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Als es geschah

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In verdreckter Gestalt kam der Selige auf die Erde. Und seine Stimme schien wie verschreckt. Es war eine brüllende Stimme, die auf alles aufmerksam machen wollte. Und die brüllende Stimme ließ sich nicht vom belebten Marktplatz vertreiben. Es war die Stimme eines Mannes, der sich Jesus Christus nannte und die Menschen vor der Verdammnis mit Zirkuskarten retten wollte.

In der Nähe der brüllenden Stimme, da stand ein junger Mann und beobachtete die Szene um den verrückt gewordenen Jesus, der Zirkuskarten an die Menschenmenge verteilen wollte. Der junge Mann war abgeschreckt und fasziniert zugleich von dem Bettler, der den Mut besaß, sich in aller Öffentlichkeit für Jesus Christus zu halten und dazu noch mit geknüllten Zirkuskarten in der Hand umherwedelte, die zwischen seinen dreckigen Fingernägeln glänzten.

Der Name des jungen Mannes sei uns unbekannt ebenso wie der richtige Name vom Bettler, der ein unglaubliches Geschehen unwillentlich in Gang brachte.

„Jesus Christus ist auf die Erde gekommen und schenkt euch Freikarten“, schrie der verrückte Mann in die Menschenmenge.

Doch tatsächlich interessierte es niemanden, dass ein schäbiger Mann da auf dem Marktplatz stand und sich Jesus Christus nannte und Freikarten für den Zirkus verschenken wollte. Einige Passanten gingen kopfschüttelnd an ihm vorbei, andere nannten ihn Spinner, aber die meisten von ihnen ignorierten das Geschehen und sahen nicht einmal zu ihm hin.

Ob er tatsächlich zu einem Zirkus gehörte. Wenn nein, woher hatte er dann die Freikarten für den Zirkus. Und warum nannte er sich Jesus Christus. Der junge Mann überlegte und überlegte.

Das Aussehen des sogenannten Zirkusmannes ähnelte mehr einem Bettler als Jesus Christus. Der Mann war geschätzte vierzig Jahre alt und eher beleibt mit einer Halbglatze. In einem weißen Gewand war der Mitvierziger gekleidet. Das Gewand war mit braunen Flecken verdreckt. Unter dem dreckigen Gewand trug er kaputte Sandalen, von denen die Bänder lose herabhingen. Ein dicker Jesus mit Halbglatze, dachte sich der junge Mann, während er das Geschehen um den Verrückten beobachtete.

Weiterhin schrie der Mann überzeugt von seinem Ziel in die Menge.

„Los, beeilt euch! Freikarten für den Zirkus! Jesus Christus schenkt sie euch!“

Die Fußgänger ignorierten ihn und sein schwachsinniges Gebrülle.

Allmählich erkannte auch der Verrückte, dass sein Brüllen nichts mehr bewirkte und wurde still. Keine Buh-Rufe, keine Spinner-Rufe, keine Lächerlichkeiten, überhaupt nichts dergleichen.

In der Stille, die nach diesem lauten Gebrülle folgte, sah der Verrückte immer mehr um sich. Mit schnellen Blicken erfasste er die gesamte Umgebung rund um die belebte Fußgängerzone auf dem alten Marktplatz. Dabei fiel sein Blick auf den jungen Mann, der in einigen Metern Entfernung stand, die Szene aufmerksam beobachtete und sich fragte, wie dieses Schauspiel um den verrückten Jesus wohl noch ausgehen könnte.

„Du...“, schrie der selbst ernannte Jesus plötzlich in die Menge und zeigte mit dem dreckigen Finger in die Richtung des jungen Mannes.

Eher zögerlich ging der junge Mann zum Verrückten nach vorne.

Ohne Weiteres drückte ihm der selbst ernannte Jesus die schmutzigen, zusammen geknüllten Freikarten in die Hand.

Von der Nähe betrachtet, war das Gesicht des Mitvierzigers braun und faltig. Die Hände und Oberarme jedoch waren viel heller als das Gesicht, nahezu weiß.

Als sich der selbsternannte Jesus noch kleine Partikel aus dem Gesicht weg rieb, erkannte der junge Mann, dass es Schmutz war, der das Gesicht vom Gegenüber so braun machte.

„Hier, nimm sie, diese Karten sind für dich bestimmt“, rief der Mitvierziger zum Jungen.

Der junge Mann wusste nicht so recht, wie er sich verhalten sollte, als ihm die Freikarten von diesem Verrückten in die Hand gedrückt wurden.

Aus Verlegenheit fragte er: „Von wem haben Sie diese Karten?“

Bei dieser Frage verfinsterte sich der Blick des Verrückten. Eine Antwort aber folgte nicht.

Der junge Mann verstand nicht, warum keine Antwort vom Verrückten kam.

Zu sehr wollte er herausfinden, woher dieser dreckige Typ die Karten für den Zirkus hatte. Der junge Mann überlegte, wie er am besten auf die verschenkten Freikarten reagieren sollte. Dann machte er den Mund auf.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Karten...“, wollte der junge Mann sagen.

„Ich bin Jesus Christus, vergiss das nicht und nimm diese Karten, du bist noch nicht verdammt...“, schrie der Verrückte noch zum Jungen hinterher und rannte weg.

„Aber...“, wollte der junge Mann noch sagen, doch dazu kam er abermals nicht.

Er blieb zurück mit dem dreckigen, zusammen geknüllten Papier in der Hand, womit er zunächst nichts anstellen wollte.

Anfänglich dachte er nicht einmal daran, dass es Freikarten für den Zirkus waren, sondern hielt das Ganze lediglich für die schwachsinnige Spinnerei eines verrückten Penners.

Doch ausgerechnet in dem Moment, als er sich von diesen zusammen geknüllten Papierstücken befreien und sie in den nächstgelegenen Mülleimer entsorgen wollte, warf er einen genaueren Blick darauf. Es war ein Blick, der flüchtiger nicht hätte sein können, aber trotzdem genügte, um dem jungen Mann zu verstehen zu geben, dass es sich tatsächlich um Freikarten für den Zirkus handelte.

Parodiezirkus. Vorstellung. Affentheater.

In großaufgedruckten Buchstaben stand diese Überschrift auf den Karten.

Der junge Mann entfernte sich vom Mülleimer und behielt die Zirkuskarten in der Hand. Das Papier war zwar schmutzig, doch intakt und nicht gerissen.

Noch nie war der junge Mann im Zirkus gewesen. Das wäre sein erster Besuch in der Welt der dressierten Tiere. Daran dachte der junge Mann, als er den Nachhauseweg anstrebte.

Ob er zu dieser Zirkusvorstellung gehen sollte oder nicht, diese Gedanken ließen ihn bald nicht mehr los. Es wäre schließlich sein erster Besuch im Zirkus. Und ausgerechnet von einem verrückten Bettler verschenkt, der sich Jesus Christus nannte.

Immer neugieriger wurde der junge Mann. Was es mit diesen mysteriösen Freikarten auf sich hatte, die ihm einfach so, ohne Weiteres von einem Verrückten geschenkt wurden.

Der junge Mann suchte im Netz nach dem Zirkusnamen. Und zu seiner Überraschung gab es diesen Zirkusnamen wirklich. Zudem stand merkwürdigerweise kein Datum auf den Freikarten. Das hieß für ihn, dass er den Zirkusbesuch jederzeit machen konnte.

An dem darauffolgenden Wochenende da beschloss der junge Mann, ins Parodiezirkus zu gehen. Denn so hieß dieses Zirkus tatsächlich.

Doch wie konnten diese Freikarten ausgerechnet in die Hände vom verrückten Jesus mit Halbglatze gelangen, der sie daraufhin wahllos verschenkte?

Der junge Mann wollte sich stattdessen ein eigenes Bild davon verschaffen und diesen Zirkusbesuch, seinen ersten Zirkusbesuch überhaupt machen. Dass er unmittelbar von der Bekanntschaft mit dem verrückten Jesus hervorgerufen, ja ausgelöst wurde, das nahm der junge Mann als rein zufallsbedingt in Kauf. Schließlich wurden ihm diese Zirkuskarten ja geschenkt, von einem armen verrückten Bettler geschenkt, von dem man es zunächst nicht für möglich gehalten hätte.

Und bezahlen musste der junge Mann für seinen ersten Zirkusbesuch nichts. Warum also nicht hingehen? Das dachte sich der Junge an diesem frühen Nachmittag, als er vor den Zirkustoren stand. Bei der Einlasskontrolle wurden seine Freikarten akzeptiert, und der junge Mann wurde von der Empfangsfrau mit einem strahlenden Lächeln hereingebeten.

Daraufhin betrat er das Zirkusgelände, das seltsamer nicht hätte sein können. Überall liefen die Tiere zwischen den Zirkusbesuchern frei, ungeniert und wild herum. Und die freiläufigen Wildtiere erschwerten zusehends den kurzen Fußweg der Besucher zur unmittelbar angrenzenden Zirkusarena. Der junge Mann musste aufpassen, dass er nicht mit Pferden, Zebras und Elephanten zusammen stieß. Und die Arena angesichts solch widriger Umstände zu erreichen, grenzte nahezu an ein Wunder.

Endlich in der Zirkusarena angekommen, wartete die nächste Enttäuschung. Überall an den Sitzen klebte der Müll aus Plastikverpackungen, Essensresten und Tierfäkalien. Beim Anblick des Mülls fühlte sich der junge Zirkusbesucher unmittelbar an den dreckigen Verrückten erinnert, der ihm diese Zirkuskarten verschenkt hatte.

Ein unbeschreiblicher Gestank herrschte im ganzen Zelt.

Da die Sitzplätze im Parodiezirkus nicht reserviert werden konnten, musste sich der junge Mann für eine Weile stark überlegen, wo er sich denn hinsetzen sollte.

Welcher Sitzplatz war am wenigsten vermüllt? Und wo müsste er den geringsten Anteil an Müll weg machen?

Auf der Suche nach dem Platz, der am wenigsten vermüllt war, spazierte der junge Mann durch die dreckigen Sitzreihen und kassierte genervte Blicke von vielen Zirkusbesuchern, die sein wiederholtes Umherwandern zwischen den Reihen nicht ertragen konnten.

Auf einmal gingen die großen Lichter im Zirkus an, die Veranstaltung sollte in Kürze beginnen, und der junge Mann hatte vor lauter Müll noch immer keinen geeigneten Sitzplatz gefunden.

Dann öffneten sich die Vorhänge und eine tiefe männliche Stimme ertönte: „Das Affentheater beginnt. Jetzt. Auf die Plätze. Fertig. Los.“

Vor lauter Hektik entsorgte der junge Mann noch eine abgerissene Bananenschale, die auf einem nicht ganz so verdreckten Sitzplatz herumlag. Um genauer zu sein, entsorgte er nicht die abgerissene Bananenschale, sondern warf sie auf den Boden, unmittelbar vor die Füße des Sitznachbarn, der ihn noch angewiderter ansah. Mülleimer waren in diesem Zirkus ebenso fremd wie Sauberkeit.

Erfreut darüber, dass er in letzter Minute einen Sitzplatz erwischen konnte, der nicht extrem vermüllt war, setzte sich der junge Mann hin. Die erste Zirkusvorstellung konnte beginnen.

Schnell noch einen Blick auf den Namen der Veranstaltung geworfen. Zur eigenen Vergewisserung, dass hierbei auch wirklich Affen präsentiert wurden. Affentheater. Das war die heutige Zirkusvorstellung und vorherige Ansage des Veranstalters.

Mit positiven Mantras redete sich der junge Mann ein, dass ihm das Affentheater gefallen würde.

Dass selbst diese positiven Gedanken die Zirkusvorstellung, die danach folgte, nicht schön machen konnten, das musste sich der junge Mann spätestens dann eingestehen, als die Affen in Ballerina-Kostümen verkleidet, auf die Bühne gingen, und gegen die Aufforderungen des Zirkusherren, statt Pirouetten und künstlerische Saltos ihre haarigen Ärsche zeigten, die Zuschauer mit Fäkalien bewarfen und wild zwischen den Sitzreihen umhersprangen.

War die Ankunft im vermüllten Parodiezirkus, ähnlich wie die geschenkten Freikarten vom verrückten Jesus mit Halbglatze, nicht ohnehin enttäuschend genug, so übertraf die öde Zirkusvorstellung mit den kotschmeißenden Affen alle Enttäuschungen des jungen Mannes. Den ersten Zirkusbesuch hatte er sich jedenfalls so nicht vorgestellt.

Angespornt von den Beleidigungen der Besucher machten sich die wilden Zirkusaffen noch peinlicher und schmissen umso stärker mit Fäkalien und abgerissenen Bananenschalen um sich.

Dafür lachten die Zuschauer umso mehr.

Dann kam es zu einer Schlägerei zwischen einem Affen und einem Zirkusbesucher.

Wie es sich herausstellte, war der Affe zwischen den Sitzreihen wild umhergesprungen und hatte diesen verärgerten Zirkusbesucher mit Fäkalien beworfen. Das wollte sich der Zirkusbesucher nicht gefallen lassen und hatte dem Affen kurzerhand eine Ohrfeige gegeben. Daraufhin kam es zu dieser Schlägerei. Der Affe sprang ihm an den Hals und biss ihm auf die Stirn. Bald begann ein Kampf, der wilder nicht hätte sein können.

Affe gegen Mensch.

Mensch gegen Affe.

Die Schlägerei zwischen Affen und Menschen bildete zugleich auch den unterhaltsamen Höhepunkt dieses Zirkusabends. Bei dieser Schlägerei wurde das Gelächter im Zuschauerbereich noch lauter.

Je peinlicher sich die Affen machten, umso mehr sorgten sie auch für Unterhaltung. Das erkannte der junge Mann schnell.

Gegen Ende dieser Zirkusvorstellung verließen die belustigten Besucher mit neuen Witzen nach und nach die Zirkusarena. Geblieben war nur der junge Mann, der nicht aufhören konnte, über diesen ersten und doch so seltsamen Zirkusbesuch zu staunen.

„Noch immer da?“

Bei dieser Frage wurde es dem jungen Mann auf einmal bewusst, dass er mittlerweile allein im Zuschauerbereich war. Die Zirkusvorstellung war längst zu Ende und nur noch er war als einziger Besucher dageblieben.

„Noch immer da?“, fragte der Zirkusherr dieses Mal noch lauter, um endlich eine Antwort vom jungen Mann zu erhalten.

„Entschuldigen Sie...“, schickte sich der junge Mann an, doch er kam nicht weit mit seiner Aussage.

„Wen wollen Sie damit entschuldigen – sich selbst etwa, weil Sie diese unangenehme Zirkusvorstellung besucht haben?“, so die herausfordernde Frage des Zirkusherren.

„Ich...“, wollte der junge Mann noch sagen, aber er geriet dann wieder ins Stocken.

Der Zirkusherr trat näher an den Jungen heran, bis er ihm vom Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.

Als der Zirkusherr ihm so nah stand, konnte der junge Mann deutlich die vertraulichen Gesichtszüge und das milde Lächeln auf dem Gesicht vom Gegenüber erkennen. Und obwohl er den Zirkusherren erst seit diesem Tag kannte, so hatte der Junge den Eindruck, als würde er diesen Mann ein Leben lang kennen – so vertraut wirkte er auf ihn, wie eine innige Bekanntschaft, ungebunden vom Zeitfluss.

„Wissen Sie“, sagte der Zirkusherr zum Jungen, „Sie sind nicht der erste Besucher, den meine Zirkusvorstellung so sehr abgeschreckt hat, dass er vor lauter Schrecken gar nicht mehr daran dachte, den leeren Zirkus zu verlassen. Das ist bereits einigen Zirkusbesuchern vor Ihrer Zeit passiert“, sagte der Zirkusherr verständnisvoll.

Als Reaktion auf die Aussage des Zirkusherren wollte der junge Mann etwas sagen und dem Gegenüber Recht geben. Ja, es stimmte, vor allem, wenn man zum ersten Mal so eine öde Zirkusvorstellung besucht hat, und der Zirkus, so vermüllt wie der dreckige Mann, der ihm diese Zirkuskarten gab und sich Jesus Christus nannte.

Der junge Mann öffnete den Mund und wollte das Gedachte aussprechen. Doch die Wörter kamen ihm nicht über die Zunge. Zu kritisch wären diese gedachten Äußerungen für den Zirkusherren.

„Von wem haben Sie die Karten bekommen?“, fragte der Zirkusherr, denn er merkte, dass der junge Mann von sich aus nichts sagte.

„Von einem Jesus mit Halbglatze“, kam als Antwort vom Jungen, der nicht im Geringsten daran dachte, dass der Zirkusherr ihm diese Geschichte abgewinnen könnte.

„Ich glaube, ich weiß, wen Sie damit meinen“, sagte der Zirkusherr.

Der junge Mann konnte das nicht fassen. Mit offenem Mund stand er da und konnte das nicht fassen. Dann war der dicke Jesus mit Halbglatze vielleicht doch ein Angestellter, vielleicht einer, der sich im Auftrag des Zirkusherren schmutzig machte, um so das Bild vom vermüllten Parodiezirkus zu erfüllen.

Dann geschah das Unglaubliche.

Womit jedoch keiner von ihnen, weder der junge Mann noch der Zirkusherr gerechnet hatte, war der beleibte Mitvierziger mit Halbglatze, der kurz nach der überraschenden Aussage des Zirkusherren hereinkam. Statt im weißen Gewand mit dreckigen Flecken kam er dieses Mal im sauberen Anzug.

„Das ist doch der Jesus mit Halbglatze, eben derjenige, der mir diese Zirkuskarten gegeben hat und...“, rief der junge Mann voller Verwunderung, doch mehr konnte er dazu nicht sagen.

In diesem Moment nach dem abgebrochenen Satz spürte der junge Mann, wie ihm etwas im Mund flog. Das fliegende Gefühl wanderte daraufhin vom Mund bis zu seiner Nase. Der junge Mann schüttelte sich heftig und versuchte zu husten.

„Was ist los mit ihm, was hat er?“, fragte der Jesus im Anzug.

„Mir ist etwas in den Mund geflogen“, kam als Antwort vom Jungen zurück.

Das fliegende Fremdgefühl ließ sich selbst durch starkes Husten nicht vertreiben. Und der Körper wurde dabei immer mehr von Atemnot heimgesucht. Immer häufiger hustete er und allmählich ging ihm auch die Luft aus.

Doch in dem Moment, als er kurz davorstand, sich an diesem fliegenden Fremdgefühl zu verschlucken, und daran zu ersticken, da spürte der junge Mann, wie jemand ihm auf die Schulter sprang und dreimal stark auf den Rücken klopfte, sodass er dann den Übeltäter herausspucken konnte.

Der Übeltäter, das war eine Fliege, die dem Jungen in den Mund geflogen war, und woran er fast erstickt wäre.

Nachdem er die lästige Fliege herausspuckte, wollte sich der junge Mann sogleich voller Erleichterung beim Zirkusherren dafür bedanken, dass er ihm von dieser üblen Last befreit hat. Als er sich zum Zirkusherren umdrehen wollte, merkte der junge Mann jedoch, dass dieses gewisse Etwas noch immer an seiner Schulter hing. Als er sich an der Schulter fasste, strichen seine Finger über etwas Haariges.

„Der Affe war es, der Affe hat Sie von der Fliege im Mund befreit“, beeilte sich der Zirkusherr zu sagen.

Bei dieser Aussage sprang der Affe von der Schulter des jungen Mannes ab. Erst jetzt bemerkte der junge Mann den Affen, der ihn davor bewahrt hatte, an der herein geflogenen Fliege im Mund zu ersticken. Der Affe, ein Lebensretter, dachte sich der junge Mann und konnte nicht aufhören, über diesen Gedanken zu staunen.

Es war ein kleiner Affe mit neugierigen Augen, die den Geretteten fest mit dem Blick verfolgten.

„Danke, auch wenn du meine menschliche Sprache nicht verstehst“, sagte der junge Mann zum Affen und beugte sich streichelnd zum kleinen Tier.

Doch wie kam der Affe herein und vor allem mit wem, fragte sich der junge Mann.

„Sie fragen sich bestimmt, wie und mit wem der Affe hereinkam. Mit dem Jesus kam der Affe herein“, sagte der Zirkusherr, als hätte er die gedankliche Frage des jungen Mannes bereits erraten.

Der junge Mann sah nach allen Seiten um sich, doch der dicke Jesus mit Halbglatze war längst weg, verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt.

Warum trug der Jesus mit Halbglatze dieses Mal einen sauberen Anzug und kein dreckiges Gewand, wollte der junge Mann noch fragen, doch der Zirkusherr war schneller.

„Das war gerade mein Außendienstmitarbeiter, er hat mir die Listen mit den neuesten Umsatzzahlen gebracht und ist dann wieder weg gegangen“, erwiderte der Zirkusherr.

„Jesus mit Halbglatze ist also ein Außendienstmitarbeiter und somit ein zirkuseigener Angestellter“, stellte der junge Mann fest.

„Ja genau, er macht Werbung für unseren Zirkus. Hin und wieder verschenkt er auch Freikarten an potenzielle Kunden, ähnlich wie er das bei Ihnen getan hat“, bestätigte der Zirkusherr.

„Deshalb kam er dieses Mal im sauberen Anzug statt im dreckigen Gewand“.

„Sie müssen verstehen“, fuhr der Zirkusherr fort, „wenn unser Außendienstmitarbeiter auf die Straßen zieht, um Werbung zu machen, dann macht er sich auch schmutzig, um das dreckige Klischeebild von unserem Zirkus zu erfüllen“.

„Aber warum?“, fragte der junge Mann ungläubig.

„Warum was?“, wollte der Zirkusherr wissen.

„Warum muss sich Ihr Außendienstmitarbeiter als armer Jesus-Bettler verkleiden, um schlechte Werbung zu machen? Und warum stellen Sie Affen auf die Bühne, die sich peinlich machen und mit Fäkalien auf die Zirkusbesucher werfen?“, der junge Mann wurde immer aufdringlicher mit seinen Fragen, dabei kannte er den Zirkusherren erst seit diesem Tag.

„Je peinlicher, umso unterhaltsamer und gewinnreicher“, sagte der Zirkusherr feierlich.

„Was meinen Sie damit?“, fragte der junge Mann, denn er konnte die Denkweise vom Gesprächspartner wirklich nicht verstehen.

Der Zirkusherr sagte weiter nichts, er schüttelte dabei nur lächelnd den Kopf.

„Hören Sie, ich bin kein Kenner dieser Szene“, drängte der junge Mann zum weiteren Gespräch, „das war mein erster Zirkusbesuch und zugleich die größte Enttäuschung in meinem bisherigen Leben. Ich meine, diese wilden undressierten Affen, die Sie da auf die Bühne bringen, damit sie die Besucher beklauen und mit Kot beschmeißen können, diese Affen gehören doch im Dschungel oder in Zookäfigen eingesperrt“.

„Das stimmt. Unabhängig waren die Affen noch nie. Sie waren schon immer abhängig, entweder vom Überlebenskampf im Dschungel oder vom Menschen im Zoo und Zirkus“, erwiderte der Zirkusherr.

„Nehmen Sie diesen Affen hier“, entgegnete der junge Mann energisch und zeigte dabei auf den kleinen Affen zu seinen Füßen, „trotz seines jungen Alters ist dieser Affe wirklich klug, er hat mir das Leben gerettet. Diesen Affen sollten Sie doch auf die Bühne bringen und nicht die Wildtiere, die mit Fäkalien auf Zirkusbesucher werfen“.

„Unsere Zirkusbesucher wollen aber dumme Affen sehen, die sich peinlich machen und für Unterhaltung sorgen. Das steigert unseren Umsatz. Kluge Affen gehören bei uns hinter der Bühne“, gab der Zirkusherr zu verstehen.

Verärgert von dieser Aussage wollte der junge Mann weggehen. Doch als er kurz davor war, sich vom Zirkusherren zu verabschieden, merkte der junge Mann, wie etwas an seinem Pullover zog. Es war der kleine Affe, der ihm zuvor das Leben gerettet hatte. Traurig und flehentlich sah der Affe zum jungen Mann herauf und zog noch stärker an seinem Pullover.

Bleib hier und geh nicht fort, verriet der Affe mit dem Blick seiner Körpersprache. Da wusste der junge Mann um den Beginn einer innigen Freundschaft. Zwischen Menschen und Affen.

Bingo

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