Читать книгу Trojanische Hühner - Ado Graessmann - Страница 6

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Es war schon spät am Abend, die Sonne war schon untergegangen und die Stadt lag in der Dämmerung, es war Anfang November als ich zum ersten Mal die Botschaft durch den Hintereingang betrat. Der Wachposten wurde schon vorher von meiner Ankunft informiert und winkte mich ohne weitere Kontrollen hinein.

Ich bekam ein Gästezimmer mit spärlicher Einrichtung, mit sehr einfachen Möbeln, die Matratze war hart, Stühle und der Tisch stammten wohl aus einem ehemaligen Feldlager.

Das Bewachungspersonal der Botschaft, alle Marines, mussten sich immer zu viert ein Zimmer teilen und auf dem Gang befand sich für je zwanzig Personen eine große Gemeinschaftstoilette, mit fünf separaten Duschen. Nur das gehobene Personal und der Botschafter hatten komfortable Zimmer, im zweiten Stock des Gebäudes, mit gesicherten Türen, Badewanne, Dusche und einer separaten Toilette.

Ich war seit fünf Tagen hier, eingereist war ich mit einem roten Reisepass, das Passfoto war echt, der Name aber nicht, die Echtheit wurde nie angezweifelt, er wurde ja auch von offiziellen Behörden ausgestellt, da es ein Diplomaten Pass war konnte ich auch ohne besondere Kontrolle einreisen.

Etwa einhundert Meter von der Botschaft entfernt, auf der anderen Straßenseite, befand sich ein altes Lagerhaus, das von einem Strohmann, als Abstellraum angemietet wurde. Ein früher Botschafter hatte das gesamte Haus anonym gekauft und die Kellerräume zur Verschleierung mit alten Möbeln, Kühlschränken und weiteren unnützen Dingen füllen lassen.

Vom Botschaftsgebäude aus wurde heimlich und illegal ein enger Gang unter der Straße hindurch zu einem der Lagerräume gegraben, meist nachts, durch Holzbretter abgestützt, bis der Beton gehärtet war. Es gab nur eine spärliche Beleuchtung, aber keine Belüftung für den Gang. Die angefallenen Erdmassen und Steine wurden bei Dunkelheit aus der Botschaft abtransportiert und im weiten Umfeld heimlich abgelegt, nur wenige Personen in der Botschaft wussten von dem Vorhaben. Die Eingänge des Schachtes wurden auf beiden Seiten durch starke Eisentüren abgesichert und Schränke, gefüllt mit unauffälligen Gegenständen, verdeckten den Blick darauf.

Ein Jahr nach dem Erwerb ließ der Botschafter die Außenwände und das Dach renovieren, in den Mauerfugen und unter der Dachrinne hatten die hauseigenen Handwerker Kameras angebracht, von der Straße aus erschienen sie wie kleine schwarze Knöpfe, die zwischen den Fugen wie Halterungen wirkten. Eine Kamera war direkt auf den Eingang der Botschaft gerichtet, mit den anderen konnte die gesamte Straße in beiden Richtungen bestens überwacht werden.

Alle zwei Tage wurden die aufgezeichneten Aufnahmen ausgewertet. Erschien eine Personen mehr als zweimal vor der Botschaft, dann erfolgte eine geheimdienstliche Erfassung. Auffällig war, dass sich seit einigen Tagen an den Straßenenden immer wieder kleine Gruppen von jungen Menschen versammelten, besonders aufgefallen waren zehn jugendliche Personen, die fast täglich erschienen und Aufnahmen von der Umgebung machten und wiederholt auf der anderen Straßenseite am Botschaftsgelände vorbei gingen und die Botschaft fotografierten. Geheimdienstliche Nachforschungen ergaben, dass es sich bei den jungen, bärtigen Männern um Studenten handelte, die sich in der Universität und in der Öffentlichkeit durch aggressive Hetzreden hervortaten.

Vor einigen Tagen waren alle Überwachungssysteme ausgefallen, nur die vom Botschaftsgelände am Eingang funktionierte noch. Besonders aufgefallen war ein in schwarz gekleideter Mann mit einer Kapuze, immer tief ins Gesicht gezogen und eine große Frau, ebenfalls in schwarzer Kleidung, auf einem Motorrad. Sie führen mehrmals am Tag die Straße von Süden nach Norden und wieder zurück von Norden nach Süden. Der Geheimdienst versuchte vergeblich ihre Gesichter erkenntlich zu machen. Eines Abends stieg die Frau vom Motorrad und sprühte auf die Wände des Lagerhauses in großen Buchstaben Hassparolen wie, Tod den USA, Tod den Ungläubigen und Rache für das, was ihr uns angetan habt.

Ich hatte hier eine spezielle Aufgabe, ich sollte in Erfahrung bringen, was aus den geheimen Waffenlieferungen wurde. Unsere Regierungen der letzten Jahrzehnte hatten das Land massiv mit Waffen unterstützt und Anleitungen zur Erstellung von illegalen Systemen gegeben, nicht offiziell, aber jeder der sich dafür interessierte, konnte es erfahren. So wurden Abhängigkeiten geschaffen und der Empfänger machte sich erpressbar. Einige Monate bevor der Herrscher aus dem Land geflohen war, hatte die Regierung nicht nur Luftabwehr Raketen geliefert, sondern auch Bauanleitungen für die Produktion von Kernwaffen und einige Zentrifugen für die Urananreicherung, die als Haushaltsgeräte deklariert eingeführt wurden, schließlich galt es sich gegen einen gemeinsamen Feind zu verteidigen, und da waren nun mal alle Mittel recht, der Kongress musste nicht nach seiner Meinung gefragt werden.

Der vierte November begann als sonniger Tag, gefrühstückt hatte ich noch nicht, im Konferenzraum standen mehrere Thermosflaschen mit Kaffee, Zucker, Milch und Tassen auf einem schweren Holztisch, daneben eine geöffnete Dose mit Keksen, frisches Obst lag auf mehreren Tellern.

Meine wesentlichen Informationen bekam ich verdeckt durch Ali. Ali war in Teheran geboren und hatte ebenfalls in Boston studiert, wir wurden gute Freunde und teilten uns für vier Semester meine Studentenbude. Die liegt in einer kleinen Bucht hinter dem Hafen an einem Kanal, früher war dies eine no go Gegend, bis die Bulldozer kamen und die alten Hütten niederwalzten.

Danach entstand daraus eine vornehme Gegend, mit weißen Häusern, alle nur drei Stockwerke hoch, mit Gehwegen am Kanal entlang, die reinste Idylle. Auch die Metro, die nur einige Meter von meinem Apartment verläuft, konnte wieder mit gutem Gewissen benutzt werden, auch nachts, seitdem gab es nur noch sehr selten Belästigungen oder Überfälle.

Als ich die erste Nacht dort verbrachte wurde ich vor Beginn der Dämmerung durch laute Knallgeräusche von der Straße kommend aufgeschreckt. Ich stand auf, ging ans Fester und sah sie, die Möwen. Sie stürzten pfeilartig ins Wasser, holten sich Muscheln von den Felsen und stiegen danach etwa hundert Meter in die Höhe auf. Erst über der Straße ließen sie die Muscheln wieder fallen, mit einem lauten Knall zerplatzten ihre Schalen auf dem Asphalt und konnten so von den Möwen gefressen werden. Bei Einbruch der Dämmerung unterbrachen sie ihr Schauspiel bis zum nächsten Morgen, erst als der Straßenverkehr für sie zu gefährlich wurde, beendeten sie ihr großes Muschelfressen.

Da Terri auf keinen Fall in das freie Zimmer einziehen wollte, sie hatte zwar einen Wohnungsschlüssel, sie wolle aber unbedingt ihre Freiheit behalten, hatte ich am schwarzen Brett in der Mensa einen Zettel angebracht, suche einen freundlichen und klugen Kommilitonen für meine Studentenbude, zwei separate geräumige Zimmer, ein großes gemeinsames Wohnzimmer mit Kamin, sowie Küche und zwei Bäder.

Noch am gleichen Tag meldete sich Ali bei mir, wir trafen uns am Metro Eingang und gingen in meine Kneipe auf ein Bier. Einige Zeit später kam auch Terri hinzu, bestellte wie immer einen Softdrink, sie trank nie Alkohol in der Kneipe, danach besichtigten wir drei gemeinsam meine Bude, zwei Tage später zog Ali bei mir ein, und so wurden wir schnell sehr enge Freunde, die sich fast alles teilten.

Ali war wirklich ein Genie, jeder von uns, der einst an der Eliteuniversität in Boston studierte, hielt sich für ein Genie, aber Ali war wirklich ein Genie und kein Fachidiot.

Um als Student in Harvard aufgenommen zu werden gibt es zwei Möglichkeiten, die Eltern müssen stinkreich sein und wiederholt große Summen auf das Konto der Universität als Spende überwiesen haben, oder der Bewerber musste ein sehr ausgedehntes Auswahlverfahren überstehen. Nur solche, die schon in den einzelnen Bundesstaaten die Auswahl überstanden hatten, konnten sich bewerben und wurden zu Einzelgesprächen eingeladen. Die dauerten meist drei Tage, der Kandidat wurde immer von vier Professoren aus unterschiedlichen Fachbereichen eingehend befragt, dabei ging es auch um Kenntnisse und Aktivitäten aus allen nur denkbaren Bereichen.

Ali hatte die Aufnahme in der ersten Runde geschafft und sich im Fachbereich Physik immatrikuliert. Nach zwei Semestern wurde ihm ein Stipendium angeboten, unter der Voraussetzung, dass er ein zweites Fach belegt und keine Prüfung wiederholen muss.

Während die Studiengebühren normalerweise zweitausend US$ monatlich betragen, werden diese nicht nur dem Stipendiaten erlassen, sondern er bekommt auch noch zusätzlich monatlich zweitausend US$ dazu. Fällt aber der Student einmal bei einer Prüfung durch, dann entfällt das Stipendium und er muss die gesamte Summe, die er bisher erhalten hatte, wieder zurück zahlen. Ali wählte als zweites Fach Mathematik und bestand alle Examina mit Glanz und Gloria. Ali konnte uns nicht nur die Maxwellsche Gleichung für elektromagnetische Felder im Vakuum und mit Materie erklären, für ihn war auch die Raum-Zeitverschiebung eine Selbstverständlichkeit. Er war wohl einer der wenigen unter uns, der Einstein wirklich verstand und auch die von Einstein vorhergesagten Gravitationswellen als beweisbar ansah, er meinte nur, hierfür würden zurzeit leider noch die experimentellen Voraussetzen fehlen.

Die meisten Studenten, wenn sie einmal von der Uni aufgenommen wurden interessierten sich nur für zwei Dinge, ihr Studium und für Partys. Nicht so Ali, er sog alles in sich auf, was ihm über den Weg lief, wie ein Schwamm.

Neunzig Prozent unserer Kommilitonen assoziierten einen Boxer mit Goethes Faust, Ali hingegen konnte nicht nur den gesamten ersten Teil von Faust frei zitieren, er konnte auch vortrefflich die weiche und ausgeglichene Stimme von Faust und die zynisch, diabolische des Mephistos imitieren.

Wir alle hatten erkannt, dass unsere Professoren zwar tafelweise Formeln ohne ein Manuskript in ihren Händen ableiten konnten, aber ansonsten waren sie auch nur gewöhnliche Menschen.

Eines Abends als ich mit Terri im Bett lag, fragte sie mich, wie aus heiterem Himmel, Mike was hältst du davon, wenn ich auch mal mit Ali schlafen würde. Zuerst wusste ich nicht was ich sagen sollte, ich wusste ja, dass Terri nie genug davon bekam und fast immer Lust auf Sex hat. Hätte ich nein gesagt, dann hätte sie es heimlich getan, so war sie nun mal. Seit diesem Tag suchte sie sich immer einen von uns aus, mit dem sie die Nacht verbringen wollte, ihr Auswahlverfahren blieb für uns immer ein Geheimnis, manchmal, wenn sie nicht genug davon hatte, wechselte sie das Zimmer und kroch zum anderen ins Bett. Sie liebte die einfühlsame Art, die zarte Berührung, wenn sie auf dem Rücken lag, war ihr Anblick immer wie ein verzauberndes, erotisches Wunder.

Manchmal, wenn wir abends spät nach Hause kamen, lag sie schon nackt in einem unserer Betten, da gab es keine lange Diskussion, sie hatte ihre Entscheidung schon für die Nacht getroffen, und damit war es eben so, basta. Zu besonderen Anlässen, wie bestandenes Examen oder Geburtstage ging sie gleich mit uns beiden ins Bett, manchmal erfand sie einfach einen Anlass, wie heute hatte es zu viel geregnet oder es war eben tagsüber zu warm für mich, dies war für uns immer ein ganz besonderer Kick.

Dieses ungewöhnliche Dreierverhältnis hätte bei vielen zum Zerwürfnis geführt, nicht so bei mir, Ali und Terri, wir scherzten oft darüber, und es führte uns noch enger zusammen, Ali meinte immer, eine gemeinsame Freundin ist schon was Besonderes und Terri, sie kann nie genug davon bekommen, so bekam jeder was er wollte, keiner von uns hatte sich jemals beklagt oder wollte etwas verändern.

Ich sagte zu Ali, weißt du der Hauptgrund, warum es bei uns so gut funktioniert ist der, dass keiner von uns beiden einen Besitzanspruch auf Terri erhoben hat, das ist das besondere Geheimnis an unserer Dreierbeziehung.

Als ich den Konferenzraum betrat, war es noch alles dunkel, ich machte das Licht an, schenkte mir einen Kaffee ein, ohne Milch und ohne Zucker.

Ali hatte die Zeichen der Zeit frühzeitig erkannt und war kurz vor der Flucht des Tyrannen in seine Heimat zurück gekehrt und hatte mit seinen Kenntnissen sofort eine zentrale Stellung im Forschungsministerium erhalten, das auch für die Waffen-entwicklung zuständig war. Es gab ja nur eine kleine Anzahl von Wissenschaftlern, die die nötige Kompetenz hatten und vom neuen Regime ebenfalls akzeptiert wurden, nach eingehender Gesinnungsüberprüfung.

Als ich Ali nach einigen Monaten zum ersten Mal wieder sah, war seine erste Frage, wie geht es Terri, er hatte sie seit seiner Rückkehr nicht mehr gesehen. Ali hatte sich äußerlich verändert, er trug schwarze Kleidung, hatte sich einen langen Bart wachsen lassen und sah wie ein gläubiger Muslime aus. Trotz aller Verkleidung erkannte ich sofort, dies war immer noch der alte Ali wie ich ihn aus Boston kannte.

Zuerst kamen einige hohe Militärs in Uniform in den Konferenzraum, sagten kein Wort, nicht einmal guten Morgen und schenkten sich Kaffee ein. Etwa dreißig Minuten später erschien der Botschafter, ein Mittvierziger mit kurzem Haar und ausdrucksvollen Gesichtszügen, alle standen auf und begrüßten seine Exzellenz.

Das erste Thema befasste sich mit der Sicherheitslage in der Stadt und die Frage wie man sich vor einem möglichen Übergriff durch den Mob schützen konnte. Es war nicht zu übersehen, dass es in der Bevölkerung rumorte. Die Militärs meinten, mit den zwanzig gut ausgebildeten Marines als Sicherheitssoldaten könnte die Botschaft lange verteidigt werden, Waffen und Munition wären mehr als genug vorhanden, damit könne man einen ganzen Krieg führen und die Verpflegung würde für etwa zwanzig Tage reichen.

Ich schaute dem Botschafter ins Gesicht und konnte dessen Zweifel erkennen, offensichtlich schätzte er die Lage anders ein als sein Militär, verzichtete aber auf eine weitere Diskussion.

Bevor ich meinen Bericht erstatten konnte, ertönte ein lautes Hämmern und Klopfen an der Sicherheitstür, dies war ungewöhnlich, normalerweise durften Geheimsitzungen nicht gestört oder unterbrochen werden.

Der Wachposten berichtete von Menschenmassen, die sich vor der Botschaft versammelt hätten, und einige von ihnen, junge Studenten, seien schon über den Zaun auf das Botschaftsgelände vorgedrungen. Seine Exzellenz möge sich bitte schnell nach oben begeben und entscheiden was zu machen ist, die Wachposten ständen schon um das Haus herum verteilt, mit Gewehren im Anschlag, mit scharfer Munition.

Der Botschafter war ein gebildeter Mann, mit guten Sprach-kenntnissen, der auch nicht zu unüberlegten Handlungen neigte. Noch bevor er an der Eingangstür angekommen war, gab er den Befehl, dass sich alle Wachposten in das Botschaftsgebäude zurückziehen müssen und es darf auf keinen Fall von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werden, dies war eine eindeutige Anordnung, der sich auch die Offiziere unterwerfen mussten, die Nichteinhaltung würde nur zu einer Eskalation führen. Durch Fenster im Erdgeschoss hindurch konnten wir sehen, dass das Tor zur Botschaft schon offen stand und immer mehr Personen auf das Botschaft Gelände strömten.

Der Botschafter öffnete die Eingangstür und von hinten reichte ihm jemand ein Megaphon. Mit ruhiger Stimme bat er die Eindringlinge in der Landessprache, das Gelände zu verlassen, dies sei exterritoriales Gebiet. Seine Ansage wurde nur durch hundertfaches Hohngelächter beantwortet.

Aus der Masse traten drei junge Männer hervor, sie waren dem Aussehen nach Studenten und nicht älter als fünfundzwanzig, Einer von ihnen schien der Mann mit dem Motorrad zu sein, sein Gesicht war nicht genau zu erkennen, er hatte die Kapuze seiner Jacke weit über das Gesicht gezogen und sich ein Tuch über die Nase und den Mund gebunden. Trotz aller Bemühungen war er auch nicht in der Kartei des Geheimdienstes erfasst, sie nannten ihn nur Mohamed, er war eindeutig der Rädelsführer, auffällig waren seine Hände an denen jeweils einige Finger fehlten, ich nannte ihn daher für mich den Fingerlosen, irgend einen Namen musste ich ihm halt geben.

Er erklärte die amerikanische Botschaft sei hiermit besetzt und sie hätten das Sagen, ab sofort, er sei der Sprecher des Rats der freien Studenten.

Ihre Hauptforderung ist die sofortige Rückführung des Schahs aus den USA und die Auslieferung der Unsummen an Gold und Geld, das sein Klan über Jahre hinweg dem Land geraubt und auf private Konten in der Schweiz und in anderen Ländern deponiert hatten, hierüber kann nicht verhandelt werden.

Nach dieser Mitteilung drangen etwa einhundert Stunden in das Botschaftsgebäude ein, entwaffneten das Personal und fanden kurz danach den Waffenraum, den sie sofort leer räumten und den gesamten Inhalt aus dem Gebäude heraus transportierten. Die entwaffneten Wachsoldaten sahen dem Geschehen tatenlos zu, was sollten sie auch anderes machen. Hunderte von Schnellfeuerwaffen aller Art und Kisten mit Munition wurden auf einen bereitstehenden Lastwagen geladen und abtransportiert. Nach einer Stunde waren sämtliche Räume der Botschaft besetzt und das gesamte Personal wurde in Geiselhaft genommen.

Im Büro des Botschafters wurden alle Regale umgekippt und der Inhalt auf den Boden geworfen, ebenso der Inhalt aller Schreibtischschubladen. Hinter dem Bild von G. Washington entdeckten sie den Botschaftssafe und forderten freundlich den Botschafter um die Herausgabe des Codes auf. Im Safe befanden sich die gesamten Pässe des Personals, frische Passport Formulare sowie die entsprechenden Stempel für die Ausstellung eines gültigen Passes, Geheimdokumente und eine größere Summe an Bargeld, alles nur US Dollars, die nicht nur für den Kauf von Lebensmittel vorgesehen waren, das meiste war für dunkle Geschäfte bestimmt und tauchte in keiner Bilanz je auf. Zunächst weigerte sich der Botschafter den Safe zu öffnen, schließlich erkannte er die Sinnlosigkeit seiner Weigerung, hatten die Besatzer doch nun hinreichend Mittel den Safe mit Gewalt zu sprengen, so nannte er die Zahlenkombination.

Der Fingerlose hatte das Botschaftsgebäude selbst nie betreten, auch seine Beifahrerin nicht, keiner der Mitarbeiter hatte jemals ihre Gesichter richtig gesehen um Fotos davon machen zu können.

Andere Studenten hatten am ersten Tag nach der Besetzung Fotos von allen Personen der Botschaft gemacht und die Namen registriert, egal ob sie einen roten Diplomatenpass hatten oder nicht. Internationale Regeln interessierten sie nicht. Mein Name nützte ihnen nicht viel. Die CIA, wir nannten sie untereinander nur die Firma, hatte eine lange Liste von Pseudopersonen, die es nicht wirklich gab, für die aber Bankkonten, Telefonrechnungen und weitere Identitäten vorhanden waren, aber von keinem gab es Frontalfotos oder Porträtfotos, nur solche, die Jedermann sein konnten.

Aus dem einen Tag wurden viele, die Anzahl der Besetzer die Tag und Nacht in der Botschaft blieben war fast immer gleich geblieben, nur die Gesichter waren meist anders. Im Konferenzraum wurden Tische und Stühle entfernet und 30 Matten für die männlichen Mitarbeiter als Aufenthalts und Schlafraum ausgelegt. Die Frauen der Botschaft bekamen einen kleinen separaten Raum. Nur der Botschafter und der Militärhäuptling durften ihr Zimmer behalten. Alle anderen Räume okkupierten die Besetzer. Sie verhielten sich uns gegenüber indifferent, es kam zu keinen Tätlichkeiten oder Übergriffen auch Grundnahrungsmittel wurden nach zwei Wochen zur Verfügung gestellt, die Alkoholvorräte waren bald aufgebraucht, Bier oder Wein zu den Mahlzeiten gab es nicht mehr. Belastend waren die hygienischen Bedingungen, zwar hatte der Botschafter seine Dusche auch für die anderen zur Verfügung gestellt, nur der Militärhäuptling nicht, er meinte ihm stehe auf Grund seines hohen Dienstgrades die alleinige Benutzung seiner Dusche zu und damit basta, trotzdem bildeten sich morgens und am Abend lange Schlangen vor den Duschräumen und die Duschdauer wurde auf fünf Minuten begrenzt.

An manchen Tagen schikanierten sie uns, stellten Strom und Wasser für einige Stunden ab. Am dritten Tag der Belagerung versuchte ich heimlich einen Fluchtversuch aus der Botschaft. Nur dem Botschafter teilte ich am Nachmittag mein Vorhaben mit, er erzählte mir von der Existenz des Geheimgangs als möglichen Fluchtweg und händigte mir den Schlüssel für die Sicherheitstüren aus.

Am späten Abend betrat ich den kleinen Abstellraum im Kellergeschoss hinter dem Sitzungssaal, schob den Schrank zur Seite und verharrte noch eine Weile im Dunklen, die Taschenlampe hatte ich noch nicht angeschaltet, um sicher zu sein, dass mein Vorhaben nicht bemerkt werden konnte. Als ich mich sicher fühlte öffnete ich problemlos die Stahltür mit dem Schlüssel und betrat den dunklen Gang, er war schmal, nicht breiter als eine männliche Person und roch muffig, ich lehnte die Tür hinter mir an, ohne sie zu verschließen und schaltete die Taschenlampe ein, nach wenigen Minuten erreichte ich eine zweite Stahltür am anderen Ende des Ganges, im Lagerhaus auf deren Straßenseite, ich steckte den Schlüssel in das Schloss und versuchte die Tür möglichst geräuschlos zu öffnen. Nach dem zweiten Versuch ging sie mit lautem Knarren auf, zu meiner Überraschung sah ich nicht in einen Lagerraum hinein, sondern stand vor einer weiteren Stahlwand, die kein Türschloss hatte. Mir wurde klar, dass diese Tür auch nicht mit Gewalt zu öffnen war, dies hätte auch zu viel Lärm gemacht und die Besatzer herbei gelockt. Da in der letzten Zeit der Gang nicht benutzt wurde und keiner von der Botschaft den Lagerraum aufgesucht hatte, war die Veränderung auch nicht aufgefallen. Die Besatzer hatten also den Gang entdeckt und den Ausgang versperrt. So verblieb mir nur die Rückkehr in das Botschaftsgebäude. Ich machte kehrt, und ging den stinkenden Gang eilig zurück.

In der Grundschule, ich glaube es war im vierten Schuljahr, hatte uns der Musiklehrer auf dem Flügel die Nocturnes op 9 no1 und op 9 no 2 vorgespielt, danach ließ er die Noten auf dem Flügel liegen, ich ging in der Pause hin, sah sie mir genau an und prägte sie mir sicher ein, auf den wenigen Metern im Gang bis zur Botschaft zurück sah und hörte ich es wieder, jede einzelne Note, nur wenige Töne, vier bis fünf unterschiedliche, sie waren wie sanfte Wolken, die kreisend mein Gemüt durchzogen und jeder einzelne Ton umfasste meine Seele mit beiden Händen. Ich wusste nicht warum ich es plötzliche hörte, war es die Dunkelheit die mich an die Nocturnes von Chopin erinnerten?

Gemälde und Skulpturen fixieren den Moment, können auch Geschichten erzählen, man muss sie nur intensiv betrachten und etwas nachdenken um sie zu erfassen, Musik erfühlt man, man braucht nicht nachzudenken, jedes Mal klingt es anders, wird immer wieder zum neuen Erlebnis, aber jeder hat die Freiheit es so zu hören wie es ihm gefällt, es klingt nicht immer gleich, der Moment bestimmt es, wie ich es höre. Religionen wollen keine Wahrheiten vermitteln, die Kunst auch nicht, sie will uns Wesentliches zeigen, es gibt keine richtige oder falsche Kunst, nur gute oder schlechte und die Töne, sie haben das Privileg unsere Seele in Wallung zu bringen.

Ich hatte mich schon öfters darüber gewundert, dass ich in einem Bruchteil einer Sekunde plötzlich ganze Szenarien sehen, Stimmen hören und Gerüche wahrnehmen kann. Dabei bin ich zugleich Akteur und Betrachter, so als würde ich mich in meinem eigenen Film von allen Seiten sehen können.

Noch bevor ich alles richtig durchdacht hatte, stand ich schon wieder neben der ersten Stahltür, trat hindurch und verschloss sie, schob den Schrank davor, alles sah wieder so wie zuvor aus.

Dies war der erste Ausbruchsversuch und nur der Botschafter wusste davon, es sollte nicht mein letzter Versuch sein. Vom Fenster aus im zweiten Stock hatte ich das tägliche Treiben auf dem Hof und vor dem Gebäude genauestens verfolgt. Dabei war mir aufgefallen, dass die Anzahl der Besatzer immer etwa gleich blieb, aber die Gesichter sich fast täglich änderten, bis auf wenige, es waren die Anführer, die sich nur im zwei Tage Rhythmus abwechselten. Einer war mir wieder besonders aufgefallen, er war ihr Anführer, der Fingerlose, er war von mittlerer Statur und zeigte ein energisches Auftreten, er wurde von den anderen Besatzern respektiert und machte immer einen konzentrierten Eindruck. Vor dem muss ich mich besonders in acht nehmen.

Die Hälfte der Besatzer waren Frauen, ihr Gesichter waren nie zu erkennen, alle trugen immer eine Burka, ohne wagten sich fast keine mehr auf die Straße, dafür sorgten schon die Sittenwächterinnen. Sie traten fast immer in Kohorten auf, mit Ästen von Rosenstöcken ausgerüstet, damit schlugen sie Frauen ohne Burka mitten ins Gesicht, die Dornen hinterließen bleibende Narben, für ihr sittenwidriges Verhalten sollten sie gebrandmarkt werden, für ihr ganzes Leben.

Ich musste also einen Weg finden, wie ich mich unbemerkt unter die Besatzer mischen konnte, um dann mit Alis Hilfe das Land verlassen zu können. Nachdem sich meine Beobachtungen bestätigt hatten, suchte ich wieder den Botschafter in seinem Zimmer auf und holte seine Zustimmung für mein Vorhaben ein. Unterhalb des Zimmers befand sich das Dach der Garage und es war ein leichtes mit einem Seil auf das Dach zu gelangen.

Ich hatte mich mit einer schwarzen Burka versehen und dunkle Handschuhe angezogen, an meinen Händen hätte man sonst leicht erkennen können, dass ich keine Frau war. Alles verlief einfacher als ich es erwartet hatte, das Seil mit dem ich mich auf das Garagendach herab ließ, wurde sofort zurück gezogen und an der Dachrinne entlang gelangte ich in den Hof, nur wenige Schritte und nach einigen Minuten stand ich auf der Straße, inmitten der Studenten, niemand hatte Notiz von mir genommen, ich war plötzlich einer von Ihnen.

Es war mir nicht möglich Ali anzurufen, seine Wohnung konnte ich auch nicht aufzusuchen, sein Telefon wurde bestimmt abgehört, denn Personen mit wichtigen Funktionen werden auch dauerhaft überwacht. Von seiner Wohnung aus hatte Ali freien Blick auf die Straße, etwas schräg gegenüber auf der andren Straßenseite befand sich eine öffentliche Telefonzelle. Beim letzten Treffen hatten wir vereinbart, dass ich auf das Dach des Telefonhäuschens einen leeren Kaffeebecher stellen würde, als Zeichen, dass ich ihn dringend sprechen muss. Am darauf folgenden Tag würde ich dann abends zwischen 22 und 23 Uhr im Schatten neben dem Telefon stehen und auf ihn warten. Noch am Abend als ich die Botschaft verlassen hatte, stellte ich einen leeren Plastikbecher auf das Telefonhäuschen, legte noch einen Stein hinein, damit der Wind ihn nicht hinweg wehen konnte. Ich sah zu seiner Wohnung hoch, es brannte aber kein Licht. Den ganzen nächsten Tag verbrachte ich in dem alten verlassen Haus in einem Hinterhof, den hatte ich zufällig entdeckt, Fensterscheiben gab es keine mehr und die Türen fanden wahrscheinlich schon vor einiger Zeit Verwendung als Brennholz. Lichtschalter waren noch vorhanden, aber wenn ich die Schalter nach oben oder nach unten kippte, entstand kein Licht, war auch nicht von Bedeutung, wichtig war, dass das Haus nicht von der Nebenstraße einsehbar war, ich war zuvor nie dort gewesen und kannte die gesamte Gegend nicht, mein Instinkt hatte mich dahin geführt. Wasser und etwas Obst hatte ich mir schon besorgt und wartete bis zum Einbruch der Dunkelheit, verließ mein Versteck, trat auf die Straße, ohne dass mich jemand sah. Etwa fünf Minuten vor der vereinbarten Zeit erreichte ich den Treffpunkt, um das Telefonhäuschen herum hatte sich noch mehr Müll angesammelt, leer Tüten Glasflaschen auch eine leere Kondomschachtel, aber mein Kaffeebecher stand noch genauso dort wo ich ihn gestern hingestellt hatte. Durch die spärliche Straßenbeleuchtung entstand durch das Telefonhäuschen ein langer Schatten der mir Schutz bot und mich in seiner Dunkelheit verschluckte. Es fuhren einige Autos vorbei, keines hielt an, niemand stieg aus, ansonsten verblieb die Straße menschenleer. Ich wartete mehr als zwei Stunden ohne dass Ali auftauchte, also musste ich mich für einen weiteren Tag in mein Versteck in den Hinterhof zurückziehen. Am nächsten Abend kam ich wieder zur gleichen Zeit, stand dort zum Schutze an der Hauswand angelehnt, selbst das schwache Licht warf noch den langen Schatten, auch der Becher befand sich immer noch an der gleichen Stelle. Es gab kein Licht in seiner Wohnung, doch nach etwa einer Stunde sah ich, wie sich die Haustür auf der anderen Straßenseite langsam und behutsam öffnete, ein in schwarz gekleideter Mann mit einer Kapuze, tief ins Gesicht gezogen, trat auf die Straße, schaute vorsichtig in alle Richtungen, es war Ali, schon an seiner Körperhaltung und so wie er sich bewegte, konnte ich ihn sofort erkennen. Ich blieb im Schatten stehen bis er fast das Telefon erreicht hatte und sagte leise seinen Namen. Er zögerte kurz, ging auf mich zu und umarmte mich und fragte nur leise, wie wird es wohl heute Terri gehen. Das letzte Mal hatten wir uns vor drei Wochen gesehen, bevor ich die Botschaft betrat, schon damals hatten wir alle denkbaren Sicherheitsmaßnahmen getroffen.

Ich erzählte Ali kurz wie ich aus der Botschaft entkommen war und dass ich schnellstmöglich das Land verlassen muss. Sicherlich war meine Abwesenheit bei der täglichen Kontrolle am Morgen aufgefallen und mein Passfoto an alle Behörden weitergeben worden. Zwar hatte ich einen weiteren Ersatzpass, der in meiner Jacke eingenäht war, ich hieß jetzt Gunner Sandberg, war Schwede und in Stockholm geboren, das Passfoto zeigte aber unverkennbar meine Visage, Flughäfen, öffentliche Verkehrsmittel und Grenzübergänge waren mir also verschlossen. Daher fragte ich Ali um Rat, wie ich am besten und unerkannt das Land verlassen kann. Du musst über das Gebirge fliehen, im Osten, zwar wäre der Weg zum Kaspischen Meer näher, das wirst du aber ohne Kontrollen nicht erreichen können. Nein, wähle den längeren Weg über das Gebirge nach Turkmenistan, die sprechen dort kein Farsi, aber du wirst dich schon mit ihnen verständigen können, bis dorthin wirst du nicht mehr als zwei oder drei Tage benötigen, ich kenne mich gut aus, bin dort geboren und weiß, dort gibt es nur selten Kontrollen, du musst nur manchmal die Hauptstraßen meiden, verkleide dich wie ein einfacher Arbeiter, du sprichst ja unsere Sprache gut, und wenn du Glück hast wirst du nicht auffallen. Am ersten Abend als ich mein Versteck aufgesucht hatte, sah ich in einer Ecke des Hinterhofs einen alten Lastwagen stehen, der scheinbar schon einige Zeit nicht mehr benutzt wurde, die Fenster waren total verstaubt und auf der Ladefläche stapelten sich einige leere Kisten, selbst der Schlüssel stecke noch im Zündschloss. Ali meinte nur lakonisch, ich werde die alte Kiste für dich wieder zum Laufen bringen lassen. Wir sprachen nicht viel, Ali stecke mir etwas Geld in meine Tasche, pass gut auf dich auf, wir sehen uns bald wieder. Er wollte gerade zurück gehen, da drehte er nochmals seinen Kopf zu mir um und fragte, Mike weißt du eigentlich warum Terri so eine einzigartige Frau ist, sie ist nicht nur von überwältigender Erotik, egal wie oft wir zusammen waren, es war immer wunderschön und niemals gab es einen peinlichen Moment zwischen uns, auch hatte ich niemals ein schlechtes Gewissen, und so soll es auch bleiben, dann drehte er sich wieder um und verschwand genauso geräuschlos wie er gekommen war.

Kurz vor Morgengrauen sah ich von meinen Versteck aus, wie drei dunkel gekleidete Männer den Hinterhof betraten, jeder hatte etwas schweres in beiden Händen, sie schauten sich kurz nach allen Seiten um, gingen dann geradewegs zum Lastwagen, zwei von ihnen öffneten den Tankdeckel, steckten einen großen Trichter in die Öffnung und schütteten den Inhalt von vier Benzinkanistern in den Tank. Der Dritte hob die Motorhaube an, holte einen Schraubenschlüssel aus seiner Tasche, lockerte die Verankerungen der Batterie, entfernte die beiden Kabel von den Polen, hob die alte Batterie heraus und ersetzte sie durch eine Neue. Die leeren Kanister und die alte Batterie stellten sie hinter dem Laster ab, für die ganze Aktion hatten sie nicht länger als zehn Minuten benötigt, alles verlief fast geräuschlos, sie schauten kurz zu mir herüber, aber ohne mir ein Zeichen zu geben, kein unerwünschter Beobachter hatte etwas von der ganzen Aktion mitbekommen. Einige Minuten später, mit einer gefüllten Wasserflasche in der Hand, öffnete ich die Autotür, auf dem Fahrersitz lag noch eine Landkarte, mit einem Bleistift war ein Fluchtweg eingezeichnet. Schon beim ersten Versuch sprang der Motor an.

Bis zum Gebirge waren es etwa fünfhundert Kilometer wenn ich nur auf den eingezeichneten Seitenstraßen fahren würde. Ali hatte mir auf der Rückseite der Landkarte noch einige Instruktionen eingezeichnet, was ich vermeiden sollte und wo ich Unterkunft finden konnte. Da es noch dunkel war, als ich vom Hinterhof heraus fuhr, schaltete ich nur das Standlicht ein, es waren keine weiteren Fahrzeuge oder Personen auf den Straßen zu sehen und nach einer guten halben Stunde konnte ich schon die Häuser der Stadt hinter mir in meinen Rückspiegel langsam verschwinden sehen. Der Tank war vollgefüllt, ich brauchte mir also um den Treibstoff keine Sorgen zu machen und es bestand keine Gefahr, dass an einer Tankstelle Videoaufnahmen von mir gemacht werden könnten. Ich fuhr in östlicher Richtung, der Verkehr nahm langsam zu, meistens waren es hochbeladene Lastwagen die mir entgegen kamen, einige Autos überholten mich, aber niemand nahm von mir Notiz. Am frühen Nachmittag, nach etwa zweihundert Kilometer erreichte ich eine kleine Ortschaft, in einer landwirtschaftlichen Gegend mit Obst und Getreide Anbau. In der Ortschaft war ein Krämerladen, den Ali mir auf der Rückseite der Karte beschrieben und empfohlen hatte, dort könne ich mir neben Lebensmittel auch noch nützliche Ausrüstungsgegenstände für meine Wanderung über die Berge und für die Nächte besorgen, der Besitzer des Ladens würde keine Fragen stellen, so war es dann auch. Ich besorgte mir eine wetterfeste Jacke, entsprechendes Schuhwerk, ein Feuerzeug, einen alten Kompass und eine Taschenlampe, sowie Proviant für drei Tage. Nachdem ich bezahlt hatte, meinte der Verkäufer nur, ich sollte lieber hinter dem Haus dem Feldweg entlang fahren, bis zum Wald und dort bis zum Einbruch der Nacht warten und mich und den Laster verdeckt halten. Danach wäre keine Polizeikontrolle mehr zu erwarten und die Straße wäre wieder frei für den Rest der Fahrt bis zu den Bergen.

Je näher ich dem Gebirge kam, umso schlechter wurden die Straßen, schließlich war es nur noch ein reiner Schotterweg, ohne Licht war die Straße kaum noch zu erkennen, so entschloss ich mich, nach weiteren zwei Stunden Fahrt, einen gesicherten Platz für die Nacht zu suchen, ich überquerte einen kleinen Fluss über eine Holzbrücke und stellte den Laster auf einem schmalen Weg zwischen zwei Tannen ab, die den Blick auf das Auto von der Straße aus verdeckten. Der Fluss führte klares Wasser, nach vier Tagen konnte ich mich endlich wieder einmal richtig waschen, es war mehr als nötig, Menschen beginnen unangenehm zu riechen, wenn sie lange kein Wasser mehr gesehen haben, erst merken es die anderen, dann man merkt man es selbst. Ich zog meine Kleidung aus und stieg nackt in den Fluss, das Wasser reichte mir bis zur Schulter es war kalt und erfrischend. Handtuch hatte ich keines dabei, so ließ ich mich vom Wind trocknen, bevor ich wieder meine Klamotten anzog. Die Nacht verbrachte ich auf der Ladefläche zwischen den leeren Kisten. Es war das erste Mal, dass ich seit längerer Zeit wieder einmal unter dem freien Himmel schlief, nach der Enge in der Botschaft fühlte ich mich wie im Paradies, unzählige leuchtende Sterne über mir, dazu noch das leise Stimmengewirr von unsichtbaren Tieren und das leise rauschen des Wassers, dass kontinuierlich dem Tal entgegen floss. Ich schloss die Augen und sah Terri mit einem breiten Lächeln vor mir, dann bin ich recht schnell eingeschlafen. Gegen Morgengrauen wurde es kalt, ich begann zu frieren, ich hatte aber nichts dabei womit ich mich einwickeln konnte. Meinen Atem konnte ich sehen, es sah so aus, als würde Zigarettenrauch den Weg nach außen durch meine Nasenlöcher suchen. Brennbares Holz lag genug herum, aber Feuer wagte ich keines zu machen, dazu begann es auch noch leicht zu regnen, nur einige Tropfen, ich stieg von der Ladefläche herunter und zog mich ins Führerhaus zurück, dort blieb ich bis zum Sonnenaufgang.

Ali hatte mir auf der Rückseite der Landkarte auch die Stelle angegeben, bis zu der ich fahren sollte, es waren noch etwa einhundertzwanzig Kilometer bis dorthin. Bevor ich weiter fuhr füllte ich noch meine Flasche mit Wasser vom Fluss auf, überquerte die alte Brücke und bog in die Straße ein. Seit es bergauf ging war mir kein weiteres Fahrzeug mehr begegnet, auch hatte ich keinen Menschen gesehen und nahm an, dass auch mich keiner gesehen hatte. Auf dem Weg nach oben kam ich an zwei Gehöften vorbei, einige Leute arbeiteten auf den Feldern und überall wo ich hinsah waren Hühner, aber niemand schien sich um mich zu kümmern, obwohl mein Laster nicht gerade geräuschlos war. Nach vier Stunden Fahrt hatte ich die Stelle erreicht, die mir Ali empfohlen hatte, wo ich den Laster abstellen sollte, ein schmaler Feldweg führte wieder über eine Holzbrücke zu einem spärlich bewachsenen Wald, nur wenige Bäume standen noch dort, nach den Baumstümpfen zu schließen, wurden die meisten schon vor einiger Zeit gefällt und wahrscheinlich als Bauholz oder zum Heizen verwendet, dort endete auch der Weg. Ich stieg aus, raffte meine sieben Sachen zusammen, alles passte in den neuen Rucksack, den Zündschlüssel ließ ich stecken, die Nummernschilder hatte ich schon am Abende zuvor abgeschraubt, mir war aufgefallen, dass die meisten Autos in der Gegend keine Nummernschilder hatten, so konnte auch niemand erkennen woher der Laster kam, als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme hatte ich nach Sonnenaufgang mit dem Spaten ein kleines Erdloch ausgehoben, etwa hundert Meter vom Laster entfernt, die Autoschilder hinein gelegt und wieder mit der Erde zugeschüttet. Nachdem ich die Erde noch mit der flachen Seite des Spatens festgeklopft und mit einigen Zweigen bedeckt hatte, musste ich von nun an zu Fuß weiter gehen, dafür war ich gut ausgerüstet und Bergsteigen machte mir sowieso keine Schwierigkeiten. Ich musste nur peinlichst darauf achten, von niemanden gesehen zu werden. Ich ging zur Straße zurück, von wo aus ich einen guten Überblick über die ganze Gegend hatte. Ich schätzte, bis zu den Berggipfeln waren es etwa sechs bis zehn Kilometer, erst erfolgte ein flacher Anstieg, über grüne Wiesen hinweg, bevor es steiler wurde, richtige Hindernisse konnte ich nicht erkennen. Entsprechend der Landkarte waren die Berggipfel auch die Grenze zum Nachbarland, die musste ich nur erreichen, wichtig war nur, dass mich wirklich niemand sah. Ich hatte mir die Landschaft genau eingeprägt und war mir sicher, den Steilhang auch in der Dunkelheit erreichen zu können, zumal die Nächte hier meist sternenklar sind. Ich suchte mir ein geeignetes Versteck auf der anderen Straßenseite, von wo aus ich einen guten Überblick über die Gegend hatte, musste aber dort bis zum Anbruch der Dunkelheit warten, bevor ich mich auf den Weg machen konnte. Noch am späten Vormittag kam ein einzelner junger Mann von oben der Straße entlang gelaufen, von meinem Versteck aus konnte ich ihn gut erkennen, er hatte dunkle Kleidung an, er konnte nicht älter als sechzehn oder siebzehn Jahre alt gewesen sein, ansonsten ließ sich keine weitere Menschenseele blicken. Nach einigen Stunden, am späten Nachmittag, kam der junge Mann wieder zurück, seine Schritte hatte ich schon vor einigen Minuten gehört, bevor er um die Biegung kam, sah ich, wie er plötzlich stehen blieb, in den Feldweg hinein schaute, genau dorthin wo der Laster stand. Zuerst schien er zu zögern, er schüttelte ungläubig den Kopf und entschied sich dann aber näher heran zu gehen, er ging einige Male verunsichert um das Fahrzeug herum, ich konnte es an seiner Haltung und seiner Gestik erkennen, dass er nicht glauben konnte, was er da sah. Hätte er die Motorhaube berührt, so wäre ihm aufgefallen, dass der Motor noch etwas warm war, er tat es aber nicht. Nach einer Weile stieg er in das Fahrerhaus und kurz danach hörte ich wie der Motor aufheulte, er hatte zu viel Gas gegeben. Sicherlich war er kein geübter Fahrer, einmal hatte er den Motor sogar noch abgewürgt, der Laster machte einen kleinen Sprung nach vorne und blieb dann stehen, aber schließlich gelang es ihm rückwärts auf die Straße zu fahren, ohne im Straßengraben zu landen. Von meinem Versteck aus sah ich, wie er langsam die steile Straße nach oben fuhr, als er hinter einer Kurve verschwand, hörte ich nur noch für einige Minuten das Knattern des Motors, dann trat wieder Stille ein. Nach Sonnenuntergang, die Dämmerung setzte schon früh ein, machte ich mich auf den Weg, nutzte jede mögliche Deckung aus, alles war einfacher als ich erwartet hatte, nach zwei Stunden hatte ich den Steilhang erreicht, unter mir lag das Tal, mit einem Gehöft und dort stand auch der Lastwagen, der nun wohl einen neuen Besitzer gefunden hatte. Die Bergspitzen leuchteten noch hell auf, obwohl die Sonne schon seit einiger Zeit hinter den Bergen verschwunden war. Vom Tal zog die Dunkelheit bis zu mir nach oben. Da ich ab jetzt das Gelände vor mir nicht mehr richtig erkennen konnte, richtete ich mich für die Nacht ein, ich fand zwischen zwei Felsen eine gesicherte Liegemöglichkeit, dort wuchs grünes Moos und daneben hatten sich braune Blätter angesammelt, obwohl keine Bäume in unmittelbarer Umgebung standen, der Wind hatte sie wohl hier zusammen gefegt, über mir nur Sterne und himmlischer Frieden, ich zog den Reisverschluss meiner Windjacke nach oben, streifte die Kapuze über meinen Kopf, das Moos hatte die Sonnenwärme des Tages gespeichert und sie an meinen Rücken abgegeben, kurz danach schlief ich ein. In der Nacht wurde es kalt und feucht, das Moos wirkte wie ein Schwamm, saugte das Wasser auf und gab einen Anteil davon wieder an mich ab. Ich merkte auch, wie mir einige Tropfen von der Stirn über meine Nasenspitze in den Hals liefen, mein Oberkörper war durch die Windjacke geschützt und blieb trocken, aber meine Hose klebte feucht an meinen Beinen und ich begann zu frieren. Ich dachte an Terri, wenn es uns nachts zu kalt wurde, dann rückten wir näher zusammen und wärmten uns gegenseitig, zwischen ihr und mir lagen aber leider mehr zehntausend Kilometer, so musste ich mir irgendwie anderes helfen. Mit der linken Hand schaufelte ich einiges Laub über meine Hosenbeine um damit etwas von der Kälte abzuhalten. Noch bevor die Sonne aufging bemerkte ich, dass sich im Laub noch andere Bewohner angesiedelt hatten, es waren Ameisen, die an meinen Beinen nach Wärme suchten, die meisten konnte ich wieder abschütteln und als die Sonne langsam aufging zog ich Hose und Strümpfe aus und legte alles flach auf den großen Felsen zum Trocknen aus.

Noch herrschte Stille über dem ganzen Tal, das immer noch im Dunklen unter mir lag, das Wohnhaus und die Tierställe waren schon schattenhaft zu erkennen, auch die Gestalt, die plötzlich aus der Tür trat, war nur als Umriss zu erkennen, es war wohl der junge Mann vom gestrigen Abend, der neue Lastwagenbesitzer. Obwohl der Abstand bis zum Haus ziemlich groß war, konnte ich deutlich das Knarren der Tür bis nach oben hören, es war fast so, als stände ich daneben, es war echohaft und hallte wieder. Wenn ich selbst leise Geräusche von unten bis hier nach oben hören konnte, dann galt dies wohl auch für die umgekehrte Richtung, ich musste also vorsichtig sein, selbst ein losgetretener Stein könnte mich verraten. Der Schatten ging zu den Ställen, die Türen von den Stallungen wurden geöffnet, dann wurde es laut, zahllose Hühner stürzten laut gackernd ins Freie und verteilten sich schnell auf den umliegenden Wiesen um dort nach Futter zu suchen. Die ersten Sonnenstrahlen kamen über die Bergspitzen und trafen mein Gesicht und mit ihnen eine wohltuende Wärme. Nach Sonnenaufgang dauerte es noch eine Stunde bis ich meine fast trockenen Sachen wieder anziehen konnte, ich hatte ja keine Eile. Auch die Hühner waren wieder ruhiger geworden, nur noch ein dumpfes Rauschen war zu hören, es schien von weither zu kommen, es kam wohl aus dem Tal, war bis oben zu mir zu hören. Bevor ich mich auf den Weg machte, spritze ich mir aus meiner Feldflasche etwas Wasser ins Gesicht, füllte meinen Mund mit Wasser und versuchte mit meinem rechten Zeigefinger die Zähne etwas zu putzen, Zahnbürste hatte ich keine dabei, auch auf den Kaffee musste ich wieder einmal verzichten. Bei dem Krämer im Tal hatte ich mir einige Dosen mit gekochten Bohnen gekauft, eine davon war noch übrig geblieben, ich öffnete sie, mehr hatte ich nicht zum Frühstück. Ich hatte keinen Löffel, also fischte ich sie einzeln mit dem Messer heraus, kalt waren sie nicht gerade meine Lieblingsspeise, aber besser als nichts. Nach dem Essen entfernte ich etwas Moos, grub ein Loch mit dem Messer, versenkte die leere Dose darin und bedeckte die Öffnung wieder mit Erde und dem Moos, dann sah es wieder so aus wie vorher.

Der Weg bis zur Anhöhe wurde immer steiler und felsiger, war aber im Großen und Ganzen keine besondere Herausforderung für mich, ich genoss sogar die Aussicht, setzte nach jeder Stunde eine Pause ein und ließ den Blick über das Tal schweifen und sah die Welt, so wie sich entwickelt hatte, die nicht erschaffen wurde. Die Gefahr, dass man mich noch hören konnte war vorüber, die Geräusche des beginnenden Tages verschluckten meine Schritte. In meinem Gehirn wurde das was ich sah, wie in einer Fotografie abgespeichert, ich war mir sicher, noch nach Jahren alles genau abrufen zu können.

Als ich das gegenüberliegende Tal erreicht hatte, war ich in einem anderen Land, Vorsicht war nicht mehr geboten. Ich folgte dem Kompass Richtung Osten, nach zwei Stunden Fußweg stieß ich auf eine mäßig befahrene Landstraße, ich nahm einen zwanzig Dollarschein aus meiner Tasche und winkte damit den entgegen kommenden Lastwagen zu. Schon der zweite hielt an, es war ein ähnlicher Pritschenwagen wie der, den ich für meine bisherige Flucht verwendet hatte. Die Fahrt verlief schweigend, der Fahrer und ich hatten kein Bedürfnis viel zu reden, nur das Notwendigste. In der Stadt rief ich die dortige Botschaft an, nannte meinen richtigen Namen und bat um Unterstützung. Viel musste ich nicht erklären, offensichtlich war der Botschafter von meinem Vorhaben unterrichtet worden. Er nannte mir die Adresse und ich nahm mir ein Taxi bis zur Botschaft, nach vier Nächten im Freien konnte ich wieder einmal in einem richtigen Bett schlafen, zuvor konnte ich mich ausreichend duschen, und meine verschmutzten Klamotten wurden durch neue ersetzt. Ich bekam wieder einen roten Diplomaten Pass mit meinem richtigen Namen, Geld hatte ich noch ausreichend. Drei Tage später stieg ich, nach verschiedenen Zwischenlandungen, am Logan Airport in Boston aus dem Flugzeug aus, kaufte eine Flasche Champagner und einen lebenden Hummer auf dem Weg zum Ausgang, die kann man dort bei Tag und bei Nacht kaufen, für fünf Dollar das Pfund. Vor dem Flughafen Ausgang nahm ich das erstbeste Taxi. Als ich die Tür zu meinen Apartment öffnete stand Terri spärlich bekleidet, mit ausgestreckten Armen, vor meiner Zimmertür, wie sie von meiner genauen Ankunft erfahren hatte, wusste ich nicht, ich habe sie auch niemals danach gefragt, es wurde die Nacht der Nächte nach all den Entbehrungen der letzten Wochen. Eine ganze Woche hatten wir die Wohnung nicht verlassen und uns meistens im Bett aufgehalten. Der Pizzaladen und der Vietnamese an der nächsten Ecke sorgten dafür, dass wir nicht verhungerten, danach flog ich für eine Woche zur Erholung zu meinen Eltern nach Kalifornien. Schon wenige Tage nach der Besetzung der Botschaft trat die Regierung in Geheimverhandlungen ein, nicht direkt, sondern über die Botschaften befreundeter Staaten. Die wesentliche Forderung nach Auslieferung des Herrschers war durch dessen Tod hinfällig geworden. Es wurden Zusagen gemacht und fast wie immer, schloss es auch diesmal wieder heimliche Waffenlieferungen ein, über dunkle Kanäle. Nach 444 Tagen, am Tag der Einführung des neuen Präsidenten wurde die Besatzung beendet und alle Geiseln wurden am 20. Januar ausgeflogen. Zuvor waren einige Befreiungsversuche durch das Militär kläglich gescheitert, besonders die Operation Adlerkralle, zum Gespött der ganzen Welt. Das Trauma blieb haften, sie hatten nicht nur ihre Geiseln, sie hatten unsere ganze Nation gedemütigt, es wurde zu einer nationalen Schande, die nach Rache schrie, nicht nur an dem Rädelsführer.

Trojanische Hühner

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