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Nahkampf

Tamara nahm schnell ihre Jacke, rief dem Wirt zu, dass sie das Bier später bezahlt und lief ihm hinterher. Stelios war viel zu betrunken. Sie hatte Angst, dass er aus Versehen vor ein Auto laufen würde. Er war schon ziemlich weit weg, deswegen rannte sie und holte ihn ein. „Stelios warte“, sagte sie. Er drehte sich um und schimpfte: „Stelios keine warten. Stelios weg, du weg.“ Sein Blick war der eines Verrückten. Er holte seine Schachtel Zigaretten im Weitergehen aus der Hosentasche. Etliche Zigaretten fielen runter und all seine letzten Münzen. Er ging einfach weiter. Tamara sammelte die Zigaretten und die Münzen vom Boden auf und verfolgte ihn. Am Ende der Straße kam ein Park, in den ging er rein. Im Park war sonst niemand. Vom asphaltierten Weg führte ein kleiner Pfad über einen Hügel. Auf diesem befand er sich als sie ihm zurief: „Stelios warte! Sprechen zusammen!“

Stelios drehte sich um und brüllte: „Keine sprechen mit mir! Du weg, zu Hause! Stelios zurück Bonn!“ Als Tamara das hörte - B o n n - brannten bei ihr die Sicherungen durch. Er war vor einem halben Jahr, ohne ein Wort zu sagen, zu seinem Onkel nach Bonn abgehauen. Er kam zwar nach vier Wochen wieder zurück, weil er es ohne sie nicht ausgehalten hatte, aber dieses alte Trauma saß tief! Mit einer unglaublichen Kraft packte sie ihn am T-Shirt, schleuderte ihn am Stück links herum zurück auf den Weg und brachte ihn zu Boden. Sie setzte sich auf ihn, nahm seine beiden Arme und stemmte sie mit der linken Hand fest gegen seine Brust, ballte die rechte Hand zur Faust und schrie: „Ah, du gehst wieder zurück nach Bonn!?“ Die Faust wollte gerade in sein schönes, aber vom Alkohol ausgezehrtes Gesicht rasen, als sie seinen furchterregten Blick sah. Im letzten Moment dachte sie, er würde den Schlag vielleicht nicht überleben und leitete die Wucht ihrer Faust schnell um auf den letzten freien Platz auf seinem Brustkorb. Mit den Worten: „Du gehst nach Bonn, ja!?“ donnerte sie gegen seine Rippen.

Nach dem Affekt löste sich Tamaras Anspannung, was Stelios nutzte und sie mit der geeinten Kraft seines Körpers von ihm weg schleuderte. Dann lief er den Pfad wieder hoch, drehte sich um, lachte und fragte frech: „Fighting hah?“ Tamara stand vom Gehweg auf, ging ein paar Schritte auf ihn zu, zog ihre Jacke aus, legte sie auf die Wiese und antwortete: „Okay, fighting.“ Ganz kurz war ein Lichtschein am Ende des Tunnels zu sehen. Sie standen da wie kleine Boxweltmeister vor dem Kampf und mussten lachen. Als er jedoch bemerkte, dass er am Ellbogen blutete und eine große Schürfwunde sah, als er ihn zu sich drehte, wurde er wieder ernst: „Du crazy. Stelios Polizei Telefon.“ Er ging vom Hügel runter, links herum an den Bäumen vorbei, wo eine Parkbank stand und setzte sich hin. Tamara kam mit, kramte ein Taschentuch hervor und wollte es ihm geben. „Nein, du weg. Stelios Polizei“, schimpfte er schon wieder. Sie zündete zwei Zigaretten an und gab ihm eine. „Komm, rauchen wir eine. Kuckst-du, Tamara auch verletzt.“ Sie zeigte ihm ihre Schürfwunde am Handgelenk. „Okay, rauchen que weg. Keine sprechen mit mir“, sagte er, stand aber auf und setzte seinen Kreuzweg fort.

Sie überquerten wie die Enten im Entenmarsch eine Straße, die den Park teilte, gingen vorbei an Schrebergärten bergauf zu einem kleinen Monopteros, wo sich Stelios auf eine Parkbank setzte. Als sich Tamara neben ihn setzte, stand er sofort auf und ist über die große Wiese Richtung Hauptstraße gelaufen, hinter der ein anderer Stadtbezirk lag. Er überquerte die Straße in einer halsbrecherischen Aktion, wie ein Geist, obwohl um diese Zeit starker Verkehr herrschte. Tamara ließ ihn gehen. Ihr wurde ganz kalt. Im Frühjahr wurde es immer gleich so kalt, wenn die Sonne nicht mehr wärmte. Sie machte sich zwar Sorgen um Stelios, ohne Geld, ohne Jacke, aber es brachte einfach nichts, ihm noch länger nachzulaufen. Sie wanderte zurück, wollte nach Hause, sah aber durchs Fenster vom Lokal Niko am runden Tisch sitzen und ging rein. Gerade wollte sie anfangen, ihm außer Atem ihr Leid zu klagen, während sie sich hinsetzte, da kam Stelios von der Toilette an den Tisch stolziert. Unglaublich, wie ist er so schnell zurückgekommen? Er setzte sich neben Niko, lachte hämisch und hat sich an seines Freundes Ohr gewandt: „Diese Frau crazy, total crazy. Kuckst-du Stelios kaputt. Stelios Polizei. Wo Handy Niko?“ Dabei zeigte er ihm seine Verletzung. Tamara platzte der Kragen: „Was? Ego ime crazy? Du crazy. Du bist doch kein Mensch. Geh doch wieder zurück nach Bonn oder nach Griechenland!“ Wumm! Das saß. Stelios blickte Tamara plötzlich in die Augen wie ein kleiner Junge, dessen Mutter statt ihm, dem neuen Baby die Brust gab, stand auf, nahm seine Jacke vom Haken und lief raus.

„Was ist denn los?“ fragte Niko verwirrt. Er wollte sofort die ganze Geschichte hören. Aus Tamara sprudelte es nur so heraus. Sie war nicht mehr bei sich. Roland war immer noch da und hörte natürlich alles mit. „Ich versteh´ nicht, was du von dem willst“, warf er mit einem Umkehrschwung in den Raum, weil er sein Spiel nicht aus den Augen lassen wollte. Ein älterer, ungepflegter Mann, dessen von oben bis unten verschmutzter Westhighland Terrier immer unter dem Automat auf dem Boden liegen und warten musste, konnte zwar gar nicht von seinem Spiel wegsehen, rümpfte aber ab und zu die Nase, weil er auch alles mitbekam. Als Tamara fertig war, lachte Niko und meinte: „Du bist die neue Weltmeisterin im Nahkampf.“ Sie tranken Bier und steigerten sich in Vorstellungen hinein, wie Tamara als Auszeichnung den Weltmeistergürtel übertragen bekommt und malten sich die nächste Vorstellung zwischen den beiden aus, wenn es um die Verteidigung des Titels geht. Der Wirt kam an den Tisch und wollte wissen: „Hat Stelios zuerst angegriffen?“ „Nein, nein, ich hab´ angefangen“, sagte sie, „er war so gemein. Die ganze Zeit hab´ ich so viel mitgemacht. Immer war ich bei ihm, hab´ ihn nie im Stich gelassen und mir seine Launen gefallen lassen. Jetzt hat er mal gemerkt, dass es so nicht geht.“

Tamara erntete tatsächlich Anerkennung für das, was sie getan hatte. Eigentlich hätte sie das Gegenteil erwartet, aber anscheinend konnte Stelios keiner leiden, so wie er war, wenn er spielte. Alle hatten mitbekommen, wie schlecht er Tamara behandelte, wenn er verloren hat. Achim, ein Nachbar, kam rein und so machte die Geschichte die Runde. Achim, der vor vielen Monaten Tamara fragte, ob er sie zum Essen einladen darf, weil sie beim Stelios bestimmt nichts bekäme, bestätigte ihr: „Ich hab´ dir doch gleich gesagt, dass der nichts taugt.“ - Damals, als Achim Tamara einladen wollte, hatte sie natürlich „nein“ gesagt. Stelios, der in sein Spiel vertieft war, hatte es allerdings mitbekommen und zu ihr gesagt: „Hier Schlüssel Stelios Zimmer. Eine Salat, du essen. Stelios kommst-du später.“ Das wollte Tamara sowieso nicht und meinte dazu: „Nein, ich koche doch später für uns alle, mein Sohn hat ja auch Hunger.“ Dabei hatte sie sich noch näher an Stelios herangestellt. - Daran musste Tamara jetzt denken, an die schönen Montage, an denen Stelios, ihr Sohn und sie zu Hause gegessen hatten und zusammen fernsahen. Als Sidney dann im Bett war, haben sie sich stundenlang zusammengekuschelt Western angeschaut.

Tamara glaubte, jetzt sei alles aus. Kein Mann bliebe bei einer Frau, die ihn verprügelt hat. Eine schaurige Verlustangst überstülpte sie wie der Nebel im Nebel des Grauens: „the fog“! Niko war schon gegangen, er musste früh raus. Tamara musste nicht heim. Mittlerweile hatte es sich eingebürgert, dass ihr Sohn montags manchmal bei seinem Freund übernachtet hat, der in der kleinen Seitenstraße wohnte. Sie war nicht müde, an Schlafen war gar nicht zu denken. Sie musste nicht früh aufstehen. Tamara hatte längst wegen dieser Beziehung bei ihrem Chef eine andere Schicht beantragt. Sie und Stelios hätten noch ausgehen können. Etwas Unvorhersehbares war geschehen. Sie spürte den absoluten Psycho-Kater, der mit der Erkenntnis in ihr hochstiegen war, dass sie im Affekt jemandem etwas angetan hatte, was ihr diese Person möglicherweise niemals verzeihen würde.

Spielsucht

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