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Gartenbrödel

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Irgendwo in einer westfälischen Kleinstadt, am Rande einer Neubausiedlung liegt ein Hof. Es ist kein großer Bauernhof mit riesigen Stallgebäuden und großen Landmaschinen. Es ist ein kleiner Hof mit einem Fachwerkhaus auf dessen Dach ein kleiner Schornstein Rauch ausstößt. Daneben liegt eine kleine Scheune und dann gibt es noch ein kleines Stallgebäude. In der Scheune steht ein alter silberner Mercedes und unter dem Dach hat eine Schleiereule ihr Nest. In dem kleinen Stallgebäude leben eine Kuh und ein Gänsepaar. An der Decke gibt es viele Schwalbennester. Nun, in dem Fachwerkhaus lebte eigentlich eine richtige Menschenfamilie. Seit aber der Vater gestorben ist, gibt es nur noch den Mutter und die beiden Töchter. Der Vater hatte den Hof bewirtschaftet und war nebenher noch als Taxifahrer tätig gewesen. Die Mutter wollte mit der Landwirtschaft nichts zu tun haben und arbeitete stundenweise in einer Modeboutique. Aber der Vater wollte, dass der Hof nach seinem Tod weiter bestehen bleibt. Da die eine Tochter arbeitslos war, entschied die Mutter, dass sie sich um den Hof kümmern solle. Und so kümmert sich Fidel, so heißt die arbeitslose Tochter, um den Hof. Sie erntet im Herbst die Äpfel von den Bäumen. Sie lässt jeden Morgen die Kuh und die Gänse auf die Wiese und mistet den Kuhstall und den Gänsestall aus und streut frisches Stroh nach. Im Frühjahr schneidet sie die alten und kranken Äste der Apfelbäume. Fidel hat der Kuh beigebracht, sich selbst zu melken. Das verheimlicht sie aber der Mutter. Die ist sowieso unzufrieden mit der Instandhaltung des Hofes. „Der Hof sieht unpräsentabel aus und bringt keinen Pfennig Geld ein!“, schimpft sie. Fidel sagt: „Aber wir haben unsere eigenen Äpfel unsere eigene Milch und unsere eigenen Gänseeier. Und eine Schleiereule und viele Schwalben können hier brüten.“ „Der Hof sieht unpräsentabel aus“, motzt die Mutter. „Andere haben eine Allee als Auffahrt und große gesunde kugelrunde Buchsbäume sowie Blumen- Kräuter- und Gemüsebeete vor dem Haus. Ich habe dafür keine Zeit. Sieh zu, wie Du das hinbekommst. Ferdinande schreibt an ihrer Doktorarbeit und geht nebenher noch arbeiten. Es ist Deine Aufgabe, die Außenanlagen und Gebäude in Stand zu halten.“ Fidel tat, was sie immer tat, wenn sie unglücklich war: sie leinte die beiden Hunde Goldhörnchen und Polarfuchs an und ging mit ihnen spazieren. Sie gingen meistens in den Wald, der nahe Vieh- und Obstbaumwiese begann. Nur ein plätschernder Bach musste überquert werden. Wenn es warm war hüpften Polarfuchs, Goldhörnchen und Fidel über die Kieselsteine, die aus dem Wasser herausragten. Wenn es sehr warm war, gingen sie durch das plätschernde Wasser. Wenn es der Jahreszeit gemäß aber kalt war, mussten sie am Ufer entlang zu der Stelle gehen, wo sich eine kleine Brücke befand, die Fidel und Ferdinandes Vater einst gebaut hatte. Die drei Freunde hüpften heute über die Kieselsteine. Es war Frühling und das Wasser des Flusses rauschte so hoch daher, dass sie nur auf die größten Kiesel hüpfen konnten. Die kleineren Kiesel lagen nun unter dem Wasser. Einmal musste Fidel das Goldhörnchen auf den Arm nehmen, weil der Abstand zu dem nächsten Kieselstein so groß war, dass das kleine, kurzbeinige Goldhörnchen den Sprung nicht geschafft hätte und im tosenden Wasser gelandet wäre. Polarfuchs machte ein ernstes Gesicht. Hunde können zwar nicht solche Grimassen schneiden, wie Menschen, aber sie können ein ernstes, ein lustiges und ein trauriges Gesicht machen. Und Polarfuchs setzte nun ein ernstes Gesicht auf. Er war kein sonderlich großer Hund, aber er war sehr beweglich und sportlich. Es wurde vermutet, dass einige seiner Vorfahren Border-Collies gewesen sein mussten. Und die waren die beweglichsten Hunde überhaupt, sie konnten ganze Schafherden lenken. Polarfuchs machte also ein ernstes Gesicht, schätzte die Entfernung ab und setzte zu einem eleganten Sprung an. In hohem Bogen flog der Hund durch die Luft und kam präzise in der Mitte des nächsten Kieselsteines erst mit den Vorder- , dann mit den Hinterpfoten auf. Fidels Herz hatte auch einen Hüpfer gemacht. Sie waren inzwischen auf der anderen Seite des Ufers angelangt. Jetzt war der Waldrand schon ganz nahe. Da stand der Förster mit seinem Fernrohr. „Hallo Herr Förster“, sagte Fidel. Goldhörnchen begann zu winseln und Polarfuchs macht „Wuff!“. „Na, wen haben wir denn da“, brummelte der Förster, „das sind doch Fidel, Polarfuchs und Goldhörnchen. Was wollt ihr denn hier?“ Fidel seufzte und dachte, dass der Kerl doch genau wusste, dass sie in den Wald gingen, um sich Bäume anzuschauen. Aber er wollte sich natürlich wieder aufspielen und zeigen, dass er der Förster ist. „Wir möchten im Wald spazieseln gehen“, sagte Fidel. „Na, das will ich euch mal gerade noch erlauben“, brummte der Förster. Ein Reh, dass an den Waldrand gehüpft kam, schüttelte verständnislos den Kopf und ein Specht begann wie verrückt auf einen Baumstamm einzuhämmern. „Aber dass ihr mir keinen Baum oder sonstwas klaut“, sagte der Förster. „Ist das eigentlich Dein Wald“, fragte Fidel. Goldhörnchen winselte nervös und wollte weiter gehen, trat unruhig von einem Vorderbein auf das andere. Polarfuchs saß, wo er saß. Der Förster räusperte sich ausführlich, nahm seinen Forsthut ab und kratzte sich am Kopf. „Nein“, sagte er bestimmt, „das ist nicht mein Wald. Aber ich muss auf ihn aufpassen.“ „Aha, sagte Fidel, dann ist ja gut. Wir wollen uns ja auch nur die Bäume anschauen.“ So gingen sie des Weges, der Förster zu seinem Forsthaus, denn es war Mittag und er hatte großen Hunger; Fidel , Goldhörnchen und Polarfuchs in den Wald. Es war ein schauriger Moment, wenn man den ersten Schritt in den Wald machte. Das Licht veränderte sich, die Luft wurde gesünder und man fühlte sich wie verzaubert. Goldhörnchen war das immer nicht so geheuer und sie winselte ob des schaurigen Gefühls. Polarfuchs schaute nach rechts, nach links und wieder nach rechts. „Laßt uns….“, wisperte Fidel und die drei Freunde gingen los. Immer schön auf dem Weg, vollkommen umgeben von Wald. Und Fidel schaute die ganze Zeit nur auf die Bäume, denn sie sind so wie Menschen. Es gibt ganz dicke, wuchtige mit festen Gesichtern. Und es gibt schlanke, glatte, die elegant in den Himmel ragen. Dann gibt es kleine Bäume, die auf abgesägten Stämmen wachsen und aussehen, als wäre das das normalste der Welt und als würde der abgesägte Stamm unter ihnen auch etwas davon haben. Es gibt junge Bäume, die ganz niedlich unter den Wipfeln der größeren wachsen. Und es gibt Tannen, die ganz und gar dicht und grün sind und deren Charakter man nicht sehen kann, nur fühlen. Es gibt Birken, die nach Schnee und Weite aussehen, auch wenn sie hier im Wald stehen. Es gibt Eichen, die so alt sind, dass niemand ihnen etwas erzählen muss, weil sie alles wissen. Dann gibt es Bäume, seltsam aussehen. Irgendwie komisch gewachsen. Als bekämen sie zu wenig Licht, vielleicht, weil sie zu nah an größeren Bäumen stehen, die ihnen das Licht nehmen. Oder weil sie größere Äste verloren haben. Oder weil sie irgendwie unter Druck stehen, vielleicht weil ein Dachs seine Höhle da baut, wo sie doch ihre Wurzeln haben. Diese Bäume schaut sich Fidel immer ganz genau an und sie staunt am meisten über sie und dann, irgendwann kann sie sehen, wie komisch sie aussehen und sie muss ganz breit grinsen. Und Goldhörnchen winselt, weil sie nichts an den Bäumen erkennen kann und sie das ärgert. Und Polarfuchs räuspert sich und macht ein ernstes Gesicht.

Als sie dann nach Hause kommen, vorbei an den Apfelbäumen mit den runden gütigen Kronen, schnattern die Gänse aufgeregt, als hätten sie auch etwas zu erzählen und die Kuh hebt kauend ihren schönen Kopf. Und Goldhörnchen ist schon völlig aus dem Häuschen, weil sie sich auf ihre Kuscheldecke freut und Polarfuchs seufzt und will sich unter den Küchentisch legen. „Wo warst Du denn schon wieder?“, fragt die Mutter mißtrauisch. „Wie immer, im Wald“, sagt Fidel und setzt sich müde an den Tisch, den Ellebogen auf der Tischplatte und eine Wange in die Hand gestützt. „Aha!“, sagt die Mutter und es klingt, als hätte sie Fidel beim Bohren in der Nase erwischt. Ferdinande betritt den Raum und zieht intensiv an ihrer Zigarette. „Im Wald ist wenigstens gute Luft“, sagt Fidel und Polarfuchs seufzt unterstützend. Goldhörnchen hört man aus dem Wohnzimmer von ihrer Kuscheldecke winseln. Sie träumt vom Wald und seinen Bäumen.









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