Читать книгу Gräfin Elisa von Ahlefeldt, die Gattin Adolphs von Lützow, die Freundin Karl Immermann's - Assing Ludmilla - Страница 3

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Wenn ich es unternehme, ein Lebensbild der Gräfin Elisa von Ahlefeldt zu entwerfen, so geschieht dies einmal für ihre zahlreichen Freunde, die ihr ein liebendes, verehrungsvolles Andenken widmen, und denen, wie ich weiß, alles wichtig und theuer ist, was sie betrifft, andrerseits aber auch, weil diese Frau durch ihre seltenen Geistes- und Herzenseigenschaften sowohl, wie durch ihre merkwürdigen, wechselvollen und oft wahrhaft romanhaften Lebensschicksale eine ungewöhnliche Bedeutung in der Gesellschaft und in der Literatur erlangte. Wenn ihre zu große Bescheidenheit sie nicht als Schriftstellerin auftreten ließ, sie, die dazu mehr Befähigung besaß als viele Frauen, die sich auf diesem Gebiete Anerkennung erworben, wenn sie sich auch überhaupt niemals in die Oeffentlichkeit wagte, so hat sie doch auf ihre Zeit und die ausgezeichneten Menschen, die sich ihr angeschlossen, einen so weitgehenden und entscheidenden Einfluß ausgeübt, daß ihr Name vor vielen andern verdient aufbewahrt und gefeiert zu werden. Wie Madame Roland die edlen Girondisten in der französischen Revolutionszeit zum aufopferndsten Kampfe für die Freiheit anfeuerte, so begeisterte und beseelte Gräfin Elisa von Ahlefeldt die jungen Helden der Lützow'schen Freischaar für die Befreiung des unterdrückten Vaterlandes. Trug sie nicht wie Johanna d'Arc selbst die Fahne in die Schlachten, so umschwebte doch ihr edler, hochfliegender Geist die tapferen Streiter in Kampf und Gefahr. Nachdem der Krieg beendet war und Deutschland seine innere Herstellung begann, finden wir die seltene Frau in stiller, poetischer Zurückgezogenheit als die Muse eines begabten deutschen Dichters, dessen Lorbeer ohne den Sonnenschein ihrer Nähe nie so schön erblüht wäre. Dann, als ein tragisches Geschick sie von dem Dichter trennte, verlor sie trotz ihres tief verwundeten Herzens doch nicht die edle Fassung, die ihr zu allen Zeiten eigen war. Noch im späteren Lebensalter, in dem sie sich die zarte Anmuth und Grazie der Jugend in seltenem Grade bewahrt hatte, war sie der Mittelpunkt, die Beschützerin und Erweckerin eines Kreises junger Talente, die sie mit begeisterter Verehrung und zärtlicher Neigung umgaben; so ist ihr ganzes Dasein für alle die ihr nahten, anregend, erhebend und segensreich gewesen. Wenn ihr Leben von schwerem Unglück durchflochten war, so müssen ihre Freunde sich mit schmerzlicher Bewunderung gestehen, daß sie mit einer minder großartigen, uneigennützigen und aufopfernden Seele vielleicht glücklicher geworden wäre. Wo sie verkannt wurde, was übrigens nur von ihr Fernstehenden geschehen konnte, da war dies nur der Fall, weil man so viel zarte Rücksicht, Edelmuth und Schonung, wie sie solche in allen Lebenslagen ausübte, für unwahrscheinlich hielt. Die holde Liebenswürdigkeit ihrer persönlichen Erscheinung ist denen schwer zu schildern, die sie nie sahen, aber um sie in dem vollen Glanz ihres Charakters zu zeigen, braucht man nur einfach und wahr ihr Leben zu erzählen. Dies hat mich zu der vorliegenden Biographie ermuthigt. Für die Wahrheit dieser Mittheilungen kann ich um so mehr einstehen, da ich nicht nur das Glück hatte, mit der ausgezeichneten Frau auf das innigste vertraut und befreundet zu sein, sondern da mir auch die Einsicht geworden in alles, was sich von ihrem handschriftlichen Nachlaß erhalten hat.

Elisa Davidia Margaretha Gräfin von Ahlefeldt-Laurwig wurde im Jahre 1790 den 17. November an dem Geburtstage ihres Vaters auf dem Schlosse Trannkijör zu Langeland geboren. Ihr Vater, Graf Friedrich von Ahlefeldt-Laurwig, geboren den 17. November 1760, gehörte einem altadlichen Geschlechte an, welches im Jahre 1665 von Kaiser Leopold dem Ersten in den Reichsgrafenstand und 1672 vom König von Dänemark in den dänischen Grafenstand erhoben und mit der Grafschaft Langeland belehnt wurde. Er genoß durch Rang, Macht und Reichthümer eines ungewöhnlichen Ansehens; er war ein besonderer Liebling des Königs Friedrich des Sechsten von Dänemark, in dessen Dienst er als Kammerherr und als Offizier stand; der König zeichnete ihn nicht nur mannigfach aus, sondern bewies ihm eine fortwährende Freundschaft; gern und oft besuchte er ihn auf dem prächtigen, nahe am Meeresufer belegenen Trannkijörschlosse, wo auch viele andere Mitglieder des Königlichen Hauses häufig einkehrten. Am Kopenhagener Hofe spielte Graf Friedrich eine um so bedeutendere Rolle, da man seinen Einfluß auf den Königlichen Gebieter allgemein kannte. Er war ein kräftiger, stattlicher Mann, lebhaften Temperaments, dem Wohlleben, der Jagd und anderen Vergnügungen leidenschaftlich ergeben. Seine Gemahlin, Louise Charlotte, geborene von Hedemann aus Holstein, schön, fein, verständig und edlen Sinnes, war ihrem Gatten mit zärtlicher Neigung zugethan. Ein Sohn, welcher der Erbe aller Besitzungen geworden wäre, starb gleich nach der Geburt. So blieb Elisa ohne Geschwister.

Sie genoß als Kind der äußersten Sorgfalt und Aufmerksamkeit beider Eltern, eine glänzende Zukunft schien vor ihr zu liegen, alle äußeren Glücksgüter sich ihr in reicher Fülle darzubieten. Alles was zum Schloß gehörte, wollte der kleinen Comtesse seine Zuneigung bezeigen, sechs Tanten wetteiferten mehr noch als sie zu erziehen, sie auf den Händen zu tragen, ihre körperliche und geistige Ausbildung ließ man sich in jeder Weise angelegen sein.

Eine sehr glückliche Wahl traf man in ihrer Erzieherin, Marianne Philipi aus Hamburg, die durch Gemüth und Charakter ausgezeichnet war, und lebenslänglich mit ihrer Pflegebefohlenen in der innigsten Beziehung blieb. Marianne, von jener schlichten Tüchtigkeit, wie sie oft den Hamburgerinnen eigen zu sein pflegt, liebte Elisen mit mütterlicher Anhänglichkeit, und war schon früh bemüht, in einer Umgebung voll Genuß und Zerstreuung, den Sinn ihres Zöglings auf jenen Kern der Dinge aufmerksam zu machen, der so leicht ob ihres äußeren Prunks und Schimmers in solchem Kreise übersehen wird. Den Menschen nach seinem Menschenwerth zu schätzen und zu beurtheilen, und nicht nach Rang und Geburt, in ihrer bevorzugten Stellung bescheiden, frei von allen Vorurtheilen, ohne allen Stolz und Hochmuth zu bleiben, das lernte Elisa von der vortrefflichen Philipi; eine lebhafte Verehrerin Klopstock's, Herder's und Schiller's, suchte diese auch Elisens Theilnahme für die Werke dieser Schriftsteller zu erwecken. Elisens frischer Geist ergriff mit jugendlicher Wärme und Begeisterung diese Lectüre, und lebte neben dem äußeren Leben voll einschmeichelnder Oberflächlichkeit, mit ihrer Erzieherin ein inneres voll ernsten Nachdenkens, sinniger Betrachtung und poetischer Träumerei. Der Genuß der Natur, der großartige Anblick des Meeres, das sie aus den Schloßfenstern beständig in jeder Beleuchtung vor Augen hatte, wirkte mächtig auf sie, und wir dürfen wohl sagen, daß die Stunden, welche sie in solcher Anschauung oder mit ihren Lieblingsdichtern zubrachte, ihr lieber waren, als alle die ausgesuchten Artigkeiten, mit denen man ihr begegnete.

Elisa wuchs heran und die Reize ihrer blühenden Jugend entfalteten sich im Verein mit denen ihres Geistes und Herzens. Sie war mittlerer Größe, von zarter, anmuthiger Gestalt, die schönste Fülle blonder Locken umkränzte ihren schneeweißen Teint, aus den großen, sanften, himmelblauen Augen sprachen Güte, Geist und Liebreiz, die Nase war fein geschnitten, die frisch geschwellten Lippen umspielte ein Lächeln voll milder Freundlichkeit, und die fröhlichste Munterkeit belebte ihre Züge; ihre Hände und Füße zeichneten sich durch ungewöhnliche Kleinheit und Zierlichkeit, so wie durch die vollendetste Form aus; sie schwebte mehr als sie ging, in jeder ihrer Bewegungen war Harmonie und Ebenmaß. Sie tanzte wie eine Sylphide, ritt mit eben so viel Kühnheit als Grazie; begabt mit einer herrlichen Stimme, sang sie mehrmals in der Kirche bei der Aufführung von Oratorien die Hauptparthien. Am Hofe zu Kopenhagen erregte sie Bewunderung durch ihre Liebenswürdigkeit, Schönheit und Anmuth, und von den Mitgliedern des Königlichen Hauses wurde ihr gehuldigt.

Die mannigfaltigen Kreise und Lebensverhältnisse, die sich früh ihrem Auge darboten, schärften ihren Blick, der immer unbefangen und klar die Dinge betrachtete, und schnell lernte sie sich ein eigenes Urtheil bilden. Im Trannkijörschloß war immer ein bunter Menschenverkehr; der gastliche Graf, der Geselligkeit liebte, lud außer den benachbarten Adlichen auch durchreisende Fremde aus allen Ständen an seine prächtige Tafel. Elisa, die sich freimüthig mit Allen unterhielt, machte so Bekanntschaft mit Künstlern, Gelehrten, Militairs, Kaufleuten und Seefahrern, und erweiterte ihren Gesichtskreis, indem sie sich von fremden Ländern, Gegenden und Zuständen erzählen ließ. Ihrer Beobachtung konnte es hiebei nicht entgehen, daß feine Bildung und gründliche Kenntnisse nicht immer vorzugsweise auf Seiten der Vornehmen waren. Eine alte Gräfin aus Holstein, die wenig von ihrem Gut gekommen war, und bei ihrem Besuche auf dem Schlosse, als sie den Mohren des Grafen bei der Tafel aufwarten sah, ängstlich zusammenfuhr und leise fragte: »Färbt der Mensch auch ab?« war wohl nicht das einzige Beispiel von Unwissenheit, welches Elisa unter der hohen Aristokratie wahrnahm, während sie aus dem Verkehr mit dem intelligenten Mittelstand viel mehr Belehrung und Anregung zog. Marianne Philipi hatte, um Elisa vor Eitelkeit zu bewahren, ihr oft versichert, die Herren pflegten junge Damen nur dann mit leeren Schmeicheleien zu unterhalten, wenn sie ihnen nicht Geist und Verstand genug zutrauten, um mit ihnen über ernstere Dinge zu reden. Als daher eines Tages ein vornehmer Herr ihr seine ziemlich faden Huldigungen darbrachte, und sich davon den günstigsten Eindruck versprach, fühlte sich das junge Mädchen bitter gekränkt, und rief in naiver Empörung: »Wie so halten Sie mich denn für so einfältig, daß Sie meinen, mich nicht von interessanteren Gegenständen unterhalten zu dürfen?« –

Wie sehr Elisa überall gefiel, ahnte sie selbst nicht; unschuldig und bescheiden, war sie immer erstaunt und überrascht, wenn ihr irgendwo besondere Verehrung entgegentrat. Daß sie schon von ihrem zwölften Jahre an die zärtliche Neigung eines ausgezeichneten Mannes erregte, beweist uns ein Brief des hannöverischen damaligen Obersten Karl von Alten, der später als Führer der hannoverschen Truppen in Portugal und Spanien sich großen Ruhm erwarb, dann 1815 in der Schlacht von Belle-alliance, wo er eine schwere Verwundung erlitt, sich auszeichnete, und als General in den Grafenstand erhoben wurde. Er starb erst 1840, und sein ehernes Standbild, welches von Kümmel entworfen und 1848 auf dem Waterlooplatz zu Hannover aufgestellt wurde, feiert sein Andenken. Karl von Alten, damals einundvierzig Jahre alt, schrieb an die noch kaum fünfzehnjährige Elisa aus Hamburg den 29. August 1805 die folgenden Zeilen, die eben so viel zarte Achtung als leidenschaftliche Ergriffenheit aussprechen, und von dem Schreiber, wie von der noch so überaus jungen Empfängerin die vortheilhafteste Vorstellung erwecken: »Gnädigste Gräfin! In dem Augenblick, da das traurige Schicksal, das mein Vaterland betroffen, mich veranlaßt dasselbe zu verlassen und nach England zu gehen, hoffe ich Verzeihung zu erhalten, wenn ich Sie, gnädigste Gräfin, mit denjenigen Gesinnungen bekannt zu machen wage, die beinahe seit drei Jahren mein ganzes Wesen erfüllen. Alles das Gute, was ich von allen denen, die das Glück haben Sie zu kennen, erfahren hatte, mochte wohl Veranlassung sein, daß meine erste Bekanntschaft mit Ihnen auch den Grund zu einer Leidenschaft legte, die keine Zeit und keine Abwesenheit hat auslöschen, sondern vielmehr nach einer näheren Kenntniß Ihres fürtrefflichen Charakters zum Nachtheil meiner Ruhe nur zu sehr zugenommen hat. Ihre damalige Jugend, und nachher die mißliche Lage meiner Gesundheit machten es mir zur Pflicht zu schweigen, und meine Empfindungen, so schwer es mir auch ward, in mich zu verschließen. Auch noch jetzt, obgleich diese Hindernisse gehoben sind, und meine Gesundheit längst völlig wiederhergestellt ist, erlaubt mir meine jetzige Lage nicht, etwas Entscheidendes über mein künftiges Glück von Ihnen, noch von Ihren theuren Eltern zu hoffen. Alles was ich jetzt von Ihrer edlen Denkungsart erwarten darf, ist bloß die Versicherung, daß Sie meine freimüthigen Aeußerungen nicht beleidigen, und wenn ich das Glück habe, Ihnen nicht ganz gleichgültig zu sein, mir nicht alle Hoffnungen zu benehmen, im Fall glücklichere Zeiten wieder eintreten sollten. Verzeihen Sie, theuerste Gräfin, die offene, ungekünstelte Sprache eines Soldaten, es war mir aber unmöglich länger zu schweigen, es war durchaus nothwendig zu meiner Beruhigung, daß ich Ihnen mein Herz eröffnete. Nur aus diesem Grunde verspreche ich mir Ihre gnädige Nachsicht, und wenn mein hartes Schicksal es auch wollte, bei Ihnen diejenigen Gesinnungen nicht anzutreffen, die mich zum glücklichsten Menschen machen würden, so hoffe ich wenigstens daß Sie mich Ihrer Achtung nicht unwerth halten werden.« – Elisa war gerührt durch diesen Brief, doch empfand sie keine Neigung für den so viel älteren Mann.

Eine Huldigung ganz anderer Art wurde Elisen zu Theil, als sie im Jahre 1806, sechzehnjährig zum erstenmal einen Ausflug nach Hamburg machte. Sie ging dort an der Seite ihrer Erzieherin über den Jungfernstieg, als ein junger muntrer Matrose ihnen begegnete. Das schöne junge Mädchen, frischer und blühender als die frische, blühende Rose, die er an seinem schwarzen Strohhut trug, mochte ihm wohl besonders gefallen, denn er hob sie wie ein Kind vom Erdboden auf, gab ihr einen Kuß, und setzte sie dann sanft wieder nieder, zu ihrem eigenen großen Schrecken und dem nicht minderen ihrer bestürzten Erzieherin, die dem dreisten Burschen sprachlos nachblickte, als er rasch und vergnügt davon eilte.

Graf Friedrich war ein eifriger Musik- und Theaterliebhaber; er besoldete nicht nur eine große Schaar ausgezeichneter Musiker, die seine beständige Kapelle bildeten, sondern er zog auch ganze Schauspielertruppen zu sich auf das Schloß, die deutsche und französische Komödien aufführen mußten. Er verlangte, daß seine schöne, begabte Tochter dabei mitwirke durch Spiel und Gesang; sie that es, aber sehr ungern, da die Schauspieler ihr durch manche Rohheit und Leichtfertigkeit bald mißfielen, und durchaus nicht den idealen Vorstellungen entsprachen, die sie sich anfänglich von solchen Künstlern gemacht hatte, und es entstand bei ihr eine Abneigung gegen den Schauspielerstand, die sie für immer beibehielt.

So schön und vielversprechend Elisens Jugendleben begonnen hatte, so sollte es doch bald durch manchen Kummer getrübt werden. Zwischen den Eltern entstanden Zwiespalt und Entfremdung in solchem Maße, daß es Elisens Augen nicht verborgen bleiben konnte. Der Vater, vergnügungssüchtig, leichtsinnig und gewohnt sich keinen Genuß zu versagen, machte einen Aufwand, der selbst für die außerordentlichen Mittel, die ihm zu Gebote standen, zu bedeutend war, und seine mannigfaltigen Liebesverhältnisse mußten das häusliche Glück auf das bedenklichste stören. Die Mutter, die ihren Gatten innig liebte, fühlte sich tief gekränkt und unglücklich, sie trennte sich von ihm, und zog nach dem Gute Ludwigsburg, wohin ihr die Tochter folgte. Elisa, die immer besonders zärtlich an der Mutter gehangen, theilte mit ihr Schmerz und Betrübniß, und litt schwer von diesen so traurigen und zerrissenen Verhältnissen.

Nach einem still und zurückgezogen verlebten Winter in Ludwigsburg, beschloß die Gräfin Charlotte, deren Gesundheit etwas zu leiden begann, im Sommer 1808 mit ihrer Tochter nach dem Bade Nenndorf zu gehen. Eine Freundin Elisens, eine junge Engländerin, Namens Fanny Harward, die seit einiger Zeit bei ihnen lebte, begleitete sie dahin.

Mit frischem Jugendmuth, der trotz aller Trübung doch immer wieder fröhlich hervorbrach, sahen die beiden jungen Mädchen dieser Reise entgegen. Wie viel Unerwartetes, Schönes, Abentheuerliches dachten sie sich aus, das ihnen unterweges begegnen könne! Sie wurden nicht müde, sich auszumalen, was ihnen alles Neues und Bedeutsames bevorstehen möchte, und beide waren bereit, alles mit offenem, empfänglichem Sinn aufzunehmen. Diese Vorahnung wurde zum Theil mehr als bestätigt, denn was Elisen betraf, so sollte allerdings ihr Aufenthalt in Nenndorf für ihr ganzes Leben entscheidend werden.

Die Reise wurde gegen die Mitte des Juni angetreten; man kehrte zuerst in Holstein bei Gräfin Charlottens Bruder, dem Gutsbesitzer von Hedemann-Heespen auf Deutsch-Nienhof ein, bei jenem vortrefflichen Onkel Elisens, dem sie immer, mehr noch wie ihrem Vater, zugethan war, und der sich ihrer in der Folge auch stets väterlich annahm; dann verweilte man einige Tage in Hamburg, wohnte einer Revüe bei, welche der damalige Fürst von Ponte-Corvo, der nachherige Kronprinz von Schweden, auf dem Walle über holländische Truppen abhielt, und besuchte die schönen Elbufer. In Hannover wurden die Gärten von Herrenhausen besehen, und als man in Nenndorf anlangte, glaubten Elisa und ihre Freundin schon viel des Interessanten und Hübschen erfahren zu haben.

Wie viel mehr noch sollte ihnen das bunte Badeleben von Nenndorf darbieten, wo sich eine mannigfaltige Gesellschaft froh bewegte! Die verständige Gräfin, ihre reizende Tochter und die muntre Fanny waren überall gern gesehen, man kam ihnen von allen Seiten mit Beeiferung und Freundlichkeit entgegen; sie hörten die Conzerte des dort anwesenden berühmten Violinspielers Kiesewetter, sie tanzten und fuhren spazieren in der angenehmsten Umgebung und heitersten Laune. Einige französische Offiziere, die sich in der Gesellschaft befanden, wußten den jungen Damen in feinster und liebenswürdigster Weise den Hof zu machen, Elisa besonders war immer der Hauptgegenstand aller Auszeichnung.

Eines Tages saß an der Table d'hôte neben Elisen ein ihr bereits bekannter junger französischer Offizier, der sich in ein lebhaftes Gespräch mit ihr vertiefte. Plötzlich geschah es, daß er in dem Eifer der Unterhaltung ihre Hand erfaßte. Elisa erschrack auf das heftigste, und die Berührung war ihr so widrig, daß sie ohne sich zu besinnen in ihrer Angst eine Wasserflasche ergriff, die vor ihr auf dem Tische stand, und vor aller Augen ihre Hand damit begoß und abwusch. Der Franzose sah sie bestürzt an.

Einige an der Tafel sitzende preußische Offiziere hatten aus einiger Entfernung dem Vorgang zugesehen; unter diesen waren Adolph von Lützow, der nachherige berühmte Freischaarenführer, und sein Freund, Gustav von Bornstedt, welcher in der Schlacht von Auerstädt große Proben von Unerschrockenheit abgelegt und nach dem Tilsiter Frieden seinen Abschied genommen hatte. In jener Zeit, wo das Vaterland von Napoleon unterdrückt war und man den Franzosen so vielfältig mit Haß begegnete, war es leicht erklärlich, daß die Preußen die Meinung faßten, die ihnen unbekannte junge Dame wolle durch ihre Handlung ihren deutschen Patriotismus an den Tag legen, und damit ausdrücken, daß ihre Hand ihr durch die geringste Berührung eines Franzosen wie befleckt erschiene, ja, sie waren so erfreut über diesen energischen Haß, für den sie es hielten, daß sie am Nachmittag bei Elisens Mutter um die Erlaubniß anhielten, ihr die Aufwartung machen zu dürfen, um die schöne, franzosenfeindliche deutsche Jungfrau kennen zu lernen.

Sie hatten sich indessen sehr geirrt. Ganz abgesehen davon, daß Elisa eigentlich keine Deutsche, sondern eine geborene Dänin war, so lag es überhaupt durchaus nicht in ihrem Charakter, einem Einzelnen, mit dem sie sich noch eben harmlos unterhalten hatte, und dem sie auch außerdem ganz freundlich gesinnt war, eine so harte Kränkung zuzufügen, und ihn allein ungerechterweise entgelten zu lassen, was seine Nation, oder vielmehr Napoleon an Deutschland verbrochen hatte. Im Gegentheil bedauerte sie, wie sie sich von ihrem Schreck erholt hatte, den Franzosen so verletzt zu haben und suchte sich möglichst bei ihm zu entschuldigen. Dieser Vorfall war es jedoch, der den ersten Anlaß zu Elisens Bekanntschaft mit Adolph von Lützow gab, und noch in ihrem späteren Alter pflegte sie zuweilen scherzend zu sagen, jenem seltsamen Mißverständniß habe sie ihren Gatten verdankt.

Wenn Adolph von Lützow auch nicht die Franzosenfeindin in Elisen fand, die er in ihr erwartete, so fand er dafür besseres in ihr. Wenn auch von Geburt eine Dänin, so war sie doch dem Sinn und Geiste nach eine Deutsche, die deutsche Mutter und die brave Marianne Philipi hatten in diesem Betreff entschiedenen Einfluß auf sie ausgeübt, und viel mehr fühlte sie sich zu den Deutschen hingezogen als zu den Dänen. Mit ihrem warmen Herzen, mit ihrer lebhaften Phantasie hatte sie tief den Druck mitempfunden, der auf Deutschland ruhte, und in ihrem begeisterten Gemüthe fanden die Freiheitshoffnungen, die sich in der ganzen deutschen Jugend mächtig regten, ihren reinsten Wiederhall.

Es war nicht anders möglich, Adolph von Lützow, welcher bereits die Kriege am Rhein mitgemacht, sich in der Schill'schen Freischaar ausgezeichnet hatte, und bei der ruhmvollen Vertheidigung von Kolberg gegenwärtig war, wofür er als Hauptmann schon den Orden pour le mérite erhielt, mußte Elisens besonderen Antheil erwecken. Die Wunden, welche er von Kolberg davongetragen, und deren Heilung ihn nach Nenndorf geführt, durften ihr Interesse für ihn nur erhöhen; sie sah in ihm einen deutschen Krieger, welcher mit ganzer Seele für das Vaterland glühte, das auch sie wie das ihrige liebte.

Adolph von Lützow war damals sechsundzwanzig Jahre alt, von mittlerer Größe; er sah weder regelmäßig schön, noch geistreich und bedeutend aus, aber gutmüthig und angenehm; seine großen blauen Augen trugen den Ausdruck von Treue, Wohlwollen und Bravheit; sein rundes Gesicht war von schlichten blonden Haaren umgeben, ein blonder Bart bedeckte die Oberlippe; das Kinn war kurz und etwas vorspringend. Sein offenes, männliches Wesen durfte gefallen, und ein Zug von soldatischer Munterkeit stand ihm wohl an.

Elisa trat ihm entgegen in der vollen Blüthe ihrer Jugend und Schönheit, eine wahrhaft ätherische Erscheinung, achtzehn Jahre alt, voll Geist, Leben und Frische, mit liebenswürdig kindlicher Unschuld schon ernsten Sinn und tiefere Einsicht verbindend, und jene süße Anmuth, die alles bezauberte, was ihr nahte. Gewiß, sie durfte darauf rechnen, sich viele Herzen zu gewinnen, auch wenn sie nicht die vornehme Grafentochter, die künftige Erbin großer Reichthümer gewesen wäre!

Lützow bezeigte ihr seine Verehrung und Bewunderung auf das lebhafteste; als er sie kennen lernte, hatte er seine Abreise schon festgesetzt, die nach zwei Tagen erfolgen sollte; nun konnte er sich aber nicht entschließen, sich so rasch aus solcher Nähe zu verbannen, und er blieb von einem Tage zum andern.

»Welche von den beiden Damen ist es denn,« fragte ein alter Graf Löwenhielm leise und lächelnd zu Elisen und Fanny gewandt, indem er auf Lützow deutete, »die jenen schnurrbärtigen Offizier dort festhält, der immer morgen abreisen will und immer hier bleibt?« – »Ich nicht!« rief Fanny, aber Elisa erröthete.

Lützow verweilte beinahe drei Wochen und trat immer offener und dringender mit seinen Bewerbungen hervor. Daß er Elisens Neigung erobert, durfte er hoffen, und auch der Gräfin Charlotte wußte er Zutrauen und Wohlwollen einzuflößen. Beide Frauen konnten sich aber nicht verhehlen, welche Schwierigkeiten einer Verbindung im Wege standen, da sie wohl wußten, daß Graf Ahlefeldt sich nicht leicht entschließen würde, seine Tochter außer Landes zu geben, und noch dazu einem jungen preußischen Offizier, der zwar von guter Familie war, tapfer und brav, aber weder durch Rang noch Vermögen die Ansprüche befriedigte, die jener an seinen künftigen Schwiegersohn glaubte machen zu dürfen; in der That fanden sich überall Gelegenheiten zu glänzenderen Parthien. Die zärtliche Mutter freilich konnte der Wahl der Tochter nicht entgegen sein, und fand, daß ein wahres Herzensglück, wie es sich hier darzubieten schien, solchen äußeren Vortheilen vorzuziehen sei. Lützow seinerseits betheuerte, daß er nicht eher ruhen würde, bis alle Hindernisse hinweggeräumt seien, und er Elisen errungen hätte.

So reiste er ab. Bald nach ihm verließ auch die Gräfin Charlotte mit ihrer Tochter und Fanny das freundliche Nenndorf, um nach Pyrmont zu gehen, wo noch eine Nachkur gebraucht werden sollte.

Dort erhielt Elisa den ersten Brief von Lützow; wir theilen denselben, so wie einige folgende mit, da es interessant sein dürfte, Adolph von Lützow, der meist nur als muthiger Offizier und Führer der Freischaar genannt wird, hier als eifrigen Liebhaber und Bewerber kennen zu lernen. Er schrieb ihr aus Welle bei Tangermünde an der Elbe, den 2. August 1808: »Gnädige Gräfin! Nicht allein Eigennutz, etwas von Ihren weißen Händen zu besitzen, veranlaßt mich, Ihnen zu schreiben, sondern ich verbinde noch das Vergnügen damit, mich mit Ihnen unterhalten zu können, und weiß doch gewiß, daß während Sie diese Zeilen lesen, Sie die Güte haben müssen – an mich zu denken. – Meine Reise habe ich bisher glücklich zurückgelegt, der Himmel war klar und unbewölkt, mich konnte dies aber nicht freuen, denn ich kann es nicht ausstehen, wenn alles um mich her heiter ist, während ich mich den Träumen einer zweifelhaften Zukunft überlasse. – Wie ist es Ihnen in Nenndorf gegangen? Ich hoffe, vergnügt, und wünsche doch so herzlich, daß Sie wenigstens den ersten halben Tag nach meiner Abreise nicht ganz froh gewesen sein möchten. So groß ist meine Selbstsucht, daß ich sogar auf Kosten Ihres Vergnügens die Hoffnungen meines Herzens recht sehr ungern getäuscht wissen möchte. – Wie wird es aber in Pyrmont werden? Werden Sie nicht dort, meine innigverehrte Gräfin, über alle interessante Bekanntschaften der blauen Farbe treu zu bleiben vergessen? Die Farbe der Beständigkeit hat, vorzüglich jetzt, tausendfachen Werth für mich, und das Schönste aus Ihren Händen selbst, ohne diese keinen Reiz für mich. – Aber was schreibe ich für dummes Zeug! Sie versprechen mir ein Geschenk, und ich mache schon Bedingungen. Um Gotteswillen, Gräfin, nehmen Sie sich in Acht! – Habe ich nur etwas Hoffnung, so werde ich übermüthig. – Sagen Sie nicht, daß Sie mir nicht abgeneigt sind, dann übertreibt meine Phantasie, dann werde ich unbändig und glaube schon das zu besitzen – was ich herzlich empfinde, aber nicht nennen will, weil es so Viele nennen, ohne es zu empfinden. Ist diese Hoffnung erst zur Ueberzeugung geworden, dann möchte mein lahmes Bein mich umsonst abhalten wollen, den weitesten Weg zurückzulegen, um mein Glück zu erreichen, meine krumme Hand stark genug sein, es festzuhalten, und mein deutsch ehrlicher Kopf die Mittel wohl finden, wodurch es mein werden muß.« –

Lützow täuschte sich nicht, wenn er auf Elisens Treue rechnete; sie hatte mit jener Energie, die ihr in allen wichtigen Lagen ihres Lebens eigen war, fest beschlossen, keinem Anderen als Lützow ihre Hand zu geben.

Auf der Rückreise von Pyrmont wurde Hamburg wieder berührt, und die Reisenden suchten in Altona den Schriftsteller und Arzt, Professor Johann Christoph Unzer auf, mit dem und dessen Gattin sie in Nenndorf zusammengetroffen, und in freundlichen Verkehr getreten waren. Es ist dies derselbe Unzer, welcher mit der schönen, berühmten Schauspielerin Charlotte Ackermann befreundet war, deren Andenken durch Otto Müller's interessanten Roman dieses Namens neu aufgefrischt worden ist. Professor Unzer war damals zweiundsechzig Jahre alt, und starb das folgende Jahr in Göttingen auf einer Reise.

Ende Augusts langte man wieder in Ludwigsburg an, und nun mußte ernsthaft daran gedacht werden, den Vater für die beabsichtigte Verbindung zu gewinnen. Dies war nicht leicht. Unterdessen schrieb Lützow an Elisen aus Treptow, den 1. Oktober 1808: »Ihrer verehrungswürdigen Frau Mutter küsse ich die Hände in Gedanken, und bitte Sie, ihr zu sagen, daß ich mich gerne, um ihren Beifall zu haben, in allen Tugenden üben wollte, aber Geduld – in einem gewissen Punkte, das ist eine Tugend, die ich nicht erreichen werde, und unter uns gesagt, nach der ich nicht strebe. Schlimm genug, wenn das unglückliche Schicksal jemanden so hart prüft, wie mich; wie lange wäre ich nicht schon so kühn gewesen, nach Ludwigsburg zu kommen, aber leider haben es die Verhältnisse nicht gestattet, und was würden Sie von einem Manne denken, der seine Pflicht nicht erfüllt, und wenn ihm dies auch noch so schwer würde.« –

Nach langem Zögern sprach der Vater seinen Willen aus, der aber sehr wenig die Wünsche der Liebenden befriedigte; er war der Verbindung entschieden abgeneigt, und verlangte vor allem, daß Lützow nicht eher nach Ludwigsburg komme, als bis er ihm die Erlaubniß dazu gebe; er wies die Tochter schnöde zurecht, meinte, sie würde es ihm später einmal Dank wissen, daß er so und nicht anders handle; es gebe der schlechten Romane genug in der Welt, er wünsche nicht, daß Elisa sie vermehre, und »z. B. eine irrende Ritterin werde, wie die Ahlefeldten von Saxtorf!« – Das war wenig tröstlich!

Mit immer sich steigernder Sorge und Ungeduld schrieb Lützow aus Berlin, den 1. Januar 1809: »Liebe, gute Elise! Von ganzem Herzen habe ich mich gefreut, einen Brief von Ihnen zu erhalten, ich eile zu danken und versichere, daß mich nichts glücklicher macht, als der Beweis, daß ich noch bei Ihnen in gutem Andenken stehe. Zugleich danke ich für die Abschrift des Briefes an Ihren Vater, was aber das Mißtrauen betrifft, so traue ich so fest, daß ich selbst diese nicht verlangt hätte. Habe ich Mißtrauen, so ist es an meiner eigenen Liebenswürdigkeit, so entspringt es aus dem Zweifel, daß Ihnen ein schlichter, grader Sinn nicht Ersatz genug sein wird für Bildung und feine Welt. – Ich mache mir die Freude Ihnen mein Ideal der Treue zu übersenden1; ich versichere, daß ich in meinem ganzen Leben nicht schlechter als dieser Pudel sein werde, der fest entschlossen ist, und nichts inniger wünscht, als seine liebenswürdige Gebieterin nie zu verlassen. Er ruht auf dem Beweis, daß ich Kraft genug habe, dem, was ich liebe, alles zu opfern.« –

Dieser Verkehr mit dem Entfernten erfüllte Elisens Herz beinahe ausschließlich in dem Winter in Ludwigsburg, den sie wieder still und einsam mit ihrer Mutter dort zubrachte. Lützow schrieb ihr aus Berlin, den 7. Januar 1809: »Wie muß einem Menschen zu Muthe sein, dem sich der Himmel öffnet, er glaubt das höchste Glück erreicht, und wird in den tiefsten Abgrund des Unglücks gestürzt. – Die Natur schuf mich fest und resignirt, doch diesen Wechsel würde ich nie aufhören zu empfinden, er raubte mir das letzte Vertrauen an die Menschen. – Was ein Mensch opfern darf, lege ich Ihnen zu Füßen, mit Ihnen vereinigt, will ich an jedem Ort der Welt glücklich leben. Alle äußeren Verhältnisse will ich zerbrechen, bleibt mir nur die Aussicht meinem Vaterlande noch in meinem Leben einmal nützen zu können. Was wäre ich Ihnen ohne dieses Gefühl, was wäre Ihnen ein Mann ohne feine Politur, wenn diese nicht durch einigen inneren Werth ersetzt würde.« –

Lützow versäumte unterdessen nicht, seinen Eltern, seinen Brüdern und seiner Schwester in Berlin von seiner herrlichen Braut soviel mitzutheilen, daß sie gleich ihm dem Augenblick mit Ungeduld entgegen sahen, wo er sie heimführen würde. Wie sehr er Elisens Werth fühlte, drücken lebhaft die folgenden Zeilen aus, die er ihr aus Berlin den 27. Jan. 1809 schrieb: »Liebe Elise! Sie sind besorgt für mein Glück? Sie verstehen sich wenig auf Ihre eigenen Vorzüge; wer nicht mit Ihnen glücklich ist, dem hat die Natur stiefmütterlich den Stoff der Freude versagt. – Ich bin kein so eifriger Verehrer des Plato, daß die Vorzüge Ihrer Gestalt keinen Eindruck auf mich schwachen Menschen machen sollten. – Ich bin nicht so ernst, daß Ihre frohe Laune nicht auch mich zur Freude umstimmen müßte. Ihre liebenswürdige Aufrichtigkeit gäbe auch einem Greise dieses Prädikat der Jugend zurück. Bei wem nur ein Funke Gefühl für Großes und Edles ist, dem wird Ihr Umgang dies zur erwärmenden Flamme erheben. Wen der Himmel nicht mit einem Staar gestraft hat, der muß täglich neue Vorzüge an Ihnen entdecken und sich glücklich fühlen! – Aber daß diese Eigenschaften nicht zur Geduld einladen, welche Sie, meine schöne Priesterin, predigen, das ist begreiflich, und Ihr Vater, den die erste dieser Eigenschaften schon allein hinreißt, der sollte etwas billiger denken. – Nur für Elise allein will leben Ihr Adolph.« –

Erst als nach einiger Zeit Graf Friedrich selbst nach Ludwigsburg kam, konnten Mutter und Tochter diese Gelegenheit benutzen, ihn etwas günstiger zu stimmen. Die Beständigkeit der Neigung Elisens mochte denn doch wohl Eindruck auf ihn machen, aber er wollte noch nichts festsetzen und verlangte als erste Bedingung, daß Lützow Preußen ganz verließe und nach Dänemark übersiedelte, wo er vielleicht eine Anstellung im Forstwesen oder am Hofe fände, die Graf Friedrichs Einfluß ihm wohl verschaffen konnte. Die Bedingung, Vaterland und Beruf aufzugeben, war hart für Lützow; er schrieb hierüber: »Der Segen, den Ihr Vater über Sie die Güte haben will, auszuschütten, dieser goldene Segen ist hinreichender Grund alle übrigen Forderungen des Vaters als rechtskräftig zu beweisen? – Ich verwerfe diesen kalten Richter! Schon die uralte Fabelzeit übergab dem Weibe die Wage der Gerechtigkeit; ein fühlend Herz muß über das Schicksal der Menschen entscheiden, sprechen Sie das Urtheil! – Muß ich unbedingt dem Willen des Vaters gehorchen? Ihr Wille sei mein Gesetz. Hören Sie aber meinen Vorschlag. Ihr Vater erlaubte uns vielleicht in Ludwigsburg zu wohnen; eine prosaische, ökonomische Untersuchung fände diesen Vorschlag vernünftig, und wir erhielten die gewünschte Einwilligung. Wir reisten, damit ich die Freude hätte, meine Gemahlin meinen Eltern vorzustellen, nach Berlin. – Ich wüßte schon vorher bestimmt, daß man mir Dienste anböte, und ich aus falscher Scham überrascht, nehme diese an, dann bin ich gefesselt. – Glauben Sie, Sie werden von meinen Landsleuten artiger als ich von den Ihrigen empfangen. – Ist dieser Plan auszuführen? entscheiden Sie!« –

Elisa beklagte, den Willen des Vaters nicht ändern zu können; sie verlangte keine glänzende Stellung für ihren Gatten, und versicherte ihrerseits in den bescheidensten Verhältnissen mit ihm glücklich werden zu können. Er antwortete hierauf: »Ich will nie aufhören, Ihr treuer Sclave zu sein, bleiben Sie meine gütige Herrin, welche die Ketten, in die sie mich legte, durch Freundschaft und Liebe zu den süßesten umschuf. – Sie haben zu viel eigenes Verdienst, um das Ererbte höher zu schätzen; es gehört aber viel Geistesstärke dazu, dem Fehler des Zeitalters, der Sucht zu glänzen, zu widerstehen. Wenn der Vater Fürst ist, wird der Tochter ein fühlend Herz Ersatz genug für äußeren Glanz sein? Meine Vorfahren haben zwar das Herzogthum Verona besessen, mir aber, gute Elise, bleibt nichts übrig als die Leiter, welche diese Stadt und ich im Wappen führen. Doch eine Leiter ist genug für mich, ist mir das Glück beschieden, damit Ihr Herz zu erstürmen, und versichern Sie, daß das, was ich besessen habe, mir durch keinen entrissen werden kann. Geben Sie mir diesen Trost, und ich bin glücklich. Adolph.« –

Da zuletzt nichts anderes übrig blieb, entschloß sich Lützow einstweilen Preußen zu verlassen, nahm seinen Abschied, und erklärte sich bereit, dem mißtrauischen Grafen Friedrich alle darauf bezüglichen Papiere, unter denen auch Königliche Kabinetsschreiben, die sehr zu seinem Vortheil sprachen, mitzutheilen; allein trotzdem versagte der Vater noch immer seine Einwilligung. Lützow schrieb darüber aus Schöneiche, den 27. Juli 1809: »Aus Deinem letzten gütigen Schreiben habe ich leider ersehen, daß Dein Vater fortfährt, sich unserer Verbindung zu widersetzen. Wie hart von ihm, zwei Wesen zu trennen, welche wahrhaftig für einander geschaffen sind, wie hart von ihm, uns in diesem Augenblick trübe Tage der Einsamkeit verleben zu lassen, da wir so glücklich mit einander sein könnten! – Deinem Vater habe ich keine Gelegenheit zur Unzufriedenheit gegeben. Das Aeußere habe ich menagirt, und sonst haben Leute von Gefühl dieselben Gesinnungen, wenngleich das Alter klüglich schweigt, wo die Jugend aufbraust. Genug von Verhältnissen, die waren und nicht wiederkehren können. Glücklich der, dem das Glück beschieden, sie in so zärtlichen Armen wie die Deinigen zu vergessen. – Wir wollen eine Welt für uns im Kleinen bilden und die große vergessen, welche nicht einmal die Gefühle eines Mannes zu würdigen versteht, viel weniger nachzuahmen weiß. Du aber wirst mich verstehen, wir werden uns gegenseitig schätzen und glücklich sein! Wie kamst Du in Deinem Lande zu solcher Freiheit von Vorurtheilen?« –

Lützow reiste nun nach Königsberg, um vom König die Erlaubniß nachzusuchen, in fremde Dienste treten zu dürfen. In einem Briefe von dort vom 6. September 1809 drücken sich seine kräftige Gesinnung und seine Ansichten über die Umgebung des Königs so entschieden aus, daß wir nicht unterlassen können, ihn mitzutheilen; er lautet: »Meine beste Elise! Dein Brief war mir ein wahrer Trost in der Wüste. Königsberg bleibt für mich eine Wüste, denn was ist die schönste Gegend ohne Bewohner, und was helfen uns Menschen, wenn nicht gleiche Charaktere uns verbinden. Liegt es an mir, kurz, ich gefalle mir nicht hier. Ich finde hier dieselben Leute, mit welchen ich in Potsdam lebte, als ich bei der Garde stand. – Die Umgebungen des Königs sind mit weniger Ausnahme dieselben, und das herbe Schicksal hat sich umsonst erschöpft, ihnen die Augen zu öffnen. – Das Corps Offiziere der Garde, welches die ganze Campagne durch beinah nie vor dem Feinde gewesen, ist schwach genug zu glauben, es sei ein größeres Verdienst bei dem Könige zu leben, als für ihn zu sterben. – Die Menschen hier sind in zwei Partheien getheilt und hassen sich auf eine fanatische Art; und dennoch sind beide Theile sich völlig gleich, denn jeder liebt nur sich selbst. – Die eine Parthei sucht zwar durch einen sogenannten Patriotismus sich einen Werth zu geben, die andere setzt in eine kalte Klugheit ihren Werth, beide sind aber darin gleich, daß sie mit einem Heißhunger jeden einträglichen Posten zu verschlingen suchen. – Keiner weiß, was ich eigentlich hier will, denn etwas für sich zu suchen und zu bitten, natürlich, darum kann man nur in Königsberg sein. – Daß ich mir die Sache eigentlich besehen will, wie man in die Komödie geht, ohne selbst Lust zu haben, etwas vom Gehalte des Schauspielers zu erwischen, das glauben sie nicht. – Oefters stoßen sie sich auch an und glauben, ich sei verrückt, wenn ich deutlich zu erkennen gebe, daß fürchterliche Ordenssterne himmelweit von großen Verdiensten verschieden sind. – Die Frau, deren Mann der Zufall früh einen tiefen Blick in den Glanz der großen Welt thun ließ, braucht nicht zu besorgen, daß er das stille häusliche Glück diesem Prunke zurücksetzen werde. Am wenigsten dann, wenn sie eine Elise ist, und so zärtlich von ihrem Gemahl geliebt wird, als Du von Deinem Adolph.« – Die Betheurungen, die Verheißungen der Beständigkeit, die er hier und an so vielen anderen Stellen so verschwenderisch aussprach, sie mögen ihm später, wenn er ihrer gedachte, manchmal schwer auf die Seele gefallen sein! –

Elisa fühlte, daß endlich eine Entscheidung erfolgen müsse, und reiste nun zu ihrem Vater nach Langeland, und dort scheinen ihre Vorstellungen ihn endlich bestimmt zu haben, in ihre Wünsche zu willigen. Nach langen Verhandlungen, die den Liebenden endlos vorkamen, waren endlich alle Verhältnisse geordnet, und Lützow eilte zu seiner Braut, die so treu und unerschütterlich an ihm festgehalten hatte, und die den 20. März 1810 die Seine wurde. –

Bald nach der Hochzeit reiste Lützow mit seiner jungen Frau nach Berlin, um sie seiner Familie vorzustellen. Sie gewann bald deren Zuneigung, und besonders schloß sich Lützow's jüngster Bruder Wilhelm ihr mit brüderlichem Zutrauen und unbegränzter Verehrung an. Das Leben in Berlin machte auf Elisa den günstigsten Eindruck; sie besuchte den Hof, der aber bald nach ihrer Ankunft durch den Tod der Königin Luise in Trauer versetzt wurde; in den sonstigen geselligen Kreisen knüpfte sie manche interessante Bekanntschaft an, und befreundete sich auf das herzlichste mit dem Philosophen Solger und seiner Frau. Sie besuchte auch das Theater, und erfreute sich der vortrefflichen Darstellungen classischer Stücke, die durch das ausgezeichnete Spiel Iffland's und der Bethmann besonders anziehend waren. Nur die Ungewißheit ihrer Lage hatte etwas Störendes; Lützow war noch immer ohne Thätigkeit, nach der er doch so sehr verlangte; da sich eine dänische Anstellung nicht sogleich erwirken ließ, so war die Rede davon, ob er ein Gut in Langeland übernehmen solle; doch er und Elisa wünschten lebhaft, in Preußen bleiben zu können.

Unterdessen hatten die schlimmen Zeiten, und zugleich der Aufwand, den er machte, Elisens Vater in mancherlei Verwicklungen gebracht, und der Ertrag seiner Güter verminderte sich immer mehr. Die großen Einkünfte, die Elisen bestimmt waren, mußten unter solchen Umständen ausbleiben.

Nach zwei Jahren peinlicher Spannung rief ein trauriges Ereigniß Elisen plötzlich in die Heimath zurück: ihre Mutter war durch den Kummer über den Gemahl, die Trennung von ihrer einzigen, ihr so theuren Tochter und die unglücklichen allgemeinen Zustände sehr niedergedrückt, ihre Gesundheit litt, und sie starb den 30. März 1812 zu Kopenhagen.

Das war ein Schmerz für Elisen, den sie ihr ganzes Leben lang fühlte; sie konnte sich nicht trösten, und nach langen Jahren noch gestand sie, daß die Zeit ihre Betrübniß nicht zu lindern vermöge. Vor Kummer verlor sie plötzlich ihre schöne Stimme, und nie konnte sie wieder singen.

Mit den traurigsten Gefühlen kehrte Elisa in der Begleitung Lützow's, der ihr nach Kopenhagen gefolgt war, um sie abzuholen, nach Berlin zurück. Hier sollten bald neue unerwartete Umstände ihr Leben zu einem unruhigen und wechselvollen machen.

Das Jahr 1813 begann, und mit ihm jene denkwürdige Zeit unserer Geschichte, die ewig unvergessen dastehen wird. Des Königs Friedrich Wilhelm des Dritten Ruf zu den Waffen: »Die Jugend meines Volkes rüste sich zum Schutze des Vaterlandes!« schlug wie ein Blitzstrahl in die aufgeregten Gemüther, und in den hochfliegenden Geistern ging die Hoffnung auf, das geliebte Vaterland von fremder Unterdrückung zu befreien, und ihm zugleich eine Freiheit im Inneren zu gewinnen, wie es sie nie zuvor besessen.

Lützow brannte vor Ungeduld wieder in Dienst zu treten; die Begeisterung seiner Gattin entflammte und steigerte noch die seinige. Es ist bekannt, wie er als Major jene Freischaar bildete, welche eine so wunderbare und eigenthümlich gemischte Genossenschaft ausmachte, und von Geschichtschreibern und Dichtern so vielfach gefeiert wurde.

Lützow eilte nach Breslau, um dort seine Truppen anzuwerben. In dieser Stadt war ein so großer Zusammenfluß von Menschen, daß Lützow in den ersten Tagen, ehe sich später im Hotel zum »Scepter« Platz fand, für sich und Elisen kein anderes Unterkommen erlangen konnte, als in einer ganz geringen Schenke.

Während ihn seine Geschäfte außerhalb des Hauses in Anspruch nahmen, übertrug er Elisen, die sich zum Kriegsdienst meldenden Freiwilligen anstatt seiner zu empfangen, und sofort anzuwerben. Dort nahm sie, da kein anderer Raum vorhanden war, in einer elenden Bierstube mit hölzernen Bänken jene stürmische Jugend auf, die sich zum Befreiungskampf herandrängte.

In dieser ärmlichen Umgebung erschien den jungen Leuten die schöne, edle, von den lebhaftesten Vaterlandsgefühlen beseelte Frau wie ein höheres Wesen, von dem sie wie bezaubert wurden, ja, wie der Genius der Freiheit selbst, der ihnen ihre Bahn anwies und ihnen Todesmuth und Opferfreudigkeit verlieh. In der That war Elisens ganzes Wesen in jener großen Zeit wie von einem ungewöhnlichen Glanze verklärt; sie liebte ihren Gatten treu und warm, aber jene höchste Höhe feurigster Leidenschaft und extatischster Begeisterung, wie sie sie damals an den Tag legte, konnte ihre große Seele nie für einen einzelnen Menschen, sondern nur für ein mächtiges Weltgeschick, für Vaterland, Freiheit und Poesie empfinden. Hier floß alles zu Einem Brennpunkt zusammen, die Geschichte selbst schien einer wunderbaren Dichtung gleich, die Dichter griffen mit zum Schwerte, und der Donner der Schlachten vereinigte sich mit ihren enthusiastischen Vaterlandsgesängen.

In der kleinen, ärmlichen Schenke zu Breslau wurden viele Tapfere von Elisen angeworben; zu diesen gehörte auch Theodor Körner, der von Wien herbeigeeilt, und so viele Andere, die sich ihr mit Verehrung anschlossen und ihr für immer ergeben blieben.

Bald nach Theodor Körner's Eintritt in die Schaar sollte dieselbe im Mai in dem Dorfe Rogau bei Zobten feierlich den Eid der Treue ablegen, und in der Kirche eingesegnet werden. Der junge feurige Dichter, der zu dieser Festlichkeit ein Lied gedichtet hatte, das als Choral vorgetragen werden sollte, war in der äußersten Verlegenheit, weil der Schneider ihm trotz aller Vorstellungen betheuerte, er sei so mit Arbeit überhäuft, daß es ihm unmöglich falle, ihm bis dahin seine Uniform anzufertigen. In der Verzweiflung eilte Körner zu Elisen, und klagte ihr sein Mißgeschick. Diese zeigte auch bei diesem Anlaß, wie bei vielen größeren, ihre gütige und hülfreiche Fürsorge. »Niemand als Sie, gnädige Frau,« rief Körner, »kann mir helfen, Sie aber vermögen alles!« Auf sein dringendes Ersuchen versprach ihm Elisa, selbst zu dem Schneider, der zufällig in dem Hofe ihres Hauses wohnte, zu gehen, und ihn selbst um die Anfertigung der Uniform zu bitten. Sie that dies denn auch wirklich, ging in die Werkstatt des Schneiders, und stellte ihm die Begeisterung und Ungeduld des jungen Mannes vor, so wie seine Betrübniß, wenn er bei dem Feste fehlen müßte. Der Schneider war so entzückt und hingerissen von der holden, liebenswürdigen Frau, daß er ihr verhieß, er wolle die Nächte zu Hülfe nehmen, und die Uniform zur bestimmten Zeit liefern. Nicht nur hielt er Wort, zur größten Freude Körner's, der Elisen für die glückliche Entscheidung, die sie herbeigeführt, lebhaft dankte, sondern so sehr hatte die letztere den einfachen Handwerker begeistert, daß er sich selbst sogar eiligst noch eine Uniform nähte, und gleichfalls in die Freischaar mit eintrat. –

Nie ist Schiller's Ausspruch: »Schöne Seelen wirken durch ihr Sein« mehr bestätigt worden als durch Elisen; der Einfluß, den sie auf die ganze Freischaar ausübte, war ein ungeheuer; man versteht erst recht den Geist; welcher diese jungen feurigen Helden beseelte, die aus den ausgezeichnetsten Männern, aus Künstlern, Aerzten, Geistlichen, Dichtern, Lehrern und Naturforschern, aus Vornehmen und Geringen seltsam gemischt waren, diese Verbrüderten, die zum großen Theil jenem deutschen Bund angehörten, der mit kühnen Planen umging, diese Schwarzen, welche nur diese und keine andere Farbe trugen, weil sie damit ausdrücken wollten, daß das deutsche Leben noch verfinstert sei, diese ganze Schaar, welche eben so richtig von Theodor Körner die »wilde, verwegene Jagd,« als von Karl Immermann die »Poesie des Heeres« genannt werden konnte, diese ganze Gestaltung versteht man erst recht, wenn man weiß, daß eine reizend schöne, von den kühnsten Idealen beseelte Frau ihren Mittelpunkt bildete, und die Herzen entflammte. Darum waren die Schwarzen ebenso gesittet als muthvoll und tapfer, ebenso poetisch gefühlvoll als hartnäckig im Kampfe. Indem sie sich »die Lützower« nannten, trugen sie ja auch Elisens Namen, und ihr wollten sie Ehre bringen, wie dem Vaterlande; ein Blick Elisens stimmte sie zu ihren Liedern, und trieb sie todesfreudig in den Kugelregen; wie in den alten Ritterzeiten stritten sie zugleich für die gute Sache und für den Ruhm ihrer Dame.

Elisa war so durchaus edel, daß sie gewissermaßen alles um sich her zwang, nur edle Empfindungen für sie zu hegen, aber diese steigerten sich denn auch bei der Mehrzahl zur innigsten Verehrung und Freundschaft, ja zur Anbetung. Sie war keine wilde Amazone, sie blieb immer zart und mild und weiblich, aber durchglüht von dem reinsten Feuer der Begeisterung. Dürfen wir Lützow, den braven, tapferen Führer, dem seine ganze Schaar, wenn er auch nicht immer so rasch in seinen Unternehmungen war, als diese brausende Jugend es wünschen mochte, mit Liebe und Hochachtung anhing, das kräftige Schwert der Schaar nennen, das wacker dreinschlug, und dem alles nacheiferte, so war Elisa dagegen der Geist, der sie beherrschte, und über sich selbst hinaushob.

Elisa hielt sich immer in möglichster Nähe des Kriegsschauplatzes auf; bei den häufigen schweren Verwundungen, welche Lützow erlitt, kam sie gleich herbei, und pflegte ihn mit aufopferndster Treue und Liebe; auch viele der anderen Verwundeten pflegte sie mit ihren eigenen Händen, und erschien bei den leidenden Kriegern wie ein hülfreicher Genius, voll zarter Sorgfalt, tröstend und wohlthuend. Wie sie die Lebenden ermuthigte, betrauerte sie die Gefallenen auf das tiefste.

So sehr strebte jeder danach von Elisen geachtet zu werden, daß, als ein Offizier eine Verpflichtung, die er gegen einen andern hatte, nicht erfüllen wollte, dieser letztere sich an Elisen wandte, mit der Bitte, sie möchte jenen doch daran mahnen, dann würde er es thun, da er doch noch nicht so sehr ohne Ehrgefühl sei, um ertragen zu können, vor ihren Augen so schlecht zu erscheinen.

Viele Siegesbeuten, die gemacht wurden, schenkten die Lützower Elisen, da sie dieselben in ihren Händen am liebsten sahen. Lützow selbst gab ihr mehrere solche; noch im letzten dieser Feldzüge, im Jahre 1815, als nach der Schlacht von Belle-Alliance der Lieutenant Leo Palm der Erste war, der in den eroberten Wagen Napoleons hineinstieg, verschmähte dieser von den vielen Schätzen, die sich darin befanden, etwas für sich zu nehmen, aber zwei Gläser und ein paar Handschuhe des Kaisers überbrachte er Elisen als Andenken. Sogar ein auf dem Schlachtfeld gefundener großer Hund von seltener Schönheit wurde ihr geschenkt, und ist viele Jahre lang ihr treuer Begleiter geblieben.

Werfen wir nun einen Blick auf die Männer, aus denen die Freischaar gebildet war; wir finden da viele Gestalten von besonderer Eigenthümlichkeit, viele, welche sich Namen und Ruf erwarben. Da war der wunderliche Alte im Bart, der Turner Friedrich Ludwig Jahn, der »erste deutsche Freiwillige,« wie er genannt wurde, mit seiner Devise: »frisch, frei, fromm, fröhlich«! Theodor Körner, der edle Dichter, welcher kämpfend dichtete, und dichtend fiel in der Blüthe der Jugend; der mehr als siebzigjährige Rittmeister von Fischer, die komische Figur unter ihnen, der die Listen des Odysseus geerbt zu haben schien, und der mit einem alten Richtschwert bewaffnet einher ging, weil ihm kein anderes groß genug war; dann Peter Beuth, welcher sich seltsam gerüstet hatte, Lützow's Brüder Leo und Wilhelm, sein Schwager Graf zu Dohna, die braven Petersdorff's, Palm, Thümmel, Helmenstreit, Ennemoser, Kruckenberg, Reil, Eckstein, Dorow, Berenhorst, Karl Müller, Meckel, Friedrich Förster, August von Vietinghoff, der Freund von Friedrich Friesen, und endlich Friedrich Friesen selbst, der edle, schöne, blonde Jüngling, mit den feinen, fast mädchenhaften Zügen, welcher von allen, die ihn kannten, heiß geliebt wurde, »an Leib und Seele ohne Fehl, voll Unschuld und Weisheit, beredt wie ein Seher, eine Siegfriedsgestalt von großen Gaben und Gnaden«, wie ihn Jahn beschreibt, »ein lichter Schönheitsstrahl«, wie Arndt von ihm gesungen. Sein früher Tod in den Ardennen, und die Ausdauer, mit welcher sein Freund Vietinghoff seine Ueberreste aufsuchte, getreu seinem Wort, ihn in deutscher Erde bestatten zu lassen, ist vielfach bekannt geworden.

An Friesen, Palm, Friedrich von Petersdorff und Thümmel, einem Verwandten des bekannten Schriftstellers, gewann sich Elisa Freunde für das ganze Leben. Sie und Friesen fühlten sich auf das innigste zu einander hingezogen, es bestand eine schwärmerische Freundschaft zwischen ihnen, sie waren sich ihrem ganzen Wesen nach verwandt, in Friesen fand Elisa eine Seele, die dem hohen Flug der ihrigen folgen konnte.

Da wir keine Kriegsgeschichte schreiben, so kann es nicht unsere Aufgabe sein, die übrigens vielfach bekannten Schicksale der tapfern Lützow'schen Freischaar hier einzeln vorzuführen. Als den 16. September 1813 das Gefecht bei der Görde stattfand, wo Lützow lebensgefährlich verwundet wurde, eilte Elisa gleich zu ihm, um sich ganz seiner Pflege zu widmen.

Wir lassen nun einen Brief von Friedrich Friesen an Elisen folgen vom 30. October 1813, in welchem er ihr die tödtliche Erkrankung seiner Mutter meldete. Er lautet: »Das inliegende Blatt sagt Ihnen, theure Frau, mein Unglück. Ich versuche vergeblich mich frei zu halten. Sie verstehen meine Scheinruhe, weil Sie männlichen Gleichmuth besitzen, und feinfühlend sich in das Wesen Andrer versetzen.

»Wenn Fremde sich in unsre Lage fühlen,

Sind sie wohl näher als die Nächsten uns verwandt.«

Mich erfreut und stärkt Ihre Theilnahme, der ich gewiß bin. – Ich verliere eine wackere Mutter, der ich unendlich viel verdanke. – Sie haben mich schreibend gefunden. Erhalten Sie mir Ihre Güte, und lassen Sie dieses Blatt und mein offenes Geständniß, dessen ich mich gegen Sie nicht schäme, ein harmloses Geheimniß sein. – Ich bin nicht gewöhnt mit meiner Lage, mit meinen Wünschen und meinem Unglück zu stören, aber von Ihnen erwarte ich weder Vorwurf noch von mir Reue – die bei Fehlgriffen schmerzlich kränkt. Friesen.«

Friesen eilte nun athemlos nach Berlin, wo er seine Mutter noch lebend antraf, und ihr in ihren letzten Augenblicken beistehen konnte. Nach ihrem Tode schrieb er Elisen aus Berlin, den 6. November 1813: »Meine Freunde suchen meinen Schmerz durch ihre wahrhafte Theilnahme zu mindern. Ich erkenne das mit Dank. Ihnen aber, theure Frau, fühle ich mich besonders verpflichtet für Ihren Zuspruch und Trost. – Unglückliche sind mißtrauisch, gegen Sie bin ich es nicht. Tiefes Gefühl, eigener Verlust, und die unverkennbare Wahrheit Ihres Wesens verbürgt mir Ihre Mitempfindung, und Ihnen die Gewißheit meiner Anerkennung. – Wie geht es Ihrem Gemahl? – Ich bitte Sie recht dringend, versuchen Sie alles ihn seinen Freunden in wahrer Gesundheit zu erhalten, wenn noch eine Prüfung von Muth und Ausdauer beschlossen sein sollte. Ich weiß, was ich von Ihnen fordere und was Sie der Zeit opfern – aber ich kenne Sie, um gewiß zu sein über vieles, was Sie mit Selbstverläugnung und edlem Stolz gegen das Schicksal über sich vermögen. In der jetzigen Zeit wird der Begriff wahrer Weiblichkeit dem ungetrübten Blick erst klar und verständlich. Ich denke an Sie mit unbedingtem Vertrauen. – Ich versuche mich aufzurichten, und freien Blickes in die Zukunft zu sehen, und des eigenen Unglücks zu vergessen, oder es doch mit ruhiger Besonnenheit zu tragen. – Mir ist nicht wohl. – Denken Sie meiner. Ich verehre in Ihnen das erfreuliche Bild einer Frau, die nicht in der Zeitbildung befangen, ein schönes Leben in ruhiger Würde lebt. Friesen.«

Diese wenigen Zeilen, die wir um so lieber mittheilen, da wir wissen, wie besonders theuer Friesen allen seinen Waffengenossen war, sie charakterisiren genau das edle Verhältniß, welches zwischen ihm und Elisen bestand, und zeigen ein feines, tief empfindendes, liebenswürdiges Gemüth.

Wie die Freischaar in's Holsteinische eingerückt war, schrieb Friedrich von Petersdorff an Elisen vom Vorposten zu Syke bei Oldeslohe, den 8. Dezember 1813: »Wir hoffen noch immer, daß mit Dänemark thätig am Frieden gearbeitet wird, und daß dieser Krieg, der nicht unmittelbar gegen den Erbfeind geht, bald geendigt sein werde. – Vergessen Sie uns nicht, liebe, gute Elisa, und rechnen Sie es nicht uns an, wenn Ihre Landsleute etwas hart mitgenommen werden, wir steuern, was wir können, dankt Adolph doch dem Lande das Glück seines Lebens, und ich das Glück der göttlichen Freundschaft. Ihr Friedrich.«

In der Nacht des 15. März 1814 war es Elisen als träte Friesen vor ihr Bett, und zeige ihr eine tiefe Wunde, die er erhalten habe; bewegt und erschrocken rief sie ihr Mädchen herbei, ob sie die blutige Gestalt dort nicht stehen sehe; diese sah jedoch nichts. Fünf Tage später, an ihrem Hochzeitstage, erfuhr Elisa, daß Friesen damals grade, als sie geglaubt hatte, ihn zu sehen, geblieben war. –

Sie war tief ergriffen. In einem kleinen Notizbuche, welches sie bei sich führte, finden wir dieses Ereigniß mit den kurzen, aber schmerzlichen Worten bezeichnet: »Der erste und beste Mann, Deutschlands Stolz und das höchste Glück seiner Freunde, verlor auf die schrecklichste Weise sein Leben.«

Auch Lützow, dessen Adjutant er gewesen war, betrauerte ihn schmerzlich, und äußerte, von allen Menschen, die er kennen gelernt, sei Friesen derjenige, welcher am wenigsten zu missen sei, und an dem das Vaterland am meisten verliere.

Wir können nicht umhin, hier eine Schilderung anzuführen, welche Karl Immermann im zweiten Bande der »Epigonen« von Elisen entworfen hat. Immermann ließ seine Heldin nicht die Freundin, sondern die Geliebte Friesens gewesen sein, und sie, anstatt Vietinghoff's, jenen Sarg mit seinen Ueberresten bei sich aufbewahren. Diese und noch einige andere kleine Abweichungen, welche der Roman erforderte, wird der Leser leicht herauserkennen, außer diesen aber Elisens Bild wie in einem Spiegel wiederfinden.

Es ist von der Zeit des Befreiungskrieges die Rede.

»Sie war die hohe Brautwoche, der süße Honigmonat meines Lebens! rief Johanna und ihre Augen glänzten. Ich war zwanzig Jahre alt, auf meines Vaters Schlosse erwachsen, der, wie ihn die Leute auch beschelten mögen, mir ein guter Vater war, und mich aufstreben ließ, frei und ungezwängt, gleich den Tannen in unserm Park. An seiner Seite zu Pferde, oder im leichten Jagdwagen, wenn der Hirsch verfolgt wurde, war es mir oft, als müßten Flügel mir an beide Schultern wachsen, so leicht und rein rollte in mir das muthige Leben! Daheim horchte ich den Erzählungen der Reisenden und klugen Männer, welche meinen Vater besuchten, und von fremden Ländern und Menschen sprachen, oder ich las Geschichte mit meiner alten, würdigen Erzieherin. Denn, Dank sei es denen, welche über mein Geschick geboten, nichts Gemeines und Eitles durfte mich berühren, und ich erinnere mich noch, daß in meinem Zimmer der Spiegel fehlte. Welt und Vorzeit umgaben mich wie ein schönes, sinnvolles Mährchen, in dessen Mitte ich, allen Helden und Weisen vertraulich nahe, liebe Tage hinspann.«

»Nun erschien jener große Winter mit seinen Eis- und Leichenfeldern, mit seinem Stadt- und Herzensbrande! Meines Vaters Entschluß war sogleich gefaßt, als die ersten Zuckungen des wiedererwachenden Lebens sich verspüren ließen. Obgleich, nach der Sitte seiner Jugend, gern die fremde Sprache redend, war er ein deutscher Mann und Edelmann geblieben; sein Herz hatte bei dem Jammer des Vaterlandes oft geblutet. Wir zogen, damit er thätiger eingreifen könnte, auf eine Zeitlang nach der großen Stadt, welche der Heerd des heiligen Feuers war. Was schwatze ich Ihnen vor? Sie waren ja selbst dabei, haben selbst die Waffen getragen. Welche Tage! Welche Gefühle! Nun waren Rom und Griechenland und die Ritterzeit kein Mährchen mehr für mich, alles Größte strahlte wiedergeboren im grünen, frischen Lichte mich an. Mein Mädchenherz wollte mir oft die Brust zersprengen, wenn ich bis Mitternacht, ja bis an den frühen Morgen die Binden zuschnitt, welche das Blut der Wunden hemmen sollten. Ich weinte, daß mein Vater reich war, daß ich nicht auch mich genöthigt sah, mein Haupthaar auf dem Altare der allgemeinen Begeisterung zu opfern. Nie, nie kann ich das vergessen, und wenn die ganze Welt umher in Zweifel und Klügelei starr wird, so soll der Busen einer armen Frau wenigstens ewig das Fest der Erinnerung feiern!«

»Sie war aufgestanden und ging mit großen Schritten durch das Zimmer. Ihre Züge hatten sich verklärt, sie glich einer Priesterin, einer Velleda. Nach einer Pause, während welcher ihr Antlitz vom herrlichsten Angedenken wie durchsichtig zu werden schien, stand sie still und rief: Ja, wenn es eine Liebe je auf Erden gegeben hat, so habe ich geliebt! Und o des Glücks! Die zärtlichste Empfindung war nur eins mit der heiligsten und größten! Im Waffenschmuck trat er mir entgegen, dem Kampfe sich entgegensehnend, in den er nach wenigen Wochen zog. Mild war er und edeln Zornes zugleich voll, nie hat ein reineres tugendhafteres Herz unter dem Rocke des Kriegers geklopft. Er war wie ein Verschlagner von einer fernen seligen Insel unter uns Andern. Die Augen pflegte er zu senken, als erliege seine Seele unter ihrer eignen Größe. Stumm war unsre Liebe und ohne Erklärung. Nur, als ich ihm beim Abschiede die Feldbinde reichte, verstanden sich unsre Blicke. Er zog dahin und ich sah ihn nicht wieder.«

»Er trug, wie alle jugendliche Frühlingsherzen, die Todesahnung im Busen. Sein einziger Wunsch war, in deutscher Erde zu ruhn, er schauderte vor dem Gedanken, fern unter den Fußtritten des feindlichen Volkes vermodern zu müssen. Das Schicksal ist oft grausam, es kann uns nicht allein das Leben, wie wir es wünschen, sondern auch den Tod, wie wir ihn zu sterben würdig gewesen wären, versagen. Nicht in einer der großen herrlichen Befreiungsschlachten fiel mein Freund, nein, vereinzelt, seiner Schaar nachgeblieben, wurde er von umherstreifendem Gesindel auf dem fremden Boden erschlagen. Ich erfuhr seinen Tod, noch ehe die Nachricht davon zu mir gelangte. In der Nacht aus tiefem Schlummer ohne vorhergegangnen Traum emporschreckend, sah ich das blutige Haupt des Ermordeten am Fuße meines Lagers aufsteigen, und alsobald auch wieder verschwinden. Augenblicklich wußte ich um meinen ungeheuren Verlust, aber zugleich durchdrang mein Herz ein unvergänglicher Trost, der es so ganz erfüllte, daß ich mich kaum erinnere, damals geweint oder sonst getrauert zu haben. Nur jetzt, nach manchem Jahre fließen meine Thränen zuweilen. Als die Ruhe hergestellt war, beschäftigte uns Alle, die wir ihn geliebt hatten, sein Wunsch. Ein treuer Gefährte seiner Tage machte sich endlich in der Stille auf, scheute nicht Mühe noch Gefahr unter dem noch immer schmerzlich empörten Volke, fand die Grube, in welcher man den Körper verscharrt hatte, kaufte die theuren Reste los, und brachte sie in die Heimath.«

»Sie näherte sich einer schmalen, länglichen Kiste, welche in der Ecke des Gemachs stand, öffnete sie und warf sich mit Lauten des tiefsten Schmerzes über sie. Hermann trat hinzu und fuhr zurück; ein menschliches Gerippe starrte ihm aus der Kiste entgegen. Warum erschrickst Du? Was macht Dich zu fürchten? rief sie. Dies ist mein lieber, mein einziger Freund, den ich nun wiederhabe, und nicht von mir lasse. Betrachte den holdseligen Mund, die guten, schönen Augen, die denkende Stirn! Nun ruht er, umweht vom Hauche der Liebe, nun ist ihm wohl!«

»Theure, warum gaben Sie der Erde nicht wieder, was der Erde gehört? fragte Hermann, als er sich einigermaßen von seinem Erstaunen erholt hatte.«

»Sie versetzte nichts. Mit den zärtlichsten Namen rief sie den geschiedenen Freund, schmeichelnd strich sie über den kahlen Schädel, ihre Lippen küßten die leeren Augenhöhlen. Dazwischen führte sie Reden, deren Sinn und Bedeutung Hermann nicht verstand. Sie sprach von dem Vampyr, der, auferstandne Leiche, umhergehe, und den Lebenden das Blut aussauge, und beschwor die Gebeine des Todten, sie wie bisher, so auch ferner vor dem Schreckniß zu schützen.« –

Im Sommer 1814 hielt sich Elisa eine Weile mit Beuth's Mutter in Kleve auf, dann bezog sie ein Landhaus vor der Stadt, wo Lützow mit seinen Kameraden sie Abends zu besuchen pflegte; unter den schattigen, grünen Bäumen, in einer freundlichen Natur kam dort bei Elisen ein Kreis zusammen, bestehend aus Palm, Karl und Friedrich von Petersdorff, Wilhelm von Lützow und Andern, die alle noch spät mit Entzücken von der reizenden Geselligkeit erzählten, die Elisa um sich her zu schaffen, und mit dem Zauber ihres anmuthigen Geistes zu beleben wußte. Aehnliche Abende wiederholten sich etwas später in Aachen, wo sie auf der alten Ketschenburg in einem Zimmerchen, welches so niedrig war, daß die Freunde es scherzend »die Schiffskajüte« nannten, sich ein blumengeschmücktes und überaus wohnliches Asyl geschaffen hatte; hier war auch der Dichter Max von Schenkendorff ein häufig und gern gesehener Gast.

Im Sommer 1815 hatte Lützow das Unglück in der Schlacht von Ligny in französische Gefangenschaft zu gerathen, aus der ihn jedoch der bald darauf erfolgende Frieden wieder befreite. Elisa war sehr in Angst um ihn; sie theilte so gern alle seine Mühen und Gefahren, sie war nur immer darauf bedacht, ihn zu pflegen, und für sein Behagen zu sorgen, um so mehr, da die vielen Verwundungen ihn viel leiden ließen. Heinrich Pröhle sagt, in seiner Biographie Jahn's, von Lützow, daß er fast in jedem Gefecht verwundet wurde; »wenn er ging,« heißt es dort, »so war er durch seine vielen Wunden halb Invalide; stieg er zu Pferde, so bedurfte er ihrethalben einiger Hülfe – aber saß er einmal im Sattel, so war er das Muster eines Husarenoffiziers, ein Ritter ohne Furcht und Tadel.«

Die liebevolle Sorgfalt, welche Elisa ihrem Gatten erwies, konnte dieser ihr wohl nicht in gleichem Grade erwiedern, denn unpraktisch, und in allem, was nicht zu seinem Kriegesberufe gehörte, unkundig oder zerstreut, war er selbst bei dem besten Willen wenig geeignet, eine zarte Frau in seine Obhut zu nehmen; sie, die auf dem Trannkijörschlosse in den glänzendsten Lebensverhältnissen erwachsen war, ertrug aber mit der äußersten Entsagung und ohne Klage Entbehrungen aller Art, und es war wie wenn ihr starker Geist ihrer zarten Gestalt dazu die Kraft verliehe.

Endlich beschloß die blutige Völkerschlacht von Belle-Alliance diese großartige Kriegszeit. In jener Schlacht gehörte ein junger Mann von neunzehn Jahren, von gleicher Begeisterung für die deutsche Sache erfüllt, wie Elisa, zu den Mitkämpfern, welcher dazu bestimmt war später in ihrem Leben eine bedeutende Rolle zu spielen: es war Karl Immermann. Damals wußten sie noch nichts von einander; erst nach Jahren sollte das Geschick sie zusammenführen. –

Nachdem der Krieg beendet, ging Elisa im Anfang des Jahres 1816 nach Berlin, wo Ernst Moritz Arndt sie besuchte, den sie schon das Jahr zuvor in Düsseldorf kennen gelernt hatte; sie war so erfreut über die Erscheinung des gefeierten Mannes, den sie schon lange als patriotischen Dichter und Schriftsteller geliebt und verehrt hatte, daß sie sagte, kein Besuch eines Königs würde sie so glücklich gemacht haben.

Elisa verweilte nicht lange in Berlin, da sie bald Lützow nach Königsberg nachfolgte, welche Stadt seinem Regiment als Garnison angewiesen war. Dort lernte sie den alten Kriegsrath Scheffner kennen, den Freund von Kant und Hippel, der sie sehr hochschätzte, und Johanna Motherby, welche später die Gattin Dieffenbach's wurde, eine energische und ausgezeichnete Frau, von der noch öfter hier die Rede sein wird, und die sogleich zu Elisen eine leidenschaftliche Zuneigung faßte.

Sie begegnete Elisen zuerst in einer Gesellschaft, und bei ihrem lebhaften Gefühl für Schönheit fiel ihr die ungewöhnlich anmuthige und liebreizende Erscheinung sogleich auf. Sie hatte die Eintretende kaum einige Minuten betrachtet, als sie mit den Worten: »Wir werden und wir müssen Freundinnen sein!« auf sie zueilte. Sie wurden es in der That.

Es konnte nicht leicht einen größeren Contrast geben, als diese beiden Frauen; während in Elisen alles Schönheit, Harmonie und Zartheit war, erschien Johanna beim ersten Anblick scharf und eckig; sie war klein, von starker Figur, von scharfgeschnittenen, bedeutenden, aber eher häßlichen als schönen Gesichtszügen; doch war ihr Geist und Schönheitssinn so mächtig, daß im Gespräch und der Begeisterung, welche in demselben über sie kam, Grazien und Amoretten ihr ganzes Wesen zu umgaukeln schienen, so daß sie nicht nur anmuthig, sondern gradezu schön aussehen konnte. Die Häßlichkeit lag nur wie ein Flor auf ihr, unter dem die innere Schönheit siegreich durchschimmerte. Auch besaß sie wahrhaft großartige Charaktereigenschaften, Thatkraft und Entschlossenheit, Aufopferungsfähigkeit und Herzensgüte in seltenem Grade; ihr ganzes Wesen war Leidenschaft und erregte auch die heftigsten Leidenschaften; ihr stürmisches Feuer konnte fortreißen, während Elisens milde Ruhe bezauberte.

Sie lebte damals mit ihrem Gatten, dem Arzte Motherby, einem geistvollen und vorzüglichen Manne, noch im besten Einvernehmen, und auch er trat mit Elisen in freundschaftliche Beziehung.

Auch manche von Lützow's Kriegskameraden besuchten ihn und Elisen in Königsberg, Friedrich von Petersdorff kam aus dem nahen Memel, Helmenstreit wurde dorthin versetzt; mit Palm trafen sie in Graudenz zusammen.

Noch ehe ein Jahr verflossen war, im Mai 1817, wurde Lützow nach Posen versetzt, wo sie aber kaum angelangt waren, als seine Versetzung als Brigade-Kommandeur nach Münster erfolgte.

Auf dem Wege dorthin berührten sie Nenndorf, wo sie unerwartet Karl von Alten sahen, und es war nicht ohne Bewegung, daß er und Elisa sich hier begegneten. Außerdem mochte der Anblick von Nenndorf manche schwermüthige Gefühle in Elisen wecken; wie sie vor neun Jahren als fröhliches Mädchen hier weilte, da hatte sie doch mit andern Erwartungen in die Zukunft geblickt, als sie jetzt erfüllt sah! –

Im Juli langten sie an ihrem neuen Bestimmungsort an. Elisa fühlte sich dort anfänglich sehr fremd, und die kleine Stadt, die engen Verhältnisse sagten ihr wenig zu. Lützow, dem nach dem bewegten Kriegsleben der leere Friedensdienst gar nicht behagte, suchte sich durch seine Leidenschaft für Pferde in seiner freien Zeit möglichst zu zerstreuen; er schaffte sich deren viele an, die der Gegenstand seiner beständigen Beobachtung waren; auch liebte er es sehr mit Elisen auszureiten, welche eine so ausgezeichnete Reiterin war, daß er oft behauptete, von ihr habe er erst die wahren Feinheiten der Reitkunst gelernt. Konnte er sich nun noch dann und wann mit einigen seiner Kameraden unterhalten, wo dann seine ihm so lieben Pferde beinahe immer den Stoff zum Gespräche lieferten, so war für ihn leidlich gesorgt. Aber Elisens feiner und lebhafter Geist, der sich immer nach Anregung sehnte, konnte hier keine Befriedigung finden. In den begeisterten Kriegsjahren, wo ihr ganzes Wesen in der Liebe zum Vaterlande aufging, war es ihr gewissermaßen nicht möglich gewesen, an sich selbst, an ihr persönliches Geschick zu denken. Jetzt aber konnte sie sich nicht mehr verhehlen, daß der Verkehr mit ihrem Gatten den höheren Ansprüchen, die sie zu machen berechtigt war, nicht mehr genügte.

Der Abstand zwischen ihr und Lützow trat immer schärfer hervor; gutmüthig und brav und nicht ohne natürlichen Verstand, war er doch weder an Bildung noch an Geist und Feinheit Elisen ebenbürtig. Im Laufe der Jahre hatte sich ihr Wesen immer reicher entwickelt, und überflügelte immer mehr ihre Umgebung. Ihre Heiterkeit verwandelte sich in wehmüthigen Ernst; sie suchte, wie es ihre Art war, Trost in der Natur und bei ihren Dichtern, aber ihr Herz sehnte sich vergeblich nach einem Glücke, das sie einst geträumt, und das ihr nicht beschieden zu sein schien. Sehr wohlthuend war ihr die Freundschaft ihres Schwagers Wilhelm von Lützow, der ihren ganzen Werth zu würdigen wußte, und mit rückhaltsloser Offenheit sie an allem Theil nehmen ließ, was ihn betraf.

Mochte nun aber auch Münster noch so geistig todt, so steif, so kleinlich und bigott katholisch sein, alles Eigenschaften, die Elisen in tiefster Seele zuwider waren, so konnte sie bei ihrer besonderen Gabe, einen angenehmen und geistig bewegten Kreis um sich zu gestalten, doch nicht lange diesen Ort bewohnen, ohne alle jene Elemente aufgefunden, und um sich gesammelt zu haben, welche sich dazu eigneten.

Hier machte sie die Bekanntschaft von Henriette Paalzow, geb. Wach, die damals noch nicht als Schriftstellerin aufgetreten war, viel anspruchslose Liebenswürdigkeit besaß, und bis an ihr Lebensende mit Elisen befreundet blieb; hier begegnete sie zuerst der edlen, feinen, liebevollen Adele von A. und ihrem Gatten, die sie sehr lieb gewannen; Adele, eine durchaus weibliche und sinnige Natur, wurde bald ihre Herzensfreundin; hier wurde der Consistorialrath und Schulrath Friedrich Kohlrausch, dessen deutsche Geschichte damals alle Gemüther erfreute, ihr Freund; auch mit Wilhelmine von G. trat sie in lebhafte Beziehung. Eine alte Freifrau von Aachen, die sich in Malerei, Dichtkunst und Musik versuchte, und mit dem damaligen Kronprinzen Ludwig von Baiern, den sie in Italien kennen gelernt hatte, im Briefwechsel stand, wurde zuweilen mit in den Kreis gezogen, so wie einige Offiziere, die Bildung und höheren Sinn besaßen. Hier auch lernte Elisa den würdigen Oberconsistorialrath Anton Möller kennen, der ihr besonders theuer wurde, und dessen segensreiche Wirksamkeit als anregender und begeisternder Universitätslehrer, als Schriftsteller und Prediger vorzüglich in Münster, wo er so lange gelebt, in Aller Andenken steht.

Eine so eigenthümliche Erscheinung wie Möller, dürfte selten zu finden sein; damals war er schon in den Fünfzigen, aber vereinigte jugendliche Frische mit einem enthusiastischen Gemüthe. Er war ein eifriger Anhänger der Kantischen Philosophie, liebte feurig das classische Alterthum der Griechen und Römer, die er häufig zu citiren pflegte, las Goethe mit Entzücken, und mit einer Vorurtheilslosigkeit, welche einem geistlichen Herrn doppelt hoch anzurechnen ist; an der Natur, der Musik, den schönen Künsten hatte er die innigste, reinste Freude; er war ein durch und durch edler Mensch, sein ganzes Wesen war von Poesie durchglüht; eine seltene Gabe der Beredtsamkeit, die dem lebhaften Manne fortwährend von den Lippen strömte, verlieh nicht nur seinen Vorträgen, sondern auch seiner Unterhaltung eine fortreißende Gewalt. Ohne alle priesterliche Salbung war er immer menschlich offen, freien Sinnes, natürlich, anspruchslos wie ein Kind, und verbarg nie seine warme Freude an der Schönheit dieser Welt. Eine Schilderung von ihm, die im »Westphälischen Merkur« erschien, beschreibt ihn folgendermaßen: »Von Charakter war Möller ein echter deutscher Mann, und wie gediegen auch sein Geist, so war doch auch sein Gemüth nicht minder tief und zart. Seine äußere Erscheinung war stattlich, freundlich und ehrwürdig. Seine hohe, gewölbte Stirn verrieth sofort den Denker, seine Lippen umschwebten Anmuth und Heiterkeit; seine ganze Persönlichkeit war liebenswürdig und herzgewinnend, und gewährte den Eindruck eines im Dienste der Ideen ergrauten Lebens. Zeigte er schon ein rein menschliches Wohlwollen und eine aus dem Herzen kommende Freundlichkeit gegen Jedermann, so war insbesondere seine Freundschaft ihm selbst ein Seelenbedürfniß – hingebend und treu, und für Geist und Gemüth gleich genußreich. Die Gesellschaft, welche er angenehm zu unterhalten und zu beleben wußte, liebte und suchte er, besonders solche erlesenere Kreise, wo der Geist den Vorsitz führt, und war in ihnen gern gesehen, bis in seine letzten Tage.« –

In Münster sind noch viele Charakterzüge und kleine Anekdoten von dem seltsamen Manne aufbewahrt. Als er einmal bei einem Festmahl einen begeisterten Toast ausbrachte, lehnte er sich in seiner Lebhaftigkeit etwas zu weit zurück, so daß er das Gleichgewicht verlor, und mit sammt seinem Stuhl hinten über auf die Erde fiel; dadurch ließ er sich aber in seiner feurigen Beredtsamkeit nicht stören, und erst als er seinen langen Vortrag ganz beendet hatte, richtete er sich vom Boden auf. – Schon früh zum Wittwer geworden, lebte er lange für sich allein, aber so sehr in seine Studien und Gedanken vertieft, daß er seiner Umgebung wenig achtete. Als später seine würdige Freundin, die alte, vortreffliche Christiane Engels zu ihm zog, um seine Wirthschaft zu führen, fand sie nicht nur, daß er von seinen Leuten um beträchtliche Summen bestohlen worden war, sondern auch, daß in seiner großen, wüsten Wohnung sich Ratten vollauf, groß wie junge Katzen, umhertrieben, die Abends oft drei, vier zugleich, in Gegenwart der Mägde auf den Tisch sprangen, und den Talg von den Leuchtern fraßen. Hatte Möller dies alles nicht bemerkt, so bemerkte er doch das neue Behagen im Hause und den neu geordneten Garten, und dankte der Freundin ihre Fürsorge. – Wie Möller Besuchsreisen zu seinen verheiratheten Kindern machte, geschah es zweimal, daß er nahe daran war, ihnen das Haus anzustecken, da er in seiner Zerstreutheit vergessen hatte, Abends sein Licht auszulöschen; es fehlte wenig, daß in solcher Weise das Feuer, welches er in seinem Gemüthe trug, oben zum Dach herausgeschlagen wäre! –

Für Elisen faßte Möller eine schwärmerische Zuneigung, wie die Briefe beweisen mögen, welche wir von ihm im Anhang mittheilen, da sie, wie wir glauben, von ihm so wie von Elisen ein lebhaftes Bild geben, denn es ist eigenthümlich, daß man diese weit mehr aus den von ihren Freunden an sie gerichteten Briefen, in denen sich der Eindruck, den sie hervorbrachte, abspiegelt, kennen lernt, als aus ihren eigenen Aufzeichnungen und Briefen, die zwar sehr fein und anmuthig sind, aber doch nur einige Seiten ihres Wesens wiedergeben. Sie brauchte darin nie eine leere Phrase, jedes Wort war beseelt, innig, und ihr aus dem Herzen kommend, und entzückte wohl den Empfänger, der sie kannte, und gewissermaßen den Duft ihrer Seele darin empfing, aber die ganze Bedeutsamkeit und Tiefe ihres Innern war daraus nicht wahrzunehmen. Auch in ihrer Art zu sprechen, konnte sie leicht von Andern, selbst von solchen, die geistig weit unter ihr standen, überglänzt werden, denn sie besaß keine Beredtsamkeit, wie zum Beispiel der edle Möller, und wenn sie sich auch wohl graziös und artig auszudrücken wußte, so war dies doch nicht das Hervorstechendste an ihr.

Dagegen konnte sie nicht übertroffen werden an seltenem Schönheitssinn, an Tiefe, Feinheit und Schärfe der Auffassung. Es lag ein Zauber darin, sich mit ihr über Lebensverhältnisse und über Gegenstände der Kunst und Literatur zu unterhalten, weil sie mächtig von allem Schönen ergriffen wurde, und es, wie mit seinen Fühlfäden begabt, überall herausfand; eine edle Regung in einem Menschen, eine bedeutende Idee in einer Dichtung, eine Schönheit in einem Kunstwerk entgingen ihrem Auge nie; sie hatte wie einen sechsten Sinn dafür. Darum war ihr Beifall und ihr Umgang vielen Dichtern und Schriftstellern so unschätzbar, weil sich in Einem Kopfnicken, in Einem zustimmenden Lächeln, in Einem leise hingeworfenen Worte Elisens mehr Verständniß und mehr tiefes Eingehen aussprach, als in mancher geistreichen und wohlgesetzten Rede eines Andern. So sehr wie alles Hohe, Edle und Poetische sie anzog, so sehr war ihr alles Rohe und Gemeine in tiefster Seele zuwider; wenn sie gegen ein Buch, oder einen Menschen ihre Abneigung erklärte, so konnte man sicher sein, daß etwas Unschönes oder Geringes an ihm war. Ihr Urtheil war im Ganzen sehr milde, aber durchaus fest und entschieden; sie ließ sich nie durch fremden Einfluß bestimmen, sondern schöpfte es nur aus ihrem eigenen Geiste und eigenen Gefühl. Eine Dichtung würdigte sie nur als solche, allein vom ästhetischen Standpunkt aus, ohne sich je durch Partheirücksichten dabei beschränken zu lassen. Auf ihre ganze Umgebung wirkte sie so mächtig, daß Jeder, durch sie angefeuert, seine edelsten Seiten herauskehrte, und was von Geist und Talent noch als verschlossene Knospe geruht hatte, ihr gegenüber zur schönsten Blüthe sich entfaltete.

Hiermit glauben wir einigermaßen angedeutet zu haben, wie sehr Elisa befähigt war, der Mittelpunkt einer anregenden und reizvollen Geselligkeit zu sein, ein Talent, das leider immer seltener wird, und beinahe zu verschwinden droht. Sie liebte es, daß man bei ihr vorlas, und dann über das Mitgetheilte seine Gedanken austauschte. Wir nehmen aus dem Briefe einer ihrer Freundinnen die folgende Schilderung jener schönen Abende bei Elisen. »Es bestanden damals Abendcirkel bei der geliebten Elise, an denen sie uns viel, wenn ich nicht sagen will, fast immer Theil nehmen ließ. Es wurde dann vorgelesen, auch mit vertheilten Rollen, wie namentlich »Tasso,« zu dem sie auch uns welche zutheilte. Dabei waren Henriette Paalzow, dann eine würdige, alte, geistreiche Dame, Frau von Aachen, der alte Consistorialrath Möller, zwei Offiziere, Lieutenant Hoffmann und Lieutenant Rördantz, und noch einige Andere, so wie überhaupt dieser Cirkel kein streng abgeschlossener war, und Lützow, so wie noch mehrere ganz heterogene Elemente, den Thee mit dabei tranken, und darauf in abgesonderter Unterhaltung und abgerücktem Platze den Abend auf ihre Weise auch da verlebten. – Sie, die liebliche Sylphe, mit den treuen, blauen Augen, den blonden, klaren Locken, den zarten, durchsichtig weißen, feinen Händen, war die Seele der kleinen Versammlung, und wenn wir uns spät von ihr trennten, und bei Sternenhimmel und Mondenschein der kleine Schwarm heimzog, so war es immer noch in Begeisterung und im Nachhall der schönen Stunden, die wir bei ihr zugebracht, was Eins vom Andern hörte, bis wir uns allgemach auf dem Heimwege von einander abgetrennt hatten. Das war eine liebe, unvergeßliche Zeit!« –

Ein seltsames Mißverständniß war es, daß, als im März 1819 Kotzebue von dem Studenten Sand ermordet worden war, ein ganzer Zug von Münsteranern, die freilich nicht zum nächsten Umgang Elisens gehörten, zu ihr kam, um ihr, die sie an allen Dichtern ein so lebhaftes Interesse nähme, wegen dieses Ereignisses ihr Beileid zu bezeigen. Elisa mußte lächeln, denn grade, weil sie die echten Dichter liebte, war ihr der rohe und gemeine Kotzebue immer zuwider gewesen! –

Im Frühjahr 1819 verließ Adele von A. mit ihrem Gatten Münster, um es gegen Königsberg zu vertauschen. Elisa trat nun mit ihr in eifrigen Briefwechsel, wie sie überhaupt mit allen ihren entfernten Freunden in beständiger Beziehung blieb. Sie vermißte Adelens vertraute Nähe; doch sollte bald darauf eine andere Erscheinung in jenen Kreis voll Empfänglichkeit für alles Schöne und Gute, voll Geist und Leben treten, und dieser schönen Geselligkeit einen neuen Reiz geben; es war dies ein junger Dichter in der ersten Frühlingsfrische seines Daseins, sich des Genius noch kaum ganz bewußt, der eben erst in ihm seine Schwingen zu regen begann. Karl Immermann, geboren 1796 zu Magdeburg, war, nachdem er bei Belle-Alliance den Kampf für das Vaterland mitgekämpft, 1817 in den Staatsdienst getreten, und nachdem er bis 1819 als Referendar in Magdeburg und Groß-Aschersleben gearbeitet, als Auditeur nach Münster versetzt worden.

Der erste Anlaß der Bekanntschaft war ein geschäftlicher. Bei den verwirrten Vermögensverhältnissen des Grafen Friedrich, erhielt Elisa weder ihr mütterliches Erbtheil, noch die ihr von ihrem Vater verheißenen Einkünfte ausgezahlt, und in diesen widrigen Angelegenheiten, die sich jahrelang schon hingezogen hatten, bedurfte Elisa des Raths und der Hülfe eines Rechtskundigen. Der junge Auditeur schien hiezu vorzüglich geeignet, und wurde ihr zugeführt.

Gleich bei dem ersten Besuche war dieser von der neuen Erscheinung, die sich ihm in der reizenden Dame zeigte, wie geblendet und berauscht. Er hatte bisher in ziemlich engen und beschränkten Verhältnissen gelebt, nie war ihm eine Frau vorgekommen, die auch nur entfernt an diese heranreichte. Alle die Eigenschaften, welche wir an ihr geschildert, mußten ihn unwiderstehlich zu ihr hinziehen; er glaubte das Ideal seiner Träume verwirklicht zu sehen. Nie hat Tasso mit mehr Bewunderung und Liebe zu der Prinzessin von Este aufgeblickt, als Karl Immermann zu Elisen. Dieser Vergleich liegt uns um so näher, da Elisens Freunde sie häufig der edlen Leonore ähnlich fanden; sie hatte dieselbe feine, vornehme Seele, den milden Ernst, die mondscheinartige Schwermuth, die sanftglühende Innigkeit wie jene, und die Hoheit ihres Wesens gebot zugleich Scheu, indem sie anzog.

Immermann hatte wohl schon auf der Universität seine ersten dichterischen Versuche gemacht, aber hier in Münster erst, in so begeisternder und fördernder Nähe, erwachte in ihm mächtig die Lust zum dichterischen Schaffen, und in rascher Folge entstanden in den vier Jahren, welche er in Münster zubrachte, unter den Augen Elisens die Gedichte »Jung Osrik« und »das Requiem,« das Lustspiel »die Prinzen von Syracus,« die Trauerspiele »das Thal von Ronceval,« »Edwin,« »Petrarca,« eine Sammlung Gedichte und der viel zu wenig bekannt gewordene Roman »die Papierfenster eines Eremiten,« in dem die Seelenzustände eines feurigen, jungen Herzens mit großer Wahrheit geschildert sind. Dann dichtete er das Trauerspiel »König Periander und sein Haus,« das Lustspiel »das Auge der Liebe« und endlich die feine und geistvolle Novelle, »der neue Pygmalion.«

Er selbst war nicht weniger als seine Freunde erstaunt über diese plötzliche Productionskraft, die wie ein neues Glück über ihn gekommen war; in zarten, lyrischen Ergüssen, die er niemand zu zeigen wagte, feierte er diejenige, welche durch ihre Anregung all diesen Reichthum in ihm geweckt hatte, und in seine entzückte Dankbarkeit mischte sich der Schmerz, daß sie ihm so unerreichbar fern stand, noch ferner als Tasso'n Leonore.

Elisa genoß mit reiner Freude diesen Verkehr mit einem jugendlich strebsamen Geiste, der sich so schön entfaltete. Ihre Gesellschaftsabende nahmen einen noch lebhafteren Aufschwung als zuvor; oft las Immermann dort mit seiner kräftigen, wohltönenden Stimme aus Goethe, Kleist, Shakespear und Calderon vor, und fesselte durch seinen ausdrucksvollen Vortrag; dazwischen las er seine eigenen Werke, in denen er die Empfindungen seines Herzens frei ausströmen ließ; die Gespräche, welche sich daran knüpften, waren für den jungen Dichter von unbeschreiblichem Werth, und besonders Elisens Urtheil entscheidend für ihn. Seine glänzenden Gaben kamen hier zur schönsten Geltung; eine eigenthümliche Mischung von scharfem Verstand und lebhafter Phantasie, eine liebenswürdige Erregtheit, gaben seiner Persönlichkeit etwas ungemein Gewinnendes.

Adolf Stahr, in seiner vortrefflichen Biographie Immermann's, schildert uns den Dichter, wie er ihn gesehen, als er bereits in den Vierzigen war, von mittler Größe, aber stark und kräftig gebaut, eine gedrungene, antike, römische Gestalt mit breiter Brust und starken Schultern, wie einer der alten Imperatoren. »Eine breite, hohe majestätische Stirn,« sagt Stahr weiter, »von dem starken, dunkeln, schon hier und da in's Graue neigenden, schlichten Haare mäßig beschattet, spiegelte eine gehaltene Hoheit und Ruhe, welche durch die kräftig geschlossenen Lippen und das scharf und tief blickende Auge zu dem Charakter strengen Ernstes und fester Entschlossenheit gesteigert wurde.« Damals jedoch, wo Elisa Immermann kennen lernte, war er dreiundzwanzig Jahre, schlank und jugendfrisch, ein poetischer Schmelz verklärte seine Züge, und aus den dunkeln, herrlichen Augen strahlte Geist und Leben.

In dem Freundeskreis, der Elisen umgab, mußte sie umsomehr Trost suchen, da die Betrachtung der allgemeinen Zustände wenig Erfreuliches hatte. Man mußte sich eingestehen, daß die Hoffnungen, welche man auf den Befreiungskrieg gesetzt, nicht in Erfüllung gegangen waren, dem Aufschwung war eine Erschlaffung gefolgt, die verheißenen Freiheiten nicht gewährt worden; die Lützower besonders waren unzufrieden, und hatten Ursache es zu sein, da man sie eher zurücksetzte, als nach Verdienst anerkannte. – Lützow war oft verstimmt, und fühlte sich gekränkt, Friedrich von Petersdorff, den die Gegenwart so wenig befriedigte, daß sein sehnlichster Wunsch dahin ging, sich einmal mit seiner Familie in die tiefste Stille auf's Land zurückziehen zu können, schrieb aus Memel klagend an Elisen: »Seit Friesen nicht mehr ist, sind Sie die Einzige, mit der ich die alten Zeiten mit den neuen vergleichen kann. Das Ideal, das uns damals vorschwebte, worauf wir mit graden Schritten loszugehn glaubten, das wir zu erreichen gewiß hoffen konnten, ist nicht allein weit entfernter von uns, sondern sogar jede Hoffnung es zu erreichen verschwunden. – Meine Idee von der Menschheit Glück ist noch dieselbe wie damals in Breslau, wo die Unterhaltung mit Ihnen darüber mir viele herrliche Stunden bereitete, doch bald nachher, noch in den ersten sechs Monaten, fand ich, daß meine Idee nur Wenige ansprach, und ich zog mich in mich selbst zurück, und ließ geschehn was ich nicht ändern konnte, ohne weiter Theil zu nehmen an dem, was geschah. – Wenn wir uns zu Zeiten einige Stunden sprechen könnten, dann wäre ich ganz glücklich, Elisa! Denn das ist, was mir hier ganz fehlt, ein Freund oder eine Freundin aus jener Zeit der glücklichen Ideenwelt. Die Zeit ist nun ganz vorüber, der schimmernde Stern verlosch schnell, so sehr schnell und bald, daß er nur ein schönes Traumgesicht gewesen, aber Sie, theuerste Elisa, sahen mit mir den Stern hell leuchten, und seine Strahlen werden unsre Herzen bis in den Tod erwärmen.« –

Elisa fühlte mit dem Freunde, daß die damaligen Zeiten verklungen waren, hatte aber doch wirksame Worte des Trostes für ihn, auf die er erwiederte: »Ihre Freundschaft macht mich unendlich glücklich, sie giebt meinem Leben einen goldenen Schein der freudigsten Phantasie, durch den ich immer in jenen Zeiten erhalten werde, wo die Hoffnungen zur Erreichung einer allgemeinen Beglückung uns beseligten. Durch das Andenken an jene Zeit, in welcher mir Ihre Freundschaft zuerst zu Theil wurde, schwindet die allgemeine Gegenwart, und jeder Brief von Ihnen überzeugt mich, daß, obgleich werthlos für's Allgemeine jene Zeit hinabgesunken, ist mir doch ein köstlicher Juwel – Ihre Freundschaft geblieben. Manchmal scheint es mir, als hätte ich in voriger Zeit geträumt, dann denke ich an Sie, an die hohe Begeisterung, die sich in Ihnen aussprach, und ich fühle mich wieder in die Wirklichkeit versetzt, die Ueberzeugung gewinnt neue Stärke in mir, daß, wenn ich es auch nicht erlebe, doch einmal gewiß die Zeit der Wahrheit kommen wird. Ihr Blick strahlte diese Zuversicht in mein Herz, die unveränderliche Verehrung für Sie wird sie mir bis an das Ende meines Lebens erhalten!« –

Von allen Seiten trafen Elisen in jener Zeit betrübende Eindrücke. Von ihrem Vater erhielt sie nur wenig Nachrichten; er war ihr um so mehr entfremdet worden, als er sich schon vor längerer Zeit mit einer Frau verheirathet hatte, die an Stand, Alter und Erziehung sehr verschieden von ihm und wenig seiner würdig war. – Lützow's Bruder Wilhelm verlobte sich Ende 1819, und Elisa konnte sich dabei einer stillen Wehmuth nicht erwehren, weil sie richtig vorausfühlte, daß die künftige Gattin für den Schwager wenig passen, und ihn schwerlich befriedigen würde; doch konnte sie damals noch nicht ahnen, daß jene dazu bestimmt war, später ihre eigene Stelle einzunehmen! –

Im Jahre 1820 trafen von Johanna Motherby beunruhigende Briefe ein; die leidenschaftliche Frau hatte ihren Gatten und ihre beiden Kinder verlassen, um dem jungen Arzte Johann Friedrich Dieffenbach nachzureisen, von dessen eigenthümlich gewinnender Persönlichkeit sie in dem Grade bezaubert war, daß sie glaubte, nicht ohne ihn leben zu können. Viele ihrer Freunde wandten sich in Mißbilligung und Tadel von ihr ab, Elisa aber, die ganz andere Begriffe von Freundschaft hatte, bewahrte ihr nur um so treuer ihre Anhänglichkeit, und erwies sich ihr um so eifriger hülfreich und antheilvoll, da sie die Arme bedauerte, und dabei fürchten mußte, daß das neue Verhältniß ein unglückliches Ende nehmen würde.

Ein Vetter Elisens aus Dänemark kam zum Besuch zu ihr, um sich in ihrer Nähe Trost und Zerstreuung zu suchen gegen häusliche Verdrüsse, da er im Begriff war, sich von seiner Frau scheiden zu lassen. Auch Henriette Paalzow lebte in sehr unglücklicher Ehe.

So sah Elisa, Adele von A. ausgenommen, die in sehr beglückenden Verhältnissen lebte, rings um sich her lauter unglückliche Ehen! –

Eine Reise, die sie mit Lützow an den Rhein machte, dessen poetische Ufer sie sehr liebte, gab einige angenehme Zerstreuung.

Im Herbst dieses Jahres bezog sie mit Lützow das Wittig'sche Haus in Münster, ein ehemaliges Kloster, welches jetzt zur Dienstwohnung eingerichtet war. Die äußeren Mauern des alterthümlichen Gebäudes waren mit Statuen von Heiligen und anderer Schnitzarbeit verziert. Die inneren Räume sahen ernst und feierlich aus; die hohen Fenster, die mächtigen Flügelthüren hatten etwas Schloßartiges; Elisa erschien darin wie eine Ritterdame aus der alten Zeit. Sie besaß ein besonderes Talent, sich ihre Zimmer mit Sinn und Geschmack auszuschmücken. Man glaubte in eine schönere Welt zu gelangen, sicher in eine, in der ein guter Genius waltete, wenn man ihre Wohnung betrat. Dort lebte sie unter Blumen, Büsten, Büchern und Bildern, umgeben von ihren Vögeln und Hunden, unter denen der große, schöne Hector, vom Schlachtfeld von Belle-Alliance, eine Hauptperson war, meist entweder an ihrem Schreibtisch oder dem Stickrahmen beschäftigt, oder auch lesend. Die holde Freundlichkeit, mit der sie jeden Besucher empfing, hatte darum etwas so Herzgewinnendes, weil sie aus dem Herzen kam.

Einen zu ihrer Wohnung gehörenden Garten besorgte Elisa selbst wie eine Gärtnerin, und die Blumen und Gesträuche gediehen auf das schönste unter ihrer Pflege; eine schattige Weinlaube vereinigte oft den Freundeskreis, der sie umgab. Immermann erschien auch oft allein, da Elisa, die des Englischen sehr kundig war, ihm in dieser Sprache Unterricht ertheilte; in artigen, englischen Billetten schalt sie ihn aus, wenn er nicht fleißig genug war, und er entgegnete ihr darauf in scherzhaften englischen Gedichten. Ein deutsches Gedicht Immermann's aus jener Zeit an Elisen theilen wir mit, das, am Todestage ihrer Mutter verfaßt, sie in zarter Weise über diesen Verlust zu trösten sucht. Es lautet:

Die Blumen an eine trauernde Tochter, am 30. März

Der fromme Schmerz zieht seine Nebelschleier

Vor Deiner Augen himmelvolle Sterne,

Ach, einer theuren Todten gilt die Feier,

Die Wehmuth naht, Du hegst die Wehmuth gerne,

Nun lichtet sich der Blick, nun wird er freier,

Es dringet Sehnsucht in die weitste Ferne –

Allein ermattet sinkt die Seele wieder

Auf jenem öden dunkeln Grabe nieder.


Da treibt es uns, von unten aufzubringen

Uns selbst zu Dir, und Trost zu Deinem Leid!

Wir möchten Dir zu Brust und Herzen dringen

Mit tiefster Treue ganzer Innigkeit!

Uns hat ein Gott in seiner Liebe Ringen

Zu frohen Boten immerdar geweiht:

Daß Leben schlägt und glüht an jedem Orte,

Und daß der Tod ein Wort, wie andre Worte.


Denn lagen wir nicht dürftig eingefaltet

Und stumm und bang in unserm kleinen Grabe?

Denn waren wir nicht ganz und gar erkaltet,

Vom feuchten Frost in unserm schaur'gen Grabe?

Hat nicht das Schweigen räthselvoll gewaltet

Auch über uns, auch über unserm Grabe?

Nun sieh, wie dennoch Wärm' und Licht verbündet,

Zu Farb' und Duft uns wunderbar entzündet!


Und Farb' und Duft, sie wünschen auszusagen

Die eine unbegreiflich hohe Kunde!

Doch weil das Siegel unsre Lippen tragen,

Küßt Ahnung nur sie still von Blumenmunde,

Die Welt hat keine Zeit zu Schmerz und Klagen,

Der reichste Segen keimt aus schwerster Wunde.

Wir täuschen nicht! Das ist nicht eitel Wähnen!

Die Mutter trocknet Dir durch und die Thränen.


Auch die folgenden Verse Immermann's gehören hierher:

Nicht immer füllen

Die schwebenden Horen

Den Becher der Freude

Mit frischem Wein!


Dann geh zum Born

Der heil'gen Erinnrung

Und trinke Dir Muth

Für heut' und morgen!


Im Herbst 1821 reiste Elisa mit Lützow nach Berlin, wo sie alte Freunde und Bekannte wiedersahen. Im Anfang des folgenden Jahres kam Johanna Motherby nach Münster, und ihr scharfer Blick entdeckte bald die heftige Neigung Immermann's, die er bisher möglichst zu verbergen gesucht hatte, und die Elisa noch nicht in ihrem ganzen Umfang ahnte. Hier wären zwei Menschen, die für einander bestimmt seien, äußerte Johanna in ihrer lebhaften Weise, und beklagte, daß die Verhältnisse sie trennten. Sie selbst war damals von den leidenschaftlichsten Empfindungen zerrissen, die durch die Trennung von ihren Kindern, und die mancherlei Hindernisse, welche ihrer Verbindung mit Dieffenbach noch im Wege standen, veranlaßt wurden.

Lützow's Ernennung zum General, die im Jahre 1822 erfolgte, brachte in Elisens Verhältnissen keine Veränderung hervor.

Wir haben schon früher erwähnt, daß die Charaktere von Lützow und Elisen eigentlich wenig zu einander paßten, doch hatte letztere immer in dem Gedanken Beruhigung gefunden, daß sie an ihm einen treuen Freund besäße, der ihr von ganzem Herzen ergeben sei. Um so mehr wurde sie betroffen, als Lützow eines Tages mit einem alten Kriegskameraden plaudernd im Garten saß und in ihrer Gegenwart darauf die Rede kam, daß Lützow, der anwesende Freund und noch zwei andre Offiziere sich als junge Leute verabredet hatten, sie wollten alle darauf ausgehen, reiche Frauen zu heirathen. Es wurde davon ganz offenherzig und in etwas derben Scherzreden gesprochen und zugleich erwähnt, daß keiner von den Vieren sein Ziel erreicht habe, denn zwei blieben unvermählt, und die andern beiden waren in ihren Erwartungen getäuscht worden, indem sie mit ihren Gattinnen nicht so bedeutendes Vermögen erhielten, als sie vermutheten. Zu diesen Letzteren gehörte auch Lützow, da ja Elisen das ihr gebührende Vermögen vorenthalten war.

Wie ein Stich in's Herz traf sie diese Entdeckung! Daß solche Motive bei Lützow's Bewerbungen mitgewirkt, wie hätte sie das je ahnen können! Und hier hörte sie von ihm selbst dieses Geständniß, ohne Rückhalt, wie einen lustigen Spaß, der niemand verletzen könne! – Welche andre Illusionen hatte sie gehegt, als sie bei ihrem Vater so treu und beständig diese Verbindung durchgesetzt! So jung, so schön, so liebenswürdig und begabt, und doch um des Geldes willen geheirathet! – Eine so schmerzliche Täuschung war schwer zu überwinden. –

Wir würden Lützow Unrecht thun, wenn wir glauben wollten, daß nur ein solcher Beweggrund ihn hätte Elisen erwählen lassen, gewiß erkannte er ihre edlen Eigenschaften, aber schlimm genug blieb es immer, daß ihr Reichthum eine so große Rolle dabei gespielt. Johanna Motherby und Adele von A. scheinen die Einzigen gewesen zu sein, denen Elisa ihr Leid anvertraute. Tröstend schrieb ihr die Letztere, den 16. November 1822: »Wehre dem Trübsinn! Fühlst Du es nicht, wie Dein eigentliches Sein und Wesen gewiß nur beglückt und darüber jegliches andere Gut, das doch nur der bloßen Existenz wegen zu berücksichtigen bleibt, gänzlich davon abfallen muß. Traute Elise, sei doch froh! – In Dir liegt ein reicher Schatz, Du hast der köstlichen Gaben so viele – und Du beglückst!« –

Im Sommer 1823 machte Elisa mit Lützow eine Reise nach Bremen, bei welcher Gelegenheit sie ihre alte Erzieherin wiedersah; diese wohnte seit längerer Zeit in Hamburg und war ihrem geliebten Zögling bis nach Rothenburg entgegen geeilt. Wie sehr Marianne Philipi Elisen schätzte, geht unter anderem aus der folgenden Briefstelle hervor: »Auch Du, meine gute, fromme, sanfte Elisa, kannst hoffnungs- und vertrauungsvoll in die Zukunft blicken, denn Du hast viel geliebt, viel gelitten, viel geduldet. Das Geschick, indem es meine Kindheit und Jugend durch rauhe Wege führte, verfuhr ernst mit mir, wodurch sich jedoch manches in meinem Innern glücklicher für mich entwickeln mußte. Wenn die Vorsehung aus uns unbegreiflichen Absichten einen andern Weg mit Dir ging, wer darf sich erkühnen, sie zu tadeln? Auf den Händen der Liebe in Deiner Kindheit getragen, von den Menschen und dem Glück geliebkoset, verzärtelt, Dir unbewußt von tausend Gefahren umringt, mußte das Leben eine ganz andre Gestalt gewinnen, die Täuschungen des schönen Frühlingsalters Dir erst später entschwinden. Setze mich in Deine so vortheilhaft scheinende Lage, ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, aber gewiß keine sanft duldende, genügsame Elisa.« –

Das Jahr 1824 brachte nur düstre und verhängnißvolle Ereignisse. Elisens Vater, welcher trotz aller Bedrängniß seiner Vermögensangelegenheiten sein vergnügungssüchtiges Leben unverändert fortsetzte, war bei einer Gesellschaft, die er am Geburtstage des Königs von Dänemark bei sich vereinigt hatte, von einem Nervenschlag betroffen worden, und man mußte ihn bewußtlos von der Tafel forttragen; er erholte sich zwar wieder, jedoch sehr langsam. Von seiner zweiten Gattin hatte er sich bereits wieder getrennt.

Nun war auch der Zeitpunkt gekommen, wo Immermann Münster verlassen mußte, da er als Kriminalrichter nach seiner Vaterstadt versetzt wurde. Mit schwerem Herzen schied er aus Elisens Nähe, gegen die ihm das prosaische Magdeburg einen traurigen Contrast bieten mußte. Er sollte von dort aus einen Theil von Elisens dänischen Vermögensangelegenheiten weiter führen, außerdem aber hatten sie ausgemacht, daß sie sich wöchentlich schreiben wollten, und sich alles Interessante mittheilen, was ihnen begegnete. Wir geben im Anhang Immermann's Briefe aus Magdeburg, die uns den Dichter in frischer Jugendlichkeit zeigen, und schon jene Lust an der Poesie und jene feine Beobachtung der Schauspielkunst bekunden, die er später so entschieden an den Tag legte. Außerdem tritt uns in diesen Briefen deutlich sein Verhältniß zu Elisa vor die Augen, eine zarte Neigung, welche niemals wagt, über die Gränzen eines freundschaftlichen Gedankenaustausches hinauszugehen.

Grade in jene Zeit, als dieser Briefwechsel zwischen Immermann und Elisen stattfand, fiel ein Ereigniß, welches letztere schmerzlich aufregte. Lützow, der leicht von unbedeutenden und koketten Frauen angezogen wurde, hatte die Bekanntschaft einer jungen reichen Dame gemacht, welche ihm außerordentlich gefiel, und deren Neigung er sich versichert zu haben glaubte; in seiner Schwäche und verliebten Verblendung ging er sogar so weit zu äußern, daß er hier ein Glück vor sich sähe, das ihm über alles werth sei.

Elisen war es nie in den Sinn gekommen, sich von ihrem Gatten zu trennen; trotz der bittern Enttäuschungen, die ihr durch ihn geworden, hielt sie das Band, welches sie an ihn knüpfte, für ein unauflösliches. Als sie aber seinen Wunsch vernahm, jene junge Dame heirathen zu können, erklärte sie sogleich, sie wolle seinem Glücke nicht entgegen sein, und sich von ihm scheiden lassen. Lützow war gerührt von solcher Großmuth und Entsagung, aber so sehr erfüllt von dem Reiz des neuen Verhältnisses, welches er vor sich sah, daß er Elisens Vorschlag annahm.

Kein hartes, leidenschaftliches Wort fiel zwischen den Gatten vor; es wurde alles mit äußerer Ruhe und Würde besprochen und überlegt; Lützow bat dringend, daß Elisa immer seine Freundin bleibe, daß sie einen fortwährenden Briefwechsel unterhalten möchten, daß sie ihm erlaube auch ferner, wie er es bisher gethan, sich um ihre Geschäfte in Dänemark zu bekümmern.

Elisa hatte keinen Augenblick geschwankt, Lützow seine Freiheit anzubieten, aber sie litt tief dabei, sie sah sich plötzlich verlassen und heimathlos, und so fest, wie ihr Entschluß stand, fortzugehen, so wußte sie doch noch nicht, wohin sie sich wenden sollte. Ihr Leid einstweilen still in sich verschließend, scheint sie es damals noch keinem ihrer Freunde mitgetheilt zu haben, und auch Immermann, ohne zu ahnen, was vorgegangen, schrieb ihr noch lange unbefangen und harmlos wie bisher. Erst als sie beschlossen hatte vorerst nach Dresden zu gehen, wo ihre Freundin Henriette Solger als Wittwe lebte, scheint sie ihm über diese Absicht und die Ursache derselben einige unbestimmte Andeutungen gemacht zu haben, wie aus seinen Briefen zu ersehen ist. Bald darauf gerieth Immermann durch die nähere Mittheilung von dem Schicksal der geliebten Freundin in die größte Aufregung; so sehr, wie er sie bedauerte, so hoffnungsvoll machte ihn zugleich der Gedanke, daß sie bald frei sein würde; er schrieb ihr voll Herzlichkeit, aber doch mit zarter Furcht, sie durch dringende Fragen zu verletzen.

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Lützow schickte Elisen einen Ring mit einem Pudel verziert.

Gräfin Elisa von Ahlefeldt, die Gattin Adolphs von Lützow, die Freundin Karl Immermann's

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