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Zwölf

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Als Chul ein Jahr Später in den Meroto eintrat, den zweiten Teil unserer Ausbildung, begann er wieder, mich zu piesacken. Ich war zwölf Ceonsläufe alt. Während meiner Stunden in der Kampfklasse, die Shing gemeinsam mit einigen anderen der Quai-Djar - der fertig ausgebildeten Schattenkämpfer - unterrichtete, nahm er mich beiseite. “Ich werde dir diesmal nicht helfen. Du musst allein mit ihm fertig werden.” Ich schniefte. Er lächelte. “Sei kreativ. Wende dein Wissen an. Eine Shan Quai muss mit jeder Situation zurechtkommen.”

Eine Woche später, nach mehr oder weniger erträglichen Attacken, reihte ich mich wie jeden Tag müde von der fordernden Ausbildung in die lange Schlange an der Essensausgabe ein. Jemand rempelte mich an. Ich stürzte und fiel mit den Händen voran in die auf dem Holzboden verteilte Reisbrühe. Das Essen war so heiß, dass ich meine Hände an meiner Kleidung abwischte und mir auf die Finger blies.

Einer der Ausbilder schlug mir mit einer Bambusgerte auf die Hände und schrie mich an, ich solle gefälligst besser aufpassen. Ich verkniff mir die Tränen. Chul grinste boshaft. Seine stachelige Frisur unterstrich sein fieses Auftreten. Er trug jetzt nicht mehr den gelben Saum an der allgegenwärtigen Übungsbekleidung, sondern den roten Saum der Meroto - derjenigen, die sich nach den ersten zwei Jahren der Ausbildung auf eine der vier Sektionen des Unterrichts spezialisierten. Wie ich hörte, hatte er die Sektion Kampf gewählt.

Zum Glück hatte er mittlerweile ein anderes Quartier bezogen, da sich die Unterkünfte der Meroto-Schüler in einem anderen Bereich der unterirdischen Anlage befanden.

Nach dem dritten Essen, das ich vom Boden wischen durfte — ganz zu schweigen davon, dass ich hinterher alleine den Speisesaal reinigen musste, beschloss ich, zum Gegenangriff überzugehen.


Kimiko, eine der älteren Schülerinnen, war mir nach der zweiten Attacke Chuls zur Hand gegangen und half mir, den Reis wieder aufzusammeln, der am Boden verstreut lag. Kimiko hatte freundliche jadegrüne Augen und helles, kastanienfarbenes Haar. Sie war eine der Wenigen, die andere Merkmale aufwies, als die typisch sangdeijanischen: dunkle Mandelaugen und schwarze glatte Haare.

Nicht nur körperlich war sie eine Ausnahmeerscheinung unter den Schülern der Shan Quai. Sie erzählte mir Geschichten von anderen Schülern. Sie hatte ähnliches erduldet, bis sie gelernt hatte, sich zu wehren.

Ich fragte Kimiko, wie sie es geschafft hatte, die Übergriffe zu beenden.

Wie sie mir verriet, verfügte sie über das Wissen, Tränke zu brauen. Alchimie war eines der weniger frequentierten Fächer, zudem es während der Grundausbildung noch nicht unterrichtet wurde. Nur die wenigen Schüler, die auf die Idee kamen, sich auf die Sektion Täuschung zu spezialisieren, lernten den Umgang mit Chemikalien; so wie Kimiko.

Einen Tag später war Chul wieder da. Er patsche genüsslich mit seiner Pranke auf meinen Tellerrand, so dass die Nudelsuppe überschwappte.

Kimiko hatte an diesem Abend Dienst an der Essensausgabe. Unbemerkt tröpfelte sie das Elixier in sein Essen.

Keine zwei Minuten später rannte Chul mit blassem Gesicht in Richtung Latrine.

Er musste an diesem Abend wesentlich mehr Zeit auf dem Abort verbringen, als ich im Speisesaal zur Reinigung.

Auch wenn Kimiko mit ihren langen nussbraunen Haaren und dem hübschen Gesicht mit der zarten Nase eher aussah, wie ein unschuldiges verwöhntes Mädchen, hatte sie es doch faustdick hinter den Ohren.

Von diesem Tag an waren Kimiko und ich Freundinnen. Oft unterhielten wir uns und machten Pläne, wie wir uns die übelsten unserer Mitschüler am besten vom Leib halten konnten.

Die Übergriffe Chuls nahmen für längere Zeit ein Ende. Es tat gut, nicht mehr allein zu sein.

Kimiko stellte mir Yoshi vor, ihre beste Freundin. Ein weiteres Mädchen ihrer Altersstufe. Auch sie war mehr als schön: Apart. Zarter Knochenbau, hohe Wangenknochen, bildhübsche dunkle Mandelaugen. Sie hatte sich auf die Sektion Spionage spezialisiert. Besonders auf die Disziplin, die schlicht “gesellschaftliches Parkett” genannt wurde. Von ihr erfuhr ich einiges darüber, wie ich mir die weniger hartnäckigen Jungs - und manchmal auch Mädchen - vom Leib halten konnte. Drohungen, Schmeicheleien und andere Techniken leisteten gute Arbeit, auch wenn mir ein ehrlicher Kampf allemal lieber war.

Shing sah ich nur noch selten, während weniger Unterrichtsstunden.

Immer häufiger traf ich mich mit Kimiko und Yoshi, bis es ihnen ihre Ausbildung kaum noch ermöglichte.

Ich durchlief die Grundausbildung der Shan Quai - der geheimen Gemeinschaft, die dafür sorgte, dass keiner der beiden Herrscher, weder der Shogun in Dei Nawa, noch der Kaiser in Sang Wan Yao, eine Herrschaft der Willkür führen konnte.

Offiziell kam dieser ausgleichende Part dem Kojun zu. Dem Obersten Schwertmeister Sang Deis, der gleichzeitig auch das politische Amt des Stadtherrschers innehatte. Offiziell.

Der Kojun lebte mit den Schwertmeistern auf einer hoch aufragenden Felsnadel mitten im Drachenfluss, dem sogenannten Kojunfels.

Die Schwertmeister bildeten so etwas wie die neutrale Garde der Stadt. Gut ausgebildete Kämpfer, die im Namen der Gilde Handelskarawanen eskortierten, die Bauern schützten und für Ordnung sorgten. Sie waren höhergestellt, als die Soldaten des Kaisers oder des Shoguns. Es hieß, ihre Schwertkunst überträfe sogar die der Shan Quai — was unsere Lehrer natürlich nicht erzählten. Dafür ging dieses Gericht innerhalb der Quai-Lam um — der Schüler, zu denen auch ich zählte.

Genauso, wie im Grunde jeder wusste, dass der Kojun kaum etwas gegen den Willen des Shoguns oder des Kaisers beschließen konnte, wussten die Machthaber, dass sie im Falle eines fatalen Regierungsstils jederzeit von den Shan Quai abgesetzt wurden. Kompromisslos und endgültig mittels Gift, einem Pfeil im Hals oder einer durchschnittenen Kehle.

Die frühere Geschichte der Stadt war voll von Beispielen dieser Art.

Selbst der Shogun hatte Ehrfurcht vor den Shan Quai. Niemand hat je ein abfälliges Wort über sie aus seinem Mund gehört. Das hat mir mein Vater immer gesagt, der kein Sympathisant des Shogun war. Er hielt es mit dem Kaiser. Das hatte ihm auch nicht geholfen. Auch der Kaiser war nicht allwissend. Ebensowenig konnte er Sang Wan Yao vor den Sholo’Sa beschützen.


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