Читать книгу Hexe und Herrin: Die Ranenhexe 2 - Alfred Bekker - Страница 6

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Der schwer wolkenverhangene Nachthimmel ließ weder Mond- noch Sternenlicht zu. Eine Nacht, düster und rabenschwarz, wie geschaffen für die Absicht der Männer, die jetzt vollständig das Dorf an der Küste von Rugia (Rügen) umstellt hatten. Aber nur ein leichter Nachtwind wehte. Der Ruf eines Käuzchens erklang, kurz und treffend nachgemacht. Fast gleichzeitig öffneten die bewaffneten Männer die einfachen Haustüren, ohne drinnen auf Widerstand zu stoßen.

Bei jedem der Häuser ging man in der gleichen Weise vor.

Zwei Mann öffneten die nicht verriegelten Türen und bemühten sich dabei, absolut lautlos vorzugehen. Sie taten das nicht zum ersten Mal.

Ein Dritter hielt eine Laterne, durch deren geschliffene Hornscheiben nur ein gedämpftes Licht fiel. Mit seiner freien Hand schirmte er zusätzlich noch den schwachen Lichtschein ab. Aber das genügte den Männern trotzdem zur Orientierung.

Die einfachen Bauernhäuser der Ranen waren zumeist nur kleine Holzhäuser, die schnell errichtet wurden. Es gab noch Dörfer mit den Grubenhäusern oder den runden, fensterlosen Hütten. Überall aber hatten die Männer leichtes Spiel. Es gab keine Wachen, und die Überfallenen wussten gar nichts von der Gefahr, in der sie schwebten.

Gerade griff einer der Männer in das einfache, kistenartige mit Stroh und Lumpen ausgekleidete Kinderbett und nahm das schlafende Kind an sich. Es erwachte nicht richtig, stieß aber einen leisen Jammerlaut aus, der seine Mutter weckte. Erschrocken fuhr sie auf, als sie den matten Lichtschein bemerkte.

„Ihr Götter, was ...“

Ein dumpfer Laut, und die Frau sank zurück auf ihr einfaches Lager.

Es floss nur wenig Blut.

Ähnliche Szenen spielten sich zeitgleich in den anderen Häusern ab. Schreckte einer der Erwachsenen aus dem Schlaf, wurde er niedergeschlagen, die Kinder von den Eindringlingen ergriffen und hinausgetragen.

In der Dunkelheit zeichnete sich die Gestalt des Anführers kaum ab.

Er hatte eine Kapuze über den Kopf gezogen, die Arme untergeschlagen und wartete ab. So rasch seine Männer arbeiteten, so langsam verging ihm doch die Wartezeit. Ungeduldig stampfte er immer wieder mit einem Fuß auf, dann näherten sich die ersten Gruppen.

Schließlich waren auch die letzten Drei eingetroffen, und der Anführer zählte die Anzahl der geraubten Kinder. Dazu hatte er sich eine der Laternen geben lassen, hielt sie hoch, um sich die menschliche Beute zu betrachten. Sein jugendlich wirkendes Gesicht erhielt durch die schlechte Beleuchtung ein seltsam kantiges Aussehen.

Die Augen lagen tief in den Höhlen, und jetzt verzerrte sich der verkniffene Mund zu einem diabolischen Lächeln, als er seinen Leuten anerkennend zunickte.

Gerade wollten sich die Männer in Bewegung setzen, als hinter ihnen ein Laut erklang, der sich wie das Knurren eines Hundes anhörte.

Gleich darauf flog der dunkle Umriss eines Menschen auf sie zu, sprang den Mann mit der Kapuze an und riss ihn um. Für einen winzigen Moment sah er in das bleiche Gesicht mit den tiefliegenden Augen. Aber sofort waren die anderen heran, schlugen den Angreifer nieder und ließen ihn einfach liegen.

Dann setzte sich die seltsame Gruppe wieder in Bewegung und eilte mit den geraubten Kindern an die Steilküste, wo in einer kleinen Bucht eine Schnigge bereitlag, um sie rasch vom Ort des Überfalles fortzubringen.

Ein steiler Weg führte in die Bucht hinunter, und die Männer mussten in der Dunkelheit auf die zahlreichen Steine achten, die den Abstieg zusätzlich erschwerten. Aber behände sprangen sie den Hang hinunter, als hätten sie das nicht zum ersten Mal gemacht, und erreichten das Boot, in dem sie bereits von ein paar Männern erwartet wurden.

Rasch nahmen sie behutsam die kleinen Bündel entgegen, die zum Teil ein ängstliches Jammern ertönen ließen. Unterwegs hatten ihnen die Entführer den Mund zugehalten, aber jetzt wurden die Rufe und Schreie der Kinder lauter, und einige von ihnen weinten hemmungslos. Hier unten hörte es niemand mehr, und weit und breit gab es auch keine Hilfe für sie zu erwarten.

Die Schnigge war nicht so groß wie die Langboote, mit denen das sächsisch-dänische Heer vor rund sieben Jahren auf die Insel kam und das Volk der Ranen unterwarf, ihre Tempel zerstörte und dann begann, die Bevölkerung zu taufen.

Die Schnigge hatte kaum abgelegt, als am oberen Wegrand eine Gestalt auftauchte, wankend, noch nicht wieder vollständig bei klarem Verstand.

Als der Mann erkannte, dass hier nichts mehr zu machen war, stieß er einen lauten Wutschrei aus und hob drohend die Faust in den nächtlichen Himmel.

„Svantevit möge euch in die finsterste Ecke von Nav verbannen, aber zuvor werde ich euch finden und mit eigener Hand über den brennenden Fluss Smorodina schicken!“

Er blieb noch lange in der Dunkelheit stehen, voller Zorn in seinem Inneren, und beobachtete die Richtung, in die sich das helle Segel des Bootes entfernte.

Am anderen Morgen hatten sich die Wolken über der Insel zusammengezogen, das Sonnenlicht konnte kaum die Erde erreichen, und dann heulte auch schon der Sturm um die Dächer, wirbelte das Stroh vor dem Stall hoch hinauf und erschwerte den Menschen das Gehen. Tief gebeugt mühten sie sich auf dem steilen Uferweg ab, und hielten dabei mit der einen Hand ihre Umhänge am Hals zusammen, mit der anderen wurden die Wollkappen festgehalten, die schon der erste Windstoß heruntergerissen hatte. Wäre ihnen jemand begegnet, so hätte er wohl bei diesem Anblick lachen müssen, denn in der Hand, die auch den Umhang sicherte, hielt jeder von ihnen ein kleines Netz mit Fischen.

Es handelte sich um zwei Männer und eine Frau, die bei dem alten Fischer in der Bucht waren und ihm halfen, sein Boot weit genug auf das Ufer zu ziehen, um es dort an einem umgekippten Baumstamm sicher zu befestigen. Dann nahm jeder von ihnen eines der Netze auf, um den Fang nach Osrams Herregård zu schaffen.

Alen, der alte Fischer, hatte nur mit großer Mühe die schützende Bucht wieder erreicht.

Natürlich hatte er die dunklen Wolken über sich und die bereits starken Wellen als Warnzeichen für den heraufziehenden Sturm verstanden, aber Alen wollte deshalb nicht seine ausgelegten Netze draußen lassen. Sie wären für immer verloren gewesen. Jetzt gab ihm der Erfolg recht, denn er hatte es noch geschafft, eine gute Ausbeute trotz des Unwetters an Land zu retten.

Jalite, die rothaarige Kriegerin, war trotz der schlechten Sicht an diesem frühen Vormittag bei ihrer Jagd an die Steilküste gekommen.

Sie hatte zwei Hasen und eine wilde Gans erlegt, die Beute hing, mit Rohhautschnüren zusammengebunden, über ihrem Rücken und war mächtig schwer.

Als sie einen Blick auf das aufgewühlte Meer warf, konnte sie dort, weit draußen, das kleine Boot gegen die Elemente kämpfen sehen. Jalite eilte sofort zu Osram, um mit ihm dem alten Mann bei seiner Landung zu helfen.

Weitere Helfer konnte sie so schnell nicht finden, denn alle verfügbaren Kräfte waren damit beschäftigt, das Dach des Haupthauses auf dem Gut zu sichern, bevor der Sturm größeren Schaden anrichten konnte.

Das langgestreckte, einstöckige Haus sollte für Osrams Familie dienen, denn er hatte Jalite vor gut sechs Monaten geheiratet und setzte alles daran, dass sie ein neues, großzügiges Heim beziehen konnten, bevor ihr erstes Kind geboren wurde. Der Sturm bedrohte das noch nicht vollendete Dach, für das kleine Schindeln aus Holz geschlagen und dann überlappend angebracht wurden.

Als die drei das Tor in der neuen Palisadenwand passierten, atmeten sie erleichtert auf. Zwar tobte der Sturm auch noch hier heftig, aber bei Weitem nicht so wütend wie auf der nahen See, und sie hatten neben dem schützenden Zaun auch die stabilen Häuser, in denen sie sicher waren.

Jalite wollte Alen gleich noch beim Ausnehmen der Fische helfen, aber das lehnte der alte Mann freundlich, aber bestimmt ab.

„Nein, Jalite, wir verdanken deinem Mann unsere neuen Häuser und den sicheren Schutz von Osrams Herregård. Es sind genügend Männer und Frauen von uns anwesend, die jetzt die Fische zum Räuchern vorbereiten können.“ Mit diesen Worten griff der Fischer zu den Netzen und brachte sie in das kleine Haus, das er zusammen mit seiner Frau bewohnte, seit in der Nachbarschaft durch den Mönch Gerius von Rönne und die ihn begleitenden Kriegsknechte eine kleine Ansiedlung zerstört wurde.

Damals war Ritter Osram von Hauenfels rechtzeitig erschienen, um weiteres Unglück zu verhüten. Er hatte den Fischern angeboten, auf seinem Rittergut ansässig zu werden, und seit der Übersiedlung hatte niemand auch nur einen Moment lang bereut, bei der Feldbestellung mitzuhelfen.

In den vergangenen Monaten war die Ansiedlung rings um das Rittergut mächtig gewachsen. Osram hatte zehn Kriegsknechte mitgenommen, die zur Verteidigung der Anlage geeignet waren. Zugleich aber erhielten sie von ihm Land und Baumaterial, so dass sie sich ebenfalls häuslich einrichten konnten und einen Acker bestellten.

Heinrich der Löwe, der mächtige Herzog von Sachsen und Baiern, hatte zudem Siedler aus seinen Gebieten auf die Insel Rugia geschickt, die von Osram ebenfalls Land zugewiesen bekamen. Die Neusiedler, dazu das etwa zwei Stunden auf dem gewundenen Fußweg entfernte Dorf, sowie einige verstreute Einzelhöfe zusammengerechnet, waren nun auf dem Land, das der dänische König Waldemar seinem Lehnsmann Osram übergeben hatte, gut einhundert Menschen angesiedelt. Und es wurden von Monat zu Monat mehr. Die letzte Gruppe bestand aus fünf großen Familien, die allerdings bereits sehr während ihrer Seereise unter den Herbststürmen gelitten hatten.

Überall wurde gebaut, und das erforderliche Holz für den Häuserbau lieferten die zahlreichen Buchen und Eichen der Umgebung.

Osram von Hauenfels, der regelmäßig mit Jalite einen Umritt unternahm, war zufrieden. Alles entwickelte sich prächtig, und es war nicht zu befürchten, dass sich die Ranen unter ihren Fürsten noch einmal gegen die Fremden auflehnen würden.

Tezlaw, der vom dänischen König Waldemar zum König der Insel bestimmt wurde, und sein Bruder Fürst Jaromar, residierten überwiegend in der befestigten Anlage Rugard und hüteten sich, in den Süden zu kommen, wo Ritter Osram sein Anwesen ausbaute.

Jeder der beiden Brüder war sich der Tatsache bewusst, dass König Waldemar einen seiner Lehnsmänner hier angesiedelt hatte, damit er ihnen auf die Finger sah. Das Rittergut an der südlichen Küste war so angelegt, dass man die ganze, gegenüberliegende Seite zum Festland hinüber gut übersehen konnte, während andere Ländereien von Familien aus Danmark (Dänemark) besiedelt wurden und ebenfalls strategisch günstig lagen. Inzwischen herrschte Fürst Jaromar allein, denn sein Bruder Tezlaw war vor fünf Sommern gestorben.

Die Dörfer selbst waren ungeschützt gegen mögliche Feinde, aber Osram hatte bei seinen Umritten allen mitgeteilt, dass sie im Falle einer Gefahr Zuflucht auf seinem Rittergut fänden. Hier gab es innerhalb der neuen Palisaden ausreichend Raum für die Siedler, und der Ritter achtete sorgfältig darauf, dass die Wintervorräte gut eingelagert wurden und im Falle eines Angriffs auch die Menschen für eine gewisse Zeit versorgen konnten.

Das in der vorherigen Nacht überfallene Dorf befand sich einen halben Tagesweg entfernt an der Westküste der Insel Rugia. Fünf Männer waren an diesem Morgen von dort aufgebrochen und hatten sich auf den Weg zum Gut des Ritters Osram von Hauenfels gemacht. Sie waren mit handfesten Knüppeln bewaffnet, und in ihren verschlossenen Gesichtern war die Wut zu erkennen, die sie heute zum Lehnsherren des Dänenkönigs führte. Sie rechneten fest mit seiner Hilfe und hatten sich geschworen, nicht eher wieder vom Rittergut zurückzukehren, bis Osram etwas gegen die Kindesräuber unternahm.

Jetzt setzte ein dünner Nieselregen ein, und die Männer stapften unermüdlich in Richtung Süden, schweigend, mit verbissenen Gesichtern. Plötzlich blieb der erste stehen, richtete sich auf und deutete mit seinem Knüppel zu einem Waldstück.

„Da sind Bewaffnete! Wir sollten ihnen lieber ausweichen!“

Die anderen traten dicht zu ihm und musterten mit zusammengekniffenen Augen die sich dort nähernden Männer.

„Keine Sorge, Milo, das sind unsere Leute!“, erwiderte jemand. „Solche Helme trägt kein Sachse!“

„Er hat recht. Aber es sind auch nur zwei Männer, die ein Pferd mit sich führen. Vielleicht wissen sie etwas von den Kindern!“

Milo, der von den anderen im Stillen als Anführer akzeptiert wurde, schüttelte den Kopf. Wie sollten ein paar bewaffnete Männer ausgerechnet den Kindesräubern auf der Spur sein? Er hatte versucht, sich den Entführern entgegenzustellen und war niedergeschlagen worden. Aber den Mann, den er zu Boden gerissen hatte, würde er bestimmt wiedererkennen. Milo war davon überzeugt, dass der Anführer der Bande ein Mönch gewesen war, obwohl das die anderen nicht glauben wollten.

„Wohin des Weges, Freunde?“, begrüßte sie der größere der beiden Bewaffneten, während der andere das Pferd an einer Leine führte.

„Wir wollten zum Ritter und seine Hilfe erbitten!“, antwortete Milo.

„Oh, dann haben wir den gleichen Weg, wenn ihr Ritter Osram von Hauenfels meint!“

„Eben genau diesen Ritter, er ist unser Lehnsherr und muss uns helfen!“

Der Sprecher musterte rasch die Männer, bemerkte die finsteren Mienen und die Knüppel in ihren Händen.

„Ich könnte fast glauben, dass ihr ihm den Schädel einschlagen wollt, wenn ich euch so betrachte!“

Milo nickte und antwortete dann: „Nicht dem Ritter, aber den Männern, die unsere Kinder entführt haben!“

„Eure Kinder? Was ist passiert?“

Milo schilderte mit wenigen Worten, was in ihrem Dorf in der Nacht geschehen war und fügte dann hinzu: „Der Ritter muss uns helfen, wir wollen unsere Kinder zurück!“

„Natürlich. Und ich helfe euch dabei gern. Ich bin Bohdan und komme eben von unserem König, um mit Osram zu reden. Dann werden wir sehen, wie wir euch helfen können.“

Milo starrte den Sprecher an, als hätte er eben seinen Ohren nicht trauen können.

„Du warst bei König Waldemar? Ist der nicht längst wieder zurück in sein Land?“

Bohdan lachte kurz auf.

„Nicht bei König Waldemar, sondern bei unserem König Tezlaw, mit dem wir erst vor wenigen Jahren gegen die pommersche Stadt Stettin ziehen mussten. Aber der König starb, und Jaromar regiert nun allein. Ihr erfahrt wohl wenig Neuigkeiten in eurem Dorf? Wo lebt ihr eigentlich?“

„An der Küste!“, gab Milo mürrisch zurück. „Bist du ein Christ?“

Bei dieser Frage musste Bohdan lächeln.

„Selbstverständlich, dazu wurden wir alle gezwungen. Deine Frage zeigt mir, dass ihr noch zu den alten Göttern betet. Das wird der Grund sein, weshalb man euch die Kinder geraubt hat. Ich ahne, wer dahintersteckt.“

„Wer? Was weißt du, rede mit uns!“, fuhr Milo heftig auf, aber Bohdan schüttelte nur den Kopf.

„Jetzt nicht, mein Freund. Vertraut mir, ich kenne vielleicht sogar den Ort, wo man eure Kinder gefangen hält.“

Mit einem leichten Aufschrei trat Milo einen Schritt näher an ihn heran, und seine Augen funkelten wild, als er herausrief: „Du weißt es? Sag es uns, jetzt, auf der Stelle! Damit wir sie befreien können!“

In seinem Zorn hatte der Bauer die Hand mit dem Knüppel gehoben, aber Bohdan legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.

„Ich habe gesagt, dass ich möglicherweise den Ort kenne. Aber nicht so voreilig, das muss gut überlegt werden. Und sicher wird uns Ritter Osram dabei unterstützen. Du musst wissen, dass ich erst jetzt erfahren habe, dass Jalite, die Tochter unseres Hohepriesters Orlaw, die Gemahlin des Ritters wurde.“

„Oh – die Tochter von Orlaw? Den die Sachsen ermordet haben?“

„Das war Bischof Absalon persönlich, der auch das Heer Waldemars anführte. Er durchbohrte den Hohepriester mit einer Lanze. Aber kommt jetzt weiter, Freunde, der Regen wird allmählich dichter, und ich würde etwas für ein Bier und ein heißes Stück Fleisch geben!“

Hexe und Herrin: Die Ranenhexe 2

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