Читать книгу Die amerikanische Prinzessin - Annejet van der Zijl - Страница 12

3 Der Glückspilz

Оглавление

In welchem Augenblick mochte Allene vermutet haben, dass etwas richtig schiefging mit ihrem Ehemann? Dass seine Faszination für alles, wobei gewettet oder gespielt wurde – Pokern, Pferderennen, Hundekämpfe, Boxkämpfe –, mehr als eine Jugendsünde war, der er mit dem Älterwerden und der Verantwortung für eine Familie sicher entwachsen würde? Und dass Tods Unruhe – “He never sat still”, wie ein Stallbursche es nannte – durch ihre Liebe zu ihm oder durch seine zu ihr nicht zu zähmen war. Dass sie, im Gegenteil, immer schlimmer werden und schließlich seinen Untergang bedeuten würde?

Einem Freund sollte sie später erzählen, es hätte sich im Herbst 1895 zugespitzt, als ihre jüngste Tochter krank geworden und tragischerweise genau an Gretas viertem Geburtstag gestorben war. Allene selbst hat sich anscheinend ziemlich schnell von diesem Schicksalsschlag erholt. Die Sterblichkeit von Säuglingen und Kleinkindern war in diesen Zeiten nun einmal hoch – über die Hälfte starb vor dem fünften Lebensjahr. Aus dem Grunde rieten die Ärzte jungen Eltern oft, sich in der ersten Zeit nicht zu sehr an ihr Kind zu binden. Außerdem seien sie und Tod noch so jung, sicher würden noch viele Kinder kommen.

Aber für Tod war die kleine Verna offenbar eine Tote zu viel. Vielleicht, weil seine Jugend schon vom frühzeitigen Tod zweier älterer Brüder überschattet gewesen war – der erste starb in seinem 23. Lebensjahr an einer Infektion, die er sich während einer Grand Tour in Europa zugezogen hatte, der zweite starb mit 17 Jahren an einer ansteckenden Krankheit – und vom Tod seines Vaters, dessen besonderer Liebling er gewesen war. Und jetzt musste er auch sein zweijähriges Töchterchen begraben, in dem Familiengrab auf dem Allegheny Cementery oben in den Hügeln, und es gab für ihn sonst nichts Dringendes oder Wichtiges in seinem Leben, was ihn von seiner Trauer hätte ablenken können.

Denn Letzteres lag natürlich Tods Unruhe zugrunde. Ein „Erb-Kollege“, William Vanderbilt, sollte einst mit bemerkenswerter Selbsterkenntnis feststellen, wie misslich das Leben ist, wenn dein Vater alles erreicht hat, was nach menschlichem Ermessen zu erreichen ist, und dir, außer seinen Millionen, keinerlei Raum mehr gelassen hat, selbst noch etwas Nützliches zu tun. “Inherited wealth is a real handicap to happiness”, wie er sagte. “It is a certain death to ambition as cocaine is so to morality.”


Im Winter 1895/1896 begegnete Tod dem Mann, der ihm zum Verhängnis werden sollte, David „Davy“ C. Johnson. Dieser geborene New Yorker war Besitzer eines Rennstalls sowie einiger Spielsalons und hatte den Ruf, einer der legendärsten Spieler des Kontinents zu sein. Als Tod ihn kennenlernte, war er 39; bei seinem Tod, 15 Jahre später, sollte man sich seiner mit einer Mischung aus Respekt und Erstaunen erinnern:

Es gibt Spieler und Glücksspieler, aber dieses Land hat nie wieder einen Mann gehabt wie diesen. Er spielte das Spiel, seitdem er zehn Jahre alt war, und kassierte Verluste mit einem Lächeln. Eine Niederlage ließ ihn nie verzweifeln. Seine Kaltblütigkeit, wenn Tausende Dollar auf dem Spiel standen, war unglaublich. Oft schien er kaum am Ausgang interessiert zu sein, während ein anderer fast verrückt geworden wäre vor Unsicherheit. Johnson war vermutlich der fanatischste Spieler, der je auf amerikanischem Boden operierte. Es war für ihn nicht ungewöhnlich, bei einem Wettkampf 50.000 Dollar einzusetzen. Und an dem, was er einen langweiligen Nachmittag nannte, hatte er die Angewohnheit, Centstücke für 1000 Dollar pro Wurf in die Luft zu werfen.

Schon bald verbrachte Tod immer mehr Zeit mit seinem älteren Freund in New York, das dank des neuen Geldes zu dem einzigen Ort in Nordamerika anwuchs, der sich an Ausstrahlung mit den großen europäischen Städten messen konnte. Der tonangebende Reiseführer Baedeker schrieb 1893: „Es ist die reichste Stadt der Neuen Welt und ist von allen Städten der Welt nur London an kommerzieller und finanzieller Bedeutung unterlegen.“

Anfangs blieb Tod während dieser Ausflüge an Bord der Duquesne im Jachthafen des New York Yacht Clubs. Aber als die anderen Clubmitglieder Einwände gegen die allzu häufige Anwesenheit des nun gar nicht salonfähigen Johnson anmeldeten, mietete er ein vierstöckiges herrschaftliches Haus komplett mit eigenen Stallungen in der 8 East 65th Street. Von dort konnte er das Waldorf Astoria, in dem Johnson eine Suite bewohnte, zu Fuß erreichen, ebenso wie die Clubs des Broadway, wo man das Duo als “High Rollers” kannte – Männer, für die keine Herausforderung zu groß war.

Tod erwies sich als ein genauso kühler, wenn nicht sogar noch kühlerer Spieler als sein Freund – “the nerviest gentleman player” in den Worten einer New Yorker Abendzeitung. Verluste nahm er schulterzuckend hin, wenn er gewann, lud er jedermann ein oder er schenkte die gewonnenen Dollars einem vorbeilaufenden Zeitungsjungen. Vor allem bei Pferderennen war sein Glück legendär. Obwohl er den Eindruck erweckte, rein zufällig auf einen Gewinner zu tippen, wusste das Personal der von ihm frequentierten Restaurants den Zeitungen später zu erzählen, dass er frühere Ergebnisse sehr eingehend studierte, bevor er sein Geld einsetzte. In Spielerkreisen erwarb er sich schon bald einen Spitznamen: “The Lucky Plunger”, der „Glückspilz“.

Während Tod am Broadway in seiner neuen Rolle renommierte, versank das Land um ihn herum immer tiefer in einer anscheinend aussichtslosen Wirtschaftskrise. Der Kontrast zwischen der kleinen Elite, die auf der richtigen, und den zahllosen have nots, die auf der falschen Seite des amerikanischen Traums gelandet waren, wurde jetzt allerdings haarsträubend – und umso haarsträubender, als in der ersten Gruppe auch die Anstifter der Wall Street Panic 1893 und damit die Verursacher von allem Elend des normalen Amerikaners zu suchen waren.

Vor allem in liberalen Kreisen wurde der unbeschränkte Kapitalismus, der bis jetzt in den Vereinigten Staaten als Evangelium gegolten hatte, hinterfragt. Kennzeichnend dafür ist ein Artikel der New York Times vom 12. Juli 1896, in dem die Ausfahrt von Tods Duquesne und einigen anderen teuren Jachten zur jährlichen Regatta des New York Yacht Clubs beschrieben wurde. Die NYYC-Regatta galt als der unbestrittene Höhepunkt der Segelsaison. Eine Armada von Hunderten Segeljachten fuhr langsam durch den gut 100 Meilen langen Long Island Sound, während die Teilnehmer sich bei Wettkämpfen, Regatten und Feiern amüsierten. Es hieß, man könne in den Häfen, in denen die Flotte abends anlegte, am nächsten Morgen über die Champagnerkorken zu Fuß bis zur anderen Seite laufen. Für den diensthabenden New York Times-Reporter war die Ausfahrt jedoch vor allem Anlass, noch einmal auf die extreme Zweiteilung im Amerika dieser Zeit hinzuweisen:

Früh am Morgen ankerten einige Dampfjachten nahe East 26th Street, und die Atmosphäre am Department of Correction und rund um den Pier war heiter. Pausenlos trafen Fahrzeuge mit ausgelassenen Gesellschaften ein, die in kleinen Motorbooten und Schaluppen zu den Jachten gebracht wurden. Inmitten all dieser Fröhlichkeit kam auch das Dampfschiff Thomas E. Brennan von Blackwell’s Island an, das ungefähr 50 unglückliche Männer und Frauen transportierte, die für irgendein Vergehen eine Strafe auf der Insel abgesessen hatten. Sie wurden an Land gebracht, um freigelassen zu werden. Sie hockten auf der einen Seite des Piers beieinander und bildeten einen traurigen Kontrast zu den übrigen.

Auf der einen Seite sah man gesunde, reiche und glückliche Männer und hübsche Frauen, gut gekleidet an Bord einiger der schönsten Jachten der Welt gehen. Auf der anderen Seite Männer und Frauen, alte und junge, elend und arm, traurig und einer wie der andere wahrscheinlich ohne einen Cent auf der Welt, den sie ihr eigen nennen konnten. Sie schauten zu dem fröhlichen Bild bei der Club Station und schlurften den Pier hinunter. Die Jachteigner und ihre Freunde zogen in ihren Booten davon und vergaßen schon rasch die Szene auf dem Pier der East 26th Street – wenn sie die überhaupt bemerkt hatten.

Im selben Sommer hatte zum ersten Mal seit langer Zeit ein demokratischer Kandidat eine reale Chance auf den Einzug ins Weiße Haus. William Jennings Bryan versprach gesellschaftliche Reformen und wollte gegen die weitverbreitete Korruption und Habgier vorgehen, die das Land ins Verderben gestürzt hatten. Doch im letzten Moment lancierten Unternehmer und das finanzielle Establishment – unterstützt von der Kirche – eine scharfe Gegenkampagne, in der sie der Bevölkerung vorhielten, gerade Erscheinungen wie Sozialismus und Gewerkschaften seien verwerflich und stellten die größte Bedrohung für alles dar, was vom nationalen Wohlstand noch geblieben war.

Am 3. November 1896 siegte der republikanische Kandidat William McKinley. Und somit blieb es dabei, dass die Reichen feierten und die Armen litten – Letzteres allerdings mit immer offenerem Murren und Protest. Als ein New Yorker Society-Ehepaar mitten im kalten Krisenwinter 1897 ankündigte, den größten und teuersten Ball zu geben, der je in der Stadt organisiert worden war – für 800 Gäste sollten zwei ganze Etagen des Waldorf Astoria Hotels für das hübsche Sümmchen von 400.000 Dollar zu dem Hof von Versailles umgebaut werden –, ergoss sich eine wahre Volkswut über das Paar. Alle kritischen Publikationen, wütenden Reaktionen und sogar Todesdrohungen konnten das Paar nicht von seinem Plan abbringen, und der monierte Ball fand wie geplant am 10. Februar statt. Und wie um noch einmal zu demonstrieren, wie unantastbar sie sich fühlten und wie wenig sie die Wut des Plebs oder die Misere scherte, in der ihre weniger vermögenden Landsleute leben mussten, eröffnete der Gastgeber den Ball mit dem Abspielen des bekannten Liedes When You Ain’t Got No Money, You Need Not Come Around.

Mittlerweile war die sogenannte yellow press, die Skandalpresse, auf den Geschmack gekommen, Multimillionäre an den Pranger zu stellen. William Waldorf Astoria, Erbe des gleichnamigen Vermögens, fühlte sich irgendwann sogar derart bedroht von den immer aggressiveren Skandalreportern, dass er nach Europa auswich – in der Hoffnung, dort mehr Respekt und Zurückhaltung gegenüber der leisure class, der nicht arbeitenden Klasse, zu finden, der er nun einmal durch seine Geburt angehörte. Leider überquerten dank neumodischer Erfindungen wie Telegraf und Telefon die neuesten Nachrichten sogar noch schneller den Ozean als er selbst. Außerdem war die englische Skandalpresse mindestens so giftig wie die in New York. Die Folge war, dass Astor sein Tun und Treiben jetzt zu beiden Seiten des Ozeans unter ein Vergrößerungsglas gelegt sah und weniger Bewegungsfreiheit hatte den je.

Tod Hostetter war für die Zeitungen bis jetzt nur ein kleiner Fisch gewesen – ein verrückter junger Millionär aus Pittsburgh mit schlechtem Geschmack bei der Wahl seiner Freunde. Für ihn waren die für das Land so wichtigen Präsidentschaftswahlen 1893 vor allem eine interessante Angelegenheit, auf die man wetten konnte. Und auch hier ließ ihn sein legendäres Glück nicht im Stich: Er hatte als Einziger alle Ergebnisse bis aufs letzte Komma genau vorhergesagt und gewann auf einen Schlag 30.000 Dollar. Diesen Betrag verlor er übrigens sofort wieder beim Roulette, dem einzigen Glücksspiel, bei dem er Mal für Mal verlor. In den Worten eines Freundes:

Roulette war sein Untergang. Er war der größte Glückspilz, den ich kannte, und er war so schlau und hart wie eine stählerne Fuchsklemme – außer, wenn er Roulette spielte. Wenn er die Scheibe in Ruhe gelassen hätte, wäre er ohne Verluste davongekommen, aber er konnte die Finger nicht davon lassen. Er war sich so sicher, dass er am Ende gewinnen würde.


Allene tat, was sie konnte, um ihren Mann aus der Gesellschaft von Davy Johnson und den Verführungen der Pferderennbahn und des Roulettes zu halten. (“If one has the will and persistence, one CAN do things.”) Sie machte das Hostetter House am Raccoon Creek zur Bühne dessen, was später als “many a gay nineties party” beschrieben wurde. Noch Jahre später sollten die Bewohner der Umgebung sich der vielen festlich geschmückten Boote voller fröhlicher Gäste erinnern, die zwischen Pittsburgh und Raccoon Creek hin und her pendelten. Auch sonst warf sie ihren Charme in den Ring, und zwar mit Erfolg: Anfang Frühjahr 1897 war sie wieder schwanger.

Am 2. Oktober 1897 schenkte Allene einem Sohn das Leben, der nach seinem Vater Theodore Rickey jr. getauft wurde. Der kleine Teddy, wie man ihn nannte, um ihn von seinem Vater zu unterscheiden, schien anfangs unter einem guten Stern geboren zu sein. Einige Monate nach seiner Geburt ergriff Amerika, den eigenen Unabhängigkeitskrieg noch frisch im Gedächtnis, die Partei der Aufständischen in der spanischen Kolonie Kuba und geriet dadurch in einen Krieg mit Spanien. Und das hieß, dass sein Vater seine erste und, wie sich später zeigen würde, auch letzte Chance bekam, wirklich etwas für sein Land zu tun. Tod stellte der amerikanischen Marine seine Duquesne zur Verfügung. Es war dadurch auch ihm zu verdanken, dass die Amerikaner am 1. Mai 1898 die spanische Flotte versenken konnten.

Die alte Großmacht Spanien war einfach kein ernst zu nehmender Gegner für das moderne, von Patriotismus beseelte Amerika, das nach nur wenigen Monaten einen glänzenden Sieg feiern konnte.

Zum ersten Mal in ihrer Existenz waren die Vereinigten Staaten als unabhängige imperiale Macht in Erscheinung getreten. Bei den Friedensverhandlungen konnten sie sogar eigene Kolonien fordern, und das waren Puerto Rico und die Philippinen. Kuba wurde amerikanisches Protektorat, Hawaii kurzerhand annektiert: Der Sprung zur politischen Weltmacht war mehr als gelungen.

Außerdem bedeutete der so schnell gewonnene Krieg einen beachtlichen Auftrieb für das nationale Selbstvertrauen und einen Segen für die Wirtschaft, die als Folge der Kriegsanstrengungen in raschem Tempo wieder Fahrt aufnahm. Doch während sein Vaterland wieder aus dem Tal herauskletterte, hatte Tod sich offenbar zu weit nach unten verirrt, um den Weg nach oben noch finden zu können. Die Duquesne kam nach New York zurück und er nahm seine Karriere als berufsmäßiger Glücksspieler mit neuem Elan auf. Wie The Pittsburgh Press sein Leben euphemistisch zusammenfassen sollte: “Theodore Hostetter was best-known for his devotion to sports.”

In der Praxis bedeutete dies, dass Tod zur sogenannten Waldorf Crowd gehörte, einem renommierten Club von Glücksspielern, zu denen auch der Stahlmagnat Henry Clay Frick und der Industrielle John W. „Bet-a-million“ Gates gehörten. Letztgenannter war bekannt dafür, dass er sogar zwischen den einzelnen Pokerpartien noch wettete, zum Beispiel auf die Route, die bestimmte Regentropfen auf dem Fenster des teuren Hotels nehmen würden. Tod stand Gates in dieser Kreativität bestimmt in nichts nach. Wenn eine Fliege auf dem Tisch landete, tippte er auf die Seite, nach der sie wegfliegen würde. Und wenn er einen Ober ankommen sah, setzte er darauf, ob der sein Tablett fallen lassen würde oder nicht. Und wenn er einen Bettler auf der Straße sah, wettete er auf die Frage, ob der Mann, wenn er ihm einen Hundertdollarschein geben würde, seinem Wohltäter überschwänglich danken oder schleunigst davonlaufen würde.

“If one has no steady belief and foundation to one’s life, it is all hopeless and tears”, sollte Allene später mit sichtlicher Sachkenntnis schreiben. Aber Tod glaubte nicht ans Leben und baute nicht darauf; und ihr blieben die Traurigkeit und die Tränen. Nach einiger Zeit hörte sie auf, Feste zu organisieren: Die Aussicht, dass ihr Ehemann dabei sein würde, war gering, und seine Abwesenheit würde nur unerwünschte Fragen auslösen. Sie selbst wurde auch nicht mehr oft eingeladen. “Society, always fearful of Tod’s wild ways, never bothered much about his pretty young wife”, wie ein befreundeter Journalist später schrieb. Somit nützte ihr der mühsam erkämpfte Platz in der gesellschaftlichen Elite Pittsburghs am Ende gar nichts.

Immer häufiger sah man die junge Mrs. Hostetter allein mit ihren Kindern in der einst mit so viel Freude gebauten „Blockhütte“ am Raccoon Creek. Sie lehrte Teddy Reiten und mit Greta trainierte sie tagelang auf der Hindernisstrecke neben dem Haus. Oder sie trabte auf ihrem Pferd ganz für sich allein stundenlang durch die umliegenden dunklen Wälder. Das Glitzerparadies, in dem sie geheiratet und von dem sie sich so viel erhofft hatte, war ein einsamer Ort geworden.

Im Frühjahr 1901 kaufte Tod eine neue Jacht. Die Seneca maß stolze 150 Meter und hatte unter Deck ein Pianola wie auch einen Roulettetisch, sodass er seine Glücksspielfreunde auf seinem Schiff empfangen und unterhalten konnte. Auch kaufte er ein Automobil, „den sich selbst bewegenden Wagen“ – in diesen Jahren die neueste Mode der Reichen. Es war, in den Worten eines Bediensteten, nur “a small affair with no top”, aber so klein, offen und ohne Dach es auch sein mochte, war er durch das Auto doch jetzt nicht mehr abhängig von der Verfügbarkeit der Pferde, Kutscher und Züge nach New York. Und er konnte, wann immer er wollte, dem wachsamen Auge seiner Frau und seiner Familie entwischen.

Allene und ihre Kinder fuhren in diesem Sommer 1901 noch mit auf der Seneca. Aber Tod sahen sie kaum: Der saß Tag und Nacht unter Deck und spielte Roulette mit seinen Freunden. Und irgendwann kam der Moment, da Allene klar wurde, dass aller Wille und alles Durchsetzungsvermögen der Welt es nicht mit den Dämonen aufnehmen konnten, die von Tod Besitz ergriffen hatten. Und auch die Liebe nicht. Sie verließ das Schiff und ihren Mann und reiste mit den Kindern zu ihrer Schwiegerfamilie am Narragansett Pier. Greta war neun und der kleine Teddy vier Jahre alt, als ihre Mutter ihren Vater offiziell verließ. Die Ehe ihrer Eltern hatte genau zehn Jahre gedauert.


Spätere Schätzungen sollten ergeben, dass Tod in seinem letzten Winter durchschnittlich knapp 100.000 Dollar im Monat durchgebracht hatte. Er zog, wie The Washington Post es später mit dem nötigen Understatement nennen sollte, “one of the widest swaths of the sporting fraternity”, eine der breitesten Spuren in der Bruderschaft der Glücksspieler. Dass sein Bruder Herbert ihn unter Kuratel gestellt hatte, nachdem Allene ihn verlassen hatte, hinderte ihn nicht. Er lieh sich einfach Geld bei Davy Johnson, der ihn – als Freund unter Freunden – einen Schuldschein nach dem anderen unterschreiben ließ.

Tods fester Stammplatz wurde Canfield’s Club, ein im Jahre 1899 eröffnetes Spielkasino in der 44th Street, direkt neben dem weltberühmten Restaurant Delmonico’s und gegenüber dem schicken Sherry Hotel. Der Eigentümer, Richard Canfield, war in einem früheren Leben Portier beim prestigeträchtigen Union Club gewesen und wusste genau, was Männer mit zu viel Geld und zu wenig Herausforderung in ihrem Leben brauchten. Sein Club atmete Luxus und Diskretion, sei es für Kunden, die sich mit einer Frau verabreden wollten, die nicht die ihre war, oder für Millionäre, die ihr Glück bei Baccara oder Roulette wagen wollten.

Eine New Yorker Zeitung sollte es später anschaulich beschreiben: “Canfield’s was the scene of many wastrel heir’s downfall” – die Kulisse für den Untergang so manchen Taugenichts! Unter diesen Taugenichtsen befanden sich auch zwei Enkel von Cornelius Vanderbilt. Einer schaffte es, an einem Abend nicht weniger als 120.000 Dollar zu verlieren, während sein Cousin Reginald „Reggie“ Claypoole innerhalb eines halben Jahres Schuldscheine im Wert von über 400.000 Dollar sammelte. Und dann war da natürlich Tod, der junge Pittsburgher, der seinen Kummer um seine gescheiterte Ehe und sein verlorenes Leben Abend für Abend ertränkte und am Ende des Abends alles unterschrieb, was man ihm vorlegte.

An Allenes 30. Geburtstag, am 7. Juli 1902, war Tod nicht dabei. Sie feierte den Tag mit ihren Kindern bei ihrer Schwiegerfamilie in Narragansett Pier. Anfang des Jahres hatte sie in der East 73th Street ein kleines Haus als New Yorker pied-à-terre für ihre Eltern gemietet, die hergekommen waren, um ihrer Tochter in dieser schweren Zeit beizustehen. Ansonsten suchte sie Ablenkung und Trost bei ihren Pferden. Bei einer Pferdeschau in Narragansett Pier zog sie alle Augen auf sich mit dem, was die New York Times “a handsome pair of piebald ponies” nannte – zwei schöne grau gescheckte Ponys.

Mittlerweile unternahm Tod zwischen dem einen Glücksspiel und dem nächsten halbherzige Versuche, sich mit seiner Familie und seiner Frau zu versöhnen. Am Mittwoch, dem 30. Juli, fuhr er mit der Seneca zum Jachthafen des Larchmont Clubs, um seinem Bruder Herbert einen Besuch abzustatten. Dass er bei dem Treffen ziemlich kurzatmig war, schrieb man seinem Gewicht zu – kurz und untersetzt, immer mit einer Neigung zur Korpulenz, war er jetzt schlichtweg dick geworden. Den Abend verbrachte er im Waldorf Astoria. Er klagte über eine Erkältung, die er sich seiner Meinung nach an Bord seines Schiffes zugezogen hatte.

Zwei Tage später – es war inzwischen Freitag – stattete er der Duquesne einen kurzen Besuch ab, bei dem er einem Steward Anweisungen zur Installation einer neuen Roulettescheibe gab, die für den nächsten Tag geplant war. Den darauffolgenden Samstag verbrachte er in seinem Haus in der East 65th Street beim Pokern mit Freunden. Das Spiel wurde wie gewöhnlich mit viel Fanatismus betrieben, und als sich beim Hausherrn gegen Mitternacht schwere Anzeichen von Atemnot zeigten, kam niemand auf den Gedanken, einen Arzt zu holen.

Und so starb der „Lucky Plunger“ am frühen Morgen des 3. August an dem, was sich später als verschleppte Lungenentzündung herausstellte, mitten unter seinen Karten und Freunden, die keine Freunde waren, und letzten Endes völlig allein. Er war gerade einmal 32 Jahre alt.


Tods Leichnam wurde noch in dieser Sonntagnacht mit der Bahn in seine Heimatstadt zurückgebracht. Allene, die an jenem Morgen überstürzt von Rhode Island nach New York gereist war, befand sich bei seiner Ankunft noch bei ihren Eltern in der East 73th Street. Am nächsten Morgen – in der Zeitung mit der Todesnachricht des jungen Pittsburgher Millionärs war die Druckerschwärze kaum trocken – klingelte dort Spielsalonbesitzer Richard Canfield. Er präsentierte der fassungslosen Witwe einen Stapel von ihrem Ehemann gezeichneter Schuldscheine über einen Gesamtbetrag von über einer Viertelmillion Dollar.

Die Beerdigung fand am Dienstag, dem 5. August, statt. Den größten Teil des Tages lag Tods Leichnam, umgeben von Wiesenblumen, aufgebahrt in der Empfangshalle im Haus seiner Schwester in der Western Avenue. Nachmittags wurde dort auch der Begräbnisgottesdienst gehalten. Die Anteilnahme war überwältigend, denn welche Schwächen er auch gehabt haben mochte, so war der Verstorbene doch immer voll Herzlichkeit und Fröhlichkeit gewesen und hatte keiner Fliege etwas zuleide getan.

Am Ende des Nachmittags wurde Tod neben seinen Brüdern, seinem Vater und seinem Töchterchen auf dem Allegheny Cemetery bestattet. Sein Sarg wurde von seinen Jugendfreunden getragen, darunter die Söhne des Stahlmagnaten Andrew Carnegie und des Eisenbahn-Tycoons Joshua Rhodes. Junge Leute also, die noch nicht wie Tod an einem Zuviel an Geld und Erfolg ihrer Väter zugrunde gegangen waren.


Zunächst konnte die Familie Hostetter die Umstände, unter denen ihr schwarzes Schaf gestorben war, erfolgreich aus der Presse halten. Er sei, so lautete die offizielle Version, in einem Sanatorium in der Park Avenue an einer nicht näher identifizierten Krankheit gestorben. Dass die Zeitungen im Winter 1903 dennoch Wind von der Sache bekamen, war vor allem Davy Johnson zu danken, der am 20. Januar des Jahres in Pittsburgh einen Prozess gegen Tods Erben anstrengte. Es ging um einen Betrag von 115.000 Dollar, den er von Tod mit seinem geliebten Kopf-oder-Zahl-Spiel gewonnen haben wollte.

Ob Zufall oder nicht, jedenfalls führte die New Yorker Polizei am selben Tag eine Razzia in Canfield’s Club durch und verhaftete den Geschäftsführer. Die Anschuldigung lautete, den jungen Hostetter in der Nacht vom 15. April 1902 bewusst betrunken gemacht zu haben, um ihn einen Schuldschein von 30.000 Dollar unterschreiben zu lassen. Frühere Versuche, den berüchtigten Spielsalon schließen zu lassen, vor allem, nachdem die jungen Vanderbilts empfindliche Verluste erlitten hatten, waren gescheitert. Aber diesmal war es so weit. Die Ermittlungsbeamten der Metropolitan Police stellten fest, dass im Canfield’s groß angelegt alle möglichen Falschspielertricks angewendet wurden: trick wheels, fake faro layouts und false and clogged dice. Damit war das Todesurteil des Clubs unterschrieben.

Die Razzia in der 44th Street bedeutete jedoch auch den Verlust der Hoffnung, Tods trauriges Ende aus der Öffentlichkeit zu halten. Am 7. Februar 1903 verkündete die Schlagzeile der New York Times auf ihrer Titelseite: “Theodore Hostetter – ‘The Lucky Plunger’ – Lost a Million in a Year”. Der Zeitung zufolge hatte sich aus den nachgelassenen Papieren ergeben, dass er Davy Johnson zum Zeitpunkt seines Todes sage und schreibe 620.000 Dollar schuldig war. Außerdem sollte er noch über 300.000 Dollar Außenstände bei Canfield’s und anderen Spielsalons haben, wodurch sich seine Gesamtschulden auf eine Million Dollar beliefen.

Richard Canfield ließ sofort am nächsten Tag durch seinen Anwalt jede Beteiligung abstreiten. Er behauptete, Tod selbst gar nicht gekannt zu haben. Davy Johnson dagegen gab so ziemlich jedem Journalisten Auskunft, der sich bei ihm meldete. Er erklärte, seine Anwälte hätten den Prozess in Pittsburgh ohne sein Wissen angestrengt, und er habe ihn sofort beendet, als er davon hörte. Es sei, so sagte er, unsportlich, Streit über Spielschulden vor Gericht auszutragen. Er schien vom Tod seines Freundes ehrlich erschüttert zu sein:

Ich mochte Tod. Er war der sportlichste Bursche, dem ich je begegnet bin. Ich bedaure diese Publizität, vor allem wegen seiner Frau und seiner Kinder. Ich habe sie gestern noch im Park reiten sehen. Seine Witwe wird bezeugen, dass ich sie ordentlich behandelt habe. Ich glaube, Mrs. Hostetter wird bestätigen, dass ich gegenüber ihrem Ehemann immer fair gewesen bin, dass ich ihm ein ehrlicher Freund war, dass ich persönlich viel von ihm gehalten habe und dass ich mehr für ihn war, als ich ihn gekostet habe, wenn man bedenkt, welch wilder Spieler er gewesen ist. Aber es war schwierig, jemanden, der bei einem Polowettkampf am Narragansett Pier seelenruhig 1000 Dollar einsetzte, in Zaum zu halten.

Einige Wochen später sollte Johnson ankündigen, seinen Rennstall zu verkaufen und jede Form von Wetten für immer zu beenden. Die Forderungen am Nachlass von Tod Hostetter wurden hinter verschlossenen Türen abgewickelt.

Übrigens konnte Johnson das Leben ohne Wetten ebensowenig durchhalten wie sein verstorbener Freund: Acht Jahre später sollte er als der hartgesottene Glücksspieler sterben, der er sein Leben lang gewesen war. “Famous Plunger Accepts Last Bet” lautete die Schlagzeile über der Todesnachricht in einer Zeitung treffend. Und die schöne junge Witwe, wie The Evening World Allene betitelte: Sie schwieg. Allene scheint nach Tods Beerdigung keinen Tag länger als unbedingt notwendig in der Stadt geblieben zu sein, die sie gut elf Jahre lang die ihre genannt hatte, wo sie sich aber nie wirklich willkommen gefühlt hatte. Sie ließ ihren Ehemann und ihre jüngste Tochter in ihren Gräbern in den Hügeln zurück, sie ließ den Hostetter-Clan mit seinem versteckten Alkoholimperium zurück und sie ließ Pittsburgh unter seiner schwarzen Rauchwolke zurück. Sie nahm ihre Tochter und ihren Sohn und reiste auf demselben Weg zurück, den sie im Jahr 1891 gekommen war, jetzt aber in anderer Richtung, von Pittsburgh nach New York.

Und sie blickte sich nicht mehr um.

Die amerikanische Prinzessin

Подняться наверх