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Als der Autor während der späten fünfziger Jahre über der Endfassung seiner Doktorarbeit saß, waren Begriffe wie »Umweltbewußtsein«, »Grenzen des Wachstums«, »alternative Zivilisation«, »sanfte Technik« oder »ökologische Krise«, die heute wissenschaftliche wie tagespolitische Debatten beherrschen, noch unbekannt. Diskreditiert freilich war schon damals ein naiver Progressismus. Horkheimers und Adornos Dialektik der Aufklärung hatte (unter anderem) belehrt über die naturzerstörerischen Implikationen technischen Fortschritts. Wer sich zudem, wie der Verfasser, näher mit Marx und Engels beschäftigte, konnte auch in ihren Schriften auf Zweifel an den Segnungen des Industriesystems stoßen. Unterdessen hat jedoch die ökologische Problematik Ausmaße angenommen, die jeder bloß akademischen Erörterung spotten. Die Frage nach dem Fortschritt ist längst zur Überlebensfrage der Menschheit geworden. Die im Postscriptum 1971 zur zweiten Auflage des Buches bereits als Signatur der Gegenwart pointierte »Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen der Gesellschaft« läßt sich nach dem Scheitern des sowjetischen Experiments nicht mehr ausschließlich auf die kapitalistische Produktionsweise zurückführen. Der Industrialismus hat sich in seiner staatssozialistischen Version als ebenso unzulänglich erwiesen wie in seiner marktwirtschaftlichen.

Die materiellen und sozialen Grenzen des Wachstums haben den Optimismus bürgerlicher Theoretiker nicht weniger erschüttert als den der ­Marxisten. Gegen Marx und seine Anhänger werden heute die nämlichen Vorwürfe erhoben wie gegen Anwälte unbegrenzten Wirtschaftswachstums auf kapitalistischer Basis. Ihnen wird vorgehalten, sie hätten sich über die Begrenztheit der Erde, die limitierte Belastbarkeit der Ökosphäre und die Knappheit der Ressourcen hinweggesetzt und seien deshalb mitschuldig an den weltweit beobachtbaren Umweltschäden.2 Diese Kritik ist in dem Maße berechtigt, wie der klassische Marxismus dem Wachstum der Produktivkräfte – als geschichtsbildendem Faktor – eine geradezu metaphysische Rolle zuerkennt. Oft genug gewinnt man den Eindruck, daß seine Begründer ein unbegrenztes Potential weiteren Fortschritts schlicht voraussetzen und sich so jener unheilvollen Dynamik der Naturbeherrschung ausliefern, die – von Bacon und Descartes methodologisch gerechtfertigt – stets auch Herrschaft über Menschen gewesen ist.3 Andererseits finden sich bei Marx und Engels, seltener zwar und häufig an entlegenem Ort, Ansätze einer »ökologischen« Kritik des destruktiven Aspekts der modern­industriellen Entwicklung. Daß menschliche Eingriffe geeignet sind, den Naturhaushalt empfindlich zu stören, wird ihnen eher zum Problem als dem Jenenser Biologen Ernst Haeckel, dessen Generelle Morphologie (1866) den Terminus »Ökologie« in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt hat. Allerdings vermochten jene kritischen, kaum beachteten Ansätze das eingeschliffene Klischee vom blind fortschrittsgläubigen Marxismus nicht zu entkräften. Dabei läßt sich zeigen, daß Marx und Engels ein keineswegs ungebrochenes Verhältnis zur Idee des Fortschritts hatten. So heißt es in einem Engelsschen Brief an Marx, der Historiker Maurer huldige »dem aufgeklärten Vorurteil, es müsse doch seit dem dunklen Mittelalter ein stetiger Fortschritt zum Besseren stattgefunden haben; das verhindert ihn nicht nur, den antagonistischen Charakter des wirklichen Fortschritts zu sehn, sondern auch die einzelnen Rückschläge«4.

Marx pflichtet Engels in der Sache bei und geht zugleich insofern über ihn hinaus, als er die Frage unter dem umfassenderen Gesichtspunkt der noch ausstehenden sozialen Revolution betrachtet. Erst nachdem diese die materiellen und intellektuellen Ergebnisse der bürgerlichen Epoche »gemeistert und ... der gemeinsamen Kontrolle der am weitesten fortgeschrittenen Völker unterworfen hat, ... wird« – so die Marxsche Prognose – »der menschliche Fortschritt nicht mehr jenem scheußlichen heidnischen Götzen gleichen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte«5.

Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx

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