Dieses Buch soll als Nachschlagewerk und Orientierungshilfe für alle Trainer, Lehrer und Athleten dienen. Dabei werden die wichtigsten Charakteristika der Disziplin herausgearbeitet und ein ganzheitliches Lehrkonzept für Parkour vorgestellt.
Dieses fokussiert sich u. a. auf eine authentische und realitätsnahe Vermittlung sowie auf die tatsächliche Durchführbarkeit der Inhalte im Rahmen von regelmäßigen Trainingsangeboten – Indoor wie Outdoor.
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Menschen bedanken, die dieses Buch ermöglicht haben. Neben den vielen Fotografen und Sportlern, die ihr Fotomaterial und Wissen bereitgestellt haben, gilt dies vor allem für die Landesarbeitsgruppe Parkour in NRW des Westfälischen und Rheinischen Turnerbundes, die bei der Konzeption und der Erstellung der Inhalte entscheidend beteiligt war.
Des Weiteren gilt ein besonderer Dank dem Deutschen Turner-Bund e.V. (DTB), der dieses Werk in die Wege geleitet und finanziell unterstützt hat.
Hinweise
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir uns entschlossen, durchgängig die männliche (neutrale) Anredeform zu nutzen, die selbstverständlich die weibliche mit einschließt.
Das vorliegende Buch wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder der Autor noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch vorgestellten Informationen resultieren, Haftung übernehmen.
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WO SPORT SPASS MACHT
PHILIPP HOLZMÜLLER
PARKOUR
DAS GROSSE THEORIE- UND PRAXISBUCH
MIT VIDEOS
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
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© 2021 by Meyer & Meyer Verlag, Aachen
Auckland, Beirut, Dubai, Hägendorf, Hongkong, Indianapolis, Kairo, Kapstadt, Manila, Maidenhead, Neu-Delhi, Singapur, Sydney, Teheran, Wien
Gesamtherstellung: Print Consult GmbH, München
ISBN 978-3-8403-7754-9
eISBN 978-3-8403-3780-2
E-Mail: verlag@m-m-sports.com
Inhalt
Zielsetzung und Selbstverständnis des Buchs
1.2Aus Wald wird Stadt: Die Familie Belle
1.3Vom Kinderspiel zu Schweiß und Blut
1.5Großbritannien, James Bond und YouTube®: Die Verbreitung von Parkour
3.2Die Organisation der Parkour-Szene
4Rahmen und Ziele der Parkour-Lehre
4.1Lernziele und Kompetenzbereiche
4.1.1Lernziele im Breiten- und Freizeitsport
4.1.2Lernziele in der therapeutischen Anwendung
4.2.4Allgemeine Risikobewertung
5Grundlagen des sportlichen Trainings
5.4Körperliche Anpassung: Das sportliche Training
5.5Strukturierung einer Trainingseinheit
6Grundlagen der Bewegungsvermittlung
6.1Die Aufgaben eines Trainers
6.2Grundlagen der Gruppenführung
6.3Grundlagen der Bewegungsvermittlung
6.3.1Der Weg zur Zielbewegung: Induktives vs. deduktives Lernen
6.3.2Die Aufbereitung der Zielbewegung: Ganzheits- vs. Teillernmethode
6.3.3Spielen, statt zu üben? Deliberate Practice vs. Deliberate Play
6.3.4Die Aufmerksamkeit steuern: Internaler vs. externaler Fokus
6.3.5Unterstützung ist vielfältig: Lernhilfen
6.3.6Feedback: Regeln der Bewegungskorrektur
7Biomechanik und Bewegungsverständnis
7.2.4Biomechanik in der Praxis
10Hauptteil: Bewegungsfelder und Techniken
10.1Bewegungsfeld 1: Balancieren
10.2Bewegungsfeld 2: Springen und Landen
10.3Bewegungsfeld 3: Überwindungssprünge
10.3.1Überwindungssprünge: Ein thematischer Einstieg
10.3.5Weitere Überwindungssprünge
10.3.7Weitere Spiele und Herausforderungen
10.4Bewegungsfeld 4: An der Wand
10.4.5Weitere Bewegungen an der Wand
10.5Bewegungsfeld 5: Hängen und Schwingen
10.5.3Weitere Bewegungen aus dem Hängen
11Spielorientierte Praxisideen
11.3Weitere spielorientierte Praxisideen
12Konzeptorientierte Praxisideen
13.1Ideen für das Krafttraining
1Weiterführende Informationen
Einleitung
Parkour, die einst rebellische Bewegungsform aus den Vororten Frankreichs, ist inzwischen zu einem festen Bestandteil der modernen Sportwelt gereift. Es spielt keine Rolle, ob selbstorganisiert auf der Straße, in der Schule oder im Sportverein: Parkour wird gelebt, geliebt und vermittelt. So ist die Disziplin inzwischen nicht nur fast jedem Teenager ein Begriff aus dem Unterricht oder dem Internet, sondern auch Pädagogen, Therapeuten und Sportwissenschaftlern.
Parkour:
Aus genau diesem Grund soll das vorliegende Buch als eine Art Werkzeugkasten dienen. Aufgebaut auf Hintergründen zur Geschichte und Philosophie, zu pädagogischen Grundlagen und Basics der Trainings- und Bewegungslehre, bis hin zu konkreten Ideen für die Praxis. Abgezielt auf eine selbstständige Erarbeitung des Themenfeldes für den eigenen Lehrrahmen, sollen auf diese Weise verschiedenste Zugänge ermöglicht werden.
Ob Sie Trainer im Sportverein, Lehrer in der Schule, Sporttherapeut oder „einfach“ Athlet sind. Jeder darf sich seine Bausteine herauspicken und Parkour seinen individuellen Gegebenheiten anpassen können. Denn wenn es im Parkour um eine Sache geht, dann um Anpassungsfähigkeit!
Zielsetzung und Selbstverständnis des Buchs
Parkour ist vielfältig; Parkour ist anpassungsfähig; Parkour verändert sich. – Daher soll von vornherein herausgestellt werden, dass sich dieses Buch keinerlei Definitionsmacht zuschreibt. Die hier genannten Begriffe, Methoden oder Einschätzungen sollten daher nicht als allgemeingültig betrachtet werden, sondern als eine von diversen, jedoch bewährte Herangehensweise. Erarbeitet und erprobt wurde sie in vielen Jahren der Lehre und Vermittlung von verschiedensten Trainern in unterschiedlichsten Kontexten.
Basierend auf der Trainer-C-Lizenz „Breitensport Parkour“ des Deutschen Turner-Bundes e.V.
Kombiniert mit einem regen Austausch innerhalb der Parkour-Community während des Schreibprozesses, liegt nun also ein Werk vor Ihnen, das vor allem eines sein soll:
Dieses Buch versteht die Sportart Parkour daher besonders als breitensportliche, inklusive und wertorientierte Disziplin. Es soll eine Sportart dargestellt werden, die ihren Kern nicht in der reinen Performance von Bewegungen sieht, sondern ihre Stärken in der Selbstkonfrontation, Persönlichkeitsentwicklung und dem kritischen Umgang mit den eigenen Fähigkeiten erkennt. Parkour soll als Weg dargestellt werden, seinen Sportlern Mittel an die Hand zu geben, sich selbst auszudrücken, neue Wege zu entdecken und mit jeder Herausforderung zu wachsen – einerlei, ob Schüler, Patient oder Profi.
Denn nicht die Bewegungen definieren den Sport. Nein. Es sollte nicht darum gehen, einen vordefinierten Katalog an Moves zu erlernen, sondern vielmehr um das Suchen, Tüfteln und Meistern von Bewegungsaufgaben. Dazu werden zwar Techniken erläutert und vermittelt, um ein grundlegendes Bewegungsrepertoire aufzubauen, diese sollen jedoch nicht im Zentrum der hier vorgestellten Lehrphilosophie stehen. Der eine, wichtigste Zweck von Parkour liegt am Ende nämlich allein in der Freude an der Bewegung.
Folglich ist es der Zweck der folgenden Kapitel, Ihnen Parkour insoweit verständlich aufzubereiten, dass Sie selbst in die Lage gebracht werden, anregende, vielfältige und differenzierte Inhalte zu entwickeln, um genau diese Freude an der Bewegung in Teilnehmern zu wecken.
Damit dies gelingen kann, müssen zwei primäre Kompetenzfelder bearbeitet werden:
1.Wissen und Fähigkeiten eines Trainers sowie
2.Wissen und Fähigkeiten eines Traceurs.
Gemeinsam ergeben diese beiden primären Kompetenzfelder den Parkour-Trainer:
Die Wissens- und Fähigkeitsbereiche des Trainers und des Traceurs unterteilen sich zudem in Inhalte aus Theorie und Praxis. Denn so gehört das allgemeine Bewegungsverständnis eines Überwindungssprungs genauso zum Repertoire eines guten Lehrenden, wie auch das Grundverständnis über pädagogische Prinzipien und die allgemeine Gruppenführung. Nichtsdestotrotz kommen alle Beispiele und Szenarien auch in diesem Teil aus dem alltäglichen Parkour-Training.
Zwar muss nicht jeder Coach selbst der beste Athlet sein und nicht jeder Athlet der beste Pädagoge, aber ein grundlegendes Wissen sollte erwartet werden. Und wer weiß, vielleicht ist das eine oder andere ja doch noch neu und hilfreich!
In diesem Sinn:
1
THEORIE
KAPITEL 1
4Rahmen und Ziele der Parkour-Lehre
5Grundlagen des sportlichen Trainings
6Grundlagen der Bewegungsvermittlung
Kapitel 1
GESCHICHTE UND DEFINITIONEN
David Belle im Interview mit Sébastien Foucan (2010)
Oft wird David Belle, von welchem dieses Zitat stammt, als Erfinder oder Begründer von Parkour bezeichnet. Er soll es gewesen sein, der aus kindlichem Spiel heraus seine eigene Sportart entwickelte, die er später
■Wo also liegt der Ursprung?
■War David wirklich alleine?
■Was hat es eigentlich mit
■Und welche Rolle spielt
All diese Fragen sollen im folgenden Kapitel beleuchtet und beantwortet werden. Denn eines ist sicher: Die Geschichte der Bewegungskunst ist in sich selbst eine bewegte.
1.1Die „méthode naturelle“
Die „méthode naturelle“ (dt.:
Wie der Name bereits vermuten lässt, liegt der Kern der Methode im Training diverser Disziplinen natürlicher Bewegungen. Es spielt keine Rolle, ob Schwimmen, Klettern oder Springen: Der Mensch solle sich bewegen, wie es von der Natur eigentlich vorgesehen ist. Hébert selbst formulierte es so:
(Hébert, 1925, S. 3)
Hébert war dabei der Überzeugung, dass ein solches Training zu einer optimalen physischen Entwicklung des Menschen beitragen würde, und zudem auch Fähigkeiten wie Intelligenz, Mut oder Empathie positiv beeinflussen könne.
Die Fähigkeiten eines einzelnen Menschen würden somit dem Wohle seiner ganzen Gruppe dienen. Sie sollten nachhaltig sein, gesundheitsfördernd wirken, Stärken vermitteln und letztlich allgemein nützlich erscheinen. Diese altruistische Überzeugung manifestierte er schließlich im Grundsatz
Die drei Grundsätze seiner „méthode naturelle“ definierte Hébert letztlich so:
1.physikalische Komponente: Gehen, Rennen, Springen, Klettern, Tragen, Werfen, Balancieren, Selbstverteidigung, Schwimmen und Bewegung auf allen vieren;
2.moralische Komponente: Mut, Hilfsbereitschaft, Beharrlichkeit, Tapferkeit;
3.energetische Komponente: Ausdauer, Schnelligkeit, Kraft, Resistenz.
Seine Lehre entwickelte Georges Hébert, während er in der Marine diente und auf Schiffswegen verschiedenste Kulturen und Völker kennenlernte. Dabei bewunderte er vor allem die Athletik der Einheimischen und erkannte, dass diese auf natürlichem Wege durch Arbeit und Überlebenssicherung seinen Soldaten physisch überlegen waren.
Als er schließlich 1902 bei einem Vulkanausbruch auf der Insel
Als er in den darauf folgenden Jahren die Gesamtleitung der Körperausbildungen der Marineschule in Lorient, Frankreich, übertragen bekam, begann er, diese zu revolutionieren. Dabei löste seine Lehre die bisherigen wettkampforientierten Disziplinen ab. Nach anfänglichem Widerstand und Schmähungen sprachen die Ergebnisse aber schnell für Héberts
Zukünftig würde Hébert seine eigenen Hindernisse und
1.2Aus Wald wird Stadt: Die Familie Belle
Die erste Schlüsselfigur der Familie Belle war
Dieses versuchte Raymond zu perfektionieren, um die eigenen Chancen im Kampf zu verbessern. Er trainierte viel, ausdauernd und hart, bis er die Techniken zur Flucht schließlich perfektionierte. Als 1954 Dien Bien Phu fiel, wurde er zurück nach Frankreich entsandt.
In Europa widmete sich der von Krieg und Misshandlung gezeichnete Raymond der Feuerwehreinheit des Militärs, um mit seinen ungewöhnlichen Fähigkeiten Leben zu retten, anstatt es zu nehmen. Er gewann zahllose Auszeichnungen im Turnen und athletischen Wettkämpfen und galt als Mann mit herausragenden Fähigkeiten – aber auch als Mensch mit einer harten Schale.
Sein Sohn David sah ihn nur gelegentlich, da dieser mit seinen Großcousins hauptsächlich von den Großeltern aufgezogen wurde. Dennoch verehrte der junge David seinen Vater. Aufgewachsen mit den zahllosen Geschichten und Erzählungen eines superheldenhaften Mannes, saugte er alles Wissen auf, das er in den Besuchen bei Raymond erhaschen konnte.
Dieser nahm die Kinder vor allem gerne mit in den Wald von
Diese Grundeinstellung lag vor allem darin, Stärken nützlich einzusetzen, sowie auf eine Art und Weise zu trainieren, dass man jederzeit bereit ist, diese Stärken auch abzurufen. Ob ohne aufzuwärmen, in Alltagskleidung, auf mehreren Metern Höhe oder bei Nässe. Man solle jederzeit in der Lage sein, seine Fertigkeiten anzuwenden. Das Training war hart und schmerzvoll.
David, inspiriert von den Lektionen seines Vaters im Wald, war zu dieser Zeit vor allem in
1.3Vom Kinderspiel zu Schweiß und Blut
In Lisses und Évry regierten in den 1980er-Jahren die Gangkulturen und der praktisch orientierte Baustil. Kulturelle Diversität wurde in Sport und Religion kaum zugelassen und die Jugendlichen auf den Straßen beschäftigten sich in Zeiten ohne Internet vor allem mit sich selbst.
Auch der Freundeskreis um David, besonders Yann Hnautra, sein Cousin Châu Belle, Laurent Piemontesi oder Sébastien Foucan. Sie trainierten Kampfkünste, waren Turner oder Leichtathleten. Alle teilten jedoch das Gefühl, dass ihrem Training etwas fehlen würde.
Die Methoden, die sie von Raymond kennengelernt hatten, übertrugen sie anfangs nur auf einige Mutproben oder Spiele, die dem Spiel „Der Boden ist Lava“ ähneln1. Mit der Zeit jedoch wurde aus den Spielen mehr und mehr ein ernst zu nehmendes Training. Angetrieben von Yann Hnautra, einem von Davids engsten Kameraden, begannen sie, die örtlichen Strukturen zu beklettern, sich immer neue Routen zu erarbeiten und Bewegungsmuster zu erfinden und auszutauschen. Allen voran an der
Jeder für sich begann, eigene Trainingsschwerpunkte zu finden: Ob inspiriert von den klassischen Fluchttechniken Raymonds, angelehnt an turnerische Fertigkeiten oder als Selbstausdruck. Für alle ging es jedoch letztlich um Herausforderung, Stärke, Mut und Willenskraft.
Sie testeten ihre Grenzen aus, nur um zu sehen, wie weit sie gehen konnten: Sie joggten nach Paris und zurück (ca. 30 km pro Weg), liefen kilometerweise auf allen vieren oder sprangen von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang auf einem Bein, hingen an immer dünneren und höheren Kanten – nur um zu sehen, ob sie es schaffen würden. Sie bluteten, schwitzten und kämpften zusammen.
David selbst sagte später, dass das
Sie hatten das Ziel, Lösungen für die härtesten Probleme zu finden: einerlei, ob physisch oder psychisch. Entgegen dem Zeitgeist wandten sie sich dafür nicht Drogen oder Gewalt zu, sondern versuchten, sich durch eisernes Leiden selbst zu stählen – um Superhelden zu werden.
1.4Die Yamakasi
Etwa 10 Jahre, nachdem die Gruppe begonnen hatte, zu trainieren, erlangten sie Mitte der 1990er-Jahre erste Aufmerksamkeit in den lokalen Medien. 1997 schließlich lud Davids Bruder die Freunde nach Paris ein. Dort sollten sie bei einer Demonstration der örtlichen Feuerwehrleute eine kleine Show inszenieren und ihre Fertigkeiten der breiten Öffentlichkeit vorstellen: Sie nannten sich
Zudem begann Sébastien Foucan in diesem Kontext den Begriff
Als nun ein weiteres Angebot für eine Show in einem Musical die Gruppe erreichte, gelangte der einstige Freundeskreis an einen Scheidepunkt. Besorgt darum, dass ihr Training in der Öffentlichkeit eher zu einer Akrobatiksensation verkommt, als dass es den wahren kämpferischen Geist der Disziplin darstellt, entschieden sich David Belle und Sébastien Foucan, die Yamakasi zu verlassen und sich individuell eigenen Projekten zu widmen.
Dabei wollte Sébastien Foucan ein Coach werden und die Sportart weiterentwickeln und lehren, wohingegen David den Begriff
Die übrigen sieben Yamakasi hingegen hielten weiter am Begriff
Aber auch eigenständig, ohne David und Sébastian, sollten sie ihre Lehren weiterverbreiten, diese in einem selbstgegründeten Verein unterrichten und sie in Kino- und Dokumentarfilmen festhalten.
Trotzdem, entgegen aller Differenzen und Unterschiede, hatten immerhin ihre Trainingsstile stets etwas gemeinsam: eine Philosophie hinter der Bewegung.
1.5Großbritannien, James Bond und YouTube®: Die Verbreitung von Parkour
Alle Mitglieder der ursprünglichen Gruppe verfolgten in den nächsten Jahren eigene Ziele, nutzen ihre Fertigkeiten aber vermehrt für Auftritte in Filmen, Fernsehproduktionen oder Werbevideos. Die wohl einflussreichsten Auftritte und Auslöser für den zukünftigen Boom des Parkour-Sports waren aber wohl die im englischen Fernsehsender
Beide Filme verfolgten Sébastien Foucan als Kopf einer Gruppe von Traceuren, die entweder in London (2003) oder in ganz Großbritannien (2005) ihre noch unbekannten Fähigkeiten an den bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Nation anwandten. Die etwa 60-minütigen Sendungen begleiteten die Gruppen dabei vom Kreieren ihrer Läufe bis hin zum finalen Sprung und beleuchteten in kleinen Interviews auch Hintergründe zum neuen Phänomen. In diesem Kontext übersetzte Sébastien Foucan auch den Begriff des
In Reaktion auf diese in England völlig neuartige Form der Bewegungskunst zog es plötzlich hunderte Jugendliche nach draußen, welche versuchten, Sprünge aus der Dokumentation nachzuahmen und selbst zu comichaften Superhelden zu werden. Der Sport wurde immer populärer und verbreitete sich rasant.
Nur ein Jahr nach
In Martin Campbells
Mitgetragen von der 2005 gegründeten Videoplattform
1.6Parkour heute
Inzwischen hat sich die einst eiserne Trainingsdisziplin aus Frankreich zu einem weltweiten Phänomen entwickelt. Selbstverständlich haben sich Bewegungsmuster über die Jahre hin verfeinert und etabliert, neue Ideen und Ansätze wurden mit den Ursprüngen vermischt und ganz neue Spielformen sind aus den Ideen der Vergangenheit entwachsen. Dennoch ist die Quintessenz geblieben: Körper und Geist sollen durch Bewegungsherausforderungen gestärkt und in Einklang mit sich selbst und der Umwelt gebracht werden.
Doch anders als noch in den 1980er-Jahren in Lisses oder Évry steht heute nicht mehr ein Kämpfertraining, sondern besonders die kreative Entwicklung und die Selbstverwirklichung im Zeitgeist der Disziplin. Selbstentfaltung und das Entdecken neuer Wege und Möglichkeiten bilden dabei aber bis heute die zentralen Motive.
Inklusivität und Diversität, ungeachtet der sozialen Herkunft, wie sie damals die Yamakasi forderten, Gemeinschaft und Freundschaft, sowie Wettkampflosigkeit und Hilfsbereitschaft, wie Raymond Belle oder Georges Hébert sie lehrten, leben aber noch immer!
Begünstigt durch die sozialen Medien, vereinfachte Reisebedingungen und günstigere Transportmöglichkeiten, hat sich die Parkour-Welt heute zudem zu einer großen, teils globalen Gemeinschaft zusammenfinden können. So teilen Traceure ihre Videos und Bilder weltweit mit Gleichgesinnten, tauschen sich über aktuelle Strömungen aus, organisieren eigene Events und kreieren sich eine fortwährend eigenständige und authentische Kultur der Offenheit und Bewegungsfreude.
Kleidungsmarken2, Filme3 und Wissenschaftskongresse4 – die Athleten engagieren sich und gestalten, wo sie können. Finanziert von eigenen Gewinnen oder gefördert durch Sponsoren, beginnen zudem auch erste Athleten, ihr Hobby zum Beruf zu machen.
Strömungen und Chancen, die sich David Belle und die Yamakasi zu Beginn wohl niemals erträumt hätten. Ungeachtet, ob
1.7Definitionen
Durch die Geschichte der Sportart – geprägt von Freundschaften, sich trennenden Wegen und eigenen Interpretationen der Gründergeneration – haben sich über die Jahre verschiedene Begriffe und Definitionen um die Bewegungskunst herum gebildet. Zwar mögen diese für einen Außenstehenden quasi identisch oder ihre Unterschiede nur marginal erscheinen, historisch und kulturell ist ihre Differenzierung jedoch von großer Bedeutung.
Aus diesem Grund sollen im folgenden Kapitel die drei ursprünglichsten Begriffe,
1.7.1L’art du déplacement
L’art du déplacement (auch:
Zentral für
(frei übersetzt von: Art du Deplacement Academy, 2015)
Bis heute lehren vier Athleten der ersten Yamakasi-Generation die Kunst der Fortbewegung in eigenen Schulen auf der ganzen Welt.
1.7.2Parkour
Der Begriff Parkour (auch:
Durch die Differenzierung vom bis dato verwendeten Begriff
Hartes, effizientes und auf Nützlichkeit ausgelegtes Training stand im Zentrum seines Parkour-Begriffs. Eine kurze und prägnante Definition des ursprünglichen Parkour könnte also wie folgt lauten:
Dabei beschreibt der Begriff Effizienz in diesem Kontext vorrangig ein schnelles und kraftsparendes Handeln des Athleten, während die Ganzheitlichkeit des Trainingsbegriffs sich auf die Komponenten der Physis und der Psyche konzentriert. Zentral in der klassischen Definition steht somit eine gewisse Zielstrebigkeit und das klare Verlangen nach einer disziplinierten Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Umwelt.
1.7.3FreeRunning
Das FreeRunning (auch:
Ähnlich wie die anderen Yamakasi, welche ADD prägten, versteht er FreeRunning als inklusive Aktivität (Foucan, 2008). Persönlich fokussiert er sich aber zunehmend auf die Facetten des Selbstausdrucks und der Kreativität.
In seinem Buch
(frei übersetzt aus: Foucan, 2008, S. 8)
1.7.4Definition für die Lehre
Zwar unterscheiden sich die oben vorgestellten Definitionen in einigen Facetten oder legen ihre Schwerpunkte auf verschiedene Nuancen, auf der anderen Seite verbindet sie auch viele Gemeinsamkeiten. Damit ist nicht nur ihr gemeinsamer Ursprung gemeint, sondern auch fundamentale Grundsätze, in denen sich die Pioniere überwiegend einig waren.
Allen voran das Wissen darüber, dass
Das Training sollte folglich dazu dienen, über physische Reize psychische Veränderungen hervorzurufen; einerlei, ob in Bezug auf Mut, Selbstausdruck, Altruismus, Anpassungsfähigkeit oder Willenskraft. Bewegungen wurden aus allen möglichen Kontexten für Parkour zweckentfremdet, dienten sie der Lösung eines Problems. Dieses Detail wird jedoch weitläufig übersehen oder missachtet.
Des Weiteren fällt eine Differenzierung in die oben beschriebenen Subkategorien in der Praxis oft schwer. Im Training vermischen sich die Zielsetzungen der Athleten ständig und sind nicht immer trennscharf zu definieren. Verbunden mit der medialen Darstellung, in welcher sich der Begriff
Um also aus dieser Zwickmühle zu entfliehen und eine für das vorliegende Buch stringente Nutzungsweise der Begriffe zu erreichen, wird in den folgenden Kapiteln allein der Begriff Parkour genutzt. Dieser hat sich am weitesten verbreitet und zum Überbegriff der Sportart entwickelt.
Zweifelsohne werden die Eigenständigkeit und Unterschiede der Subdisziplinen an dieser Stelle respektiert und anerkannt. Um dem modernen Zeitgeist jedoch gerecht zu werden, und auch für die Lehre eine etwas leichtere Definition anzubieten, soll der Begriff Parkour im Kontext dieses Buchs wie folgt verstanden werden:
Diese, tatsächlich sehr offene, Definition von Parkour legt ihren Schwerpunkt primär auf den Begriff der Herausforderung. Welche Form von Herausforderung das nun individuell ist, ob technisch, kreativ, effizient oder mental, ist in erster Linie dem Athleten und den Möglichkeiten in seiner Umgebung überlassen. Bewegungen als solche sind somit eher ein Mittel zum Zweck der Lösungsfindung, als dass sie einem konkreten Anwendungsbereich unterzuordnen sind.
Des Weiteren schließt diese Definition das Finden von eben solchen Herausforderungen mit in ihr Verständnis von Parkour ein. Dieses steht zwar dem ersten Anschein nach in direktem Konflikt mit der klassischen Sichtweise, dass Parkour auf Anpassung an die Umwelt und Bewegung somit als Reaktion auf diese versteht, nimmt aber die aktuellen Strömungen der Szene, und auch das Verständnis des
Ähnlich wie damals die Familie Belle im Wald von Sarcelles von ihrem Vater Raymond dazu aufgefordert wurde, sich intensiv mit den Begeben- und Beschaffenheiten der Hindernisse auseinanderzusetzen, ebenso versteht sich die Suche nach Herausforderungen als erster Schritt eines später anpassungsfähigen Denkprozesses; denn Adaption bedingt Kreativität. Nur wer verschiedene Möglichkeiten sieht, kann seine Möglichkeiten auch effizient zu nutzen lernen.
KAPITEL 2
4Rahmen und Ziele der Parkour-Lehre
5Grundlagen des sportlichen Trainings
6Grundlagen der Bewegungsvermittlung
Kapitel 2
PHILOSOPHIE UND WERTE
Wie einem beim Lesen der Geschichte des Parkour-Sports bisher schon aufgefallen sein dürfte, ging es schon von Beginn an um mehr, als nur die reine Bewegung. Oftmals fällt dabei der Begriff einer Philosophie, eines Hintergrundgedankens, der als Grundlage einer bestimmten Trainingslehre dienen, und als wichtiger als ihre physischen Merkmale betrachtet werden sollte.
So ging es bei Georges Héberts
Aber nicht nur eine Grundphilosophie hat die Disziplin letztendlich geprägt, sondern vor allem die Werte, nach welchen die Traceure versuchen, ihre Sportart auszuleben und zu vermitteln. Denn, angelehnt an ihre Erfahrungen im Frankreich der 1980er-Jahre und inspiriert von ihren Vorbildern aus dem Kampfsport oder den Comics, die sie lasen, entwickelten die Yamakasi ihr eigenes Gedankengut.
Besonders beeinflusst wurden sie dabei wohl von ihrem Gefühl der Stärke, das ihnen die Gemeinschaft und Freundschaft verliehen hatte. Folglich entwickelten sich vor allem Inklusivität und eine tendenziell wettkampffreie Atmosphäre zu Kernaspekten ihrer Lehre.
Heute ermöglichen es uns genau diese Maximen und Gedanken, eine nicht nur physisch spannende Sportart zu präsentieren, sondern noch parallel dazu soziale Themen, wie Gemeinschaft, Respekt oder Bescheidenheit, mit zu adressieren.
2.1Die Werte im Parkour
Grundsätzlich entstehen die Werte einer Sportart aus den übergeordneten Überzeugungen ihrer Ausübenden. Sie dienen dabei als Ideale und Leitideen, die beschreiben, wie die Sportler handeln, denken und miteinander umgehen bzw. kommunizieren möchten.
Im Parkour haben sich die Traceure dabei viel von den asiatischen Kampfkünsten abgeschaut sowie die damaligen Strömungen von Gesellschaft und Politik mitadressiert. Entgegen der vorherrschenden Spaltung von Religion, Nationalitäten und Gesellschaftsklassen stellten die Jugendlichen Offenheit, Selbstbestimmung und Gemeinschaft in den Fokus ihres Umgangs. Sie wollten gegen Regeln, Rangordnungen und das reine Leistungsprinzip rebellieren.
Dabei dienten ihnen die Philosophien von Hébert und Raymond Belle als Ausgangspunkt, welche die körperliche Herausforderung als Mittel zur Persönlichkeitsschulung und Stärkung der eigenen Fähigkeiten betrachten. In diesem Kontext hielten sie Wettkämpfe, Vergleiche und die generelle Selbstdarstellung folglich für obsolet. Gegenseitige Hilfe, Bescheidenheit und das Vertrauen in sich und seine Trainingspartner rückten in ihren Fokus.
Tatsächlich lässt sich beobachten, dass das Befolgen und Einstehen für gewisse Werte auch die Kompetenzen von Anhängern des Parkour-Sports beeinflusst. So werden beispielsweise besonders kreative, in ihren Bewegungen sichere und generell offene und hilfsbereite Persönlichkeiten wertgeschätzt. Da auf diese Art und Weise eine Subkultur entsteht, in welcher gewisse Handlungsweisen und Ideale bestärkt oder auch kritisiert werden, streben viele der Anhänger folglich nach den in ihrem Umfeld akzeptierten Idealen.
Besonders eindrucksvoll zeigen das Beispiele aus Krisengebieten oder aus sozial angespannten Regionen. Hier begannen Menschen, die sich für Parkour begeistern konnten, ihre zerstörte Umgebung plötzlich nicht mehr nur als Trümmer zu betrachten, sondern interpretierten diese als Trainingsorte und Stätten der Selbstentfaltung und Möglichkeiten.
Die gemeinsame kreative Interpretation erlaubt es, politische Differenzen weichen zu lassen und so vereinte Ziele zu verfolgen und die Ideale des Parkour-Trainings zu stärken. Dabei fördert vor allem die Wettkampflosigkeit der Disziplin ein kooperatives Verhalten.
Dennoch fungieren Werte nicht einfach so als Friedensboten oder Heilsbringer. Sie können nicht wahllos über jeden Menschen oder jedes Angebot übergestülpt oder erzwungen werden, sondern müssen organisch entstehen sowie praktisch ge- und erlebt werden können. Das Verfolgen eines Wertideals kann also erst dann einsetzen, wenn sein Sinn verstanden und als persönlich wünschenswert empfunden worden ist. Folglich stehen sie in einer ständigen Wechselwirkung mit der gelebten Praxis.
Demzufolge ist es unabdingbar, dass die Parkour-Sportler sich selbst, ihre Motivationen und Handlungen jederzeit hinterfragen, sowie, dass sie das Verhalten der anderen Sportler um sie herum ständig beobachten und diskutieren. Missstände, wie Rassismus oder Sexismus, müssen daher auch innerhalb der Parkour-Szene immer wieder aufgedeckt und thematisiert werden.
Ob in den Kommentaren unüberlegter Social-Media-Posts, in gemeinsamen Trainingssessions oder auf größeren Veranstaltungen – die Sportler und Sportlerinnen müssen gemeinsam für die gleichen Ideale einstehen und diese kommunizieren. Nur so bleiben Werte bestehen und nur so können sie sich zeitgemäß mit den Strömungen der Gesellschaft auseinandersetzen und daran wachsen.
2.2Ein Wertemodell
Um die grundlegenden Parkour-Werte für Außenstehende und Novizen greifbar zu machen, haben sich in den letzten Jahren verschiedene Parkour-Organisationen damit beschäftigt, sie in verständlichen Darstellungen abzubilden. Durchgesetzt hat sich dabei vor allem das Fünf-Finger-Modell von
Der Daumen: Konkurrenzfreiheit
Der Ursprung von Parkour liegt in der
Der Zeigefinger: Vorsicht
Sicherheit ist unabdinglich. Folglich sind Riskobewusstsein und -einschätzung zentrale Kompetenzen eines gewissenhaften Traceurs. Eine korrekte Selbsteinschätzung sowie ein geschultes Auge für Umgebung und Situation müssen daher ständig trainiert werden.
Der Mittelfinger: Respekt
Respekt ist im Parkour in Bezug auf drei Bereiche anwendbar:
Respekt gegenüber
Ähnlich wie der Körper, sollte aber auch die
Letztlich gilt es zudem, die
Der Ringfinger: Vertrauen
Das Vertrauen in sich selbst und seine Fähigkeiten ist die Grundlage der Selbstwirksamkeit. Nur wer selbstbewusst an die eigenen Stärken glaubt und sich seiner Schwächen bewusst ist, kann sich immer neuen Hindernissen stellen und lernen, an ihnen zu wachsen.
Der kleine Finger: Bescheidenheit
Im Parkour gibt es immer eine nächste, noch schwerere Herausforderung. Man kann Parkour nicht „können“! Entsprechend demütig sollten Traceure mit ihren Fähigkeiten nicht hausieren gehen, sondern sie eher dazu nutzen, andere auf deren Weg zu unterstützen und diese an ihren eigenen Erfahrungen teilhaben lassen.
Die Faust: Mut
Als Symbol des Greifens vereint die Faust alle Werte. Sie soll dafür stehen, „sein Leben selbst in die Hand zu nehmen“ (Widmer, 2016, S. 11) und durch Parkour sein Handeln und seine Umwelt besser begreifen zu können. Weiter steht sie für den Mut, eigene Entscheidungen zu treffen und dazu zu stehen.
2.3Die Werte in der Praxis
Nachdem der Begriff der Werte nun vorgestellt und anhand eines Modells veranschaulicht worden ist, bleibt nun aber die Frage, wie Organisationen und aktive Traceure diese Werte in ihrem Trainingsalltag tatsächlich erleben oder sie dort hinein zu übertragen versuchen. Um dies beispielhaft zu beantworten und mit Leben zu füllen, hier einige kurze Gastbeiträge aktiver Parkour-Sportler:
Parkour für alle!
„Als ich das erste Mal mit Parkour in Kontakt kam, war es für mich eine Sportart, die etwas Cooles an sich hatte und bei der ich mir dachte: ‚Ja, so etwas möchte ich auch machen!‘ – Jetzt, nachdem ich den Sport seit knapp neun Jahren selbst betreibe, hat sich meine Sichtweise darauf aber grundlegend geändert:
Heute ist Parkour für mich eine Lebenseinstellung. Die Erfahrungen, die ich im Parkour sammeln konnte, konnte ich dazu nutzen, um sie auf Herausforderungen meines Alltags zu übertragen. Was mir dabei besonders gefällt, sind die individuellen Bewegungsstile, die jeder Athlet in der Szene besitzt; dass jeder Traceur einzigartig ist. Dadurch habe ich das Gefühl bekommen, dass ich als Mensch mit Behinderung endlich das erreichen konnte, was ich schon immer wollte: dass Leute sehen, zu was Menschen mit Handicap in der Lage sind! Nicht mehr nur auf die Behinderung reduziert zu werden.
Aber auch die Offenheit, die im Parkour gelebt wird, ist ein Grund, warum ich diesen Sport lebe und liebe. Jeder Mensch wird herzlich aufgenommen und vom ersten Training an unterstützt. Dadurch habe ich viele Freundschaften schließen können, die inzwischen auch weit über den Sport hinausgehen.
Bis heute bereue ich die Entscheidung nicht, mit Parkour angefangen zu haben. Der Sport gibt mir die Kraft und die Motivation, an mich selbst zu glauben. Ich habe die Vision und den Willen, mit dem Sport die Gesellschaft zu beeinflussen und zu zeigen, dass jeder Mensch in der Lage ist, etwas zu bewegen. In jedem von uns steckt etwas Besonderes!“
Parkour am Altenheim
„In Münster ist der Zugang zum Parkhaus des Theaters wegen seiner vielen Mauern und Stangen wahrscheinlich der beliebteste Spot (dt.:
Das Verhältnis zwischen den Traceuren und den Bewohnern ist allerdings nicht zufällig so gut: Von Anfang an war der Münsteraner Parkour-Community klar, dass der Spot und die Anwohner respektvoll behandelt werden müssen, um nicht auf Dauer weggeschickt zu werden. Über die Jahre hin pflegten wir dort also die Beete, befreiten die Wege von Unkraut und setzten neue Pflanzen ein, die wir nach dem Training gießen. Dazu halten wir uns an die Regel, die Beete beim Training möglichst komplett zu meiden. Mit Zuschauern und den zuständigen Hausmeistern gehen wir offen und freundlich um und verzichten auf laute Musik.
Im Sommer 2019 organisierten wir dazu eine Veranstaltung im Rahmen des Kulturprogramms der Tibus-Residenz. Die Senioren waren eingeladen, sich von den Schülern und Coaches der örtlichen
Hinterlasse keine Spur!
„
Die
JAMs9 sind das Lebenselixier von Parkour. Menschen an lokalen Trainingsspots zusammenzubringen, andere Gleichgesinnte zu treffen, Ideen auszutauschen und mit Freunden zu trainieren, war schon immer ein zentraler Bestandteil von Parkour und seiner Entwicklung. Daher war es absolut sinnvoll, diesen fast universellen Brauch mit dem einfachen, aber äußerst zielgerichteten, funktionalen und sozial denkenden Konzept
Das Parkour-Training verbindet uns mit unserer Umwelt auf eine einzigartige Art und Weise. Die Räume, die wir nutzen, die Architektur, die Hindernisse, die Oberflächen – jeder Aspekt der Umgebung bedeutet etwas für einen Traceur, und wir können uns privilegiert und glücklich schätzen, in der Lage zu sein, in solch einer freien und uneingeschränkten Art in unzähligen wunderbaren Szenarien trainieren zu dürfen. Demnach sollten wir darauf achten, diese Orte zu respektieren, und uns dazu verpflichten, sie für andere Traceure, spätere Generationen und natürlich andere Menschen, die dort wohnen, leben oder arbeiten, zu bewahren.
Der oben beschriebene Grundsatz geht aber noch einen Schritt weiter: Wir können nicht nur Bewegung oder positive Energie in unseren Gemeinden und in den Räumen um uns herum teilen, sondern auch daran arbeiten, diese besser zu hinterlassen, als wir sie vorgefunden haben. – Und so funktioniert ein
Zu Beginn jeder Session planen wir eine Stunde ein, in welcher jeder den Spot und die Ecken rundherum von Dreck, Müll und Abfall befreit, diesen, zum Recyceln, in verschiedene Müllbeutel sortiert und in der jeder schaut, auf welche Weise er den Ort mit einfachen Mitteln verbessern kann. Beginnt anschließend die JAM, so sind die Teilnehmer jetzt in der Lage, an einem Spot zu trainieren, von dem sie wissen, dass er sauber ist und keine Gefahren, wie Scherben oder Abfälle, mehr birgt.
Das verbessert nicht nur das Erlebnis, sondern bringt Menschen für einen gemeinsamen Zweck zusammen und schenkt der Veranstaltung einen breiteren sozialen Nutzen.
Dieser Ansatz hat zudem den Vorteil, dass er die Verbindung der Teilnehmer zu ihrer (urbanen) Umwelt stärkt und dass sie so beginnen, zu verstehen, wie ihr Training ebendiese beeinflusst – positiv wie negativ. Und Bewusstsein ist unabdinglich für einen Traceur!
Die Philosophie von Parkour hat an Stärke gewonnen, weil sie diese Prinzipien im Herzen trägt, aber jede Philosophie bleibt nur dann nützlich und relevant, wenn sie auch gelebt wird. Sie muss verkörpert werden.
Zu
KAPITEL 3
4Rahmen und Ziele der Parkour-Lehre
5Grundlagen des sportlichen Trainings
6Grundlagen der Bewegungsvermittlung
Kapitel 3
COMMUNITY UND SZENE
Der moderne Parkour-Sport wurde durch Freundschaften entwickelt und geprägt. Dabei stand die gemeinsame Bewegung, die gegenseitige Herausforderung und der offene Austausch schon von jeher in seinem Fokus. Werte standen über Leistung, und die Inspiration über dem Gewinnen.
Fußend auf diesen Überzeugungen, ist so über die Jahre eine Kultur gewachsen, die vor allem eine begeisterte Community hervorgebracht hat, die sich selbst organisiert und definiert. Für sie ist Parkour mehr als nur ein Sport …
3.1Parkour: Ein Lebensstil
Dieses Zitat hört man fast immer von Traceuren, wenn diese ihre Herzenssportart vorstellen und erklären dürfen. Sie sprechen fast poetisch über Parkour, und wie das Training ihren Lebensalltag, ihre Werte und ihre ganze Denkweise eingenommen und verändert hat. Begonnen bei der neuen Wahrnehmung ihrer direkten Umwelt, in welcher bedrückende Hindernisse zu spannenden Bewegungsmöglichkeiten wurden, über die neuerliche Auseinandersetzung mit sich selbst, bis hin zur Vernetzung mit Gleichgesinnten – teils weit über die eigenen Stadtoder Landesgrenzen hinaus.
Parkour formte ihre Weltanschauung und ihre Auseinandersetzung mit ebendieser.
Während manche den Sport nun gar als Kunst verstehen, betonen andere vor allem die Freiheit, die ihnen Parkour geschenkt hat. Frei von gesellschaftlichen Konventionen, von den Regeln urbaner Architektur und von Institutionen, wollen sie ihren eigenen Weg bestimmen, indem sie die bekannten Gegebenheiten lernen, neu für sich zu definieren und zu nutzen.
Nicht selten scheinen ebendiese Menschen, die einmal eine derartige Sicht auf die Welt gewonnen haben, sie nicht mehr loslassen zu können. Eine Mauer wird für sie niemals mehr wieder „nur eine Mauer“ sein und auch soziale Werte, die mit Parkour einhergehen, wie Toleranz oder Nachhaltigkeit, werden ihr Leben fortan begleiten.
Aber nicht nur die eigene Entwicklung steht für viele Sportler im Vordergrund. Sie engagieren sich auch in der Parkour-Vermittlung, tauschen sich bei Reisen aus, organisieren ganze Events, gründen eigene Modemarken oder erstellen Filme und Videos für Gleichgesinnte. Authentisch und unabhängig wollen sie gemeinsam den Sport gestalten und definieren ihre Zugehörigkeit vor allem durch ihre aktive Teilhabe in der Gemeinschaft.
Diese Eigenschaften machen Parkour damit unter wissenschaftlichem Aspekt zu einem sogenannten Lifestylesport (Wheaton, 2013; Gilchrist & Wheaton, 2016) und ihre Teilnehmer zu einer Szene (Hitzler, Bucher & Niederbacher, 2001). Dabei tauschen sich die Aktiven über ein bestimmtes Thema aus, definieren und identifizieren sich damit und entwickeln es schließlich weiter. Altersklasse, Herkunft oder Geschlecht spielen dabei eine untergeordnete Rolle.
Ihr Sporttreiben wird für sie so tatsächlich zu ihrem Lebensinhalt und zu einem festen Bestandteil ihrer Persönlichkeit und ihres Selbstbildes.
3.2Die Organisation der Parkour-Szene
Kontakt zur Parkour-Szene stellt man heutzutage vor allem online her. Die Aktiven versammeln sich in Social-Media-Gruppen und Internetplattformen, verabreden sich dort und organisieren sich informell – also ohne regulierenden Rahmen (z. B. Verein oder Verband). Dabei tauschen sie sich aus, verabreden und inspirieren sich.
Um lokal aber eine höhere Kompetenz und eine einheitliche Adresse für Parkour bieten zu können, haben sich manche lokalen Gruppierungen auch örtlichen Sportvereinen angeschlossen oder haben selbst schon einen eingetragenen Verein (kurz: e.V.) gegründet.
Prinzipiell ist es heute durch Online-Suchmaschinen zudem recht einfach geworden, örtliche Gruppierungen ausfindig zu machen.
Ansonsten gilt für viele Traceure das „Kennst du einen, kennst du alle“-Prinzip, das durch die tief verwobenen Strukturen der noch überschaubaren Szene begünstigt wird. Demnach kann man oftmals einen schon bekannten Traceur nach Tipps oder Kontaktpersonen in anderen Städten fragen – mit einer recht hohen Chance auf Erfolg. Aber Vorsicht! Es gibt nicht nur
Tatsächlich könnte man zwischen verschiedenen unterscheiden …
■private Gruppierungen (Freundeskreis/Kleingruppe);
■lokale Szenen (Stadt-/Kreisgebiet);
■regionale Szenen (Bundesland/Region);
■nationale Szenen (Nation);
■internationale Szenen (z. B. Kontinent);
■die globale Szene (weltweit).
All diese Subkategorien haben (mehrere) eigene Foren und Plattformen und organisieren sich teils höchst unterschiedlich. So ist der Szenebegriff eines einzelnen Traceurs durch seine eigenen Kontakte und sein eigenes Engagement auf entsprechender Ebene bedingt. Nur dort, wo er sich selbst einbringt und beteiligt, gehört er auch dazu.
Zwei Athleten können also von zwei verschiedenen Parkour-Szenen sprechen – je nachdem, in welchen Kreisen sie sich bewegen und austauschen.
3.3Szenetreffen
Treffen sich Traceure, dann geht es meistens um Training. Dazu organisieren sie sich aber nicht nur lokal mit anderen, sondern reisen auch zu großen Szenetreffen in andere Regionen der Welt!
Session
Traditionell verabreden sich die Traceure lokal zu freien, selbstständigen Trainingsmeetings (auch:
Ähnlich wie beim Skateboarden bleiben die Traceure dabei meist an bestimmten
Das medial regelmäßig verbreitete Bild von Parkour-Läufern, die einfach geradeaus durch die Stadt sprinten, stimmt so also nicht. Ohne das Testen von Materialfestigkeit, Landeflächen oder kreuzenden Straßen wäre das auch viel zu gefährlich!
JAM
Über seinen persönlichen oder lokalen Kreis hinaus trifft man sich in der Szene dann klassisch auf sogenannten
Die Gäste finden zusammen und lassen sich vom Geschehen des Tages leiten. Kommunikation, Austausch und Gemeinschaft gelten dabei als die zentralen Komponenten.
Event
Moderne, professionalisierte und akribisch organisierte Veranstaltungen kann man dagegen auch als Parkour-Events unterscheiden. Dabei gibt es oft geregelte Übernachtungsmöglichkeiten, geleitete Workshops und Spottouren oder, heutzutage, auch Wettkämpfe.
Innerhalb der Trainierenden wird aber alles einfach JAM genannt – das ist effizienter.
Wettbewerbe
Wettbewerbe – in der Szene
Da sie dem ursprünglichen Wert der Konkurrenzfreiheit widersprechen und ihren Fokus meist auf Darstellung und Athletizismus, anstatt auf Inklusivität und Teilhabe legen, werden sie vor allem unter wertorientierten Traceuren eher kritisch betrachtet. Diese sehen durch den Fokus auf das Spektakel das eigentliche Image von Parkour gefährdet, welches Bewegungsfreude für jedermann propagiert, und sehen folglich auch die authentische Vermittlung in Gefahr, wenn Stereotype und Fehlinformationen ihre Arbeit erschweren.
Auf der anderen Seite bieten Wettbewerbe vielen Athleten jedoch die Möglichkeit und Perspektive, von ihrer Leidenschaft zu leben, Parkour in ihren eigenen Nationen durch Sponsoren- und Fördergelder zu entwickeln und sich auch durch persönliche Herausforderungen und Erfahrungen selbst zu fordern und zu entfalten.
So gesehen, bieten diese wettbewerbsorientierten Veranstaltungen eine dienliche Plattform, um sich innerhalb der Parkour-Welt zu etablieren, eine gewisse Reichweite zu erwirtschaften und schließlich lokale Geldgeber davon zu überzeugen, in den Parkour-Sport zu investieren. Auf diese Weise können Wettkampfathleten, neben der individuellen Persönlichkeitsentwicklung, auch ihren regionalen Communitys helfen.
Heutzutage ist die Diskussion, ob und wieso Wettkämpfe wünschens- oder verachtenswert für den Sport sind, etwas leiser geworden. Vielmehr besteht aktuell eher das Interesse darin, Formate zu entwickeln, die sowohl den Wettkampfathleten eine Plattform bieten können – welche auch für Zuschauer und potenzielle Geldgeber interessant ist –, während parallel die Werte des Parkour-Sports auch glaubhaft dargestellt und vermittelt werden können. Ein salomonischer Mittelweg quasi.
An dieser Herausforderung versuchen sich zurzeit diverse Parkour-Organisationen. Sie entwickeln verschiedenste Veranstaltungen und Programme für deren Teilnehmer und Zuschauer. Genereller Konsens unter ihnen ist dabei, dass die Organisation und Durchführung solcher Events nur von, für und mit authentischen Athleten funktionieren kann. Externe Interessenten tun sich daher meist schwer und treffen nicht selten auf starken Widerstand aus der gut vernetzten Szene. Die Traceure wollen ihre Eigenständigkeit nur ungern einer außenstehenden Institution unterordnen.
WETTBEWERBE
Eine kurze Auflistung bekannter Argumente für und gegen Parkour-Wettbewerbe sowie die drei verbreitetsten Formate finden Sie per QR-Code-Scan hier:
https://download.m-m-sports.com/extras/parkour/01_Parkour_Wettbewerb.pdf
KAPITEL 4
4Rahmen und Ziele der Parkour-Lehre
5Grundlagen des sportlichen Trainings
6Grundlagen der Bewegungsvermittlung
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