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Der traurige Eisbär

Es war war einmal ein Eisbär. Das heißt, es war eigentlich eine Eisbärin. Und die hieß Tosca.

Aber sie wohnte nicht am Nordpol, wo Eisbären normalerweise hingehören. Auch nicht in Italien, was man vielleicht bei dem schönen Namen vermuten könnte.

Nein, unsere Eisbärin wohnte in Berlin. In Berlin-Tiergarten. Daran wäre ja auch nichts Ungewöhnliches, schließlich ist der Bär auch das Wahrzeichen Berlins. Aber trotzdem gab es mit dem Wohnort so einige Schwierigkeiten. Erstens war es in Berlin nicht kalt genug, obwohl ein großer Teil der Bevölkerung da ganz anderer Meinung war. Und zweitens bestand der überwiegende Teil der Bevölkerung eben nicht aus Eisbären, sondern aus Menschen oder zumindest aus Kreaturen, die sich für solche hielten. Die aber wollten nicht unbedingt in friedlicher Koexistenz mit unserer lieben Eisbärin leben. Deshalb ergab es sich, dass die arme Eisbärin in ein großes Lager gesperrt wurde, welches sie nicht verlassen durfte, auch nicht, wenn sie etwas brauchte, zum Beispiel Zahnpasta. Sie durfte nicht einmal ins KaDeWe gehen, um sich welche zu kaufen, obwohl das Kaufhaus nur wenige Meter entfernt war.

„Kein Zutritt für Tiere“, stand es dort geschrieben, in großen Lettern.

Da wurde die Eisbärin richtig traurig. Wenn man nämlich Mundgeruch hat, kriegt man auch keinen Ehepartner. Aber die Eisbärin hätte schon gerne einen schönen großen Eisbären zum Mann gehabt.

Als die Menschen, die die arme Eisbärin in dieses Lager eingesperrt hatten, sich schließlich darauf konzentrierten, ihre Bedürfnisse zu berücksichtigen, da war es schon fast zu spät. Ach, was heißt fast. Es war zu spät, denn alle Bemühungen, der Bärin nun einen Mann zu besorgen, waren erfolglos. Vom Nordpol wollte keiner mehr die weite Reise nach Deutschland antreten, seitdem die Berlin-Zulage gestrichen wurde. Also musste man sich in anderen Lagern umschauen. Aber die Bären dort waren zumeist alt und bequem, wollten nur auf der faulen Haut liegen und verschwendeten keinen Gedanken daran, einmal einer richtigen Eisbärin schöne Augen zu machen. Also kam es wie es kommen musste: Unsere Eisbärin wurde schließlich zwangsverheiratet mit einem alten Eisbärknacker, der darüber auch nicht unbedingt begeistert war und abgesehen davon, schon kurz nach der Hochzeit wieder das Weite suchte. Jetzt aber war die Eisbärin nicht nur so eine Art Witwe, sondern auch noch schwanger, d. h. sie erwartete Zwillinge.


Die Eisbärin war wieder sehr traurig. Und die Traurigkeit hielt etwa zehn Monate an, bis zur Geburt ihrer Kinder. Aber als die beiden jungen Eisbären dann endlich auf die Welt kamen, da wurde die Eisbärenmama noch trauriger, denn sie wurde durch ihre beiden kleinen Jungen an ihren Mann und damit an ihre Zwangsheirat erinnert.

„Die sehen ja aus wie dieser alte Sack“, waren ihre ersten Worte, als die beiden Kleinen das Licht der Welt erblickten.

Die Verwandten und auch die KoZ-Wärter (KoZ bedeutet soviel wie Kommunale Zooverwaltung) waren natürlich angetan von dem Nachwuchs.

„Wie süß!“, sagte eine Wärterin.

„Darf ich sie mal streicheln?“, fragte eine andere Bärin.

„Macht doch, was ihr wollt“, sagte die Bärenmama. Sie war nun nicht nur traurig, sondern auch böse. Böse auf alles! Deshalb wollte sie auch von ihren Kindern nichts mehr wissen.


„Oh – oh!“, sagte einer der KoZ-Wärter. Das wird kein gutes Ende nehmen.

Und er sollte Recht behalten, denn schon nach vier Tagen starb eines der jungen Bärenkinder, die von der Mutter verstoßen wurden.

Das andere aber wurde von dem Wärter, der Thomas hieß, adoptiert und mit der Flasche großgezogen. Tag und Nacht kümmerte er sich um seinen neuen kleinen Sohn, der den Namen „Knut“ bekam. Und so wuchs Knut zu einem großen Eisbären heran. Bei seiner Geburt wog der kleine Bär noch nicht einmal 1000 Gramm. Das ist wenig, wenn man bedenkt, dass ein Menschenjunges, wenn es stark ist, fünfmal so schwer ist. Dafür nahm er aber schnell an Gewicht zu und wurde bald größer und schwerer als sein Ziehvater.


Deshalb kam der Tag, an dem beide nicht mehr zusammen spielen durften, denn die KoZ hatte Angst, dass der nun halbstarke Bär so aus Spaß dem Wärter beim Spielen etwas zuleide tun könnte. Deshalb wurde Knut nun woanders weggesperrt und durfte von seinem Ziehvater nicht mehr gestreichelt werden.

Darüber war der Ziehvater natürlich am meisten traurig und ist deshalb kurz darauf gestorben. Als Knut das erfahren hat, wurde er auch sehr traurig und ist daraufhin ebenfalls vor Kummer gestorben.

Und nun ist der kleine Eisbär Knut im Himmel. Aber wenn schönes Wetter ist, und der Himmel blau, dann kann man ihn noch manchmal zwischen den Wolken erkennen.

Der traurige Eisbär

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