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Prolog

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Als Betty Lamottè das Licht der Welt erblickte, war noch nicht einmal klar, ob sie lange genug leben würde, um überhaupt eines Namens zu bedürfen. Sie war eindeutig zu früh dran, was offensichtlich daran zu liegen schien, dass ihre Mutter trotz der fortgeschrittenen Schwangerschaft immer noch sehr hart als Wäscherin arbeiteten musste. Es war der letzte Tag des Monats Januar, als Betty geboren wurde. Sie hätte sicherlich noch ein paar Wochen an dem Ort zubringen müssen, der ihr bis dahin Wärme, Schutz und Nahrung gewährt hatte. So aber fiel es dem anwesenden Armenarzt zunächst ungemein schwer, Betty zu bewegen, die Mühe des Atmens auf sich zu nehmen. Sicherlich ist das Atmen kurz nach der Geburt eine schwere Arbeit. Jedoch ist die Gewohnheit des Atmens zu unserm Wohlbefinden von Natur aus notwendig. So lag sie, eine geraume Zeit nach Luft ringend, in einer kleinen Schachtel, wobei sich die Waagschale ihres Lebens entschieden einer besseren Welt zuneigte. Wäre Betty damals in die Obhut der modernen Medizin hinein geboren worden, so wäre sie unzweifelhaft dem Tode anheim gefallen. So aber war nur ihr Vater, der aufgrund übermäßigen Alkoholgenusses, hilflos, und mit dem Gesicht in Erbrochenem, auf dem Flur lag, ihre vor Schmerz stöhnende Mutter, und eben dieser junge Armenarzt - der vertragsmäßig gezwungen war Hilfe zu leisten - bei der Geburt anwesend. Schließlich hatte der Schöpfer ein Einsehen, und gestattete Betty den Zutritt in sein Schaffenswerk. Sie tat einen tiefen Atemzug, kündigte ihre Ankunft mit lautem Geschrei an und wurde so in Berlin als Kind eines Walisers und einer Französin geboren. Hätte Betty in diesem Moment auch nur ansatzweise geahnt, in welche Welt sie hinein geboren wurde, sie hätte auf der Stelle kehrt gemacht. So aber wuchs sie, mehr oder weniger behütet, heran, erlebte die Wirren des ersten Weltkriegs und spürte die bohrende Not am eigenem Leib. Ihre Eltern gehörten der untersten Berliner Unterschicht an. Betty wuchs, wie so viele in der damaligen Zeit, in ärmlichsten Verhältnissen auf. Ihr Vater, ein trunksüchtiger Kohlentrimmer, vergewaltigte und schlug ihre Mutter fast täglich. Sie erlebte als Kind nie, was es heißt, wirklich geliebt zu werden. Als sie sich ihres erbärmlichen Standes endlich bewusst wurde, und um der Tristesse ihres Daseins zu entfliehen, lief sie so oft sie konnte in den Stadtpark. Hier war sie von allem befreit, hier fühlte sie sich wohl. Und wenn sie auf einer Bank saß, die Augen schloss und träumte, träumte sie immer von einem besseren Leben und einer Familie, die sie liebte. Es schien sogar, als konnten die Enten auf dem kleinen See ihr mehr Liebe geben, als ihre menschliche Umgebung. Besonders ein kleiner blauer Vogel hatte es ihr angetan. Wann immer sie auf der Bank saß und träumte, flog er auf einen Zweig direkt über ihr, und trällerte leise sein Lied. Betty bedankte sich jedes Mal mit einem Lächeln und warf ihm ein paar Brotkrümel hin. Die Zeit verging, ohne das sich ihre Lage verbesserte. Sie war gerade siebzehn Jahre alt, als sich ihre Mutter auf dem Trockenboden erhängte. Sie konnte das tägliche Martyrium einfach nicht mehr ertragen, und wählte lieber den Frei-Tot. Betty ahnte, das es nur eine Frage der Zeit war, bis sie von so einem Typen, wie ihr Vater es war, zur Frau genommen werden würde. Um nicht genau so zu enden wie ihre Mutter, mied sie daher jegliche Freundschaft mit den jungen Männern ihres Standes. Wenn sie durch die Straßen lief, sah sie die schicken Häuser und Villen der Leute, die keine Not kannten. Sie schwor sich immer wieder, dass sie alles dafür tun würde, einfach alles, was das Schicksal von ihr verlangte, um dieser Not zu entrinnen. Dann, eines Tages, traf sie im Park zufällig auf das Glamour Pärchen Berthold und Lisa Walter, und wurde von ihnen angesprochen. Ihr Zuhause war eine der Villen, die sie immer so bewundert hatte. Berthold und Lisa nahmen sie auf, und machten sie zu ihrer Dirne. Innerhalb einer Woche vögelten sie Betty in den Olymp der Lust und richteten ihr sogar eine Wohnung im vornehmen Grunewald ein. Natürlich nicht ohne Hintergedanken. Nun war Betty so etwas wie eine Edelhure, und empfing die Herren der Berliner Oberschicht. Die gut situierten Herren wurden ihr meistens von Berthold zugeführt. Betty war eine Hure ohne Skrupel, und keine noch so obszöne Lustbarkeit wurde von ihr abgelehnt. Bald hatten sich ihre Fähigkeiten bis in die besten Kreise der Berliner Gesellschaft herum gesprochen, und nicht nur Berthold und Lisa verdienten gutes Geld mit ihrer Arbeit. In recht kurzer Zeit hatte Betty sich ein kleines Vermögen beiseite gelegt. Als dann Peggy, eine ungarische Schönheit, in ihr Leben trat, nahm ihr Schicksal eine dramatische Wende. Auch Peggy war eine junge Hure, die sich auf der Straße den Männern hingab. Mit Peggy an ihrer Seite lernte sie, was Liebe und Vertrauen bedeutet. Bald waren sie ein Herz und eine Seele, machten sich das Leben so angenehm wie möglich. Sie teilten nicht nur das gleiche Schicksal, sie teilten sich auch ihr Leben und die Freier. Eines Tages lernte Betty bei einem Tanztee den Industriellen Christian Buchheimer kennen. Diese Liaison begann voller Leidenschaft, und endete zunächst tragisch. Sie sollte aber Einfluss auf ihr gesamtes weiteres Leben nehmen. Christian hatte ihr Herz und ihre Seele berührt, und sie empfand eine Liebe, wie sie sie vorher noch nie gespürt hatte. Sein Diener Hannes brachte Betty rein zufällig auf die Idee, ein amouröses Varieté zu eröffnen. Peggy erwies sich nun als wahres Genie, und brachte es tatsächlich fertig, diese Idee in die Tat umzusetzen. Als sie dann noch mit Christian Vater ein rechts bizarres Abenteuer im Park eines Hotels hatte, veränderte sich ihr Leben schlagartig. Peggy die heißblütige Ungarin und Betty wurden zu einer festen Größe des Berliner Nachtlebens in den „Goldenen Zwanzigern“ und die Männer lagen ihnen zu Füßen.

Betty Lamotté - Tagebücher des Schicksals

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