir die Jahre der Fronde eines zu vier, so habt Ihr zwei und achtzig Jahre gelebt.«
Mazarin wurde sehr bleich und sagte mit erloschener Stimme:
»Sprecht Ihr im Ernst, Guénaud?«
»Ach! ja, Monseigneur.«
»Ihr nehmt also einen Umweg, um mir anzukündigen, daß ich sehr krank bin?«
»Meiner Treue, ja, Monseigneur . . . bei einem Mann von dem Geist, von dem Muth Eurer Eminenz müßte man allerdings keinen Umweg nehmen.«
Der Cardinal athmete so schwer, daß der unbarmherzige Arzt Mitleid bekam.
»Es ist ein Unterschied zwischen den Krankheiten,« sagte Mazarin, »und gewissen Krankheiten entkommt man.«
»Ganz richtig, Monseigneur.«
»Nicht wahr!« rief Mazarin ganz freudig; »denn wozu würden am Ende die Kraft, die Macht des Willens nützen? . . . Wozu würde das Genie nützen, Euer Genie, Guénaud? Wozu nützen endlich die Wissenschaft und die Kunst, wenn der Kranke, der über dies Alles verfügt, sich nicht aus der Gefahr zu retten vermag?«
Guénaud wollte den Mund öffnen, doch Mazarin fuhr fort:
»Bedenkt, daß ich der Vertrauensvollste von Euren Kunden bin; bedenkt, daß ich Euch blindlings gehorche, und daß folglich . . . «
»Ich weiß dies Alles,« sagte Guénaud.
»Ich werde also genesen?«
»Monseigneur, weder Willenskraft, noch Genie, noch Wissenschaft vermögen dem Uebel zu widerstehen, das Gott sendet oder auf die Erde schleudert mit der Vollmacht, den Menschen zu zerstören und zu tödten. Ist das Uebel tödtlich, so tödtet es, und nichts vermag dagegen . . . «
»Mein Uebel … ist . . . tödtlich?« fragte Mazarin.
»Ja, Monseigneur.«
Die Eminenz sank einen Augenblick zusammen, wie der Unglückliche, den der Sturz einer Säule niederschmettert . . . Aber Herr von Mazarin besaß eine sehr kräftig gestählte Seele oder vielmehr einen sehr starken Geist.
»Guénaud,« sagte er, sich erhebend, »Ihr werdet mir wohl erlauben, von Eurem Urtheil zu appelliren. Ich will die gelehrtesten Männer Europas versammeln, ich will sie um Rath fragen, ich will endlich durch die Wirkung irgend eines Mittels leben.«
»Monseigneur glaubt wohl nicht, ich sei so anmaßend gewesen, ganz allein ein Urtheil über ein so kostbares Dasein, wie das Eurige, zu fällen; ich habe schon alle guten Aerzte Frankreichs und Europas versammelt … es waren ihrer zwölf.«
»Und sie sagten?«
»Sie sagten. Eure Eminenz sei von einer unheilbaren Krankheit befallen; ich habe die Consultation unterzeichnet in meiner Brieftasche bei mir. Will Eure Eminenz Kenntniß davon nehmen, so wird sie den Namen von allen den unheilbaren Uebeln sehen, die wir entdeckt haben. Es findet sich vor Allem . . . «
»Nein! nein!« rief Mazarin, das Papier zurückstoßend. »Nein, Guénaud, ich ergebe mich! ich ergebe mich!«
Hierauf trat ein tiefes Stillschweigen ein, der Cardinal sammelte seine Geister und Kräfte wieder und sagte dann:
»Es gibt noch etwas Anderes; es gibt die Empyriker, die Charlatans. In meiner Heimath werfen sich diejenigen, welche die Aerzte verlassen, in die Arme der Quacksalber, von denen sie zehnmal getödtet, aber hundertmal gerettet werden.«
»Bemerkt Eure Eminenz nicht, daß ich seit einem Monat zehnmal die Arzneimittel verändert habe?«
»Ja . . . Nun?«
»Nun, ich habe fünfzigtausend Livres ausgegeben, um allen diesen Burschen ihre Geheimnisse abzukaufen: die Liste ist erschöpft, meine Börse auch. Ihr seid nicht geheilt, und ohne meine Kunst wäret Ihr todt.«
»Es ist vorbei,« murmelte der Cardinal, »es ist vorbei.«
Er schaute mit einem düsteren Blick auf seinen Reichthümern umher.
»Ich werde dies Alles verlassen müssen!« seufzte er. »Ich bin todt, Guénaud, ich bin todt!«
»Oh! noch nicht, Monseigneur,« sagte der Arzt.
Mazarin ergriff seine Hand und fragte, indem er zwei große, starre Augen auf das unempfindliche Gesicht des Arztes heftete:
»In wie viel Zeit?«
»Monseigneur, man sagt das nie.«
»Es mag sein, gewöhnlichen Menschen, doch mir . . . mir, bei dem jede Minute einen Schatz werth ist; sage es mir, Guénaud, sage es mir!«
»Nein, nein, Monseigneur.«
»Ich will es haben, ich will es haben. Oh! gib mir einen Monat, und für jeden von diesen dreißig Tagen bezahle ich Dir hunderttausend Livres,«
»Monseigneur.« entgegnete Guénaud mit fester Stimme, »Gott schenkt Euch die Gnadentage und nicht ich. Gott schenkt Euch nur vierzehn Tage!«
Der Cardinal stieß einen schmerzlichen Seufzer aus, fiel auf sein Kopfkissen zurück und flüsterte:
»Ich danke Euch, Guénaud.«
Der Arzt wollte sich entfernen; doch der Sterbende erhob sich noch einmal und sprach mit flammenden Augen:
»Still geschwiegen, Guénaud, still geschwiegen!«
»Monseigneur, seit zwei Tagen weiß ich das Geheimniß; Ihr seht, daß ich es wohl bewahrt habe.«
»Geht, Guénaud, ich werde für Euer Glück Sorge tragen. Geht und heißt Brienne mir einen Commis schicken, den man Herrn Colbert nennt.«
IV.
Colbert war nicht fern. Er hatte sich den ganzen Abend in einem Corridor aufgehalten, wo er mit Bernouin und Brienne plauderte und mit der gewöhnlichen Geschicklichkeit der Hofleute Commentare zu den Neuigkeiten machte, welche, wie Luftblasen auf dem Wasser, auf der Oberfläche jedes Ereignisses erschienen. Es ist ohne Zweifel Zeit, mit einigen Worten eines der interessantesten Portrait? dieses Jahrhunderts zu entwerfen, und es vielleicht mit so viel Wahrheit zu zeichnen, als dies nur Maler jener Zeit thun konnten. Colbert war ein Mann, auf den der Geschichtschreiber und der Moralist ein gleiches Recht haben.
Er war dreizehn Jahre älter, als Ludwig XIV., sein künftiger Herr. Von mittlerem Wuchse, eher mager als fett, hatte er ein tiefliegendes Auge, eine gemeine Miene und dicke, schwarze, spärliche Haare, was ihn, wie die Biographen seiner Zeit sagen, frühe die Plattmütze nehmen ließ. Ein Blick voll Strenge, voll Härte sogar, eine Art von Steifheit, welche für die Untergeordneten Stolz, für die Höheren eine Affectation strenger Tugend war; ein trotziges Gesicht bei allen Dingen, selbst wenn er sich allein in seinem Spiegel betrachtete . . . dies war das Aeußere unseres Mannes.
In moralischer Hinsicht rühmte man die Tiefe seines Talents im Rechnungswesen, seinen erfindungsreichen Geist, um selbst der Unfruchtbarkeit einen Ertrag abzunöthigen.
Colbert hatte den Einfall gehabt, die Gouverneurs der Gränzfestungen zu zwingen, die Garnisonen ohne Sold, aus dem, was sie von den Contributionen bezogen, zu ernähren. Eine so kostbare Eigenschaft gab dem Herrn Cardinal Mazarin den Gedanken, Joubert, seinen Intendanten, der kurz zuvor gestorben war, durch Herrn Colbert zu ersetzen, der die Portionen so gut zu benagen wußte.
Colbert schwang sich allmälig bei Hofe empor, trotz der Mittelmäßigkeit seiner Geburt, denn er war der Sohn eines Mannes, der Wein verkaufte, wie sein Vater, welcher sofort mit Tuch und dann mit Seidenstoffen gehandelt hat.
Anfangs zum Kaufmann bestimmt, war Colbert zuerst Commis in einem Handelsgeschäft in Lyon, das er verließ, um in Paris in die Schreibstube eines Anwalts beim Chatelet, Namens Biterne, einzutreten. So lernte er die Kunst, eine Rechnung zu stellen, und die noch viel kostbarere Kunst, eine Rechnung zu verwirren.
Die Steifheit von Colbert kam diesem vortrefflich zu Statten, so wahr ist es, daß das Glück, wenn es eine Laune hat, jenen Frauen des Alterthums gleicht, deren Phantasie nichts bei dem Physischen und Moralischen der Dinge und der Menschen zurückschreckt. Colbert, der bei Michel Letellier, Staatssecretaire im Jahr 1646, durch seinen Vetter Colbert, Grundherrn von Saint-Ponange, welcher ihn begünstigte, ein Unterkommen gefunden hatte, erhielt eines Tages vom Minister einen Auftrag an den Cardinal Mazarin.
Seine Eminenz der Cardinal erfreute sich damals noch einer blühenden Gesundheit, und die schlimmen Jahre der Fronde hatten für ihn noch nicht dreifach und vierfach gezählt. Er war in Sedan, sehr tief in eine Hofintrigue verwickelt, wobei Anna von Oesterreich, seine Sache verlassen zu wollen schien.
Letellier hielt alle Fäden dieser Intrigue in seinen Händen.
Er hatte von Anna von Oesterreich einen für ihn sehr kostbaren und für Mazarin sehr gefährlichen Brief erhalten; doch da er schon die doppelte Rolle spielte, die ihn so gut unterstützte, und stets zwei Feinde nährte, um aus dem einen und aus dem andern Nutzen zu ziehen, sei es dadurch, daß er sie noch mehr entzweite, als sie es schon waren, sei es, daß er sie versöhnte, so wollte Michel Letellier Mazarin den Brief von Anna von Oesterreich schicken, damit er Kenntniß davon nähme und ihm dem zu Folge für einen so artig geleisteten Dienst Dank wüßte.
Den Brief überschicken war leicht; ihn nach der Mittheilung wiederzubekommen, darin lag die Schwierigkeit. Letellier schaute umher, und als er den schwarzen, mageren Commis erblickte, der mit gefalteter Stirne m seiner Kanzlei kritzelte, zog er ihn dem besten Gendarme zur Ausführung seines Planes vor.
Colbert sollte nach Sedan mit dem Befehl abreisen, den Brief Mazarin mitzutheilen und dann Letellier zurückzubringen.
Er hörte den Befehl, den man ihm ertheilte, mit ängstlicher Aufmerksamkeit an, ließ sich den Inhalt zweimal wiederholen und erkundigte sich auf das Genauste, ob das Zurückbringen ebenso nothwendig sei, als das Mittheilen.
»Nothwendiger,« antwortete Letellier.
Dann brach er auf, reiste wie ein Courier, ohne Rücksicht auf seinen Körper, und übergab Mazarin zuerst ein Schreiben von Letellier, das ihm die Uebersendung des kostbaren Briefes ankündigte, und dann diesen Brief selbst.
Mazarin erröthete sehr, als er den Brief von Anna von Oesterreich las, lächelte Colbert freundlich zu und entließ ihn.
»Wann erhalte ich die Antwort, Monseigneur?« fragte demüthig der Courier.
»Morgen.«
»Morgen früh?«
»Ja, mein Herr.«
Der Courier versuchte seinen tiefsten Bückling und wandte sich auf den Absätzen um.
Am andern Morgen war er schon um sieben Uhr auf seinem Posten, Mazarin ließ ihn bis um zehn Uhr warten. Colbert verzog im Vorzimmer keine Miene: als die Reihe an ihn kam, trat er ein.
Mazarin übergab ihm ein versiegeltes Päckchen: auf dem Umschlag desselben standen die Worte geschrieben: »An Herrn Michel Letellier.« u. s. w.
Colbert schaute das Päckchen mit großer Aufmerksamkeit an: der Cardinal machte ihm ein freundliches Gesicht und schob ihn nach der Thüre.
»Und der Brief der Königin Mutter, Monseigneur?« fragte Colbert.
»Er ist beim Uebrigen in dem Päckchen,« erwiederte Mazarin.
»Ah! sehr gut,« sagte Colbert, und er drückte seinen Hut zwischen seine Kniee, und fing an das Päckchen zu entsiegeln.
Mazarin stieß einen Schrei aus.
»Was macht Ihr denn da?« sagte er mit grobem Ton.
»Ich entsiegle das Paquet, Monseigneur.«
»Ihr mißtraut mir, Herr Schulfuchs? Hat man je eine solche Unverschämtheit gesehen?«
»Oh! Monseigneur, wertet nicht ärgerlich gegen mich! Gott soll mich behüten, daß ich das Wort Eurer Eminenz in Zweifel ziehe!«
»Was denn?«
»Die Pünktlichkeit Eurer Kanzlei, Monseigneur. Was ist ein Brief? Ein Fetzen. Kann ein Fetzen nicht vermessen werden? . . . Und seht, Monseigneur, seht, ob ich Unrecht hatte! . . . Eure Commis haben den Fetzen vergessen: der Brief findet sich nicht in dem Päckchen.«
»Ihr seid ein frecher Bursche und habt nichts gesehen!« rief Mazarin zornig; »entfernt Euch, und wartet auf mein weiteres Belieben!«
Während er diese Worte mit einer ganz italienischen Spitzfindigkeit sagte, entriß er das Päckchen den Händen von Colbert und kehrte in seine inneren Gemächer zurück.
Doch dieser Zorn konnte nur so lange dauern, bis ein kälteres Urtheil an seine Stelle trat.
Jeden Morgen, wenn Mazarin die Thüre seines Cabinets öffnete, fand er das Gesicht von Colbert als Schildwache im Vorzimmer, und dieses unangenehme Gesicht bat ihn demüthig, aber beharrlich um den Brief der Königin Mutter.
Mazarin konnte nicht dagegen Stand halten und mußte den Brief zurückgeben. Er begleitete diese Wiedererstattung mit einer sehr harten Strafpredigt, während welcher Colbert sich nur damit beschäftigte, daß er das Papier, die Charaktere und die Unterschrift prüfend beschaute, abwog und sogar beroch, nicht mehr und nicht minder, als hätte er es mit dem letzten Fälscher des Königreichs zu thun gehabt. Mazarin ließ ihn noch härter an, doch Colbert ging, als er die Gewißheit erlangt hatte, daß es der ächte Brief war, unempfindlich und wie mit Taubheit geschlagen, weg. Dieses Benehmen trug ihm später den Posten von Joubert ein, denn statt einen Groll gegen ihn zu hegen, bewunderte ihn Mazarin und wünschte eine solche Treue für sich zu gewinnen.
Man ersteht aus dieser Geschichte allein, wie der Geist von Colbert beschaffen war. Allmälig sich entrollend, werden die Ereignisse alle Federn dieses Geistes frei arbeiten lassen.
Colbert brauchte nicht lange, um sich beim Cardinal in Gunst zu bringen: er wurde ihm sogar unentbehrlich. Der Commis kannte alle seine Rechnungen, ohne daß der Cardinal je mit ihm davon sprach. Dieses Geheimniß, das nur sie Beide theilten, war ein mächtiges Band, und deshalb wollte Mazarin, im Begriff, vor dem Herrn einer andern Welt zu erscheinen, den Rath von Colbert benützen, um über das Gut zu verfügen, das er auf dieser Welt zurückzulassen genöthigt war.
Nach dem Besuche von Guénaud rief er also Colbert zu sich und sagte zu ihm:
»Laßt uns mit einander sprechen, Herr Colbert, und zwar ernsthaft, denn ich bin krank, und es könnte sein, daß ich sterben würde.«
»Der Mensch ist sterblich,« erwiederte Colbert.
»Stets habe ich mich dessen erinnert, Herr Colbert, und ich habe auch in dieser Voraussicht gearbeitet . . . Ihr wißt, daß ich ein wenig Vermögen gesammelt . . . «
»Ich weiß es, Monseigneur.«
»Wie hoch schätzt Ihr ungefähr dieses Vermögen, Herr Colbert?« ,,
»Auf vierzig Millionen fünfmalhundert und sechzigtausend, zweihundert Livres, neun Sous und acht Deniers,« antwortete Colbert.
Der Cardinal stieß einen schweren Seufzer aus und schaute Colbert mit Bewunderung an; doch er erlaubte sich ein Lächeln.
»Bekanntes Geld,« fügte Colbert als Erwiederung auf dieses Lächeln bei.
Der Cardinal zuckte in seinem Bette auf und fragte rasch:
»Was versteht Ihr hierunter?«
»Ich versteh« hierunter, daß es außer diesen vierzig Millionen, fünfmalhundert und sechzigtausend, zweihundert Limes, neun Sous und acht Deniers noch dreizehn weitere Millionen gibt, die man nicht kennt.«
»Uf!« seufzte Mazarin, »welch ein Mensch!«
In diesem Augenblick erschien der Kopf von Bernouin im Thürrahmen.
»Was gibt es? und warum stört Ihr mich?« fragte Mazarin.
»Der Pater Theatiner, der Gewissensrath Seiner Eminenz, ist auf diesen Abend berufen worden, er könnte erst übermorgen Monseigneur wieder besuchen.«
Mazarin schaute Colbert an; dieser nahm sogleich seinen Hut und sagte:
»Ich werde wieder kommen, Monseigneur.«
Mazarin zögerte.
»Nein, nein,« rief er, »ich habe ebenso viel mit Euch, als mit ihm zu thun. Ueberdies seid Ihr mein anderer Beichtiger, und was ich dem einen sage, kann auch der andere hören. Bleibt, Colbert.«
»Aber wird der Gewissensrath einwilligen, Monseigneur, wenn die Pönitenz kein Geheimniß ist?«
»Kümmert Euch nicht darum, tretet in den Bettgang.«
»Ich kann außen warten, Monseigneur.«
»Nein, nein, es ist besser, wenn Ihr die Beichte eines redlichen Mannes hört.«
Colbert verbeugte sich und trat in den Bettgang.
»Führt den Vater Theatiner ein,« sprach Mazarin und schloß die Vorhänge.
V.
Der Theatiner trat bedächtig ein, ohne sich zu sehr über die geräuschvolle Bewegung zu wundern, welche die Besorgnisse über die Gesundheit des Cardinals im Hause veranlaßt hatten.
»Kommt, mein Ehrwürdiger,« sprach Mazarin nach einem letzten Blick in den Bettgang, »kommt und erleichtert mich.«
»Das ist meine Pflicht, Monseigneur,« erwiederte der Theatiner.
»Setzt Euch zuerst bequem, denn ich will mit einer allgemeinen Beichte beginnen; Ihr gebt mir sodann eine gute Absolution, und ich werde mich ruhiger fühlen.«
»Monseigneur,« erwiederte der Ehrwürdige, »Ihr seid nicht so krank, daß eine allgemeine Beichte nothwendig wäre, und überdies ist das zu sehr ermüdend . . . nehmt Euch also in Acht.«
»Ihr nehmt an, sie werde lange währen, mein Ehrwürdiger?«
»Wie sollte ich glauben, es könnte anders sein, wenn man so vollständig gelebt hat, wie Eure Eminenz?«
»Ah! das ist wahr . . . Ja, die Erzählung kann lang werden.«
»Die Barmherzigkeit Gottes ist groß,« näselte der Theatiner.
»Hört,« sprach Mazarin, »ich fange an, selbst darüber zu erschrecken, daß ich so viele Dinge zugelassen habe, welche der Herr mißbilligen dürfte.«
»Nicht wahr?« sagte naiv der Theatiner, indem er von der Lampe sein Gesicht, das so sein und spitzig war, wie das eines Maulwurfs, entfernte. »Die Sünder sind so: Anfangs vergeßlich und dann bedenklich, wenn es zu spät ist.«
»Die Sünder? sagt Ihr mir dieses Wort mit Ironie, und um mir alle die Genealogien vorzuwerfen, die ich auf meine Rechnung habe machen lassen? . . . ich, eines Fischers Sohn?«
»Hm!l« machte der Theatiner.
»Das ist eine erste Sünde, mein Ehrwürdiger, denn ich habe es am Ende geduldet, daß man mich von alten römischen Consuln abstammen ließ. T. Geganius Macerinus I., Macerinus II. und Proculus Macerinus III., von dem die Chronik von Halvander spricht . . . Die Ähnlichkeit von Macerinus und Mazarin war verführerisch. Macerinus, ein Verkleinerungswort, bedeutet ein magerer Mensch. Oh! mein Ehrwürdiger, Mazarin kann heute mager wie Lazarus bedeuten! Seht!«
Und er zeigte seine fleischlosen Arme und seine vom Fieber verzehrten Beine.
»Darin, daß Ihr aus einer Fischerfamilie abstammt, sehe ich nichts für Euch Aergerliches, denn der heilige Peter war auch ein Fischer, und wenn Ihr ein Kirchenfürst seid, so war er das Oberhaupt der Kirche: gehen wir weiter, wenn es Euch beliebt.«
»Um so mehr, als ich mit der Bastille einen gewissen Brunei, einen Priester von Avianon, bedroht habe, der eine Genealogie von
»Um wahrscheinlich zu sein.«
»Oh! wenn ich in diesem Sinn gehandelt hätte, mein Ehrwürdiger, wäre ich des Lasters der Hoffart schuldig gewesen und das ist eine andere Sünde.«
»Es war ein Exceß des Geistes, und nie kann man Jemand dergleichen Mißbräuche zum Vorwurf machen. Weiter, weiter!«
»Ich war bei der Hoffart . . . Seht, mein Ehrwürdiger, ich will das nach Todsünden abzutheilen suchen.«
»Ich liebe wohlgeordnete Abtheilungen.«
»Das freut mich. Ihr müßt wissen, daß im Jahr 1630 . . . ach! das sind nun einunddreißig Jahre her!«
»Ihr waret damals neunundzwanzig Jahre, Monseigneur.«
»Ein brausendes Alter! Ich spielte den Soldaten und stürzte mich in Casale ins Musketenfeuer, um zu zeigen, daß ich so gut ritt als ein Officier. Es ist wahr. ich brachte den Spaniern und den Franzosen den Frieden, und das sühnt ein wenig meine Sünde.«
»Ich sehe nicht die geringste Sünde darin, daß man zeigt, man verstehe zu reiten,« erwiederte der Theatiner; »das ist eine Sache, welche von vortrefflichem Geschmack zeugt und unser Gewand ehrt. In meiner Eigenschaft als Christ billige ich, daß Ihr das Blutvergießen verhindert habt; als Ordensgeistlicher bin ich stolz auf den Muth, den ein College von mir an den Tag gelegt.«
Mazarin machte eine demüthige Verbeugung mit dem Kopf.
»Ja,« sagte er, »doch die Folgen!«
»Welche Folgen? . . . «
»Ei! die verdammte Sünde der Hoffart hat endlose Wurzeln . . . Seitdem ich mich so zwischen zwei Heere geworfen, seitdem ich Pulver gerochen und die Linien der Soldaten durchlaufen hatte, schaute ich die Generale ein wenig mitleidig an.«
»Ah!«
»So daß ich seit jener Zeit nicht einen einzigen mehr erträglich fand.«
»Es ist nicht zu leugnen, die Generale, die wir hatten, waren nicht stark,« sprach der Theatiner.
»Oh!« rief Mazarin, »da war der Herr Prinz, und den habe ich sehr gequält!«
»Er ist nicht zu beklagen, er hat genug Ruhm und Vermögen erworben.«
»Es mag sein, was den Herrn Prinzen betrifft; doch Herr von Beaufort zum Beispiel, den ich im Thurm von Vincennes so sehr leiden ließ?«
»Ah! das war ein Rebell und die Sicherheit des Staats heischte es, daß Ihr dieses Opfer brachtet . . . Gehen wir weiter.«
»Ich glaube, daß ich die Hoffart erschöpft habe. Und ich komme zu einer andern Sünde, die ich nur mit Furcht qualificiren würde.«
»Nennt sie immerhin, ich werde sie qualificiren.«
»Eine sehr große Sünde, mein Ehrwürdiger.«
»Wir werden, sehen, Monseigneur.«
»Ihr habt unfehlbar von einem gewissen Verhältnis gehört, in dem ich mit Ihrer Majestät der Königin Mutter gelebt haben soll . . . Die Böswilligen . . . «
»Die Böswilligen, Monseigneur, sind Dummköpfe; . . . mußtet Ihr nicht für das Wohl des Staats und im Interesse des jungen Königs in gutem Einvernehmen mit der Königin leben? Weiter, weiter . . . «
»Ich versichere Euch, daß Ihr mir eine furchtbare Last von der Brust nehmt,« sprach Mazarin.
»Das sind Alles nur Lappereien! sucht ernste Dinge.«
»Es hat viel Ehrgeiz obgewaltet, mein Ehrwürdiger.«
»So geht es bei großen Sachen, Monseigneur.«
»Selbst das Gelüste nach der Tiara.«
»Papst sein heißt der erste Christ sein . . . Warum solltet Ihr das nicht gewünscht haben?«
»Man hat gedruckt, ich habe, um dies zu erreichen, Cambray an die Spanier verkauft.«
»Ihr habt vielleicht selbst Pamphlete gemacht, ohne die Pamphletisten zu sehr zu verfolgen.«
»Dann, mein Ehrwürdiger, ist mein Herz sehr sauber. Ich fühle nur noch leichte Sünden . . . «
»Nennt sie.«
»Das Spiel.«
»Das ist ein wenig weltlich; doch Ihr waret durch Eure hohe Stellung verpflichtet, ein Haus zu machen.«
»Ich gewann gern.«
»Kein Spieler spielt, um zu verlieren.«
»Ich betrog wohl auch ein wenig . . . «
»Ihr waret auf Euren Vortheil bedacht. Weiter.«
»Mein Ehrwürdiger, nun fühle ich nichts mehr auf meinem Gewissen. Gebt mir die Absolution, und meine Seele kann, wenn sie Gott zu sich ruft, Hinderniß zu seinem Thron emporsteigen.«
Der Theatiner rührte weder die Arme, noch die Lippen.
»Worauf wartet Ihr, mein Ehrwürdiger?« sagte Mazarin.
»Ich warte auf das Ende.«
»Das Ende wovon?«
»Von der Beichte, Monseigneur.«
»Ich habe schon geendigt.«
»Oh! nein! Eure Eminenz täuscht sich.«
»Nicht daß ich wüßte.«
»Sucht wohl.«
»Ich habe so gut als möglich gesucht.«
»Dann will ich Euer Gedächtniß unterstützen.«
»Thut das.«
Der Theatiner hustete wiederholt und sagte dann: »Ihr sprecht nicht vom Geiz, was eine andere Todsünde ist, und auch nicht von den Millionen . . . «
»Welche Millionen meint Ihr, mein Ehrwürdiger?«
»Die, welche Ihr besitzt.«
»Mein Vater, dieses Geld gehört mir, warum sollte ich davon sprechen?«
»Seht, hierin sind unsere Ansichten verschieden, Ihr sagt, dieses Geld gehöre Euch, und ich glaube, daß es ein wenig Anderen gehört.«
Mazarin fuhr mit einer kalten Hand über seine Stirne, auf der der Schweiß perlte.
»Wie so?« stammelte er.
»Hört. Eure Eminenz hat sich viel Vermögen . . . im Dienste des Königs erworben . . . «
»Hm! viel ist nicht zu viel.«
»Wie dem sein mag, woher kam dieses Vermögen?«
»Vom Staat.«
»Der Staat ist der König.«
»Aber was schließt Ihr daraus, mein Ehrwürdiger?« fragte Mazarin, der zu zittern anfing,
»Ich kann nicht schließen ohne eine Liste der Güter, die Ihr besitzt . . . Rechnen wir ein wenig, wenn es Euch beliebt: Ihr habt das Bisthum Metz?«
»Ja.«
»Ihr habt die Abteien Saint.Clement, Saint-Arnoud und Saint-Vincent, Alles in Metz?«
»Ja.«
»Ihr habt die Abtei Saint-Denis, ein schönes Gut!«
»Ja, mein Ehrwürdiger.«
»Ihr habt die Abtei Cluny, welche reich ist!«
»Ich habe sie.«
»Ihr habt die von Saint-Metarde in Soissons, hunderttausend Livres Einkünfte!«
»Ich leugne es nicht.«
»Die von Saint-Victor in Marseille, eine der besten im Süden!«
»Ja, mein Vater.«
»Eine gute Million jährlich. Mit den Einkünften des Cardinalats und des Ministeriums heißt zwei Millionen jährlich wenig gesagt.«
»Ei!«
»In zehn Jahren macht das zwanzig Millionen . . . und zwanzig Millionen, zu fünf Procent angelegt, geben durch Progression zwanzig weitere Millionen in zehn Jahren.«
»Wie gut könnt Ihr rechnen für einen Theatiner!«
»Seitdem Eure Eminenz unsern Orden im Jahr 1644 in das Kloster versetzt hat, das wir bei Saint-Germain-des-Prés inne haben, führe ich die Rechnungen der Gesellschaft.«
»Und die meinigen, wie ich sehe, mein Ehrwürdiger.«
»Man muß von Allem ein wenig wissen.«
»Nun, so macht Euern Schluß.«
»Ich schließe daraus, daß Euer Gepäcke ein wenig zu dickleibig ist, als daß Ihr durch die Pforte des Paradieses eingehen könntet.«
»Ich werde verdammt sein?«
»Wenn Ihr nicht zurückgebt, ja.«
Mazarin stieß einen kläglichen Schrei aus.
»Zurückgeben! aber wem denn, guter Gott?«
»Dem Herrn dieses Geldes, dem König!«
»Der König hat mir dies Alles geschenkt!«
»Einen Augenblick Geduld! Der König unterzeichnet die Ordonnanzen nicht!«
Mazarin ging vom Seufzen zum Aechzen über und stammelte:
»Die Absolution!«
»Unmöglich, Monseigneur,« erwiederte der Theatiner, »gebt zurück, gebt zurück!«
»Aber Ihr absolvirt mich doch von allen Sünden, warum nicht von dieser?«
»Weil Euch in dieser Hinsicht absolviren eine Sünde wäre, von der mich der König nie absolviren würde, Monseigneur,« antwortete der Ehrwürdige.
Hiernach verließ der Beichtvater den Bußfertigen mit einer Miene voll Salbung und ging mit demselben Schritt hinaus, mit dem er eingetreten war.
»Oh! mein Gott, mein Gott!« seufzte der Cardinal.
. . . »Kommt, Colbert; ich bin sehr krank, mein Freund.«
VI.
Colbert schien wieder unter den Vorhängen.
»Habt Ihr gehört?« sagte Mazarin.
»Ach! ja, Monseigneur.«
»Hat er Recht? Ist all dieses Geld schlecht erworbenes Gut?«
»Ein Theatiner, Monseigneur, ist ein schlechter Richter, was Finanzen betrifft,« erwiederte mit kaltem Tone Colbert. »Es wäre indessen möglich, daß Seine Eminenz nach ihren theologischen Ansichten ein gewisses Unrecht hat. Es ist das immer so, wenn man stirbt.«
»Man hat vor Allem das, zu sterben, Colbert.«
»Das ist wahr, Monseigneur. Gegen wen findet Euch der Theatiner im Unrecht? gegen den König?«
Mazarin zuckte die Achseln.
»Als ob ich nicht seinen Staat und seine Finanzen gerettet hätte.«
»Das duldet keinen Widerspruch, Monseigneur.«
»Nicht wahr? Ich hätte also trotz der Ansichten meines Beichtvaters auf eine sehr rechtmäßige Weise einen Lohn verdient?«
»Das unterliegt keinem Zweifel.«
»Und ich könnte sogar für meine so dürftige Familie einen guten Theil von dem, was ich gewonnen habe, oder sogar Alles behalten?«
»Ich sehe kein Hindernis hiergegen, Monseigneur.«
»Ich war überzeugt, ich würde, mich mit Euch berathend, eine weise Ansicht vernehmen,« sprach Mazarin ganz freudig.
Colbert machte seine Pedantengrimasse und erwiederte:
»Monseigneur, man müßte indessen wohl erwägen, ob das, was der Theatiner gesagt hat, nicht eine Falle ist.«
»Nein! eine Falle? . . . warum? Der Theatiner ist ein ehrlicher Mann.«
»Er glaubte Eure Eminenz vor den Pforten des Grabes, da Eure Eminenz ihn zu Rath zog . . . Habe ich ihn nicht zu Euch sagen hören: »»Unterscheidet das, was Euch der König gegeben hat, von dem, was Ihr Euch selbst gegeben habt . . . «« Sucht wohl, Monseigneur, ob er das nicht zu Euch sagte; das ist so ziemlich ein Theatinerwort.«
»Es wäre möglich.«
»In welchem Fall, Monseigneur, ich es so betrachte, daß es Euch von dem Theatiner zur Pflicht gemacht worden ist . . . «
»Wiederzuerstatten?« rief Mazarin ganz erhitzt.
»Ei! ich sage nicht nein.«
»Alles wiederzuerstatten! Ihr denkt nicht daran . . . Ihr sprecht wie der Beichtiger.«
»Einen Theil wiedererstatten, nämlich Seiner Majestät ihren Antheil zuscheiden, und das kann seine Gefahren haben, Monseigneur. Eure Eminenz ist ein zu gewandter Politiker, um nicht zu wissen, daß der König zu dieser Stunde keine hundertundfünfzig tausend Livres in seinen Kassen besitzt.«
»Das ist nicht meine Sache,« entgegnete Mazarin triumphirend, »es ist die des Herrn Oberintendanten Fouquet, dessen Rechnungen ich Euch in den letzten Monaten insgesammt zu durchsehen und zu beglaubigen gegeben habe.«
Colbert biß sich schon bei dem Namen Fouquet auf die Lippen.
»Seine Majestät,« sagte er durch die Zähne, »hat kein anderes Geld als das, welches ihr Herr Fouquet aufhäuft; Euer Geld, Monseigneur, wird ein leckeres Futter für sie sein.«
»Kurz, ich bin nicht Oberintendant der Finanzen des Königs; ich habe allerdings meine Börse, ich würde wohl einige Legate für die Wohlfahrt Seiner Majestät machen . . . aber ich kann meine Familie nicht verkürzen.«
»Ein theilweises Legat entehrt Euch und beleidigt den König. Ein Theil, Seiner Majestät vermacht, ist das Geständniß, daß Euch dieser Theil Zweifel eingeflößt hat, als wäre er nicht rechtmäßig erworben.«
»Herr Colbert! . . . «
»Ich glaubte, Eure Eminenz erwiese mir die Ehre, mich um einen Rath zu fragen.«
»Ja; doch Ihr kennt die Hauptumstände der Frage nicht.«
»Es gibt nichts, was ich nicht wüßte, Monseigneur; seit zehn Jahren durchgehe ich alle Colonnen von Zahlen, welche in Frankreich gemacht werden, und wenn ich sie auch nur sehr mühsam in meinen Kopf genagelt habe, so stehen sie nun doch darin so fest, daß ich von der Küche von Herrn Letellier, der sehr nüchtern ist, bis zu den kleinen geheimen Freigebigkeiten von Herrn Fouquet, der ein Verschwender ist, Zahl für Zahl alles Geld hersagen könnte, das von Marseille bis Cherbourg ausgegeben wird.«
»Ihr möchtet also gern, daß ich all mein Geld in die Kassen des Königs werfe!« rief ironisch der Cardinal, dem zugleich die Gicht mehrere schmerzliche Seufzer entriß. »Der König würde mir hierüber sicherlich keine Vorwürfe machen, aber er würde, meine Millionen verzehrend, über mich spotten, und er hätte Recht.«
»Eure Eminenz hat mich nicht verstanden. Ich habe entfernt nicht behauptet, der König müßte Euer Geld ausgeben.«
»Ihr sagt es ganz klar, wie mir scheint, indem Ihr mir rathet, es ihm zu schenken.«
»Ah!« erwiederte Colbert, »von ihrem Leiden angegriffen, verliert Eure Eminenz den Charakter Seiner Majestät König Ludwig XIV. ganz aus dem Blick.«
»Wie so?«
»Dieser Charakter gleicht, glaube ich, wenn ich mich so ausdrücken darf, dem, welchen Monseigneur so eben dem Theatiner gebeichtet hat.«
»Drückt Euch immerhin aus; das ist?«
»Die Hoffart. Verzeiht, Monseigneur, der Stolz, wollte ich sagen. Die Könige haben keine Hoffart, denn das ist eine menschliche Leidenschaft.«
»Die Hoffart, ja, Ihr habt Recht; hernach . . . «
»Nun, Monseigneur, wenn ich es richtig getroffen habe, so braucht Eure Eminenz dem König nur all ihr Geld zu schenken, und zwar sogleich zu schenken.«
»Aber warum denn?« fragte Mazarin sehr begierig.
»Weil der König nicht das Ganze annehmen wird.«
»Oh! ein junger Mensch, der kein Geld Hat und von Ehrgeiz zerfressen wird!«
»Es mag sein.«
»Ein junger Mensch, der meinen Tod wünscht.«
»Monseigneur . . . «
»Um zu erben, ja, Colbert, er wünscht meinen Tod, um zu erben! Ich Dummkopf! ich würde ihm zuvorkommen!«
»Ganz richtig. Wenn die Schenkung in einer gewissen Form gemacht ist, wird er sie ausschlagen.«
»Geht doch!«
»Das ist unleugbar. Ein junger Mensch, der nichts gethan hat, der vor Verlangen, berühmt zu werden, allein zu regieren, brennt, wird nichts Gebautes annehmen; er wird selbst bauen wollen. Dieser Fürst wird sich weder mit dem Palais Royal, das ihm Herr von Richelieu vermacht, noch mit dem Palais Mazarin, das Ihr so herrlich habt bauen lassen, noch mit dem von seinen Ahnen bewohnten Louvre, noch mit Saint-Germain, wo er geboren worden ist, begnügen. Alles, was nicht von ihm herrührt, wird er verachten, das sage ich zum Voraus.«
»Und Ihr verbürgt Euch dafür, daß, wenn ich dem König meine vierzig Millionen schenke . . . «
»Sagt Ihr ihm dabei gewisse Dinge, so verbürge ich mich dafür, daß er sie ausschlägt.«
»Diese Dinge . . . sind?«
»Ich werde sie schreiben, wenn sie mir Monseigneur dictiren will.«
»Doch welcher Vortheil soll daraus für mich erwachsen?«
»Ein ungeheurer. Niemand kann mehr Eure Eminenz des ungerechten Geizes beschuldigen, den dem glänzendsten Geist dieses Jahrhunderts die Pamphletisten zum Vorwurfgemacht haben.«
»Du hast Recht, Colbert, Du hast Recht; begib Dich in meinem Auftrag zum König und überbringe ihm mein Testament. Aber wenn er annehmen würde!«
»Dann blieben Eurer Familie dreizehn Millionen, und das ist eine hübsche Summe.«
»Doch Du wärest dann ein Verräther oder ein Dummkopf.«
»Und ich bin weder das Eine, noch das Andere, Monseigneur . . . Ihr scheint mir ungemein bange zu haben, der König könnte die Schenkung annehmen . . . Oh! fürchtet vielmehr, daß er nicht annimmt . . . «
»Wenn er nicht annimmt, stehst Du, dann will ich ihm meine dreizehn andere Millionen garantiren, ja, ich werde das thun . . . ja . . . Doch der Schmerz kommt; es befällt mich wieder eine Schwäche. Colbert, ich bin sehr krank, ich bin meinem Ende nahe.«
Colbert bebte.
Der Cardinal war in der That sehr krank; er schwitzte große Tropfen auf seinem Schmerzenslager, und diese furchtbare Blässe eines von Schweiß triefenden Gesichtes war ein Schauspiel, das der verhärtetste Arzt nicht ohne Mitleid ertragen hätte. Colbert war ohne Zweifel sehr bewegt, denn er verließ das Zimmer, rief Bernouin zu dem Sterbenden und ging in den Corridor.
Mit einem Ausdruck des Nachsinnens, der seinen gemeinen Kopf beinahe edel erscheinen ließ, auf und ab gehend, die Schultern gerundet, den Hals gespannt, die Lippen leicht geöffnet, um lose Fetzen unzusammenhängender Gedanken herauszulassen, machte er sich Muth zu einem Schritt, den er versuchen wollte, während, nur durch eine Mauer von ihm getrennt, sein Herr weder mehr an die Schätze der Erde, noch an die Freuden des Paradieses, sondern einzig und allein an die Schrecknisse der Hölle denkend, mit Bangigkeiten kämpfte, die ihm klägliche Schreie entrissen.
Indeß die glühenden Servietten, die örtlichen Heilmittel und Guénaud, den man zum Cardinal zurückberufen hatte, mit wachsender Thätigkeit arbeiteten, sann Colbert, seinen dicken Kopf in beiden Händen haltend, um das Fieber der vom Gehirn erzeugten Pläne zu überwinden, über den Inhalt der Schenkung nach, die er Mazarin in der ersten Stunde der Ruhe, welche ihm sein Leiden gönnen würde, schreiben lassen wollte. Es schien, als ob alle diese Schreie des Cardinals und alle diese Angriffe des Todes auf den Repräsentanten der Vergangenheit Reizmittel für den Geist dieses Denkers mit den dicken Augenbrauen gewesen wären, der sich schon dem Ausgang der neuen Sonne einer wiedergeborenen Gesellschaft zuwandte.
Colbert kehrte zu Mazarin zurück, als sich die Vernunft wieder bei dem Kranken eingestellt hatte, und bewog ihn, eine folgender Maßen abgefaßte Schenkung zu dictiren:
Der Cardinal unterzeichnete seufzend; Colbert versiegelte das Paquet und brachte es sogleich in den Louvre, wohin der König zurückgekehrt war.
Dann ging er wieder nach seiner Wohnung, sich die Hände mit dem Vertrauen eines Arbeiters reibend, der seinen Tag gut angewendet hat.
VII.
Die Nachricht von dem nahe bevorstehenden Ende des Cardinals verbreitete sich rasch und zog wenigstens ebenso viele Menschen in den Louvre, als die Kunde von der Verheirathung von Monsieur, dem Bruder des Königs, welche schon officiell veröffentlicht worden war.
Kaum war Ludwig XIV. in seine Gemächer, noch ganz träumerisch über die Dinge, die er an diesem Abend gesehen oder gehört hatte, zurückgekehrt, als der Huissier meldete, dieselbe Menge von Höflingen, die sich am Morgen zur Aufwartung gedrängt, zeige sich abermals bei seinem Schlafengehen, eine ganz besondere Auszeichnung, welche man seit der Regierung des Cardinals, äußerst indiscret in seiner Bevorzugung, ohne sich viel darum zu bekümmern, ob es dem König mißfallen dürfte, dem Minister zugestanden hatte.
Doch der Minister war, wie gesagt, von einem sehr schweren Gichtanfall heimgesucht worden, und die Fluth der Schmeichelei stieg gegen den Thron.
Die Höflinge haben den wunderbaren Instinct, zum Voraus alle Ereignisse zu riechen; die Höflinge besitzen die oberste Wissenschaft: sie sind Diplomaten, um die großen Entwickelungen schwieriger Umstände aufzuklären, Feldherren, um den Ausgang der Schlachten zu errathen, Aerzte, um die Krankheiten zu heilen.
Ludwig XIV., den seine Mutter dieses Axiom wie so viele andere gelehrt hatte, begriff, daß Seine Eminenz Monseigneur der Cardinal Mazarin sehr krank war.
Kaum hatte Anna von Oesterreich die junge Königin in ihre Gemächer zurückgeführt und ihre Stirne von der Last des Ceremonienschmuckes erleichtert, als sie ihren Sohn in dem Cabinet aufsuchte, wo er allein, düster und das Herz geschworen, gleichsam um seinen Willen zu üben, über sich selbst eine von jenen dumpfen und furchtbaren Stimmungen des Zorns, eines Königszorns, ergehen ließ, welche Stimmungen, wenn sie zum Ausbruch kommen, Ereignisse werden und bei Ludwig XIV., in Folge seiner wunderbaren Selbstbeherrschung, so liebreiche Stürme wurden, daß sein aufbrausendster, sein einziger Zorn, der, welchen Saint-Simon mit Verwunderung bezeichnet, der bekannte Zorn war, welcher fünfzig Jahre später wegen eines Verstecks des Herrn Herzogs du Maine losbrach und zum Resultat einen Hagel von Stockstreichen auf den Rücken eines armen Lackeien hatte, der ein Zwieback gestohlen.
Der König war also, wie wir gesehen, einer schmerzlichen Aufregung preisgegeben, und sagte zu sich selbst, indem er sich in einem Spiegel betrachtete:
»O König! . . . König dem Namen und nicht der Sache nach! Phantom, leeres Phantom, das du bist! träge Bildfäule ohne eine andere Macht, als die, eine Begrüßung bei den Höflingen hervorzurufen, wann wirst du deinen Sammetarm erheben, deine seidene Hand schließen können? Wann wirst du, um etwas Anderes zu thun, als zu seufzen oder zu lächeln, deine zur albernen Unbeweglichkeit des Marmors einer Gallerie verdammten Lippen öffnen können?«
Dann fuhr er mit der Hand über seine Stirne, trat Luft suchend an das Fenster und sah unten einige Kavaliere, welche unter sich plauderten, und einige schüchtern neugierige Gruppen. Diese Cavaliere waren eine Abtheilung von der Wache; diese Gruppe bestand aus den Geschäftigen vom Volk, aus den Leuten, für die ein König immer eine Curiosität ist, wie ein Rhinoceros, ein Krokodil! oder eine Schlange.
Er schlug sich mit der fischen Hand vor die Stirne und rief:
»König von Frankreich! welch ein Titel! Volk von Frankreich! welche Masse von Geschöpfen! Und ich kehre in meinen Louvre zurück, kaum ausgespannt, rauchen meine Pferde noch, und ich habe gerade hinreichend Interesse erregt, daß kaum zwanzig Neugierige mich vorübergehen sehen . . . Was sage ich! Nein, es gibt nicht zwanzig Neugierige für den König von Frankreich. Es gibt nicht einmal zehn Bogenschützen, um über meinem Haus zu wachen: Bogenschützen, Voll, Garden, Alles ist im Palais Royal. Mein Gott! warum? Habe ich, der König, nicht das Recht, Euch dies zu fragen?«
»Weil,« antwortete hierauf eine Stimme, welche jenseits des Thürvorhangs vom Cabinet ertönte, »weil im Palais Royal alles Gold, das heißt, alle Macht desjenigen ist, welcher regieren will.«
Ludwig wandte sich hastig um. Die Stimme, welche diese Worte ausgesprochen hatte, war die von Anna von Oesterreich. Der König bebte, ging seiner Mutter entgegen und sagte:
»Ich hoffe, Eure Majestät hat keine Aufmerksamkeit den leeren Declamationen geschenkt, zu denen die bei den Königen einheimische Einsamkeit und Langweile die glücklichsten Charaktere veranlassen.«
»Ich habe nur Eines bemerkt, mein Sohn: daß Ihr Euch beklagtet.«
»Ich! keines Weges,« sprach Ludwig XIV., »in der That nicht; Ihr täuscht Euch, Madame.«
»Was machtet Ihr denn, Sire?«
»Es kam mir vor, als stände ich unter der Ruthe meines Lehrers und hätte einen rhetorischen Gegenstand zu entwickeln.«
»Mein Sohn erwiederte Anna von Oesterreich, den Kopf schüttelnd, »Ihr habt Unrecht, nicht auf mein Wort zu bauen; Ihr habt Unrecht, mir kein Vertrauen zu schenken. Es wird ein Tag kommen, ein Tag, der vielleicht nahe ist, wo Ihr Euch nothwendig werdet des Axioms erinnern müssen: »»Das Gold ist die Allmacht, und nur diejenigen allein sind wahrhaft Könige, welche allmächtig sind.««
»Es ist aber nicht Eure Absicht, die Reichen dieses Jahrhunderts zu schmähen?« versetzte der König.
»Nein,« antwortete Anna von Oesterreich rasch, »nein, Sire; diejenigen, welche in diesem Jahrhundert unter Eurer Regierung reich sind, sind es, weil Ihr es so habt wollen, und ich hege weder Groll, noch Neid gegen sie; sie haben ohne Zweifel Eurer Majestät so gut gedient, daß sie ihnen sich selbst zu belohnen erlaubte. Dies meinte ich mit den Worten, die Ihr mir zum Vorwurf zu machen scheint.«
»Gott behüte mich, Madame, daß ich meiner Mutter je etwas zum Vorwurf mache.«
»Ueberdies,« fuhr Anna von Oesterreich fort, »überdies gibt der Herr die Güter der Erde nur immer für eine gewisse Zeit: der Herr hat als auflösende Mittel für Ehren und Reichthümer das Leiden, die Krankheit, den Tod geschaffen; und Niemand,« fügte die Königin Mutter mit einem schmerzlichen Lächeln bei, das bewies, daß sie auf sich selbst diesen traurigen Lehrsatz anwandte, »Niemand nimmt seine Habe oder seine Größe in das Grab mit. Dadurch erfolgt, daß die Jungen die Früchte der für die Alten bereiteten üppigen Ernte einheimsen.«
Ludwig horchte mit wachsender Aufmerksamkeit auf diese von Anna von Oesterreich, offenbar in einer tröstlichen Absicht, stark betonten Worte.
»Madame,« sagte Ludwig XIV., seine Mutter fest anschauend, »man sollte in der Thai glauben, Ihr hättet mir etwas mehr zu verkündigen.«
»Ich habe durchaus nichts, mein Sohn; Ihr mußtet nur diesen Abend bemerken, daß der Herr Cardinal sehr krank ist.«
Ludwig schaute seine Mutter an: er suchte eine Erschütterung ihrer Stimme, einen Schmerz in ihrer Physiognomie. Das Gesicht von Anna von Oesterreich schien leicht angegriffen; doch dieses Leiden hatte einen ganz persönlichen Charakter. Vielleicht wurde die Veränderung durch den Krebs veranlaßt, der schon an ihrer Brust zu nagen anfing.
»Ja, Madame,« sagte der König, »ja, Herr von Mazarin ist sehr krank.«
»Und es wäre ein großer Verlust für das Reich, wenn Seine Eminenz von Gott abberufen würde. Ist meine Meinung nicht auch die Eurige, mein Sohn?« fragte Anna von Oesterreich.
»Ja, Madame, ja, gewiß, es wäre ein großer Verlust für das Königreich,« antwortete Ludwig erröthend; »doch die Gefahr ist nicht so bedeutend, wie mir scheint . . . und überdies ist der Herr Cardinal noch jung.«
Kaum hatte der König diese Worte gesprochen, als ein Huissier den Vorhang aufhob und unter der Thüre stehen blieb, wo er, ein Papier in der Hand, wartete, bis ihn der König fragen würde.
»Was wollt Ihr?« fragte der König.
»Eine Sendung von Herrn von Mazarin,« antwortete der Huissier.
»Gebt,« sprach der König.
Und er nahm das Papier, Doch in dem Augenblick, wo er es öffnen wollte, entstand ein gewaltiger Lärmen in der Gallerie, in den Vorzimmern, im Hof.
»Ah! ah!« sprach Ludwig XIV., der ohne Zweifel dieses dreifache Geräusch erkannte, »was sagte ich doch, es gebe nur einen König in Frankreich! ich täuschte mich, es gibt zwei.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre und der Oberintendant der Finanzen, Fouquet, erschien vor Ludwig XIV. Er war es, der den Lärmen in der Gallerte machte; die Lackeien waren es, die den Lärmen in den Vorzimmern machten; die Pferde waren es, die den Lärmen Im Hof machten. Dabei hörte man ein anhaltendes Gemurmel auf seinem Wege, das erst, nachdem er längst vorübergegangen war, erlosch. Es war dies das Gemurmel, das Ludwig XIV. nicht unter feinen Tritten zu hören so sehr bedauerte.
»Das ist nicht gerade ein König, wie Ihr glaubt,« sprach Anna von Oesterreich zu ihrem Sohn; »es ist nur ein zu reicher Mann.«
Und indem sie dies sagte, gab ein bitteres Gefühl den Worten der Königin ihren gehässigsten Ausdruck, während die Stirne von Ludwig, der ruhig und seiner Herr blieb, von der leisesten Falte frei war.
Er begrüßte also Fouquet ganz ungezwungen mit dem Kopf, indeß er das Papier, das ihm der Huissier übergeben, zu entfalten fortfuhr.
Fouquet sah diese Bewegung und näherte sich mit einer zugleich leichten und ehrfurchtsvollen Höflichkeit Anna von Oesterreich, um dem König volle Freiheit zu lassen.
Ludwig hatte das Papier geöffnet und las dennoch nicht.
Er horchte auf Fouquet, der seiner Mutter bewunderungswürdig gedrechselte Complimente über ihre Hände und ihre Arme machte.
Das Gesicht von Anna von Oesterreich entrunzelte sich und ging beinahe zum Lächeln über.
Fouquet bemerkte, daß der König, statt zu lesen, ihn anschaute und auf ihn horchte; er machte eine halbe Wendung und befand sich, während er zugleich, so zu sagen, Anna von Oesterreich anzugehören fortfuhr, dem König gegenüber.
»Ihr wißt, Herr Fouquet, daß Seine Eminenz sehr krank ist?« sprach der König.
»Ja, Sire, ich weiß es,« antwortete Fouquet, »der Cardinal ist in der That sehr krank. Ich war auf meinem Landgute Vaux, als die Nachricht so dringend bei mir eintraf, daß ich Alles verließ.«
»Ihr habt diesen Abend Vaux verlassen, mein Herr?«
»Vor anderthalb Stunden, ja, Eure Majestät,« antwortete Fouquet, indem er auf eine ganz mit Brillanten besetzte Uhr schaute.
»Anderthalb Stunden,« sagte der König, mächtig genug, um seinen Zorn zu bemeistern, doch nicht, um sein Erstaunen zu verbergen.
»Ich verstehe, Sire, Eure Majestät zweifelt an meinem Wort, und sie hat Recht! doch wenn ich so rasch gekommen bin, ist es wahrhaftig ein Wunder. Man schickte mir aus England drei Paar Pferde, welche, wie man mich versicherte, sehr rasch sein sollten; sie waren von vier zu vier Stunden aufgestellt, und ich probirte sie diesen Abend. Sie haben in der That den Weg von Vaux nach dem Louvre in anderthalb Stunden zurückgelegt, und Eure Majestät sieht, daß ich nicht betrogen worden bin.«
Die Königin Mutter lächelte mit einem geheimen Neid.
Fouquet kam diesem schlimmen Gedanken entgegen und fügte rasch bei:
»Solche Pferde, Madame, sind auch nicht für Unterthanen, sondern für Könige gemacht, denn die Könige dürfen nie irgend Jemand, in was es auch sein mag, nachstehen.«
Der König erhob das Haupt.
»Ihr seid aber nicht König, daß ich wüßte, Herr Fouquet,« sprach Anna von Oesterreich.
»Madame, die Pferde warten auch nur auf einen Wink Seiner Majestät, um in die Ställe des Louvre geführt zu werden; und wenn ich mir dieselben zu probiren erlaubt habe, so geschah es nur in der Furcht, ich dürfte dem König etwas anbieten, was nicht gerade ein Wunder wäre.«
Der König wurde sehr roth.
»Ihr wißt, Herr Fouquet,« erwiederte die Königin Mutter, »es ist nicht der Brauch am Hof von Frankreich, daß ein Unterthan seinem König etwas anbietet,«
Ludwig machte eine Bewegung.
»Madame,« entgegnete Fouquet sehr bewegt, »ich hoffte, meine Liebe für Seine Majestät, mein unablässiges Verlangen, ihr zu gefallen, würden diesem Grund der Etiquette als Gegengewicht dienen. Uebrigens war es nicht ein Geschenk, was ich anzubieten mir erlaubte, sondern ein Tribut, den ich entrichten wollte.«
»Ich danke, Herr Fouquet,« sagte der König mit höflichem Ton, »ich bin Euch erkenntlich für die Absicht, denn ich liebe in der That die guten Pferde; aber Ihr wißt, daß ich nicht reich bin; Ihr wißt es besser, als irgend Jemand, Ihr, mein Oberintendant der Finanzen. Ich kann also, selbst wenn ich wollte, ein so theures Gespann nicht kaufen.«
Fouquet schleuderte einen Blick voll Stolz der Königin Mutter zu, welche über die falsche Stellung des Ministers zu triumphiren schien und erwiederte:
»Der Luxus ist die Tugend der Könige, Sire; der Luxus macht sie Gott ähnlich; durch den Luxus sind sie mehr als die anderen Menschen. Mit dem Luxus nährt und ehrt ein König seine Unterthanen. Unter dem sanften Luxus der Könige entsteht der Luxus der Privatleute, eine Quelle der Reichthümer des Volks. Durch die Annahme des Geschenkes von sechs unvergleichlichen Pferden hätte Seine Majestät die Eitelkeit der Züchter unseres Landes, des Limousin, des Perche, der Normandie, gestachelt, und ein für Alle nützlicher Wetteifer wäre daraus entstanden . . . doch der König schweigt und ich bin folglich verurtheilt.«
Während dieser Zeit machte Ludwig XIV., um sich eine Haltung zu geben, das Papier von Mazarin, auf das er noch keinen Blick geworfen hatte, auf und zu.
Endlich verweilte sein Auge darauf, und schon bei der ersten Zeile stieß er einen leichten Schrei aus.
»Was gibt es denn, mein Sohn?« fragte Anna von Oesterreich, indem sie sich rasch dem König näherte.
»Vom Cardinal,« antwortete der König fortfahrend . . . »Ja, ja, das ist gut von ihm.«
»Geht es ihm denn schlimmer?«
»Leset,« sprach der König und gab das Papier seiner Mutter, als dächte er, Anna von Oesterreich müßte nothwendig lesen, um sich von einer so erstaunlichen Sache, wie die, welche das Papier enthielt, zu überzeugen.
Anna von Oesterreich las ebenfalls. Während sie las, funkelten ihre Augen von einer immer lebhafteren Freude, welche sie vergebens zu verbergen suchte, und die die Blicke von Fouquet anzog.
»Ja, eine förmliche Schenkung,« sagte sie.
»Eine Schenkung?« wiederholte Fouquet.
»Ja,« sagte der König, dem Oberintendanten der Finanzen besonders antwortend, »ja, auf dem Punkte, zu sterben, macht mir der Herr Cardinal eine Schenkung mit seinem ganzen Vermögen.«
»Vierzig Millionen I« rief die Königin. »Ah! mein Sohn, das ist ein schöner Zug vom Herrn Cardinal, der vielen böswilligen Gerüchten widersprechen wird; vierzig Millionen, langsam aufgehäuft, fließen so mit einem Schlag in Masse in den königlichen Schatz; . . . das ist die Handlungsweise eines treuen Untertanen und eines wahren Christen.«
Und nachdem sie noch einmal ihre Augen auf die Urkunde geheftet hatte, gab sie dieselbe Ludwig XIV. zurück, den das Aussprechen dieser ungeheuren Summe ganz zittern machte.
Fouquet war einige Schritte rückwärts gegangen und schwieg.
Der König reichte ihm das Papier ebenfalls.
Der Oberintendant verweilte nur eine Secunde mit seinem hoffärtigen Blick darauf. Dann verbeugte er sich und sprach:
»Ja, Sire, eine Schenkung, wie ich sehe,«
»Ihr müßt antworten, mein Sohn,« rief Anna von Oesterreich.
»Wie dies, Madame?«
»Durch einen Besuch beim Cardinal.«
»Aber ich habe Seine Eminenz erst vor einer Stunde verlassen.«
»Dann schreibt, Sire.«
»Schreiben!» rief der junge König mit einem Widerstreben.
»Ei! mein Sohn,« sagte Anna von Oesterreich, »mir scheint, ein Mann, der ein solches Geschenk gemacht hat, ist wohl berechtigt, zu erwarten, daß man ihm mit einiger Eile, dankt.«
Dann sich gegen den Oberintendanten umwendend:
»Ist das nicht Eure Ansicht, Herr Fouquet?«
»Das Geschenk ist wohl der Mühe werth, ja, Madame,« erwiederte her Oberintendant mit einem Adel, welcher dem König nicht entging.
»Nehmt es also an und dankt,« sprach Anna von Oesterreich.
»Was sagt Herr Fouquet?« fragte Ludwig XIV.
»Seine Majestät will meine Ansicht wissen?«
»Ja.«
»Dankt, Sire . .
»Ah!« machte Anna von Oesterreich.
»Doch nehmt nicht an,« fuhr Fouquet fort.
»Warum nicht?« fragte Anna von Oesterreich.
»Ihr habt es selbst gesagt, Madame,« erwiederte Fouquet, »weil die Könige von ihren Unterthanen Geschenke weder annehmen können, noch dürfen.«
Der König blieb stumm zwischen diesen zwei so sehr entgegengesetzten Ansichten.
»Aber vierzig Millionen!« sagte Anna von Oesterreich.
»Ich weiß es,« sprach Fouquet lachend, »vierzig Millionen sind eine schöne Summe, und eine solche Summe könnte sogar das Gewissen eines Königs in Versuchung führen.«
»Aber, mein Herr,« entgegnete Anna von Oesterreich, »statt den König von der Annahme dieses Geschenkes abwendig zu machen, bemerkt lieber Seiner Majestät, Ihr, dessen Amt es ist, daß diese vierzig Millionen ein Vermögen bilden.«
»Gerade, Madame, weil diese vierzig Millionen ein Vermögen bilden, sage ich zum König: »»Sire, es ist nicht schicklich, daß ein König von einem Unterthanen sechs Pferde von zwanzigtausend Livres annimmt, es ist entehrend, daß er sein Vermögen einem andern Unterthanen zu verdanken hat, der mehr oder minder ängstlich in der Wahl der Materialien war, welche zur Erbauung dieses Vermögens beitrugen.««
»Mein Herr, es steht Euch nicht an, dem König eine Lection zu geben,« sagte Anna von Oesterreich; »verschafft ihm eher vierzig Millionen, um die zu ersetzen, welche Ihr ihn verlieren macht.«
»Der König wird sie haben, sobald er will,« sprach der Oberintendant der Finanzen sich verbeugend.
»Ja, indem Ihr sie vom Volk herauspreßt,« sagte Anna von Oesterreich.
»Ei! Madame,« entgegnete Fouquet, »ist das Volk nicht auch gepreßt worden, als man es die durch diese Urkunde geschenkten vierzig Millionen schwitzen ließ? Uebrigens hat mich Seine Majestät um meine Ansicht gefragt und ich habe sie ausgesprochen; Seine Majestät verlange meine Mitwirkung, und ich werde bemüht sein, zu wirken.«
»Auf, auf, mein Sohn, nehmt das Geschenk an,« sprach Anna von Oesterreich, »Ihr steht über den Deutungen und Gerüchten.«
»Weigert Euch, Sire,« sagte Fouquet. »So lange ein König lebt, hat er kein anderes Niveau, als sein Gewissen, keinen anderen Richter, als seinen Wunsch: doch ist er todt, so hat er die Nachwelt, die ihm Beifall spendet, oder ihn anklagt.«
»Ich danke, meine Mutter,« sprach Ludwig XIV., sich ehrfurchtsvoll vor der Königin verbeugend; »ich danke, Herr Fouquet,« sagte er höflich, den Oberintendanten entlassend.
»Nehmt Ihr an?« fragte abermals Anna von Oesterreich.
»Ich werde es mir überlegen,« antwortete der König und schaute dabei Fouquet an.
VIII.
An demselben Tag, wo die Schenkung dem König überschickt worden war, hatte sich der Cardinal nach Vincennes bringen lassen. Der König und der Hof waren ihm gefolgt. Der letzte Schimmer dieser Fackel verbreitete noch Glanz genug, um in seiner Strahlung alle andere Lichter zu verschlingen. Als ein getreuer Trabant seines Ministers, ging der junge Ludwig XIV., wie man steht, bis zum letzten Augenblick in der Richtung seiner Gravitation. Das Uebel hatte sich nach der Vorhersagung von Guénaud verschlimmert; es war nicht mehr ein Gichtanfall, sondern ein Todesanfall. Dann gab es einen Umstand, der für den mit dem Tode Ringenden ganz besonders gefahrvoll war: die Angst, in welche sein Geist die an den König abgesandte Schenkung versetzte, welche Ludwig XIV., nach den Worten von Colbert, dem Cardinal nicht angenommen zurückschicken sollte. Der Cardinal hatte, wie wir gesehen, großes Vertrauen zu den Weissagungen seines Secretaire; doch die Summe war stark, und wie bedeutend auch das Genie von Colbert sein mochte, so dachte doch von Zeit zu Zeit der Cardinal, auch der Theatiner könne sich täuschen, und es gebe wenigstens ebenso viel Chancen, daß er nicht verdammt werde, als vorhanden seien, daß Ludwig XIV. ihm seine Millionen zurückschicke.
Je mehr die Schenkung zurückzukehren zögerte, desto mehr fand überdies Mazarin, vierzig Millionen lohnen sich schon der Mühe, daß man etwas wage, und besonders etwas so Hypothetisches wie die Seele.
In seiner Eigenschaft als Cardinal und erster Minister war Mazarin etwas Atheist und ganz und gar Materialist.
So oft die Thüre sich öffnete, wandte er sich daher rasch um, im Glauben, seine unglückliche Schenkung würde durch diese Thüre zurückkehren; doch in seiner Hoffnung getäuscht, legte er sich mit einem Seufzer wieder nieder, und nahm seinen Schmerz um so heftiger wieder auf, als er ihn einen Augenblick vergessen hatte.
Anna von Oesterreich war auch dem Cardinal gefolgt; ihr Herz, obgleich durch das Alter selbstsüchtig geworden, konnte es sich nicht versagen, diesem Sterbenden eine Traurigkeit kundzugeben, die sie ihm, wie die Einen sagten, als Frau, wie die Andern sagten, als Souverainin schuldig war.
Sie hatte gewissermaßen die Gesichtstrauer zum Voraus angelegt, und der ganze Hof trug diese mit ihr.
Um nicht auf seinem Antlitz zu zeigen, was in der Tiefe seiner Seele vorging, blieb Ludwig hartnäckig in seinem Zimmer eingeschlossen, wo ihm seine Amme allein Gesellschaft leistete; je näher er sich dem Ziele sah, wo jeder Zwang für ihn aufhören würde, desto demüthiger und geduldiger machte er sich, desto mehr zog er sich, wie alle starken Menschen, die einen Plan haben, in sich selbst zurück, um sich im entscheidenden Augenblick mehr Federkraft zu verleihen.
Man hatte insgeheim die letzte Oelung dem Cardinal gegeben, der, getreu seiner Gewohnheit, sich zu verstellen, gegen den Anschein und selbst gegen die Wirklichkeit kämpfte und in seinem Bett empfing, als wäre er nur von einem vorübergehenden Uebel befallen worden.
Guénaud beobachtete seinerseits das vollkommenste Stillschweigen; von allen Seiten mit Fragen bedrängt, antwortete er nichts, wenn nicht: »Seine Eminenz ist noch voll Jugend und Kraft; doch Gott will, was er will, und wenn er beschließt, das menschliche Gebäude soll einstürzen, so stürzt es auch nothwendig ein.«
Diese Worte, die er mit einer Art von Discretion, von Zurückhaltung, und gleichsam vorzugsweise ausstreute, wurden von zwei Personen mit großem Interesse erläutert: vom König und vom Cardinal.
Trotz der Prophezeiung von Guénaud, hinterging sich Mazarin fortwährend, oder besser gesagt, er spielte seine Rolle so gut, daß die Feinsten, indem sie sagten, er hintergehe sich, bewiesen, daß sie von ihm bethört waren.
Seit zwei Tagen vom Cardinal entfernt, das Auge starr auf die Schenkung geheftet, die den Cardinal so stark beschäftigte, wußte Ludwig nicht genau, woran Mazarin war. Die väterlichen Ueberlieferungen verfolgend, war Ludwig XIV. bis dahin so wenig König gewesen, daß, so glühend er sich auch nach dem Königthum sehnte, seine Sehnsucht doch von jener Angst begleitet war, welche das Unbekannte stets einflößt. Nachdem er seinen Entschluß gefaßt hatte, den er übrigens Niemand mittheilte, beschloß er auch, von Mazarin eine Zusammenkunft zu verlangen.
Anna von Oesterreich, welche beständig beim Cardinal verweilte, hörte zuerst diesen Vorschlag des Königs, der, als sie ihn dem Sterbenden eröffnete, diesen beben machte.
In welcher Absicht verlangte Ludwig XlV. eine Zusammenkunft? Geschah es, um zurückzugeben, wie Colbert gesagt hatte? Geschah es, um nach einer Danksagung zu behalten, wie Mazarin dachte? Nichtsdestoweniger zögerte der Sterbende nicht einen Augenblick, da er fühlte, wie diese Ungewißheit sein Uebel noch verschlimmerte.
»Seine Majestät wird sehr willkommen sein, ja, sehr willkommen, « rief er, indem er Colbert, welcher am Fuße seines Bettes saß, ein Zeichen machte, das dieser vollkommen verstand. »Madame,« fuhr Mazarin fort, »würde Eure Majestät wohl so gut sein, den König selbst der Wahrheit dessen, was ich gesagt habe, zu versichern?«
Anna von Oesterreich stand auf; es drängte sie auch, Gewißheit über den Punkt der vierzig Millionen zu erhalten, die der dumpfe Gedanke von Jedermann waren.
Sobald Anna von Oesterreich sich entfernt hatte, erhob sich Mazarin mit großer Anstrengung gegen Colbert und sagte:
»Nun, Colbert, das waren zwei unglückliche Tage! zwei tödtliche Tage, und Du siehst, es ist nichts von dort zurückgekehrt.«
»Geduld, Monseigneur,« erwiederte Colbert.
»Bist Du ein Narr, Unglücklicher! Du räthst mir Geduld! Oh! wahrhaftig, Colbert, Du spottest meiner: ich sterbe, und Du schreist mir zu, ich soll warten.«
»Monseigneur,« entgegnete Colbert mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit, »es ist unmöglich, daß die Dinge nicht gehen, wie ich gesagt habe. Seine Majestät kommt, um Euch zu besuchen, und sie will Euch selbst die Schenkung zurückbringen.«
»Du glaubst? Ich bin im Gegentheil sicher, daß Seine Majestät kommt, um mir zu danken.«
Anna von Oesterreich kehrte in diesem Augenblick zurück: sie hatte auf dem Wege zu ihrem Sohne in einem Vorzimmer einen neuen Quacksalber getroffen. Es handelte sich um ein Pulver, das den Cardinal retten sollte. Anna von Oesterreich brachte eine Probe von diesem Pulver.
Aber das war es nicht, was Mazarin erwartete, er wollte es auch gar nicht anschauen, und versicherte, das Leben sei nicht alle die Mühe werth, die man sich gebe, um es zu erhalten.
Doch indeß er dieses philosophische Axiom aussprach, entschlüpfte ihm sein so lange zurückgehaltenes Geheimniß.
»Madame,« sagte er, »das ist nicht das Wesentliche bei der Lage der Dinge. Ich habe dem König schon vor zwei Tagen eine kleine Schenkung gemacht: aus Zartgefühl wollte Seine Majestät ohne Zweifel bis jetzt nicht darüber sprechen; doch der Augenblick der Erklärungen ist gekommen, und ich flehe Eure Majestät an, mir zu sagen, ob der König einige Gedanken über diesen Gegenstand hat.«
Anna von Oesterreich machte eine Bewegung, um zu antworten. Mazarin hielt sie zurück und sprach:
»Die Wahrheit, Madame, im Namen des Himmels, die Wahrheit! schmeichelt nicht einem Sterbenden mit leerer Hoffnung.«
Hier hielt er inne, ein Blick von Colbert sagte ihm, er sei im Begriff, einen falschen Weg einzuschlagen.
»Ich weiß,« sagte Anna von Oesterreich, indem sie die Hand des Cardinals ergriff, »ich weiß, daß Ihr großmüthig, nicht eine kleine Schenkung, wie Ihr es so bescheiden nennt, sondern ein prachtvolles Geschenk gemacht habt. Ich weiß, wie schmerzlich es Euch wäre, wenn der König . . . «
Mazarin horchte, so sterbend er auch war, wie es zehn Lebendige nicht hätten thun können.
»Wenn der König?« wiederholte er.
»Wenn der König,« fuhr Anna von Oesterreich fort, »nicht mit freudigem Herzen annähme, was Ihr so edelmüthig bietet,«
Mazarin sank auf sein Kopfkissen zurück, wie Pantalon, nämlich mit der ganzen Verzweiflung des Menschen, der sich dem Schiffbruch überläßt; doch er behielt immer noch genug Kraft und Geistesgegenwart, um Colbert einen von jenen Blicken zuzuwerfen, welche Sonnette, das heißt, lange Gedichte werth sind.
»Nicht wahr,« fügte die Königin bei, »Ihr hättet die Weigerung des Königs als eine Art von Beleidigung betrachtet?«
Mazarin wälzte seinen Kopf auf dem Kissen hin und her, ohne eine Sylbe zu erwiedern.
Die Königin täuschte sich, oder gab sich den Anschein, als täuschte sie sich über die Bedeutung dieser Geberde.
»Ich habe ihn auch mit gutem Rath unterstützt,« fuhr sie fort, »und da gewisse Geister, ohne Zweifel eifersüchtig auf den Ruhm, den Ihr durch diese Großmuth erlangen werdet, dem König zu beweisen trachteten, er müßte diese Schenkung ausschlagen, so kämpfte ich zu Euren Gunsten, und zwar so gut, daß Ihr hoffentlich dieser Unannehmlichkeit nicht ausgesetzt sein werdet.«
»Ah!« murmelte Mazarin mit verscheidenden Augen, »ah! das ist ein Dienst, den ich während der wenigen Stunden, die mir noch zu leben bleiben, nicht eine Minute vergessen werde.«
»Ich muß übrigens sagen,« fuhr Anna von Oesterreich fort, »ich habe diesen Dienst Eurer Eminenz nicht ohne Mühe geleistet.«
»Ah! Teufel! ich glaube es wohl. Oh! oh!«
»Mein Gott! was habt Ihr denn?«
»Ich brenne.«
»Ihr leidet also sehr?«
»Wie ein Verdammter.«
Colbert wäre gern unter den Boden verschwunden.
»Somit,« sagte Mazarin, »somit denkt also Eure Majestät, der König (er hielt einige Secunden inne), der König komme hierher, um mir ein wenig zu danken?«
»Ich glaube es . . . « sprach die Königin.
Mazarin schmetterte Colbert mit seinem letzten Blick nieder.
In diesem Augenblick verkündigten die Huissiers den König in den mit Menschen gefüllten Vorzimmern: diese Ankündigung brachte eine geräuschvolle Bewegung hervor, welche Colbert benützte, um sich durch die Thüre des Bettgangs wegzuschleichen. Anna von Oesterreich erhob sich und erwartete ihren Sohn stehend. Ludwig XIV. erschien auf der Schwelle, die Augen auf den Sterbenden geheftet, der sich nicht einmal mehr die Mühe gab, sich dieser Majestät zu Liebe, von der er nichts mehr erwarten zu dürfen glaubte, zu rühren.
Ein Huissier rollte einen Lehnstuhl vor das Bett. Ludwig grüßte seine Mutter, dann den Cardinal, und setzte sich. Die Königin setzte sich ebenfalls.
Der König schaute zurück; der Huissier begriff diesen Blick, machte ein Zeichen, und was von Höflingen an den Thürvorhängen geblieben war, entfernte sich sogleich.
Mit den Thürvorhängen fiel das Stillschweigen in das Gemach zurück.
Noch sehr jung und sehr schüchtern vor demjenigen, welcher seit seiner Geburt sein Meister gewesen war, achtete der König diesen noch mehr in der erhabenen Majestät des Todes; er wagte es nicht, das Gespräch anzuknüpfen, denn er fühlte, jedes Wort müßte eine Bedeutung nicht nur für die Dinge dieser Welt, sondern auch für die der andern haben.
Der Cardinal hatte in diesem Augenblick nur einen Gedanken: seine Schenkung, Es war nicht der Schmerz, was ihm die niedergeschlagene Miene und den düsteren Blick verlieh; es war die Erwartung des Dankes, der aus dem Munde des Königs kommen und jede Hoffnung auf Wiedererstattung kurz abschneiden würde.
Mazarin brach zuerst das Stillschweigen und sagte:
»Eure Majestät hat ihren Aufenthalt in Vincennes genommen?«
Ludwig machte ein Zeichen mit dem Kopf.
»Das ist eine Huld, die sie einem Sterbenden währt, dem der Tod dadurch versüßt wird,« fuhr Mazarin fort.
»Ich hoffe,« erwiederte der König, »ich besuche nicht einen Sterbenden, sondern einen der Heilung fähigen Kranken.«
Mazarin machte eine Bewegung, welche bedeutete:
»Eure Majestät ist sehr gut; doch ich weiß mehr hierüber, als sie.«
»Der letzte Besuch, Sire, der letzte,« sagte der Cardinal.
»Wenn dem so wäre, Herr Cardinal,« sprach Ludwig XlV., »so käme ich, um mich zum letzten Mal bei einem Führer Raths zu erholen, dem ich Alles zu verdanken habe.«
Anna von Oesterreich war Weib: sie konnte sich ihrer Thränen nicht mehr erwehren. Ludwig zeigte sich selbst sehr bewegt, und Mazarin mehr noch, als seine zwei Gäste, doch aus anderen Gründen. Hier trat wieder ein Stillschweigen ein. Die Königin trocknete ihre Wangen, und Ludwig gewann mittlerweile wieder Festigkeit.
»Ich sagte, ich habe Eurer Eminenz viel zu verdanken,« fuhr der König fort.
Die Augen des Cardinals verschlangen Ludwig XIV., denn er fühlte den entscheidenden Augenblick kommen.
»Und,« sprach der König, »der Hauptgegenstand meines Besuches ist ein aufrichtiger Dank für den letzten Beweis von Freundschaft, den Ihr mir zuzusenden die Güte hattet.«
Die Wangen des Cardinals wurden hohl, seine Lippen öffneten sich leicht, und der kläglichste Seufzer, den er je ausgestoßen, schickte sich an, aus seiner Brust hervorzubrechen.
»Sire,« sprach er, »ich werde meine arme Familie berauben, ich werde alle die Meinigen zu Grunde gerichtet haben; doch man wird wenigstens nicht sagen können, ich habe mich geweigert, meinem König Alles zu opfern.«
Anna von Oesterreich fing wieder an zu weinen.
»Mein lieber Mazarin,« sagte der König mit einem ernsteren Tone, als man von seiner Jugend hätte erwarten sollen, »Ihr habt mich schlecht verstanden, wie ich sehe.«
Mazarin erhob sich auf seinen Ellenbogen.
»Es handelt sich hier nicht darum. Eure theure Familie zu Grunde zu richten oder Eure Diener zu berauben; oh! nein, das wird nicht geschehen.«
»Ah! er will mir einen Brocken zurückgeben,« dachte Mazarin, »wir wollen das größtmögliche Stück ziehen.«
»Der König wird weich werden und den Großmüthigen spielen,« dachte die Königin, »doch wir wollen nicht zugeben, daß er sich arm macht; eine solche Gelegenheit, Vermögen zu erlangen, wird sich nie mehr zeigen.«
»Sire,« sprach laut der Cardinal, »meine Familie ist sehr zahlreich, und meine Nichten werden jeder Unterstützung beraubt sein, wenn ich nicht mehr bin . . . «
»Oh! seid unbesorgt wegen Eurer Familie, lieber Herr Mazarin,« unterbrach ihn rasch die Königin, »wir werden keine kostbareren Freunde haben, als Eure Freunde. Eure Nichten werden meine Kinder, die Schwestern Seiner Majestät sein, und wenn eine Gunst in Frankreich ausgetheilt wird, so soll sie denjenigen zufallen, welche Ihr liebt.«
»Rauch!« dachte Mazarin, der besser als irgend Jemand wußte, wie weit man auf die Versprechungen der Könige bauen darf.
Ludwig las den Gedanken des Sterbenden in seinem Gesicht.
»Beruhigt Euch, Herr von Mazarin,« sagte er mit einem unter seiner Ironie halbtraurigen Lächeln, »die Fräulein von Mancini werden, wenn sie Euch verlieren, ihr kostbarstes Gut verlieren; sie werden aber darum nicht minder die reichsten Erbinnen Frankreichs bleiben, und da Ihr die Güte haben wolltet, mir ihre Mitgift zu schenken . . . «
Der Cardinal keuchte.
»So gebe ich sie ihnen zurück,« sprach Ludwig, indem er aus seiner Brust das Pergament zog und gegen das Bett des Cardinals ausstreckte, das Pergament, das die Schenkung enthielt, welche seit zwei Tagen so viele Stürme im Innern von Mazarin erregt hatte.
»Was sagte ich Euch?« murmelte im Bettgang eine Stimme, welche wie ein Hauch vorüberging.
»Eure Majestät gibt mir meine Schenkung zurück!« rief Mazarin, so sehr von der Freude ergriffen, daß er seine Wohlthäterrolle darüber vergaß.
»Ja, Herr Cardinal, ja, Madame,« antwortete Ludwig XIV. und zerriß das Pergament, das Mazarin noch nicht zurückzunehmen gewagt hatte. »Ja, ich vernichte diese Urkunde, welche eine ganze Familie beraubt. Das Vermögen, das Seine Eminenz in meinem Dienst erworben hat, ist ihr Vermögen und nicht das meinige.«
»Aber, Sire,« rief Anna von Oesterreich, »bedenkt Eure Majestät, daß sie nicht zehntausend Thaler in ihren Kassen hat?«
»Madame, ich habe meine erste königliche Handlung vollbracht, und ich hoffe, sie wird meine Regierung würdig einweihen.«
»Ah! Sire, Ihr habt Recht,« rief Mazarin, »was Ihr gethan habt, ist wahrhaft groß, wahrhaft edelmüthig.«
Und er schaute, eines nach dem andern, die auf seinem Bett zerstreuten Stücke der Urkunde an, um sich zu überzeugen, man habe das Original und nicht eine Abschrift zerrissen. Endlich trafen seine Augen das Stück, worauf die Unterschrift stand, und er warf sich ganz strahlend auf sein Kissen zurück.
Nicht stark genug, um ihr Bedauern zu verbergen, hob Anna von Oesterreich ihre Augen und ihre Hände zum Himmel empor.
»Ah! Sire,« rief Mazarin, »ah! Sire, wie werdet Ihr gesegnet, wie werdet Ihr von meiner ganzen Familie geliebt sein! per Baccho, wenn je bei Euch eine Unzufriedenheit durch die Meinigen erregt würde, faltet die Stirne, und ich steige aus meinem Grabe herauf.«
Diese Pantalonade brachte nicht die ganze Wirkung hervor, auf welche Mazarin gerechnet hatte. Ludwig war schon zu Betrachtungen von erhabenerer Natur übergegangen, und Anna von Oesterreich, welche nicht länger, ohne sich dem Zorn zu überlassen, den sie in ihrem Innern kochen fühlte, sowohl die Großmüthigkeit ihres Sohnes, als die Heuchelei des Cardinals ertragen konnte, stand auf und verließ das Zimmer, ohne sich darum zu bekümmern, daß sie hierdurch ihren Aerger verrieth.
Mazarin durchschaute Alles, und befürchtend, Ludwig XIV. könnte wieder von seinem Entschluß abgehen, fing er an, um die Geister auf einen anderen Weg zu führen, so gewaltig zu schreien, wie es später Scapin in jenem herrlichen Scherz thun mußte, den der mürrische, verdrießliche Boileau Molière zum Vorwurf machen wollte.
Nach und nach wurden indessen die Schreie gelinder, und als Anna von Oesterreich das Zimmer verlassen hatte, hörten sie ganz auf. «
»Herr Cardinal,« sagte der König, »habt Ihr mir nun etwas zu empfehlen?«
»Sire,« antwortete Mazarin, »Ihr seid schon die Weisheit in Person, die Klugheit selbst; was die Großmuth betrifft, so rede ich gar nicht davon, denn was Ihr so eben gethan habt, übersteigt Alles, was die großmüthigsten Menschen des Alterthums und der neueren Zeiten gethan haben.«
Der König blieb kalt bei diesem Lob.
»Ihr beschränkt Euch also auf Euren Dank, mein Herr, und Eure Erfahrung, welche noch viel bekannter ist, als meine Weisheit, als meine Klugheit, als meine Großmuth, gibt Such keinen freundschaftlichen Rath ein, der mir in Zukunft nützlich sein dürfte?«
Mazarin dachte einen Augenblick nach und sprach dann:
»Ihr habt viel für mich, das heißt für die Meinigen gethan.«
»Schweigen wir hierüber.«
»Nun wohl!« fuhr der Cardinal fort, »ich will Euch für die vierzig Millionen, die Ihr mir so königlich überlaßt, einen andern Dienst leisten.«
Ludwig XIV. machte eine Bewegung, durch die er andeuten wollte, alle diese Schmeicheleien seien ihm unangenehm.
»Ich will,« sagte Mazarin, »ich will Euch einen Rath geben, ja, einen Rath, der kostbarer ist, als diese vierzig Millionen.«
»Herr Cardinal!« unterbrach ihn Ludwig XIV.
»Sire, hört diesen Rath.«
»Ich höre.«
»Nähert Euch, Sire, denn ich werde schwächer . . . immer näher, Sire, immer näher.«
»Sire,« sagte Mazarin so leise, daß der Hauch seines Wortes allein, wie eine Ermahnung aus dem Grabe, zu den aufmerksamen Ohren des Königs gelangte, »Sire, nehmt nie einen ersten Minister an.«
Ludwig fuhr erstaunt zurück. Der Rath war ein Geständniß, diese aufrichtige Beichte von Mazarin war in der That ein Schatz. Das Vermächtniß des Cardinals für den König bestand nur aus sieben Worten; doch diese sieben Worte waren, wie Mazarin gesagt hatte, vierzig Millionen werth.
Ludwig blieb einen Augenblick wie betäubt. Mazarin aber schien etwas ganz Natürliches gesagt zu haben.
»Habt Ihr nun außer Eurer Familie mir irgend Jemand zu empfehlen, Herr von Mazarin?« fragte der König.
Man vernahm ein leises Kratzen an den Vorhängen des Bettganges. Mazarin begriff es.
»Ja, ja,« rief er lebhaft; »ja, Sire, ich empfehle Euch einen verständigen Mann, einen redlichen Mann, einen gewandten Mann.«
»Sagt seinen Namen, Herr Cardinal.«
»Sein Name ist Euch beinahe noch unbekannt, Sire, es ist der von Herrn Colbert, meinem Intendanten. Oh! versucht es mit ihm,« fügte Mazarin mit starkem Nachdruck bei. »Alles, was er mir vorhergesagt hat, ist in Erfüllung gegangen; er besitzt Scharfblick und hat sich nie in den Dingen, wie in den Menschen getäuscht. Sire, ich bin Euch viel schuldig, aber ich glaube meine Schuld an Euch abzutragen, indem ich Euch Colbert gebe.«
»Es sei,« sagte Ludwig gleichgültig, denn der Name von Colbert war ihm wirklich, wie dies Mazarin bemerkt hatte, völlig unbekannt und erhielt diese Begeisterung des Cardinals für das Delirium des Sterbenden.
Der Cardinal war auf sein Kissen zurückgefallen.
»Diesmal Gott befohlen, Sire, Gott befohlen.« murmelte Mazarin . . . »Ich bin müde und habe noch einen sauren Weg zu machen, ehe ich mich vor meinen neuen Herrn stelle. Lebet wohl, Sire.«
Der junge König fühlte Thränen in seinen Augen. Er neigte sich zu dem Sterbenden herab, der schon halb eine Leiche war, und entfernte sich dann hastig.
IX.
Die ganze Nacht ging in gemeinschaftlichen Bangigkeiten für den Sterbenden und für den König hin: der Sterbende erwartete seine Befreiung, der König erwartete seine Freiheit.
Ludwig legte sich nicht zu Bette. Eine Stunde, nachdem er das Zimmer des Cardinals verlassen, erfuhr er, daß der Sterbende, der wieder ein wenig zu Kräften gekommen, sich hatte ankleiden, schminken, kämmen lassen, und daß er die Botschafter empfangen wolle. Augustus ähnlich, betrachtete er ohne Zweifel die Welt wie ein großes Theater und wollte den letzten Akt seiner Komödie selbst spielen.
Anna von Oesterreich erschien nicht mehr beim Cardinal; sie hatte nichts mehr bei ihm zu thun. Die Schicklichkeit war ein Vorwand für ihre Abwesenheit; übrigens erkundigte sich der Cardinal auch gar nicht nach ihr: der Rath, den die Königin ihrem Sohn gegeben, war ihm im Gedächtniß geblieben.
Gegen Mitternacht, während Mazarin noch ganz geschminkt war, trat der Todeskampf ein. Er hatte sein Testament noch einmal durchgesehen, und da dieses Testament der genaue Ausdruck seines Willens war, und er befürchtete, ein interessirter Einfluß könnte seine Schwäche benützen, um etwas an diesem Testament ändern zu lassen, so hatte er das Losungswort Colbert gegeben, welcher in dem Corridor, der nach dem Schlafzimmer des Cardinals führte, wie die aufmerksamste Schildwache auf und ab ging.
In seinem Zimmer eingeschlossen, sandte der König alle Stunden seine Amme nach der Wohnung von Mazarin ab, mit dem Befehl, ihm das Bulletin der Krankheit des Cardinals zu bringen.
Nachdem er erfahren, Mazarin habe sich ankleiden schminken und kämmen lassen, und sodann die Botschafter empfangen, erfuhr Ludwig, man sänge an die Sterbegebete für den Cardinal zu sprechen.
Um ein Uhr Morgens versuchte Guénaud das letzte Mittel, das man ein heroisches Mittel nannte. Es war ein Ueberrest der alten Gewohnheiten jener wehrhaften Zeit, welche verschwinden sollte, um einer andern Zeit, Platz zu machen, daß man glaubte, man könne gegen den Tod einen guten geheimen Stoß aufbewahren.
Nachdem Mazarin das Mittel genommen, athmete er zehn Minuten lang. Sogleich gab er Befehl, aller Orten und auf der Stelle das Gerücht von einer glücklichen Krise zu verbreiten. Bei dieser Kunde fühlte der König, wie ein kalter Schweiß seine Stirne befeuchtete; er hatte den Tag der Freiheit erschaut, und die Sklaverei kam ihm düsterer und minder annehmbar vor, als je. Doch das nächste Bulletin änderte gänzlich das Angesicht der Dinge. Mazarin athmete gar nicht mehr, und folgte nur mit großer Mühe den Gebeten, die der Pfarrer von Saint-Nicolas-des-Champs bei ihm sprach.
Der König ging wieder in großer Aufregung in seinem Zimmer umher und durchlas, während er ging, mehrere Papiere, die er aus einer Kapsel genommen hatte, von der er allein den Schlüssel besaß.
Die Amme kam zum dritten Mal zurück, Herr von Mazarin hatte ein Wortspiel gemacht, und seine Flora von Titian wieder zu firnissen befohlen.
Endlich gegen zwei Uhr Morgens konnte der König der Müdigkeit nicht mehr länger widerstehen, er schlief seit vierundzwanzig Stunden nicht. Der in seinem Alter so gewaltige Schlaf bemächtigte sich seiner und beugte ihn auf eine Stunde nieder. Doch er legte sich diese Stunde nicht zu Bette, sondern schlief in einem Lehnstuhl. Gegen vier Uhr kehrte die Amme in das Zimmer zurück und weckte ihn auf.
»Nun?« fragte der König.
»Nun! mein lieber Sire,« sagte die Amme, mit einer Miene des Mitleids die Hände faltend, »nun, er ist todt.«
Der König erhob sich mit einem Male und als ob ihn eine Stahlfeder auf seine Beine geschnellt hätte, und rief:
»Todt!«
»Ach! ja.«
»Ist es sicher?«
»Ja.«
»Officiell?«
»Ja.«
»Ist es bekannt gemacht?«
»Noch nicht.«
»Aber wer hat Dir gesagt, der Cardinal sei todt?«
»Herr Colbert.«
»Herr Colbert?«
»Ja.«
»Und er selbst war dessen, was er sagte, sicher?«
»Er kam eben aus dem Zimmer und hatte einige Minuten lang dem Cardinal einen Spiegel vor die Lippen gehalten.«
»Ah!« machte der König; »und was hat Herr Colbert gethan?«
»Nachdem er das Zimmer Seiner Eminenz verlassen, ist er mir gefolgt.«
»Somit ist er . . . «
»Hier, mein lieber Sire, und wartet vor Eurer Thüre, ob Ihr ihn zu empfangen geruhen werdet.«
Ludwig lief nach der Thüre, öffnete selbst und erblickte Colbert, der wartend im Gang stand.
Der König bebte beim Anblick dieser ganz schwarz gekleideten Bildfäule.
Colbert verbeugte sich in tiefer Ehrfurcht und machte zwei Schritte gegen Seine Majestät.
Ludwig kehrte in sein Zimmer zurück und bedeutete Colbert durch ein Zeichen, er möge ihm folgen.
Colbert trat ein; Ludwig entließ seine Amme, welche bei ihrem Abgang die Thüre schloß. Colbert blieb bescheiden bei der Thüre stehen.
»Was habt Ihr mir zu melden, mein Herr?« fragte Ludwig, ganz beklommen, daß man ihn so bei seinem geheimsten Gedanken ertappte, den er nicht ganz zu verbergen im Stande war.
»Daß der Herr Cardinal verschieden ist, Sire, und daß ich Euch sein letztes Lebewohl bringe.«
Der König blieb einen Augenblick nachdenkend. Während dieses Augenblicks schaute er Colbert aufmerksam an; offenbar fiel ihm der letzte Gedanke des Cardinals ein.
»Ihr seid Herr Colbert?« fragte er.
»Ja, Sire.«
»Ein treuer Diener Seiner Eminenz, wie mir Seine Eminenz selbst gesagt hat?«
»Ja, Sire.«
»Der Bewahrer eines Theils seiner Geheimnisse?«
»Aller.«
»Die Freunde und Diener der verstorbenen Eminenz werden mir theuer sein, mein Herr, und ich werde dafür Sorge tragen, daß Ihr in meinen Bureaux angestellt werdet.«
Colbert verbeugte sich.
»Ihr seid, glaube ich, Finanzmann, mein Herr?«
»Ja, Sire.«
»Und Ihr wurdet vom Herrn Cardinal bei der Verwaltung seiner Güter verwendet?«
»Ich habe diese Ehre gehabt, Sire.«
»Nicht wahr, Ihr habt nie persönlich etwas für mein Haus gethan?«
»Verzeiht, Sire; ich habe das Glück gehabt, dem Herrn Cardinal die Idee einer Ersparniß zu geben, welche dreimalhunderttausend Franken jährlich in die Kassen Seiner Majestät bringt.«
»Welche Ersparniß, mein Herr?« fragte Ludwig XIV.
»Eure Majestät weiß, daß die hundert Schweizer silberne Spitzen auf jeder Seite ihrer Bänder haben?«
»Allerdings.«
»Sire, ich habe vorgeschlagen, an diese Bänder Spitzen von falschem Silber zu setzen; das fällt nicht auf, und mit hunderttausend Thalern ernährt man ein Semester lang ein Regiment, oder man bezahlt damit zehntausend gute Musketen, oder sie bilden den Werth einer Flüte, welche in See zu gehen bereit ist.«
»Das ist wahr,« sprach Ludwig XIV., indem er Colbert aufmerksamer betrachtete; »meiner Treue, das ist eine gut angebrachte Ersparniß, und es war überdies lächerlich, daß Soldaten dieselbe Spitze trugen, wie adelige Herren.«
»Ich fühle mich sehr glücklich, die Billigung Eurer Majestät zu erhalten.«
»War dies das einzige Geschäft, das Ihr beim Cardinal hattet?« fragte der König.
»Seine Eminenz hatte mich beauftragt, die Rechnungen der Oberintendanz zu prüfen, Sire.«
»Ah!« sagte Ludwig XIV., der eben Colbert entlassen wollte, und dem dieses Wort auffiel; »ah! Seine Eminenz hatte Euch beauftragt, Herrn Fouquet zu controliren. Und der Erfolg dieser Controle?«
»Ist, daß ein Deficit stattfindet, Sire; doch wenn Eure Majestät mir gnädigst erlauben wollte . . . «
»Sprecht, Herr Colbert.«
»Ich muß Eurer Majestät einige Erläuterungen geben.«
»Keineswegs, mein Herr, Ihr habt diese Rechnungen controlirt, nennt mir den Auszug.«
»Das wird leicht sein, Sire, . . Alles leer, nirgends Geld.«
»Nehmt Euch in Acht, mein Herr, Ihr greift auf eine harte Weise die Geschäftsführung von Herrn Fouquet an, welcher, wie ich habe sagen hören, ein geschickter Mann ist.«
Colbert erröthete und erbleichte, denn er fühlte, daß er von diesem Augenblick in den Kampf mit einem Mann trat, dessen Macht beinahe der Macht des soeben Verstorbenen die Wage hielt.
»Ja, Sire, ein sehr geschickter Mann,« wiederholte Colbert sich verbeugend. »Aber wenn Fouquet ein geschickter Mann ist und wenn trotz dieser Geschicklichkeit das Geld mangelt, an wem liegt der Fehler?«
»Ich klage nicht an, Sire, ich behaupte.«
»Es ist gut; macht Eure Rechnungen und legt sie mir vor. Ihr sagt, es finde ein Deficit statt? Ein Deficit kann vorübergehend sein; der Credit kehrt zurück, die Gelder laufen wieder ein.«
Colbert schüttelte seinen dicken Kopf.
»Wie ist es denn?« sagte der König; »sind die Staatseinkünfte so sehr mit Schulden beladen, daß es keine Einkünfte mehr sind?«
»Ja, Sire, so sehr.«
Der König machte eine Bewegung.
»Setzt mir das auseinander, Herr Colbert.«
»Eure Majestät spreche klar ihren Gedanken aus und sage mir, was sie erklärt haben will.«
»Ihr habt Recht, Klarheit, nicht wahr?«
»Ja, Sire, Klarheit. Gott ist hauptsächlich Gott, weil er das Licht gemacht hat.«
»Nun! zum Beispiel,« sprach Ludwig XIV., »wenn ich heute, da der Herr Cardinal gestorben ist und ich nun König bin, Geld haben wollte?«
»Eure Majestät würde keines bekommen.«
»Ah! das ist seltsam, mein Herr; wie, mein Oberintendant, ein geschickter Mann, Ihr sagt es selbst, mein Oberintendant würde kein Geld für mich finden?«
»Nein, Sire.«
»Auf dieses Jahr vielleicht, das begreife ich, doch auf das nächste?«
»Das nächste Jahr ist ebenso kahl aufgezehrt, als das laufende.«
»Aber das Jahr nachher?«
»Wie das nächste Jahr.«
»Was sagt Ihr da, Herr Colbert?«
»Ich sage, daß vier Jahre zum Voraus verpfändet sind.«
»Dann macht man ein Anlehen.«
»Man hat schon drei gemacht.«
»Ich schaffe Stellen, um sie abtreten zu lassen, und man cassirt das Geld der Aemter ein.«
»Unmöglich, Sire, denn man hat Aemter auf Aemter geschaffen und die Bestallungsbriefe ohne Benennung ausgegeben, so daß die Erwerber das Einkommen genießen, ohne das Amt zu versehen. Deshalb ist Eurer Majestät dieses Mittel benommen. Ueberdies hat der Herr Oberintendant bei jedem solchen Handel eine Drittel von der Einnahme für sich bezogen, so daß die Unterthanen gepreßt worden sind, ohne daß Eure Majestät einen Nutzen davon gehabt hat.«
Der König faltete die Stirne.
»Es mag sein,« sagte er, »ich werde die Anweisungen einziehen, um von den Trägern einen Nachlaß, eine billige Liquidation zu erzielen.«
»Unmöglich, denn die Anweisungen sind in Zettel verwandelt worden, welche Zettel man zur Bequemlichkeit der Uebertragung und zur Erleichterung des Verkehrs in so viele Theile zerschnitten hat, daß sich kaum mehr das Original erkennen läßt.«
Der König ging, immer die Stirne gefaltet, sehr unruhig im Zimmer auf und ab.
»Aber, Herr Colbert,« fuhr er, plötzlich stille stehend, fort: »wenn dem so wäre, wie Ihr sagt, so wäre ich zu Grunde gerichtet, ehe ich zu regieren angefangen?«
»Ihr seid es in der That, Sire,« erwiederte der unempfindliche Zahlenmann.
»Aber, mein Herr, das Geld muß doch irgendwo sein?«
»Ja, Sire, und um anzufangen, bringe ich Eurer Majestät eine Note von Geldern, die der Herr Cardinal Mazarin nieder in seinem Testament, noch in einer andern Urkunde aufführen wollte, die er aber mir anvertraut hat.«
»Euch?«
»Ja, Sire, mit dem Auftrag, sie Eurer Majestät zu übergeben.«
»Wie? außer den vierzig Millionen des Testaments?«
»Ja, Sire.«
»Herr von Mazarin hatte noch andere Fonds?«
Colbert verbeugte sich.
»Dieser Mensch war also ein Abgrund!« murmelte der König; »Herr Mazarin einerseits, Herr Fouquet andererseits; mehr als hundert Millionen vielleicht für Beide; es wundert mich nicht mehr, daß meine Kassen leer sind.«
Colbert wartete, ohne sich zu rühren.
»Und die Summe, die Ihr mir bringt, lohnt es sich der Mühe?« fragte der König.
»Ja, Sire, die Summe ist ziemlich rund.«
»Sie belauft sich?«
»Auf dreizehn Millionen Livres, Sire.«
»Dreizehn Millionen!« rief Ludwig XlV. bebend vor Freude; »Ihr sagt dreizehn Millionen, Herr Colbert?«
»Ja, Eure Majestät, ich habe gesagt dreizehn Millionen.«
»Von denen kein Mensch etwas weiß?«
»Von denen kein Mensch etwas weiß.«
»Die in Euren Händen sind?«
»In meinen Händen, ja, Sire.«
»Und die ich haben kann?«
»In zwei Stunden.«
»Aber wo sind sie denn?«
»Im Keller eines Hauses, das der Herr Cardinal in der Stadt besaß und mir durch eine besondere Clausel seines Testaments zu hinterlassen die Güte gehabt hat.«
»Ihr kennt also das Testament des Cardinals?«
»Ich habe ein von seiner Hand unterzeichnetes Duplicat.«
»Ein Duplicat?«
»Ja, Sire, hier ist es.«
Colbert zog ganz einfach die Urkunde aus seiner Tasche und zeigte sie dem König.
Der König las den auf die Schenkung des Hauses bezüglichen Artikel und sagte dann:
»Aber es ist hier nur vom Haus die Rede, und nirgends wird des Geldes erwähnt?«
»Verzeiht, Sire, das steht in meinem Gewissen.«
»Und Herr von Mazarin hat sich auf Euch verlassen?«
»Warum nicht, Sire?«
»Er, der vorzugsweise mißtrauische Mann!«
»Er war es nicht gegen mich, Sire, wie Eure Majestät sehen kann.«
Der König heftete mit Bewunderung seinen Blick auf diesen gemeinen, aber ausdrucksvollen Kopf.
»Ihr seid ein ehrlicher Mann, Herr Colbert,« sprach der König.
»Das ist keine Tugend, Sire, es ist eine Pflicht,« erwiederte Colbert mit kaltem Tone.
»Aber gehört dieses Geld nicht der Familie?« fuhr Ludwig XIV. fort.
»Gehörte dieses Geld der Familie, so wäre es im Testament des Cardinals, wie sein übriges Vermögen, aufgeführt. Gehörte dieses Geld der Familie, so hätte ich, der ich die zu Gunsten Eurer Majestät errichtete Schenkungsurkunde abgefaßt habe, die Summe von dreizehn Millionen der von vierzig Millionen beigefügt, die man Euch schon anbot, Sire.«
»Wie!« rief Ludwig XIV., »Ihr habt die Schenkung abgefaßt, Herr Colbert?«
»Ja, Sire.«
»Und der Cardinal liebte Euch?« fügte der König naiv bei.«
»Ich hatte mich bei Seiner Eminenz dafür verbürgt, Eure Majestät würde die Schenkung nicht annehmen,« sagte Colbert mit dem von uns erwähnten ruhigen Ton, der im gewöhnlichen Leben sogar etwas Feierliches halte.
Ludwig fuhr mit der Hand über seine Stirne und murmelte ganz leise:
»Oh! wie jung bin ich, um den Menschen zu befehlen!«
Colbert wartete das Ende dieses inneren Monologs ab und fragte dann:
»Zu welcher Stunde soll ich Eurer Majestät das Geld schicken?«
»Heute Nacht um elf Uhr. Es ist mein Wunsch, daß Niemand erfahre, ich besitze dieses Geld.«
Colbert antwortete nicht mehr, als wenn gar nichts zu ihm gesagt worden wäre.
»Besteht diese Summe in Stangen oder in geprägtem Gold?«
»In geprägtem Gold, Sire.«
»Gut.«
»Wohin soll ich sie schicken?«
»In den Louvre. Meinen Dank, Herr Colbert.«
Colbert verbeugte sich und ging ab.
»Dreizehn Millionen!« rief Ludwig XIV., als er allein war; »das ist ein Traum!«
Dann ließ er seine Stirne in seine Hände fallen, als ob er wirklich schliefe.
Doch nach einem Augenblick erhob er den Kopf, schüttelte sein schönes Haar, stand auf, öffnete ungestüm das Fenster und badete seine brennende Stirne in der lebhaften Morgenluft, die ihm den scharfen Geruch der Bäume und den süßen Duft der Blumen zuführte.
Eine glänzende Morgenröthe ging am Horizont auf, und die ersten Strahlen der Sonne übergoßen mit ihrer Flamme die Stirne des jungen Königs.
»Diese Morgenröthe ist die meiner Regierung,« sprach Ludwig XlV. »Ist es ein Vorzeichen, das Du mir schickst, allmächtiger Gott?«
X.
Am Morgen verbreitete sich die Nachricht vom Tod des Cardinals im Schloß und vom Schloß in der Stadt.
Die Minister Fouquet, Lyonne und Letelline versammelten sich im Sitzungssaal, um Rath zu halten.
Der König ließ sie sogleich zu sich rufen.
»Meine Herren,« sagte er, »so lange der Herr Cardinal lebte, ließ ich ihn meine Angelegenheiten leiten: aber nun gedenke ich selbst zu regieren. Ihr werdet mir Euren Rath geben, wenn ich ihn von Euch verlange. Geht!«
Die Minister schauten sich erstaunt an. Wenn sie ein Lächeln verheimlichten, so geschah dies mit großer Anstrengung, denn sie wußten, daß der Prinz, der in völliger Unkenntniß der Angelegenheiten aufgezogen worden war, hier eine für seine Kräfte viel zu schwere Last übernahm.
Als Fouquet sich von seinen Collegen auf der Treppe verabschiedete, sagte er zu ihnen:
»Meine Herren, wir haben nun bedeutend weniger Geschäfte.«
Und er stieg ganz freudig in seinen Wagen.
Die Anderen kehrten ein wenig unruhig über die Wendung, welche die Ereignisse nehmen dürften, mit einander nach Paris zurück.
Der König begab sich gegen zehn Uhr zu seiner Mutter, mit der er eine geheime Unterredung pflog; dann stieg er in einen geschlossenen Wagen und fuhr geraden Wegs nach dem Louvre. Hier empfing er viele Menschen, und er fand ein großes Vergnügen daran, das Zögern Aller und die Neugierde jedes Einzelnen zu beobachten.
Am Abend befahl er, die Pforten des Louvre zu schließen, mit Ausnahme einer einzigen, welche nach dem Quai ging. Hier stellte er als Schildwachen zweihundert Schweizer auf, welche nicht ein Wort Französisch sprachen, mit dem Auftrag, Alles einzulassen, was ein Faß wäre, und nichts Anderes, und nichts hinauszulassen.
Auf den Schlag elf Uhr hörte er das Rollen eines schweren Wagens unter dem Gewölbe, dann eines andern, dann eines dritten, wonach sich das Gitter wieder mit dumpfem Tone auf seinen Angeln drehte und geschlossen wurde.
Bald kratzte Jemand mit dem Nagel an der Thüre des Cabinets, der König öffnete selbst, und er sah Colbert, dessen erstes Wort es war:
»Das Geld ist im Keller Eurer Majestät.«
Ludwig ging hinab und besichtigte selbst die Fässer mit Gold- und Silberstücken, welche unter dem Befehl von Colbert vier vertraute Männer in ein Gewölbe gewälzt hatten, dessen Schlüssel Colbert am Morgen übergeben worden war. Nachdem er diese Revue beendigt hatte, kehrte Ludwig in seine Gemächer zurück, gefolgt von Colbert, der seine starre Kälte nicht durch den geringsten Strahl persönlicher Zufriedenheit erwärmt hatte.
»Mein Herr,« sagte der König zu ihm, »was soll ich Euch zum Lohn für diese Treue und Redlichkeit geben?«
»Durchaus nichts, Sire.«
»Wie, nichts! nicht einmal die Gelegenheit, mir zu dienen?«
»Wollte mir Eure Majestät diese Gelegenheit nicht bieten, so würde ich ihr darum doch nicht minder dienen. Es ist mir unmöglich, nicht der beste Diener Eurer Majestät zu sein.«
»Ihr sollt Intendant der Finanzen sein, Colbert.«
»Aber es gibt einen Oberintendanten, Sire.«
»Allerdings.«
»Sire, der Oberintendant ist der mächtigste Mann des Königreichs.«
»Ah!« rief Ludwig erröthend, »Ihr glaubt?«
»Er wird mich in acht Tagen zermalmen, Sire; denn Eure Majestät gibt mir eine Controle, für welche die Stärke unerläßlich ist. Intendant unter einem Oberintendanten ist eine untergeordnete Stellung.«
»Ihr wollt Stützen . . . Ihr verlaßt Euch nicht auf mich!«
»Ich habe die Ehre gehabt, Eurer Majestät zu sagen, zu Lebzeiten von Herrn von Mazarin sei Herr Fouquet der zweite Mann des Reiches gewesen, nun aber, da der Cardinal todt, ist Herr Fouquet der erste geworden.«
»Mein Herr, ich dulde es, daß Ihr mir heute Alles sagt, doch bedenkt wohl, morgen werde ich es nicht mehr dulden.«
»Dann werde ich Eurer Majestät unnütz sein.«
»Ihr seid es schon, da Ihr Euch mir dienend zu gefährden glaubt.«
»Ich befürchte nur, außer Standes zu sein, Euch zu dienen.«
»Was wollt Ihr denn?«
»Eure Majestät gebe mir Gehilfen bei der Arbeit der Intendanz.«
»Die Stelle verliert an ihrem Werth.«
»Sie gewinnt an Sicherheit.«
»Wählt Eure Collegen.«
»Die Herren Breteuil, Marin, Hervard.«
»Morgen soll die Ordonnanz erscheinen.«
»Sire, ich danke.«
»Das ist Alles, was Ihr verlangt?«
»Nein, Sire, noch Etwas.«
»Was?«
»Laßt mich eine Justizkammer bilden.«
»Wozu diese Justizkammer?«
»Um die Finanz- und Domainenpächter zu richten, welche seit zehn Jahren Unterschleif gemacht haben.«
»Was wird man ihnen thun?«
»Man henkt drei, und die Andern werden wieder herausgeben.«
»Ich kann doch meine Regierung nicht mit Hinrichtungen beginnen.«
»Im Gegentheil, um sie nicht mit Todesstrafen zu beschließen,«
Der König antwortete nicht.
»Eure Majestät willigt ein?» fragte Colbert.
»Ich werde es mir überlegen.«
»Es wird zu spät sein, wenn Eure Majestät überlegt hat.«
»Warum?«
»Weil wir es mit Leuten zu thun haben, welche stärker sind, als wir, wenn sie Kunde erhalten.«
»Bildet diese Justizkammer, mein Herr.«
»Ich werde es thun.«
»Ist dies Alles?«
»Nein, Sire, noch etwas Wichtiges . . . welche Rechte verleiht Eure Majestät dieser Intendanz?«
»Ich weiß nicht . . . es gibt Gebräuche . . . ein Herkommen.«
»Sire, dieser Intendanz muß nothwendig das Recht zustehen, die Correspondenz mit England zu lesen.«
»Unmöglich, mein Herr, denn aus dieser Correspondenz wird im Staatsrath ein Auszug gemacht, was der Herr Cardinal selbst besorgte.«
»Ich glaubte. Eure Majestät hätte diesen Morgen erklärt, sie würde keinen Rath mehr haben.«
»Ja, ich habe das erklärt.«
»Dann wolle Eure Majestät selbst und ganz allein ihre Briefe lesen, besonders die aus England; auf diesen Punkt lege ich den größten Werth.«
»Mein Herr, Ihr sollt diese Correspondenz bekommen und mir darüber Bericht erstatten.«
»Was werde ich nun bei den Finanzen zu thun haben, Sire?«
»Alles, was Herr Fouquet nicht thut.«
»Das ist es, um was ich Eure Majestät bitten wollte. Ich danke und gehe ruhig.«
Nach diesen Worten ging er wirklich ab. Ludwig schaute ihm nach. Colbert war noch nicht hundert Schritte vom Louvre entfernt, als der König einen Courier aus England erhielt. Nachdem der König den Umschlag betrachtet, befühlt hatte, erbrach er ihn hastig und fand vor Allem einen Brief von Karl II.
Der englische Kürst schrieb Folgendes an seinen königlichen Bruder:
Der König läutetet heftig, und sein Kammerdiener erschien.
»Herr Colbert geht so eben von hier weg und kann nicht fern sein. Man rufe ihn!«
Der Kammerdiener wollte den Befehl vollziehen, der König hielt ihn zurück.
»Nein!« sagte er, »nein. Ich sehe das ganze Gewebe dieses Menschen. Belle-Isle gehört Herrn Fouquet; Belle-Isle befestigt ist eine Verschwörung von Herrn Fouquet . . . Die Entdeckung dieser Verschwörung ist der Ruin der Oberintendanten, und diese Entdeckung geht aus der Correspondenz mit England hervor; deshalb wollte Herr Colbert diese Correspondenz haben.
»Oh! ich kann nicht meine ganze Stärke auf diesen Mann setzen; er ist mir der Kopf, ich brauche den Arm.«
Ludwig stieß plötzlich einen Freudenschrei aus. »Ich hatte einen Lieutenant der Musketiere,« sagte er zum Kammerdiener.
»Ja, Sire, Herrn d’Artagnan.«
»Er hat für den Augenblick meinen Dienst verlassen.«
»Ja, Sire.«
»Man suche ihn mir auf, und morgen bei meinem Lever sei er hier.«
Der Kammerdiener verbeugte sich und ging ab.
»Dreizehn Millionen in meinem Gewölbe,« sagte dann der König; »Colbert wird meine Börse und d’Artagnan mein Schwert führen: ich bin König!«
XI.
Am Tage seiner Ankunft kehrte Athos, als er aus dem Palast wegging, nach seinem Hotel in der Rue Saint-Honoré zurück.
Er fand hier den Vicomte von Bragelonne. der ihn in seinem Zimmer, mit Grimaud plaudernd, erwartete.
Es war nichts so Leichtes, mit dem alten Diener zu plaudern; nur zwei Menschen verstanden dieses Geheimniß: Athos und d’Artagnan. Dem Ersteren gelang es, weil Grimaud selbst ihn sprechen zu machen suchte, d’Artagnan im Gegentheil, weil er Grimaud plaudern zu machen wußte.
Raoul ließ sich eben die Reise nach England erzählen, und Grimaud hatte ihm dieselbe in allen ihren Einzelheiten mit einer gewissen Anzahl von Geberden und mit acht Worten, nicht mehr, nicht weniger, mitgetheilt. Zuerst bezeichnete er ihm mit einer wellenförmigen Bewegung der Hand, daß sein Herr und er über’s Meer gefahren waren.
»Einer Expedition wegen?« fragte Raoul.
Grimaud antwortete den Kopf senkend: »Ja.«
»Wobei der Herr Graf Gefahren preisgegeben war?« fragte Raoul.
Grimaud zuckte leicht die Achseln, als wollte er sagen:
»Nicht zu viel, nicht zu wenig.«
»Aber was für Gefahren?« fuhr Raoul fort.
Grimaud deutete auf einen Degen, er deutete aus das Feuer und auf eine Muskete, welche an der Wand hing.
»Der Herr Graf hatte dort also einen Feind?« rief Raoul.
»Monk,« antwortete Grimaud.
»In der That,« fuhr Raoul fort, »es ist seltsam, daß mich der Herr Graf beharrlich als einen Neuling betrachtet und nicht an der Ehre oder der Gefahr solcher Händel Theil nehmen läßt.«
Grimaud lächelte.
In diesem Augenblick kehrte Athos zurück. Der Wirth leuchtete ihm die Treppe herauf; Grimaud erkannte den Tritt seines Herrn und lief ihm entgegen, was das Gespräch kurz abschnitt.
Doch Raoul war einmal im Zuge, auf die Bahn des Fragens geführt, hielt er nicht inne; er nahm mit lebhafter, aber ehrfurchtsvoller Zärtlichkeit den Grafen bei beiden Händen und sagte:
»Wie kommt es, mein Herr, daß Ihr eine gefahrvolle Reise angetreten habt, ohne mir Lebewohl zu sagen, ohne von mir die Hilfe meines Degens zu verlangen, von mir, der ich für Euch eine Stütze sein sollte, seitdem ich Kraft besitze, von mir, den Ihr wie einen Mann erzogen habt? Ah! mein Herr, wollt Ihr mich der grausamen Prüfung aussetzen, Euch nie wiederzusehen?«
»Wer hat Euch denn gesagt, Raoul, meine Reise sei gefahrvoll gewesen?« entgegnete ihm der Graf, während er seinen Mantel und seinen Hut in die Hände von Grimaud niederlegte, welcher ihm den Degen losgeschnallt hatte.
»Ich,« sagte Grimaud,
»Und warum dies?« rief Athos mit strengem Tone.
Grimaud gerieth in Verlegenheit: Raoul kam ihm zuvor und erwiederte für ihn:
»Es ist natürlich, daß mir dieser gute Grimaud die Wahrheit über das sagt, was Euch betrifft. Von wem solltet Ihr geliebt, unterstützt werden, wenn nicht von mir?«
Athos erwiederte nichts. Er machte eine freundliche Geberde, auf welche sich Grimaud entfernte, und setzte sich dann in einen Lehnstuhl, während Raoul vor ihm stehen blieb.
»Immerhin ist es gewiß,« fuhr Raoul fort, »daß Eure Reise eine Expedition war, und daß Feuer und Schwert Euch bedroht haben.«
»Sprechen wir nicht mehr hiervon, Vicomte,« erwiederte Athos mit sanftem Tone; »es ist wahr, ich bin schnell aufgebrochen, doch der Dienst von König Karl II. heischte diese plötzliche Abreise. Für Eure Unruhe danke ich Euch, und ich weiß, daß ich auf Euch zählen kann . . . Es hat Euch in meiner Abwesenheit an nichts gemangelt, Vicomte?«
»Nein, Herr, ich danke.«
»Ich hatte Blaisois den Befehl gegeben. Euch hundert Pistolen, sobald Ihr Geld brauchtet, auszubezahlen.«
»Ich habe Blaisois nicht gesehen, Herr.«
»Ihr habt Euch also ohne Geld beholfen?«
»Es blieben mir dreißig Pistolen vom Verkauf der Pferde, die ich in meinem letzten Feldzuge mitnahm, und der Herr Prinz hatte die Güte, mich zweihundert Pistolen vor drei Monaten bei seinem Spiel gewinnen zu lassen.«
»Ihr spielt . . . ich liebe das nicht, Raoul.«
»Ich spiele nie; der Herr Prinz befahl mir eines Abends in Chantilly, als er einen Courier vom König erhielt, seine Karten zu halten, und ich gehorchte; den Gewinn der Partie mußte ich auf Geheiß des Herrn Prinzen für mich nehmen.«
»Ist dies eine Gewohnheit des Hauses?« fragte Athos, die Stirne faltend.
»Ja, Herr; jede Woche wendet der Herr Prinz bei der einen oder der andern Sache einem seiner Cavaliere einen ähnlichen Vortheil zu. Es sind fünfzig Cavaliere bei seiner Hoheit, und damals traf gerade mich die Reihe.«
»Gut! Ihr waret also in Spanien?«
»Ja, Herr, ich machte eine sehr schöne und sehr interessante Reise.«
»Ihr seid vor einem Monat zurückgekehrt?«
»Ja, Herr.«
»Und seit diesem Monat?«
»Seit diesem Monat . . . «
»Was habt Ihr gethan?«
»Meinen Dienst, Herr.«
»Ihr seid nicht bei mir in la Fère gewesen?«
Raoul erröthete. Athos schaute ihn mit seinem festen, ruhigen Auge an.
»Ihr hättet Unrecht, wenn Ihr mir nicht glauben würdet,« sagte Raoul, »ich erröthe, und fühle es wohl: es geschieht unwillkührlich. Die Frage, die Ihr an mich zu richten mir die Ehre erweist, ist der Art, daß sie große Gemüthsbewegung in mir veranlaßt. Ich erröthe, weil ich bewegt bin, nicht weil ich lüge.«
»Es ist mir bekannt, Raoul, daß Ihr nicht lügt.«
»Nein, Herr.«
»Ueberdies, mein Freund, hättet Ihr Unrecht; was ich Euch sagen wollte . . . «
»Ich weiß es wohl, Herr; Ihr wolltet mich fragen, ob ich nicht in Blois gewesen sei.«
»Ganz richtig.«
»Ich bin nicht dahin gegangen: ich habe sogar nicht einmal die Person gesehen, die Ihr meint.«
Die Stimme von Raoul zitterte, als er diese Worte sprach. Athos, der oberste Richter in allen Dingen des Zartgefühls, fügte sogleich bei:
»Raoul, Ihr antwortet mit einem peinlichen Gefühl; Ihr leidet.«
»Sehr, mein Herr; Ihr habt mir verboten, nach Blois zu gehen und Fräulein de la Vallière zu sehen.«
Hier hielt der junge Mann inne; dieser süße, so reizend auszusprechende Name zerriß sein Herz, während er seine Lippen liebkoste.
»Und ich habe wohl daran gethan, Raoul,« sprach Athos rasch. »Ich war weder ein barbarischer, noch ein ungerechter Vater; ich achte die wahre Liebe, aber ich denke für Euch an eine Zukunft . . . an eine unermeßliche Zukunft . . . . Eine neue Regierung wird wie eine Morgenröthe glänzen; der Krieg ruft den von ritterlichem Geist erfüllten König, Was dieser Heldenmüthige Eifer braucht, ist eine Schaar von Officieren, die mit Begeisterung den Streichen entgegenlaufen und, wenn sie fallen: Es lebe der König! rufen, statt: Gott befohlen, mein Weib! zu schreien. Ihr werdet das begreifen, Raoul. So roh und hart Euch auch mein Urtheil erscheinen mag, so beschwöre ich Euch doch, mir zu glauben und Eure Blicke von jenen ersten Jugendtagen abzuwenden, wo Ihr die Gewohnheit, zu lieben, annahmet, von jenen Tagen mit der Sorglosigkeit, die das Herz verweichlichen und es unfähig machen, jene starken, bitteren Getränke zu ertragen, die man den Ruhm und das Mißgeschick nennt. Ich wiederhole Euch, Raoul, erblickt in meinem Rath einzig und allein das Verlangen, Euch nützlich zu sein, einzig und allein den Ehrgeiz, Euch gedeihen zu sehen. Ich halte Euch für fähig, ein merkwürdiger Mann zu werden; geht allein, Ihr werdet besser und rascher gehen.«
»Ihr habt befohlen, mein Herr, und ich gehorche,« erwiederte Raoul.
»Befohlen!« rief Athos, »antwortet Ihr mir so? Ich habe befohlen! Oh! Ihr verdreht meine Worte, wie Ihr meine Absichten mißkennt: ich habe nicht befohlen, ich habe gebeten.«
»Nein, Herr, Ihr habt befohlen,« entgegnete Raoul hartnäckig.. »Doch hättet Ihr auch nur gebeten .. . Eure Bitte ist noch wirksamer, als ein Befehl. Ich habe Fräulein de la Vallière nicht wiedergesehen.«
»Aber Ihr leidet! Ihr leidet!« rief Athos.
Raoul antwortete nicht.
»Ich finde Euch bleich, ich finde Euch betrübt . . . Dieses Gefühl ist also sehr stark?«
»Es ist eine Leidenschaft,« erwiederte Raoul.
»Nein . . . eine Gewohnheit.«
»Herr, Ihr wißt, daß ich viele Reisen gemacht habe, daß ich zwei Jahre fern von hier gewesen bin . . . jede Gewohnheit kann sich, glaube ich, in zwei Jahren lösen . . . Nun, bei meiner Rückkehr liebte ich, nicht mehr, das ist unmöglich, aber eben so sehr. Fräulein de la Vallière ist für mich die vorzugsweise Gefährtin; doch Ihr seid für mich Gott auf Erden, . . . Euch werde ich Alles opfern.«
»Ihr hättet Unrecht,« sagte Athos; »ich habe kein Recht mehr auf Euch. Das Alter hat Euch emancipirt. Ihr bedürft nicht einmal mehr meiner Einwilligung. Uebrigens werde ich, nach Allem, was Ihr mir gesagt, die Einwilligung nicht verweigern. Heirathet also Fräulein de la Vallière, wenn Ihr wollt.«
Raoul machte eine Bewegung und erwiederte dann plötzlich:
»Ihr seid sehr gut, mein Herr, und Eure Erlaubniß erfüllt mich mit Dankbarkeit; doch ich werde sie nicht annehmen.«
»Ihr schlagt es nun aus!«
»Ja, Herr.«
»Ich bin Euch dafür nicht erkenntlich, Raoul.«
»Aber Ihr habt im Grunde Eures Herzens etwas gegen diese Heirath . . . Ihr habt sie mir nicht gewählt.«
»Das ist wahr.«
»Dies genügt, daß ich nicht darauf beharre, und ich werde warten.«
»Nehmt Euch in Acht, Raoul, was Ihr sprecht, ist ernst.«
»Ich weiß es wohl, Herr, ich werde warten, sage ich Euch.«
»Obschon ich sterbe?« fragte Athos sehr bewegt.
»Oh! Herr!« rief Raoul, mit Thränen in der Stimme, »ist es möglich, daß Ihr mir so das Herz zerreißt, mir, der ich Euch keinen Grund zur Klage gegeben habe?«
»Liebes Kind, es ist wahr,« sagte Athos, indem er heftig die Lippen zusammenpreßte, um die Erschütterung zu bewältigen, der er bald nicht mehr Meister geworden wäre; »ich begreife nur nicht, worauf Ihr warten wollt . . . Wollt Ihr warten, bis Ihr nicht mehr liebt?«
»Ah! was das betrifft, nein; ich werde darauf warten, daß Ihr anderer Meinung werdet.«
»Ich will eine Probe machen, Raoul, ich will sehen, ob Fräulein de la Vallière wartet, wie Ihr.«
»Ich hoffe es, Herr.«
»Aber nehmt Euch in Acht, Raoul; wenn sie nicht warten würde? Ah! Ihr seid so jung, so vertrauensvoll, so redlich . . . Die Frauen sind so veränderlich.«
»Ihr habt mir nie Böses von den Frauen gesagt, Herr; Ihr habt Euch nie über sie zu beklagen gehabt; warum beklagt Ihr Euch über dieselben gegen mich in Beziehung auf Fräulein de la Vallière.«
»Es ist wahr,« sprach Athos, die Augen niederschlagend, »nie habe ich Euch Böses von den Frauen gesagt; nie habe ich mich über sie zu beklagen gehabt; nie hat Fräulein de la Vallière einen Verdacht begründet; aber wenn man vorhersieht, muß man bis zu den Ausnahmen, bis zu den Unwahrscheinlichkeiten gehen! Wenn, Fräulein de la Vallière nicht auf Euch warten würde, sage ich?«
»Wie so, Herr?«
»Wenn sie ihre Blicke nach einer andern Seite wenden würde?«
»Nach einem andern Mann, meint Ihr?« fragte Raoul bleich vor Angst.
»So ist es.«
»Nun, mein Herr,« erwiederte Raoul ganz einfach, »ich würde diesen Mann tödten, und so alle Männer, welche Fräulein de la Vallière wählen wollte, bis einer von ihnen mich getödtet, oder bis Fräulein de la Vallière mir ihr Herz zurückgegeben hätte.«
Athos bebte und sprach mit dumpfem Ton:
»Ich glaubte, Ihr hättet, mich so eben Euren Gott, Euer Gesetz auf dieser Welt genannt.«
»Oh!« versetzte Raoul zitternd, »würdet Ihr mir das Duell verbieten?«
»Wenn ich es Euch verböte?«
»So würdet Ihr mir zu hoffen verbieten, mein Herr, und Ihr würdet mir folglich nicht zu sterben verbieten.«
Athos schlug die Augen zum Vicomte auf. Er hatte diese Worte mit einem düstern Nachdruck ausgesprochen, den der düsterste Blick begleitete.
»Genug,« sagte Athos nach langem Stillschweigen, »genug über diesen traurigen Gegenstand, wobei wir Beide übertreiben. Lebt von Tag zu Tag, Raoul; thut Euren Dienst, liebt Fräulein de la Vallière, mit einem Wort, handelt wie ein Mann, da Ihr das Mannesalter habt; vergeßt nur nicht, daß ich Euch zärtlich liebe, und daß Ihr mich zu lieben behauptet.«
»Ah! Herr Graf,« rief Raoul, und drückte die Hand von Athos an sein Herz.
»Nun gut, liebes Kind, laßt mich allein, ich bedarf der Ruhe. Doch hört, Herr d’Artagnan ist mit mir von England zurückgekommen! Ihr seid ihm einen Besuch schuldig.«
»Ich werde ihm diesen Besuch mit großer Freude machen, denn ich liebe Herrn d’Artagnan so sehr!«
»Ihr habt Recht, er ist ein redlicher Mann und ein braver Cavalier.«
»Der Euch liebt!« rief Raoul,
»Ich bin dessen sicher . . . Wißt Ihr seine Adresse?«
»Ich finde ihn im Louvre, im Palais Royal, überall, wo der König ist. Commandirt er nicht die Musketiere?«
»Für den Augenblick nicht, Herr d’Artagnan ist im Urlaub . . . er ruht aus . . . Sucht ihn nicht auf den Posten von seinem Dienst; Ihr werdet Nachricht von ihm bei einem gewissen Herr Planchet bekommen.«
»Bei seinem ehemaligen Lackei?«
»Ganz richtig, er ist Gewürzkrämer geworden.«
»Ich weiß es; in der Rue des Lombards.«
»Dergleichen, oder Rue des Arcis.«
»Ich werde ihn finden.«
»Ihr sagt ihm tausend zärtliche Dinge von mir und bringt ihn vor meiner Abreise nach la Fère zu mir zum Mittagsbrod.«
»Ja, Herr.«
»Guten Abend, Raoul.«
»Ah! Herr, ich sehe einen Orden an Euch, von dem ich nichts wußte; empfangt meine Glückwünsche.«
»Das goldene Vließ! es ist wahr . . . eine Klapper, die nicht einmal mehr einen alten Knaben, wie ich bin, belustigt . . . Guten Abend Raoul.«
X.
Raoul sand am andern Tag Herrn d’Artagnan nicht, wie er gehofft hatte. Er traf nur Planchet, der eine große Freude äußerte, als er den jungen Mann wiedersah, dem er ein paar kriegerische Complimente zu machen wußte, welche nicht ganz nach dem Gewürzkrämer rochen. Als aber Raoul am zweiten Tag von Vincennes mit fünfzig Dragonern zurückkam, die ihm der Herr Prinz anvertraut hatte, erblickte er auf der Place Baudoyer einen Mann, der, die Nase hoch, ein Haus anschaute, wie man ein Pferd anschaut, das man zu kaufen Lust hat.
Dieser Mann, der einen bürgerlichen, aber wie ein militärisches Wamms zugeknöpften Rock, einen kleinen Hut auf dem Kopf und einen mit Chagrin verzierten langen Degen an der Seite trug, wandte den Kopf sogleich um, als er den Tritt der Pferde hörte, und schaute das Haus nicht mehr an, um die Dragoner zu betrachten.
Es war ganz einfach Herr d’Artagnan; d’Artagnan zu Fuß; d’Artagnan die Hände auf dem Rücken, der die Dragoner ein wenig die Revue passiren ließ, nachdem er die Gebäude in Augenschein genommen hatte. Kein Mann, kein Nestel, kein Hufeisen entging seiner Inspection,
Raoul marschirte an der Seite seiner Truppe; d’Artagnan erblickte ihn zuletzt.
»Ei!« machte er, »ei! Mordioux!«
»Ich täusche mich nicht,« rief Raoul und spornte sein Pferd,
»Nein, Du täuschest Dich nicht; guten Morgen!« erwiederte der Musketier.
Und Raoul drückte seinem alten Freund liebevoll die Hand.
»Nimm Dich in Acht,« sagte d’Artagnan, »das zweite Pferd der fünften Reihe wird vor dem Pont Marie ein Hufeisen verlieren; es hat nur noch zwei Nägel am rechten Vorderfuß.«
»Wartet auf mich,« sprach Raoul, »ich komme zurück.«
»Du verlässest Deine Abtheilung?«
»Der Cornett kann meine Stelle einnehmen.«
»Du wirst mit mir zu Mittag speisen.«
»Sehr gern, Herr d’Artagnan.«
»Dann geschwinde, steige ab oder laß mir ein anderes Pferd geben.«
»Ich will lieber zu Fuß mit Euch zurückkehren.«
Raoul benachrichtigte schleunigst den Cornett, der sogleich seine Stelle einnahm, gab sein Pferd einem der Dragoner und ergriff ganz freudig den Arm von Herrn d’Artagnan, der ihm bei allen seinen Evolutionen mit der Zufriedenheit eines Kenners zuschaute.
»Und Du kommst von Vincennes?« fragte er zuerst.
»Ja, Herr Chevalier.«
»Der Cardinal?«
»Ist sehr krank; man sagt sogar, er sei gestorben.«
»Stehst Du gut mit Herrn Fouquet?« fragte d’Artagnan, indem er durch eine verächtliche Bewegung der Achseln bewies, daß ihn der Tod von Mazarin nicht übermäßig angriff.
»Mit Herrn Fouquet?« versetzte Raoul. »Ich kenne ihn nicht.«
»Desto schlimmer, desto schlimmer; denn ein neuer König sucht sich immer Ergebene zu machen,«
»Oh! der König ist mir nicht abhold,« entgegnete der junge Mann.
»Ich spreche nicht von der Krone,« sagte d’Artagnan, »sondern vom König. Der König ist Herr Fouquet, nun da der Cardinal todt . . . Du mußt Dich gut mit Herrn Fouquet stehen, wenn Du nicht Dein ganzes Leben schimmeln willst, wie ich geschimmelt habe . . . Du hast allerdings glücklicher Weise andere Gönner.«
»Den Herrn Prinzen vor Allem.«
»Abgenützt, abgenützt, mein Freund.«
»Den Herrn Grasen de la Fère.«
»Athos! oh! das ist etwas Anderes; ja, Athos . . . und wenn Du in England einen guten Weg machen willst, kannst Du keine bessere Adresse haben. Ich darf sogar ohne zu große Eitelkeit behaupten, daß ich selbst einiges Ansehen beim Hof von Karl II. habe. Das ist ein König, der gefällt mir.«
»Ah!« machte Raoul mit der naiven Neugierde wohl geborener junger Leute, welche gern die Erfahrung und die Tapferkeit reden hören.
»Ja, ein König, der sich belustigt, es ist wahr, der aber das Schwert in die Hand zu nehmen und die ersprießlichen Namen zu schätzen gewußt hat. Athos steht gut mit Karl II. Nimm dort Dienst, sage ich Dir, und laß ein wenig diese knauserischen Steuerpächter, welche eben so gut mit französischen Händen, als mit italienischen Fingern stehlen; laß den kleinen weinerlichen König, der uns eine Regierung von Franz II. geben wird. Kennst Du die Geschichte, Raoul?«
»Ja, Herr Chevalier.«
»Du weißt also, daß Franz II. immer Ohrenweh hatte?«
»Nein, ich wußte das nicht!«
»Daß Karl IV. immer Kopfweh hatte?«
»Oh!«
»Und Heinrich III. immer Bauchweh?«
Raoul lachte.
»Nun! mein lieber Freund, Ludwig XIV. hat immer Herzweh; es ist kläglich anzuschauen, wenn ein König vom Morgen bis zum Abend seufzt und nicht einmal im Tage: Alle Wetter! oder: Stern und Element! oder irgend so etwas, was den Geist erweckt, ausruft.«
»Deshalb habt Ihr den Dienst verlassen, Herr?« fragte Raoul.
»Ja.«
»Aber Ihr selbst, lieber Herr d’Artagnan, Ihr schüttet das Kind mit dem Bade aus; Ihr werdet kein Glück machen.«
»Oh! ich,« entgegnete d’Artagnan mit leichtem Ton, »ich bin versorgt. Ich habe einiges Vermögen von Hause aus.«
Raoul schaute ihn an. Die Armuth von d’Artagnan war sprichwörtlich. Ein Gascogner, überbot er an Dürftigkeit alle Gasconnaden von Frankreich und Navarra; Raoul hatte hundertmal Hiob und d’Artagnan nennen hören, wie man die Zwillingsbrüder Romulus und Remus nennt,
D’Artagnan gewahrte diesen Blick der Verwunderung.
»Nun! Dein Vater wird Dir gesagt haben, daß ich in England gewesen bin?«
»Ja, Herr Chevalier.«
»Und daß ich dort einen glücklichen Fund gemacht habe?«
»Nein, Herr, das wußte ich nicht.«
»Ja, einer meiner guten Freunde, ein sehr vornehmer Herr, der Vicekönig von Schottland und Irland, machte, daß ich eine Erbschaft auffand.«
»Eine Erbschaft?«
»Ja, eine ziemlich runde.«
»Somit seid Ihr reich?«
»Nun . . . «
»Empfangt meine aufrichtigen Glückwünsche.«
»Ich danke . . . Sieh, hier ist mein Haus.«
»Auf der Grève?«
»Ja, Du liebst dieses Quartier nicht?«
»Im Gegentheil . . . das Wasser ist schön anzuschauen ., . Oh! das hübsche, alterthümliche Haus!«
»Das Bild Unserer Lieben Frau, es ist eine alte Schenke, die ich seit zwei Tagen in ein Haus verwandelt habe.«
»Aber die Schenke ist immer noch offen?«
»Ja wohl!«
»Und Ihr, wo wohnt Ihr?«
»Ich wohne bei Planchet.?«
»Ihr sagtet mir aber so eben: Sieh, hier ist mein Haus.«
»Ich sagte dies, weil es wirklich mein Haus ist, denn ich habe es gekauft.«
»Ah!« machte Raoul.
»Zehn Procent, mein lieber Raoul; ein vortreffliches Geschäft: ich habe das Haus um dreißigtausend Livres gekauft; es hat einen Garten nach der Rue de la Mortellerie; die Schenke ist mit dem ersten Stock um tausend Livres vermiethet; der Speicher im zweiten Stock um fünfhundert Livres.«
»Geht doch!«
»Ganz gewiß.«
»Ein Speicher um fünfhundert Livres? Das ist ja nicht bewohnbar.«
»Man bewohnt es auch nicht; doch Du stehst, daß dieser Speicher zwei Fenster nach dem Platze hat.«
»Ja, Herr.«
»Nun wohl, so oft man rädert, hängt, viertheilt, oder verbrennt, werden diese Fenster bis zu zwanzig Pistolen vermiethet.«
»Oh!« machte Raoul mit Abscheu.
»Nicht wahr, das ist ekelhaft?« sagte d’Artagnan.
»Oh!« wiederholte Raoul.
»Es ist ekelhaft, aber es ist so . . . Diese Pariser Maulaffen sind zuweilen wahre Menschenfresser. Ich begreife nicht, daß Christen solche Speculationen machen können,«
»Das ist wahr.«
»Ich, was mich betrifft, verschlöße, wenn ich dieses Haus bewohnen würde, an Hinrichtungstagen Alles, bis auf die Schlüssellöcher; aber ich bewohne es nicht.«
»Und Ihr vermiethet diesen Speicher um fünfhundert Livres?«
»An den rohen Schenkwirt, der ihn wieder in Aftermiethe gibt . . . Ich sagte also fünfzehnhundert Livres.«
»Das natürliche Interesse des Geldes, fünf Procent.«
»Ganz richtig. Es bleiben mir noch das hintere Hauptgebäude, Magazine, Wohnungen und Keller, welche jeden Winter unter Wasser gesetzt sind, zweihundert Livres, und der Garten, der sehr schön, sehr gut angepflanzt, sehr unter den Mauern und dem Schatten des Portals von Saint-Gervais-Saint-Protais verborgen ist, dreizehnhundert Livres.«
»Dreizehnhundert Livres, oh! das ist königlich.«
»Höre die Geschichte: Ich muthmaße, daß irgend ein Canonicus des Kirchspiels (jeder dieser Herren ist ein Krösus), ich muthmaße also, daß ein Canonicus des Kirchspiels diesen Garten gemiethet hat, um sich darin zu erlustigen. Der Miethsmann hat den Namen Godard angegeben . . . Das ist ein falscher Name oder ein wahrer Name; ist er wahr, so ist es ein Canonicus; ist er falsch, so ist es ein Unbekannter; wozu soll ich das wissen? Er bezahlt immer zum Voraus . . . Ich hatte auch vorhin, als ich Dir begegnete, den Gedanken, ein Haus auf der Place Baudoyer zu kaufen, dessen Hintertheile sich mit meinem Garten verbinden ließen und ein herrliches Eigenthum bilden würden. Deine Dragoner haben mich von meinem Gedanken abgebracht. Doch laß uns den Weg durch die Rue de la Vannerie nehmen, und wir kommen gerade zu Meister Planchet.«
D’Artagnan beschleunigte seine Schritte, und führte wirklich Raoul zu Planchet in ein Zimmer, das der Spezereihändler seinem ehemaligen Herrn abgetreten hatte. Planchet war ausgegangen, doch das Mittagsbrod wurde aufgetragen. Es herrschte bei dem Spezereihändler noch ein Ueberest von Regelmäßigkeit, von militärischer Pünktlichkeit.
D’Artagnan brachte Raoul wieder auf das Kapitel seiner Zukunft.
»Dein Vater hält Dich streng,« sagte er.
»Gerecht, Herr Chevalier.«
»Oh! ich weiß, daß Athos gerecht ist, aber vielleicht zähe.«
»Eine königliche Hand, Herr d’Artagnan.«
»Ohne Umstände, Junge: wenn Du einige Pistolen brauchst, so ist der alte Musketier da.«
»Lieber Herr d’Artagnan . . . «
»Du spielst wohl ein wenig?«
»Nie.«
»Glück bei Frauen also? . . . Du erröthest . . . Oh! kleiner Aramis! Mein Lieber, das kostet noch mehr als das Spiel. Es ist wahr, daß man sich schlägt, wenn man verloren hat, und das ist eine Ausgleichung, … Bah! der kleine weinerliche König läßt die Leute, welche vom Leder ziehen, Strafe bezahlen. Welche Regierung, mein armer Raoul, welche Regierung . . . Wenn mau bedenkt, daß man zu meiner Zeit die Musketiere in den Häusern belagerte, wie Hektor und Priamus in der Stadt Troja; und dann weinten die Weiber, und dann lachten die Mauern, und fünfhundert Kerle klatschten in die Hände und riefen: Schlagt todt! schlagt todt! wenn es sich Nicht um einen Officier handelte. Mordioux! Ihr Leute werdet das nicht sehen.«
»Ihr urtheilt so strenge über den König, Herr d’Artagnan, und Ihr kennt ihn kaum.«
»Ich! höre, Raoul, Tag für Tag, Stunde für Stunde, merke Dir wohl meine Worte, sage ich Dir voraus, was er thun wird. Ist der Cardinal todt, so wird er weinen; gut: das ist das, was er am wenigsten Albernes thun kann, besonders wenn er nicht an eine Thräne denkt.«
»Hernach?«
»Hernach wird er sich eine Pension von Herrn Fouquet aussetzen lassen, und in Fontainebleau Verse für irgend eine Mancini machen, der die Königin die Augen ausreißt. Siehst Du, die Königin ist eine Spanierin und hat Frau Anna von Oesterreich zur Schwiegermutter. Ich kenne das . . . die Spanierinnen aus dem Hause Oesterreich.«
»Hernach?«
»Hernach, wenn er den Schweizern die silbernen Borden hat abreißen lassen, läßt er die Musketiere zu Fuß setzen, weil Hafer und Heu für ein Pferd täglich fünf Sous kosten.«
»Oh! sagt das nicht.«
»Was liegt mir daran, nicht wahr, ich bin nicht mehr Musketier? Mag man zu Pferd oder zu Fuß sein, mag man eine Spicknadel, einen Bratspieß, einen Degen, oder gar nichts tragen, mir gleichviel!«
»Lieber Herr d’Artagnan, ich flehe Euch an, sprecht nicht schlimm vom König. Ich bin, gleichsam in seinem Dienst, und mein Vater würde es mir sehr verargen, wenn ich, selbst aus Eurem Mund, für Seine Majestät beleidigende Worte angehört hätte.«
»Dein Vater! . . . Ei! das ist ein Vertheidiger jeder wurmstichigen Sache . . . Bei Gott! ja, Dein Vater ist ein Braver, ein Cäsar! aber ein Mann ohne Blick.«
»Ah! mein guter Chevalier,« erwiederte Raoul lachend, »Ihr werdet wohl nun auch Böses von meinem Vater, von dem Mann sagen, den Ihr den großen Athos nanntet; Ihr seid heute in einer schlimmen Laune, und der Reichthum macht Euch herb, wie andere Leute die Armuth.«
»Du hast bei Gott Recht; ich bin ein Wicht und schwatze ungereimtes Zeug; ich bin ein unglücklicher alter Kerl, ein durchlöcherter Panzer, ein Stiefel ohne Sohle, ein Sporn ohne Rädchen; doch mache mir das Vergnügen, Raoul, sprich etwas aus.«
»Was, lieber Herr d’Artagnan?«
»Sage: Mazarin war ein Lumpenkerl.«
»Er ist vielleicht todt.«
»Ein Grund mehr; ich sage war; wenn ich nicht hoffte, er wäre todt, würde ich Dich bitten, zu sagen: Mazarin ist ein Lumpenkerl; sage es, ich bitte Dich, mir zu Liebe.«
»Ich will es wohl.«
»Sprich also.«
»Mazarin war ein Lumpenkerl,« sagte Raoul, dem Musketier zulächelnd, der sich belustigte, wie in seinen schönen Tagen.
»Einen Augenblick Geduld,« fuhr der Musketier fort. »Du hast den ersten Satz ausgesprochen, nun kommt der Schluß, Wiederhole, Raoul, wiederhole: aber ich werde Mazarin bedauern.«
»Chevalier!«
»Du kannst es nicht sagen . . . so werde ich es zweimal für Dich sagen.«
»Aber ich werde Mazarin bedauern!«
Sie lachten noch und stritten über diese Abfassung eines Glaubensbekenntnisses, als einer von den Ladendienern des Spezereihändlers eintrat und sagte:
»Hier ist ein Brief für Herrn d’Artagnan.«
»Ich danke . . . Laß sehen!« rief der Musketier.
»Die Handschrift des Herrn Grafen,« sprach Raoul.
»Ja, ja,« sagte d’Artagnan. Und, er entsiegelte den Brief.
»Mich!« rief d’Artagnan und ließ das Papier auf den Tisch fallen.
Raoul hob es auf und las laut weiter:
»Mich!« wiederholte der Musketier.
»He!, he!« sagte Raoul.
»Hoho! rief d’Artagnan. Was soll das bedeuten?«
XI.
Als die erste Bewegung des Erstaunens vorüber war, las d’Artagnan noch einmal das Billet von Athos und sagte dann:
»Es ist seltsam, daß mich der König rufen läßt.«
»Warum?« entgegnete Raoul, »glaubt Ihr nicht, der König müsse den Verlust eines Dieners, wie Ihr seid, bedauern?«
»Hoho!« rief der Officier lachend, »wie kommt Ihr mir vor, Meister Raoul? Wenn der König meinen Verlust bedauert hätte, so würde er mich nicht haben gehen lassen. Nein, nein, ich sehe darin etwas Besseres oder Schlimmeres, wenn Ihr wollt.«
»Schlimmeres! was denn, Herr Ritter?«
»Du bist jung, Du bist vertrauensvoll, Du bist bewunderungswürdig . . . Wie gerne möchte ich noch so sein, wie Du! Vierundzwanzig Jahre alt, die Stirne glatt, und das Gehirn leer von Allem, wenn nicht von Frauen, von Liebe, oder von guten Absichten. Oh! Raoul, so lange Du nicht das Lächeln der Könige und die Vertraulichkeiten der Königinnen empfangen hast, so lange nicht unter Dir zwei Cardinäle, wovon der eine ein Tiger, der andere ein Fuchs, getödtet worden sind, so lange dies nicht geschehen ist . . . Doch wozu alle diese Albernheiten, wir müssen uns trennen, Raoul.«
»Wie Ihr mir das sagt! welche ernste Miene!«
»Ei! die Sache lohnt sich wohl der Mühe . . . Höre mich an, ich habe Dir einen schönen Auftrag zu geben.«
»Ich höre, lieber Herr d’Artagnan.«
»Du wirst Deinen Vater von meiner Abreise in Kenntniß setzen.«
»Ihr reist ab?«
»Bei Gott . . . Du sagst ihm, ich sei nach England gegangen, und bewohne mein kleines Lusthaus.«
»Nach England! Ihr! . . . Und die Befehle des Königs?«
»Du kommst mir immer naiver vor: Du bildest Dir ein, ich werde mich nur so in den Louvre begeben und zur Verfügung dieses gekrönten Wölfleins stellen!«
»Wölflein! der König! Aber, Herr Chevalier, Ihr seid verrückt.«
»Ich bin im Gegentheil nie so vernünftig gewesen, Du weißt also nicht, was dieser würdige Sohn von Ludwig dem Gerechten mit mir machen will? Mordioux! das ist Politik . . . Siehst Du, er will mich ganz einfach in die Bastille stecken lassen.«
»Aus welchem Grund!« rief Raoul erschrocken über das, was er hörte.
»Aus dem Grund, daß ich ihm eines Tags in Blois gesagt habe . . . Ich bin lebhaft gewesen, er erinnert sich dessen.«
»Was habt Ihr denn gesagt?«
»Er sei ein Knauser, ein Hasenherz, ein Einfaltspinsel.«
»Ah! mein Gott . . . « rief Raoul, »ist es möglich, daß solche Worte aus Eurem Munde gekommen sind?«
»Ich gebe Dir vielleicht nicht den Buchstaben meiner Rede, aber ich gebe Dir wenigstens den Sinn derselben.«
»Der König hätte Euch doch wohl auf der Stelle verhaften lassen?«
»Durch wen? Ich commandirte die Musketiere, er hätte mir müssen den Befehl geben, mich ins Gefängnis zu führen, und dazu hätte ich nie eingewilligt, . . . ich wäre mir selbst widerstanden . . . Und dann bin ich nach England gegangen, und somit kein d’Artagnan mehr . . . Heute ist der Cardinal todt, oder beinahe todt. Man weiß, daß ich in Paris bin, und will mich packen.«
»Der Cardinal war also Euer Beschützer?«
»Der Cardinal kannte mich; er wußte von mir gewisse besondere Umstände, ich wußte von ihm gewisse Umstände: wir schätzten uns gegenseitig . . . Und dann wird er, indem er dem Teufel seine Seele überantwortete, Anna von Oesterreich gerathen haben, mich an einem sichern Ort wohnen zu lassen. Suche also Deinen Vater auf, erzähle ihm die Sache, und Gott befohlen!«
»Mein lieber Herr d’Artagnan,« sprach Raoul ganz bewegt, als er durch das Fenster geschaut hatte, »Ihr könnt nicht einmal mehr fliehen.«
»Warum denn?«
»Weil unten ein Officier von den Schweizern ist, der auf Euch wartet.«
»Nun!«
»Nun! er wird Euch verhaften.«
D’Artagnan brach in ein homerisches Gelächter aus.
»Oh! ich weiß wohl, daß Ihr Widerstand leisten, daß Ihr mit ihm kämpfen, daß Ihr Sieger sein werdet; aber das ist Aufruhr, und Ihr seid selbst Officier und wißt, was die Disciplin bedeutet.«
»Teufelskind! wie erhaben, wie logisch das ist!« brummte d’Artagnan.
»Nicht wahr, Ihr billigt meine Ansicht?«
»Ja. Statt durch die Straße zu gehen, wo dieser einfältige Tropf auf mich wartet, mache ich mich ganz einfach durch das Hinterhaus aus dem Staub. Ich habe ein Pferd im Stall; es ist gut; ich reite es zu Tode . . . meine Mittel erlauben es, und indem ich von Station zu Station ein Pferd zu Tode reite, komme ich in elf Stunden nach Boulogne; ich weiß den Weg . . . Sage Deinem Vater nur noch Eines.«
»Was?«
»Daß das Bewußte mit Ausnahme eines Fünftels bei Planchet angelegt sei, und daß . . . «
»Aber, mein lieber Herr d’Artagnan, nehmt Euch in Acht, wenn Ihr flieht, wird man Zweierlei sagen . . . «
»Was?«
»Einmal, daß Ihr Angst gehabt habet.«
»Wer wird das sagen?«
»Der König zu allererst.«
»Nun wohl! . . . er wird die Wahrheit sagen, denn ich habe Angst.«
»Sodann, daß Ihr Euch schuldig fühltet.«
»Schuldig?«
»Der Verbrechen, die man Euch wird zur Last legen wollen.«
»Das ist abermals wahr . . . Und dann räthst Du mir, mich in die Bastille stecken zu lassen?«
»Der Herr Graf de la Fère würde es Euch rathen wie ich.«
»Ich weiß es, bei Gott! wohl,« sagte d’Artagnan träumerisch; »Du hast Recht, ich werde nicht fliehen. Doch wenn man mich in die Bastille wirft?«
»Wir bringen Euch wieder heraus,« sprach Raoul mit ruhiger Miene.
»Mordioux!« rief d’Artagnan, indem er seine Hand ergriff, »Du hast das auf eine wackere Art gesagt, Raoul: das ist ganz rein Athos. Nun wohl! ich gehe. Vergiß mein letztes Wort nicht.«
»Mit Ausnahme eines Fünftels,« sagte Raoul.
»Ja. Du bist ein hübscher Junge, und Du sollst Letzterem noch etwas beifügen.«
»Sprecht.«
»Daß, wenn Ihr mich nicht aus der Bastille herausbringt und ich darin sterbe . . . Oh! man hat das gesehen . . . Und ich wäre ein abscheulicher Gefangener, ich, der ich ein leidlicher Mensch war . . . In diesem Fall schenke ich drei Fünftel Dir, und das vierte Deinem Vater.«
»Chevalier!«
»Mordioux! wenn Ihr mir wollt Messen lesen lassen, so steht es Euch frei.«
Nach diesen Worten nahm d’Artagnan das Wehrgehänge vom Haken, gürtete ein Schwert um, ergriff einen Hut, dessen Feder frisch war, und reichte die Hand Raoul, der sich bewegt in seine Arme warf.
Sobald er in der Bude war, schaute er die Ladenbursche an, welche die Scene mit einem Stolz, in den sich Unruhe mischte, betrachteten; dann tauchte er die Hand in eine Kiste, worin kleine Korinthen, und ging auf den Officier zu, der philosophisch vor der Ladenthüre wartete.
»Diese Züge! . . . Seid Ihr es, Herr von Friedisch,« rief heiter der Musketier, den Jargon des Schweizers nachahmend. »Ei! ei! wir verhaften also unsere Freunde?«
»Ich bin es,« erwiederte der Schweizer mit seinem harten Accent. »Guten Morgen, Herr d’Artagnan.«
»Soll ich Euch meinen Degen geben? Ich sage Euch zum Voraus, daß er lang und schwer ist. Laßt ihn mir bis zum Louvre, ich bin ganz dumm, wenn ich auf der Straße keinen Degen habe, und Ihr wäret noch dümmer als ich, wenn Ihr zwei hättet.«
»Der König hat nichts davon gesagt,« entgegnete der Schweizer; »behaltet also Euren Degen.«
»Ei! das ist sehr artig vom König. Gehen wir geschwinde.«
Herr von Friedisch war kein Schwätzer, und d’Artagnan hatte zu viel zu denken, um es zu sein. Vom Laden von Planchet bis zum Louvre war die Entfernung nicht groß, und man kam in zehn Minuten an Ort und Stelle. Es war Nacht.
Herr von Friedisch wollte durch das Pförtchen eintreten.
»Nein,« sagte d’Artagnan, »Ihr würdet dadurch Zeit verlieren: wählt die kleine Treppe.«
Der Schweizer that, was ihm d’Artagnan empfahl, und führte ihn in die Flur des Cabinets von Ludwig XIV.
Hier angelangt, verbeugte er sich vor seinem Gefangenen und kehrte, ohne etwas zu sagen, an seinen Posten zurück.
D’Artagnan hatte nicht Zeit gehabt, sich zu fragen, warum man ihm seinen Degen nicht abnehme, als die Thüre des Cabinets sich öffnete und ein Kammerdiener: »Herr d’Artagnan!« rief.
Der Musketier nahm seine Paradehaltung an, und trat, das Auge weit geöffnet, die Stirne ruhig, den Schnurrbart starr, ein.
Der König saß an seinem Tisch und schrieb.
Er ließ sich nicht stören, als der Tritt des Musketiers auf dem Boden erscholl. Er wandte nicht einmal den Kopf um, D’Artagnan ging bis in die Mitte des Saals und drehte, da er wahrnahm, daß der König ihm gar keine Aufmerksamkeit schenkte, und da er zugleich einsah, daß dies Affectation, eine Art von ärgerlichem Eingang zu der Erklärung war, die sich vorbereitete, dem Fürsten den Rücken zu und fing an mit allen seinen Augen die Fresken vom Karnieß und die Sprünge am Plafond zu beschauen.
Dieses Manoeuvre war von einem kleinen stillschweigenden Monolog begleitet:
»Ah! Du willst mich demüthigen, Du, den ich ganz klein gesehen habe, Du, den ich wie mein Kind gerettet. Du, dem ich wie einem Gott gedient habe . . . das heißt umsonst . . . Warte, warte. Du wirst sehen, was ein Mann vermag, der dem Cardinal, dem wahren Cardinal, das Hugenotten-Lied ins Gesicht gepfiffen hat!«
Ludwig XIV. wandte sich in diesem Augenblick um und fragte:
»Ihr seid da, Herr d’Artagnan?«
D’Artagnan sah die Bewegung, ahmte sie nach und antwortete:
»Zu Besehen, Sire.«
»Gut; wollt warten, bis ich addirt habe.«
D’Artagnan verbeugte sich, ohne etwas zu erwiedern:
»Das ist ziemlich höflich und ich habe nichts dagegen zu bemerken,« dachte er.
Ludwig machte ungestüm einen Federzug und warf dann seine Feder zornig weg.
»Gut, ärgere Dich, um in den Zug zu kommen,« dachte der Musketier, »Du wirst es mir bequem machen; es ist auch gut, daß ich damals in Blois mein Herz nicht ganz ausgeleert habe.«
Ludwig stand auf und fuhr mit der Hand über die Stirne: dann blieb er vor d’Artagnan stehen und schaute ihn mit einer zugleich gebieterischen und wohlwollenden Miene an.
»Nun, was will er denn von mir? er mache ein Ende!« dachte der Musketier.
»Mein Herr,« sprach der König, »Ihr wißt ohne Zweifel, daß der Herr Cardinal gestorben ist?«
»Ich vermuthe es, Sire.«
»Ihr wißt folglich, daß ich Herr in meinem Hause bin.«
»Das ist nichts, was sich vom Tod des Cardinals datirt, Sire: man ist immer Herr in seinem Hause, wenn man will.«
»Ja, aber Ihr erinnert Euch alles dessen, was Ihr mir in Blois gesagt habt?«
»Nun sind wir dabei,« dachte d’Artagnan; »ich täuschte mich nicht. Ah! desto besser, das ist ein Zeichen, daß ich noch einen ziemlich guten Geruch habe.«
»Ihr antwortet mir nicht,« sagte Ludwig.
»Sire, ich glaube mich zu erinnern.«
»Ihr glaubt nur?«
»Es ist schon lange her.«
»Wenn Ihr Euch nicht mehr erinnert, so will ich Euer Gedächtniß auffrischen. Ihr habt mir Folgendes gesagt, hört wohl.«
»Oh! Sire, ich höre mit allen meinen Ohren, denn das Gespräch wird wahrscheinlich eine interessante Wendung für mich nehmen.«
Ludwig schaute den Musketier noch einmal an; dieser streichelte die Feder seines Hutes, dann seinen Schnurrbart, und wartete unerschrocken.
Ludwig XIV. fuhr fort:
»Ihr habt meinen Dienst verlassen, mein Herr, nachdem Ihr mir die volle Wahrheit gesagt?«
»Ja, Sire.«
»Nämlich, nachdem Ihr mir Alles erklärt, was Ihr über meine Denk- und Handlungsmeise für wahr hieltet. Das ist immerhin ein Verdienst. Ihr finget damit an, daß Ihr mir sagtet, Ihr dientet meiner Familie seit vierunddreißig Jahren, und wäret müde.«
»Das habe ich gesagt, Sire.«
»Und Ihr gestandet sodann, diese Müdigkeit sei nur ein Vorwand, und die Unzufriedenheit sei die wirkliche Ursache.«
»Ich war in der That unzufrieden; doch diese Unzufriedenheit hat sich nirgends, daß ich wüßte, verrathen, und wenn ich als ein Mann von Herz laut vor Eurer Majestät sprach, so dachte ich nicht einmal einem Andern gegenüber.«
»Entschuldigt Euch nicht, Herr d’Artagnan, und hört mich weiter an. Als Ihr mir den Vorwurf machtet, Ihr wäret unzufrieden, erhieltet Ihr als Antwort ein Versprechen; ich sagte Euch: »»Wartet!«« Ist das wahr?«
»Ja, Sire, wahr wie das, was ich Euch sagte.«
»Ihr antwortetet mir: »»Später? nein. Sogleich, gut! . . . «« Entschuldigt Euch nicht, sage ich Euch . . . das war natürlich; doch Ihr hattet kein Mitleid mit Eurem Fürsten, Herr d’Artagnan.«
»Sire . . . Mitleid! mit einem König, von Seiten eines armen Soldaten!«
»Ihr versteht mich nicht: Ihr wißt wohl, daß ich dessen bedurfte; Ihr wißt, daß ich nicht der Herr war: Ihr wißt, daß ich die Zukunft in Aussicht hatte: Ihr antwortetet mir aber, als ich von dieser Zukunft sprach: »»Meinen Abschied, auf der Stelle!««
D’Artagnan biß sich auf den Schnurrbart und murmelte:
»Das ist wahr.«
»Ihr habt mir nicht geschmeichelt, als ich in der Noth war,« fügte Ludwig XIV. bei.
»Sire,« sprach d’Artagnan, voll Adel das Haupt erhebend, »wenn ich Eurer Majestät nicht geschmeichelt habe, als sie arm war, so habe ich sie doch auch nicht verrathen; ich habe mein Blut umsonst vergossen; ich habe wie ein Hund vor der Thüre gewacht, während ich wohl wußte, daß man mir weder Brod noch Knochen zuwerfen würde. Ebenfalls arm, habe ich nichts verlangt als den Abschied, von dem Eure Majestät spricht.«
»Ich weiß, daß Ihr ein braver Mann seid. Doch ich war ein junger Mensch, und Ihr mußtet mich schonen . . . Was hattet Ihr dem König vorzuwerfen? Daß er Karl II. ohne Beistand ließ? Sagen wir mehr, daß er Fräulein von Mancini nicht heirathete?«
Während der König diese Worte sprach, heftete er einen tiefen Blick auf den Musketier.
»Ah! ah!« dachte der Letztere, »er erinnert sich nicht nur, er erräth . . . Teufel!«
»Euer Urtheil.« fuhr Ludwig XIV. fort, »betraf den König und betraf den Menschen . . . Aber Herr d’Artagnan, diese Schwäche, denn Ihr betrachtet das als eine Schwäche!«
D’Artagnan antwortete nicht.
»Ihr warft sie mir auch in Beziehung auf den verstorbenen Herrn Cardinal vor; der Herr Cardinal hat, indem er mich aufzog, unterstützte, allerdings sich selbst unterstützt, aber die Wohlthat bleibt am Ende immer eine Wohlthat . . . und hättet Ihr mich, wenn ich undankbar, selbstsüchtig gewesen wäre, mehr geliebt, hättet Ihr mir eher und besser gedient?«
»Sire . . . «
»Sprechen wir nicht mehr hiervon, mein Herr; es würde bei Euch zu viel Bedauern, bei mir zu viel Pein verursachen.«
D’Artagnan war nicht überzeugt. Indem der junge König gegen ihn einen stolzen Ton annahm, beschleunigte er seine Angelegenheiten nicht.
»Ihr habt seitdem überlegt?« sagte Ludwig XIV.
»Was, Sire?« fragte d’Artagnan mit höflichem Ton.
»Alles, was ich Euch sagte, mein Herr.«
»Ja, Sire . . . allerdings.« »Und Ihr habt nur auf eine Gelegenheit gewartet, um auf Eure Worte zurückzukommen?«
Sire . . . «
»Ihr zögert, wie mir scheint . . . «
»Ich begreife nicht ganz, was Eure Majestät zu sagen mir die Ehre erweist.«
Ludwig faltete die Stirne.
»Wollt mich entschuldigen, Sire; ich habe einen besonders dicken Schädel. Die Dinge dringen nur schwer ein; es ist wahr, wenn sie einmal eingegangen sind, bleiben sie darin.«
»Ja, Ihr scheint mir Gedächtniß zu haben.«
»Beinahe ebenso viel, als Eure Majestät.«
»Dann gebt mir schnell eine Lösung . . . Meine Zeit ist kostbar . . . Was macht Ihr, seitdem Ihr den Abschied habt?«
»Mein Glück, Sire.«
»Das Wort ist hart, Herr d’Artagnan.«
»Eure Majestät nimmt es sicherlich von der schlimmen Seite. Ich hege für den König nur die tiefste Ehrfurcht, und wäre ich unhöflich, was sich durch mein langes Leben in Feldlagern und in den Kasernen entschuldigen läßt, so steht Eure Majestät zu hoch über mir, um sich durch ein einem Soldaten unschuldig entschlüpftes Wort beleidigt zu fühlen.«
»In der That, ich weiß, daß Ihr in England eine glänzende Handlung vollbracht habt, und ich bedaure nur, daß Ihr Eurem Versprechen ungetreu geworden seid.«
»Ich?« rief d’Artagnan.
»Allerdings . . . Ihr habt mir Euer Wort verpfändet, daß Ihr, meinen Dienst verlassend, keinem andern Fürsten mehr dienen werdet . . . Ihr habt aber für König Karl II. an der wunderbaren Entführung von Herrn Monk gearbeitet.«
»Verzeiht, Sire, für mich.«
»Das ist Euch gelungen?«
»Wie den Kapitänen des fünfzehnten Jahrhunderts die Handstreiche und die Abenteuer.«
»Was nennt Ihr ein Gelingen? ein Glück?«
»Hunderttausend Thaler, Sire, die ich besitze: das ist in einer Woche das Dreisache von Allem, was ich in fünfzig Jahren an Geld gehabt habe.«
»Die Summe ist hübsch . . . Doch Ihr seid, wie ich glaube, ehrgeizig?«
»Sire, der vierte Theil kam mir als ein Schatz vor, und ich schwöre Euch, daß ich mein Vermögen nicht zu vermehren gedenke.«
»Ah! Ihr gedenkt müßig zu bleiben?«
»Ja, Sire.«
»Den Degen niederzulegen?«
»Das ist schon geschehen.«
»Unmöglich, Herr d’Artagnan,« sprach Ludwig entschlossen.
»Aber, Sire . . . «
»Nun?«
»Warum?«
»Weil ich nicht will!«, sagte der junge Fürst mit so ernstem, so gebieterischem Ton, daß d’Artagnan eine Bewegung des Erstaunens, der Unruhe sogar machte.
»Wird mir Eure Majestät ein Wort der Erwiederung erlauben?«
»Sprecht.«
»Diesen Entschluß faßte ich, als ich noch arm und entblößt war.«
»Es mag sein. Hernach?«
»Würde mich nun Eure Majestät heute, da ich mir durch meine Thätigkeit einen sichern Wohlstand erworben habe, meiner Freiheit berauben, so würde sie mich zum Mindesten verurtheilen, da ich das Meiste gewonnen habe.«
»Mein Herr, wer hat Euch erlaubt, meine Absichten zu ergründen und mit mir zu rechnen?« sprach Ludwig beinahe mit zornigem Ton; »wer hat Euch gesagt, was ich thun werde, was Ihr selber thun werdet?«
»Sire,« erwiederte ruhig der Musketier, »die Offenherzigkeit ist nach dem, was ich sehe, nicht mehr auf der Ordnung des Gesprächs, wie an dem Tag, wo wir uns in Blois erklärten.«
»Nein, mein Herr, Alles hat sich verändert.«
»Ich drücke Eurer Majestät hierüber meine aufrichtigen Glückwünsche aus, aber . . . «
»Aber Ihr glaubt es nicht.«
»Ich bin kein großer Staatsmann, doch ich habe meinen Blick für die Angelegenheiten; es fehlt mir nicht an Sicherheit; ich sehe aber die Dinge nicht ganz so an, wie Eure Majestät. Die Regierung von Mazarin ist zu Ende, doch die der Finanzmänner beginnt, Sie haben Geld. Eure Majestät muß nicht oft haben. Unter der Tatze dieser hungerigen Wölfe zu leben, ist hart für einen Mann, der auf Unabhängigkeit rechnet.«
In diesem Augenblick kratzte Jemand an der Thüre des Cabinets; der König erhob stolz den Kopf und sprach:
»Verzeiht, Herr d’Artagnan, es ist Herr Colbert, der mir einen Bericht erstatten will. Kommt herein, Herr Colbert.«
D’Artagnan trat zurück. Colbert trat mit Papieren in der Hand ein und ging auf den König zu.
Es bedarf nicht der Erwähnung, daß der Gascogner diese Gelegenheit, seinen seinen, scharfen Blick auf die neue Erscheinung, die sich ihm bot, anzuwenden nicht versäumte.
»Man hat die Untersuchung vorgenommen?«
»Ja, Sire.«
»Und was ist die Meinung der Untersuchungsrichter?«
»Daß die Angeschuldigten die Confiscation und den Tod verdient haben.«
»Ah! ah!« machte der König, ohne eine Miene zu verziehen, während er einen schiefen Blick auf d’Artagnan warf.
»Und was ist Eure Ansicht, Herr Colbert?« fragte der König.
Colbert schaute d’Artagnan ebenfalls an . . . Dieses beengende Gesicht hielt das Wort auf seinen Lippen zurück, Ludwig XIV. begriff es und sagte:
»Seid unbesorgt, es ist Herr d’Artagnan: erkennt Ihr Herrn d’Artagnan nicht?«
Die zwei Männer betrachteten sich gegenseitig; d’Artagnan mit offenem und flammendem Auge, Colbert mit bedecktem, argwöhnischem Auge. Die offenherzige Unerschrockenheit des Einen mißfiel dem Andern; die listige Bedachtsamkeit des Finanzmanns mißfiel dem Soldaten.
»Ah! ah! es ist der Herr, der den schönen Streich in England vollbracht hat,« sagte Colbert, und er grüßte d’Artagnan leicht.
»Ah! ah!« sprach der Gascogner, »es ist der Herr, der das Silber an den Borten der Schweizer benagt hat . . . Eine lobenswerthe Sparsamkeit!«
Und er machte eine tiefe Verbeugung.
Der Finanzmann hatte den Musketier in Verlegenheit zu bringen geglaubt, aber der Musketier durchbrach gleichsam den Finanzmann.
»Herr d’Artagnan,« sprach der König, der alle diese Nuancen, von denen Mazarin keine einzige entgangen wäre, nicht bemerkt hatte, »es ist von Steuerpächtern die Rede, welche mich bestohlen haben; ich lasse sie aufhängen und bin im Begriff, ihr Todesurtheil zu unterzeichnen.«
D’Artagnan bebte.
»Oh! oh!« machte er.
»Was sagt Ihr?«
»Nichts, Sire, das sind nicht meine Angelegenheiten.«
Der König hielt schon die Feder in der Hand und näherte sie dem Papier.
»Sire,« sagte mit halber Stimme Colbert, »ich bemerke Eurer Majestät, daß, wenn ein Beispiel nothwendig ist, dieses Beispiel in der Vollstreckung Schwierigkeiten hervorrufen kann.«
»Wie beliebt?« fragte Ludwig XIV.
»Sire,« antwortete Colbert ruhig, »verbergt Euch nicht, daß die Steuerpächter angreifen die Oberintendanz angreifen heißt. Die zwei Unglücklichen, die zwei Schuldigen sind specielle Freunde einer mächtigen Person, und am Tag der Hinrichtung, das ist nicht zu bezweifeln, werden sich Unruhen erheben.«
Ludwig erröthete und wandte sich gegen d’Artagnan um, der sachte an seinem Schnurrbart nagte, nicht ohne ein Lächeln des Mitleids für den armen Finanzmann, sowie für den König, welcher ihn so lange anhörte.
Da ergriff Ludwig XIV. die Feder und setzte mit einer so raschen Bewegung, daß ihm die Hand zitterte, seine zwei Unterschriften unten an die Papiere, die ihm Colbert übergeben hatte; dann schaute er dem Letzteren ins Gesicht und sagte:
»Herr Colbert, wenn Ihr mir von Angelegenheiten sprecht, laßt häufig das Wort Schwierigkeit in Euren Urtheilen und Rathschlägen aus; das Wort Unmöglichkeit komme aber nie über Eure Lippen.«
Colbert verbeugte sich sehr gedemüthigt, daß er diese Lection vor dem Musketier erhalten hatte; er war im Begriff, wegzugehen, aber begierig, die erlittene Niederlage wieder gut zu machen, wandte er sich noch einmal um und sprach:
»Ich vergaß, Eurer Majestät zu melden, daß sich die Confiscationen auf fünf Millionen Livres belaufen.«
»Das ist hübsch,« dachte d’Artagnan.
»Somit belaufen sich meine Kassen?« fragte der König.
»Auf achtzehn Millionen Livres,« antwortete Colbert sich verbeugend.
»Mordioux!« brummelte d’Artagnan, »das ist schön.«
»Herr Colbert,« fügte der König bei, »ich bitte, geht durch die Gallerie, wo Herr von Lyonne wartet, und sagt ihm, er möge mir das bringen, was er auf meinen Befehl abgefaßt hat.«
»Auf der Stelle, Sire; Eure Majestät bedarf meiner diesen Abend nicht mehr?«
»Nein, mein Herr; guten Tag.«
Colbert ging hinaus.
»Kommen wir auf unsere Angelegenheit zurück,« sprach Ludwig XIV., als ob nichts vorgefallen wäre: »Ihr seht, daß, was das Geld betrifft, schon eine bedeutende Veränderung vorgegangen ist.«
»Wie von Null auf achtzehn,« erwiederte heiter der Musketier. »Ah! das hätte Eure Majestät an dem Tag haben müssen, wo Seine Majestät König Karl II. nach Blois kam. Die zwei Staaten wären heute nicht entzweit, denn ich muß sagen, auch hierin sehe ich einen Stein des Anstoßes.«
»Ah! mein Herr,« entgegnete Ludwig, »Ihr seid vor Allem ungerecht, denn wenn die Vorsehung mir an jenem Tag meinem Bruder eine Million zu geben gestattet hätte, so würdet Ihr meinen Dienst nicht verlassen und folglich nicht Euer Glück gemacht haben, wie Ihr so eben sagtet . . . Aber außer diesem habe ich ein anderes Glück gehabt, und meine Entzweiung mit Großbritannien braucht Euch nicht besorgt zu machen.«
Ein Kammerdiener unterbrach den König und meldete Herrn von Lyonne.
»Tretet ein, mein Herr,« sagte der König, »Ihr seid pünktlich, und so muß ein guter Diener sein. Laßt Euren Brief an meinen Bruder Karl II. sehen.«
D’Artagnan spitzte die Ohren.
»Einen Augenblick Geduld, mein Herr,« sagte Ludwig nachlässig zu dem Gascogner; »ich muß nach London die Einwilligung zur Heirath meines Bruders, des Herzogs von Orleans, mit Lady Henriette Stuart abgehen lassen.«
»Er schlägt mich, wie es scheint,« murmelte d’Artagnan, während der König diesen Brief unterzeichnete und dann Herrn von Lyonne entließ; »doch, meiner Treue, ich gestehe, je mehr ich geschlagen werde, desto zufriedener bin ich.«
Der König folgte mit den Augen Herrn von Lyonne, bis die Thüre hinter ihm geschlossen war; er machte sogar drei Schritte, als hätte er. seinem Minister folgen wollen. Doch nach diesen drei Schritten blieb erstehen, schwieg einige Augenblicke und kehrte dann zu dem Musketier zurück.
»Nun wollen wir rasch schließen, mein Herr,« sprach Ludwig. »Ihr sagtet mir damals in Blois, Ihr wäret nicht reich.«
»Ich bin es jetzt, Sire.«
»Ja, aber das geht mich nichts an; Ihr habt Euer Geld, nicht das meinige, das ist nicht meine Rechnung.«
»Sire, ich weiß nicht, was Eure Majestät sagen will.«
»So sprecht freiwillig, statt Euch die Worte herausziehen zu lassen. Habt Ihr genug mit zwanzigtausend Livres jährlich festen Gehalt?«
»Aber, Sire . . . « rief d’Artagnan, die Augen weit aufreißend.
»Habt Ihr genug mit vier Pferden, die man Euch liefert und unterhält. Und mit einem Zusatz von Geldern, die Ihr nach Gelegenheit und Bedürfniß verlangen möget, oder zieht Ihr eine bestimmte Summe, zum Beispiel vierzigtausend Livres vor? Antwortet.«
»Sire, Eure Majestät . . . «
»Ja, Ihr seid erstaunt, das ist ganz natürlich, und ich habe es erwartet; antwortet, oder ich muß glauben, Ihr habet nicht mehr jene Raschheit des Urtheils, die ich stets an Euch schätzte . . . «
»Es ist wahr, Sire, zwanzigtausend Livres jährlich sind eine schöne Summe; aber . . . «
»Kein aber. Ja oder nein, ist das eine anständige Entschädigung?«
»Oh! gewiß . . . «
»Ihr seid also damit zufrieden? Gut! gut! Es ist übrigens besser, Euch die Nebenkosten besonders zu bezahlen; Ihr werdet das mit Colbert abmachen. Gehen wir nun zu etwas Wichtigerem über.«
»Aber, Sire, ich sagte Eurer Majestät . . . «
»Daß Ihr ausruhen wolltet, ich weiß es wohl; nur antwortete ich Euch, ich wolle nicht . . . Ich bin der Herr, denke ich?«
»Ja, Sire.«
»Gut also. Ihr waret einst nahe daran, Kapitän der Musketiere zu werden.«
»Ja, Sire.«
»Wohl, hier ist Euer Patent unterzeichnet. Ich lege es in die Schublade. An dem Tag, wo Ihr von einer gewissen Expedition zurückkommt, die ich Euch anvertraue, nehmt Ihr dieses Patent selbst aus der Schublade.«
D’Artagnan zögerte noch und hielt seinen Kopf gesenkt.
»Ah! mein Herr,« sprach Ludwig, »wenn man Euch sieht, sollte man glauben, Ihr wisset nicht, daß der General-Kapitän der Musketiere den Vortritt vor den Marschällen von Frankreich hat.«
»Sire, ich weiß es.«
»Dann sollte man meinen, Ihr trauet meinem Wort nicht.«
Oh! Sire, glaubt nicht solche Dinge.«
»Ich wollte Euch beweisen, daß Ihr, ein so guter Diener, einen guten Herrn verloren habt: bin ich ein wenig der Herr, den Ihr braucht?«
»Ich fange an zu denken, ja, Sire.«
»Dann, mein Herr, tretet Ihr wieder in Function. Eure Compagnie ist ganz desorganisirt seit Eurer Abreise, und die Leute treiben sich müßig in den Schenken umher, wo man sich schlägt, trotz meiner Edicte und der meines Vaters. Ihr werdet den Dienst aufs Schnellste wieder organisiren.«
»Ja, Sire.«
»Ihr werdet meine Person nicht mehr verlassen.«
»Gut.«
»Und Ihr werdet mit mir zur Armee marschiren, wo Ihr um mein Zelt her lagert.«
»Sire,« sprach d’Artagnan, »um mir einen solchen Dienst aufzuerlegen, braucht mir Eure Majestät nicht zwanzigtausend Livres zu geben, die ich nicht verdiene.«
»Ihr sollt ein Haus machen, Ihr sollt Tafel geben, mein Kapitän der Musketiere soll eine Person von Ansehen sein.«
»Und ich,« sagte d’Artagnan ungestüm, »ich liebe das gefundene Geld nicht! ich will verdientes Geld! Eure Majestät gibt mir das Gewerbe eines Müssiggängers, das der Erste der Beste für viertausend Livres treiben kann.«
Ludwig XIV. lachte.
»Ihr seid ein feiner Gascogner, Herr d’Artagnan; Ihr zieht mir mein Geheimniß aus dem Herzen.«
»Bah! Eure Majestät hat also ein Geheimniß?«
»Ja, mein Herr.«
»Wohl dann nehme ich die zwanzigtausend Livres an, denn ich werde das Geheimniß bewahren, und die Verschwiegenheit hat in diesen Zeitläuften keinen Preis. Will Eure Majestät nun sprechen?«
»Ihr werdet Euch stiefeln, Herr d’Artagnan, und zu Pferde steigen.«
»Auf der Stelle?«
»Im Verlauf von zwei Tagen.«
»Gut, Sire, denn ich habe meine Angelegenheiten in Ordnung zu bringen, ehe ich aufbreche, besonders wenn Schläge einzunehmen sind, «
»Das kann sich zeigen.«,
»Man wird sie einnehmen. Aber, Sire, Ihr habt zur Habgier, zum Ehrgeiz, Ihr habt zum Herzen von d’Artagnan gesprochen, doch Ihr habt Eines vergessen.«
»Was?«
»Ihr habt nicht zur Eitelkeit gesprochen! wann werde ich Ritter der Orden des Königs sein?«
»Das bekümmert Euch?«
»Ja. Mein Freund Athos ist ganz buntscheckig, und das blendet mich.«
»Ihr sollt Ritter meiner Orden werden, einen Monat, nachdem Ihr das Patent genommen.«
»Ah! ah!« sagte träumerisch der Officier, »nach der Expedition?«
»Ganz richtig.«
»Wohin schickt mich Eure Majestät.«
»Kennt Ihr die Bretagne?«
»Nein, Sire.«
»Habt Ihr Freunde dort?«
»In der Bretagne? Meiner Treue, nein.«
»Desto besser. Versteht Ihr Euch auf das Festungswesen?«
D’Artagnan lächelte.
»Ich glaube wohl, Sire.«
»Ihr könnt nämlich eine Festung von einer einfachen Befestigung unterscheiden, wie man sie den Schloßherren, unseren Vasallen, gestattet?«
»Ich unterscheide ein Fort von einem Wall, wie man einen Panzer von einer Pastetenkruste unterscheidet, Sire. Ist das genügend?«
»Ja, mein Herr. Ihr werdet also abreisen.«
»Nach der Bretagne?«
»Ja.«
»Allein?«
»Ganz allein, Ihr könnt nicht einmal einen Lackei mitnehmen.«
»Darf ich Eure Majestät fragen, aus welchem Grund?«
»Weil Ihr selbst wohl daran thun werdet, Euch ein wenig in einen Bedienten von gutem Haus zu verwandeln. Euer Gesicht ist sehr bekannt in Frankreich, Herr d’Artagnan.«
»Und dann, Sire?«
»Und dann werdet Ihr in der Bretagne umherspazieren und sehr sorgfältig die Festungswerke dieses Landes in Augenschein nehmen.«
»Die Küsten?«
»Auch die Inseln.«
»Ah!«
»Ihr sangt mit Belle-Isle-en-Mer an.
»Was Herrn Fouquet gehört,« sagte d’Artagnan mit ernstem Tone, indem er sein verständiges Auge zu Ludwig XIV. aufschlug.
»Ich glaube, Ihr habt Recht, mein Herr, Belle-Isle gehört in der That Herrn Fouquet.«
»Eure Majestät will also wissen, ob Belle-Isle ein guter Platz ist?«
»Ja.«
»Ob die Festungswerke neu oder alt sind?«
»Ganz richtig.«
»Ob zufällig die Vasallen des Herrn Oberintendanten zahlreich genug sind, um eine Garnison zu bilden?«
»Ihr habt die Frage ganz genau getroffen, mein Herr.«
»Und ob man nicht befestige, Sire?«
»Ihr werdet horchend und urtheilend in der Bretagne umherspazieren.«
D’Artagnan strich den Schnurrbart und sprach ganz unumwunden:
»Ich bin also Spion des Königs?«
»Nein, mein Herr.«
»Verzeiht, Sire, da ich für Rechnung Eurer Majestät spionire?«
»Ihr geht auf Entdeckung aus, mein Herr. Wenn Ihr das Schwert in der Faust an der Spitze Eurer Musketiere marschirtet, um irgend einen Ort, oder die Stellung des Feindes zu recognosciren . . . «
Bei diesem Worte zuckte d’Artagnan unmerklich.
»Würdet Ihr Euch für einen Spion halten?« fuhr der König fort.
»Nein, nein!« sagte d’Artagnan nachdenkend, »die Sache bekommt ein anderes Gesicht, wenn man den Feind recognoscirt . . . nein, man ist nur ein Soldat.
»Und wenn man Belle-Isle befestigt?« fügte er sogleich bei.
»Dann werdet Ihr einen genauen Plan von der Befestigung aufnehmen.«
»Wird man mich einlassen?«
»Das geht mich nichts an, das ist Eure Sache. Ihr habt also nicht gehört, daß ich Euch einen Zusatz von zwanzigtausend Livres jährlich, wenn Ihr wolltet, zusicherte.«
»Doch, Sire; aber wenn man nicht befestigt?«
»Dann kehrt Ihr ruhig, und ohne Euer Pferd zu ermüden, zurück.«
»Sire, ich bin bereit.«
»Ihr fangt morgen damit an, daß Ihr das erste Vierteljahr von dem Gehalt, den ich Euch aussetze, bei dem Herrn Oberintendanten erhebt. Kennt Ihr Herrn Fouquet?«
»Sehr wenig, Sire; doch ich bemerke Eurer Majestät, daß es nicht sehr dringend für mich ist, ihn zu kennen.«
»Ich bitte um Verzeihung, mein Herr, denn er wird des Geld verweigern, das Ihr erheben sollt.«
»Ah!« machte d’Artagnan. »Hernach, Sire?«
»Wird das Geld verweigert, so holt Ihr es bei Herrn Colbert. Doch sagt, habt Ihr ein gutes Pferd?«
»Ein vortreffliches, Sire.«
»Wie viel habt Ihr dafür bezahlt?«
»Hundert und fünfzig Pistolen.«
»Ich kaufe es Euch ab. Hier ist eine Anweisung auf zweihundert Pistolen.«
»Aber ich brauche mein Pferd, um zu reisen.«
»Nun?«
»Nun, Ihr nehmt mir das meinige.«
»Keineswegs; ich gebe es Euch im Gegentheil. Nun, da es mir gehört und nicht mehr Euch, bin ich sicher, daß Ihr es nicht schonen werdet.«
»Eure Majestät hat also große Eile?«
»Allerdings.«
»Was zwingt mich dann, zwei Tage zu warten?«
»Mir bekannte Gründe.«
»Das ist etwas Anderes. Das Pferd kann die zwei Tage an den acht einholen, die es zu machen hat; und dann gibt es die Post.«
»Nein, nein, die Post gefährdet. Herr d’Artagnan; geht, und vergeßt nicht, daß Ihr mir gehört.«
»Sire, ich habe es nie vergessen! Um welche Stunde werde ich übermorgen von Eurer Majestät Abschied nehmen?«
»Wo wohnt Ihr?«
»Ich muß fortan im Louvre wohnen.«
»Ich will das nicht, Ihr werdet Eure Wohnung in der Stadt behalten, und ich bezahle sie. Die Abreise bestimme ich auf die Nacht, weil Ihr abreisen müßt, ohne von irgend Jemand gesehen zu werden, oder, wenn man Euch sieht, ohne daß man weiß, daß Ihr mir gehört . . . Reinen Mund, mein Herr!«
»Eure Majestät verdirbt Alles, was sie gesagt hat, durch dieses einzige Wort.«
»Ich fragte Euch, wo Ihr wohnet, denn ich kann Euch nicht immer bei dem Herrn Grasen de la Fère holen lassen.«
»Ich wohne bei Herrn Planchet, Spezereihändler, mit dem Schild zum goldenen Stößel, in der Rue des Lombards.«
»Geht wenig aus, zeigt Euch noch weniger und erwartet meine Befehle.«
»Ich muß doch das Geld erheben, Sire.«
»Das ist wahr: doch um zur Oberintendanz zu gehen, wohin so viele Menschen gehen, mischt Ihr Euch unter die Menge.«
»Es fehlen mir die Anweisungen, Sire.«
»Hier sind sie.«
Der König unterzeichnete.
D’Artagnan schaute, um sich zu überzeugen, daß die Sache in Ordnung sei.
»Das ist Geld,« sagte er, »und das Geld wird gelesen oder gezählt.«
»Guten Tag, Herr d’Artagnan,« fügte der König bei; »ich denke, Ihr habt mich wohl verstanden?«
»Ich habe verstanden, daß mich Eure Majestät nach Belle-Isle schickt.«
»Um zu erfahren?«
»Um zu erfahren, wie es mit den Arbeiten von Herrn Fouquet steht, «
»Gut, ich nehme an, Ihr werdet gefangen.«
»Ich nehme es nicht an,« erwiederte kühn der Gascogner.
»Ich nehme an, Ihr werdet getödtet,« fuhr der König fort.
»Das ist nicht wahrscheinlich, Sire.«
»Im ersten Fall sprecht Ihr nicht; im zweiten spricht kein Papier von Euch.«
D’Artagnan zuckte ohne Umstände die Achseln und nahm vom König Abschied, indem er zu sich selbst sagte:
»Der Regen von England währt fort! Bleiben wir unter der Traufe.«
XII.
Während d’Artagnan, den Kopf vollgepfropft und beschwert mit Allem dem, was sich ereignet hatte, zu Planchet zurückkehrte, fiel eine Scene anderer Art vor, welche jedoch dem Gespräch, das unser Musketier mit dem König gehabt hatte, nicht fremd war; nur fand dieses Gespräch außerhalb Paris in einem Haus statt, das der Oberintendant Fouquet im Dorfe Saint-Mandé besaß.
Der Minister war in diesem Landhaus, gefolgt von seinem ersten Secretaire angekommen, der ein ungeheures Portefeuille trug, das mit Papieren gefüllt war, welche theils untersucht werden sollten, theils die Unterschrift erwarteten.
Da es fünf Uhr Abends sein mochte, so hatten die Herren zu Mittag gespeist, und man bereitete das Abendbrod für zwanzig untergeordnete Gäste. Der Oberintendant stieg ohne Aufenthalt aus dem Wagen, sprang über die Thürschwelle, durchschritt die Zimmer, erreichte sein Cabinet, erklärte, er würde sich einschließen, um zu arbeiten, und verbot, ihn aus irgend einem Grund, wenn nicht auf Befehl des Königs, zu stören.
Hiernach schloß sich Fouquet sogleich ein, und zwei Bedienten wurden als Schildwache vor seine Thüre gestellt. Dann schob Fouquet einen Riegel vor, der eine Füllung verrückte, welche den Eingang völlig versperrte und es verhinderte, daß etwas von dem, was im Cabinet vorging, gesehen oder gehört wurde. Doch gegen alle Wahrscheinlichkeit geschah es wohl, daß sich Fouquet wirklich, um zu arbeiten, so einschloß, denn er ging gerade auf seinen Schreibtisch zu, setzte sich daran, öffnete das Portefeuille und traf eine Auswahl aus der ungeheuren Masse von Papieren, die es enthielt.
Es waren noch nicht zehn Minuten vorüber, seitdem er eingetreten und alle hie genannten Vorsichtsmaßregeln getroffen hatte, als das wiederholte Geräusch mehrerer kurzer, gleichmäßiger Schläge an sein Ohr traf und seine Aufmerksamkeit zu erregen schien . . . Fouquet warf den Kopf zurück, spitzte das Ohr und horchte.
Die Schläge währten fort. Da erhob sich der Arbeiter mit einer leichten Bewegung der Ungeduld und ging gerade auf einen Spiegel zu, hinter dem von einer Hand oder durch einen unsichtbaren Mechanismus die Schläge gethan wurden.
Es war dies ein großer, in einer Füllung eingerahmter Spiegel. Drei weitere, durchaus gleiche Spiegel vervollständigten die Symmetrie des Zimmers. Nichts unterschied jenen von den andern.
Ohne allen Zweifel waren die wiederholten kurzen Schläge ein Signal, denn in dem Augenblick, wo sich Fouquet horchend dem Spiegel näherte, erneuerte sich dasselbe Geräusch, und zwar in demselben Takt.
»Hoho!« murmelte der Oberintendant erstaunt, »wer ist denn dort? Ich erwartete heute Niemand,«
Und wahrscheinlich um auf das Zeichen zu antworten, das man gemacht hatte, zog der Oberintendant an einem goldenen Nagel an eben diesem Spiegel und rüttelte ihn dreimal.
Dann kehrte er an seinen Platz zurück, setzte sich wieder nieder und rief: .
»Meiner Treue, man muß warten!«
Und er versenkte sich wieder in den vor ihm entrollten Ocean von Papieren, und schien nur noch an die Arbeit zu denken. Mit einer unglaublichen Raschheit, mit einer wunderbaren Hellsichtigkeit entzifferte Fouquet die längsten Papiere, die verwickeltsten Schriften, verbesserte, versah er sie mit Noten, und dies mit einer Feder, welche wie vom Fieber fortgerissen wurde, so daß die Arbeit unter seinen Fingern schmolz und Unterschriften, Ziffern, Verweisungen, Abfertigungen sich vervielfältigten, als ob zehn Secretaire, das heißt hundert Finger und zehn Gehirne functionirt hätten, statt der zehn Finger und des einzigen Geistes dieses Mannes.
Nur von Zeit zu Zeit hob Fouquet, in diese Arbeit versunken, den Kopf in die Höhe, um einen flüchtigen Blick auf eine Uhr zu werfen, die ihm gegenüberstand.
Fouquet gab sich nämlich seine Aufgabe; war diese Aufgabe einmal gegeben, so machte er in einer Arbeitsstunde, was ein Anderer nicht in einem Tag zu vollbringen vermochte, und so war er folglich immer gewiß, wenn er nicht gestört wurde, in der Frist, die seine verzehrende Thätigkeit festgestellt hatte, zum Ziel zu kommen. Doch mitten unter dieser glühenden Arbeit erklangen die kurzen Schläge der hinter dem Spiegel angebrachten kleinen Glocke abermals hastiger und folglich dringender.
»Ah! es scheint die Dame wird ungeduldig,« sagte Fouquet; »ruhig, ruhig . . . es muß die Gräfin sein; doch nein, die Gräfin ist auf drei Tage in Rambouillet. Die Präsidentin also! oh! die Präsidentin würde sich nicht so anspruchsvoll geberden; sie würde demüthig läuten und auf mein Belieben warten. Das Klarste bei dem Allem ist, daß ich nicht wissen kann, wer es sein mag, daß ich aber wohl weiß, wer es nicht ist.
»Und da Ihr es nicht seid, Marquise, da Ihr es nicht sein könnt, pfui über jede Andere!«
Und er setzte seine Arbeit fort, trotz der wiederholten Mahnungen des Glöckchens. Nach einer Viertelstunde steckte indessen die Ungeduld Fouquet ebenfalls an; er verbrannte mehr den Rest seiner Arbeit, als daß er ihn vollendete, schob seine Papiere wieder in das Portefeuille und warf einen Blick in seinen Spiegel, während die kurzen Schläge hastiger als je wiederholt wurden.
»Oho!« fügte er, »woher dieses Ungestüm? Was ist geschehen? Wer ist die Ariane, die mich mit solcher Ungeduld erwartet? Wir wollen sehen.«
Nun drückte er mit der Fingerspitze auf den Nagel, der parallel mit dem angebracht war, an welchem er gezogen hatte. Sogleich spielte der Spiegel wie der Flügel einer Thüre und entblößte eine ziemlich tiefe Thürverkleidung, in der der Oberintendant wie in einem weiten Kasten verschwand. Dann drückte er an einer neuen Feder, welche nicht mehr ein Brett, sondern einen Mauerblock öffnete, und er ging durch diesen Einschnitt hinaus und ließ die Thüre sich von selbst schließen.
Hernach stieg Fouquet etliche und zwanzig Stufen hinab, die sich in einer Wendung unter die Erde vertieften, und fand einen langen, unterirdischen, geplatteten und durch unmerkliche Schießscharten erhellten Gang. Die Wände dieses Ganges waren mit Matten und der Boden mit Teppichen bedeckt.
Dieser unterirdische Gang zog sich unter der Straße hin, welche das Haus von Fouquet vom Park von Vincennes trennte. Am Ende des Ganges war eine Wendeltreppe, der ähnlich, auf welcher Fouquet herabgestiegen. Er stieg diese zweite Treppe hinauf, drückte an einer Feder, welche in einer Thürverkleidung, der seines Cabinets ähnlich, angebracht war, und trat in ein durchaus leeres, aber mit der höchsten Eleganz ausgestattetes Zimmer.
Sobald er hier war, untersuchte er, ob der Spiegel sorgfältig schloß, ohne eine Spur zurückzulassen, und öffnete dann, ohne Zweifel mit dem Erfolg zufrieden, mit Hilfe eines kleinen Schlüssels von Vermeil das dreifache Gewinde der Thüre ihm gegenüber.
Diesmal that sich die Thüre nach einem kostbar meublirten Cabinet auf, worin auf Polstern eine Frau von außerordentlicher Schönheit saß, welche bei dem Geräusch der Riegel hastig auf Fouquet zustürzte.
»Ah! mein Gott!« rief dieser, vor Erstaunen zurückweichend: »Frau Marquise von Bellière, Ihr, Ihr hier?«
»Ja,« murmelte die Marquise, »ja, ich, mein Herr.«
»Marquise, theure Marquise!« rief Fouquet, im Begriff, sich vor ihr niederzuwerfen; »ah! mein Gott! aber wie seid Ihr denn hierhergekommen? Und ich, ich habe Euch warten lassen!«
»Sehr lange, mein Herr, oh! ja, sehr lange.«
»Oh! ich fühle mich sehr glücklich, daß Euch das Warten lange geschienen hat.«
»Eine Ewigkeit, mein Herr; oh! ich habe mehr als zwanzigmal geläutet; hörtet Ihr es nicht?«
»Marquise, Ihr seid bleich, Ihr seid zitternd.«
»Hörtet Ihr nicht, daß man Euch rief?«
»Oh! doch, ich hörte es wohl, Frau Marquise, aber ich konnte nicht kommen. Wie sollte ich vermuthen, Ihr wäret es, nach Eurer Strenge, nach Eurer Weigerung? Hätte ich das Glück ahnen können, das meiner harrte, glaubet mir, Marquise, ich würde Alles im Stich gelassen haben, um Euch zu Füßen zu fallen, wie ich es in diesem Augenblick thue.«
Die Marquise schaute umher und fragte:
»Sind wir auch allein, mein Herr?«
»Oh! ja, Madame, dafür stehe ich Euch.«
»In der That,« sagte die Marquise traurig.
»Ihr seufzet?«
»Wie viel Geheimnisse, Vorsichtsmaßregeln,« sprach die Marquise mit einer leichten Bitterkeit, »und wie sehr sieht man, daß Ihr bange habt, Eure Liebe ahnen zu lassen.«
»Würdet Ihr es vorziehen, daß ich sie zur Schau stellte?«
»Oh! nein, Ihr handelt wie ein zartfühlender Mann,« sagte die Marquise lächelnd.
»Stille, Marquise, keine Vorwürfe, ich bitte Euch.«
»Vorwürfe, habe ich das Recht, Euch zu machen?«
»Nein, leider nicht; doch sagt mir, Ihr, die ich seit einem Jahr ohne Hoffnung und ohne Erwiederung liebe . . . «
»Ihr täuscht Euch. Ohne Hoffnung, das ist wahr; doch ohne Erwiederung, nein.«
»Oh! für mich gibt es in der Liebe nur einen Beweis, und diesen Beweis erwarte ich noch.«
»Ich komme, um Euch denselben zu bringen, mein Herr.«
Fouquet wollte die Marquise in seine Arme schließen, doch sie entzog sich durch eine Geberde.
»Ihr werdet Euch also immer täuschen, mein Herr, und nie von mir das Einzige annehmen, was ich Euch bieten will, die Ergebenheit?«
»Ah! Ihr liebet mich also nicht; die Ergebenheit ist nur eine Tugend; die Liebe ist eine Leidenschaft.«
»Höret mich, mein Herr, ich bitte Euch; ohne einen gewichtigen Beweggrund wäre ich nicht hierher zurückgekehrt, das begreift Ihr wohl.«
»Am Beweggrund ist mir wenig gelegen, da Ihr hier seid, da ich mit Euch spreche, da ich Euch sehe.«
»Ja, Ihr habt Recht, die Hauptsache ist, daß ich hier bin, ohne daß mich Jemand gesehen hat, und daß ich mit Euch sprechen kann.«
Fouquet sank auf seine Kniee und rief:«
»Sprecht, sprecht, Marquise, ich höre.«
Die Marquise schaute zu Fouquet herab, und es lag in den Blicken dieser Frau ein seltsamer Ausdruck von Liebe und Schwermuth.
»Oh!« flüsterte sie endlich, wie möchte ich diejenige sein, welche das Recht hat, Euch jede Minute zu sehen, jede Minute mit Euch zu sprechen! Wie gern möchte ich die Frau sein, welche über Euch wacht, welche nicht geheimer Federn bedarf, um den Mann, den sie liebt, zu rufen, wie einen Sylphen erscheinen zu machen, um ihn eine Stunde anzuschauen und dann in der Finsternis; eines Geheimnisses verschwinden zu sehen, das beim Abgang noch viel seltsamer ist, als es bei seiner Ankunft war. Oh! das ist eine sehr glückliche Frau!«
»Sprecht Ihr zufällig von meiner Frau, Marquise?« fragte Fouquet lächelnd.
»Ja, sie meine ich.«
»Nun! beneidet diese nicht um ihr Loos, Marquise; denn von allen Frauen, mit denen ich in Verbindung stehe, ist Madame Fouquet diejenige, welche mich am wenigsten sieht, und welche am wenigsten Zutrauen zu mir hat.«
»Sie ist mindestens nicht darauf beschränkt, mein Herr, mit der Hand, wie ich es gethan habe, auf eine Spiegelzierrath zu drücken, um Euch kommen zu machen; Ihr antwortet ihr wenigstens nicht durch das geheimnißvolle, erschreckende Geräusch einer Glocke, deren Feder ich weiß nicht woher kommt; Ihr habt ihr wenigstens nicht unter Androhung der Strafe, auf immer das Verhältnis; mit ihr abgebrochen zu sehen, verboten, daß sie das Geheimniß dieser Verbindungswege zu ergründen suche, wie Ihr es denjenigen verbietet, welche vor mir hierhergekommen sind und nach mir hierherkommen werden.«
»Ah! theure Marquise, wie ungerecht seid Ihr, und wie wenig wißt Ihr, was Ihr thut, indem Ihr Euch über die Geheimhaltung beschweret! Nur unter dem Geheimniß kann man ungestört lieben, nur durch ungestörte Liebe kann man glücklich sein. Doch kommen wir auf uns zurück, auf die Ergebenheit, von der Ihr sprachet, oder täuschet mich vielmehr, Marquise, und lasset mich glauben, diese Ergebenheit sei Liebe.«
»Vorhin,« erwiederte die Marquise, indem sie über ihre Augen mit der nach den weichsten Conturen des Alterthums geformten Hand fuhr, »vorhin war ich im Begriff, zu sprechen, meine Gedanken waren klar, scharf; doch nun bin ich ganz verblüfft, ganz beunruhigt, ganz zitternd; ich befürchte, Euch eine schlimme Nachricht zu bringen,«
»Wenn ich dieser schlimmen Nachricht Eure Gegenwart zu verdanken habe, Marquise, so sei die schlimme Nachricht willkommen, oder vielmehr, Marquise, da Ihr hier seid, da Ihr mir zugesteht, daß ich Euch nicht ganz gleichgültig bin, lassen wir diese schlimme Nachricht beiseit und sprechen wir nur von Euch.«
»Nein, nein, verlangt dieselbe im Gegentheil von mir, fordert, daß ich sie Euch sogleich sage, daß ich mich durch kein Gefühl, abwendig machen lasse; Fouquet, mein Freund, es ist von ungeheurem Interesse.«
»Ihr setzt mich in Erstaunen, Marquise, ich möchte beinahe sagen, Ihr macht mir Angst, Ihr, so ernst, Ihr, so nachdenkend, Ihr, die Ihr die Welt, in der wir leben, so gut kennet! Es ist also von Bedeutung?«
»Oh! von großer Bedeutung.«
»Vor Allem, warum seid Ihr hierhergekommen?«
»Ihr werdet es sogleich erfahren; doch zuerst das Dringendste.«
»Sprechet, Marquise, sprechet, ich flehe Euch an, habet Mitleid mit meiner Ungeduld.«
»Ihr wisset, daß Herr Colbert zum Intendanten der Finanzen ernannt ist?«
»Bah! Colbert, der kleine Colbert?«
»Ja, Colbert, der kleine Colbert.«
»Das Factotum von Herrn von Mazarin?«
»Ganz richtig.«
»Nun! was sehet Ihr darin Erschreckendes, liebe Marquise? Der kleine Colbert Intendant, das ist zum Erstaunen, ich gebe es zu, doch es ist nicht furchtbar.«
»Glaubet Ihr, der König habe ohne gewichtige Beweggründe einen solchen Platz demjenigen gegeben, welchen Ihr einen kleinen Schulfuchs nennt?«
»Vor Allem, ist es wirklich wahr, daß ihm der König denselben gegeben hat?«
»Man sagt es.«
»Wer sagt es?«
»Die ganze Welt.«
»Die ganze Welt, das ist Niemand; führt mir Jemand an, der gut unterrichtet sein kann und es sagt.«
»Madame Vanel.«
»Ah! Ihr fangt in der That an, mich zu erschrecken,« rief Fouquet lachend; »es ist wahr, wenn Jemand gut unterrichtet sein muß, so ist es die Person, die Ihr mir nennt.«
»Sprecht nicht schlimm von der armen Marguerite, Herr Fouquet, denn sie liebt Euch immer noch.«
»Bah! wahrhaftig? Ich dachte, der kleine Colbert, wie Ihr ihn so eben nanntet, sei über diese Liebe hingegangen und habe einen Tintenfleck oder einen Fettfleck darauf geworfen.«
»Fouquet! Fouquet! so seid Ihr gegen diejenigen, welche Ihr aufgebt?«
»Ah! ah! wollt Ihr nicht etwa die Vertheidigung von Madame Vanel übernehmen?«
»Ja, ich werde sie übernehmen; denn ich wiederhole Euch, sie liebt Euch immer noch, und zum Beweis dient, daß sie Euch rettet.«
»Durch Eure Vermittelung, Marquise; das ist geschickt von ihr. Kein Engel vermöchte mir angenehmer zu sein und mich sicherer zum Ziel zu führen. Doch woher kennt Ihr Marguerite?«
»Es ist eine Freundin von mir aus dem Kloster.«
»Und Ihr sagt, sie habe Euch mitgetheilt, Herr Colbert sei zum Intendanten ernannt worden?«
»Ja.«
»Nun gebt mir Aufklärung, Marquise. Herr Colbert soll also Intendant sein. In welcher Hinsicht kann ein Intendant, nämlich mein Untergeordneter, mich in den Schatten stellen, oder mir Nachtheil bringen, und wäre es auch Herr Colbert?«
»Ihr bedenkt nicht, mein Herr, wie es scheint.«
»Was?«
»Daß Herr Colbert Euch haßt.«
»Mich!« rief Fouquet; »o mein Gott! Marquise, die ganze Welt haßt mich, er wie die Anderen.«
»Er mehr als die Anderen.«
»Es mag sein, er mehr als die Anderen.«
»Er ist ehrgeizig.«
»Wer ist es nicht, Marquise?«
»Ja; doch sein Ehrgeiz hat keine Grenzen.«
»Ich sehe es wohl, da er mein Nachfolger bei Madame Vanel zu werden versucht.«
»Und da es ihm gelungen ist; nehmt Euch in Acht.«
»Wollt Ihr etwa sagen, er trachte darnach, vom Intendanten Oberintendant zu werden?«
»Habt Ihr das nicht schon befürchtet?«
»Hoho!« rief Fouquet, »mein Nachfolger bei Madame Vanel, es mag sein; doch beim König, das ist etwas Anderes. Frankreich erkauft sich nicht so leicht, als die Frau eines Rechnungsbeamten.«
»Ei! mein Herr, Alles erkauft sich, wenn nicht um Geld, doch wenigstens durch Intrigue.«
»Ihr wißt wohl das Gegentheil, Madame, Ihr, der ich Millionen angeboten habe.«
»Statt dieser Millionen, Fouquet, hättet Ihr mir eine wahre, einzige, unbegrenzte Liebe bieten müssen, und ich würde es angenommen haben, Ihr seht wohl, daß sich Alles erkaufen läßt, wenn nicht auf die eine, doch auf die andere Weise.«
»Eurer Ansicht nach ist also Herr Colbert im Begriff, um eine Oberintendantenstelle zu feilschen. Geht, Marquise, beruhigt Euch, er ist nicht reich genug, um sie zu kaufen.«
»Aber wenn er sie Euch raubt?«
»Ah! das ist etwas Anderes. Doch leider muß er, ehe er zu mir, das heißt, zum Hauptwall kommt, die Außenwerke Bresche schießen, zerstören, und ich bin teufelmäßig gut befestigt, Marquise.«
»Und das, was Ihr Eure Außenwerke nennt, sind Eure Creaturen, nicht wahr? es sind Eure Freunde?«
»Ganz richtig.«
»Und Herr d’Emeris gehört zu Euren Creaturen?«
»Ja.«
»Herr Lyodot ist einer Eurer Freunde?«
»Gewiß.«
»Herr von Vanin?«
»Ah! Herr von Vanin, man mache mit ihm, was man will, aber . . . «
»Aber . . . «
»Aber man rühre die anderen nicht an.«
»Nun! wenn Ihr wollt, daß man die Herren d’Emeris und Lyodot nicht anrühre, so ist es Zeit, daß Ihr Euch wehrt.«
»Wer bedroht sie?«
»Wollt Ihr mich nun anhören?«
»Immer, Marquise.«
»Ohne mich zu unterbrechen?«
»Sprecht.«
»Nun! diesen Morgen hat mich Marguerite zu sich gebeten.«
»Ah!«
»Ja.«
»Und was wollte sie von Euch?«
»»Ich wage es nicht, Herrn Touquet selbst zu besuchen,«« sagte sie zu mir.
»Bah! denkt sie, ich hätte ihr Vorwürfe gemacht? Arme Frau, mein Gott! sie täuscht sich sehr.«
»»Begebt Euch zu ihm und sagt ihm, er möge sich vor Herrn von Colbert hüten.««
»Wie! sie läßt mich vor ihrem Geliebten warnen!«
»Ich sagte Euch, sie liebe Euch immer noch.«
»Hernach, Marquise?«
»»Herr von Colbert,«« fügte sie bei, »»ist vor zwei Stunden bei mir gewesen, um mir mitzutheilen, er wäre Intendant.««
»Ich habe Euch schon bemerkt, Marquise, Herr von Colbert würde nur um so besser unter meiner Hand sein.«
»Ja, aber das ist noch nicht Alles; Marguerite sieht, wie Ihr wißt, in Verbindung mit Madame d’Emeris und Madame Lyodot.«
»Ja.«
»Nun wohl! Herr von Colbert hat ernste Fragen an sie über das Vermögen dieser zwei Herren, sowie über den Grad der Ergebenheit, die dieselben für Euch hegen, gerichtet.«
»Oh! was diese Beiden betrifft, für sie stehe ich! man müßte sie tödten, damit sie nicht mehr mir gehören würden.«
»Dann, als Madame Vanel, um einen Besuch zu empfangen, genöthigt war, Herrn Colbert einen Augenblick zu verlassen, und her neue Intendant, der ein Arbeiter ist, sich allein sah, zog er einen Bleistift aus der Tasche, und da Papier auf dem Tisch lag, fing er an Bemerkungen aufzuzeichnen.«
»Bemerkungen über d’Emeris und Lyodot?«
»Ganz richtig.«
»Ich wäre begierig, zu erfahren, was diese Bemerkungen besagten.«
»Das ist es gerade, was ich Euch mittheilen will.«
»Madame Vanel hat diese Noten von Colbert genommen und überschickt sie mir?«
»Nein, aber durch einen Zufall, der einem Wunder gleicht, hat sie ein Duplicat davon.«
»Wie so?«
»Hört. Ich sagte Euch, Colbert habe Papier auf einem Tisch gefunden.«
»Ja.«
»Er habe einen Bleistift aus seiner Tasche gezogen.«
»Ja.«
»Und er habe auf dieses Papier geschrieben.«
»Ja.«
»Dieser Bleistift war von sehr hartem Blei. Er zeichnete schwarz auf dem ersten Blatt und ließ seinen Eindruck weiß auf dem zweiten zurück.«
»Hernach?«
»Als Colbert das erste Blatt zerriß, dachte er nicht an das zweite.«
»Nun?«
»Nun, auf dem zweiten konnte man lesen, was auf dem ersten geschrieben war: Madame Vanel hat gelesen und mich zu sich rufen lassen.«
»Ah!«
»Dann, als sie sich versichert hatte, ich sei eine ergebene Freundin von Euch, gab sie mir das Papier und eröffnete mir das Geheimniß dieses Hauses.«
»Und dieses Papier?« fragte Fouquet, der ein wenig unruhig zu werden schien.
»Hier ist es, mein Herr, leset,« sprach die Marquise.
Fouquet las,
»»Namen von Steuerpächtern, welche von der Justizkammer zu verurtheilen sind: d’Emeris, Freund von Herrn F.: Lyodot, Freund von Herrn F.; von Vanin, gl . . . ««
»D’Emeris! Lyodot!« rief Fouquet, währender noch einmal las.
»Freunde von Herrn F . . . .,« deutete die Marquise mit dem Finger.
»Aber was wollen die Worte besagen: »»Von der Justizkammer zu verurtheilen?««
»Ah!« rief die Marquise, »das ist klar, wie mir scheint. Uebrigens seid Ihr noch nicht zu Ende, leset, leset.«,
Fouquet fuhr fort:
»»Die zwei ersten zum Tod, der dritte zur Entlassung mit den Herren d’Hautemont und de la Valette, deren Güter nur zu confisciren sind.««
»Großer Gott!« rief Fouquet, »zum Tod, zum Tod Lyodot und d’Emeris! Aber sollte sie auch die Justizkammer zum Tod verurtheilen, so wird doch der König ihre Verurtheilung nicht unterzeichnen, und man richtet nicht hin ohne die Unterschrift des Königs.«
»Der König hat Herrn Colbert zum Intendanten gemacht.«
»Oh!« rief Fouquet, als ob er unter seinen Füßen im Helldunkel einen Abgrund erblickte, »unmöglich! unmöglich! Doch wer hat einen Bleistift über die Spuren von dem von Herrn Colbert hinlaufen lassen?«
»Ich; ich befürchtete, der erste Zug könnte verwischen.«
»Oh! ich werde Alles erfahren.«
»Ihr werdet nichts erfahren, mein Herr. Ihr schätzt hierzu Euren Feind zu gering.«
»Verzeiht, theure Marquise: entschuldigt mich; ja, Herr von Colbert ist mein Feind, ich glaube es, ja, Herr von Colbert ist ein Mann, den man zu fürchten hat, ich gestehe es zu; doch ich habe die Zeit, und da Ihr da seid, da Ihr mich Eurer Ergebenheit versichert habt, da Ihr mich gleichsam Eure Liebe erschauen ließt, da wir allein sind . . . «
»Ich bin gekommen, um Euch zu retten, Herr Fouquet, und nicht, um mich zu Grunde zu richten,« sprach die Marquise aufstehend; »nehmt Euch also in Acht . . . «
»Marquise . . . Ihr habt zu sehr bange, und wenn diese Bangigkeit nicht ein Vorwand ist . . . «
»Herr Colbert ist ein tiefes Herz; nehmt Euch in Acht . . . «
Fouquet richtete sich auf und fragte:
»Und ich?«
»Ah! Ihr, Ihr seid nur ein edles Herz, nehmt Euch in Acht . . . «
»Also . . . «
»Ich habe gethan, was ich thun mußte, auf die Gefahr, meinen Ruf zu verlieren. Lebt wohl.«
»Nicht Lebewohl, auf Wiedersehen.«
»Vielleicht.« sprach die Marquise.
Und sie reichte Fouquet die Hand zum Kuß, und ging so entschlossen aus die Thüre zu, daß er es nicht wagte, ihr den Weg zu versperren.
Fouquet aber kehrte, den Kopf gesenkt und eine Wolke auf der Stirne, nach dem unterirdischen Gang zurück, den entlang die Metalldrähte liefen, welche von einem Haus mit dem andern in Verbindung standen und nach der Rückseite der zwei Spiegel die Wünsche und Rufe der beiden Correspondenten beförderten.
XIII.
Fouquet beeilte sich, durch den unterirdischen Gang in seine Wohnung zurückzukehren und die Feder des Spiegels spielen zu lassen.
Kaum war er in seinem Cabinet, als er an die Thüre klopfen hörte; zu gleicher Zeit rief eine wohlbekannte Stimme:
»Oeffnet, Monseigneur, ich bitte, öffnet,«
Mit einer raschen Bewegung brachte Fouquet ein wenig Ordnung in. Alles, was seine Aufregung und seine Abwesenheit verrathen konnte; er zerstreute die Papiere auf dem Schreibtisch, nahm eine Feder in die Hand und fragte durch die Thüre, um noch etwas Zeit zu gewinnen:
»Wer seid Ihr?«
»Wie! Monseigneur erkennt mich nicht?« erwiederte die Stimme.
»Doch,« sagte in seinem Innern Fouquet, »doch, mein Freund, ich erkenne Dich ganz wohl.« Dann laut: »Seid Ihr nicht Gourville?«
»Ja, Monseigneur.«
Fouquet stand auf, warf einen letzten Blick in einen der Spiegel, ging auf die Thüre zu, zog den Riegel zurück, und Gourville trat ein.
»Ah! Monseigneur, Monseigneur,« sagte er, »welche Grausamkeit!«
»Warum?«
»Seit einer Viertelstunde flehe ich Euch an, die Thüre zu öffnen, und Ihr antwortet mir nicht einmal.«
»Einmal für allemal, Ihr wißt, daß ich nicht gestört sein will, wenn ich arbeite, und obgleich Ihr eine Ausnahme macht, Gourville, so soll doch mein Verbot der Anderen wegen beachtet werden.«
»Monseigneur, in diesem Augenblick hätte ich Verbote, Thüren, Riegel und Wände, Alles durchbrochen und umgestürzt.«
»Ah! ah! es handelt sich also um ein großes Ereigniß?» fragte Fouquet.
»Oh! dafür stehe ich Euch, Monseigneur.«
»Und welches Ereigniß ist dies?» fragte Fouquet, ein wenig bewegt durch die Unruhe seines innigsten Vertrauten.
»Es gibt eine geheime Justizkammer, Monseigneur.«
»Ich weiß es wohl: doch versammelt sie sich, Gourville?«
»Sie versammelt sich nicht nur, sondern sie hat einen Spruch gefällt, Monseigneur.«
»Einen Spruch!« versetzte der Oberintendant mit einem Beben und einer Blässe, die er nicht zu verbergen vermochte, »einen Spruch! und gegen wen?«
»Gegen zwei von Euren Freunden.«
»Lyodot, d’Emeris, nicht wahr?«
»Ja, Monseigneur.«
»Aber wie lautet das Urtheil?«
»Es ist ein Todesurtheil.«
»Gefällt! Oh! Ihr täuscht Euch, Gourville, das ist unmöglich.«
»Hier ist die Abschrift des Urtheils, das der König noch heute unterzeichnen soll, wenn er es nicht schon unterzeichnet hat.«
Fouquet griff gierig nach dem Papier, las es, gab es Gourville zurück und sagte:
»Der König wird nicht unterzeichnen.«
Gourville schüttelte den Kopf.
»Monseigneur, Herr Colbert ist ein kühner Rath, traut ihm nicht.«
»Abermals Herr Colbert!« rief Fouquet; »ei! warum quält dieser Name bei jeder Gelegenheit seit zwei Tagen meine Ohren? Das heißt zu viel Gewicht aus ein so geringfügiges Subject legen, Gourville. Herr Colbert erscheine, und ich werde ihn anschauen; er erhebe das Haupt, und ich werde ihn niederschmettern; doch Ihr begreift, ich brauche eine hevorragende Stelle, damit mein Blick darauf hafte, eine Oberfläche, daß ich meinen Fuß darauf stelle.«
»Geduld, Monseigneur, denn Ihr wißt nicht, was Colbert werth ist . . . Studirt ihn rasch, es ist mit diesem finsteren Finanzmann wie mit den Meteoren, die das Auge nie vollständig vor ihrem unseligen Einbruch sieht: wenn man sie fühlt, ist man todt,«
»Oh! Gourville, das ist zu viel,« erwiederte Fouquet lächelnd, »erlaubt mir, mein Freund, nicht so leicht zu erschrecken; ein Meteor, Herr Colbert! bei Gott! wir werden das Meteor wahrnehmen . . . Gebt Handlungen und nicht Worte. Was hat er gethan?«
»Er hat zwei Galgen beim Scharfrichter von Paris bestellt,« antwortete Gourville einfach. Fouquet erhob das Haupt, ein Blitz zuckte in seinen Augen, und er rief:
»Seid Ihr dessen, was Ihr sagt, sicher?«
»Hier ist der Beweis, Monseigneur,« sprach Gourville.
Und er reichte dem Oberintendanten eine von einem, Fouquet ergebenen, Secretaire des Stadthauses mitgetheilte Note.
»Ja, es ist wahr,« murmelte der Minister, »das Schaffot wird errichtet . . . doch der König hat nicht unterzeichnet, Gourville, der König wird nicht unterzeichnen.«
»Ich werde es bald erfahren.«
»Wie dies?«
»Wenn der König unterzeichnet hat, so werden die Galgen diesen Abend nach dem Stadthaus abgeschickt, damit man sie morgen früh vollends aufschlägt.«
»Nein, nein!« rief Fouquet abermals, »Ihr täuscht Euch und täuscht mich ebenfalls; vorgestern am Morgen hat mich Lyodot besucht; vor drei Tagen habe ich eine Sendung Syrakuser-Wein von dem armen d’Emeris erhalten.«
»Was beweist das?« entgegnete Gourville, »wenn nicht, daß sich die Justizkammer insgeheim versammelt, in Abwesenheit der Angeschuldigten berathen hat, und daß der ganze Prozeß beendigt war, als man sie verhaftete.«
»Sie sind also verhaftet?«
»Allerdings.«
»Aber wo, wann, warum hat man sie verhaftet?«
»Lyodot gestern bei Tagesanbruch; d’Emeris vorgestern am Abend, als er von seiner Geliebten zurückkehrte; ihr Verschwinden hatte Niemand beunruhigt; doch plötzlich nahm Colbert die Maske ab und ließ die Sache bekannt machen; man trompetet es in diesem Augenblick in den Straßen von Paris aus, und in der That, Monseigneur, außer Euch gibt es Niemand mehr, der das Ereigniß nicht kennt.«
Fouquet ging mit einer immer schmerzlicheren Unruhe im Zimmer auf und ab.
»Wozu entschließt Ihr Euch, Monseigneur?» fragte Gourville.
»Wenn dem so wäre, ginge ich zum König,« rief Fouquet; »doch wenn ich mich in den Louvre begebe, will ich den Weg am Stadthaus vorüber nehmen. Ist der Spruch unterzeichnet, so werden wir sehen.«
Gourville zuckte die Achseln.
»Ungläubigkeit!« sagte er, »du bist die Pest aller großen Geister.«
»Gourville!«
»Ja,« fuhr dieser fort, »und du richtest sie zu Grunde, wie die Ansteckung die kräftigsten Gesundheiten tödtet, nämlich in einem Augenblick.«
»Laßt uns aufbrechen,« rief Fouquet; »öffnet, Gourville.«
»Merkt wohl,« entgegnete dieser, »der Herr Abbé Fouquet ist da.«
»Ah! mein Bruder,« sprach Fouquet mit ärgerlichem Ton, »er ist da; er weiß also irgend eine schlimme Nachricht, die er mir zu überbringen, seiner Gewohnheit gemäß, sich ungemein freut! Teufel! wenn mein Bruder da ist, stehen meine Angelegenheiten schlecht, Gourville; warum sagtet Ihr mir das nicht früher? ich hätte mich leichter überzeugen lassen.«
»Monseigneur verleumdet ihn,« sagte Gourville lachend: »wenn er kommt, kommt er nicht in einer schlimmen Absicht.«
»Ah! nun entschuldigt Ihr ihn,« rief Fouquet; »ein Bursche ohne Herz, ohne zusammenhängende Gedanken, ein Verschwender!«
»Er weiß, daß Ihr reich seid.«
»Und trachtet nach meinem Untergang.«
»Nein, aber er trachtet nach Eurer Börse.«
»Genug, genug! Hunderttausend Thaler monatlich zwei Jahre lang! Beim Teufel! ich bin es, der bezahlt, Gourville, und ich kenne meine Summen.«
Gourville lachte auf eine stille, seine Weise.
»Ja, Ihr wollt sagen, der König bezahle,« entgegnete der Oberintendant; »ah! Gourville, das ist ein schlechter Scherz, und es ist hier nicht der Ort dazu.«
»Monseigneur, ärgert Euch nicht.«
»Vorwärts! man schicke den Abbé Fouquet weg, denn ich habe keinen Sou.«
Gourville machte einen Schritt gegen die Thüre.
»Er hat mich einen Monat nicht gesehen,« fuhr Fouquet fort: »warum sollten nicht zwei Monate vergehen, ohne daß er mich sieht?«
»Er bedauert es, daß er in schlechter Gesellschaft lebt, und zieht Euch allen seinen Banditen vor,« sagte Gourville.
»Ich danke für den Vorzug; Ihr macht heute einen seltsamen Advokaten, Gourville . . . den Advokaten des Abbé Fouquet.«
»Ei! jede Sache und jeder Mensch hat eine gute Seite, eine nützliche Seite, Monseigneur.«
»Die Banditen, die der Abbé besoldet und betrunken macht, haben ihre gute Seite? Beweist mir das.«
»Wenn die Umstände eintreten, Monseigneur, werdet Ihr Euch glücklich fühlen, diese Banditen bei der Hand zu haben.«
»Du räthst mir also, mich mit dem Herrn Abbé Fouquet zu versöhnen?« fragte Fouquet spöttisch.
»Ich rathe Euch, Monseigneur, Euch nicht mit hundert bis hundert und zwanzig Galgenstricken zu entzweien, welche, die Spitzen ihrer Raufdegen an einander haltend, einen stählernen Cordon bilden würden, der im Stande wäre, dreitausend Mann einzuschließen.«
Fouquet warf einen tiefen Blick auf Gourville, ging an ihm vorüber und sagte zu dem Bedienten:
»Man führe den Herrn Abbé Fouquet ein.«
Dann sprach er zu Gourville:
»Es ist gut, Ihr habt Recht, Gourville.«
Zwei Minuten nachher erschien der Abbé mit großen Verbeugungen auf der Thürschwelle.
Er war ein Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, halb Geistlicher, halb Soldat, ein Raufer auf einen Abbé gepfropft; man sah, daß er keinen Degen an der Seite hatte, aber man fühlte, daß er Pistolen bei sich trug.
Fouquet grüßte ihn, weniger als älterer Bruder, denn als Minister, und sprach:
»Was steht zu Euren Diensten, Herr Abbé?«
»Hoho! wie Ihr mir das sagt, mein Bruder!«
»Ich sage Euch das wie ein Mann, der Eile hat, mein Herr.«
Der Abbé schaute Gourville boshaft, Fouquet ängstlich an, und sprach:
»Ich habe heute Abend Herrn von Bregi dreihundert Pistolen zu bezahlen . . . eine Spielschuld, eine heilige Schuld.«
»Weiter!» sagte Fouquet muthig, denn er wußte, der Abbé Fouquet würde ihn nicht wegen einer solchen Erbärmlichkeit belästigen.
»Tausend meinem Fleischer, der nicht mehr liefern will.«
»Zwölfhundert dem Schneider,« fuhr der Abbé fort: »der Bursche hat mir sieben Anzüge von meinen Leuten wegnehmen lassen, weshalb meine Livreen gefährdet sind und meine Geliebte davon spricht, sie werde meinen Platz durch einen Steuerpächter ersetzen, was demüthigend für die Kirche wäre.«
»Was gibt es weiter?« fragte Fouquet.
»Ihr bemerkt wohl, mein Herr, daß ich nichts für mich verlangt habe,« sprach der Abbé demüthig.
»Das ist äußerst zart, mein Herr,« erwiederte Fouquet; »Ihr seht auch, daß ich warte.«
»Und ich verlange auch nichts, oh! nein . . . Doch nicht, als ob ich keinen Mangel hätte, dafür stehe ich Euch . . . «
Der Minister dachte einen Augenblick nach und erwiederte dann:
»Zwölfhundert Pistolen dem Schneider . . . dafür bekommt man, wie mir scheint, viele Kleider.«
»Ich unterhalte hundert Leute!« rief stolz der Abbé; »das ist, glaube ich, eine Last.«
»Warum hundert Leute? Seid Ihr ein Richelieu oder ein Mazarin, um hundert Leute zu Eurer Bewachung zu haben? Wozu dienen Euch diese hundert Leute, sprecht, sprecht?«
»Ihr fragt mich das?» rief der Abbé Fouquet; »ah! wie könnt Ihr an mich die Frage richten, warum ich hundert Leute unterhalte? Ah!«
»Ja, ich stelle diese Frage an Euch: was macht Ihr mit hundert Leuten, antwortet?«
»Undankbarer!« fuhr der Abbé, sich immer mehr erhitzend, fort.
»Erklärt Euch.«
»Herr Oberintendant, ich brauche nur einen Kammerdiener, und wenn ich allein wäre, würde ich mich vollends selbst bedienen, doch Ihr, der Ihr so viel Feinde habt . . . Hundert Mann genügen mir nicht, Euch zu vertheidigen. Hundert Mann! . . . ich müßte zehntausend haben! Ich unterhalte also dies Alles, damit an den öffentlichen Orten, in den Versammlungen Keiner die Stimme gegen Euch erhebt: und ohne dieses, mein Herr, würdet Ihr mit Verwünschungen belastet, auf das Abscheulichste verlästert, würdet Ihr nicht acht Tage währen, nein, nicht acht Tage, hört Ihr wohl!«
»Ah! ich wußte nicht, daß Ihr ein solcher Vertheidiger für mich seid, Herr Abbé.«
»Zweifelt Ihr daran?« rief der Abbé. »Hört also, was geschehen ist. Gestern erst handelte ein Mensch in der Rue de la Huchette um ein Huhn.«
»Nun? in welcher Hinsicht schadete das mir, Abbé?«
»Hört. Das Huhn war nicht fett. Der Käufer weigerte sich, achtzehn Sous dafür zu geben, und sagte, er könne nicht achtzehn Sous für die Haut eines Huhns bezahlen, von dem Herr Fouquet alles Fett genommen habe.«
»Hernach?«
»Dieses Wort machte lachen,« fuhr der Abbé fort, »auf Eure Kosten lachen, Tod und Teufel! Und die Canaille häufte sich an. Der Lacher fügte bei: »»Gebt mir ein von Herrn Colbert gefüttertes Huhn, das lasse ich mir gefallen, ich bezahle Euch dafür, was Ihr wollt.« Von allen Seiten klatschte man in die Hände. Ihr begreift, ein Aergerniß, das einen Bruder nöthigt, sein Gesicht zu verbergen.«
Fouquet erröthete.
»Und Ihr verbargt es?« sagte der Oberintendant.
»Nein,« fuhr der Abbé fort, »ich hatte gerade einen von meinen Leuten in der Menge, einen neuen Rekruten, der von der Provinz kommt, einen Herrn Menneville, den ich besonders liebe. Er durchschnitt die Menge und sagte zu dem Lacher.«
»Tausend Gewitter! schlechter Herr Spaßmacher, es gilt einen Stich dem Colbert.«
»Gut, ich halte einen dem Fouquet!« erwiederte der Lacher. Wonach sie vor der Bude des Garkochs vom Leder zogen, mit einem Kreis von Neugierigen um sich und mit fünfhundert Zuschauern an den Fenstern.«
»Nun?« fragte Fouquet.
»Nun, mein Herr, Menneville spießte den Lacher zum großen Erstaunen der Umstehenden und sagte zu dem Garkoch: »»Nehmt diesen Truthahn, mein Freund, er ist fetter als Euer Huhn.««
»Hierfür, mein Herr,« endigte der Abbé triumphirend, »hierfür verwende ich meine Einkünfte; ich stütze die Ehre der Familie, mein Herr.«
Fouquet schaute zu Boden.
»Und so habe ich hundert Leute,« fuhr der Abbé fort.
»Gut,« sprach Fouquet, »gebt Eure Rechnung Gourville und bleibt heute Abend hier bei mir.«
»Man speist zu Nacht?«
»Man speist zu Nacht.«
»Aber die Kasse ist geschlossen?«
»Gourville wird sie Euch öffnen. Geht, Herr Abbé, geht.«
Der Abbé machte eine Verbeugung und fragte noch:
»Wir sind also nun Freunde?«
»Ja, Freunde. Kommt, Gourville.«
»Ihr entfernt Euch? Ihr speist also nicht zu Nacht?«
»Seid unbesorgt, ich werde in einer Stunde hier sein, Abbé.«
Dann ganz leise zu Gourville:
»Man spanne meine englischen Pferde an und fahre am Stadthaus in Paris vorbei.«
XIV.
Die Wagen brachten schon die Gäste von Fouquet nach Saint-Mandé, schon erwärmte sich das ganze Haus von den Zurichtungen zum Abendbrod, als der Oberintendant auf der Straße nach Paris mit seinen raschen Rossen hineilte und, über die Quais fahrend, um weniger Menschen auf dem Wege zu finden, das Stadthaus erreichte. Es war drei Viertel auf acht Uhr. Fouquet stieg an der Ecke der Rue du Long-Pont aus und wandte sich zu Fuß mit Gourville nach der Grève.
An der Wendung des Platzes erblickten sie einen schwarz und veilchenblau gekleideten Mann von gutem Aussehen, der allein in einen Miethwagen zu steigen sich anschickte und den Kutscher nach Vincennes fahren hieß. Er hatte vor sich einen großen Korb voll von Flaschen, die er in der Schenke zum Bild Unserer Lieben Frau gekauft.
»Ei! das ist Vatel, mein Haushofmeister, » sagte Fouquet zu Gourville.
»Ja, Monseigneur,« erwiederte dieser.
»Was hat er im Bilde Unserer lieben Frau gemacht?«
»Ohne Zweifel Wein gekauft.«
»Wie? man kauft Wein für mich in einer Schenkel« rief Fouquet. »Mein Keller ist also so elend bestellt!«
Und er ging auf den Haushofmeister zu, der seinen Wein mit ängstlicher Sorgfalt im Wagen ordnete.
»Hollah! Vatel,« sagte er mit gebieterischer Stimme.
»Nehmt Euch in Acht, Monseigneur,« sprach Gourville, »man wird Euch erkennen.«
»Gut! . . . was ist mir daran gelegen? Vatel!«
Der schwarz und veilchenblau gekleidete Mann wandte sich um.
Es war ein gutes und sanftes Gesicht, ohne Ausdruck, das Gesicht eines Mathematikers, abgesehen vom Stolz. Ein gewisses Feuer glänzte in den Augen dieses Mannes, ein ziemlich seines Lächeln schwebte auf seinen Lippen, doch der Beobachter hätte bald bemerkt, daß dieses Lächeln auf nichts anwendbar war, daß dieses Feuer nichts erleuchtete.
Vatel lachte wie ein Zerstreuter, oder beschäftigte sich wie ein Kind.
Beim Ton der Stimme, die ihn rief, wandte er sich um.
»Ah!« sagte er, »Monseigneur.«
»Ja, ich. Was Teufels macht Ihr da, Vatel? . . . Wein; Ihr kauft Wein in einer Schenke der Grève; wenn es noch im
»Aber, Monseigneur,« sprach Vatel ruhig, nachdem er Gourville einen feindseligen Blick zugeworfen hatte, »in was mischt man sich hier? . . . Ist mein Keller schlecht versehen? . . . «
»Nein, gewiß nicht, Vatel, nein; aber . . . «
»Was! aber. . entgegnete Vatel.
Gourville berührte den Ellenbogen des Oberintendanten.
»Aergert Euch nicht, Vatel, ich glaubte, mein Keller, Euer Keller, wäre gut genug versehen, daß man, sich der Mühe, seine Zuflucht zu dem Bild Unserer Lieben Frau zu nehmen, überheben könnte.«
»Ei! mein Herr,« sagte Vatel, der mit einer gewissen Geringschätzung von Monseigneur zum Herrn herabfiel, »Euer Keller ist so gut bestellt, daß gewisse Gäste von Euch, wenn sie bei Euch zu Mittag speisen, nicht trinken.«
Fouquet schaute erstaunt Gourville und dann Vatel an.
»Was sagt Ihr da?«
»Ich sage, Euer Kellermeister habe nicht Weine für jeden Geschmack, und die Herren von la Fontaine, Pelisson und Conrart trinken nicht, wenn sie zu Euch kommen. Was wollt Ihr, diese Herren lieben den starken Wein nicht.«
»Nun, und dann?«
»Dann habe ich hier einen Joigny – Wein, den sie lieben. Ich weiß, daß sie einmal in der Woche, um davon zu trinken, in das Bild Unserer Lieben Frau kommen, und deshalb kaufe ich hier ein.«
Fouquet hatte nichts mehr zu sagen . . . er war beinahe bewegt.
Vatel hatte ohne Zweifel noch viel zu sagen, und man sah wohl, daß er sich erhitzte.
»Das ist gerade, wie wenn Ihr es mir zum Vorwurf machen würdet, Monseigneur, daß ich selbst in der Rue Planche-Mibray den Apfelmost hole, den Herr Loret trinkt, wenn er in Euer Haus kommt.«
»Loret trinkt Apfelmost bei mir!« rief Fouquet lachend.
»Ja, Herr, und darum speist er mit Vergnügen bei Euch.«
»Vatel!« rief Fouquet, indem er seinem Haushofmeister die Hand drückte, »Ihr seid ein Mann! Ich danke Euch, Vatel, daß Ihr begriffen habt, bei mir seien die Herren von la Fontaine, Conrart und Loret ebenso viel als Herzoge und Pairs, ebenso viel als Prinzen, mehr als ich. Vatel, Ihr seid ein guter Diener, und ich verdopple Euren Gehalt.«
Vatel dankte nicht einmal; er zuckte die Achseln und murmelte das erhabene Wort:
»Einen Dank dafür erhalten, daß man seine Pflicht gethan hat, ist demüthigend.«
»Er hat Recht,« sagte Gourville und lenkte die Aufmerksamkeit von Fouquet mit einer einzigen Geberde auf einen andern Punkt.
Er zeigte ihm in der That einen Wagen von niedriger Form, gezogen von zwei Pferden, worauf zwei ganz mit Eisen beschlagene und durch Ketten aneinander gebundene Galgen lagen, während ein Bogenschütze, der auf der Dicke des Balkens saß, wohl oder übel, mit etwas gedemüthigter Miene die Commentare eines Hunderts von Vagabunden aushielt, welche die Bestimmung dieser Galgen witterten und dieselben bis zum Stadthaus geleiteten.
Fouquet bebte.
»Seht Ihr, es ist entschieden,« sagte Gourville.
»Aber es ist noch nicht geschehen,« erwiederte Fouquet.
»Oh! täuscht Euch nicht, Monseigneur, wenn man so Eure Freundschaft, Euer Mißtrauen eingeschläfert hat, wenn die Dinge so stehen, könnt Ihr nichts mehr ändern.«
»Aber ich habe nicht ratificirt.«
»Herr von Lyonne wird es an Eurer Stelle gethan haben.«
»Ich gehe in den Louvre.«
»Ihr werdet nicht dahin gehen.«
»Ihr rathet mir diese Feigheit,« rief Fouquet, »Ihr rathet mir, meine Freunde im Stich zu lassen, Ihr rathet mir, während ich kämpfen kann, die Waffen, die ich in der Hand habe, von mir zu werfen?«
»Ich rathe Euch nichts von dem Allem, Monseigneur; könnt Ihr die Oberintendanz in diesem Augenblick aufgeben?«
»Nein.«
»Nun, wenn aber der König Andere an Eure Stelle setzen wollte?«
»Er wird dies von der Ferne wie von Nahem thun.«
»Ja, aber Ihr werdet ihn nie verletzt haben.«
»Ja, doch ich werde feig gewesen sein; ich will aber nicht, daß meine Freunde sterben, und sie werden nicht sterben.«
»Dazu ist es nöthig, daß Ihr in den Louvre geht.«
»Gourville!«
»Nehmt Euch in Acht . . . Seid Ihr einmal im Louvre, so werdet Ihr genöthigt sein, entweder laut Eure Freunde zu vertheidigen, das heißt ein Glaubensbekenntniß abzulegen, oder sie unwiederbringlich aufzugeben.«
»Nie.«
»Verzeiht mir . . . der König wird Euch nothwendig diese Alternative vorschlagen, oder Ihr werdet sie ihm selbst vorschlagen.«
»Das ist richtig.«
»Darum ist jeder Conflict zu vermeiden . . . Kehren wir nach Saint-Mandé zurück, Monseigneur.«
»Gourville, ich werde mich nicht von diesem Platz rühren, wo das Verbrechen, wo meine Schande in Erfüllung gehen sollen; ich werde mich nicht rühren, sage ich, ehe ich ein Mittel, meine Feinde zu bekämpfen, gesunden habe.«
»Monseigneur,« sprach Gourville, »Ihr würdet mein Mitleid erregen, wenn ich nicht wüßte, daß Ihr einer der guten Geister dieser Welt seid. Ihr besitzt hundert und fünfzig Millionen, Ihr seid ebenso viel als der König durch die Stellung, fünfzigmal mehr durch das Geld. Herr Colbert hat nicht einmal den Geist gehabt, das Testament von Mazarin annehmen zu machen. Wenn man der Reichste eines Königreichs ist, und man gibt sich die Mühe, Geld zu verbrauchen, ist man, wenn man nicht das thut, was man will, ein armseliger Mensch. Ich sage Euch, kehren wir nach Saint-Mandé zurück.«
»Um Pelisson um Rath zu fragen, ja.«
»Nein, Monseigneur, um Euer Geld zu zählen.«
»Auf!« sagte Fouquet, die Augen entflammt; »ja! ja! nach Saint-Mandé!«
Er flieg in seinen Wagen, und Gourville mit ihm. Auf der Straße, am Ende des Faubourg Saint-Antoine, trafen sie das kleine Gefährt von Vatel, der ruhig seinen Joigny-Wein führte.
In vollem Laufe vorüberjagend, erschreckten die Rappen das scheue Pferd des Haushofmeisters, und dieser streckte ganz bestürzt den Kopf auf dem Schlag und rief:
»Habt Acht! habt Acht! meine Flaschen!«
XV.
Fünfzig Personen warteten auf den Oberintendanten. Er nahm sich nicht einmal Zeit, sich einen Augenblick seinem Kammerdiener anzuvertrauen, und ging unmittelbar von der Freitreppe in den ersten Salon. Hier waren seine Freunde versammelt und plauderten. Der Haushofmeister schickte sich an, das Abendbrod auftragen zulassen; vor Allen aber lauerte der Abbé Fouquet auf die Rückkehr seines Bruders und war bemüht, in seiner Abwesenheit die Honneurs des Hauses zu machen.
Bei der Ankunft des Oberintendanten entstand ein Gemurmel der Freude und der Zärtlichkeit: voll Freundlichkeit, guter Laune und Freigebigkeit, wurde Fouquet geliebt von seinen Künstlern, von seinen Dichtern, von seinen Geschäftsleuten. Seine Stirne, auf der sein kleiner Hof, wie auf der eines Gottes, alle Bewegungen seiner Seele las, um sich daraus Regeln für sein Benehmen zu machen, seine Stirne, welche die Angelegenheiten nie runzelten, war an diesem Abend bleicher als gewöhnlich, und mehr als ein Auge bemerkte diese Blässe. Fouquet setzte sich an den Mittelpunkt der Tafel und präsidirte heiter beim Abendbrod. Er erzählte la Fontaine die Expedition von Vatel; er erzählte Pelisson die Geschichte von Menneville und dem mageren Huhn, so daß es der ganze Tisch hörte, und es entstand ein Sturm von Gelächter und Spöttereien, der erst auf eine ernste, traurige Geberde von Pelisson endigte.
Der Abbé Fouquet, der nicht wußte, aus welchem Grunde sein Bruder das Gespräch auf diesen Gegenstand gebracht hatte, hörte mit allen seinen Ohren und suchte auf dem Gesicht von Gourville oder auf dem des Oberintendanten eine Erklärung, die Ihm nichts gab.
Pelisson nahm das Wort und sagte:
»Man spricht also von Herrn Colbert?«
»Warum nicht,« erwiederte Herr Fouquet, »warum nicht, wenn es wahr ist, daß ihn der König zu seinem Intendanten gemacht hat?«
Kaum hatte Fouquet dieses Wort mit klar hervortretender Absicht ausgesprochen, als man eine allgemeine Explosion unter den Gästen vernahm.«
»Ein Heuchler!« sagte der Eine.
»Ein Schlucker!« sagte der Andere.
»Ein Geizhals!« sagte der Dritte.
Pelisson wechselte einen bedeutungsvollen Blick mit Fouquet und sprach sodann:
»Meine Herren, wir mißhandeln da wahrhaftig einen Mann, den Keiner von uns kennt. Das ist weder menschenfreundlich, noch vernünftig, und dieser Ansicht, ich bin es fest überzeugt, ist auch der Herr Oberintendant.«
»Vollkommen,« sagte Fouquet. »Lassen wir die fetten Hühner von Herrn Colbert, hier ist heute nur die Rede von den getrüffelten Fasanen von Herrn Vatel.«
Diese Worte hielten die düstere Wolke auf, welche in raschem Lause über den Gästen heranrückte.
Gourville belebte so gut die Dichter mit dem Joigny-Wein, der Abbé, verständig wie ein Mensch, der der Thaler Anderer bedarf, belebte so gut die Finanzmänner und die Kriegsleute, daß in den Nebeln dieser Freude und im Lärmen des Gespräches der Gegenstand der Unruhe völlig verschwand.
Das Testament des Cardinals war der Text der Unterhaltung beim zweiten Gang und beim Nachtisch; dann befahl Fouquet die Schalen mit Zuckerwerk und die Fontainen mit Liqueurs in die an den Salon anstoßende Gallerie zu bringen. Er begab sich dahin an seiner Hand eine Frau, Königin an diesem Abend durch seine Bevorzugung, führend.
Dann speisten die Musikanten zu Nacht, und es begannen die Spaziergänge in der Gallerie unter einem milden Frühlingshimmel, in einer von Wohlgerüchen geschwängerten Luft.
Pelisson kam auf den Oberintendanten zu und fragte ihn:
»Monseigneur hat einen Kummer?«
»Einen großen,« antwortete der Minister; »laßt Euch das von Gourville erzählen.«
Pelisson erblickte, als er sich umwandte, la Fontaine, der ihm auf beide Füße trat. Er mußte einen lateinischen Vers anhören, den der Dichter auf Vatel gemacht hatte.
La Fontaine scandirte diesen Vers seit einer Stunde in allen Ecken und suchte eine vortheilhafte Unterkunft für denselben.
Er glaubte Pelisson zu halten, aber dieser entschlüpfte ihm.
Er wandte sich an Soret, der ein Quatrain zu Ehren des Abendbrods und des Wirthes gemacht hatte.
La Fontaine wollte vergebens seinen Vers anbringen; Soret bemühte sich vergebens für sein Quatrain.
Er war genöthigt, vor dem Herrn Grafen von Chenost zurückzuweichen, dessen Arm Fouquet genommen.
Der Abbé Fouquet fühlte, zerstreut wie immer, würde der Dichter den zwei Sprechenden folgen, und trat dazwischen.
La Fontaine klammerte sich sogleich an ihn an und recitirte seinen Vers.
Der Abbé, der das Lateinische nicht verstand, wiegte den Kopf im Takt bei jeder Bewegung, die la Fontaine seinem Körper, nach den Wogungen der Daktylen und Spondäen, gab.
Während dieser Zeit erzählte hinter den Bassins mit Zuckerwerk Fouquet, was vorgefallen, Herrn von Chenost, seinem Schwiegersohn.
»Indeß wir hier sprechen, muß man die Unnützen zum Feuerwerk schicken,« sagte Pelisson zu Gourville.
»Gut, » erwiederte Gourville. Und er flüsterte Vatel vier Worte zu.
Dann sah man den Letzteren nach dem Garten die Mehrzahl der Stutzer, der Damen und der Schwatzer führen, wo ein kostbares Feuerwerk für die Liebhaber abgebrannt wurde, während die meisten Männer in der von dreihundert Wachskerzen erleuchteten Gallerie auf und abgingen.
Gourville näherte sich Fouquet und sagte:
»Monseigneur, wir sind alle hier.«
»Alle?« versetzte Fouquet.
»Ja, zählt.«
Der Oberintendant wandte sich um und zählte. Es waren acht Personen.
Pelisson und Gourville gingen sich am Arme haltend umher, als ob sie über unbestimmte, leichte Dinge plauderten.
Soret und zwei Officiere ahmten sie in verkehrter Richtung nach.
Der Abbé Fouquet war allein.
Fouquet ging mit Herrn von Chenost, als wäre er ganz von dem Gespräch seines Schwiegersohnes in Anspruch genommen.
»Meine Herren,« sagte er, »Niemand erhebe den Kopf im Gehen, Niemand darf den Anschein haben, als schenkte er mir Aufmerksamkeit; geht weiter, wir sind allein, hört auf mich.«
Es trat ein tiefes Stillschweigen ein, nur gestört durch die entfernten Ausrufungen der freudigen Gäste, welche in den Gebüschen Platz nahmen, um die Raketen besser zu sehen.«
Sie boten ein seltsames Schauspiel, diese Männer, die in Gruppen, und als wäre Jeder mit Etwas besonders beschäftigt, auf- und abgingen, während sie nur auf das Wort eines Einzigen von ihnen aufmerksam waren, der selbst nur mit einem Nachbar zu sprechen schien.
»Meine Herren,« sagte Fouquet, »Ihr habt ohne Zweifel bemerkt, daß diesen Abend zwei von unseren Freunden in der Mittwochsversammlung fehlen . . . Um Gottes willen! Abbé, bleibt nicht.stehen, das ist nicht nöthig, um zu hören; ich bitte, geht mit Eurer natürlichsten Miene, oder, da Ihr das schärfste Gesicht habt, stellt Euch an das offene Fenster und benachrichtigt uns, wenn Jemand gegen die Gallerie kommt, durch Husten.«
Der Abbé gehorchte.
»Ich habe die Abwesenden nicht bemerkt,« sagte Pelisson, der in diesem Augenblick Fouquet den Rücken zuwandte und in verkehrter Richtung ging.
»Ich,« sagte Soret, »ich sehe Herrn Lyodot nicht, der mir meine Pension gibt.«
»Und ich,« sagte der Abbé vom Fenster aus, »ich sehe meinen lieben d’Emeris nicht, der mir elfhundert Livres von unserem letzten Brelan schuldig ist.«
»Soret,« fuhr Fouquet fort, der düster und gebückt auf und abschritt, »Ihr werdet die Pension von Lyodot nicht mehr beziehen, und Ihr, Abbé, bekommt nie Eure elfhundert Livres von d’Emeris, denn Beide müssen sterben.«
»Sterben!« rief die Versammlung, unwillkührlich in ihrem Scheinspiel durch dieses furchtbare Wort aufgehalten.
»Beruhigt Euch, meine Herren,« sagte Fouquet, »denn man beobachtet uns vielleicht. Ich habe gesagt: Sterben!«
»Sterben!« wiederholte Pelisson, »diese Männer, die ich vor nicht sechs Tagen voll Gesundheit, Heiterkeit und Zukunft gesehen habe. Guter Gott! was ist der Mensch, daß ihn eine Krankheit mit einem Schlage niederwirft!«
»Es ist keine Krankheit,« entgegnete Fouquet.
»Also gibt es ein Mittel?« sagte Soret.
»Kein Mittel, die Herren Lyodot und d’Emeris stehen am Vorabend ihres letzten Tages.«
»Warum sterben denn diese Herren?« rief ein Officier.
»Fragt denjenigen, welcher sie tödtet,« antwortete Fouquet.
»Wer tödtet sie? Man tödtet sie?« rief der Chor erschrocken.
»Man thut noch etwas Besseres, man henkt sie!« murmelte Fouquet mit einer düsteren Stimme, welche wie ein Sterbegeläute in dieser reichen, ganz von Gemälden, Blumen, Sammet und Gold schimmernden Gallerie klang.«
Unwillkührlich blieb Jeder stehen; der Abbé verließ sein Fenster; die ersten Raketen des Feuerwerks fingen an über die Gipfel der Bäume emporzusteigen.
Ein langer Schrei im Garten forderte den Oberintendanten auf, den Anblick zu genießen.
Er näherte sich dem Fenster und hinter ihn stellten sich seine auf jedes seiner Worte aufmerksamen Freunde.
»Meine Herren,« sagte er, »auf Veranlassung von Herrn Colbert sind zwei von meinen Freunden verhaftet, verurtheilt worden, und er wird sie auch hinrichten lassen: Was geziemt sich für mich, zu thun?«
»Gottes Tod!« sagte der Abbé zuerst, »Ihr müßt Herrn Colbert ausweiden lassen!«
»Monseigneur,« sagte Pelisson, »Ihr müßt mit Seiner Majestät sprechen.«
»Der König, mein lieber Pelisson, hat das Todesurtheil unterschrieben.«
»Nun wohl! sagte der Graf von Chenost, »die Hinrichtung darf nicht stattfinden.«
»Unmöglich, wenn man nicht die Gefangenwärter besticht,« entgegnete Pelisson.
»Oder den Gouverneur,« bemerkte Fouquet.
»Man kann die Gefangenen in dieser Nacht entweichen lassen.«
»Wer von Euch übernimmt die Unterhandlung?«
»Ich besorge das Geld,« sprach der Abbé.
»Ich besorge die Unterhandlung,« sagte Pelisson.
»Die Unterhandlung und das Geld,« sprach Fouquet, »fünfmal hundert tausend Livres dem Gouverneur der Conciergerie ist genug; man gibt jedoch eine Million, wenn es sein muß.«
»Eine Million!« rief der Abbé, »für halb so viel stecke ich die Hälfte von Paris in den Sack.«
»Keine Unordnung.« sagte Pelisson; »ist der Gouverneur gewonnen, so entweichen die zwei Gefangenen! sind sie vom Processe frei, so wiegeln sie die Feinde von Colbert auf und beweisen dem König, daß seine junge Justiz nicht unfehlbar ist, wie alle Uebertreibungen.«
»Geht also nach Paris, Pelisson, und bringt die zwei Opfer zurück,« sprach Fouquet; »morgen werden wir sehen!«
»Gourville, gebt Pelisson die fünfmal hundert tausend Livres.«
»Nehmt Euch in Acht, daß Euch der Wind nicht fortträgt,« rief der Abbé, »Teufel, welche Verantwortlichkeit! Laßt mich Euch ein wenig helfen.«
»Stille!« flüsterte Fouquet, »man naht, ah! das Feuerwerk ist in der That zauberhaft!«
In diesem Augenblick fiel ein Funkenregen rieselnd in die Zweige des naher, Gehölzes.
Pelisson und Gourville entfernten sich mit einander durch die Thüre der Gallerie; Fouquet ging mit den fünf letzten Verschworenen in den Garten hinab.
XVI.
Da Fouquet wirklich oder dem Anschein nach seine ganze Aufmerksamkeit der glänzenden Beleuchtung, der schmachtenden Musik der Violinen und der Hautbois, den funkelnden Garben des Feuerwerks schenkte, welche, den Himmel mit rothgelben Reflexen überströmend, hinter den Bäumen die düstere Silhouette des Schloßthurmes von Vincennes hervorhoben, da, sagen wir, der Oberintendant den Damen und den Dichtern zulächelte, so war das Fest nicht minder heiter, als gewöhnlich, und Vatel, dessen unruhiger, sogar eifersüchtiger Blick dringlich den Blick von Fouquet befragte, zeigte sich nicht unzufrieden mit der Aufnahme, die der Anordnung des Abends zu Theil wurde.
Als das Feuerwerk abgebrannt war, zerstreute sich die Gesellschaft in den Gärten und unter den Säulenlauben mit jener behaglichen Freiheit, welche so viel Bergessen der Größe, so viel gastfreundliche Artigkeit, so viel großartige Sorglosigkeit auf Seiten des Hausherrn offenbart.
Die Dichter verirrten sich Arm in Arm in den Gebüschen; einige streckten sich auf Mooslagern aus, zum großen Unstern von Sammet und Frisuren, woran sich dürres Laub und Halme anhingen.
Die Damen hörten, in geringer Anzahl, die Lieder der Künstler und die Verse der Dichter an; andere horchten auf die Prosa, die ihnen mit viel Kunst Männer sagten, welche weder Schauspieler noch Dichter waren, denen aber die Jugend und die Ungestörtheit eine ungewohnte Beredtsamkeit verliehen, die ihnen den Vorzug vor Allem zu verdienen schien.
»Warum,« fragte la Fontaine, »warum ist unser Meister Epikur nicht in den Garten herabgekommen? Nie verließ Epikur seine Schüler; der Meister hat Unrecht.«
»Mein Herr,« sagte Conrart, »Ihr habt sehr Unrecht, Euch beharrlich mit dem Namen eines Epikuräers zu schmücken, wahrlich uns erinnert nichts hier an die Lehre des Philosophen von Gargettos.«
»Bah!« versetzte la Fontaine, »steht nicht geschrieben, Epikur habe sich einen Garten gekauft und darin, ruhig mit seinen Freunden gelebt?«
»Das ist wahr.«
»Nun! hat Herr Fouquet nicht einen großen Garten in Saint-Mandé gekauft, und leben wir nicht darin äußerst ruhig mit ihm und unseren Freunden?«
»Ja, gewiß; doch leider können weder der Garten, noch die Freunde die Aehnlichkeit geben. Worin liegt aber die Aehnlichkeit der Lehre von Herrn Fouquet mit der von Epikur?«
»In dem Satze: Das Vergnügen bildet das Glück.«
»Hernach?«
»Ich glaube nicht, daß wir uns unglücklich fühlen, ich wenigstens nicht. Ein gutes Mahl, Joigny-Wein, den man für mich in meiner Lieblingsschenke zu holen so zart gewesen ist; nicht eine Ungereimtheit bei einem Abendbrod von einer Stunde, trotz der zehn Millionäre und der zwanzig Dichter.«
»Hier halte ich Euch, Ihr sprachet von Joigny-Wein und einem guten Mahl, beharrt Ihr hierbei?«
»Ich beharre hierbei.«,
»Dann erinnert Euch, daß der große Epikur von Brod, Gemüsen und klarem Wasser lebte und seine Schüler leben ließ.«
»Das ist nicht gewiß,« entgegnete la Fontaine, »Ihr konntet wohl Epikur mit Pythagoras verwechseln, mein lieber Conrart.«
»Erinnert Euch auch, daß der alte Philosoph ein ziemlich schlechter Freund der Götter und der Magistrate war.«
»Oh! das kann ich nicht dulden,« versetzte la Fontaine, »Epikur wie Herr Fouquet.«
»Vergleicht ihn nicht mit dem Herrn Oberintendanten,« sprach Conrart mit bewegter Stimme, »wenn Ihr nicht den Gerüchten, welche über ihn und uns schon im Umlauf sind, Glauben verleihen wollt.«
»Welche Gerüchte?«
»Wir seien schlechte Franzosen, lau für den Monarchen, taub für das Gesetz.«
»Ich komme also auf meinen Text zurück,« sprach la Fontaine. »Hört, Conrart, die Moral von Epikur, den ich übrigens, wenn ich es Euch sagen soll, als eine Mythe betrachte: Alles, was ein wenig ins Alterthum eingegriffen hat, ist eine Mythe. Jupiter, wenn man es genau betrachten will, ist das Leben, Alkides ist die Kraft, die Abstammung der Wörter spricht für mich. Nun wohl, Epikuros ist die sanfte Ueberwachung, es ist der Schutz; wer überwacht aber besser den Staat, wer beschützt besser die einzelnen Personen, als Herr Fouquet?«
»Ihr sprecht mir da von Etymologie und nicht von Moral; ich sage, wir neuen Epikuräer seien ärgerliche Bürger.
»Oh!« rief la Fontaine, »wenn wir ärgerliche Bürger werden, so geschieht es nicht dadurch, daß wir die Maximen des Meisters befolgen. Hört eine seiner Hauptaphorismen.«
»Ich höre.«
»Wünscht gute Häupter.«
»Nun?«
»Nun! was sagt uns Herr Fouquet alle Tage? »»Wann werden wir regiert sein?«« Sagt er das? Sprecht, Conrart, seid offenherzig.«
»Er sagt es, es ist wahr.«
»Nun, das ist die Lehre von Epikur.«
»Ja, aber das klingt ein wenig meuterisch.«
»Wie, es ist meuterisch, von guten Häuptern regiert sein zu wollen?«
»Gewiß, wenn diejenigen, welche regieren, schlecht sind.«
»Geduld! ich habe für Alles eine Antwort.«
»Auch für das, was ich so eben sagte?«
»Hört, unterwerft Euch denjenigen, welche schlecht regieren . . . Oh! es steht geschrieben: Kalos politeuusi . . . Ihr gebt den Text zu?«
»Bei Gott! ich glaube wohl. Wißt Ihr, daß Ihr Griechisch sprecht, wie Aesop, mein lieber la, Fontaine?«
»Ist das eine Bosheit, mein lieber Conrart?«
»Gott soll mich behüten!«
»So kommen wir auf Herrn Fouquet zurück. Was wiederholte er uns alle Tage? Nicht wahr, Folgendes: »Welch ein Knauser ist der Mazarin! welch ein Esel! welch ein Blutegel! und dennoch muß man diesem Burschen gehorchen!««
»Ich gestehe, daß er es sagte, und sogar vielleicht ein wenig zu sehr.«
»Wie Epikur, mein Freund, immer wie Epikur; ich wiederhole, wir sind Epikuräer, und das ist sehr belustigend.«
»Ja, doch ich befürchte, es entsteht neben uns eine Sekte, wie die von Epiktet; Ihr wißt, der Philosoph von Hieropolis, derjenige, welcher das Brod Luxus, die Gemüse Verschwendung und das klare Wasser Völlerei nannte; der, welcher von seinem Meister geschlagen, allerdings ein wenig murrte, aber ohne sich mehr zu ärgern, ihm zurief: »»Wetten wir, Ihr habt mir das Bein zerbrochen?«« und er gewann die Wette.«
»Dieser Epiktet war ein einfältiger Bursche.«
»Es mag sein; doch er könnte wieder in die Mode kommen, indem man nur seinen Namen in den von Colbert verwandeln würde.«
»Buh!« erwiederte la Fontaine, »das ist unmöglich; Ihr werdet nie Colbert in Epiktet finden.«
»Ihr habt Recht, ich finde darin höchstens Coluber.«2
»Ah! Ihr seid geschlagen, Conrart, Ihr nehmt Eure Zuflucht zum Wortspiel. Herr Arnauld behauptet, ich habe keine Logik . . . ich habe mehr als Herr Nicolle.«
»Ja,« erwiederte Conrart, »Ihr habt Logik, doch Ihr seid Jansenist.«
Dieses Wort wurde mit einem ungeheuren Gelächter aufgenommen. Allmälig waren die Spaziergänger durch die Ausrufungen der zwei Haberechte zu dem Gebüsch gelockt worden, unter dem sie stritten. Man hatte die ganze Verhandlung mit frommer Aufmerksamkeit angehört, und selbst Fouquet, der kaum an sich halten konnte, gab das Beispiel der Mäßigung.
Doch die Entwickelung der Scene warf ihn über jedes Maß hinaus, und er brach los. Alle Welt brach los, und die zwei Philosophen wurden mit einstimmigen Glückwünschen begrüßt.
Man erklärte jedoch la Fontaine zum Sieger wegen seiner tiefen Gelehrsamkeit und seiner unwidersprechlichen Logik.
Conrart erhielt die einem unglücklichen Streiter gebührende Entschädigung; man spendete ihm Lob über die Redlichkeit seiner Absichten und die Reinheit seines Gewissens.
In dem Augenblick, wo sich diese Freude durch die lebhaftesten Kundgebungen äußerte, in dem Augenblick, wo die Damen den zwei Gegnern Vorwürfe machten, daß sie die Frauen nicht in das System des epikuräischen Glücks aufgenommen, sah man Gourville vom andern Ende des Gartens kommen, sich Fouquet, der mit scharfen Blicken nach ihm schaute, nähern und ihn durch seine Gegenwart allein von der Gruppe trennen.
Der Oberintendant behielt auf seinem Gesicht das Lachen und alle Charaktere der Sorglosigkeit; kaum aber war er aus dem Blick, als er die Maske abwarf und rasch Gourville fragte:
»Nun! wo ist Pelisson? Was macht Pelisson?«
»Pelisson kommt so eben von Paris zurück.«
»Hat er die Gefangenen zurückgebracht?«
»Er konnte nicht einmal den Aufseher des Gefängnisses sprechen.«
»Wie! hat er nicht gesagt, er käme auf mein Geheiß?«
»Er hat es gesagt; doch der Aufseher ließ antworten: »»Kommt man auf das Geheiß des Herrn Fouquet, so muß man einen Brief von Herrn Fouquet haben.««
»Oh! wenn es sich nur darum handelt, ihm einen Brief, n geben . . . «
»Nie,« erwiederte Pelisson, der sich an der Ecke des kleines Gehölzes zeigte, »nie, Monseigneur . . . Geht selbst und sprecht in Eurem Namen.«
»Ja, Ihr habt Recht; ich kehre in mein Cabinet zurück, als ob ich arbeiten wollte; laßt die Pferde angespannt, Pelisson. Haltet meine Freunde auf, Gourville.«
»Noch einen Rath, Monseigneur,« sagte dieser.
»Sprecht, Gourville.«
»Geht nur im letzten Augenblick zum Aufseher; ein solcher Schritt ist zwar muthig, aber nicht geschickt. Entschuldigt mich, Herr Pelisson, wenn ich anderer Ansicht bin, als Ihr; aber glaubt mir, Monseigneur, schickt noch Jemand ab, um mit diesem Aufseher, der ein artiger Mann ist, zu unterhandeln; unterhandelt jedoch nicht selbst.«
»Ich werde mich besinnen,« erwiederte Fouquet; »übrigens haben wir die ganze Nacht für uns.
»Rechnet nicht zu sehr auf die Nacht, und hätten wir auch doppelt so viel Zeit, als wir haben,« entgegnete Pelisson, »es ist nie ein Fehler, wenn man zu früh kommt.«
»Gott befohlen,« sagte der Oberintendant; »kommt mit mir, Pelisson.«
Und er entfernte sich.
Die Epikuräer bemerkten nicht, daß das Haupt der Schule verschwunden war; die Musik währte aber die ganze Nacht fort.
XVII.
Zum zweiten Mal an diesem Tage außerhalb seines Hauses, fühlte sich Fouquet minder schwer und minder unruhig, als man hätte glauben sollen.
Er wandte sich gegen Pelisson, der mit ernster Miene in seinem Winkel im Wagen über eine gute Beweisführung gegen die Hitze von Colbert nachdachte.
»Mein lieber Pelisson,« sagte Fouquet, »es ist sehr Schade, daß Ihr kein Weib seid.«
»Ich glaube im Gegentheil, es ist ein Glück,« erwiederte Pelisson, »denn, Monseigneur, ich bin ungemein häßlich.«
»Pelisson! Pelisson!« rief der Oberintendant, »Ihr wiederholt zu oft, daß Ihr häßlich seid, um nicht glauben zu machen, es bereite Euch dies viel Kummer.«
»In der That, viel, Monseigneur; es gibt keinen Menschen, der unglücklicher ist, als ich; ich war schon, die Blattern haben mich häßlich gemacht; ich bin eines großen Mittels der Verführung beraubt; als Euer erster, oder beinahe erster Commis habe ich Eure Interessen zu wahren, und wenn ich in diesem Augenblick hübsch wäre, würde ich Euch einen wichtigen Dienst leisten.«
»Welchen?«
»Ich würde zum Aufseher des Palastes gehen und ihn verführen, denn er ist ein galanter Mann von verliebter Natur; dann würde ich unsere zwei Gefangenen wegbringen.«
»Ich hoffe dies wohl selbst noch thun zu können, obschon ich keine hübsche Frau bin,« sagte Fouquet.
»Einverstanden, Monseigneur; doch Ihr werdet Euch bedeutend gefährden.«
»Oh!« rief plötzlich Fouquet mit einer jener geheimen Aufwallungen, wie sie im Herzen das edle Blut der Jugend oder die Erinnerung an eine süße Gemüthsbewegung besitzen, »oh! ich kenne eine Frau, welche bei dem Gouverneur der Conciergerie die Person spielen wird, der wir bedürfen.«
»Ich kenne fünfzig, Monseigneur, fünfzig Trompeter, welche das Weltall von Eurer Großmuth, von Eurer Aufopferung für Eure Freunde unterrichten und Euch folglich früher oder später in’s Verderben stürzen werden.«
»Ich spreche nicht von diesen Frauen, Pelisson, ich spreche von einem edlen und schönen Geschöpf, das mit dem Geiste seines Geschlechts den Werth und die Kaltblütigkeit des unsern verbindet; ich spreche von einer Frau, welche schön genug ist, daß sich die Mauern des Gefängnisses verbeugen, um sie zu begrüßen, von einer Frau, welche verschwiegen genug ist, daß Niemand ahnen kann, wer sie abgeschickt hat.«
»Ein Schatz,« sagte Pelisson; »Ihr würdet da dem Herrn Gouverneur der Conciergerie ein herrliches Geschenk machen. Teufel! Monseigneur, es könnte geschehen, daß man ihm den Kopf abschlüge, doch er hätte dann vor seinem Tod ein Liebesglück gehabt, wie es vor ihm nie ein Mann gefunden haben würde.«
»Und ich füge bei,« sprach Fouquet, »daß man dem Concierge des Palastes nicht den Kopf abschlagen würde, denn er bekäme von mir meine Pferde, um sich zu flüchten, und fünfmal hundert tausend Livres, um anständig und ehrenhaft in England zu leben; ich füge bei, daß die Frau, meine Freundin, ihm nur die Pferde und das Geld geben würde. Suchen wir diese Frau’ auf, Pelisson.«
Der Oberintendant streckte die Hand nach der Schnur von Seide und Gold aus, welche im Innern seines Wagens angebracht war. Pelisson hielt ihn zurück.
»Monseigneur,« sagte er, »Ihr werdet mit Aufsuchung dieser Frau ebenso viel Zeit verlieren, als Columbus brauchte, um die neue Welt zu finden. Wir haben nur zwei Stunden, um unsern Zweck zu erreichen; ist aber einmal der Concierge zu Bette gegangen, wie zu ihm dringen, ohne ein gewaltiges Geräusch? ist es einmal Tag geworden, wie unsere Schritte verbergen? Geht, geht, Monseigneur, geht selbst und sucht weder Engel noch Frau.«
»Mein lieber Pelisson, wir sind vor ihrer Thüre.«
»Vor der Thüre des Engels?«
»Ja wohl!«
»Das ist das Hotel von Frau von Bellière.«
»Stille!«
»Ah! mein Gott!« rief Pelisson.
»Was habt Ihr gegen sie zu sagen?« fragte Fouquet.
»Leider nichts! und das ist es, was mich in Verzweiflung bringt . . . Warum kann ich Euch nicht im Gegentheil genug Schlimmes von ihr sagen, um Euch zu verhindern, zu ihr hinaufzugehen!«
Doch schon hatte Fouquet zu halten befohlen; der Wagen war unbeweglich.
»Mich verhindern!« rief Fouquet; »keine Macht der Erde würde mich verhindern, Madame du Plessis-Bellière ein Compliment zu sagen; wer weiß übrigens, ob wir ihrer nicht bedürfen werden? Geht Ihr mit mir hinauf?«
»Nein, Monseigneur, nein.«
»Aber ich will nicht, daß Ihr auf mich wartet, Pelisson,« erwiederte Fouquet mit aufrichtiger Artigkeit.
»Ein Grund mehr, Monseigneur; wenn Ihr wißt, daß Ihr mich warten laßt, werdet Ihr minder lang oben bleiben . . . Nehmt Euch in Acht! Ihr seht einen Wagen im Hof: es ist Jemand bei ihr!«
Fouquet neigte sich gegen den Fußtritt der Carosse.
»Noch ein Wort,« rief Pelisson; »ich bitte, geht zu dieser Dame erst, wenn Ihr von der Conciergerie zurückkommt.«
»Ei! fünf Minuten, Pelisson,« erwiederte Fouquet und stieg gerade auf die Freitreppe des Hotels aus.
Pelisson blieb, die Stirne gefaltet, im Hintergrunde des Wagens.
Fouquet ging zur Marquise hinauf und sagte dem Bedienten seinen Namen, was einen achtungsvollen Eifer erregte, und dies bewies, daß die Gebieterin des Hauses ihre Leute daran gewöhnt hatte, diesen Mann zu ehren und zu lieben.
»Der Herr Oberintendant!» rief die Marquise, indem sie Fouquet sehr bleich entgegenging. »Welche Ehre! welche Ueberraschung!« sagte sie.
Dann ganz leise:
»Nehmt Euch in Acht! Marguerite Vanel ist bei mir.«
»Madame,« erwiederte Fouquet unruhig, »ich komme in dringenden Angelegenheiten . . . erlaubt nur ein einziges Wort.«
Und er trat in den Salon ein.
Madame Vanel war bleicher, bleifarbiger, als der Neid selbst, aufgestanden. Fouquet richtete vergebens eine der artigsten, der friedlichsten Begrüßungen an sie; sie antwortete darauf nur mit einem furchtbaren auf die Marquise und auf Fouquet geschleuderten Blick. Dieser spitzige Blick einer eifersüchtigen Frau ist ein Stilett, das die offene Stelle aller Panzer findet; Marguerite Vanel versetzte einen Schlag in das Herz der zwei Vertrauten. Sie machte eine Verbeugung vor ihrer Freundin, eine noch tiefere vor Fouquet, und nahm Abschied unter dem Vorwand einer großen Anzahl von Besuchen, die sie abzustatten habe, ohne daß die Marquise, äußerst verblüfft, ohne daß Fouquet, von einer Unruhe ergriffen, sie zurückzuhalten suchten.
Kaum war sie weggegangen, als Fouquet, der mit der Marquise allein blieb, auf seine Kniee niedersank, statt irgend ein Wort zu sagen.
»Ich erwartete Euch,« sprach die Marquise mit einem sanften Lächeln.
»O nein,« entgegnete er, »Ihr würdet diese Frau weggeschickt haben.«
»Sie ist erst vor einer Viertelstunde hier erschienen, und ich konnte nicht ahnen, daß sie diesen Abend kommen würde.«
»Ihr liebt mich also ein wenig, Marquise?«
»Es handelt sich nicht um dieses, mein Herr, sondern um Eure Gefahren; wie steht es mit Euern Angelegenheiten?«
»Ich werde noch diesen Abend meine Freunde den Gefängnissen des Palastes entziehen.«
»Wie dies?«
»Indem ich den Gouverneur erkaufe, verführe.«
»Er gehört zu meinen Freunden; kann ich Euch helfen, ohne Euch zu schaden?«
»Oh! Marquise, das wäre ein ausgezeichneter Dienst: doch wie soll ich Euch benutzen, ohne Euch zu gefährden? Nie aber dürften mein Leben, oder meine Macht, oder meine Freiheit erkauft werden, wenn dafür eine Thräne aus Euern Augen fallen, wenn mein Schmerz Eure Stirne verdunkeln sollte.«
»Oh! Herr, sagt mir nicht solche Worte, die mich berauschen; ich bin schuldig, daß ich Euch dienen wollte, ohne das Gewicht meines Schrittes zu berechnen. Ich liebe Euch in der That wie eine ergebene Freundin, und als Freundin bin ich Euch dankbar für Euer Zartgefühl; doch, ach! . . . nie werdet Ihr, in mir eine Geliebte finden.«
»Marquise! . . . « rief Fouquet mit verzweiflungsvollem Tone, »warum nicht?«
»Weil Ihr zu sehr geliebt seid,« antwortete ganz leise die junge Frau, »weil Ihr es von zu vielen Menschen seid, weil der Glanz des Ruhmes und des Glücks meine Augen blendet, während der düstere Schmerz sie anzieht, weil endlich ich, die ich Euch in Eurer prunkenden Herrlichkeit zurückgestoßen, die ich Euch kaum anschaute, als Ihr noch schimmertet, mich wie ein verirrtes Weib gleichsam in Eure Arme warf, als ich ein Unglück über Eurem Haupte schweben sah . . . Ihr begreift mich nun, Monseigneur . . . Werdet wieder glücklich, damit ich keusch an Herz und Geist werde; Euer Mißgeschick würde mich zu Grunde richten.«
»Oh! Madame,« sprach Fouquet mit einer Erschütterung, die er nie empfunden hatte, »müßte ich auf die letzte Stufe des menschlichen Elends hinabsinken, so werde ich doch von Eurem Munde das Wort hören, das Ihr mir verweigert, und an diesem Tag, Madame, werdet Ihr Euch in Eurer edlen Selbstsucht täuschen; Ihr werdet an diesem Tag den unglücklichsten der Menschen zu trösten glauben, während Ihr: Ich liebe Dich! dem Erhabensten, dem Freudigsten, dem Triumphirendsten dieser Welt gesagt habt!«
Er lag noch zu ihren Füßen, er küßte ihr die Hand, als Pelisson hastig eintrat und voll Aerger rief:
»Monseigneur, Madame! ich bitte, Madame, wollt mich entschuldigen . . . Monseigneur, Ihr seid seit einer halben Stunde hier . . . Oh! schaut mich nicht Beide so mit einer Miene des Vorwurf an . . . Madame, wer ist die Dame, welche so eben, als Monseigneur eintrat, von Euch wegging?«
»Madame Vanel,« antwortete Fouquet.
»Ah!« rief Pelisson, »ich war dessen sicher.«
»Nun, was denn?«
»Sie ist ganz bleich in ihren Wagen gestiegen.«
»Was liegt mir daran?« versetzte Fouquet.
»Ja, aber es liegt Euch an dem, was sie zu ihrem Kutscher gesagt hat.«
»Mein Gott, was denn!« rief die Marquise. »»Zu Herrn Colbert,«« sprach Pelisson mit heisere, Stimme.
»Großer Gott! geht! geht, Monseigneur!« sagte die Marquise, indem sie Fouquet aus dem Salon schob, während ihn Pelisson an der Hand fortzog.
»Oho!« rief der Oberintendant, »bin ich ein Kind, dem man vor einem Schatten bange macht?«
»Ihr seid ein Riese, den eine Schlange in die Ferse zu stechen sucht,« sagte die Marquise.
Pelisson zog Fouquet bis zum Wagen fort.
»Zum Palast! im Galopp!« rief Pelisson dem Kutscher zu.
Die Pferde jagten wie der Blitz fort; kein Hinderniß hemmte sie auch nur einen Augenblick in ihrem Lauf, Erst bei der Arcade Saint-Jean, als sie nach dem Grève-Platz ausmünden wollten, versperrte eine lange Reihe von Reitern den schmalen Weg und hielt den Wagen des Oberintendanten auf. Es war keine Möglichkeit, durch diese Barriere zu dringen; man mußte warten, bis die Bogenschützen der Schaarwache zu Pferde, denn sie waren es, mit dem schweren, rasch nach der Place Baudoyer hinauffahrenden Wagen, den sie geleiteten, vorübergezogen.
Fouquet und Pelisson schenkten diesem Ereigniß keine andere Aufmerksamkeit, als daß sie die Minute der Zögerung beklagten, die sie anzuhalten hatten, Sie fuhren fünf Minuten nachher bei dem Concierge des Palastes ein.
Dieser Officier ging im ersten Hof auf und ab. Bei dem Namen von Fouquet, den ihm Pelisson ins Ohr sagte, näherte sich der Gouverneur voll Viser, den Hut in der Hand und unter vielfältigen Verbeugungen, dem Wagen.
»Welch ein Glück für mich, Monseigneur!« rief er.
»Ein Wort, Herr Gouverneur. Wollt Ihr die Güte haben, in meinen Wagen zu steigen?«
Der Officier setzte sich Fouquet gegenüber in das schwere Gefährt.
»Mein Herr,« sprach Fouquet, »ich habe Euch um einen Dienst zu bitten.«
»Sprecht, Monseigneur.«
»Um einen Euch gefährdenden Dienst, mein Herr, der Euch aber für immer meine Protection und meine Freundschaft sichert.«
»Müßte ich mich für Euch ins Feuer stürzen, Monseigneur, ich würde es thun.«
»Gut,« sagte Fouquet, »was ich von Euch verlange, ist einfacher.«
»Wohl, Monseigneur, um was handelt es sich?«
»Mich in die Zimmer der Herren Lyodot und d’Emeris zu führen.«
»Will mir Monseigneur erklären, warum?«
»Ich werde es Euch in ihrer Gegenwart sagen, während ich Euch zugleich alle Mittel gebe, ihr Entweichen zu bemänteln.«
»Entweichen! Monseigneur weiß also nicht?«
»Was?«
»Die Herren Lyodot und d’Emeris sind nicht mehr hier.«
»Seit wann?« rief Fouquet zitternd.
»Seit einer Viertelstunde.«
»Wo sind sie denn?«
»In Vincennes, im Thurme.«
»Was hat sie von hier weggebracht?«
»Ein Befehl des Königs.«
»Wehe!« rief Fouquet sich vor die Stirne schlagend. »Wehe!«
Und ohne ein einziges Wort mehr zu dem Gouverneur zu sagen, der wieder ausstieg, warf er sich, die Verzweigung im Gemüth, den Tod auf dem Gesicht, in seinen Wagen zurück.
»Nun?« fragte Pelisson voll Angst.
»Nun! unsere Freunde sind verloren! Colbert bringt sie nach dem Thurm. Sie sind es, die wir unter der Arcade Saint-Jean gekreuzt haben.«
Wie vom Blitz getroffen, erwiederte Pelisson nichts. Mit einem Vorwurf hätte er seinen Herrn getödtet.
»Wohin fährt Monseigneur?« fragte der Bediente.
»In mein Haus in Paris; Ihr, Pelisson, kehrt nach Saint-Mandé zurück und bringt mir binnen einer Stunde den Abbé Fouquet. Geht!«
XVIII.
Die Nacht war schon vorgerückt, als der Abbé Fouquet bei seinem Bruder ankam.
Gourville hatte ihn begleitet. Bleich durch die zukünftigen Ereignisse, glichen diese drei Männer weniger drei Mächtigen des Tages, als drei durch einen lind denselben Gedanken einer Gewaltthat vereinigten Verschwörern.
Fouquet ging lange, das Auge starr auf den Boden geheftet, die Hände an einander reibend, im Zimmer auf und ab.
Endlich faßte er unter einem großen Seufzer Muth,
»Abbé,« sagte er, »Ihr spracht Heute von gewissen Leuten, die Ihr unterhaltet.«
»Ja, mein Herr,« erwiederte der Abbé.
»Wer sind, streng genommen, diese Leute?«
Der Abbé zögerte.
»Sprecht ohne Furcht, ich drohe nicht, ohne Prahlerei, ich scherze nicht.«
»Da Ihr Wahrheit fordert, so hört: ich habe hundert und zwanzig Freunde oder Vergnügensgefährten, die sich mir ergeben haben, wie die Diebe dem Galgen.«
»Und Ihr könnt auf sie zählen?«
»In Allem.«
»Und Ihr seid nicht dabei gefährdet?«
»Ich werde nicht selbst auftreten.«
»Und es sind entschlossene Leute?«
»Sie brennen Paris nieder, wenn ich ihnen verspreche, daß man sie nicht dafür verbrennt.«
»Was ich von Euch verlange, Abbé.« sprach Fouquet, den Schweiß abwischend, der von seinem Gesichte fiel, »ist, daß Ihr Eure hundert und zwanzig Mann in einem gewissen gegebenen Augenblick auf die Leute werft, die ich Euch bezeichnen werde . . . ist das möglich?«
»Es ist nicht das erste Mal, daß ihnen dergleichen begegnet sein wird.«
»Gut, doch werden diese Banditen . . . die gewaffnete Macht angreifen?«
»Das ist ihre Gewohnheit.«
»Dann versammelt Eure hundert und zwanzig Mann, Abbé.«
»Gut! wo dies?«
»Auf dem Weg nach Vincennes, morgen auf den Punkt zwei Uhr.«
»Um Lyodot und d’Emeris zu entführen? . . . Dabei sind Schläge zu ernten.«
»In großer Zahl. Habt Ihr bange?«
»Nicht für mich, sondern für Euch.«
»Eure Leute werden also wissen, was sie thun?«
»Sie sind zu verständig, um es nicht zu errathen. Ein Minister aber, der Meuterei gegen seinen König treibt . . . setzt sich großer Gefahr aus.«
»Was ist Euch daran gelegen, wenn ich bezahle? . . . Falle ich übrigens, so fallt Ihr mit mir.«
»Es wäre also klüger, mein Herr, keinen Aufruhr anzufangen und den König diese kleine Genugthuung nehmen zu lassen.«
»Bedenkt wohl, Abbé, daß Lyodot und d’Emeris in Vincennes ein Vorspiel zum Untergang meines Hauses sind. Ich wiederhole, werde ich verhaftet, so werdet Ihr eingekerkert; bin ich eingekerkert, so werdet Ihr verbannt.«
»Mein Herr, ich bin zu Euren Befehlen. Habt Ihr mir zu geben?«
»Ich will, daß morgen die zwei Finanzpächter, die man zu Opfern zu machen sucht, während es so viele unbestrafte Verbrecher gibt, der Wuth meiner Feinde entrissen werden. Nehmt demnach Eure Maßregeln. Ist es möglich?«
»Es ist möglich?«
»Nennt mir Euren Plan.«
»Er ist von einer reichen Einfachheit. Die gewöhnliche Wache bei Hinrichtungen besteht aus zwölf Mann.«
»Es werden morgen hundert sein.«
»Ich rechne darauf. Ich sage mehr, es werden zweihundert sein.«
»Dann habt Ihr nicht genug mit hundert und zwanzig Mann?«
»Verzeiht, mein Herr. In jeder aus hunderttausend Zuschauern bestehenden Menge finden sich zehntausend Banditen oder Beutelschneider; nur wagen sie es nicht, die Initiative zu ergreifen.«
»Nun?«
»Es werden morgen auf der Grève, die ich als Terrain wähle, zehntausend Helfer für meine hundert und zwanzig Mann sein. Wird der Angriff von diesen begonnen, so vollenden die Andern das Werk.«
»Gut! doch was macht man auf der Grève mit den Gefangenen?«
»Hört: man läßt sie in irgend ein Haus des Platzes eintreten; hier wäre eine Belagerung nöthig, um sie herauszuholen . . . Und noch ein anderer, erhabenerer Gedanke: gewisse Häuser haben zwei Ausgänge, einen nach dem Platz, den andern nach der Rue de la Mortellerie, oder de la Vannerie, oder de la Tixeranderie. Sind die Gefangenen durch den einen Eingang hineingekommen, so gehen sie durch den andern hinaus.«
»Sagt mir etwas Bestimmtes.«
»Ich suche.«
»Und ich,« rief Fouquet, »ich finde; hört wohl, was mir in diesem Augenblick einfällt.«
»Ich höre.«
Fouquet machte Gourville ein Zeichen, und dieser schien zu begreifen.
»Einer meiner Freunde leiht mir zuweilen die Schlüssel eines Hauses, das er in der Rue Baudoyer vermiethet, und dessen Gärten sich hinter einem gewissen Hause des Grèveplatzes ausdehnen.«
»Das ist es, was wir brauchen,« sprach der Abbé. »Welches Haus meint Ihr?«
»Eine ziemlich stark besuchte Schenke, deren Schild das Bild Unserer Lieben Frau darstellt.«
»Ich kenne das.«
»Diese Schenke hat Fenster nach dem Platz und einen Ausgang in einen Hof, von dem man in den Garten meines Freundes durch eine Verbindungsthüre gelangen muß.«
»Gut!«
»Tretet durch die Schenke ein, laßt die Gefangenen eintreten und vertheidigt die Thüre, während sie durch den Garten und über die Place Baudoyer entfliehen.«
»Das ist wahr, Ihr würdet einen so vortrefflichen General geben, als es der Herr Prinz ist.«
»Habt Ihr begriffen?«
»Vollkommen.«
»Wie viel braucht Ihr, um Eure Banditen mit Wein zu berauschen und mit Gold zufrieden zu stellen?«
»Oh! mein Herr, welch ein Ausdruck I Oh! mein Herr, wenn sie Euch hören würden I Einige von ihnen sind sehr empfindlich.«
»Ich will damit sagen, daß man sie dahin bringen muß, daß sie den Himmel nicht mehr von der Erde unterscheiden können, denn ich werde morgen gegen den König kämpfen, und wenn ich kämpfe, will ich siegen, hört Ihr?«
»Es wird geschehen, mein Herr . . . Gebt mir Eure anderen Gedanken.«
»Das Uebrige ist Eure Sache.«
»Also gebt mir Eure Börse.«
»Gourville, zahlt dem Abbé hunderttausend Livres aus.«
»Gut . . . nicht wahr, wir sollen nichts schonen?«
»Nichts.«
»Monseigneur,« sagte Gourville, »wenn man dies erfährt, verlieren wir den Kopf.«
Ei! Gourville,« erwiederte Fouquet, purpurroth vor Zorn, »Ihr erregt mein Mitleid; sprecht doch für Euch, mein Lieber. Mein Kopf wankt nicht so auf meinen Schultern. Sagt, Abbé, ist es abgemacht?«
»Abgemacht.«
»Um zwei Uhr morgen?«
»Um Mittag, weil unsere Hilfstruppen auf eine geheime Weise vorbereitet werden müssen.«
»Das ist wahr: schont den Wein des Schenkwirths nicht.«
»Ich werde weder seinen Wein, noch sein Haus schonen,« erwiederte der Abbé höhnisch lächelnd. »Ich habe meinen Plan, sage ich Euch, laßt mich denselben ins Werk setzen, und Ihr werdet sehen.«
»Wo werdet Ihr Euch aufhalten?«
»Ueberall und nirgends.«
»Und wie werde ich Nachricht bekommen?«
»Durch einen Eilboten, dessen Pferd im Garten Eures Freundes stehen muß. Doch sagt, wie heißt dieser Freund?«
Fouquet schaute abermals Gourville an. Dieser kam dem Herrn zu Hilfe und sagte:
»Das muß aus mehreren Gründen verschwiegen bleiben. Das Haus ist jedoch an dem Bilde Unserer Lieben Frau von vorne und an einem Garten, dem einzigen des Quartiers, von hinten zu erkennen.«
»Gut, gut. Ich werde meine Soldaten unterrichten.«
»Begleitet ihn, Gourville, und bezahlt ihm das Geld aus,« sprach Fouquet. »Einen Augenblick Geduld . . . wartet, Gourville . . . Welche Wendung gibt man der Entführung?«
»Eine ganz natürliche, mein Herr . . . der Aufruhr.«
»Der Aufruhr, worüber? Denn wenn das Volk von Paris je geneigt ist, dem König seine Huldigung darzubringen, so geschieht dies, wenn er Finanzpächter henken läßt.«
»Ich werde das ordnen,« sagte der Abbé.
»Ja, aber Ihr werdet es schlecht ordnen, und man wird die Sache errathen.«
»Nein, nein, ich habe abermals einen Gedanken.«
»Sprecht.«
»Meine Leute werden Colbert, es lebe Colbert! rufen und sich auf die Gefangenen werfen, als wollten sie dieselben in Stücke hauen und den Galgen als einer zu milden Strafe, entreißen.«
»Ah! das ist in der That ein Gedanke,« sagte Gourville. »Teufel! Herr Abbé, welche Einbildungskraft!«
»Mein Herr, man ist der Familie würdig.« erwiederte stolz der Abbé.
»Bursche!« murmelte Fouquet.
Dann fügte er bei:
»Das ist sinnreich! macht es so, und vergießt kein Blut.«
Gourville und der Abbé entfernten sich sehr geschäftig mit einander.
Der Oberintendant legte sich auf Kissen nieder, wachte bald über den widrigen Plänen für den andern Tag, träumte halb von Liebe.
XIX.
Um zwei Uhr am andern Tag waren fünfzigtausend Zuschauer auf dem Platz um die zwei Galgen versammelt, welche man auf der Grève zwischen dem Quai de la Grève und dem Quai Pelletier, unsern voneinander an der Brustwehr des Flusses angelehnt, errichtet hatte.
Am Morgen hatten, auch die geschworenen Ausrufer der guten Stadt Paris die Quartiere der Cité, besonders die, Hallen und die Vorstädte durchlaufen, und mit ihren heiseren, unermüdlichen Stimmen die große Gerechtigkeit verkündigt, welche der König an zwei Pflichtvergessenen, an zwei Betrügern, an zwei Volksaushungerern übe. Und dieses Volk, dessen Interesse man mit so warmem Eifer wahrte, verließ, um sich nicht gegen die seinem König schuldige Achtung zu verfehlen, Buden, Fleischbänke, Werkstätten, in der Absicht, Ludwig XIV. ein wenig Dankbarkeit zu bezeigen, gerade wie es Eingeladene machen dürsten, die eine Unhöflichkeit zu begehen befürchten würden, wenn sie sich nicht bei demjenigen, welcher sie geladen, einfänden.
Nach dem Inhalt des Spruches, den laut und schlecht, die Ausrufer verlasen, sollten zwei Finanzpächter, Geldwucherer, Verschleuderer der königlichen Pfennige, Erpresser und Fälscher auf der Grève, ihren Namen an ihre Köpfe gehängt, die Todesstrafe erleiden.
Was diese Namen betrifft, so erwähnte der Spruch derselben nicht.
Die Neugierde der Pariser erreichte daher den höchsten Grad, und es erwartete mit fieberhafter Ungeduld, wie gesagt, eine ungeheure Menge die für die Hinrichtung anberaumte Stunde. Es hatte sich schon die Kunde verbreitet, daß die Gefangenen nach dem Schloß von Vincennes gebracht worden seien und aus diesem Gefängnis nach der Grève geführt werden sollten. Der Faubourg und die Rue Saint-Antoine waren auch überfüllt mit Menschen, denn die Bevölkerung von Paris theilt sich au diesen großen Hinrichtungstagen in zwei Kategorien, in diejenigen, welche die Verurtheilten vorbeiziehen sehen wollen, – dies sind schüchterne, sanfte Herzen, aber neugierig aus Philosophie, und in diejenigen, welche den Verurtheilten sterben sehen wollen, – dies sind nach Aufregungen gierige Herzen.
An, diesem Tag entwarf d’Artagnan, nachdem er seine letzten Instructionen vom König erhalten, und von seinen Freunden, die sich in diesem Augenblick auf Planchet beschränkten, Abschied genommen hatte, seinen Reiseplan, wie es jeder beschäftigte Mensch machen muß, dessen Augenblicke gezählt sind, weil er ihre Bedeutung kennt.
»Die Abreise,« sagte er, »ist auf Tagesanbruch, also auf drei Uhr Morgens festgestellt; ich habe daher fünfzehn Stunden vor mir. Rechnen wir daran ab die sechs Stunden des Schlafs, die mir unerläßlich sind, sechs; eine Stunde für das Essen, sieben; eine Stunde für einen Besuch bei Athos, acht; zwei Stunden für das Unvorhergesehene. Gesammtsumme, zehn.
»Es bleiben mir also fünf Stunden.
»Eine Stunde, um das Geld zu beziehen, das heißt, um mir das Geld von Herrn Fouquet verweigern zu lassen; eine andere, um dieses Geld bei Herrn Colbert zu holen und seine Fragen und Grimassen in Empfang zu nehmen; eine Stunde, um meine Waffen, meine Kleider in Augenschein zu nehmen und meine Stiefel schmieren zu lassen.
»Es bleiben mir also zwei Stunden, Mordioux! wie reich bin ich!«
Als er so sprach, fühlte d’Artagnan eine seltsame Freude, eine jugendliche Freude, einen Duft aus jenen schönen, glücklichen früheren Jahren in seinen Kopf steigen und ihn berauschen. Und der Musketier fuhr fort:
»Während dieser zwei Stunden erhebe ich meinen Miethzins von dem Bilde Unserer Lieben Frau. Das wird ergötzlich sein! Dreihundert und fünfundsiebenzig Livres! Mordioux! das ist erstaunlich! Wenn der Arme, der nur einen Livre in seiner Tasche hat, einen Livre und zwölf Deniers hätte, so wäre dies billig, es wäre vortrefflich; doch nie kommt ein solcher Vortheil dem Armen zu. Der Reiche macht sich im Gegentheil Einkünfte mit seinem Geld, das er nicht berührt. Das sind dreihundert und siebzig Livres, die mir vom Himmel zufallen.
»Ich werde also in das Bild Unserer Lieben Frau gehen und mit meinem Miethsmann ein Glas spanischen Wein trinken, das er mir unfehlbar anbietet.
»Doch es muß Ordnung sein, Herr d’Artagnan, Ordnung.
»Organisiren wir also unsere Zeit und theilen, wir die Verwendung derselben ein,
1. Art. Athos.
2. Art. Das Bild Unserer Lieben Frau.
3. Art. Herr Fouquet.
4. Art. Herr Colbert.
5. Art. Abendbrod.
6. Art. Kleider, Stiefel, Pferde, Mantelsack.
7. und letzter Art. Der Schlaf.«
In Folge dieser Anordnung ging d’Artagnan geraden Wegs zum Grafen de la Fère, dem er bescheiden und naiv einen Theil seines Glückes mittheilte.
Athos war seit dem vorhergehenden Tage nicht ohne Unruhe in Beziehung auf den Besuch von d’Artagnan beim König; doch vier Worte genügten ihm als Erläuterung, Athos errieth, daß Ludwig XIV. d’Artagnan mit einer wichtigen Sendung beauftragt hatte, und versuchte es nicht einmal, ihn das Geheimniß gestehen zu machen. Er empfahl ihm, sich zu schonen, und bot sich discret an, ihn zu begleiten, wenn dies möglich wäre.
»Theurer Freund,« erwiederte d’Artagnan, »ich reise durchaus nicht ab.«
»Wie! Ihr kommt, um von mir Abschied zu nehmen, und reist nicht ab?«
»Ob! doch, doch,« erwiederte d’Artagnan, ein wenig erröthend, »ich reise, um einen Ankauf zu machen.«
»Das ist etwas Anderes, und ich ändere meine Formel. Statt zu sagen: Laßt Euch nicht tödten, sage ich: Laßt Euch nicht betrügen!«
»Mein Freund, ich werde Euch benachrichtigen, wenn ich meine Blicke auf ein bestimmtes Gut geworfen habe; Ihr werdet dann wohl so gefällig sein, mir einen Rath zu geben.«
»Ja, ja,« sagte Athos, zu zartfühlend, um sich die Genugthuung eines Lächelns zu erlauben.«
Raoul ahmte die väterliche Zurückhaltung nach, D’Artagnan begriff, es wäre zu geheimnißvoll, Freunde unter einem Vorwand zu verlassen, ohne ihnen nur den Weg zu nennen, den man nehmen würde.
»Ich habe das Mans gewählt,« sagte er zu Athos. »Ist das ein gutes Land?«
»Ein vortreffliches, mein Freund,« erwiederte der Graf, ohne ihm bemerklich zu machen, das Mans habe dieselbe Richtung wie die Touraine, und wenn er zwei Tage warten würde, so könnte er die Reise mit einem Freunde antreten.
Aber verlegener als der Graf, höhlte d’Artagnan bei jeder neuen Erklärung den Morast, in den er sich allmälig versenkte, tiefer aus.
»Ich werde morgen bei Tagesanbruch abreisen,« sagte er endlich. »Willst Du bis dahin mit mir kommen, Raoul?«
»Ja, Herr Chevalier,« erwiederte der junge Mann, »wenn der Herr Graf meiner nicht bedarf.«
»Nein, Raoul, ich habe heute nur Audienz bei Monsieur, dem Bruder des Königs.«
Raoul verlangte von Grimaud seinen Degen, und dieser brachte ihn auf der Stelle.
»Nun also, lebt wohl, theurer Freund,« sprach d’Artagnan, indem er seine Arme Athos öffnete.
Athos hielt ihn lange umschlossen, und der Musketier, der seine Discretion wohl begriff, flüsterte ihm ins Ohr:
»Skaatsangelegenheit!«
Was Athos mit einem bezeichnenden Händedruck erwiederte.
Dann trennten sie sich. Raoul nahm den Arm seines alten Freundes, der ihn durch die Rue Saint-Honoré führte.
»Ich führe Dich zu dem Gott Plutus,« sagte d’Artagnan zu dem jungen Mann; »halte Dich bereit; Du wirst heute den ganzen Tag Thaler aufhäufen sehen. Mein Gott, wie bin ich verändert!«
»Oho! da sind viele Leute auf der Straße.«
»Ist heute eine Prozession?« fragte d’Artagnan einen Müssiggänger.
»Herr, es ist ein Henken,« erwiederte der Andere.
»Wie! Henken?« versetzte d’Artagnan, »auf der Grève?«
»Ja, Herr.«
»Der Teufel soll den Schuft holen, der sich gerade an dem Tage henken läßt, wo ich nothwendig meinen Miethzins erheben muß!« rief d’Artagnan. »Raoul, hast Du henken sehen?«
»Nie, Herr, Gott sei Dank!«
»Das ist die Jugend . . . Hättest Du die Wache im Laufgraben, wie ich sie hatte, und ein Spion würde . . . Doch siehst Du, verzeih, Raoul, ich schwatze ungereimtes Zeug . . . Du hast Recht, es ist häßlich, henken zu sehen . . . Um welche Stunde wird man henken, wenn’s beliebt, mein Herr?«
»Mein Herr,« erwiederte der Müssiggänger. ehrerbietig, denn er war entzückt, ein Gespräch mit zwei Männern vom Schwert anzuknüpfen, »es soll um drei Uhr geschehen.«
»Oh! es ist erst halb zwei Uhr, strecken wir die Beine aus, und wir kommen zur rechten Zeit an, um meine dreihundert und fünfundsiebenzig Livres einzuziehen und wieder wegzugehen, ehe der arme Sünder erscheint.«
»Die armen Sünder, mein Herr,« fuhr der Bürger fort, »denn es sind ihrer zwei.«
»Mein Herr, ich danke Euch tausendmal,« sprach d’Artagnan, der mit dem Alter eine raffinirte Höflichkeit angenommen hatte.
Und er zog Raoul fort, und wandte sich rasch nach dem Quartier der Grève.
Wäre der Musketier nicht sosehr an das Volksgedränge gewöhnt gewesen, hätte er nicht die unwiderstehliche Faust besessen, mit der sich eine ungewöhnliche Geschmeidigkeit der Schultern verband, so würde weder der eine, noch der andere der beiden Wanderer den Ort seiner Bestimmung erreicht haben.
Als sie die Rue Saint-Honoré verließen, durch die sie gingen, nachdem sie von Athos Abschied genommen hatten, folgten sie dem Quai.
»D’Artagnan marschirte voran: sein Ellenbogen, seine Faust, seine Schultern bildeten Ecken, die er kunstreich in die Gruppen einzuspeideln wußte, um sie zu spalten und wie Stücke Holz auseinanderspringen zu machen.
Oft bediente er sich auch als einer Verstärkung des eisernen Griffes seines Degens. Er schob ihn zwischen zu widerspänstige Rippen, ließ ihn in Form eines Hebels oder einer Zange spielen, und trennte so im geeigneten Augenblick den Mann von seiner Frau, den Oheim vom Neffen, den Bruder vom Bruder. Dies Alles so natürlich und mit einem so freundliches Lächeln, daß man hätte eherne Rippen haben müssen, um nicht um Verzeihung zu bitten, wenn das Faustgelenke sein Spiel machte, oder diamantene Herzen, um nicht entzückt zu sein, wenn sich das Lächeln auf den kippen des Musketiers ausbreitete.
Seinem Freunde folgend, schonte Raoul die Frauen, welche seine Schönheit bewunderten, schob die Männer zurück, die die Stärke seiner Muskeln fühlten, und Beide durchschnitten mit Hülse dieses Manoeuvre die sehr gedrängte und ein wenig schmutzige Volkswoge.
Sie kamen ins Angesicht der Galgen, und Raoul wandte mit Ekel seine Äugen ab. D’Artagnan sah sie nicht einmal; sein Haus mit dem gezackten First, mit den Fenstern voll von Neugierigen, erregte, verschlang sogar die ganze Aufmerksamkeit, der er fähig war.
Er erblickte auf dem Platz und um die Häuser her viele beurlaubte Musketiere, welche die einen mit Frauen, die anderenmit Freunden den Augenblick der Ceremonie erwarteten.
Ganz ungemein aber freute er sich, als er sah, daß sein Miethsmann, der Schenkwirth, vor Geschäften nicht wußte, wo ihm der Kopf stand.
Drei Kellner genügten nicht, um die Trinker zu bedienen. Es waren deren in der Bude, in den Zimmern, im Hof sogar.
D’Artagnan machte Raoul auf diesen Zustrom aufmerksam und fügte bei:
»Der Bursche wird keine Entschuldigung haben, um seinen Termin nicht zu bezahlen. Sieh alle diese Trinker, Raoul, man sollte glauben, es wären Leute von guter Gesellschaft. Mordioux! man findet keinen Platz hier.«
Es gelang indessen d’Artagnan, den, Patron bei der Ecke seiner Schürze zu erwischen und sich ihm zu erkennen zu geben.
»Ah! Herr Chevalier,« sagte der Schenkwirth halb außer sich, »ich bitte, einen Augenblick Geduld! ich habe in meinem Hause hundert Wüthende, die in meinem Keller das Unterste zu oberst kehren!
»Im Keller, gut, aber nicht in Eurer Kasse!«
»Oh! Herr, Eure sieben und dreißig, Pistolen liegen oben gezählt in meiner Stube, aber in eben dieser Stube sind dreißig Gesellen, welche ein Fäßchen Porto leeren, das ich diesen Morgen für sie angestochen habe . . . Gönnt mir nur eine Minute, eine einzige Minute!«
»Gut, gut.«
»Ich gehe,« sagte Raoul leise zu d’Artagnan, »dieser Jubel ist gemein!«
»Mein Herr,« entgegnete d’Artagnan mit strengem Ton, »Ihr werdet mir das Vergnügen machen, hier zu bleiben. Der Soldat muß sich an alle solche Schauspiele gewöhnen. Es gibt im Auge, wenn es jung ist, Fibern, die man abzuhärten wissen muß, und man ist wahrhaft edel und gut erst von dem Moment an, wo das Auge hart geworden und das Herz zart geblieben ist. Willst Du mich übrigens hier allein lassen, mein kleiner Raoul? Das wäre schlimm von Dir. Siehe, es ist hier ein Hof, und in diesem Hof ein Baum; komm in den Schatten, wir werden besser athmen, als in dieser warmen Atmosphäre vergossenen Weins.«
Von dem Orte aus, wo die zwei neuen Gäste des Bildes Unserer Lieben Frau Platz nahmen, hörten sie das immer mehr zunehmende Gemurmel der Volkswoge, und verloren weder einen Ruf, noch eine Geberde der Trinker, welche in der Schenke am Tische saßen, oder in den Zimmern zerstreut waren.
Hätte sich d’Artagnan als Vorposten bei einer Expedition aufstellen wollen, es könnte ihm nicht besser gelungen sein.
Der Baum, unter dem er mit Raoul saß, bedeckte Beide mit einem schon dichten Blätterwerk. Es war ein untersetzter Kastanienbaum mit herabhängenden Zweigen, der seinen schwarzen Schatten auf einen Tisch fallen ließ, welcher dergestalt zerbrochen war, daß die Trinker sich desselben zu bedienen verzichtet hatten.
Wir sagen, von diesem Posten aus habe d’Artagnan Alles gesehen. Er beobachtete das Hin- und Hergehen der Kellner, die Ankunft der neuen Gäste, den bald freundschaftlichen, bald feindseligen Empfang, der gewissen Ankömmlingen von gewissen schon Anwesenden zu Theil wurde. Er beobachtete, um die Zeit zu vertreiben, denn die sieben und dreißig Pistolen blieben sehr lange aus.
Raoul machte ihm hierüber eine Bemerkung.
»Mein Herr,« sagte er, »Ihr treibt Euren Miethsmann nicht zur Eile an, und sogleich werden die armen Sünder kommen. Es wird in diesem Augenblick ein solches Gedränge entstehen, daß wir nicht mehr hinaus können.«
»Du hast Recht, erwiederte der Musketier. »Hollah! ho! Mordioux, Ihr Leute!«
Doch er mochte immerhin schreien und auf die Trümmer des Tisches schlagen, die unter seiner Faust in Staub zerfielen, Niemand kam.
D’Artagnan schickte sich an. den Wirth selbst aufzusuchen, um ihn zu einer entscheidenden Erklärung zu zwingen, als die Thüre des Hofes, in dem er sich mit Raoul befand, eine Thüre, welche mit dem dahinter liegenden Garten in Verbindung stand, sich auf ihren verrosteten Angeln ächzend öffnete und ein als Reiter gekleideter Mann, das Schwert in der Scheide, aber nicht am Gürtel, aus dem Garten herein kam, den Hof durchschritt, ohne die Thüre zu schließen, und, nachdem er einen schiefen Blick auf d’Artagnan und seinen Gefährten geworfen hatte, sich nach der Schenke selbst wandte, indem er seine Augen, welche die Mauern und die Gewissen zu durchdringen schienen, überall umherlaufen ließ.
»Ah!« sagte d’Artagnan zu sich selbst, »meine Miethsleute stehen mit einander in Verbindung . . . Ah! das ist abermals ein Neugieriger, der das Henken sehen will.«
In demselben Augenblick hörten das Geschrei und der Lärmen in den oberen Zimmern auf. Die Stille setzt unter solchen Umständen ebenso sehr in Erstaunen, als eine Verdopplung des Geräusches. D’Artagnan wollte sehen, was die Ursache dieses plötzlichen Stillschweigens sei.
Er bemerkte, daß der Mann in Reitertracht in die Hauptstube eingetreten war und die Trinker haranguirte, welche alle mit ängstlicher Aufmerksamkeit horchten. D’Artagnan hätte vielleicht seine Rede ohne das beherrschende Geräusch der Ausrufungen des Volkes gehört, das ein furchtbares Accompagnement für die Worte des Redners bildete. Doch dieser war bald zu Ende, und alle Leute, welche die Schenke enthielt, gingen nach einander in kleinen Gruppen heraus, so jedoch, daß noch sechs im Zimmer zurückblieben. Der Eine von diesen sechs, der Mann mit dem Schwert, nahm den Schenkwirth bei Seite und beschäftigte ihn mit mehr oder minder ernsten Reden, während die Anderen ein großes Feuer im Kamin anzündeten. Ein seltsames Ding bei dem schönen Wetter und der Wärme!
»Es ist sonderbar,« sagte d’Artagnan zu Raoul; »doch ich kenne diese Gesichter.«
»Findet Ihr nicht, daß es hier nach Rauch riecht?« fragte Raoul.
»Ich finde vielmehr, daß es nach Verschwörung riecht,« erwiederte d’Artagnan.
Er hatte noch nicht vollendet, als vier von diesen Menschen in den Hof hinabgingen und sich, scheinbar ohne eine schlimme Absicht, als Wachen in der Gegend der Verbindungsthüre aufstellten, wobei sie in Zwischenräumen auf d’Artagnan Blicke warfen, welche vielerlei bezeichneten.
»Mordioux,« sagte d’Artagnan leise zu Raoul, »hier geht etwas vor. Bist Du neugierig, Raoul?«
»Je nachdem, Herr Chevalier.«
»Ich bin neugierig wie ein altes Weib. Komm ein wenig nach vorne, wir werden den Anblick des Platzes haben, und es ist Alles zu wetten, daß wir Interessantes sehen.«
»Aber Ihr wißt, Herr Chevalier, daß ich nicht leidender und gleichgültiger Zuschauer des Todes von zwei armen Sündern sein will.«
»Und ich! glaubst Du, ich sei ein Wilder? Wir gehen wieder herein, wenn es Zeit ist, herein zu gehen Komm!«
Sie gingen in das Vordergebäude und stellten sich an das Fenster, das, was noch seltsamer erscheinen mußte, als das Uebrige, unbesetzt geblieben war.
Statt durch dieses Fenster zu schauen, unterhielten die zwei letzten Trinker das Feuer.
Als sie d’Artagnan und Raoul eintreten sahen, murmelten sie:
»Ah! Verstärkung.«
D’Artagnan stieß Raoul mit dem Ellenbogen und sagte:
»Ja, meine Braven, Verstärkung; bei Gott! ein herrliches Feuer . . . Was wollt Ihr denn da kochen?«
Die zwei Männer schlugen ein lustiges Gelächter auf und legten, statt zu antworten, Holz zum Feuer.
»D’Artagnan konnte nicht müde werden, ihnen zuzuschauen.
»Hört,« sprach einer von den Heizern, »nicht wahr, man hat Euch zu uns geschickt, um uns den Augenblick zu sagen?«
»Allerdings,« antwortete d’Artagnan, da er wissen wollte, woran er sich zu halten hätte. »Warum wäre ich sonst hier, wenn nicht zu diesem Zweck?«
»Dann stellt Euch an’s Fenster, wenn es Euch beliebt, und beobachtet.«
D’Artagnan lächelte in seinen Schnurrbart, machte Raoul ein Zeichen und stellte sich willfährig an’s Fenster.
XX.
Die Grève bot in diesem Augenblick ein furchtbares Schauspiel.
Durch die Perspective gleich gemacht, erstreckten sich die Köpfe, dicht gedrängt und beweglich, wie die Aehren auf einer großen Ebene, nach der Ferne, Von Zeit zu Zeit machte ein unbekanntes Geräusch, ein entfernter Lärmen die Köpfe schwanken und Tausende von Augen flammen.
Zuweilen fanden große Fluthungen statt. Alle diese Aehren beugten sich, wurden Wellen, beweglicher als die des Oceans, rollten von den äußersten Enden gegen den Mittelpunkt und schlugen an die Reihe der Bogenschützen, welche den Galgen umgaben.
Dann senkten sich die Stiele der Hellebarden auf den Kopf oder auf die Schultern der verwegenen Stürmer; zuweilen war es auch das Eisen statt des Holzes, und in diesem Fall entstand ein weiter leerer Kreis um die Wachen, wobei die Extremitäten ebenfalls den Druck des plötzlichen Zurückfluthens, das sie gegen die Brüstungen der Seine warf, zu erleiden hatten.
Von seinem Fenster herab, wo man den ganzen Platz überschaute, sah d’Artagnan mit innerer Zufriedenheit, daß diejenigen Musketiere und Garden, welche in der Menge eingeschlossen waren, sich durch Schläge mit der Faust oder mit dem Schwertknopf Platz zu machen wußten. Er bemerkte sogar, daß es ihnen mit Hilfe des Corpsgeistes, der die Kräfte des Soldaten verdoppelt, gelungen war, sich in einer Gruppe von ungefähr fünfzig Mann zu vereinigen, und daß, abgesehen von einem Dutzend Verirrter, die er dahin und dorthin rollen sah, der Kern vollständig und im Bereiche der Stimme war. Doch nicht allein die Musketiere und die Garden zogen die Aufmerksamkeit von d’Artagnan auf sich. Um die Galgen her und besonders bei den Zugängen der Arcade Saint-Jean bewegte sich ein geräuschvoller, zänkischer, geschäftiger Wirbel; kecke Gesichter, entschlossene Mienen hoben sich an verschiedenen Stellen unter albernen Gesichtern und gleichgültigen Mienen hervor; Zeichen wurden ausgetauscht, Hände berührten sich. D’Artagnan bemerkte in den Gruppen, und sogar in den belebtesten Gruppen das Gesicht des Reiters, den er hatte durch die Verbindungsthüre seines Gartens eintreten sehen, und der zuerst hinaufgegangen war, um die Trinker zu haranguiren. Dieser Mann organisirte Abtheilungen und gab Befehle.
»Mordioux!« rief d’Artagnan, »ich täuschte mich nicht, ich kenne diesen Menschen, es ist Menneville. Was Teufels macht er hier?«
Ein dumpfes Gemurmel, das stufenweise immer deutlicher wurde, hemmte ihn in seiner Betrachtung und zog seine Blicke nach einer andern Seite. Dieses Gemurmel wurde durch die Ankunft der armen Sünder veranlaßt. Ein starkes Piquet Bogenschützen marschirte ihnen voran und erschien an der Ecke der Arcade. Die ganze Menge stieß alsbald Schreie aus und alle diese Schreie bildeten ein ungeheures Gebrülle.
D’Artagnan sah Raoul erbleichen und klopfte ihm auf die Schulter.
Bei diesem Gebrülle wandten sich die Heizer um und fragten, wie weit man wäre.
»Die Verurtheilten kommen,« sagte d’Artagnan.
»Gut,« erwiederten sie und belebten immer mehr die Flammen des Kamins.
D’Artagnan schaute ihnen unruhig zu. Diese Leute, welche ein solches Feuer ohne allen Nutzen machten, hatten offenbar besondere Absichten.
Die Verurtheilten erschienen auf dem Platz. Sie gingen zu Fuß, den Henker voran; fünfzig Bogenschützen marschirten zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken. Beide waren schwarz gekleidet, bleich, aber entschlossen.
Sie schauten ungeduldig über die Köpfe, indem sie sich bei jedem Schritt auf ihren Füßen erhoben.
D’Artagnan bemerkte diese Bewegung und sagte:
»Mordioux! sie haben große Eile, die Galgen zu sehen.«
Raoul wich zurück, ohne daß er die Stärke besaß, das Fenster ganz zu verlassen. Der Schrecken hat auch seine Anziehungskraft.
»Zum Tod! zum Tod!« riefen fünfzigtausend Stimmen.
»Ja, zum Tod!« brüllten hundert Wüthende, als hätte ihnen die große Masse das Stichwort gegeben.
»Zum Strang! zum Strang!« rief die Menge; »es lebe der König!«
»Nein! nein! keinen Galgen!« rief die Mehrzahl? »Es lebe Colbert!«
»Ah!« murmelte d’Artagnan, »das ist drollig, ich hätte nicht geglaubt, Herr von Colbert lasse sie hängen.«
In diesem Augenblick fand eine Fluthung statt, welche die Verurtheilten in ihrem Gang aufhielt.
Den Leuten mit kecker, entschlossener Miene, welche d’Artagnan bemerkte, war es durch Pressen, Stoßen und Drängen gelungen, sich beinahe bis zur Reihe der Bogenschützen vorwärts zu arbeiten.
Der Zug setzte sich wieder in Marsch.
Plötzlich warfen sich unter dem Geschrei: Es lebe Colbert! die Menschen, welche d’Artagnan nicht aus dem Gesichte verlor, auf das Geleite, das vergebens zu kämpfen suchte. Hinter diesen Menschen war die Menge.
Da begann unter dem wüthendsten Lärmen ein gräßliches Getümmel.
Nun war es etwas Anderes, als Schreie der Erwartung oder Freudenschreie, es waren Schmerzensschreie.
Die Hellebarden schlugen, die Schwerter durchbohrten, man feuerte mit Musketen.
Es entstand ein seltsamer Wirbel, unter dem d’Artagnan nichts mehr sah.
Dann erhob sich aus diesem Chaos plötzlich etwas wie eine offenbare Absicht, wie ein entschiedener Wille.
Die Verurtheilten wurden den Händen der Wachen entrissen, und man schleppte sie nach dem Hause zum Bilde Unserer Lieben Frau.
Diejenigen, welche sie fortschleppten, riefen: »Es lebe Colbert!«
Das Volk zauderte, denn es wußte nicht, ob es über die Bogenschützen oder über die Angreifer herfallen sollte.
Was das Volk aufhielt, war der Umstand, daß diejenigen, welche riefen: »Es lebe Colbert!« zu gleicher Zeit zu schreien anfingen: »Keinen Strang! nieder mit dem Galgen! in’s Feuer! in’s Feuer! verbrennen wir die Diebe! verbrennen wir die Aushungerer!«
Gemeinschaftlich ausgestoßen, wurde dieser Schrei mit der größten Begeisterung ausgenommen.
Der Pöbel war gekommen, um eine Hinrichtung anzusehen, und nun bot man ihm Gelegenheit, selbst eine vorzunehmen.
Nichts konnte dem Pöbel angenehmer sein. Er trat auch sogleich der Partei der Angreifer gegen die Bogenschützen bei und schrie mit der Minderzahl, welche durch ihn eine äußerst compacte Mehrzahl wurde:
»Ja, ja, in’s Feuer die Diebe! Es lebe Colbert!«
»Mordioux!« rief d’Artagnan, »mir scheint, das wird ernst.«
Einer von den Männern, die sich beim Kamin aufhielten, näherte sich, seinen Brand in der Hand, dem Fenster.
»Ah! ah!« sagte er, »es wird warm.« Dann sich gegen seinen Gefährten umwendend: »Man gibt das Signal!« Und plötzlich legte er seinen Feuerbrand an ein Täfelwerk.
Die Schenke zum Bilde Unserer Lieben Frau war kein ganz neues Haus; es ließ sich auch nicht lange bitten, um Feuer zu sangen.
In einer Secunde krachen die Bohlen und die Flamme steigt knisternd empor.
Ein Gebrüll von Außen antwortet auf das Geschrei, das die Mordbrenner ausstoßen.
D’Artagnan, der nichts gesehen hat, weil er nach dem Platze schaut, fühlt zugleich den Rauch, der ihm den Athem versetzt, und die Flamme, die ihn brennt.
»Holla!« ruft er, sich umwendend, »das Feuer Ist hier? seid Ihr Narren oder Wüthende, Ihr Bursche?«
Die zwei Männer schauen ihn mit erstaunter Miene an und entgegnen:
»Wie! ist das nicht verabredet?«
»Verabredet, daß Ihr mein Haus verbrennt!« schreit d’Artagnan, indem er den Feuerbrand aus den Händen des Mordbrenners reißt und ihm in’s Gesicht schlägt.
Der Zweite will seinem Kameraden Hilfe leisten, doch Raoul packt ihn, hebt ihn auf und wirft ihn durch das Fenster, während d’Artagnan seinen Gefährten die Stufen hinabschleudert.
Raoul, der zuerst frei ist, reißt das Täfelwerk ab und wirft es, ganz rauchend, ebenfalls aus dem Fenster.
Mit einem Blick gewahrt d’Artagnan, daß für den Brand nichts mehr zu befürchten ist, und läuft an’s Fenster.
Die Verwirrung hat den höchsten Grad erreicht. Man schreit zugleich: »In’s Feuer! Schlagt sie todt! An den Galgen! Auf den Scheiterhaufen!«
Die Gruppe, welche die Verurtheilten den Händen der Bogenschützen entreißt, nähert sich dem Haus, das das Ziel zu sein scheint, nach dem man sie fortschleppt.
Menneville ist an der Spitze der Gruppe und schreit lauter als irgend Jemand:
»In’s Feuer! in’s Feuer! Es lebe Colbert!«
D’Artagnan fängt an zu begreifen. Man will die Verurtheilten verbrennen, und sein Haus ist der Scheiterhaufen, den man ihnen bereitet.
»Halt!« schreit er, den Degen in der Faust und einen Fuß auf dem Fenster. »Menneville, was wollt Ihr?«
»Herr d’Artagnan,« erwiedert dieser, »laßt uns durch, laßt uns durch!«
»In’s Feuer! in’s Feuer mit den Dieben! Es lebe Colbert!« schreit die Menge.
Dieses Geschrei bringt d’Artagnan außer sich.
»Mordioux!« ruft er, »die armen Teufel verbrennen, die nur zum Strang veurtheilt sind, das ist schändlich!«
Mittlerweil, wird die gegen die Wände zurückgedrängte Masse der Neugierigen immer dichter und verschließt den Weg,
Menneville und seine Leute, welche die Verurtheilten fortschleppen, sind nur noch zehn Schritte von der Thüre.
Menneville strengt seine letzten, Kräfte an.
»Gebt Raum! gebt Raum!« ruft er, die Pistole in der Faust.
»Verbrennen wir sie,« wiederholt die Menge. »Das Bild Unserer Lieben Frau ist in Brand gesteckt, . . . Verbrennen wir die Diebe! . . . Verbrennen wir die Aushungerer im Bilde Unserer Lieben Frau!«
Diesmal unterliegt es keinem Zweifel mehr, man will an das Haus von d’Artagnan.
D’Artagnan erinnert sich des alten Rufes, den er immer mit so großer Wirksamkeit von sich gegeben.
»Herbei! Ihr Musketiere! . . . « brüllt er mit einer Riesenstimme, mit einer von jenen Stimmen, welche den Kanonendonner, das Tosen des Meeres, den Sturm beherrschen; »herbei, Ihr Musketiere!«
Und er hängt sich mit dem Arm an den Balcon und läßt sich in die Menge hinabfallen, die alsbald von dem Hause zurückweicht, von dem es Menschen regnet.
Raoul ist beinahe ebenso rasch auf dem Boden. Beide haben das Schwert in der Hand.
Alles, was sich an Musketieren aus dem Platze findet, hat den Ruf gehört; Alle haben sich bei dem Ruf umgedreht und d’Artagnan erkannt.
»Zum Kapitän! zum Kapitän!«, schreien sie.
Und die Menge öffnet sich vor ihnen, wie vor dem Vordertheil eines Schiffes,
In diesem Augenblick stehen d’Artagnan und Menneville einander gegenüber.
»Gebt Raum! gebt Raum!« ruft Menneville, der sieht, daß er nur noch den Arm auszustrecken hat, um die Thüre zu berühren.
»Keinen Schritt weiter!« erwiedert d’Artagnan.
»Hier,« spricht Menneville, und drückt seine Pistole kaum ein paar Spannen von der Brust von d’Artagnan los.
Doch ehe sich das Feuerrad gedreht, hat d’Artagnan Menneville die Pistole mit dem Griff seines Degens in die Höhe geschlagen und ihm mit der Klinge den Leib durchbohrt.
»Ich sagte es Dir wohl, Du sollest Dich ruhig verhalten,« sprach d’Artagnan zu Menneville, der sich zu seinen Füßen wälzte.
»Gebt Raum!« rufen die Gefährten von Menneville, Anfangs erschrocken, bald aber beruhigt, da sie wahrnehmen, daß sie es nur mit zwei Männern zu thun haben.
Doch diese zwei Männer sind zwei hundertarmige Riesen; der Degen bewegt sich in ihren Händen wie das flammende Schwert des Erzengels; er durchlöchert mit der Spitze, schlägt mit der Schneide und mit der Fläche. Jeder Schlag wirft seinen Mann nieder.
»Für den König!« ruft d’Artagnan bei jedem Mann, den er trifft, d. h. bei jedem, der niederstürzt.
»Für den König!« wiederholt Raoul.
Dieser Ruf wird das Feldgeschrei der Musketiere, die sich, durch dasselbe geleitet, um d’Artagnan versammeln.
Während dieser Zeit erholen sich die Bogenschützen von dem Schrecken, der sie ergriffen hat, sie stürzen gegen die Angreifer los und schlagen und treten, regelmäßig wie Mühlräder, Alles nieder, was ihnen begegnet.
Die Menge, welche die Schwerter wieder glänzen und die Bluttropfen in die Luft spritzen sieht, die Menge entflieht und zermalmt sich selbst.
Endlich erschallt das Geschrei um Gnade, das Geschrei der Verzweiflung, das ist der Abschied der Besiegten.
Die zwei Verurtheilten sind wieder in die Hände der Bogenschützen gefallen. D’Artagnan nähert sich ihnen und spricht, da er sie bleich und sterbend sieht:
»Tröstet Euch, Ihr armen Leute, Ihr werdet die Strafe nicht erdulden, mit der Euch diese Elenden bedrohen. Der König hat Euch zum Strang verurtheilt. Man wird Euch nur henken. Man hänge sie auf, und damit ist es genug.«
Am Bilde Unserer Lieben Frau ist Alles vorbei. Man hat das Feuer in Ermangelung von Wasser mit zwei Tonnen Wein gelöscht. Die Verschworenen sind durch den Garten entflohen.
Die Bogenschützen schleppen die Verurtheilten nach dem Galgen fort . . . . .
Von diesem Augenblick an währt die Sache nicht mehr lange. Der Nachrichter ist nicht besorgt, nach den Formen der Kunst zu Werke zu gehen; er beeilt sich und expedirt die zwei Unglücklichen in einer Minute.
Man drängt sich indessen um d’Artagnan; man beglückwünscht ihn, man schmeichelt ihm. Er trocknet seine von Schweiß triefende Stirne, sein von Blut triefendes Schwert ab, und zuckt die Achseln, da er Menneville sich in den letzten Convulsionen des Todeskampfes zu seinen Füßen krümmen sieht. Und während Raoul seine Augen mitleidig abwendet, zeigt er den Musketieren die mit ihren traurigen Früchten beladenen Galgen und spricht:
»Arme Teufel! ich hoffe, sie sind mich segnend gestorben, denn ich habe ihnen große Unannehmlichkeiten erspart.«
Diese Worte erreichen Menneville in dem Augenblick, wo er den letzten Seufzer von sich zu geben im Begriff ist. Ein düsteres, höhnisches Lächeln schwebt über seine Lippen. Er will antworten, doch die Anstrengung, die er macht, zerreißt vollends seinen Lebensfaden, und er verscheidet.
»Oh! dies Alles ist gräßlich,« spricht Raoul! »gehen wir, Herr Chevalier.«
»Du bist nicht verwundet?« fragte d’Artagnan.
»Ich danke, nein.«
»Mordioux! Du bist ein Braver! Das ist der Kopf des Vaters und der Arm von Porthos. Ah! wenn Porthos hier gewesen wäre, Du hättest schöne Dinge von ihm sehen können!«
Dann in der Weise einer Erinnerung murmelt d’Artagnan:
»Aber wo Teufels kann er sein, dieser brave Porthos?«
»Kommt, Chevalier, kommt,« wiederholt Raoul.
»Nur noch eine Minute, mein Freund, daß ich meine siebenunddreißig Pistolen einziehen kann, und Ich gehöre Dir. Das Haus wirst einen guten Ertrag ab,« fügt d’Artagnan, in die Schenke zum Bilde Unserer Lieben Frau zurückkehrend, bei; »doch sollte es auch minder einträglich sein, so würde ich es doch vorziehen, wenn es in einem andern Quartiere läge.«
XXI.
Während diese geräuschvolle und blutige Scene auf der Grève vorfiel, steckten mehrere hinter der Verbindungsthüre des Gartens verrammelte Männer ihre Degen in die Scheide, halfen einem von ihnen sein gesatteltes Pferd, das im Garten wartete, besteigen, und entflohen wie ein Schwarm erschrockener Vögel in allen Richtungen, die Einen, indem sie die Mauern erkletterten, die Andern, indem sie mit der ganzen Hitze eines panischen Schreckens nach den Thüren stürzten.
Derjenige, welcher das Pferd bestieg und es die Sporen mit einer solchen Heftigkeit fühlen ließ, daß dieses Thier beinahe über die Mauer gesetzt hätte, ritt über die Place Baudoyer, jagte wie ein Blitz durch die Menge, warf Alles nieder, was ihm in den Weg kam, und erreichte zehn Minuten nachher die Thüre der Oberintendanz athemloser als sein Roß.
Bei dem Schall des Hufschlags auf dem Pflaster erschien der Abbé Fouquet an einem Fenster des Hofes und fragte, ehe der Reiter den Fuß auf die Erde gesetzt hatte:
»Nun, Danicamp?«
»Es ist vorbei!« antwortete der Reiter.
»Vorbeil« rief der Abbé, »sie sind also gerettet?«
»Nein, Herr,« entgegnete der Reiter, »sie sind gehenkt.«
»Gehenkt!« wiederholte der Abbé erbleichend.
Eine Seitenthüre öffnete sich plötzlich und Fouquet erschien im Zimmer, bleich, bestürzt, die Lippen halb geöffnet durch einen Schrei des Schmerzes und des Zorns.
Er blieb auf der Schwelle stehen und horchte auf das, was vom Hofe aus nach dem Fenster gesagt wurde.
»Elende!« rief der Abbé , »Ihr habt Euch also nicht geschlagen!«
»Wie die Löwen.«
»Sagt wie Feige.«
»Herr!«
»Hundert Kriegsmänner sind, das Schwert in der Hand, bei einem Ueberfall so viel werth, als zehntausend Bogenschützen. Wo ist Menneville, dieser Prahler, dieser Großsprecher, der sterben oder als Sieger zurückkehren sollte?«
»Herr, er hat sein Wort gehalten. Er ist todt.«
»Todt! wer hat ihn getödtet?«
»Ein als Mensch verkleideter Teufel, ein mit zehn flammenden Schwertern bewaffneter Riese, ein Wüthender, der mit einem einzigen Schlag das Feuer, den Aufruhr gelöscht und hundert Musketiere aus dem Pflaster der Grève hervorspringen gemacht hat.«
Fouquet erhob seine ganz von Schweiß triefende Stirne und murmelte:
»Oh! Lyodot, d’Emeris! todt! todt! todt! und ich entehrt!«
Der Abbé wandte sich um und sprach, als er seinen niedergeschmetterten, leichenbleichen Bruder erblickte:
»Ruhig! ruhig! das ist ein Schlag des Schicksals, Herr, und Ihr müßt nicht so klagen. Da man es nicht zu Stande bringen konnte, so wollte Gott . . . «
»Schweigt, Abbé! schweigt!« rief Fouquet, »Eure Entschuldigungen sind Blasphemien. Laßt diesen Mann heraufkommen und die einzelnen Umstände des furchtbaren Ereignisses erzählen.«
»Aber, mein Bruder . . . «
»Gehorcht, mein Herr.«
Der Abbé machte ein Zeichen, und eine halbe Minute nachher hörte man die Tritte des Mannes auf der Treppe.
Zu gleicher Zeit erschien hinter Fouquet Gourville, dem Schutzengel des Intendanten ähnlich, und legte einen Finger auf seine Lippen, um ihn zu ermahnen, er möge sich auch unter den Aufwallungen seines Schmerzes in Acht nehmen.
Der Minister nahm wieder die ganze Heiterkeit au, welche die menschlichen Kräfte zur Verfügung eines durch den Schmerz halb gebrochenen Herzens lassen können.
Danicamp erschien.
»Macht Eure Meldung,« sagte Gourville.
»Herr,« antwortete der Bote, »wir hatten Befehl erhalten, die Gefangenen zu entführen und während der Entführung: Es lebe Colbert! zu rufen.«
»Um sie lebendig zu verbrennen, nicht wahr. Abbé?« unterbrach Gourville.
»Ja! ja! man hatte Menneville den Befehl gegeben. Menneville wußte, was zu thun war, und Menneville ist todt.«
Diese Nachricht schien Gourville zu beruhigen, statt ihn zu betrüben.
»Um sie lebendig zu verbrennen,« wiederholte der Bote, als bezweifelte er die Aechtheit dieses Befehls, obgleich es der einzige war, den man ihm gegeben.
»Gewiß, um sie lebendig zu verbrennen,« sagte der Abbé mit barschem Ton.
»Einverstanden, mein Heer, einverstanden,« sprach der Mann, indem er mit den Augen auf dem Gesichte von Gourville und vom Abbé suchte, was es Trauriges oder Vortheilhaftes für ihn haben dürfte, wenn er der Wahrheit gemäß erzählen würde.
»Sprecht nun,« sagte Gourville.
»Die Gefangenen,« fuhr Danicamp fort, »sollten also nach der Grève gebracht werden, und das wüthende Volk wollte, daß man sie verbrenne, statt sie zu henken.«
»Das Volk hatte Recht,« sagte der Abbé; »fahrt fort.«
»Aber,« erzählte der Mann, »in dem Augenblick, wo die Bogenschützen zurückgedrängt worden waren, wo das Feuer in einem Hause des Platzes fing, das als Scheiterhaufen für die Schuldigen zu dienen bestimmt war, warf ein Wüthender, jener Dämon, jener Riese, von dem ich sprach, und der der Eigenthümer des fraglichen Hauses, wie ich höre, war, unterstützt von einem jungen Mann, der ihn begleitete, die Leute, welche das Feuer belebten, aus dem Fenster, rief die Musketiere zu Hilfe, die sich unter der Menge befanden, sprang selbst aus dem ersten Stock auf den Platz, und spielte so verzweiflungsvoll mit dem Degen, daß der Sieg den Bogenschützen wieder verliehen, die Gefangenen uns wieder entrissen wurden, und daß Menneville den Tod sand. Sobald die Anderen die Verurtheilten wieder genommen hatten, waren sie in drei Minuten hingerichtet.«
Fouquet ließ trotz seiner Selbstbeherrschung unwillkührlich einen dumpfen Seufzer entschlüpfen.
»Und dieser Mensch, der Eigenthümer des Hauses, wie heißt er?« fragte der Abbé.
»Ich vermag es Euch nicht zu sagen, da ich ihn nicht gesehen; mein Posten war mir im Garten angewiesen, und ich blieb an meinem Posten; man hat mir die Geschichte nur erzählt. Es wurde mir befohlen, sobald die Sache vorüber wäre, Euch in aller Eile zu melden, wie sie geendigt. Nach dem Befehl jagte ich im Galopp fort, und hier bin ich.«
»Sehr gut, mein Herr, wir haben nichts Anderes von Euch zu verlangen,« sagte der Abbé immer mehr niedergebeugt, je mehr der Augenblick herannahte, wo er mit seinem Bruder allein sein sollte.
»Man hat Euch bezahlt?« fragte Gourville.
»Ich habe eine Abschlagszahlung erhalten,« antwortete Danicamp.
»Hier sind zwanzig Pistolen, geht, mein Herr, und vergeßt nicht, wie diesmal so immer die wahren Interessen des Königs zu vertheidigen.«
»Ja, Herr,« sprach der Bote.
Und er steckte, das Geld in die Tasche, verbeugte sich und ging ab.
Kaum war er außen, als Fouquet, der unbeweglich geblieben, mit raschem Schritt vortrat und dem Abbé und Gourville gegenüberstand.
Beide öffneten zu gleicher Zeit den Mund, um zu sprechen.
»Keine Entschuldigungen!« sagte Fouquet, »keine Vorwürfe gegen irgend Jemand . . . wäre ich nicht ein falscher Freund gewesen, so hätte ich Niemand die Sorge, Lyodot und d’Emeris zu retten, anvertraut. Ich allein bin der Schuldige, mir allein gebühren die Vorwürfe und die Gewissensbisse. Laßt mich, Abbé.«
»Aber, mein Herr,« entgegnete dieser, »Ihr werdet mich nicht abhalten, daß ich den Elenden suchen lasse, der sich für den Dienst von Herrn Colbert in diese so gut vorbereitete Partie gemischt hat; denn wenn es eine gute Politik ist, seine Freunde sehr zu lieben, so ist offenbar diejenige keine schlechte, welche darin besteht, daß man seine Feinde mit aller Erbitterung verfolgt.«
»Laßt die Politikchen, Abbé, geht, ich bitte Euch, und daß ich bis auf neuen Befehl nicht mehr von Euch sprechen höre; mir scheint, wir bedürfen ungemein des Stillschweigens und der Umsicht. Ihr habt ein furchtbares Beispiel vor Euch. Keine Repressalien, mein Herr, ich verbiete es Euch.«
»Es gibt keine Befehle, die mich verhindern, die Schmach, die man meiner Familie angethan, an dem Schuldigen zu rächen.«
»Und ich,« rief Fouquet mit jener gebieterischen Stimme, bei der man fühlt, daß sich nichts erwiedern läßt, »und ich erkläre Euch, daß ich Euch, wenn Ihr einen einzigen Gedanken habt, der nicht der entschiedene Ausdruck meines Willens ist, zwei Stunden, nachdem dieser Gedanke sich kundgegeben, in die Bastille werfen lasse. Richtet Euch darnach, Abbé.«
Der Abbé verbeugte sich erröthend.
Fouquet hieß Gourville durch ein Zeichen ihm folgen, und schon wandte er sich nach seinem Cabinet, als der Huissier mit lauter Stimme meldete:
»Der Herr Chevalier d’Artagnan.«
»Wer ist das?« fragte Fouquet mit gleichgültigem Tone Gourville.
»Ein ehemaliger Lieutenant der Musketiere Seiner Majestät,« antwortete Gourville mit demselben Ton.
Fouquet nahm sich nicht einmal die Mühe, nachzudenken, und ging weiter.
»Verzeiht, Monseigneur!« sagte nun Gourville, »es fällt mir ein, dieser brave Bursche hat den Dienst des Königs verlassen, und kommt ohne Zweifel, um das Quartal von irgend einer Pension zu erheben.«
»Zum Teufel! erwiederte Fouquet, »warum wählt er seine Zeit so schlecht!«
»Erlaubt, Monseigneur, daß ich ihm ein Wort der Weigerung sage, denn er ist einer meiner Bekannten, und es ist ein Mann, den man unter den Umständen, in welchen wir uns befinden, lieber zum Freund als zum Feind hat.«
»Antwortet ihm Alles, was Ihr wollt,« sagte Fouquet.
»Ei! mein Gott!« rief der Abbé voll Groll, wie ein Mann der Kirche, »antwortet ihm, es gebe kein Geld, besonders keines für die Musketiere.«
Doch der Abbé hatte nicht sobald dieses unvorsichtige Wort von sich gegeben, als die halbgeöffnete Thüre gänzlich geöffnet wurde und d’Artagnan erschien.
»Ei! Herr Fouquet,« sagte er, »ich wußte wohl, es gebe kein Geld für die Musketiere. Ich kam auch nicht, um mir geben, sondern vielmehr um mir verweigern zu lassen. Das ist geschehen, ich danke. Ich sage Euch guten Morgen und hole mir bei Herrn Colbert.«
Und nachdem er sich leicht verbeugt, ging er wieder hinaus.
»Gourville!« rief Fouquet, »lauft diesem Mann nach und bringt ihn mir zurück.«
Gourville gehorchte, und holte d’Artagnan auf der Treppe ein.
Als d’Artagnan Tritte hinter sich hörte, wandte er sich um und erblickte Gourville.
»Mordioux, mein lieber Herr,« sagte er, »Ihr Leute von den Finanzen habt sonderbare Manieren. Ich komme zu Herrn Fouquet, um eine von Seiner Majestät angewiesene Summe zu erheben, und man empfängt mich wie einen Bettler, der ein Almosen fordern, oder wie einen Spitzbuben, der Silberzeug stehlen will.«
»Aber Ihr habt den Namen von Herrn Colbert ausgesprochen, lieber Herr d’Artagnan; Ihr habt gesagt, Ihr würdet zu Herrn Colbert gehen?«
»Gewiß gehe ich zu ihm, und wäre es nur, um Genugthuung wegen der Leute zu verlangen, welche unter dem Ruf: Es lebe Colbert! die Häuser niederbrennen wollen.«
Gourville spitzte die Ohren.
»Oho!« sagte et, »Ihr spielt auf das an, was auf der Grève vorgefallen ist.«
»Allerdings.«
»Was liegt Euch an dem, was geschehen?«
»Wie! Ihr fragt mich, was mir daran liege, oder nicht daran liege, daß Herr Colbert aus meinem Haus einen Scheiterhaufen machen läßt?«
»Euer Haus also . . . es war Euer Haus, das man niederbrennen wollte?«
»Bei Gott!«
»Die Schenke zum Bilde Unserer Lieben Frau gehört Euch?«
»Seit acht Tagen.«
»Ihr seid also der brave Kapitän, der muthige Degen, der diejenigen, welche das Haus verbrennen wollten, zerstreut hat.«
»Mein lieber Herr Gourville, setzt Euch an meine Stelle; ich bin Agent der öffentlichen Gewalt und Hauseigenthümer. Als Kapitän habe ich die Pflicht, die Befehle des Königs zu vollziehen. Als Eigenthümer habe ich das Interesse, daß ich mein Haus nicht niederbrennen lasse. Ich befolgte also zugleich die Gesetze meiner Interessen und der Pflicht, indem ich die Herren Lyodot und d’Emeris wieder in die Hände der Bogenschützen brachte.«
»Ihr habt also einen Mann aus dem Fenster geworfen?«
»Ich selbst,« antwortete d’Artagnan bescheiden.
»Ihr habt Menneville getödtet?«
»Ich habe dieses Unglück gehabt,« erwiederte d’Artagnan, indem er sich verbeugte, wie ein Mensch, den man beglückwünscht.
»Ihr habt es bewirkt, daß die zwei Verurtheilten gehenkt worden sind?«
»Statt verbrannt zu werden, ja, mein Herr, und ich rühme mich dessen. Ich habe diese armen Teufel gräßlichen Qualen entrissen. Begreift Ihr, mein lieber Herr Gourville, daß man sie lebendig verbrennen wollte? Das übersteigt jede Einbildungskraft.«
»Geht, mein lieber Herr d’Artagnan, geht,« sagte Gourville, der Fouquet den Anblick eines Mannes ersparen wollte, welcher ihm einen so tiefen Schmerz verursacht hatte.
»Nein,« sprach Fouquet, der von der Thüre des Vorzimmers Alles gehört hatte, »nein, Herr d’Artagnan, kommt im Gegentheil.«
D’Artagnan wischte vom Knopf seines Degens eine letzte Blutspur ab, die ihm bei der Untersuchung entgangen war, und kehrte zurück.
Nun stand er den drei Männern gegenüber, deren drei Gesichter drei sehr verschiedenartige Ausdrücke zeigten; bei dem Abbé war es der des Zorns, bei Gourville der des Erstaunens, bei Fouquet der der Niedergeschlagenheit.
»Verzeiht, Herr Minister,« sagte d’Artagnan, »aber meine Zeit ist gemessen, ich muß zur Intendanz gehen, um mich mit Herrn Colbert zu erklären und mein Quartal zu beziehen.«
»Aber, mein Herr, es ist hier Geld,« erwiederte Fouquet,
D’Artagnan schaute den Oberintendanten erstaunt an.
»Man hat Euch leichthin geantwortet, mein Herr, ich weiß es und habe es gehört; ein Mann von Eurem Verdienst müßte Jedermann bekannt sein.«
D’Artagnan verbeugte sich.
»Ihr habt eine Anweisung?« fragte Fouquet.
»Ja, mein Herr.«
»Gebt, ich will sie Euch selbst ausbezahlen; kommt.«
Er machte Gourville und dem Abbé ein Zeichen, und diese blieben in dem Zimmer, wo sie waren, indeß er d’Artagnan in sein Cabinet führte.
Sobald er hier war, sagte er:
»Wie viel habt Ihr gut?«
»Ungefähr fünftausend Livres.«
»Als rückständigen Sold?«
»Als Quartal.«
»Ein Quartal von fünftausend Livres!« rief Fouquet, indem er einen tiefen Blick auf den Musketier heftete; »der König gibt Euch also jährlich zwanzigtausend Livres?«
»Ja, Monseigneur, zwanzig tausend Livres; findet Ihr das zu viel?«
»Ich!« versetzte Fouquet bitter lächelnd. »Wenn ich mich auf die Menschen verstehen würde, wenn ich statt eines leichtsinnigen, inconsequenten, eitlen Geistes ein kluger, überlegter Geist wäre, mit einem Wort, wenn ich mein Leben wie gewisse Leute geordnet hätte, würdet Ihr nicht zwanzigtausend Livres jährlich, sondern hunderttausend erhalten, und Ihr gehörtet nicht dem König, sondern mir.«
D’Artagnan erröthete leicht.
Es liegt in der Art und Weise, wie man das Lob spendet, in der Stimme der Lobenden, in dein wohlwollenden Ausdruck ein so süßes Gift, daß der Stärkste oft davon berauscht wird.
Der Oberintendant schloß diese Rede, indem er ein Schubfach öffnete und daraus vier Rollen nahm, die er vor d’Artagnan legte.
D’Artagnan wog eine und sagte:
»Gold!«
»Das wird Euch am mindesten beschweren.«
»Aber dann macht das zwanzigtausend Livres?«
»Allerdings.«
»Man ist mir jedoch nur fünftausend schuldig.«
»Ich will Euch die Mühe, viermal zur Oberintendanz zu gehen, ersparen.«
»Ihr seid allzu gütig.«
»Ich thue, was ich thun soll, Herr Chevalier, und ich hoffe, Ihr werdet keinen Groll gegen mich wegen des Empfangs bewahren, der Euch von meinem Bruder zu Theil geworden. Er ist ein Mensch von herbem, launenhaftem Wesen.«
»Monseigneur,« erwiederte d’Artagnan, »glaubt mir, daß mich nichts mehr ärgern könnte, als eine Entschuldigung von Euch.«
»Ich werde mich auch nicht mehr entschuldigen und Euch nur noch um eine Gefälligkeit bitten.«
»Oh! Herr!«
Fouquet zog von seinem Finger einen Diamant ungefähr im Werth von tausend Pistolen und sprach:
»Mein Herr,, dieser Stein hier wurde mir von einem Jugendfreund geschenkt, von einem Mann, dem Ihr einen großen Dienst geleistet habt.«
Die Stimme von Fouquet bebte merklich.
»Ich! einen Dienst!« versetzte der Musketier; »ich habe einem Eurer Freunde einen Dienst geleistet!«
»Ihr könnt ihn nicht vergessen haben, mein Herr, denn es ist erst heute geschehen.«
»Und dieser Freund heißt?«
»D’Emeris.«
»Einer von den Verurtheilten?«
»Ja, eines von den Opfern. Nun, Herr d’Artagnan, ich bitte Euch, für den Dienst, den Ihr ihm geleistet, diesen Diamant annehmen zu wollen. Thut es mir zu Liebe.«
»Monseigneur . . . «
»Nehmt es an, sage ich Euch. Ich habe heute einen Trauertrag, später werdet Ihr das vielleicht erfahren; heute habe ich einen Freund verloren, nun! ich versuche es, einen andern zu finden.«
»Aber, Herr Fouquet . . . «
»Lebt wohl, Herr d’Artagnan,« rief Fouquet, das Herz angeschwollen, »oder vielmehr auf Wiedersehen!«
Und der Minister entfernte sich rasch aus seinem Cabinet und ließ in den Händen des Musketiers den Ring und die zwanzig tausend, Livres.
»Hol ho!« sagte d’Artagnan nach einem Augenblick düsteren Nachdenkens . . . »Wie soll ich das begreifen? Mordioux! wenn ich es begreife, ist das ein sehr galanter Mann . . . Ich will es mir von Herrn Colbert erklären lassen!«
Und er ging hinaus.
XXII.
Herr Colbert wohnte in der Rue Neuve des Petits-Champs, in einem Hause, das Beautru gehört hatte.
Die Beine von d’Artagnan legten den Weg in einer kleinen Viertelstunde zurück.
Als er zu dem neuen Günstling kam, war der Hof voll von Bogenschützen und Polizeileuten, welche hier erschienen, entweder um Glück zu wünschen, oder um sich zu entschuldigen, je nachdem er das Lob oder den Tadel wählen würde. Das Gefühl der Schmeichelei ist instinctartig bei den Leuten von verächtlicher Lebensstellung; sie haben diesen Sinn, wie das wilde Thier den des Geruchs oder des Gehörs hat. Diese Leute, oder vielmehr ihr Anführer hatte begriffen, man würde Herrn Colbert ein Vergnügen machen, wenn man ihm meldete, auf welche Art sein Name während des Gemenges ausgesprochen worden.
D’Artagnan traf gerade in dem Augenblick ein, wo der Anführer der Schaarwache seinen Bericht erstattete. D’Artagnan blieb bei der Thüre hinter den Bogenschützen stehen.
Dieser Officier nahm Colbert bei Seite, trotz seines Widerstandes und obgleich er seine dicken Augenbrauen zusammenzog..
»Mein Herr,« sagte er, »falls Ihr wirklich gewünscht hättet, daß das Volk Gerechtigkeit an den zwei Verräthern übe, wäre es weise gewesen, uns davon in Kenntnis zu setzen, denn trotz unseres Schmerzes, Euch zu mißfallen oder Euren Ansichten entgegenzuhandeln, hatten wir am Ende unsern Befehl zu vollziehen.«
»Dreifacher Dummkopf!« erwiederte Colbert wüthend, indem er seine buschigen, rabenschwarzen Haare schüttelte, »was erzählt Ihr mir da! Wie! ich sollte, die Idee einer Meuterei gehabt haben! Seid Ihr ein Narr, oder betrunken!«
»Aber, mein Herr, man rief: »»Es lebe Colbert!« entgegnete der Anführer der Schaarwache.
»Eine Hand voll Verschwörer . . . «
»Nein, nein, eine Volksmasse.«
»Oh! wahrhaftig,« sagte Colbert mit freudigem Gesicht; »eine Volksmasse rief: »»Es lebe Colbert!«« Seid Ihr dessen, was Ihr mir erzählt, sicher, mein Herr?«
»Man hatte nur die Ohren zu öffnen, oder vielmehr zu schließen, so furchtbar war das Geschrei.«
»Und Ihr sagt, es sei Volk, wahres Volk gewesen?«
»Gewiß, Herr; nur hat uns dieses wahre Volk geschlagen.«
»Oh! sehr gut,« fuhr Colbert, ganz sich seinen Gedanken überlassend, fort. »Ihr denkt also, das Volk allein habe die Verurtheilten verbrennen wollen?«
»Oh! ja, Herr.«
»Das ist etwas Anderes . . . Ihr habt also kräftig Widerstand geleistet?«
»Drei von unseren Leuten sind erstickt worden.«
»Ihr habt wenigstens Niemand getödtet?«
»Es sind einige Meuterer auf dem Platze geblieben, darunter einer, der kein gewöhnlicher Mensch war.«
»Wer?«
»Ein gewisser Menneville, auf den die Polizei längst ein wachsames Auge hatte.«
»Menneville!« rief Colbert, »derjenige, welcher in der Rue de la Huchette einen braven Mann, der ein fettes Huhn verlangte, getödtet hat?«
»Ja, Herr, derselbe.«
»Und dieser Menneville rief auch: Es lebe Colbert! er auch?«
»Stärker als alle Andere . . . . wie ein Wüthender.«
Die Stirne von Colbert wurde wolkig und überzog sich mit Runzeln. Die Glorie des Ehrgeizes, welche sein Gesicht beleuchtete, erlosch wie das Feuer der Johanniswürmchen, die man unter dem Gras zertritt.
»Was sagtet Ihr denn,« sprach der enttäuschte Intendant, »die Initiative sei vom Volk gekommen? Menneville war mein Feind, ich hätte ihn henken lassen, er wußte es wohl; Menneville war im Solde des Abbé Fouquet . . . die ganze Sache kommt von Fouquet: weiß man nicht, daß die Verurtheilten seine Jugendfreunde waren?«
»Das ist wahr,« dachte d’Artagnan, »und ich habe nun Aufklärung über meine Zweifel. Ich wiederhole, Herr Fouquet kann sein, was man will, doch er ist ein galanter Mann.«
»Und,« fuhr Colbert fort, »Ihr glaubt sicher zu sein, daß Menneville todt ist?«
D’Artagnan dachte, es sei dies für ihn der Augenblick, aufzutreten.
»Vollkommen, mein Herr,« erwiederte er vorschreitend.
»Ah! Ihr seid es?« sagte Colbert.
»In Person,« antwortete der Musketier mit seinem ungezwungenen Ton; »es scheint, Ihr hattet in Menneville ein hübsches Feindchen.«
»Nicht ich, mein Herr, hatte einen Feind, sondern der König.«
»Doppeltes Thier!« dachte d’Artagnan, »Du spielst den Hochmüthigen und den Heuchler gegen mich. »Nun!» sagte er, »ich bin sehr glücklich, dem König einen so guten Dienst geleistet zu haben; wollt Ihr die Güte haben, es Seiner Majestät zu melden, Herr Intendant?«
»Welchen Auftrag gebt Ihr mir, und was wollt Ihr, daß ich melden soll, mein Herr? Ich bitte, sprecht deutlich,« sagte Colbert mit einer scharfen, zum Voraus ganz mit Feindseligkeit geladenen Stimme.
»Ich gebe Euch keinen Auftrag,« entgegnete d’Artagnan mit der Ruhe, welche die Spötter nie verläßt. »Ich dachte nur, es wäre Euch leicht, Seiner Majestät zu melden, ich, der ich mich zufällig dort befunden, habe Herrn Menneville sein Recht angedeihen lassen und die Dinge wieder in Ordnung gebracht.«
Colbert riß die Augen weit auf und befragte mit dem Blick den Anführer der Schaarwache.
»Ah! das ist wahr,« rief dieser, »der Herr war unser Retter.«
»Warum sagtet Ihr mir nicht, mein Herr, Ihr kommet, um mir das zu erzählen.« erwiederte Colbert mißgünstig: »Alles erklärte sich, und zwar besser für Euch, als für jeden Anderen.«
»Ihr irrt Euch, Herr Intendant, ich kam durchaus nicht, um Euch das zu erzählen.«
»Aber das ist eine Heldenthat, mein Herr.«
»Oh!« entgegnete der Musketier mit gleichgültig gern Ton, »die große Gewohnheit stumpft den Geist ab.«
»Sagt, welchem Umstand habe ich die Ehre Eures Besuches zu verdanken?«
»Ganz einfach dem, daß mir der König zu Euch zu gehen befohlen hat.«
»Ah!« sprach Colbert, der wieder seine entschiedene Haltung annahm, weil er sah, daß d’Artagnan ein Papier aus seiner Tasche zog, »ah! um Geld von mir zu verlangen.«
»Ganz richtig, mein Herr.«
»Ich bitte, wollt einen Augenblick hier warten, ich expedire die Meldung der Schaarwache.«
D’Artagnan drehte sich ziemlich übermüthig auf seinen Absätzen um. und machte, als er sich nach dieser ersten Drehung wieder Colbert gegenüber befand, eine Verbeugung, wie sie Arlequin hätte machen können; dann nahm er eine zweite Evolution vor und wandte sich mit ruhigem Schritt nach der Thüre.
Colbert staunte über diesen kräftigen Widerstand, an den er nicht gewöhnt war. In der Regel hatten die Kriegsleute, wenn sie zu ihm kamen, ein solches Geldbedürfniß, daß, und hätten ihre Füße im Marmor Wurzel fassen müssen, ihre Geduld sich nicht erschöpfte.
Ging d’Artagnan geraden Wegs zum König? Würde er sich über einen schlechten Empfang beklagen, oder seine That erzählen? Das war ein ernster Stoff zu ernstem Nachdenken.
In jedem Fall war der Augenblick, d’Artagnan wegzuschicken, schlecht gewählt, kam er nun im Auftrag des Königs, kam er in seinem eigenen Auftrag. Der Musketier hatte einen zu großen Dienst, und zwar vor zu kurzer Zeit geleistet, als daß er schon vergessen sein sollte.
Colbert dachte auch, es wäre besser, allen Hochmuth abzuschütteln und d’Artagnan zurückzurufen.
»He! Herr d’Artagnan,« rief Colbert, »wie, Ihr verlaßt mich so?«
D’Artagnan wandte sich um und erwiederte:
»Warum nicht? Wir haben, denke ich, nichts mehr mit einander zu thun?«
»Ihr müßt doch wenigstens Geld erheben, da Ihr eine Anweisung habt.«
»Nicht im Geringsten, mein lieber Herr Colbert.«
»Aber Ihr habt doch eine Anweisung? Und wie Ihr einen Degenstich für den König gebt, wenn man Euch auffordert, so bezahle ich, wenn man mir eine Anweisung präsentirt. Gebt sie.«
»Unnöthig, mein lieber Herr Colbert,« entgegnete d’Artagnan. der sich innerlich über die Verwirrung freute, die er in die Gedanken von Colbert brachte; »die Anweisung ist bezahlt.«
»Bezahlt! durch wen?«
»Durch den Oberintendanten.«
Colbert erbleichte.
»Erklärt Euch,« sagte er mit gepreßter Stimme; »wenn Ihr bezahlt seid, warum zeigt Ihr mir das Papier?«
»Folge des Befehls, von dem Ihr so eben so treuherzig sprachet, Herr Colbert; der König befahl mir ein Quartal von der Pension zu erheben, die er mir gnädigst aussetzen will . . . «
»Bei mir?’
»Nicht gerade. Der König sagte mir: »»Geht zu Herrn Fouquet; der Oberintendant wird vielleicht kein Geld haben, dann geht zu Herrn Colbert.««
Das Gesicht von Colbert heiterte sich einen Augenblick auf; doch es war mit seiner unglückseligen Physiognomie, wie mit dem stürmischen Himmel, der bald strahlend, bald düster wie die Nacht erscheint, je nachdem der Blitz glänzt, oder die Wolke vorüberzieht.
»Und . . . es fand sich Geld beim Oberintendanten?« fragte er.
»Nicht wenig Geld.« erwiederte d’Artagnan, »so muß ich wenigstens glauben, da Herr Fouquet. statt mir ein Quartal von fünftausend Livres zu bezahlen . . . «
»Ein Quartal von fünftausend Livres,« rief Colbert ebenso verwundert, als es Fouquet gewesen, über den Umfang einer Summe, mit der der Dienst eines Soldaten bezahlt werden sollte; »das würde also eine Pension von zwanzigtausend Livres machen?«
»Ganz richtig. Herr Colbert; Teufel! Ihr rechnet wie der selige Pythagoras; ja, zwanzigtausend Livres.«
»Zehnmal der Gehalt eines Intendanten der Finanzen; ich mache Euch mein Compliment,« sagte Colbert mit einem giftigen Lächeln.
»Oh!« rief d’Artagnan, »der König hat sich entschuldigt, daß er mir so wenig gebe, und mir versprochen es später gut zu machen, wenn er reich wäre; doch vollenden wir, da ich Eile habe.«
»Ja, und gegen die Erwartung des Königs hat Euch der Oberintendant bezahlt?«
»Wie Ihr Euch gegen die Erwartung des Königs geweigert habt, mich zu bezahlen.«
»Ich habe mich nicht geweigert, mein Herr, ich habe Euch gebeten, zu warten; und Ihr sagt, Herr Fouquet habe Euch Eure fünftausend Livres bezahlt?«
»Ja, das hättet Ihr nicht gethan; und er that noch etwas Besseres, der liebe Herr Fouquet.«
»Was denn?«
»Er bezahlte mir die Gesammtsumme und sagte, für den König seien die Kassen immer voll.«
»Die Gesammtsumme! Herr Fouquet bezahlte Euch zwanzigtausend Livres, statt fünftausend?«
»Ja, mein Herr.«
»Und warum dies?«
»Um mir drei Besuche bei der Kasse der Oberintendanz zu ersparen; ich habe zwanzigtausend Livres hier in meiner Tasche, in sehr schönem, ganz neuem Gold. Ihr seht also, daß ich gehen kann, da ich Eurer durchaus nicht bedarf und nur der Form wegen hierhergekommen bin,« sprach d’Artagnan.
Und er klopfte lachend an seine Taschen und zeigte hierdurch Colbert zweiunddreißig herrliche Zähne, so weiß wie Zähne von fünfundzwanzig Jahren, welche in ihrer Sprache zu sagen schienen: »Setzt, uns Zweiunddreißig kleine Colbert vor, und wir werden sie sehr gern verspeisen.«
Die Schlange ist ebenso tapfer als der Löwe, der Sperber ebenso muthig als der Adler, das läßt sich nicht bezweifeln. Selbst diejenigen Thiere, welche man feige genannt hat, sind, wenn es sich um ihre Verteidigung handelt, tapfer. Colbert hatte keine Furcht vor den zweiunddreißig Zähnen von d’Artagnan; er stemmte sich an und sagte plötzlich:
»Mein Herr, der Herr Oberintendant war nicht berechtigt, zu thun, was er gethan hat.«
»Was sagt Ihr?« versetzte d’Artagnan.
»Ich sage, daß Eure Anweisung . . . Wollt mir Eure Anweisung zeigen, wenn es Euch beliebt?«
»Sehr gern; hier ist sie.«
Colbert nahm das Papier mit einem Eifer, den d’Artagnan nicht ohne Unruhe, und besonders nicht ohne ein gewisses Bedauern, die Anweisung abgegeben zu haben, bemerkte.
»Nun! mein Herr, » sagte Colbert, »die königliche Ordonnanz lautet, wie folgt:
»»Nach Sicht bezahle man an Herrn d’Artagnan die Summe von fünftausend Livres, welche ein Quartal der Pension bildet, die ich ihm ausgesetzt habe.««
»Das steht in der That geschrieben,« sprach d’Artagnan, Ruhe heuchelnd.
»Nun! der König war Euch nur fünftausend Livres schuldig, warum hat man Euch mehr gegeben?«
»Weil man mehr hatte und man mir mehr geben wollte; das geht Niemand etwas an.«
»Es ist natürlich,« sagte Colbert mit einer gewissen Selbstgefälligkeit, »Ihr kennt die Gebräuche des Rechnungswesens nicht; doch, mein Herr, wenn Ihr tausend Livres zu bezahlen habt, was thut Ihr?«
»Ich habe nie tausend Livres zu bezahlen,« antwortete d’Artagnan.
»Wenn Ihr aber,« rief Colbert zornig, »wenn Ihr aber eine Bezahlung zu leisten hättet, so würdet Ihr nur bezahlen, was Ihr schuldig seid.«
»Das beweist nur Eines: daß Ihr nämlich Eure besondern Gewohnheiten im Rechnungsgeschäft habt, während Herr Fouquet die seinigen hat.«’
»Die meinigen, mein Herr, sind gut.«
»Ich leugne es nicht.«
»Und Ihr habt erhalten, was man Euch nicht schuldig war?«
Das Auge von d’Artagnan schleuderte einen Blitz.
»Was man mir schuldig war, wollt Ihr sagen, Herr Colbert; denn wenn ich erhalten hätte, was man mir gar nicht schuldig war, so hätte ich einen Diebstahl begangen.«
Colbert antwortete auf diese Spitzfindigkeit nicht.
»Ihr seid also der Kasse fünfzehntausend Livres schuldig,« sagte er, von seiner eifersüchtigen Hitze fortgerissen,
»Ihr gebt mir wohl Credit,« erwiederte d’Artagnan mit seiner ungebührlichen Ironie.
»Keineswegs, mein Herr.«
»Gut! wie so? . . . Werdet Ihr mir meine drei Rollen wieder abnehmen?«
»Ihr werdet sie meiner Kasse wiederersetzen.«
»Ich? Ah! Herr Colbert, zählt nicht hierauf.«
»Der König braucht sein Geld, mein Herr.«
»Und ich brauche das Geld des Königs.«
»Es mag sein; doch Ihr werdet die betreffende Summe wiedererstatten.«
»Durchaus nicht. Ich habe immer sagen hören, beim Rechnungswesen, wie Ihr es nennt, gebe ein guter Kassier nie zurück und nehme nie zurück.«
»Dann werden wir sehen, mein Herr, was der König sagt, dem ich diese Quittung zeigen werde, welche beweist, daß Herr Fouquet nicht nur bezahlt, was er nicht schuldig ist, sondern daß er nicht einmal die Quittung für das behält, was er bezahlt.«
»Ah!« rief d’Artagnan. »ich begreife nun, warum Ihr mir dieses Papier abgenommen habt, Herr Colbert.«
Colbert begriff nicht ganz, was Alles an Drohung in seinem auf eine gewisse Weise ausgesprochenen Namen lag.
»Ihr werdet den Nutzen später sehen erwiederte er, indem er das Papier in seinen Fingern in die Höhe hob.
»Oh!« rief d’Artagnan, der das Papier mit einer raschen Geberde wieder an sich riß, »ich verstehe das vollkommen und brauche zu diesem Ende nicht zu warten.«
Und er steckte das Papier, das er erhascht hatte, wieder in die Tasche.
»Mein Herr! mein Herr!« rief Colbert . . . »diese Gewaltthat . . . «
»Geht doch! darf man auf die Manieren eines Soldaten merken!« erwiederte der Musketier; »empfangt meinen Handkuß, lieber Herr Colbert!«
Und er lachte dem zukünftigen Minister ins Gesicht und ging weg.
»Dieser Mann wird mich anbeten,« murmelte er; »Schade, daß ich seine Gesellschaft verlassen muß,«
XXIII.
Für einen Mann, der gefährlichere gesehen hatte, war die Stellung von d’Artagnan Colbert gegenüber nur eine komische. D’Artagnan versagte sich also die Freude nicht, auf Kosten des Herrn Intendanten von der Rue Neuve des Petits-Champs bis zur Rue des Lombards zu lachen.
Das ist ein langer Weg, D’Artagnan lachte also lang.
Er lachte noch, als er Planchet erblickte, der auch vor der Thüre seines Hauses lachte.
Denn seit der Rückkehr seines Patrons, seit dem Empfang der englischen Guineen, brachte Planchet den größten Theil seines Lebens damit zu, daß er that, was d’Artagnan nur von der Rue Neuve des Petits-Champs bis nach der Rue des Lombards gethan hatte.
»Ihr kommt also, mein lieber Herr?« sagte Planchet zu d’Artagnan.
»Nein, mein Freund erwiederte der Musketier, »ich reise so schnell als möglich ab: nämlich ich speise zu Nacht, lege mich zu Bette, schlafe fünf Stunden und schwinge mich bei Tagesanbruch in Sattel. Hat man meinem Pferd anderthalb Rationen gegeben?«
»Ei! mein lieber Herr, Ihr wißt wohl, daß Euer Pferd der Juwel des Hauses ist, daß meine Ladenbursche es den ganzen Tag küssen und ihm meinen Zucker, meine Haselnüsse und meine Zwiebacke zu fressen geben. Ihr fragt mich, ob es seine Ration Hafer bekommen habe? fragt mich vielmehr, ob man ihm nicht zu fressen gegeben, daß es zehnmal hätte zerbersten sollen.«
»Gut, Planchet, gut: dann gehe ich zu dem über, was mich betrifft. Das Abendbrod?«
»Es ist bereit: ein dampfender Braten, weißer Wein, Krebse und frische Kirschen. Das ist etwas Neues, Herr.«
»Du bist ein liebenswürdiger Mensch, Planchet: laß uns zu Nacht speisen, und dann gehe ich zu Bette.«
Während des Abendbrods bemerkte d’Artagnan, daß Planchet sich häufig die Stirne rieb als wollte er das Herausgehen eines Gedankens erleichtern, der enge in seinem Gehirn eingeschlossen. Er schaute freundlich diesen würdigen Genossen seiner früheren Kreuz- und Querzüge an, stieß mit seinem Glas an das Glas von Planchet und sagte:
»Laß hören, Freund Planchet, laß hören, was Dich mir mitzutheilen so viel Anstrengung kostet; Mordioux! frisch heraus mit der Sprache.«
»Hört also,« erwiederte Planchet, »Ihr kommt mir vor, als ginget Ihr auf irgend ein Unternehmen aus,«
»Ich sage nicht nein.«
»Ihr hättet also einen neuen Gedanken gehabt?«
»Das ist möglich, Planchet.«
»Es ist also ein neues Kapital zu wagen? Ich betheilige mich mit fünfzigtausend Livres bei dem Gedanken, den Ihr ausbeuten wollt.«
Und während Planchet so sprach, rieb er seine Hände an einander mit der Raschheit, welche eine große Freude veranlaßt.
»Planchet, dabei ist nur ein Unglück,« sagte d’Artagnan.
»Welches?«
»Die Idee gehört nicht mir . . . Ich kann nichts darauf verwenden.«
Diese Worte entrissen dem Herzen von Planchet einen schweren Seufzer. Der Geiz ist ein glühender Rathgeber, er entführt seinen Mann, wie Satan Jesus auf den Berg führte, und wenn er einmal einem Unglücklichen alle Reiche der Erde gezeigt hat, kann er sich ruhig niederlegen, da er weiß, daß er seinen Gefährten, den Neid, zurückläßt, um das Herz zupacken.
Planchet hatte den leicht erworbenen Reichthum gekostet und sollte in seinen Wünschen nicht mehr stille stehen; doch da er trotz seiner Habgier ein gutes Herz war, da er d’Artagnan anbetete, so konnte er nicht umhin, taufend Ermahnungen gegen ihn auszusprechen, von denen die eine immer liebevoller war, als die andere.
Es wär ihm auch gar nicht unangenehm gewesen, einen Brocken von dem Geheimniß zu ergattern, das sein Herr so gut verbarg. List, Minen, Rathschläge und Fallen, Alles war vergeblich; d’Artagnan war zu keiner Vertraulichkeit zu bewegen.
So verging der Abend. Nach dem Essen beschäftigte d’Artagnan sein Mantelsack; er machte einen Gang in den Stall, streichelte sein Pferd und untersuchte seine Hufeisen und seine Beine; dann, nachdem er sein Geld noch einmal gezählt, legte er sich zu Bette, wo er, da er weder von einer Unruhe, noch von Gewissensbissen heimgesucht war, fünf Minuten, nachdem er seine Lampe ausgeblasen hatte, die Augenlider schloß und schlief wie in seinem zwanzigsten Jahre.
Viele Ereignisse hätten ihn jedoch wach halten können. Die Gedanken brausten in seinem Gehirn, die Muthmaßungen übersprudelten, und d’Artagnan liebte es ungemein, die Nativität zu stellen; doch mit jenem unstörbaren Phlegma, das mehr als das Genie für das Glück der Leute der Thätigkeit wirkt, verschob er jede Ueberlegung auf den andern Tag, aus Furcht, wie er sich selbst sagte, er könnte zu dieser Zeit nicht frisch genug sein.
Der Tag kam. Die Rue des Lombards hatte ihren Antheil an Aurora mit den rosigen Fingern, und d’Artagnan erhob sich wie das Frühroth.
Er weckte Niemand auf, ging die Treppe hinab, ohne eine Stufe krachen zu machen, ohne ein einziges Geschnarche vom Speicher bis zum Keller zu stören, sattelte sein Pferd, verschloß wieder Stall und Laden, und ritt im Schritt zu seiner Expedition in der Bretagne weg.
Er hatte sehr Recht gehabt, daß er am Tage vorher nicht an alle die politischen und diplomatischen Angelegenheiten dachte, die seinen Geist in Anspruch nahmen, denn am Morgen in der Kühle und in der sanften Dämmerung fühlte er seine Ideen rein und fruchtbar sich entwickeln.
Vor Allem ritt er vor dem Hause von Fouquet vorüber und warf in eine an der Thüre des Oberintendanten angebrachte gähnende Lade die Anweisung, die er am Tage zuvor nur mit großer Mühe den gekrümmten Fingern des Intendanten zu entreißen vermocht hatte.
Unter einen Umschlag mit der Adresse von Fouquet gelegt, war die Anweisung selbst von Planchet nicht errathen worden, während Planchet, was Enträthselung betrifft, Kalchas oder Apollo gleichkam.
D’Artagnan überschickte also Fouquet die Quittung, ohne daß er sich selbst gefährdete oder sich fortan Vorwürfe zu machen hatte.
Nachdem diese bequeme Wiedererstattung geschehen war, sagte er zu sich:,
»Nun wollen wir viel Morgenluft» viel Sorglosigkeit und Gesundheit einschlürfen; lassen wir das Pferd Zephyr athmen, das seine Flanken aufbläht, als ob es eine Hemisphäre einziehen müßte, und bringen wir unsere Combinationen auf eine sehr vernünftige Weise in Ordnung.
»Es ist Zeit,« fuhr d’Artagnan fort, »es ist Zeit, einen Feldzugsplan zu machen, und nach der Methode von Herrn von Turenne, der einen dicken Kopf voll vor. allen möglichen guten Ansichten hat, geziemt es sich, ehe man seinen Feldzugsplan macht, ein ähnliches Portrait von den feindlichen Generalen zu entwerfen, mit denen man es zu thun hat.
»Vor Allem zeigt sich Herr Fouquet. Wie ist es mit Herrn Fouquet?
»Herr Fouquet,« antwortete d’Artagnan sich selbst, »Herr Fouquet ist ein schöner und bei den Frauen beliebter Mann, ein sehr artiger bei den Dichtern beliebter Mann, ein geistreicher von den Lumpenkerlen verfluchter Mann. Ich bin weder Frau, noch Dichter, noch Lumpenkerl; ich liebe weder Herrn Fouquet, noch hasse ich ihn, ich befinde mich also ganz und gar in der Lage, in der sich Herr von Turenne befand, als er die Schlacht auf den Dünen gewinnen sollte. Er haßte die Spanier nicht, aber er, schlug sie total.
»Nein; Mordioux! es gibt noch ein besseres Beispiel; ich bin in der Lage, in der sich derselbe Herr von Turenne befand, als er sich gegenüber dem Prinzen von Condé in Jargeau, Gien und dem Faubourg Saint-Antoine hatte. Er haßte den Herrn Prinzen allerdings nicht, aber er gehorchte dem König. Der Herr Prinz ist ein äußerst angenehmer Mann, doch der König ist der König; Turenne stieß einen schweren Seufzer aus, nannte Condé »mein Vetter,« und vernichtete seine Armee.
»Was will nun der König? Das geht mich nichts an.
»Was will nun Herr Colbert? Oh! das ist etwas Anderes, Herr Colbert will Alles, was Herr Fouquet nicht will.
»Was will denn Herr Fouquet? Oh! oh! das ist ernst. Herr Fouquet will ganz genau Alles, was der König will.«
Nachdem dieses Selbstgespräch beendigt war, lachte d’Artagnan wieder und ließ seine Gerte pfeifen. Er war schon weit auf der Landstraße, machte die Vögel auf den Hecken scheu, horchte auf die Louisd’or, welche bei jedem Stoß in seiner ledernen Tasche tanzten, und, gestehen wir es, wenn sich d’Artagnan in solchen Lagen befand, war die Weichheit nicht sein vorherrschendes Laster. Er glich dann Herrn von Turenne, als dieser die Spanier nicht liebte.
Der Musketier konnte sich indessen nicht erwehren, den Frieden des Reiches zu beklagen, den die Streitigkeiten der Großen abermals gefährden sollten. Er erinnerte sich, wie mächtig, unterstützt und gewaffnet Fouquet war. Er addirte einerseits die achtzehn Millionen von Ludwig XIV., andererseits die unendlichen Mittel des Oberintendanten, wog in seiner unbeugsamen, durch eine ewige Verachtung der Mittelmäßigkeiten verbürgten Unparteilichkeit den giftigen Groll von Herrn Fouquet ab, und sagte, als er seine Rechnung gemacht hatte:
»Ah! die Expedition ist nicht sehr gefährlich, und es wird mit meiner Reise sein, wie mit dem Stück, in das mich in London Herr Monk geführt hat, und das, so viel ich mich erinnere: Viel Lärmen um nichts, heißt.
XXIV.
Es war dies das fünfzigste Mal vielleicht, seit dem Tag, wo wir unsere Geschichte eröffnet, daß dieser Mann mit dem ehernen Herzen und den stählernen Muskeln Haus und Freunde, kurz Alles verließ, um das Glück und den Tod zu suchen. Das Eine, nämlich der Tod, war beständig vor ihm zurückgewichen, als ob er vor ihm bange gehabt hätte, das Ändere, nämlich das Glück, hatte erst seit einem Monat wirklich ein Bündniß mit ihm geschlossen.
Obgleich er kein großer Philosoph, noch Epikur oder Sokrates, war, so war er doch ein mächtiger Geist, der die Erfahrung des Lebens und die Uebung des Gedankens für sich hatte. Man ist nicht tapfer, man ist nicht abenteuerlich, man ist nicht gewandt, wie es d’Artagnan war, ohne zugleich ein wenig träumerisch zu sein.
Er hatte da und dort einige Brocken von Herrn von la Rochefoucault aufgefangen, und im Vorübergehen in der Gesellschaft von Athos und Aramis viele Stücke von Cicero und Seneca, übersetzt von ihnen und auf den Gebrauch des gemeinen Lebens angewendet, gesammelt.
Die Verachtung des Reichthums, welche unser Gascogner während der fünf und dreißig ersten Jahre seines Lebens als einen Glaubensartikel beobachtet hatte, war lange von ihm als der erste Artikel des Codex der Tapferkeit betrachtet worden.
Art. 1. sagte er:
»Man ist tapfer, weil man nichts hat.
»Man hat nichts, weil man den Reichthum verachtet.«
Mit diesen Grundsätzen, welche, wie gesagt, die fünf und dreißig ersten Jahre seines Lebens geleitet hatten, war d’Artagnan auch nicht sobald reich, als er sich fragen mußte, ob er, trotz seines Reichthums, Immer noch tapfer sei.
Hierauf konnte für jeden Andern, als d’Artagnan, das Ereigniß auf der Grève als Antwort dienen. Viele Gewissen hätten sich damit begnügt, aber d’Artagnan war tapfer genug, um sich aufrichtig zu fragen, ob er tapfer wäre.
Auf die Worte:
»Mir scheint, ich habe auf der Grève rasch genug vom Leder gezogen und artig genug eingehauen, um meines Muthes sicher zu sein, « erwiederte d’Artagnan, sich selbst:
»Alles schön, Kapitän; das ist keine Antwort. Ich war an diesem Tag tapfer, weil man mir mein Haus verbrannte, und es sind hundert und sogar tausend gegen eins zu wetten, daß, wenn die Herren nicht diesen unglücklichen Gedanken gehabt hätten, ihr Angriffsplan gelungen, oder daß wenigstens von mir kein Widerstand entgegengestellt worden wäre.
»Was wird man nun gegen mich versuchen? Ich habe in der Bretagne kein Haus zum Verbrennen; ich habe keinen Schatz, den man mir rauben könnte.
»Nein, aber ich habe meine Haut, diese kostbare Haut von Herrn d’Artagnan, welche so viel werth ist, als alle Häuser und Schätze der Welt; diese Haut, an der mir überaus viel gelegen ist, weil sie im Ganzen den Einband eines Körpers bildet, der ein sehr warmes Herz enthält, das sehr zufrieden ist, daß es schlägt und folglich lebt.
»Ich wünsche also zu leben und lebe wahrhaftig viel besser, viel vollständiger, seitdem ich reich bin. Wer Teufels sagte, das Geld verderbe das Leben? Es ist dem bei meiner Seele nicht so; mir scheint im Gegentheil, daß ich nun ein doppeltes Quantum Lust und Sonne aufzehre. Mordioux! wie wird es sein, wenn ich dieses Vermögen verdopple und, statt der Gerte, die ich in der Hand halte, je den Marschallsstab trage.
»Ich weiß nicht, ob es dann von diesem Augenblick an genug Sonne und Lust für mich geben wird.
»Das ist in der That kein Traum; wer Teufels soll sich dem widersetzen, daß mich der König zum Herzog und Marschall macht, wie sein Vater, der König Ludwig XIII. Albert von Luynes zum Herzog und Connetable gemacht hat? Bin ich nicht ebenso tapfer und noch viel verständiger, als dieser Schwachkopf Vitry?
»Ah! das wird sich gerade meinem Avancement widersetzen, ich habe zu viel Geist.
»Zum Glück, wenn es eine Gerechtigkeit auf dieser Welt gibt, steht Fortuna auf meiner Seite. Sie ist mir sicherlich eine Belohnung für das, was ich für Anna von Oesterreich gethan habe, und eine Entschädigung für Alles, was diese nicht für mich gethan hat, schuldig.
»Zu dieser Stunde bin ich gut mit einem König, und zwar mit einem König, der ganz das Aussehen hat, als wollte
»Gott erhalte ihn auf diesem erhabenen Weg! Denn wenn er regieren will, bedarf er meiner, und wenn er meiner bedarf, muß er mir wohl geben, was er mir versprochen hat . . . Wärme und Licht – ich gehe also vergleichungsweise, wie ich einst ging – von Nichts zu Allem.
»Nur ist das Nichts von heute das Alles von einst; es findet sich bloß diese einzige Veränderung in meinem Leben.
»Und nun wollen wir den Theil des Herzens machen, da ich so eben von diesem gesprochen habe.
»Doch in der That, ich sprach nur der Erinnerung wegen davon!«
Und der Gascogner legte die Hand auf seine Brust, als wollte er wirklich den Platz des Herzens suchen.
»Ah! Unglücklicher!« murmelte er, bitter lächelnd. »Ah! armes Geschöpf, Du hofftest einen Augenblick kein Herz zu haben, und nun hast Du eines, verfehlter Höfling, der Du bist, und zwar ein höchst meuterisches.
»Thörichtes Herz, daß du zu Gunsten von Herrn Fouquet sprichst.
»Wer ist dieser Herr Fouquet, wenn es sich um den König handelt? Ein Verschwörer, ein wahrer Verschwörer, der sich nicht einmal die Mühe gab, zu verbergen, daß er conspirirt; welche Waffe besäßest Du auch nicht gegen ihn, wenn nicht seine Freundlichkeit und sein Geist eine Scheide für diese Waffe gemacht hätten!
»Empörung mit gewaffneter Hand! . . . Denn Herr Fouquet hat im Ganzen Empörung mit gewaffneter Hand getrieben.
»Wenn der König Herrn Fouquet unbestimmt im Verdacht dumpfer Meuterei hat, so weiß ich, kann ich beweisen, daß Herr Fouquet das Blut der Unterthanen des Königs hat fließen lassen.
»Nun, während wir dies Alles wissen und es verschweige, sehen wir einmal, was will dieses Herz mehr, das so weich und empfänglich ist für ein gutes Benehmen von Herrn Fouquet, für einen Vorschuß von fünfzehntausend Livres, für einen Diamant von tausend Pistolen, für ein Lächeln, worin wenigstens ebenso viel Bitterkeit, als Wohlwollen lag? Ich rette ihm das Leben.
»Ich hoffe nun,« fuhr der Musketier fort, »dieses alberne Herz wird schweigen, und dann ist es völlig quitt mit Herrn Fouquet.
»Der König ist nun meine Sonne, und da also mein Herz mit Herrn Fouquet quitt ist, so nehme sich Jeder in Acht, dem es einfallen sollte, sich vor meine Sonne zu stellen. Vorwärts für Seine Majestät Ludwig XIV., vorwärts!«
Diese Betrachtungen waren die einzigen Hindernisse, welche den Gang von d’Artagnan verzögern konnten, denn sobald er damit zu Ende war, beschleunigte er den Marsch seines Rosses.
Aber so vollkommen auch das Pferd Zephyr sein mochte, so konnte es doch nicht immer gehen.
Am andern Tage nach der Abreise von Paris wurde es in Chartres bei einem alten Freund zurückgelassen, den sich d’Artagnan aus einem Gastwirth der Stadt gemacht hatte.
Von diesem Augenblick ritt der Musketier Postpferde.
In Folge dieser Art von Fortbewegung durchzog er rasch den Raum, welcher Chartres von Chateaubriand trennt.
In letzterer Stadt, welche noch weit genug von der Küste entfernt liegt, daß Niemand errieth, d’Artagnan begebe sich nach der See, weit genug von Paris, daß Niemand ahnete, er komme von hierher, verließ der Bote von Seiner Majestät Ludwig XIV., den d’Artagnan seine Sonne genannt hatte, ohne zu vermuthen, daß derjenige, welcher noch ein ziemlich armseliger Stern am Himmel des Königthums war, eines Tags aus diesem Gestirne sein Emblem machen würde, verließ der Bote von König Ludwig XlV., sagen wir, die Post und kaufte einen Klepper vom kläglichsten Aussehen, eines von den Thieren, das ein Reiterofficier aus Furcht, entehrt zu sein, zu wählen nie sich erlauben würde.
Abgesehen von der Haarfarbe, erinnerte d’Artagnan diese neue Erwerbung ungemein an das berüchtigte orangenfarbige Roß, mit welchem er, oder auf welchem er vielmehr in die Welt eingetreten war.
Es ist übrigens nicht zu vergessen, daß es von dem Augenblick, wo er dieses neue Roß bestieg, nicht mehr d’Artagnan war, welcher reiste, sondern ein guter Bursche, der einen eisengrauen Rock und kastanienfarbige Beinkleider trug, und die Mitte zwischen dem Priester und dem Lackei hielt; was ihn besonders dem Geistlichen näherte, war der Umstand, daß er auf seinen Schädel eine Plattmüße von abgetragenem Sammet und auf die Plattmütze einen großen schwarzen Hut gesetzt hatte; kein Degen mehr, nur ein mittelst einer Schnur an seinem Vorderarm hängender Stock, dem er als unerwarteten Beistand bei Gelegenheit einen guten, zehn Zoll langen, unter seinem Mantel verborgenen Dolch beizufügen gedachte.
Der in Chateaubriand erkaufte Klepper vervollständigte den Unterschied. Er hieß, oder d’Artagnan nannte ihn vielmehr Furet.
»Wenn ich aus Zephyr Furet gemacht habe, so muß ich aus meinem Namen irgend ein Diminutivum machen.« sagte d’Artagnan.
»Statt d’Artagnan werde ich ganz kurz Agnan sein; das ist eine Einräumung, die ich natürlich meinem grauen Kleide, meinem runden Hut und meiner abgetragenen Plattmütze zu verdanken habe.
Herr Agnan reiste ohne übertriebene Erschütterung auf Furet, der einen Paßgang hatte und mit diesem Paßgang doch ganz munter seine zwölf Meilen täglich machte, unterstützt von vier spindeldürren Beinen, deren Festigkeit und Sicherheit d’Artagnan, wohl geübt in der Kunst, unter dem dicken Pelz, der sie verbarg, erkannt und zu würdigen gewußt hatte.
Unterwegs machte sich der Reisende Bemerkungen, studirte er das ernste, kalte Land, durch das er zog, während er zugleich den glaubwürdigsten Vorwand dafür suchte, daß er nach Belle-Isle-en-Mer ging, um Alles zu sehen, ohne Verdacht zu erregen.
Auf diese Art konnte er sich überzeugen, wie die Sache immer wichtiger wurde, je mehr er sich dem Ziele seiner Reise näherte.
In diesem abgelegenen Lande, in dem alten Herzogthum Bretagne, das damals nicht französisch war, und es noch heute kaum ist, kannten die Völker den König von Frankreich nicht.
Sie kannten ihn nicht nur nicht, sondern sie wollten ihn nicht kennen.
Eine Thatsache, eine einzige, schwamm sichtbar für sie auf dem Strome der Politik oben an. Ihre ehemaligen Herzoge regierten nicht mehr, aber das war eine Leere. Nichts mehr. An der Stelle des souverainen Herzogs regierten unumschränkt die Grundherren der Gemeinden.
Und über diesen Grundherren Gott, der in der Bretagne nie vergessen worden ist.
Unter diesen Lehensherren von Schlössern und Kirchtürmen war der mächtigste, der reichste, und besonders der populärste Fouquet, der Grundherr von Belle-Isle.
Selbst im Lande, selbst im Angesicht dieser geheimntßvollen Insel, bestätigten die Legenden und Ueberlieferungen ihre Wunder.
Nicht Jeder kam dahin; die Insel, welche eine Ausdehnung von sechs Meilen in der Länge und sechs in der Breite hatte, war ein herrschaftliches Eigenthum, welches, da es von dem im Lande so sehr gefürchteten Namen Retz beschützt wurde, das Volk lange respectirt hatte.
Kurz, nachdem diese Herrschaft durch Karl IX. zu einem Marquisat erhoben worden, war Belle-Isle an Herrn Fouquet übergegangen.
Die Berühmtheit der Insel schrieb sich nicht von gestern her; ihr Name, oder vielmehr ihre Bezeichnung ging in das höchste Alter zurück; die Alten nannten sie Kallonese, zusammengesetzt aus zwei Worten, welche schöne Insel bedeuten.
Achtzehnhundert Jahre früher hatte sie also in einem andern Idiom denselben Namen geführt, den sie noch führt.
Es war daher an und für sich schon etwas, dieses Eigenthum des Herrn Oberintendanten, außer seiner Lage zehn Meilen von der Küste von Frankreich, welche dasselbe souverain in seiner Meereseinsamkeit machte, wie ein majestätisches Schiff, das die Rheden verachten und stolz seine Anker mitten im Ocean werfen würde.
D’Artagnan erfuhr dies Alles, ohne daß er im Geringsten den Anschein hatte, als erkundigte er sich: er erfuhr auch, das beste Mittel, Kundschaft einzuziehen, wäre, wenn er nach la Roche-Bernard, einer ziemlich wichtigen Stadt an der Mündung der Vilaine, ginge.
Vielleicht könnte er sich dort einschiffen. Wenn nicht, so würde er durch die Salzsümpfe reiten und sich nach Guérande oder Croisic begeben, um eine Gelegenheit zur Ueberfahrt nach Belle-Isle abzuwarten. Er hatte übrigens seit seinem Abgang von Chateaubriand bemerkt, nichts wäre Furet unter dem Antrieb von Herrn Agnan unmöglich, nichts Herrn Agnan unter der Initiative von Furet.
Er schickte sich also an, eine Kriechente und einen Fladen in einem Wirthshause von la Roche-Bernard zu Nacht zu speisen, und ließ aus dem Keller, um diese zwei bretagnischen Gerüchte zu befeuchten, einen Aepfelmost holen, den er einzig und allein beim Berühren mit dem Ende der Lippen als noch unendlich mehr bretagnisch erkannte.
XXV.
Ehe sich d’Artagnan zu Tische setzte, zog er wie gewöhnlich seine Erkundigungen ein; doch es ist ein Axiom der Neugierde, daß jeder Mensch, der gut und auf eine Frucht tragende Weise fragen will, zuerst sich den Fragen darbieten muß.
D’Artagnan suchte also im Gasthause von la Roche-Bernard einen nützlichen Frager. Es befanden sich gerade in diesem Hause zwei Reisende, welche auch mit den Vorbereitungen zu ihrem Abendbrod oder sogar mit dem Abendbrod selbst beschäftigt waren. D’Artagnan hatte im Stall ihre Rosse und in der Wirthsstube ihre Reisegeräthe gesehen.
Der Eine reiste mit einem Lackei, wie eine ansehnliche Person; zwei Stuten aus dem Perche, schöne runde Thiere, dienten dem Herrn und dem Diener zum Reiten.
Der Andere, ein ziemlich kleiner Kamerad, ein Reisender von magerem Aussehen, der einen staubigen Oberrock, abgenutzte Wäsche und mehr durch das Pflaster, als durch den Steigbügel verdorbene Stiefel trug, kam von Nantes mit einem Karren, gezogen von einem Pferd, das Furet, was die Farbe betrifft, so ähnlich war, daß d’Artagnan hundert Meilen hätte machen können, ohne etwas Besseres für ein gleiches Gespann zu finden.
Der besagte Karren enthielt verschiedene große, in alte Stoffe gewickelte Päcke.
»Dieser Reisende,« sprach d’Artagnan zu sich selbst, ist von meinem Schlag. Er steht mir an, er sagt mir zu, ich muß ihm anstehen und ihm zusagen. Herr Agnan mit dem grauen Rock und der abgetragenen Plattmütze ist nicht unwürdig, in Gesellschaft des Herrn mit den alten Stiefeln und dem abgeschabenen Rock zu Nacht zu speisen.«
Nachdem er so gesprochen, rief d’Artagnan den Wirth und befahl ihm, seine Kriechente, seinen Fladen und seinen Aepfelmost in das Zimmer des Herrn mit dem bescheidenen Aeußeren zu tragen.
Er selbst stieg, einen Teller in der Hand, die hölzerne Treppe hinauf, welche nach diesem Zimmer führte, und klopfte an die Thüre.
»Herein!« rief der Unbekannte.
D’Artagnan trat, seinen Teller unter dem Arm, seinen Hut in einer und seinen Leuchter in der andern Hand, ein und sprach:
»Mein Herr, entschuldigt mich, ich bin, wie Ihr, ein Reisender, ich kenne Niemand im Gasthaus und habe die schlimme Gewohnheit, mich zu langweilen, wenn ich allein speise, so daß mir dann mein Mahl schlecht vorkommt und mich nichts nützt. Euer Gesicht, das ich so eben erblickte, als Ihr hinabginget, um Euch Austern aufmachen zu lassen, sagt mir ungemein zu. Dabei bemerkte ich, daß Ihr ein Pferd ganz dem meinigen ähnlich habt, das der Wirth ohne Zweifel wegen dieser Aehnlichkeit in seinem Stall neben das meinige gestellt hat, wo sich Beide in Gesellschaft äußerst behaglich zu fühlen scheinen. Ich sehe also nicht ein, warum die Herren getrennt sein sollten, während die Pferde vereinigt sind, und bitte Euch daher um das Vergnügen, an Eurem Tisch Platz nehmen zu dürfen. Ich heiße Agnan, Agnan, Euch zu dienen, mein Herr, unwürdiger Verwalter eines reichen Grundherrn, der Salinen in der Gegend kaufen will und mich abschickt, um seine zukünftigen Erwerbungen in Augenschein zu nehmen. Ich wünschte nur, mein Gesicht möchte Euch ebenso anständig sein, als mir das Eurige ist, denn ich empfehle mich Euch in voller Achtung.«
Der Fremde, den d’Artagnan zum ersten Male sah, denn Anfangs hatte er ihn nur von fern erschaut, der Fremde hatte schwarze, glänzende Augen, eine gelbe Gesichtshaut, eine durch die Last von fünfzig Jahren etwas gefaltete Stirne, Gutmüthigkeit im Gesammtwesen der Züge, aber Feinheit im Blick.
»Man sollte glauben,« dachte d’Artagnan, »man sollte glauben, dieser Mensch hätte nie etwas Anderes geübt, als die oberen Theile seines Kopfes, das Auge und das Gehirn, und er müsse ein Mann der Wissenschaft sein; der Mund, die Nase, das Kinn bezeichnen durchaus nichts.«
»Mein Herr,« antwortete derjenige, dessen Geist und Person man so zu ergründen suchte, »Ihr erweiset mir eine große Ehre; nicht als ob ich mich langweilte, ich habe,« fügte er lächelnd bei, »ich habe eine Gesellschaft, die mich immer zerstreut, doch gleichviel, ich bin glücklich, Euch zu empfangen.«
Während er diese Worte sprach, warf indessen der Mann mit den abgetragenen Stiefeln einen unruhigen Blick auf den Tisch, von dem die Austern verschwunden waren, und worauf nur noch ein Stück gesalzener Speck blieb.
»Mein Herr,« sprach d’Artagnan eilig, »der Wirth besorgt mir eine hübsche gebratene Kriechente und einen herrlichen Fladen.«
D’Artagnan hatte in dem Blick seines Gefährten, so rasch er auch gewesen, die Furcht vor einem Angriff durch einen Schmarotzer wahrgenommen.
Er hatte richtig errathen; bei dieser Eröffnung entrunzelten sich die Züge des Mannes mit dem bescheidenen Aeußeren; in der That, als ob er nur auf seinen Eintritt gewartet hätte, erschien der Wirth sogleich und brachte die angekündigten Gerichte.
Der Kriechente und dem Fladen war ein Stück gerösteter Speck beigefügt! d’Artagnan und sein Tischgenosse grüßten sich, setzten sich einander gegenüber, und theilten wie Brüder den Speck und die anderen Gerichte.
»Mein Herr,« sagte d’Artagnan, »gesteht, daß es etwas Herrliches um gesellschaftliche Vereinigung ist.«
»Warum?« fragte der Fremde mit vollem Mund.
»Nun! das will ich Euch sagen,« antwortete d’Artagnan.
Der Fremde gab den Bewegungen seines Kinnbackens Waffenstillstand, um besser zu hören.
»Einmal,« fuhr d’Artagnan fort, »haben wir statt eines Lichtes, das jeder von uns hatte, nunmehr zwei.«
»Das ist wahr,« sprach der Fremde, berührt von der außerordentlichen Richtigkeit dieser Bemerkung.
»Dann sehe ich, daß Ihr vorzugsweise meine Kriechente esset, während ich vorzugsweise Euren Speck speise.«
»Das ist abermals wahr.«
»Doch über das Vergnügen, bessere Beleuchtung zu haben und Dinge nach seinem Geschmack zu speisen, setze ich das Vergnügen der Gesellschaft.«
»Wahrhaftig, mein Herr, Ihr seid fröhlich,« sagte der Unbekannte mit freundlichem Ton,
»Fröhlich, ja, mein Herr, wie alle diejenigen, welche nichts im Kopf haben. Oh! dem ist nicht so bei Euch,« fuhr d’Artagnan fort, »und ich sehe in Euren Augen jegliches Genie.«
»Oh! mein Herr . . . «
»Gesteht mir Eines . . . «
»Was?«
»Daß Ihr ein Gelehrter seid.
»Meiner Treue, mein Herr . . . «
»Wie?«
»So ungefähr.«
»Ah! ah!«
»Ich bin ein Schriftsteller.«
»Oho!« rief d’Artagnan entzückt, indem er in seine Hände klatschte. »Ich täuschte mich als« nicht, das ist wunderbar!«
»Mein Herr . . . «
»Ah!« fuhr d’Artagnan fort, »sollte ich das Vergnügen haben, diese Nacht in Gesellschaft eines Schriftstellers, eines berühmten Schriftstellers vielleicht zuzubringen?«
»Oh! . . . « versetzte der Unbekannte erröthend, »berühmt, mein Herr, berühmt ist nicht gerade das Wort.«
»Bescheiden!« rief d’Artagnan entzückt, »er ist bescheiden!«
Dann mit dem Charakter einer ungestümen Zutraulichkeit wieder zu dem Fremden zurückkehrend:
»Aber sagt mir wenigstens die Namen Eurer Werke, mein Herr, denn Ihr könnt bemerken, daß Ihr mir den Eurigen nicht gesagt habt, und daß ich Euch zu errathen genöthigt gewesen bin.«
»Ich heiße Jupenet.«
»Ein schöner Name,« rief d’Artagnan, »ein schöner Name bei meinem Wort, und ich weiß nicht, warum, – verzeiht mir das Versehen, wenn es eines ist – Ich weiß nicht, warum ich mir einbilde, ich habe diesen Namen irgendwo aussprechen hören.«
»Ich habe Verse gemacht.«
»Ei! man wird mir sie zu lesen gegeben haben.«
»Ein Trauerspiel.«
»Ich habe es wohl aufführen sehen.«
Der Dichter erröthete abermals.
»Ich glaube nicht, denn meine Verse sind nicht gedruckt worden.«
»Nun, wie ich Euch sage, ich werde Euren Namen durch das Trauerspiel erfahren haben.«
»Ihr täuscht Euch abermals, denn die Herren Komödianten vom Hotel von Burgund wollten nichts davon wissen,« sagte der Dichter mit jenem Lächeln, dessen Geheimnis nur gewisse stolze Charaktere kennen.
D’Artagnan biß sich auf die Lippen.
»Mein Herr,« fuhr der Dichter fort, »Ihr seht also, daß Ihr in einem Irrthum über mich begriffen seid, und daß Ihr, da Ihr mich durchaus nicht kennt, auch nicht von mir sprechen hören konntet.«
»Das bringt mich in Verwirrung. Der Name Jupenet dünkt mir ein schöner Name und ganz würdig, ebenso bekannt zu sein, als die Namen der Herren Corneille, Rotrou oder Garnier. Ich hoffe, mein Herr, Ihr werdet mir ein wenig von Eurer Tragödie vorsagen . . . später, beim Nachtisch. Das ist geröstete Brodschnitte in Zucker, Mordioux! Ah! verzeiht, mein Herr, dieser Schwur entschlüpft mir zuweilen, weil mein Herr und Meister sich desselben zu bedienen pflegt. Ich erlaube mir manchmal, diesen Schwur zu ursurpiren, der mir von gutem Geschmack zu zeugen scheint. Wohl verstanden, ich erlaube mir das nur in seiner Abwesenheit, denn Ihr begreift, in seiner Gegenwart . . . Aber in der That . . . «
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.
1
Diese Frage des Königs erklärt sich nur dadurch, daß die Franzosen für Urlaub und Abschied dasselbe Wort haben: congé.
2
Natter.