Читать книгу Diana de Lys - Александр Дюма - Страница 1

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Gewiß ist dein Leser schon einmal im Leben eine jener von dem Bewußtsein ihrer Schönheit erfüllten Frauen begegnet, die in ihrem stolzen Selbstgefühle dem Bilde gleichen, das man sich von einer Königin zu machen gewohnt ist. Denn unsere Phantasie vervollständigt gern die Majestät des Ranges durch die Majestät der Schönheit. Wenn Frauen dieser Art in einen Salon treten, so ruft man unwillkürlich seinem Nachbar zu:

»Sehen Sie, welch’ schönes Weib!« —

Der Nachbar, sehr oft nur ein gewöhnlicher Mensch, entwertet auch gewöhnlich:

»In der That, ein Kopf, des Studiums würdig.«

Ein Kopf, des Studiums werth! Das heißt: eine griechische Nase, große lebendige Augen, ein regelmäßiges Profil, ein halbgeöffneter Mund mit gebogenen Lippen, weiße Zähne, ein Hals, schlank wie eine Marmorstatue; alles Dies ruhig, kalt, unempfindlich, ohne Seele, ohne Leidenschaft,. ohne Feuer, und wohl geeignet in Wahrheit zum Modell für eine Malerstudie in Collegien und Pensionsanstalten für junge Damen.

Der Leser hat außer einem solchen wunderschönen Antlitz gewiß einen eben so vollkommenen Körper zu bewundern Gelegenheit gehabt, und sich gesagt: Diese Frau ist schön, so schön, als nur ein Weib sein kann; woher kommt es, daß diese Schönheit mich kalt läßt, obschon sie offenbar allen Anforderungen an weibliche Schönheit entspricht?

Woran es ihr fehlt? ich will es Dir sagen: sie hat noch nie geliebt, noch nie geschmachtet. Warum hat das schöne Weib noch nicht geliebt? Weil die Schönheit Egoistin ist, sich selbst genügt, und empfängt und nicht zurückgibt; weil die vollkommen schöne Frau kein anderes Verlangen kennt, als das der Anerkennung ihrer Reize, und keinem Einzigen diese Schönheit zu eigen geben will, auf welche dieser eifersüchtig sein und sie den Blicken Anderer auszusetzen verhindern würde. Weil sie den Weihrauch der Bewunderung allem Andern vorsieht, welcher ihren Eintritt in ein Theater oder in einen Ballsaal begleitet; weil ihre stolze Haltung einem nähern vertraulichen Umgange entgegenstrebt, der sie zwänge, von ihrer Höhe herabzusteigen, endlich, weil sie überhaupt nicht zu lieben versteht.

Die Marquise Diana de Lys, die Heldin dieser Erzählung, war eine dieser Frauen. In der Stunde, wo wir ihre Bekanntschaft machen, saß sie am Fenster eines schönen Zimmers des Hotels, welches sie auf dem Quai Voltaire inne hatte, ein Buch lag auf ihrem Schooße. Ihre Gedanken zu errathen, dürfte eine schwere Ausgabe sein, ihr selbst waren sie vielleicht nicht klar.

Es war in der Mitte Septembers, Abends 8 Uhr.

Die Marquise hatte sich eben in Betrachtungen versenkt, deren Gegenstand wir nicht kennen, als ein Bedienter die Thür des Zimmers öffnete und Madame Delaunay anmeldete.

Ihm folgte auf dem Fuße eine liebenswürdige Dame von dreißig Jahren, blond, mit braunen Augen, einer unendlichen Anmuth, mit einer einfachen Eleganz gekleidet, zu welcher eine Rente von zwölftausend Livres berechtigt, während ihre ganze Erscheinung den sanften Abglanz eines gleichmäßigen und behaglichen ehelichen Verhältnisses widerspiegelt.

»Ach! Du bist es, Marcelline,« sagte die Marquise zu der jungen Frau. »Wie schön ist es, daß Du zu mir kommst. Ich langweile mich entsetzlich!«

»Wo ist denn der Marquis?« frug Madame Delaunay.

»Weiß ich es?«

»Du weißt es nicht, Diana? – Liebst Du Deinen Mann nicht?«

»Ich? Ja, ich liebe meinen Mann,« sagte die Marquise mit einem Tone, welcher ihre Worte Lügen strafte.

»Ich bringe Dir hier etwas,« sprach Marcelline, indem sie der Marquise einen Brief überreichte.

Die Marquise hielt einige Augenblicke das Papier, ohne es zu öffnen, in den Händen.

»Weißt Du, daß dieser Maximilian aus einer sehr alten Familie stammt,« sagte sie, indem sie das Siegel mit eben solcher Gleichgültigkeit erbrach, als wenn sie eine Note der Modehändlerin hätte schnell überblicken wollen.

»Kennst Du ihn ihn?«

»Nein.«

»Es ist ein lieber Mensch und macht mir schon seit Einem Jahre den Hof. Wir wollen sehen was er schreibt.«

Die Marquise durchflog den Brief.

Während dieser Zeit hatte Marcelline das Buch von Dianens Schooße genommen, und blätterte darin.

»Er ist traurig, er ist unglücklich,« sagte die Marquise, indem sie das Billet wieder zusammenfaltete.

»Warum?«

»Weil ich ihm auf seinen ersten Brief nicht geantwortet habe.«

»Und Du willst auf diesen antworten?«

»Es ist wohl nöthig. Er wünscht eine Unterredung mit mir.«

»Und Du willst sie ihm gestatten?«

»Ich langweile mich so sehr.«

»Aber denke, daß Du damit ein klares Unrecht begehst.«

»Ah! liebe Freundin, was die Welt verdammt, ist darum nicht immer ein Verbrechen. Wenn ich von einem Manne geliebt würde, wie Du von dem Deinigen, würde ich. ein Unrecht begehen, indem ich das thue, was ich beabsichtige, aber mein Mann liebt mich nicht. Er hat sein Vermögen aufgezehrt und sein Herz abgestumpft. Er hat mich geheirathet, weil ich zwei Millionen Mitgift hatte, und mein Vater hat mich ihm gegeben, weil er einen berühmten Namen trügt. Meine Tage folgen sich auseinander mit der Regelmäßigkeit einer Wanduhr. Ich besitze Alles, was Andere leidenschaftlich begehren, aber ich langweile mich bis zum Tode. Ich bin schön; was nützt mir aber diese Schönheit, wenn sie Niemand bewundert, wenn ich Niemand liebe!«

»Und zum ersten Versuch hast Du diesen jungen Menschen auserkoren, welcher Dir hier schreibt?« frug Marcelline mit tugendhaftem Erstaunen.

Die Marquise nickte mit dem Kopfe.

»Und glaubst Du, daß er Dich liebt?«

. »Wie sollte er nicht!«

»Bedenke, was Du thun willst,« entgegnete Madame Delaunay.

»Wenn ich viel bedächte, würde ich es sicherlich nicht thun.«

Und Diana stand plötzlich auf, öffnete ein Schreibpult von Rosenholz und begann zu schreiben.

»Wenn es irgend eine schwierige Aufgabe gibt, so ist es die Abfassung eines solchen Briefes.«

»Warum?« frug Marcelline mit der Naivität, welche sie bei Besprechung eines solchen ihrem reinen Wesen unbegreiflichen Thema entwickelte.

»Weil, wenn man zu viel sagt, man sich bloßstellt, und wenn man nicht genug sagt, man Gefahr läuft, nicht verstanden zu werden.«

»In der That, es ist schwierig,« sagte Marcelline; »ich bin sehr glücklich, daß ich diese Schwierigkeiten nicht zu bekämpfen habe.«

»Das wird vielleicht noch kommen.«

»Gewiß nicht,« entgegnete Madame Delaunay, und man fühlte, daß diese Verneinung aus dem Herzen kam.

Die Marquise nahm die Feder, und ihre Hand bewegte sich ziemlich rasch auf dem Papiere.

Während dieser Zeit betrachtete Marcelline, ans Fenster sich lehnend, die auf der Straße Vorübergehenden.

»Ich bin fertig,« sagte endlich Diana, vom Schreibtisch sich erhebend.

»Darf man lesen?«

»Ja, Du magst mir sagen, ob es so recht ist.«

»Sie beklagen sich über mein Schweigen,« las die Marquise; »Sie sollten aber wohl einsehen, daß eine Frau auf einen ersten Brief nicht leicht antwortet, besonders wenn dieser Brief Dinge enthält, wie der Ihrige. Ich will glauben, daß Sie mich lieben, aber ungeachtet all des Vergnügens, welches Ihr Besuch mir verursachen würde, scheint es mir unmöglich, daß wir uns anderswo treffen könnten, als in meinem Hause, wo ich Ihnen jedoch eben so wenig die erbetene Audienz gestatten kann, indem meine Thür allen denen offen sieht, welche anklopfen. Sollten Sie aber einen Ausweg finden, so werde ich Ihrem Verlangen gern nachkommen.«

»Wie findest Du dies?« frug die Marquise.

»Ganz gut für das, was es sein soll.«

»Nun, dann habe ich es nur zuzusiegeln.«

Diana siegelte den Brief und schrieb die Adresse, während Marcelline sich zum Fortgehen anschickte.

»Warum gehst Du schon?«

»Mein Mann erwartet mich.«

»Sieh, hierin liegt der ganze Unterschied Deiner und meiner Lage. Gehst Du aus, so erwartet Dich Dein Mann; ist mein Mann aber auswärts, so erwarte ich ihn nicht. Willst Du, daß ich anspannen lasse?«

»Nein, ich will zu Fuß gehen. Wann sehe ich Dich?«

»Morgen Abend. Es wird dann ohne Zweifel die Antwort angelangt sein.«

»Du hast wohl die Güte, den Brief durch einen Deiner Leute bestellen zu lassen?«

Marcelline nahm den Brief schweigend an sich und ging.

Die Marquise blieb einige Augenblicke an ihrem Fenster, klingelte sodann ihrer Kammerjungfer, nahm das Buch, in welchem sie zu lesen begonnen hatte, und ging in ihr Schlafzimmer zurück.

Sie besorgte ihre Nachttoilette und verriegelte ihre Thür.

Als sie allein war, näherte sie sich dem Spiegel, lächelte stolz auf ihre Schönheit, setzte sodann den Leuchter auf einen Nachttisch, warf ihre Sammetpantoffeln von sich, sprang fröhlich in ihr Bett und begann zu lesen.

Anfangs waren ihre Augen fest auf das offene Buch gerichtet; aber sei es, daß das Buch nicht interessant genug war, sei es, daß ein fremder Gedanke sie beherrschte, sie wendete nicht eine Seite um, und bald verloren mit einem Male die Charaktere Gestalt und Bedeutung, und verwirrten sich in den Wogen ihres Blickes. Hierauf legte die Marquise ihr Köpfchen zurück und stützte ihn auf ihren Arm, weiß und rund, wie der Handgriff einer Alabasterurne, süße Träume bemächtigten sich ihrer Seele, und einige Augenblicke später fiel das Buch auf den Teppich, ohne daß sie es bemerkte.

Während dieser Zeit war Madame Delaunay bei sich zurückgekehrt, nachdem sie selbst den Brief ihrer Freundin auf die Post besorgt hatte.

Madame Delaunay war mit Diana in Einer Pension erzogen, und unter beiden hatte sich jene Freundschaft der ersten Jugend erzeugt und bewahrt, welche die Welt ungeachtet ihrer wechselnden Gewohnheiten und Anforderungen nicht verschwinden läßt. So kam es denn, daß an dem Tage, wo die Marquise Briefe zu empfangen hatte, die des Schleiers des Geheimnisses bedurften, sie zur zuverlässigen Freundschaft Marcellinens ihre Zuflucht nahm. Sie hatte ihr Anfangs gesagt, daß diese Briefe von einer Verwandten kämen, welche ihr Mann nicht liebte, dann aber hatte sie ihr endlich die Wahrheit gestanden, daß sie dem jungen Baron von Ternon die Erlaubniß gegeben, ihr schriftlich den Hof zu machen. War es bei dieser Gelegenheit das erste Mal, daß Madame Delaunay sich dazu verstand? Ja, und wir können eben so bestimmt versichern, daß die Marquise niemals an eine Andere sich gewendet hatte, und daß Maximilian der erste Mann war, dem sie erlaubte, ihr in solcher Weise zu schreiben.

»Die Marquise war also noch sehr jung!« werden die Skeptiker sagen.

Die Marquise war achtundzwanzig Jahre alt; sie war schön, reich, eine Brünette, ohne alle Beschäftigung und verheirathet.

Ihr Vermögen rührte von ihrem Vater her, ihr Mangel an Selbstbeschäftigung von ihrer Erziehung, ihre Langweile von ihrer Verheirathung. Die Marquise hatte alle Annehmlichkeiten des Luxus genossen, alle Zerstreuungen der Welt, alle Vergnügungen, die man für Geld sich verschaffen kann.

Viele Männer hatten ihr den Hof gemacht, denn ihr Mann schien sehr gleichgültig gegen sie, und sie hatte Augen, welche gegen eine solche Gleichgültigkeit mit aller Macht der Schönheit zu protestieren schienen. Aber wir wiederholen es, sei es aus Kälte des Herzens, sei es aus physischer Trägheit, die Marquise hatte noch Niemand erhört.

Wie kam es denn, daß sie Maximilian erhört hatte?

War er denn ein so ausgezeichneter Mensch, oder fühlte sie sich zu ihm von einer unwiderstehlichen Liebe hingezogen? Nichts von alle dem. Die Marquise war, wie wir eben sagten, nur achtundzwanzig Jahre alt, und erschrak vor dem Gedanken, dreißig zu werden, ohne Jemand geliebt zu haben. Maximilian war also nicht der Gegenstand einer besondern überlegten Bevorzugung, er war nur bestimmt, eine Vergessenheitsstunde der Marquise wieder gut zu machen. Diana hatte in ihrer Umgebung einen Geliebten gesucht, und der Baron hatte sich unter allen ihren Anbetern als derjenige gezeigt, welcher die gewünschten Eigenschaften am besten in sich vereinigte.

Er war jung, sie konnte also glauben, daß er für Ideen schwärmte, und daß er sie liebte, wie man im Alter von zwanzig Jahren liebte; sie war schön, und fürchtete keine Nebenbuhlerinnen; endlich war er von einem Vater und einer Mutter überwacht, denen er wie ein Kind gehorchte. Sie setzte also seine Freiheit nicht mehr in Gefahr, als eben nöthig war. Diese Liebe konnte also eine recht angenehme Zerstreuung für sie sein, und die Marquise stellte es sich auch nicht anders vor.

Wie dem auch sei, Maximilian, welcher in den Salons mit Madame de Lys oft zusammengekommen war, hatte ihr den Hof mit jener zarten Schüchternheit gemacht, welche Frauen so wohl gefällt, und fand sich, obschon sie ihn scheinbar lächelnd angehört hatte, nicht entmuthigt. Das aufmunternde Stillschweigen folgte dem Lächeln, verstohlene Blicke der Gleichgültigkeit, verdächtige Vertraulichkeit den verstohlenen Blicken, ja, endlich hatte die Marquise den jungen Mann errathen lassen, daß sie schriftlich Alles entgegennehmen würde, was er ihr nicht zu sagen wagte, und was sie nicht anhören durfte.

Hierauf hatte sie Madame Delaunay mit der Rolle, welche sie ihr bei dieser Intrigue zugedacht hatte, betraut. Denn sie wünschte das Verhältniß so geheim als möglich zu halten, und suchte deshalb auf jede Weise zu hindern, daß der Zufall, welcher nur Thorheiten begeht, einen Brief Maximilians in die Hände des Marquis überlieferte.

Madame Delaunay war weder reich noch Marquise, aber sie war, wie erwähnt, liebenswürdig und von ihrem Manne geliebt, welchen sie von dieser geheimen Correspondenz in Kenntniß gesetzt hatte, und welchen obschon er sich anfangs widersetzen wollte, doch endlich, seiner Gewohnheit gemäß, Allem beizustimmen, was seine Frau verlangte, eingewilligt hatte.

»Es ist eine gute Freundin von mir,« sagte Marcelline zu ihrem Manne, indem sie von Dianen sprach; »sie ist unverständig, und wenn ich ihre Briefe nicht besorgte, so würde sie diese von einem Andern empfangen, welcher sie compromittiren könnte. Uebrigens sind Briefes etwas sehr Ungefährliches.«

Wir haben nicht nöthig zu sagen, daß Maximilian mit Ungeduld die Antwort der Marquise erwartete. Er schlief die ganze Nacht nicht und stand zeitig am folgenden Morgen auf, wo er mit Wahrscheinlichkeit einen Brief von Dianen empfangen mußte.

.Er ließ sein Pferd satteln und begab sich auf einen Spazierritt in den Wald, um seine Ungeduld zu beschwichtigen, ein nicht sehr befremdender Umstand, da Maximilian erst zwanzig Jahre alt war.

Um elf Uhr war er zurück, und da immer noch kein Brief angekommen war, befand er sich in einer ziemlich schlechten Laune.

»Ist man oben beim Frühstück?« fragte er den Bedienten welcher ihm öffnete.

»Nein, Herr Baron.«

»Ist mein Vater aufgestanden?«

»Seit Einer Stunde.«

Maximilian durchschritt das Vorzimmer und klopfte an eine Thür, welche sich der, durch welche er eingetreten war, gegenüber befand.

Es war die Thür, welche in’s Zimmer seines Vaters führte.

»Herein,« rief eine Stimme. »Guten Tag, Maximilian,« sagte der Graf, ein langer Mann von ungefähr fünfzig Jahren, trocken. »Woher kommst Du?«

»Aus dem Wald.«

»Hast Du dort Jemand getroffen?«

»Niemand.«

»Bei welcher Stunde hast Du Dich gestern Abend schlafen gelegt?«

»Um elf Uhr.«

»Hast Du diesen Morgen schon Deine Mutter gesehen?« fragte der Graf.

»Noch nicht.«

»So geh und begrüße sie.«

Die Unterhaltung zwischen Vater und Sohn war kurz und einfach. Wenn Letzterer früh in das Zimmer seines Vaters ging, so gehorchte er mehr einer beschwerlichen Pflicht, als einem innern Drängen.

Die Gräfin war eine Frau von vierzig Jahren, groß, schmächtig, von aufrechter, stolzer Haltung, trocken, ein wahrer Reflex der Person des Grafen.

»Du warst schon ausgegangen?« frug Madame von Ternon ihren Sohn, als sie seine Stiefeln mit Staub bedeckt sah. »Warst Du allein?«

»Nein, Mutter, Florentin folgte mir.«

»Wo warst Du?«

»Im Walde.«

»Zu welcher Stunde bist Du gestern Abend zurückgekehrt?«

»Um elf Uhr.«

Man konnte dieses Gespräch für ein Echo der Fragen halten, welche der Graf seinem Sohne vorgelegt hatte.

Hierauf setzte man sich zum Frühstück, dann aber zog sich Jedes auf sein Zimmer zurück, und eben, als der Baron sich in das seinige begeben wollte, überreichte ihm der Hausverwalter einen Brief.

Er war von Diana.

Maximilian entsiegelte hastig den Brief und las ihn in Einem Zuge, wie ein von der Hitze erschlaffter Mensch ein Glas Wasser in Einem Zuge austrinkt.

Der Inhalt des Briefes, welcher wohl einen Louis werth war, veranlaßte es denn auch, daß der Portier um zwanzig Franken reicher wieder herunter stieg.

Als Maximilian das Billet der Marquise gelesen und wieder gelesen hatte. sagte er bei sich, indem er sich auf sein Bett setzte:

»Offenbar nimmt sie eine Bestellung an. Aber sie will mich weder bei sich, noch bei mir, noch anderswo sehen; es ist nöthig, daß ich einen Ort ausfindig mache, wo sie nichts zu fürchten hat. In meinem Hotel geht es unmöglich, wegen der Spionerie der Bedienten; dort wäre es nothwendig, daß ich meinen Namen nenne, und mein Vater könnte es erfahren. Das Beste wäre, wenn einer meiner Freunde mir sein Zimmer liehe; aber alle meine Freunde sind neugierig und unbesonnen, die Einen immer mehr als die Andern.

»Jetzt,« rief er plötzlich, »fällt mir etwas ein.«

Er kleidete sich in Eile an, stieg herab, sprang in ein Cabriolet und sagte zum Kutscher.

»Märtyrerstraße, Nr. 67.«

Maximilian befand sich bald in der Straße Rivoli, und eine Viertelstunde nachher vor dem Hause, welches er bezeichnet hatte, er durchschritt einen kleinen Garten. nachdem er dem Portier den Namen der Person, welche er besuchen wollte, genannt hatte, und klingelte an der Thür eines Malerateliers.

Er hörte Schritte, und ein junger Mensch von ungefähr 25 Jahren, mit einer Sammtweste und eleganten Pantalons bekleidet, öffnete ihm. Dieser junge Mensch war groß, hatte schwarze Augen und eben solches Haar, weiße Zähne, eine loyale, wohlwollende und distinguirte Miene.

In der einen Hand hielt er eine Palette und einen Malerstock, in der andern eine Cigarre.

»Du!« rief er, als er Maximilian sah.

»Ich selbst.«

»Was Teufel willst Du hier?« frug der Maler Aubry, indem er die Thür schloß und seinen Freund in das Atelier führte.

»Ich will Dich um einen Dienst Ersuchen.«

»Sprich, lieber Freund, und setze Dich, wenn Du einen Stuhl frei findest.

Maximilian folgte seinem Freunde durch die enge Straße, welche die Gestelle und Gemälde aller Art und Größe in dem Atelier bildeten Dieser Saal war eine Welt; es wäre ein Tag nöthig, um die Specialitäten kennen zu lernen, welche mir nicht einmal anzuzeigen versuchen wollen. Man hätte, wenn man die Zeichnungen im Hintergrunde sah, die Coulissen eines großen Theaters zu sehen geglaubt. Schärpen und Kostüme waren auf Körben, Entwürfe von allen bekannten Künstlern an den Wänden, mitten unter den Wappen aller Länder aufgehangen. Halbkreisförmige Platten trugen Statuen und Gliedermänner.

Namen und Adressen von Modellen waren mit Kreide auf das Ofenrohr geschrieben, sowie auf das Mauerwerk von grauer Farbe; ein Piano war geöffnet und überdeckt von Zeichnungen, Albums und Musikalien.

Aubry setze sich wieder vor das Gemälde, an welchem er gearbeitet. als der Baron eintrat, und dessen erster Farbenschmelz der ein wenig durch die großen Vorhänge verhüllten Sonne freundlich entgegenschimmerte.

»Höre ich Dich?« frug Maximilian, und setzte sich auf einen breiten Divan. dem Fenster gegenüber.

»Keineswegs.«

»Ist Niemand hier?« fuhr Maximilian fort, indem er den Hintergrund des Ateliers durchforschte.

»Niemand.«

»Damit handelt es sich.«

»Nun, was wünschest Du?«

Indem er dies sagte, setzte sich der Maler wieder an die Arbeit.

»Stelle Dir vor, daß es eine Person giebt,« sagte Maximilian, »mit welcher ich sehr gern zusammen kommen möchte. Unglücklicherweise kann ich sie nicht bei sich sprechen oder sehen, und da ich dies auch nicht bei mir zu Hause kann, so bin ich in einer sehr schlimmen Lage.«

»Diese Person ist eine Frau?«

»Natürlich.«

»Aber hat sie Dir erlaubt, sie irgendwo zu treffen?«

»Freilich.«

»Nun so mag sie doch zu Dir kommen.«

»Nein, das ist wie gesagt auch nicht statthaft; mein Vater und meine Mutter sind mir zu sehr auf dem Nacken. Es ist mir ein Ort nöthig, wo weder der Eine noch der Andere der Interessenten bekannt ist.«

»Miethe ein Zimmer in einem Hotel.«

»Die Bedienten sind zu neugierig, und da diese Person der großen Welt angehört, ja der sehr vornehmen Welt, so will ich sie nicht compromittiren.«

»Das ist recht, wie willst Du es aber denn machend?«

»Ich habe an Dich gedacht.«

»An mich?«

»Ja.«

»Dein Zimmer kann der Ort unseres Rendez-vous werden.«

»Wird sie hierher kommen?«

»Warum nicht?«

»In das abscheuliche Atelier eines schlechten Malers?«

»Warum nicht?«

»Sie liebt Dich also wohl?« sagte Aubry lächelnd.

»Warum nicht?«

»Ich wiederhole es, mein Zimmer ist eine zu schlechte Liebeshütte.«

»Lieber Freund,« sagte Maximilian, »Deine Hütte ist ein lieblicher Zufluchtsort, sehr abgelegen, sehr geheim, isoliert, kurz, eben so wie ich ihn brauche. Ich habe bei allen meinen Freunden gesucht und keinen gefunden, an den ich mich hätte wenden können, Dir allein habe ich den Vorzug gegeben.

»Aber das ist nicht Alles.«

»Was brauchst Du noch?«

»Die größte Verschwiegenheit ist nöthig, für den Fall, daß Du mit der fraglichen Person zusammentriffst, oder sie in Gesellschaft wieder findest; es ist nöthig, daß Du Dir den Anschein giebst, als kenntest Du sie nicht.«

»Sei ruhig. Aber erlaube mir eine Frage: Zu welcher Stunde will sie kommen?«

»Abends, denke ich.«

»Sehr schön. Auf diese Art werde ich den ganzen Tag arbeiten können; und da ich alle Tage von 6 Uhr bis Mitternacht ausgehe, so wird das Zimmer frei sein.«

»Es kann nicht besser passen! Verzeihst Du mir?«

»Was denn?«

»Daß ich Dich, einen alten Schulkameraden, nur an den Tagen aufsuche, wo ich Dich nöthig habe.«

Aubry reichte Maximilian die Hand.

»Jetzt verstehen wir uns,« sagte dieser. »Nun will ich Dich mit zu mir nehmen und Dich mit der Sache völlig bekannt machen.«

Die zwei jungen Leute verließen das Atelier lachend und gingen in ein Zimmer, dessen Thür sich dem Piano gegenüber befand.

»Dies ist mein Schlafkabinet, daneben das Toilettenzimmer. Hieran stößt das Atelier, und das Vorzimmer kennst Du auch, das ist Alles. Hält sich Deine Schöne streng an Ordnung?«

»Bei sich, ohne Zweifel; aber hier wird sie sich nur wenig daran halten, glaube ich.«

»Siehst Du, ein Künstler befindet sich nur in der Unordnung wohl. Das Erste, was ich thue, wenn ich ausgehe, ist, zu bitten, daß man nichts ordne. Du siehst leicht ein, wie unangenehm und verdrießlich es für mich sein müßte, wenn mein Portier den Einfall hätte, meine Farben in Ordnung zu stellen, oder meine Zeichnungen und Entwürfe aufzuräumen. Morgens würde ich nicht mehr wissen, die Sache wiederzufinden, die ich nöthig habe, ohne den Schaden zu berechnen, den die Gegenstände durch solche Ordnungsliebe erleiden müssen. Also abgemacht, nur muß Alles in demselben Stande bleiben! Jetzt wollen wir einen andern Punkt besprechen.«

»Welchen?«

»Ich begehre nicht die fragliche Person kennen zu lernen; wenn sie folglich Lust hätte, während des Tages zu kommen, so würdest Du die Güte haben, mir im Voraus ein Wort zu schreiben, und ich werde Euch dann das Zimmer frei lassen. Bist Du damit einverstanden?«

»Vollkommen.«

»Das ist noch nicht Alles, Du wirst meiner unbekannten Besucherin empfehlen, keine weibliche Zierrath hier zurück zu lassen.«

»Warum?«

»Weil, wenn diese durch eine niedere Hand als die meinige gefunden würde, diese andere Hand mir die Augen ausreißen würde. Du wirst also über diesen Umstand sorgfältig wachen.«

»Ja.«

»Nun, mein Lieber, von 6 Uhr bis Mitternacht kannst Du alle Abende diese Zimmer als Dein Eigenthum ansehen.«

»Aber wie kann ich den Schlüssel erhalten?«

»Das wirst Du gleich sehen.«

Paul verließ das Zimmer, und indem er vor seiner Thür stehen blieb, rief er mit aller Kraft seiner Lungen:

»Vater Fremy.«

»Hier,« antwortete die Portierstimme.

»Kommen Sie, ich will mit Ihnen sprechen.«

»Hier bin ich, Herr Aubry.«

Der Maler ging in sein Atelier zurück, wo er seinen Freund. vor seinem Gemälde sitzend und es mit Interesse betrachtend, fand.

Im Vorbeigehen wollen wir erwähnen, daß Aubry ein Künstler von großem Talent war.

»Weißt Du, daß dies ein wunderschönes Gemälde ist,« sagte Maximilian.

»Hm, es ist das wohl auch nur eine Art gleich jeder andern, Dich mir dankbar zu beweisen.«

»Keineswegs, ich spreche aufrichtig mit Dir. Bist Du mit den Erfolgen Deiner Kunst zufrieden?«

»O nein! Die Künstler haben jetzt nur Geschäfte mit ihres Gleichen, Bürgern, Kunsthändlern und reichere Leuten. Die Künstler selbst kaufen keine Gemälde; die Bürger bezahlen sie nicht. Die Gemäldehändler drücken uns und machen uns bankerott, und die reichen Leute kaufen nur von Gemäldehändlern. Daraus folgt, daß Plutos fortwährend nicht der Gott der Künstler ist, am wenigsten der der Maler.«

In diesem Augenblicke trat Fremy ein«

»Ah! Sie hier«sagte Aubry, nachdem der Portier eingetreten war. »Sehen Sie sich diesen Herrn genau an,« indem er auf Maximilian zeigte.

»Dieser Herr wird bisweilen Gefallen daran finden, Abends hierher zu kommen. Sie werden ihm meinen Schlüssel geben, wenn er selbigen von Ihnen verlangt, und wenn er Ihnen aufträgt, meinen Schlüssel Jemand Anderen zu geben, so werden Sie ihn auch der Person geben, welche er Ihnen bezeichnen wird.«

»Sehr wohl, mein Herr!«

»Wenn der Herr hier ist, werden Sie Niemand hier eintreten lassen.«

»Sie können ganz ruhig sein.«

»Ich will dieser Ordre die Bemerkung beifügen, Vater Fremy, daß, wenn Sie verschwiegen sind, Sie eine hübsche Anzahl von Stücken zu 100 Sous gewinnen werden, und daß, wenn Sie blind, taub und stumm dazu sind, Stücke von 20 Franken den Erstern folgen dürften. Haben Sie verstanden?«

»Vollkommen.«

»Für diesen Fall gehen Sie wieder zu Madame Fremy, welche wegen Ihnen vielleicht in Sorge ist. Jetzt, lieber Freund, hast Du nur geradewegs zu schreiben, daß Du gesunden hast, was Du brauchst, und Du kannst von heute Abend an kommen, wenn es Dir recht ist.«

»Du bist der Retter meines Lebens,« sagte Maximilian indem er die Hand die Malers dankbar drückte; »und wenn ich Dir jemals mit etwas gefällig sein kann, so erinnere Dich, daß ich Dir einen Dienst schuldig bin. Ich verlasse Dich jetzt, um zu Mittag zu Hause zu sein.«

»Immer noch unter Vormundschaft also?«

»Ach ja, mein Lieber; mein Vater und meine Mutter haben alle meine Schritte endlich bis dahin in den Kreis ihrer Aussicht gezogen, daß sie alle Tage über das, was ich gethan habe, von mir Rechenschaft verlangen, und daß ich Ihnen die Rechenschaft gebe, welche sie von mir fordern.«

»Doch heute wirst Du ihnen wohl nicht sagen, woher Du kommst?«

»Ja, nur werde ich ihnen nicht sagen, warum ich gekommen hin.«

Maximilian drückte zum letzten Male die Hand seines Freundes« und entzückt über den Erfolg seines Besuches begab er sich nach Hause und schrieb alsbald an die Marquise:

»Madame!

»Ich habe fleißig der Wahrsagerkunst obgelegen und es ist mir gelungen, in der Zukunft zu lesen. Nun, Folgendes wird sich morgen Abend in der Märtyrerstraße vor Nr. 67 ereignen.

»Es wird dort ein Mann sein, der Sie liebt und dem Sie erlaubt haben, Sie zu. lieben. Dieser Mann wird von 8 – 9 Uhr dort lustwandeln. Ich habe nicht nöthig, Ihnen zu sagen, wen er erwartet. Nur das Eine mögen Sie wissen« daß er einen glücklichen Einfall gehabt hat und daß er sehr zu beklagen sein wird, wenn Sie keine Nachsicht mit ihm haben.«

Am frühere Morgen empfing Maximilian ein Billet folgenden Inhalts:

»Warten Sie von 8 bis 8 ¼ Uhr; hoffen Sie von 8 ¼ bis 8 ½ Uhr; verzweifelte Sie von 8 ½ bis 9 Uhr, denn wenn zu dieser Zeit Diejenige, welche Sie erwarten, nicht gekommen ist, so ist es ihr unmöglich gewesen. Im Ganzen aber dürfte diese Unmöglichkeit nur schwer eintreten.«

Maximilian legte die zwei Briefe der Marquise in sein Bureau, den Schlüssel dazu steckte er in seine Tasche; und als er einige Augenblicke nachher auf’s Pferd stieg, war er offenbar der glücklichste Mensch von Paris.

Doch der Tag wollte nicht enden.

Um 7 ½ Uhr nahm Maximilian einen Wagen, und eine Viertelstunde später war er vor dem Hause Aubry’s.

Um 8 Uhr 20 Minuten hielt ein Fiakre neben ihm, und eine verschleierte Dame stieg heraus.

»Wo führen Sie mich hin?« war das erste Wort dieser Dame.

»In dieses Haus«

»Zu wem?«

»Zu einem zuverlässigen Freunde.«

»Einem zuverlässigen Freunde?«

»Rechnen Sie auf ihn.«

»Werden wir ihn selbst antreffe?«

»Nein, er wird vor Mitternacht nicht wiederkommen.«

»Nun, so wollen wir eintreten.«

Maximilian klingelte hierauf und die Thür öffnete sich.

»Lassen Sie Ihren Schleier nieder und gehen Sie immer gerade fort,« sagte Maximilian zu der Marquise.

»Bis wohin?« sagte sie.

»Bis hinter in den Garten,« antwortete der Baron lachend.

»Was treibt Ihr Freund?«

»Er ist Maler.«

Maximilian trat bei Vater Fremy ein, welcher, ohne ein Wort zu reden, dem Baron den Schlüssel und ein Wachslicht reichte.

Die Marquise war schon bis zur Thür des Ateliers gelangt.

Es giebt stets bei einem ersten Besuche dieser Art materielle Schwierigkeiten, die gewöhnlich vollständig bei dem zweiten wegfallen. Diese Schwierigkeiten existieren wohl mehr für den Mann als für die Frau, welche sich um keins der vorbereitenden Details zu kümmern hat. Auch Maximilian, welcher sehr bewegt war, wagte nichts zu sagen. Er öffnete schweigend die Thür seines Freundes, läßt Dianen eintreten und folgt ihr, indem er dafür besorgt ist, den Schlüssel abzuziehen und die Riegel vorzuschieben.

Im Atelier angekommen, blieb Diana stehen, ohne zu wissen, ob sie weiter gehen sollte, denn wie wir schon früher gesagt haben, dieses Zimmer war ein wahrhaftes Labyrinth. Der Baron, welcher die Gegenstände besser kannte, begleitete sie bis an das Sopha, auf welchem sie sich niederließ, dann lüftete sie ihren Schleier und reichte Maximilian die Hand.

Dieser setzte das Wachslicht auf den Tisch, und zu den Knieen der Marquise sinkend, bedeckte er mit Küssen die weiße Hand, welche sie ihm überließ.

»Sie sind ein Engel,« flüsterte er.

»Ein sehr unverständiger Engel, und überdies ein Engel, der sich nicht sehr bitten läßt,« erwiederte sie und empfand das Bedürfnis, augenblicklich die Unterhaltung zu wechseln.

»Das ist also das Atelier Ihres Freundes,« sagte sie.

»Ja.«

»Was zeichnet Ihr Freund, Landschaften, Begebenheiten aus der Geschichte, oder Portraits?«

»Wie Sie sehen, er wagt schon Alles und es gelingt ihm Alles wohl.«

»Wie heißt er!«

»Paul Aubry.«

»Ich kenne diesen Namen nicht. Haben Sie mit ihm von mir gesprochen?«

»Ja, es war nothwendig.«

»Sie haben mich genannt,« sagte die Marquise erschrocken.

»O nein, er weiß nicht, wer Sie sind.«

»Und es ist nicht zu befürchten, daß er zurückkommt?«

»Seien Sie unbesorgt.«

Die Marquise blickte neugierig um sich, und von Zeit zu Zeit hefteten sich ihre Augen auf den jungen Mann, welcher zu ihren Füßen lag.

Die Conversation eines erstere Rendez-vous ist für beide Liebende etwas schwierig. Für die Dame insofern als sie in dem Bewußtsein der Gefahr, welcher sie sich aussetzt, ihrem Schamgefühl noch das Verdienst eines Kämpfers geben will; für den Mann, welcher vollkommen überzeugt, daß die Bebende ihm nicht lange widerstehen wird, doch sein ganzes Zartgefühl und sein ganzes Talent zu Rathe ziehen muß, um seiner Geliebten eine so tiefe Neigung einzuflößen, daß sie unbewußt der Sünde verfällt und dies nicht eher gewahrt, als wenn es schon zu spät ist.

Das Wort wird hier zur Maske des Herzens; die Blicke allein und ein unwillkürliches Zittern der Stimme widersprechen den trivialen Phrasen, welche sich abwechseln und an denen der Gedanke leisten Theil hat.

Die Marquise konnte eine sehr natürliche Bewegung nicht unterdrücken« weil es das erste Mal war, daß sie sich zu einem solchen Schritte hatte hinreißen lassen. Sie empfand zwar keine Gewissensbisse, aber sie frug sich leise und voll Unruhe, ob denn dieser Genuß, wozu sie heute Abend den ersten Schritt that, ihr eine hinreichende Entschädigung für ihre Langeweile und wirkliche Zerstreuung gewähren würde. Auch verzögerte sie so sehr als möglich die Antwort auf diese Frage. Sie wußte wohl, wo sie wandelte, aber sie fand mehr Vergnügen darin, einem krummen Nebenwege zu folgen, als sogleich den geraden Weg zu gehen, und obschon sie keineswegs daran dachte, sich zu vertheidigen, so hätte sie doch gern ihren Schritt ungeschehen gemacht.

Sie betrachtete den Mann, welcher sie zu lieben vorgab, indem sie die sehr einfache Betrachtung machte, daß er noch jung genug sei, um das, was er sagte, für Wahrheit nehmen zu können, daß er älter zugleich zu jung wäre, als daß diese Liebe von langer Dauer sein könne. Auch sah sie ein, daß früher oder später ein Bruch statt finden müsse, ein Bruch, dem eine neue Verbindung folgert würde, denn sie fühlte, daß man schwer auf einem solchen Wege stehen bleibt.

Kurz, sie war zwar erstaunt, sich an diesem-Orte zu finden, und frag sich, wie sie dahin gekommen wäre, aber wie alle Frauen, welche aus dem Kreise der Sitte und Tugend heraustreten, indem sie die Schranken derselben überspringen, wie sie alle diese Reflexionen weit von sich, welche zu machen es jetzt zu spät war.

Was Maximilian betraf, so hatte er sich von seinen Eindrücken noch wenigen als die Marquise Rechenschaft geben können. Er hatte keine große Frauenerfahrung, und es war das erste Mal, daß er ein Vergnügen mit einer Frau vom Range Dianas zu finden hoffte. Er empfand also eine Bewegung des Verlangens, des Stolzes und der Liebe, welche er für die reine Liebe in der ernstesten Bedeutung des Wortes nahm, und jedes Mal als sich seine Augen auf die Marquise hefteten, fühlte er das Blut seines Herzens nach dem Kopfe steigen.

Madame de Lys stand auf, und indem sie sich dm offenen Fenster näherte, von dem die Aussicht auf die Gärten ging, athmete sie die frische Luft in langen Zügen ein.

Maximilian näherte sich ihr. Die Nacht war herrlich und erfüllt mit Frühlingsdüften.

An diesem Abende, wie auch an anderer Abenden, gingen viele Leute vor Nr. 67 der Märtyrerstraße vorüber; die einen herab, die andern hinaufsteigend, die einen ihren Geschäften nachgehend, Andere nach Vergnügungen haschend, diese so glücklich, jene traurig; es war genug Geräusch in der Straße, dies erinnerte jedoch Dianen Und Maximilian nicht daran, daß die Zeit verging; ja, als sie sich nur seit einer halben Stunde in dem Zimmer des Malers glaubten, schlug es mit einem Male 11 Uhr.

»Elf Uhr!« rief Madame de Lys, indem sie ihr Haar aufwickelte, welches unbemerkt sich gelockert hatte.

Einige Augenblicke nachher sagte die Marquise, deren Wangen glühten, zu dem Baron, indem sie ihm einen offenen Schrank zeigte:

»Maximilian, nehmen Sie eine dieser Flaschen, und lassen Sie uns ein Glas auf die Gesundheit unseres Wirths trinken!«

Der junge Mann nahm eine Flasche Madeirawein und füllte ein Glas, welches im Lichte wie ein heller Topas glänzte. Die Marquise trank daraus die Hälfte, und reichte das Glas dem Baron, welcher es leerte, indem er die Stelle suchte, wo die Lippen der Marquise geruht hatten, um die seinigen dort anzusetzen.

Dann betrachteten sie sich lächelnd.

Als er in das Atelier zurücktrat, ergriff Maximilian ein Stück Kreide, und schrieb an die Wand: »Heute am 15. September 1845 um 11 Uhr Abends tranken hier zwei glückliche Liebende auf das Wohl ihres Wirthes.«

»Sind Sie damit einverstanden?« sagte der Baron zu Diana, »oder wollen Sie, daß ich nur schreibe: ein Glücklicher?«

»Lassen Sie stehen was Sie geschrieben haben,« antwortete die Marquise, »und jetzt wollen wir gehen.«

»Und wann werde ich Sie wiedersehen?«

»Sobald es möglich ist, werde ich Ihnen schreiben.«

»Wird dies bald geschehen?«

»Rechnen Sie auf mich.«

Mit der einen Hand hielt Maximilian die Thür, mit der andern drückte er den Kopf der Marquise an seine Brust.

Beide verließen das Zimmer.

Sie stieg in den Wagen, der sie erwartete, und hielt Maximilian, welcher sie begleiten wollte; zurück, indem sie die Befürchtung aussprach daß man sie in dieser Zeit zusammentreffen möchte.

Der Baron bedeckte die Hände seiner Freundin mit Küssen, und der Wagen rollte hinweg.

Der Marquis war nach nicht zu Hause, als Diana zurückkam, denn er kehrte niemals vor Ein Uhr früh zurück.

Die Marquise war schön, und Maximilian nahm von diesem ersten Rendez-vous eine Erinnerung voll Entzücken mit sich.

»Endlich,« wiederholte er von Zeit zu Zeit, »gehört sie mir an! Die Marquise, die schöne Diana de Lys, sie liebt mich!«

Und während er sieh dies sagte, schien es Maximilian, als ob er um eine Armlänge größer würde, und als ob Niemand in der Welt jemals so glücklich als er gewesen war und sein könnte.

Wenn Jemand in diesem Augenblicke ihm gesagt hätte: »Einst werden Sie diese Frau nicht mehr lieben,« so würde er sich über ihn wie über einen Narren lustig gemacht haben.

In seine Wohnung zurückgekehrt, versuchte Maximilian, nach der Gewohnheit der Liebenden, Dianen die Seligkeit zu schildern, welche ihn die wenigen Stunden hatten genießen lassen, die er mit ihr zugebracht. Aber so viele Gedanken wogten in ihm, daß er, nachdem er einige Phrasen, welche er trivial fand, geschrieben hatte, die drei oder vier Briefe zerriß, welche er angefangen, und sich begnügte, von dieser neuen Liebschaft zu träumen

Ihrerseits hatte sich die Marquise in ihr Zimmer verschlossen, und es abgelehnt, daß ihr Kammermädchen sie entkleiden.

Nachdem sie sieh gesetzt hatte, frug sie sich, ob sie wohl, wie sie fünf Stunden zuvor gehofft hatte. Ein Mittel für ihre Langeweile gefunden habe?

Wenn in diesem Augenblicke der vertraute Genius der Marquise sich zu ihrem Ohre geneigt und ihr das einzige Wort zugeflüstert hätte:

»Und nun?«

So hätte sie ihm wahrscheinlich geantwortet:

»Nun, ich bereite es noch nicht, aber wenn ich diesen Morgen gewußt hätte, was ich heute Abend weiß, so würde ich vielleicht heute nicht ausgegangen sein.«

Als die Marquise früh erwachte, erinnerte sie sich nicht sogleich dessen, was sich am Abend ereignet hatte, aber nach einigen Augenblicken kehrte das volle Bewußtsein zurück, und sie sagte bei sich:

»Ich habe also einen Geliebten!« und sich in dem Spiegel über ihrem Bett betrachtend, fuhr sie fort: »Es ist sonderbar, daß dieses Wort keine größere Rolle in meinem Leben spielt. Liebe ich denn etwa Maximilian nicht, und erschreckt denn dieses Wort nur, wenn man« liebt?«

»Ja, ohne Zweifel, denn man zittert dann vor der Möglichkeit, nicht geliebt zu werden, und es muß eine grausame Strafe sein, ohne Erwiderung zu lieben. Glücklicher Weise bin ich nicht in diesem Falle. Nach alle dem kommt die Liebe vielleicht nicht sogleich, und es ist möglich, daß ich einstens Maximilian noch liebe.

Aber in demselben Augenblicke schien Madame de Lys diese Möglichkeit abzuleugnen.

Hierauf klingelte sie ihrem Kammermädchen, und als diese gekommen war, sagte sie:

»Zu welcher Stunde ist mein Mann gestern zurückgekehrt?«

»Um Ein Uhr des Morgens.«

»Ist er wach«

»Ich will fragen, wenn Sie es wünschen.«

»Laß ihn durch Joseph bitten, zu mir zu kommen, sobald er aufgestanden ist.«

»Ja, Madame.«

»Oeffne das Fenster.«

Das Kammermädchen gehorchte, und die Marquise legte ihr liebliches Köpfchen auf die Seite.

»Ich bin sehr neugierig, meinen Mann diesen Morgen zu sehen,« sagte sie zu sich, und von Zeit zu Zeit schwebte ein Lächeln auf ihren Lippen, der Reflex gewisser bizarrer Gedanken, welche so oft ihren Geist durchkreuzten.

Eine halbe Stunde nachher klopfte man an der Thür der Marquise.

»Herein,« sagte diese.

Der Marquis trat ein.

Der Marquis war ein Mann von ungefähr fünfundvierzig Jahren. Er hatte blonde Haare gehabt und verbarg sorgfältig die wenigen grauen, welche sich bereits zeigten. Seine Augen waren blau, sein Mund fein, geistreich und witzig. Er hatte eine aristokratische Nase und trug den Bart auf englische Manier. Er war ein Weltmann im ausgewähltesten Sinne des Wortes. Das Alter und das Leben, welches er bisher geführt hatte, hatten ihm einen gewissen Embonpoint gegeben. Er hatte viel Vermögen besessen, und man hätte dies nicht geahnt, wenn nicht aus der Eleganz seiner Sprache und dem Skepticismus seiner Theorieen.

Er war mehr geliebt worden als liebenswürdig, und aus diesem Leben, in welches er, glücklich für ihn, mit einem ausgezeichneten Magen, einem schönen Vermögen und einem großen Namen eingetreten war, war er siegreich hervorgegangen, denn er hatte seinen Namen ungeschmäht, seinen Magen kräftig erhalten, und nur sein Vermögen hatte in dieser stürmischen Existenz Schiffbruch gelitten. Er hatte Geist, schöne Zähne, weiße und zarte Hände wie eine Frau, eine angeborene Eleganz einen anerkannten Muth, kurz, er war einer von den Männern, welche sich verheirathen, um die Mittel zu erhalten, ihr Garcon-Leben fortzusetzen, und welche sich durch ihre Frau hintergehen lassen, sobald dies ohne großes Aufsehen geschieht.

Er wußte zwar, daß die Marquise ihn nicht hinterging, er wußte aber auch, daß sie für ihn keine enthusiastische Liebe hegte, und er gab mit ziemlich hinreichenden Gründen diese Treue der Indolenz seiner Frau Schuld.

Er hielt sich in dieser Ueberzeugung vollkommen berechtigt, nicht erkenntlich zu sein, und sie benutzte das Recht, ihm nicht mehr treu zu sein.

Es folgte aus diesem erworbenen Rechte die vollständige Freiheit Beider.

»Sie haben mich rufen lassen, Diana?« sagte der Marquis eintretend.

»Habe ich Sie gestört?«

»Keineswegs, und hätten Sie mich gestört,« so würde ich mich darüber nicht beklagen.«

»Kommen Sie denn und setzen Sie sich neben mich, Marquis.«

»Was haben Sie heute, liebe Freundin, ich habe Sie niemals so gütig gesehen.«

»Ist dies ein Vorwurf?«

»Nein, im Gegentheil.«

»Was ist denn so Wunderbares darin zu finden, daß eine alte Frau einige Augenblicke mit ihrem Manne sprechen will?«

»Es ist in der That sehr einfach.«

»Besonders, wenn sie wie ich ihren Mann seit drei Tagen nur auf wenige Stunden gesehen hat.«

»Wünschen Sie, daß ich nicht mehr ausgehe?»

»Es würde ein zu großes Opfer sein, Marquis, und ich will von Ihnen nicht zu viel fordern.«

»Was wünschen Sie denn? Denn Sie müssen doch etwas von mir wollen?«

»Ich will Sie sehen« sage ich Ihnen, und nichts weiter, ich schwöre es.«

Und als wäre es in der That das einzige Verlangen gewesen, betrachtete Diana den Marquis mit Aufmerksamkeit und begann zu lächeln.

»Marquis, beeilte sie sich hinzuzufügen, als Herr de Lys sie nicht um die Bedeutung dieses Lächelns frug, »das Unerwartete interessiert mich, Sie wissen es, und heute will ich, daß Sie Ihren heutigen ganzen Tag mir opfern; verlange ich zu viel?«

»Ich wünschte« daß Sie einen andern Tag wählten, denn heute ist es kein Opfer, das ich Ihnen damit bringe.«

»Also heute wollen Sie mir ganz angehören?«

»Mit Leib und Seele«

»Bis morgen?«

»Bis morgen? wollen wir denn zum Ball gehen?«

»Nein.«

»So werden wir zu Hause bleiben?«

Diana nickte.«

»Wem verdanke ich diese ausgezeichnete Gunst?« sagte der Marquis, indem er die Hände seiner Frau drückte.

»Sie willigen also ein?«

»Von ganzem Herzen.«

»Nun, Marquis, so gehen Sie, ich will mich ankleiden.«

Der Marquis küßte die Hand feiner Frau und begab sich auf sein Zimmer zurück; er nahm ein Blatt Papier und schrieb:«

»Liebes Kind!

»Ein unvorhergesehenes Ereigniß wird mich abhalten, Sie heute zu sehen, aber morgen früh werde ich Sie bestimmt überraschen.«

Er unterzeichnete, siegelte den Brief und klingelte seinem Bedienten.

»Du wirst, sagte er zu diesem, »für diesen Abend eine Loge im Theater bestellen und das Billet zu der Adresse dieses Briefes, mit dem Briefe nämlich, wohl verstanden, tragen.«

»Soll ich aus Antwort warten?«

»Nein.«

Diana ihrerseits hatte geschrieben:

»Mein Freund!

»Es ist mir unmöglich, heute auszugehen, ich werde den ganzen Abend Gesellschaft bei mir haben. Ich habe nicht nöthig, Ihnen zu sagen, wo mein Herz und meine Gedanken weilen. Morgen vielleicht.«

Die Marquise unterzeichnete nicht, versiegelte den Brief und schrieb einen zweiten, in welchen sie den ersten einschloß und welchen sie an Marcelline richtete, sie bittend, den inliegenden an seine Adresse gelangen zu lassen.

Hierauf gab sie das Billet ihrem Kammermädchen, indem sie ihm sagte, es sogleich zu Madame Delaunay zu besorgen.

Der Tag verging, wie Madame de Lys es wünschte. Um zwei Uhr bestiegen der Marquis und seine Frau den Wagen und machten eine Spazierfahrt in den Wald.

Um sechs Uhr aßen sie zu Mittag, um acht Uhr waren sie in der Oper; um Mitternacht waren sie wieder zurück.

Den folgenden Tag Mittags kam Marcelline, um ihre Freundin zu besuchen, welche noch schlief.

Marcelline trat jedoch in das Zimmer Diana’s ein, denn sie hatte das Recht, bei der Marquise zu jeder Stunde einzutreten.

Als sie die Thür öffnen hörte, erwachte Diana.

»Du bist es?« sagte sie zu Madame Delaunay.

»Ja, Du Langschläferin!« sagte diese, indem sie ihre Freundin umarmte.

»Warum Langschläferin?«

»Er ist Mittag!«

»Schon?«

»Du hast Dich wohl sehr spät schlafen gelegt?«

»Nein, ich habe geplaudert.«

»Mit wem?«

»Mit dem Marquis.«

»Ganz allein?«

»Ganz allein.«

»Ich verstehe das nicht. . . «

»Was ist denn dabei so ungewöhnlich?«

»Du bist also gestern Abend nicht ausgegangen?«

»Nein.«

»Du hast den Baron nicht gesehen?«

»Nein.«

»Du bist also nicht allein ausgegangen?«

»Ich bin mit meinem Manne ausgegangen.«

»Und ihr seid zusammen zurückgekehrt?«

»Ja.«

»Und habt hier so lange geplaudert?«

»Bis vier Uhr früh,« sagte die Marquise lachend.

»Oh! der Marquis ist noch sehr geistreich.«

»Hat er Dich um diese Unterredung gebeten?«

»Nein, ich ihn.«

»Ach! das ist eine wirkliche Untreue, welche Du an dem Baron begangen hast.«

Die Marquise antwortete Nichts.

»Du liebst also den Marquis?«

Die Marquise begann zu lächeln.

»Ich will sterben, wenn ich ein Wort von alle dem verstehe.«

»Höre, sagte die Marquise, indem sie sich halb aufrichtete, »willst Du, daß ich offen gegen Dich bin? Marquise

»Ja.«

»Ich habe den vorgestrigen Abend mit dem Baron zugebracht, welcher zwanzig Jahre alt ist.«

»Schön.«

»Und den gestrigen Abend mit meinem Manne, welcher fünfundvierzig Jahre alt ist.

»Nun?«

»Nun, meine Liebe, ich ziehe meinen letzten Abend dem ersten vor.«

»Der Himmel erbarme sich!« sagte Marcelline, indem sie sich langsam auf einen Stuhl setzte.

»Meine Liebe, ich habe es wohl überlegt,« sagte Diana, »und es ist, wie ich Dir sagte.«

»Dann komme ich ungelegen.«

»Warum?«

»Weil ich Dir einen Brief des Barons bringe.«

»Gieb ihn geschwind her, im Gegentheil; es ist nun die rechte Zeit, sich zu entschädigen.«

Madame de Lys nahm den Brief, strich ihr Haar zurück und begann zu lesen.

»Was sagt er Dir?« frug Marcelline.

»Daß er mich liebt.«

»Ist dies Alles?«

»Und daß er mich heute Abend zu sehen wünscht.«

»Und Du wirst gehen?«

»Ohne Zweifel«

»Auch dem, was Du mir soeben sagst?«

»Gewiß, Seitdem ich Maximilian kenne, gefällt mir mein Mann, nach dem Gesetze der Contraste. Um des Marquis willen, sehe ich den Baron wieder.«

»Diana, willst Du, daß ich aufrichtig gegen Dich bin?«

»Sprich.«

»Nun, ich habe Dich nie so gesehen, wie seit einigen Tagen, und Du scheinst mir jenen Kranken gleich, welche sich lange Zeit in ihrem Bette herumdrehen, bevor sie den Platz finden, welcher ihnen behagt. Ich bin überzeugt, daß nach vielem Zaudern Du ernsthaft lieben wirst.«

»Diese wäre ein Unglück,« sagte Diana lachend, »aber ich versichere Dich, daß es mich nicht wundern würde. Setze Dich, ich will an Maximilian schreiben.«

Man wird uns ohne Zweifel sagen, daß wir einen Charakter schildern, der in der Wirklichkeit nicht existiert, daß wir die Unsittlichkeit durch das Bedürfniß nach Vergnügen beschönigen, und im schönen Gewande zeichnen, kurz, daß es keine Frauen wie die Marquise gibt.

Hierauf antworten wir, daß alle unthätigen Frauen das zu thun fähig sind, was Diana that.

Es gibt ein Sprichwort, welches heißt: »Müßiggang ist aller Laster Anfang.«

Von allen Sprichwörtern ist dies eins von denen, welche vollkommenen Grund haben.

In der That, wenn man mit physischer Unthätigkeit die moralische Trägheit verbindet, wenn eine Frau, die ihre Zeit nicht anzuwenden weiß, auch reicht weiß, wie sie ihr Herz beschäftigen soll, ist diese Frau, wie unsere Heldin, nicht der Gefahr ausgesetzt, Zerstreuungen in den Gefühlen zu suchen, welche ihr unbekannt geblieben sind?

Wenn sie um sich her Frauen sieht, die stolzer auf ihre Fehler, als andere auf ihre Tugenden sind; wenn sie die Welt diesen Frauen nicht allein verzeihen, sondern sie durch ihren Skepticismus und ihre lockere Moral sogar triumphieren sieht, ist es zu verwundern, daß sie dadurch angespornt wird, das Gute und das Böse kennen zu lernen, dessen Einflüssen schon die unschuldige Eva nicht hat widerstehen können?

Wenn eine Frau einen Mann wie den Marquis heirathet; wenn sie weder einen Vater besitzt, der über sie wacht, noch eine Mutter, um ihr zu rathen; wenn sie keine Kinder hat, wenn sie die unbeschränkteste Freiheit genießt, diese schlechteste Rathgeberin der Frauen; wenn sie alles Das erreicht hat, was sie gewünscht, und wenn sie noch nicht dreißig Jahre alt ist, was will man, daß sie thun soll?

Daß sie sich dieser Neugierde entgegenstellt, die eine Folge ihrer Schönheit, ihrer Unthätigkeit und ihrer Jugend ist?

Bemerken Sie wohl, daß wir hier nicht von Frauen sprechen, welche sich plötzlich und unvorbereitet von Liebe für einen Andern, als ihren Mann, ergriffen fühlen, und welche endlich der Versuchung dieser Liebe unterliegen, welche sich nur so mehr steigert, je öfter sie dieselbe unterdrückt haben. Diese Frauen brauchen nicht entschuldigt zu werden. Ihre Entschuldigung liegt in ihrer Liebe.

Diejenige, von denen wir reden, sind solche, welche, wie die Marquise, aus Langeweile sündigen. Wenig kümmert sie der Mann, den sie lieben. Das, was ihnen noth thut, ist das Reue und Zerstreuende. Diese sind daher auch zahlreicher, als die Andern.

Es sind schöne Frauen, immer lächelnd, Frauen, für welche das Leben keine wirkliche Betrübniß, die Liebe keinen ernsten Verdruß, der Fehler keine Gewissensbisse hat. Sie sind es, welche Niemand lieben, Niemand hintergehen. Ihre Liebe ist vorübergehend und parfümiert wie die Blumen, leicht wie Gaze, durchsichtig wie der Krystall. Wenn sie weinen, so sind sie nervenkrank. Sind sie traurig, so geschieht dies, weil sie allein sind; dann aber handeln sie gleich Berauschten, welche, wenn sie nicht mehr den Wein trinken können, den sie lieben, zu etwas Anderen greifen, weil die Trunkenheit ihnen zur Gewohnheit geworden, so daß sie lieber einen schlechten Wein, als gar nicht mehr trinken!

Diana de Lys

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