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Die Theorie der Löcher

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Heute werden wir einen Gedanken diskutieren, der für unsere Arbeit hier grundlegend ist. Es ist die Theorie der Löcher. Menschen sind unter normalen Umständen voll von dem, was wir „Löcher“ nennen. Was ist nun ein „Loch“? Ein Loch bezieht sich auf jeden Teil von euch, der verloren gegangen ist, das heißt jeden Teil von euch, dessen ihr euch nicht mehr bewußt seid. Was dann bleibt, ist ein Loch, in einem gewissen Sinn ein Mangel. Und das, dessen wir uns nicht mehr bewußt sind, ist natürlich unsere Essenz. Wenn wir unserer Essenz nicht bewußt sind, hört sie auf, sich zu manifestieren und ist verloren. Dann haben wir ein Gefühl von Mangel. Ein Loch ist also nichts anderes als die Abwesenheit eines bestimmten Teils unserer Essenz. Es kann der Verlust von Liebe, von Wert, der Verlust der Fähigkeit für Kontakt, Verlust von Stärke, von Willen, von Klarheit, von Lust, von irgendeiner dieser Qualitäten von Essenz sein. Es gibt viele solche Qualitäten. Wenn sie aber verloren sind, sind sie es nicht für immer; sie sind niemals für immer weg. Man ist einfach von ihnen abgeschnitten.

Nehmen wir zum Beispiel die Qualität von Wert, von Selbstwertgefühl. Wenn ihr von eurem Selbstwertgefühl abgeschnitten seid, dann ist der aktuelle Zustand des Abgeschnittenseins ein Gefühl, daß etwas ein Loch in euch zurückgelassen hat; da ist es leer. Dann hat man ein Gefühl von Mangel, ein Gefühl von Unterlegenheit, und man möchte es mit Wert von außen füllen – Anerkennung, Lob, was auch immer. Man versucht also, das Loch mit Scheinwert zu füllen, der von außen kommt.

Jeder Mensch läuft mit einer Menge Löcher herum, aber gewöhnlich ist man sich ihrer nicht bewußt. Gewöhnlich ist man sich bewußt, daß man etwas begehrt: „Ich möchte dies, ich möchte das. Ich möchte dieses Lob, ich möchte hier erfolgreich sein, ich möchte, daß dieser Mensch mich liebt, ich möchte diese oder jene Erfahrung.“ Die Existenz von Begierden und Bedürfnissen zeigt die Existenz von Löchern an.

Natürlich sind diese Löcher in eurer Kindheit, teilweise als Ergebnis von traumatischen Erfahrungen oder Konflikten mit eurer Umwelt, entstanden. Unter solchen Umständen wird man von einer dieser Qualitäten abgeschnitten. Vielleicht schätzten eure Eltern euch nicht wert, das heißt, sie behandelten euch so, als seien eure Wünsche oder eure Präsenz unwichtig. Sie handelten nicht so, daß euch das Wissen vermittelt wurde, daß ihr zählt. Sie ignorierten euren essentiellen Wert. Und weil euer Wert nicht gesehen oder anerkannt, vielleicht sogar angegriffen oder herabgesetzt wurde, wurdet ihr von dem Teil von euch abgeschnitten, und es blieb ein Loch, ein Mangel.

Später, wenn wir zu jemandem eine tiefe Beziehung haben – je tiefer sie ist, um so mehr geschieht das –, füllen wir diese Löcher mit dem anderen Menschen. Manche unserer Löcher werden mit dem gefüllt, wovon wir glauben oder fühlen, daß wir es vom anderen bekommen. Wir fühlen uns wertgeschätzt, weil dieser bestimmte Mensch uns schätzt, und das füllt unsere Löcher. Wir sind uns nicht bewußt, daß wir es mit seiner Wertschätzung füllen, wir fühlen uns einfach voll, wenn wir mit ihm zusammen sind; wir fühlen uns wertvoll. Wenn ich mit diesem Menschen zusammen bin, fühle ich also wirklich, daß ich wertvoll bin, aber unbewußt fühle oder weiß ich, daß der andere Mensch meinen Wert besitzt. Der andere bewirkt nicht nur, daß ich mich wertvoll fühle, sondern alles was er mir gibt, ist ein Teil von mir, ist Teil dieser Fülle, die ich erfahre.

Unbewußt sehe ich also den Teil des Menschen, der mich meinen Wert fühlen läßt, nicht als getrennt von mir. Ich sehe ihn als einen Teil von mir, als dieses Loch füllend. Ich weiß nicht, daß es ein Loch gibt, ich fühle nur die Fülle. Wenn der Mensch stirbt oder die Beziehung endet, fühle ich nicht, daß ich diesen Menschen verliere, ich habe das Gefühl, daß ich verliere, was das Loch gefüllt hat. Der Verlust des Menschen wird also nicht als ein Verlust einer getrennten Person empfunden. Er wird als ein Verlust von euch selbst erlebt, weil ihr unbewußt diesen Menschen als jemanden gesehen habt, der einen Teil von euch füllte. Auf diese Weise wurde er oder sie ein Teil von euch, so daß ihr den Verlust dieses Menschen als den Verlust von einem Teil von euch selbst erfahrt, und deshalb fühlt ihr da ein Loch. Deshalb ist es so schmerzhaft. Es fühlt sich an, als würdet ihr aufgeschnitten und etwas würde aus euch entfernt. Um das geht es bei der Wunde und dem Schmerz – dem Schmerz des Verlustes. Manchmal fühlt ihr euch so, als ob ihr euer Herz verloren hättet; manchmal habt ihr das Gefühl, daß ihr eure Sicherheit verloren habt, eure Stärke, euren Willen – je nach dem, welches Loch der andere Mensch für euch gefüllt hat. Manchmal vermittelt der andere euch Willen, gibt euch Stärke oder Unterstützung, oder Liebe oder Wert. Wenn ihr also einen Menschen verliert, der euch nahe war, fühlt ihr das Loch, was immer es war, das dieser Mensch gefüllt hat.

Das ist es, was Menschen meinen, wenn sie sagen: „Wir passen zueinander.“ Jeder paßt in die Löcher des anderen. Dies paßt in dieses Loch; jenes paßt in jenes Loch; sie fühlen sich wie eins. Sie scheinen nicht länger getrennt zu sein. Aber wenn man sie trennt, dann bleiben da eine Menge Löcher. Wenn diese zwei Menschen zusammenleben, dann fühlen sie sich voll und vollständig. Sie ergänzen sich, sie bilden ein Ganzes. Aber ein anderer Mensch füllt selten alle eure Löcher. Ihr habt verschiedene Menschen, verschiedene Aktivitäten in eurem Leben, aber sie füllen doch nicht all eure Löcher. Es werden ein paar Löcher übrig bleiben, die das Gefühl aufrecht erhalten, unbefriedigt zu sein. Und natürlich werden Löcher nicht vollständig und perfekt gefüllt. In dem Moment, in dem sich der andere Mensch ein bißchen verändert oder etwas sagt, das euch ein schlechtes Gefühl gibt, spürt ihr das Loch, den Mangel: „Oh, im Grunde glaubt er gar nicht, daß ich etwas wert bin.“ Ihr seid wütend und verletzt, weil das Loch bloßgestellt wird. Das Gefühl, unbefriedigt zu sein, bleibt also, weil der andere eure Löcher nicht immer vollkommen füllt, besonders wenn er möchte, daß ihr seine Löcher füllt.

S.: Wenn man Beziehungen verändert oder ein Mensch, der einem nahe steht, sich ändert, dann muß es auch eine Veränderung an den entsprechenden Löchern geben.

A.H.: Richtig. Wenn es irgendeine Veränderung gibt, dann verändern sich auch die Löcher. Manche Löcher werden leer, manche werden gefüllt. Der andere muß sich anpassen, man muß seine Löcher auf eine andere Weise füllen, und das bedeutet gewöhnlich, daß man mit einigen dieser Löcher anders umgehen muß – ihre Anwesenheit fühlen und sie vielleicht verstehen.

Wir können jetzt also eher verstehen, warum der Verlust von jemandem, der einem sehr nah, der sehr intim mit einem verbunden gewesen ist, so schmerzhaft ist. Nachdem man mit diesem Menschen lange Zeit zusammen gewesen ist, ist man so daran gewöhnt, zusammenzupassen, daß man glaubt, daß der andere ein Teil von einem selbst ist. Der Verlust dieses Menschen bedeutet einen Teil von sich selbst zu verlieren.

Hier kommt ein anderer Faktor ins Spiel: wenn ihr Verlust und Trennung erlebt, dann habt ihr die Möglichkeit zu erkennen, daß das, was euch gefüllt hat, nicht wirklich ihr selbst wart. Wenn ihr bei der Verletzung und dem Schmerz des Verlustes bleibt, ohne zu versuchen, diesen Schmerz mit etwas anderem zuzudecken, dann ist es möglich, daß ihr die Leere fühlt, das Loch fühlt und erkennt. Wenn ihr euch dann erlaubt, den Mangel, die Leere zu fühlen, dann kann es sein, daß ihr den essentiellen Teil von euch selbst findet, der das Loch wirklich füllt, von innen her und ein für alle Mal. Es ist nicht einmal ein Füllen; es ist einfach die Beseitigung des Loches, der Schluß der Identifikation mit dem Mangel. Auf diese Weise gewinnt ihr einen Teil von euch selbst zurück. Ihr kommt mit dem Teil eurer Essenz in Kontakt, den ihr verloren hattet, und von dem ihr dachtet, nur jemand anders könnte ihn euch verschaffen.

Das kann sehr schmerzhaft sein. Die meisten Menschen empfinden einen Verlust von Selbstwertgefühl, wenn eine Beziehung endet. Deshalb benutze ich gerade dieses besondere Beispiel des Selbstwertgefühls. Wenn ihr aber bei diesem Gefühl bleibt und aufmerksam seid und euch fragt: „Wieso fühle ich mich so wertlos, wieso fühle ich mich wie ein Nichts, nur weil dieser Mensch nicht mehr da ist? Warum habe ich das Gefühl, daß ich soviel weniger wert bin?“ Wenn ihr bei diesem Gefühl bleibt, ohne zu versuchen, es zu ersetzen, und nur aufmerksam seid und es zu verstehen versucht, dann werdet ihr den Mangel und das Loch erfahren. Wenn ihr diesen Mangel und seine Quelle versteht, dann könnt ihr euch vielleicht sogar an das bestimmte Ereignis oder das Muster von Ereignissen erinnern, das einmal zu eurem Verlust von Wert geführt hat.

Ein Loch wird gewöhnlich mit einem Teil unserer Persönlichkeit gefüllt, der die Erinnerung an das enthält, was verloren wurde: die Erinnerung an die Situation, die zu dem Verlust geführt hat, die Erinnerungen an die Verletzungen und Konflikte. Wir müssen durch die Verletzung auf der tiefsten Ebene hindurchgehen, an das Loch selbst nahe herankommen, und dann werden wir die Erinnerung an das sehen, was verloren wurde. Wenn wir die Erinnerung sehen, an das, was verloren wurde, dann wird die Essenz, die verloren wurde, wieder zu fließen beginnen.

Jeder tiefe Verlust ist also eine Gelegenheit zu wachsen, mehr von euch selbst zu verstehen, Löcher zu erfahren, von denen ihr glaubt, daß sie nur von jemand anders gefüllt werden können. Aber Menschen wehren sich gewöhnlich sehr dagegen, Verlust tief zu fühlen. Diese Abwehr hat vor allem den Sinn, zu vermeiden, das Loch zu fühlen. Man weiß nicht, daß das Loch, das Gefühl des Mangels, Symptom für den Verlust von etwas Tieferem ist, dem Verlust von Essenz, die wiedergewonnen werden kann. Man glaubt, auf der tiefsten Ebene wirklich das Loch, der Mangel zu sein, und daß es nichts darunter gibt. Man glaubt, etwas stimme nicht mit einem, daß mit einem grundsätzlich etwas nicht stimmt. Das Gefühl, daß etwas nicht stimmt, ist unbewußtes Wissen von der Präsenz des Loches, und man wird alles tun, um das Loch nicht zu fühlen, den Mangel wirklich nicht zu fühlen. Man glaubt, daß das Loch einen verschlingt, wenn man ihm nahe kommt. Wenn innere Arbeit einen zum Beispiel an das Loch von Liebe bringt, kann es sein, daß man sich von einer erschütternden Einsamkeit und Leere bedroht fühlt. Andere Löcher können das Gefühl drohender Vernichtung in den Vordergrund bringen. Kein Wunder, daß man ihnen nicht nahe kommen will! In unserer Arbeit hier aber haben wir etwas Überraschendes gesehen: Wenn wir aufhören, uns dagegen zu wehren, ein Loch zu fühlen, dann ist die wirkliche Erfahrung nicht schmerzhaft. Wir erfahren einfach leeren Raum, ein Gefühl, daß da nichts ist – aber nicht ein bedrohliches Nichts – sondern eine Weite, ein Zulassen. Diese Weite macht möglich, daß Essenz auftauchen kann, Essenz und nur Essenz kann das Loch, diesen Mangel von innen heraus beseitigen.

S.: Kann ein Loch sich als Wut manifestieren?

A.H.: Ja. Ihr könnt Wut als Wirkung des Mangels empfinden, besonders als Abwehr dagegen, ein Loch zu fühlen. Die meisten Gefühle, besonders die, die automatisch wie unter Zwang auftauchen, sind die Wirkung von Löchern. Wenn es keine Löcher gibt, gibt es auch keine solchen Emotionen. Welche sind diese Emotionen? Es gibt Trauer, es gibt Verletztheit, es gibt Eifersucht, Wut, Haß, Angst. Alle sind die Wirkung von Löchern. Wenn ihr keine Löcher habt, habt ihr keine dieser Emotionen. Dann habt ihr nur Essenz. Deshalb werden solche Emotionen auch manchmal Leidenschaften oder falsche Gefühle oder Pseudogefühle genannt.

Unsere ganze Gesellschaft ist daraufhin orientiert, uns zu lehren, daß wir unseren Wert von außen bekommen, um unsere Löcher zu füllen – daß wir Wert, Liebe, Stärke, usw., von außen bekommen. Wir sprechen davon, wie wunderbar es ist, etwas für andere Menschen zu tun oder sich zu verlieben oder einen sinnvollen Beruf zu haben – solche Dinge. Die Gesellschaft ist überhaupt so organisiert, daß Menschen gegenseitig ihre Löcher füllen. So ist die Zivilisation eingerichtet – um das Füllen von Löchern herum. Zivilisation, wie wir sie kennen, ist ein Produkt der falschen Persönlichkeit. Sie ist das Produkt der falschen Persönlichkeit und sie ist das Zuhause der falschen Persönlichkeit. Sie unterhält und nährt die falsche Persönlichkeit.

S.: Ist das immer schon so gewesen?

A.H.: Ich glaube nicht. Ich glaube, daß es schrittweise so geworden ist. Ich glaube, daß es eine gewisse Zeit gedauert hat, bis die falsche Persönlichkeit der Zivilisation so dominierend werden konnte. Je mechanischer wir werden, um so mehr geht es in der Kultur darum, Löcher zu füllen. Viele sagen, daß es in der Vergangenheit mehr Liebe und Präsenz gegeben hat, mehr Anerkennung der Realität, mehr Essenz, und daß die Menschen mit ihrer Essenz stärker in Kontakt waren, als sie es jetzt sind.

Habt ihr vom Goldenen Zeitalter gehört? Im Goldenen Zeitalter haben alle Menschen ihre Essenz erfahren, keine Löcher. Dann kam das Silberne Zeitalter, als Essenz abnahm und die Löcher in Erscheinung zu treten begannen; dann folgte das Bronzene Zeitalter. Jetzt sind wir im Eisernen Zeitalter. Es ist das dunkelste, schwerste. Eisen ist eigentlich nichts als Abwehr. Manchmal können wir die Qualität von Eisen in unserer eigenen Abwehr fühlen: die Härte, die Entschlossenheit, uns zu schützen. Das ist eine Weise, in der man die Gegenwart sehen kann – dominiert von der Abwehr von Löchern.

Uns selbst zu erlauben, die Löcher zu ertragen und durch sie hindurch auf die andere Seite zu gehen, ist jetzt schwieriger, weil alles in der Gesellschaft dagegen ist. Die Gesellschaft ist gegen Essenz. Jeder um euch herum, wo immer ihr hingeht, versucht Löcher zu füllen, und Menschen fühlen sich sehr bedroht, wenn ihr nicht versucht, eure eigenen auf die gleiche Weise zu füllen wie sie. Wenn jemand nicht versucht, seine Löcher zu füllen, dann läßt das andere Menschen oft ihre eigenen Löcher fühlen. Also wird es immer schwerer, die innere Arbeit zu tun. Und zugleich wird die innere Arbeit auch immer notwendiger.

Deshalb ist es so wichtig eine Gruppe wie diese zu haben, wo es eine Gemeinschaft von Menschen gibt, die sich derselben Aufgabe widmen: sich selbst zu verstehen. Ihr habt die Unterstützung vieler Menschen, die sich selbst erlauben, die Löcher zu fühlen, anstatt sie zu füllen. Es ist sehr schwierig, fast unmöglich, das allein zu tun, weil alles in der Umwelt dagegen ist.

S.: Du hast etwas über den Zusammenhang zwischen Löchern und Emotionen gesagt und daß Essenz keine Emotionen hat. Das verstehe ich nicht.

A.H.: Wenn ihr eure Gefühle versteht, dann gelangt ihr zu eurer Essenz. Aber das bedeutet nicht, daß eure Gefühle eure Essenz sind.

S.: Heißt das, daß ich, wenn ich meine Essenz bin, wenn ich dauernd meine Essenz bin, daß ich dann nichts fühle?

A.H.: Nein, das heißt es nicht. Es gibt wirkliche Gefühle und es gibt Pseudogefühle. Die Pseudogefühle sind Versuche, das Loch zu füllen, das aus der Abwesenheit wirklicher Gefühle besteht.

S.: Das heißt dann, daß das, was in dem Loch ist, ein falsches Gefühl ist?

A.H.: Ja. Wenn ihr zum Beispiel euren Wert verliert, wenn ihr an irgendeinem Punkt im Laufe eures Lebens von ihm abgeschnitten werdet, dann bleibt da ein Loch zurück. Das Loch wird als ein Gefühl von Unterlegenheit erfahren oder als ein Mangel an Selbstwertgefühl. Aber das ist nicht ein wirkliches Gefühl. Es ist die Abwesenheit des wirklichen Gefühls von Wert oder des wirklichen Gefühls von Selbstwert.

Unterlegenheit wird dann durch den Versuch überdeckt, sich überlegen zu fühlen, die Unterlegenheit abzuwehren. Manchmal fühlt ihr euch dann allen überlegen. Aber das ist auch kein wirkliches Gefühl; es ist der Versuch, ein anderes Pseudogefühl zu verbergen. Und wenn dann jemand etwas tut oder sagt und ihr euch unterlegen fühlt, dann werdet ihr auf ihn wütend. Stimmts? Das ist wieder ein Pseudogefühl. Und alle diese Pseudogefühle kommen auf, weil ihr nicht mit dem wirklichen Gefühl wirklichen Wertes in Kontakt seid. Es sind Kompensationen. Alle diese Schichten von Pseudogefühlen sind die Folge davon, daß ihr von eurem wirklichen Wert abgeschnitten seid. Sie sind insofern wirklich, als ihr sie fühlt. Aber insofern sie eine Folge des Verlustes von dem sind, was wirklich ist, sind sie nicht wirklich. Das ist eine wichtige Unterscheidung. Wenn ihr von einem wirklichen Gefühl abgeschnitten seid, versucht etwas anderes seinen Platz einzunehmen: die Emotionen. Wenn ihr diese Emotionen fühlt, könnt ihr dadurch also zu einem Verstehen gelangen; ihr könnt dahin gelangen, daß ihr seht, was ihr verloren habt und es erfahren. Wenn ihr das wirkliche Gefühl von wirklichem Wert erfahrt, dann werdet ihr sehen, daß es sich sehr von den Pseudogefühlen unterscheidet, die den Verlust verdeckten und schützten. Emotionen sind Reaktionen, während essentielle Zustände, wie Selbstwertgefühl, Zustände des Seins sind. Sie sind keine Reaktionen.

S.: Wenn man also diese Pseudogefühle, diese Emotionen hat, was ist letztlich darunter? Was ist die Essenz?

A.H.: Was in diesem Fall auf dem Grund von Unterlegenheit, Überlegenheit, Wut und Verletztheit ist, ist der wirkliche Wert selbst, der ein bestimmter Aspekt von Essenz ist. Habt ihr Plato gelesen? Erinnert ihr euch an die Platonischen Ideen oder die Platonischen Formen? Sokrates hat gesagt, daß niemand einen je die Formen lehren kann. Die einzige Möglichkeit, von ihnen zu wissen, besteht darin, sich an sie zu erinnern, weil man sie verloren und eine Erinnerung an sie hat, obwohl man sich dessen vielleicht nicht bewußt ist. Dadurch daß man die Erinnerung wiedererlangt, gelangt man zur Idee. Und wohin man zurückkehrt, das sind nicht Emotionen: man kommt zu seiner Essenz zurück. Essenz ist etwas so Reales wie euer Blut. Sie ist keine Reaktion. Aber wir brauchen Emotionen. Wir müssen uns unserer Emotionen bewußt werden, damit wir unsere Essenz verstehen und erkennen; Emotionen sind ein Führer und zeigen dahin, wo Essenz verloren wurde. Verstehen der Emotionen kann dabei helfen, die Knoten der Abwehrmechanismen zu lösen, mit denen wir die Erfahrung der Löcher vermeiden, und die unsere Trennung von Essenz aufrechterhalten. Manche Menschen jedoch sind nicht einmal mit ihren Emotionen in Kontakt. Sie sind nicht nur von ihrer Essenz, sondern auch von ihren Emotionen abgeschnitten. Sie sind sehr weit von sich selbst entfernt. Sie haben nur ihre Gedanken, die die Ergebnisse der Emotionen sind.

Auf folgende Weise können wir also uns selbst verlieren und dahin gelangen, uns dann hauptsächlich mit unseren Gedanken zu identifizieren: Erst ist da die Essenz, dann der Verlust der Essenz, dann die daraus resultierenden Emotionen, dann der Verlust der Emotionen oder der Konflikt um sie, der alle möglichen Arten von Gedanken entstehen läßt.

Die meisten Menschen fragen sich, wenn man keine Emotionen fühlt, was fühlt man dann? Je mehr ihr Essenz fühlt, um so weniger fühlt ihr Emotionen. Ihr werdet noch Empfindungen haben, und sie werden tiefer und stärker sein; aber wenn ihr Essenz fühlt, werden eure Emotionen nicht tiefer und stärker sein. Eine Emotion ist nur eine Reaktion der Nervensystems. Essenz ist nicht eine Reaktion des Nervensystems. Da ist etwas da, das euch füllt. Ein Teil von euch ist präsent. Manche nennen die essentiellen Aspekte die „wirklichen Gefühle“. Aber was man gewöhnlich Gefühle oder Emotionen nennt, ist nicht Essenz. Liebe, Frieden, Wert, Stärke und Wille sind Aspekte von Essenz. Das ist die Art von Ding, die ihr erfahrt. Sie sind Essenz. Anstatt Wut zu erfahren, erfahrt ihr Stärke, ruhige Stärke; anstatt sich überlegen oder unterlegen zu fühlen, erfahrt ihr Wert; ihr erfahrt euch selbst als eine abgerundete Präsenz, die voll und stark ist.

S.: Die Arbeit selbst füllt eine Menge meiner Löcher aus, und zwischen den Zeiten, die wir hier arbeiten, fange ich an, Panik zu fühlen. Ich glaube, das Gefühl der Fülle, das ich mit der inneren Arbeit habe, ist qualitativ davon verschieden, wenn ich mich mit einem anderen Menschen fülle. Auch gibt mir die Arbeit, die ich hier tue, die Sicherheit, die Leere zu fühlen. Oft kommt das Gefühl der Fülle, das ich von der inneren Arbeit habe, gleich nachdem du mir geholfen hast, mich sicher genug zu fühlen, daß ich das Loch fühlen kann.

A.H.: Ja. Die Situation der inneren Arbeit hier ist ein wenig komplizierter als normale Situationen. Was ihr in der Außenwelt tut, könnt ihr auch mit der inneren Arbeit tun. Menschen versuchen tatsächlich, ihre Löcher damit zu füllen, daß sie hier sind. Aber da gibt es auch die andere Seite, die darin besteht, daß die innere Arbeit selbst darauf ausgerichtet ist, die Mängel, die Löcher zu erfahren, und nicht nur die Fülle.

Die zwei Prozesse gehen hier zusammen, Hand in Hand. Zwischen den Zeiten, zu denen wir uns hier treffen, fühlt ihr, daß ihr diese Fülle wieder verliert. Gut, wenn die Fülle daher kam, daß ihr die innere Arbeit dazu benutzt habt, das Loch auf die übliche Weise zu füllen, dann könnt ihr ihren Verlust genau wie den Verlust von irgendetwas anderem nutzen und erkennen, was ihr verloren habt und versuchen, das Loch zu erfahren, um es zu verstehen.

Menschen benutzen hier oft die innere Arbeit, um ein bestimmtes Loch zu füllen, einen bestimmten Mangel auszugleichen. Man fühlt vielleicht: „Ich bin in einer Gruppe von intelligenten, aufrichtigen Leuten, die die Wahrheit suchen; ich muß wunderbar sein.“ Später gehen natürlich alle nachhause. Dann fühlt man: „Vielleicht bin ich eigentlich gar nicht so wunderbar.“ Laßt euch dann dieses Loch erfahren, um es zu verstehen. Zu anderen Zeiten jedoch können andere Prozesse in der Arbeit der Gruppe euch dahin führen, daß ihr euch voll fühlt: die allgemeine Präsenz einer bestimmten wirklichen Fülle, die euch mit eurer eigenen Fülle in Kontakt bringt. Dann nach einer Woche, wenn ihr noch nicht so tief damit in Kontakt seid, werdet ihr euch ihrer bewußt und stellt sie in Frage. Das ist ein anderer Prozeß. Vielleicht habt ihr euch voll gefühlt, ohne zu verstehen, was geschah, oder es gibt andere Themen, die freigelegt und durchgearbeitet werden müssen, damit ihr die Fülle behalten könnt.

Aber die Fülle der inneren Arbeit ist nicht dieselbe wie die Fülle, die Menschen erfahren, wenn sie ihre Löcher füllen. Die Erfahrung, die man hat, wenn man ein Loch füllt, wird gewöhnlich nicht wirklich als Fülle erfahren. Ihr erfahrt keine Fülle, wenn jemand eure Löcher füllt. Es fühlt sich immer wacklig und nicht wirklich befriedigend an. Es fühlt sich wie eine vorübergehende Erleichterung an. Da ist ein Gefühl von Gier, von Festhalten; ihr möchtet nicht, daß der andere weggeht. Ihr möchtet nicht, daß er seine Art ändert, wie er sich euch gegenüber verhält. Auf einer tiefen Ebene ist es in Wirklichkeit eine Blockierung, nicht Offenheit. Die Fülle der inneren Arbeit hingegen ist die Abwesenheit von Blockierung.

Manchmal kommen bei dieser Arbeit eine Menge Löcher auf einmal ans Licht. Es kann also ein bißchen verwirrend sein. Stimmts? Gewöhnlich werden am Anfang, wenn jemand zum erstenmal zur inneren Arbeit in die Gruppe kommt, viele Löcher auf einmal erfahren. Der Zweck der Arbeit ist, die Löcher freizulegen und den Menschen aus seinem Inneren heraus mit diesen Löchern umgehen zu lassen. Wir versuchen nicht, Löcher von außen zu füllen.

Wir könnten hier leicht alles mögliche tun, um Leuten wunderbare Erfahrungen zu vermitteln. Wir könnten Meditationen und bestimmte Übungen veranstalten, und alle könnten wunderbare Dinge fühlen. Die würden aber nicht bleiben, bevor man nicht wirklich mit seinen Mängeln, seinen Löchern konfrontiert wird und durch sie hindurchgeht. Es ist kein einfacher und auch kein kurzer oder leichter Prozeß. Es braucht Zeit und eine Menge Anstrengung. Ein Loch zu erfahren und nicht aus dem Mangel heraus zu handeln, ist wegen des mächtigen Triebs, es zu füllen, sehr schwer. Manchmal habt ihr das Gefühl, als ginge es um Leben und Tod.

S.: Als ich heute morgen draußen frühstückte, habe ich gemerkt, was für ein großes Loch die Kellnerin füllte.

A.H.: Ja. Viele Menschen verdienen ihren Lebensunterhalt damit, daß sie die Löcher anderer Menschen füllen. Viele Berufe sind dazu da, die Löcher von Menschen zu füllen. Ich habe keine moralistische Haltung gegenüber dem Füllen von Löchern. Ich denke nicht, daß es eine Sünde oder daß es schlecht ist. Ich denke nicht, daß man sich deswegen schuldig fühlen oder sich bestrafen sollte, weil man Löcher füllt. Manchmal füllt man seine eigenen Löcher, manchmal die anderer Menschen. So what? Wir sprechen hier über das Verstehen der Dinge. Ich baue keine Religion um Löcher. „Du sollst nicht deine Löcher füllen!“ Ihr könnt alles, was ihr tut, im Hinblick auf die innere Arbeit betrachten, im Hinblick auf Löcher oder das Füllen von Löchern. Ihr werdet sehen, daß ihr dauernd entweder ein Loch füllt oder ein Loch duldet, oder ihr erfahrt das Wirkliche, das verloren war. Das passiert dauernd, in jedem Augenblick. Bei dieser Arbeit werden die Löcher, mit denen ihr zu tun habt, immer größer.

Zuerst die kleineren, dann die größeren Löcher, bis ihr zu dem größten gelangt, das der Verlust von allem ist. Es wird Tod genannt. Stimmts? Wenn man stirbt, verliert man alles. Man muß dieses Loch akzeptieren, um alles zurückzubekommen. Eines der letzten Löcher ist also der Verlust des Körpers selbst. Den physischen Tod zu erfahren ist ganz genauso. Man erfährt ein großes Loch, ein schwarzes, dunkles, leeres Loch mit nichts darin.

Ihr versucht dieses Loch mit dem Körper zu füllen. Wenn ihr den Körper loslaßt, wenigstens in eurem Bewußtsein – ich meine nicht, daß ihr notwendigerweise physisch sterbt –, dann seht ihr plötzlich das vollständige Ich, euch selbst vollständig, wer ihr wirklich seid, den, den ihr gewöhnlich mit eurem Körper zu ersetzen versucht. Die meisten Menschen glauben, daß sie ihr Körper sind.

Eine unserer tiefsten Identifikationen ist die mit dem Körper. Das ist ein Grund, warum wir Begierden und Sehnsüchte nach physischen Lüsten, nach Lüsten des Körpers haben. Ich glaube die Basis für die tiefste Sehnsucht, die Sehnsucht nach physischer Lust, ist ein Loch. Das Loch ist die Abwesenheit, das Abgeschnittensein von den wirklichen Freuden, den essentiellen Freuden.

Natürlich will das keiner glauben. „Wenn ich das loslasse, was bleibt mir dann noch? Wenn ich nicht zweimal am Tag Kekse esse, alle zwei Tage Sex habe und dies und jenes tue, woran soll ich dann Freude haben?“ Aber das ist eines der letzten Löcher, das erforscht werden muß. Am Anfang müssen wir die Löcher erfahren, die mit Liebe, Mitgefühl, Wert, Stärke, Willen, Frieden und ähnlichem zu tun haben, diesen Dingen, die wir von außen zu bekommen versuchen.

Ihr tut in eurem Leben, was immer ihr tut, und ihr untersucht einfach, was geschieht. Das ist alles, was ihr tun müßt: es untersuchen, damit ihr es versteht. Eine Art der inneren Arbeit war in der Vergangenheit, sich in ein Kloster zurückzuziehen, allem vollkommen zu entsagen. Es ging nicht wirklich darum, alles abzulehnen; es war ein Versuch, Löcher zu erfahren. Mit der Zeit nahmen solche Praktiken natürlich eine moralistische, religiöse Bedeutung an – die Vorstellung, daß es schlecht ist, bestimmte Arten von äußerem Kontakt zu haben. Der Zweck solcher Retreats ist aber, sich selbst zu erlauben, die Löcher zu fühlen und sie nicht zu füllen, und zu erkennen, worum es bei ihnen geht.

Ich erinnere mich an ein Diagramm, das ich einmal sah und das Meher Baba gemacht hatte – der Mann, der sagt: „Don’t worry, be happy.“ Mit diesem Diagramm versucht er zu beweisen, daß Gott alles ist, und damit dieses Alles vollständig ist, muß es ein Nichts als Teil von sich haben. Und aus diesem Nichts kommt die Welt. Er sagt, alles, was wir wissen, ist das Ergebnis des Nichts, das in dem Alles ist. Und wir müssen dieses Nichts erkennen, um in der Lage zu sein, alles zu wissen. Man muß also ein Nichts haben, sonst ist man nicht vollständig. Vollständigkeit heißt, daß man alles hat. Alles schließt ein Nichts ein.

Noch etwas über die Theorie der Löcher. Wie ich sagte, entstehen die Löcher, wenn wir ein Kind sind. Als Baby hat man keine Löcher; man wird vollkommen geboren. Wenn man heranwächst, wird man aufgrund der Interaktionen mit der Umwelt und bestimmter Schwierigkeiten, die einem widerfahren, von bestimmten Teilen von sich selbst abgeschnitten, und zwar je nach dem Entwicklungsstadium, in dem man gerade ist, von einem entsprechenden Teil. Jedesmal, wenn man von einem Teil von sich selbst abgeschnitten wird, manifestiert sich ein Loch. Die Löcher füllen sich dann mit der Erinnerung an den Verlust und denThemen des Verlusts. Nach einer gewissen Zeit füllt man einfach die Löcher auf. Womit man die Löcher füllt, das sind die falschen Gefühle, Vorstellungen, Überzeugungen von sich selbst, Strategien, wie man mit der Umwelt umgehen kann. Diese Filter nennt man in ihrer Gesamtheit die Persönlichkeit – die falsche Persönlichkeit, oder was wir die falsche Perle nennen.

Wie ihr seht, ist die falsche Persönlichkeit also ein Ergebnis von Verlusten von Teilen des Selbst. Nach einer Weile aber glauben wir, daß wir diese sind. Alle glauben, sie seien das, was sie füllt. Die falsche Persönlichkeit versucht, den Platz des Echten, Wirklichen, Eigentlichen einzunehmen. Deshalb verwenden wir hier eine Menge Arbeit auf das Verstehen unserer Persönlichkeit. Unsere Arbeit führt dazu, daß wir die Geschichte der Entwicklung unserer falschen Persönlichkeit studieren, bis wir schließlich in der Lage sind, die Erinnerung an die Situation zu erfahren, in der sich das bestimmte Loch gebildet hat. Auf diese Weise könnt ihr eure Essenz zurückgewinnen, Stück für Stück, bis ihr vollständig seid.

Wie ihr seht, sage ich diese Dinge auf eine sehr allgemeine Weise. Wir können viel genauer sein. Wir können jede einzelne Qualität betrachten, erkennen, wann sie verloren wurde und was das Ergebnis ist. Manchmal gehen Kombinationen von Qualitäten verloren. Zum Beispiel kann es sein, daß ihr eure Stärke, euren Willen und eure Liebe verliert, und diese bilden dann ein zusammengesetztes Loch. Eine ganze psychologische Perspektive kann also um dieses Verstehen gebaut werden – die Psychologie der Löcher –, die die Psychologie der Persönlichkeit, der falschen Perle ist.

S.: Ich habe oft bemerkt, daß ich ein Loch fühle, wenn ein Mann mich entwertet, und ich gerate dann in Panik und möchte etwas haben, das da hineingleitet, bevor Kompensationen es wieder auffüllen. Wenn das geschieht, fühle ich mich nicht stark genug, um dabei zu bleiben, bevor es sich mit Panik und Sehnsucht und Selbstabwertung füllt und ich mich mit diesen Gefühlen wieder identifiziere. Wäre es einfach eine Sache der Übung, mich das Loch stark genug fühlen zu lassen?

A.H.: Ja. Das ist das, was ich meine. Wir arbeiten daran, zu lernen, diese Gefühle zu ertragen, bei ihnen zu bleiben und nicht zu versuchen, sie mit etwas anderem zu füllen. Manchmal passiert das einfach, das Auffüllen passiert automatisch. Deshalb wird die Persönlichkeit automatisch genannt. Es läuft ganz mechanisch ab. Alles geschieht nach einer Weile automatisch. Man weiß nicht einmal, daß man etwas füllt.

S.: Wie verlangsamt man den Prozeß – einfach indem man beobachtet, wie er geschieht?

A.H.: Ja, indem ihr anschaut, wie er abläuft, wenn ihr auch eine gewisse Bewußtheit dafür habt, daß ihr versucht, ein Loch zu füllen. Aber ihr versucht nicht, das Loch zu füllen. Ihr könnt euch das Ziel setzen: „Die nächsten zwei Wochen werde ich nicht versuchen, Bestätigung von außen zu bekommen.“ Oder: „Jedesmal wenn ich merke, daß ich von außen Bestätigung bekommen möchte, werde ich das nur beobachten und nicht entsprechend handeln.“ Das ist eine Möglichkeit, wie man es machen kann. Wirklich, alles was wir bei dieser inneren Arbeit tun ist, mit diesen Themen umgehen. Heute betrachten wir es aus einer besonderen Perspektive, die euch ein bestimmtes Verständnis geben kann, um eure Arbeit zu erleichtern.

Die falsche Persönlichkeit ist in dem Sinn mechanisch, als sie automatisch versucht, wenn ihr eine essentielle Qualität von euch selbst verloren habt und es da ein Loch gibt, es mit falschen Qualitäten von außen zu füllen. Dann wird dieser Teil eurer falschen Persönlichkeit gebildet. Die Aktivität der Persönlichkeit geht in zwei Richtungen. Auf der einen Seite versucht sie immer, das Loch zu vermeiden, Schmerz zu vermeiden und Lust zu erleben. Das geht automatisch. Andererseits versucht die Persönlichkeit immer, das Loch zu füllen, sobald etwas passiert, das den Mangel freilegen kann. Auch das geht automatisch. Deshalb ist es notwendig, daß wir uns selbst genau beobachten. Die meisten Menschen sind so sehr mit ihrem Versuch identifiziert, die Löcher zu füllen, daß sie nicht glauben, es sei möglich, es nicht zu tun. Ein Mensch, der nach jemandem sucht, der ihn liebt, weiß nicht, daß es eine Alternative gibt. Er glaubt, dies sei das Beste, was er tun kann und kann sich nichts anderes vorstellen. Die meisten Menschen stellen diese Dinge niemals in Frage. Es geht so mechanisch. Sie sagen, so seien sie eben. So sei die Welt. Wenn du dich klein fühlst, suche jemanden, der dich toll findet. Was kann man sonst tun? Das ist wirklich das, was die meisten Menschen denken. Wenn ihr das Gefühl habt, daß ihr nicht wert seid, geliebt zu werden, dann findet jemanden, der euch mag. Man identifiziert sich mit diesen Mustern gewöhnlich so vollkommen, daß es keine Chance von Veränderung gibt. Um anzufangen, an so einem Muster zu arbeiten, muß man zuerst immer wieder beobachten, wie es abläuft, und einsehen, daß es wirklich nicht funktioniert. Menschen kommen gewöhnlich nicht hierher um zu arbeiten, bevor sie angefangen haben zu erkennen, daß ihre Methode nicht funktioniert. Sonst kommen sie nicht. Sonst glauben sie an ihre Strategien so vollkommen, daß sie denken, es werde funktionieren, wenn sie nur besser darin werden und es noch ein paar Jahre länger tun. Vielleicht haben sie noch nicht den richtigen Menschen oder noch nicht die richtige Situation gefunden. Wenn sie nur ein bißchen mehr Geld verdienen, werde alles gut werden.

Alle diese Rationalisierungen halten die meisten Menschen in Gang. Für die, die sich selbst beobachten, wird offensichtlich, daß diese Muster ihnen nicht verschaffen, was sie eigentlich wollen. Das sind die Menschen, die normalerweise hierher kommen, um zu arbeiten, und ihnen ist es möglich, etwas anderes zu erfahren. Aber ich meine nicht, daß Leute, die zu der inneren Arbeit kommen, sich entschlossen haben, ihre Löcher zu erfahren. Nein. Wenn jemand zum ersten Mal hierher kommt, dann will er in Wirklichkeit bessere Methoden finden, die Löcher zu füllen. Deshalb kommen alle hierher. „Ich werde einen besseren Weg finden, wie ich jemanden dazu bringen kann, mich zu lieben; Ich werde besser in meiner Entschlossenheit, abzunehmen; Ich werde Möglichkeiten finden, dies oder jenes zu sein.“ Das ist das, was jeder in Wirklichkeit möchte. Ihr kommt also und findet langsam heraus, daß es bei der inneren Arbeit um etwas anderes geht. Und ihr werdet frustriert, weil wir immer wieder sagen: „Nein, Löcher füllen funktioniert nicht.“ Ihr fühlt die Löcher immer mehr. „Aber ich möchte es füllen, mir geht es immer nur schlecht. Wann wird es endlich besser? Was kann ich tun, damit ich dieses schreckliche Zeug nicht fühlen muß?“

Es dauert lange, bis man versteht, daß es nicht funktioniert, wenn man das Loch zu füllen versucht. Auch jetzt, da ihr mir zuhört, versucht ihr, Löcher mit einem gewissen Verstehen zu füllen. Manche von euch glauben schon, daß die Worte, die ich sage, die Löcher füllen werden. „Wenn ich nur weiß, worum es geht, dann müßte es schon besser werden.“ Was ich sage, ist dann wirksam, wenn ihr anfangt, eure Löcher zu fühlen, eure Leere zu fühlen. Wenn ihr sie mit Worten oder Vorstellungen füllt, füllt ihr sie einfach nur wieder.

„Jetzt weiß ich endlich, worum es geht. Es geht um Löcher füllen. Gut! Jetzt weiß ich, wie es geht. Jetzt kann ich mich ausruhen, die nächsten zwei Wochen brauche ich nichts zu tun.“ Manche Menschen versuchen, Löcher jetzt auf eine andere Weise zu füllen: „Oh – das mache ich also mit meinem Mann! Ich versuche, ihn zu benutzen, meine Löcher zu füllen. Okay, jetzt werde ich die nächsten zwei Wochen nicht mit ihm sprechen.“ Und so füllt sie jetzt Löcher, indem sie sie dazu benutzt, ihren Mann anzugreifen. Es ist sehr schlau, wie wir versuchen, unsere Löcher zu füllen. „Aha! jetzt werde ich keinen neuen Job suchen; ich werde nicht versuchen, mehr Geld zu verdienen, weil das nur Löcher füllen wäre, und er sagt, mehr Geld verdienen funktioniert nicht.“ Und diese Gedanken werden anhalten und weiter versuchen, immer ein anderes Loch zu füllen.

Ich glaube, diese Perspektive hilft uns dabei, einen Überblick über die Gesellschaft zu bekommen. Das Loch übernimmt die Macht. Fast andauernd versucht unsere Gesellschaft, Löcher in Menschen zu füllen. Was glaubt ihr, benutzen Werbesendungen? Die Macht der Werbespots ist die Macht der Löcher. Sie appellieren an eure Löcher, immer. Sie finden ein bestimmtes Loch und versuchen, euch die beste Füllung dafür zu verkaufen. Gute Werbeagenten können mit diesen Löchern sehr effektiv umgehen. Sie sehen ihr Produkt und welche Löcher es füllen könnte; sie appellieren an dieses Loch. Und so machen sie Millionen.

S.: Appelliert Werbung an schon existierende Löcher, oder kreiert sie irgendwie neue?

A.H.: Ich glaube nicht, daß sie ein neues Loch kreieren, wirklich kreieren könnte. Eure Löcher sind in eurer Kindheit entstanden. Aber sie betonen die existierenden Löcher und appellieren auf verschiedene Weise an sie. Zum Beispiel das Bedürfnis, schön zu sein. Manche Frauen haben das Gefühl, daß sie nicht schön sind, und es gibt viele Möglichkeiten, diesen Mangel anzusprechen. Jeden Tag gibt es etwas anderes. Die Form ändert sich, aber im Grunde wiederholen sie immer die gleichen Appelle. Werbung stimuliert und verstärkt den Mechanismus des Löcherfüllens. Sie stimuliert die Begierden, die aus den Löchern resultieren. In euren Löchern gibt es Bilder von dem, wovon ihr glaubt, daß ihr es von außen braucht oder wollt. Unser Unbewußtes besteht aus Bildern, mit denen wir Löcher füllen, und wir suchen dauernd außen nach dem, was in diesen Bildern ist. Werbung funktioniert auf einer bestimmten Ebene des ganzen Mechanismus’ und das ist die Ebene der Begierde selbst. Sie versuchen Begierde zu stärken. Sie sagen, wenn ihr dieses Produkt kauft, dann werdet ihr schön sein; wenn ihr jenes kauft, werdet ihr glücklich sein, oder reich oder unsterblich.

S.: Warum könnte Werbung nicht benutzt werden, um die Begierde nach Essenz zu stimulieren?

A.H.: Weil man nicht viel Geld verdienen würde.

S.: Wäre das nicht eine mächtige Begierde, die Begierde nach Essenz?

A.H.: Oh, es ist die mächtigste. Es gibt Menschen, die Werbung machen, die an unsere Sehnsucht nach Essenz appelliert. Die Kirche, alle religiösen Systeme sind Werbung für das. Aber sie appellieren auf einer tiefen Ebene. Natürlich können sie sehr selten Menschen wirklich zu ihrer Essenz führen.

S.: Ist die Begierde, die Löcher anderer Menschen zu füllen, nur eine andere Weise, die eigenen zu füllen?

A.H.: Ja. Manchmal vermeidet man die eigenen Löcher dadurch, daß man glaubt, andere Leute hätten Löcher und man selbst nicht.

S.: Oder dadurch, daß man andere als bedürftig sieht? A.H.: Kann auch sein. Es gibt einen Mechanismus, die eige nen Löcher dadurch zu vermeiden, daß man sie nach außen projiziert: „Andere Menschen sind bedürftig und ich werde ihnen helfen.“

Dieser Prozeß des Löcherfüllens ist nicht oberflächlich oder einfach, er ist sehr tief und subtil; er geht an die Wurzeln eures eigenen Seins. Es verlangt sehr tiefe Arbeit, diesen Prozeß der Persönlichkeit aufzulösen, ihn umzukehren und zu Essenz zurückzukehren.

Essentielle Verwirklichung

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