Читать книгу Tod eines Versicherungsvertreters - Axel Allion - Страница 6

Dienstag 06. September

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Irgend etwas weckte Fuhr aus seinem bleiernen Schlaf auf. Dennoch wusste er zunächst nicht was anders war gegenüber gestern Nachmittag, als er sich hingelegt hatte. Als er dann sah dass Licht durch die Rollladenschlitze drang wurde er wacher, da er nun davon ausging dass der neue Tag begonnen hatte. Dann fiel ein Blicküber ihre Schulter hinweg auf die Digitaluhr, die 5.59 Uhr anzeigte – seine innere Uhr funktionierte wieder stellte er erfreut fest. – Moment mal dachte er, wem gehört nun die Schulter über die er sah und warum um alles in der Welt war er schon wieder nackt. Nach seiner Erinnerung war er in voller Montur auf sein Bett gesunken und zwar allein! Da lag wieder die blonde junge Frau, deren Namen er auch nach seinem Schlafmarathon noch nicht erinnerte. Aber wie kam die nun wieder in sein Bett, bzw. wie überhaupt in seine Wohnung hinein. Da sie sich in „Löffelchen – Stellung „ an ihn hingekauert hatte versuchte er sich von ihr zu lösen, ohne sie zu wecken. Da jedoch sein Arm unter ihrem Kopf lag und wohl taub war durch den Druck ihres Kopfes, gestaltete sich die Aktion schwieriger als gedacht. Als er sich dann endlich befreit hatte rutschte ihr Kopf aufs Kopfkissen ab, dabei schien sie zu erwachen und Fuhr fluchte leise in sich hinein. Das versuchte er gerade zu vermeiden. Ein letzter Funke Hoffnung war noch, dass sie sich einfach herumdrehte und weiterschlief, aber diese war nach wenigen Sekunden verflogen und zwei strahlende Augen sahen ihn zwar noch etwas benommen, aber alles Glück dieser Welt ausstrahlend an.

„Hallo mein Liebling“ flötete sie „Na, hast du gut geschlafen?“

Er brummte etwas, für sie Unverständliches und wankte ins Bad. Wieder hoffte er, dass eine kühle Dusche die Lebensgeister in ihm weckte und ihn Zeit gewinnen ließ noch einige weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Jedoch kaum war er in die Dusche getreten schlüpfte sie lachend hinter ihm her und mit hinein, drehte den Temperaturregler des Thermostaten auf 36 Grad und die Dusche auf. Dabei schmiegte sie sich eng an ihn und küsste seinen Hals. Er spürte wie er eine Erektion bekam. Als sie sein steifes Glied an ihren Schenkeln spürte ergriff sie es und führte es in ihre Scheide ein. „Gestern Abend als ich nach Hause kam warst du so müde, dass ich dich nur noch aus den schmutzigen Klamotten befreien konnte – aber ein bisschen Zeit für das da hatten wir nicht.“ Raunte sie ihm ins Ohr. Mehr konnte sie nicht sagen, da seine Lust sie nur noch zu unartikuliertem Stöhnen brachte. Nachdem sie ihren Sinnen freien Lauf gelassen hatten, verließen beide einigermaßen atemlos die Dusche. Seine, für ihn namenlose Freundin trocknete sich schnell ab, wickelte sich das hellgelbe Badetuch um den Körper und formte aus dem gleichfarbigen Handtuch für die Haare einen Turban und verschwand aus dem Bad. Na das hast du ja toll gemacht, schalt er sich. Das ist ja nun das dämlichste, das hatte passieren können. Gerade wo er die Sache beenden hatte wollen, bevor sie eine Eigendynamik entwickelte die er nicht wollte – inklusive Heirat. Während er sich rasierte sinnierte er darüber nach wie er die Situation entschärfen könnte und das Thema Hochzeit wieder beerdigen könnte. Eigentlich fand er ja die Kleine ganz nett und hübsch und... weiter kam er nicht, hörte er sie doch schon wieder aus der Küche

„Wieder Kaffee schwarz mit einem Würfel Zucker – Schatz?“

„Ja genau!“

Antwortete er reflexhaft und wusste nun weder ein noch aus, da das ganze ihm immer unheimlicher wurde. Das Unheimlichste dabei war aber, dass es ihm begann zu gefallen wie sich die Morgenprozedur entwickelte. Befriedigt stellte er fest, dass seine Haare auf dem Kopf wieder zu sprießen begannen. Ebenso ein Rätsel, in das seine Freunde kein Licht bringen konnten. Jeder für sich hatte sich bestürzt gezeigt, als er fragte ob sie sich an den Umstand erinnern konnten bei dem er seine Haarpracht verlor. Sie schienen überhaupt nicht zu wissen dass das überhaupt passiert war.

So kam er nicht weiter erkannte er, während er in sein kurzärmeliges Jeanshemd schlüpfte, die beige Jeans des Vortages anzog und in seine dunkelblauen Slipper schlüpfte. Es hilft nichts ich muss da mal reinen Tisch machen dachte er bei sich und seufzte laut. Eigentlich war es das Letzte, heute morgen Tränen einer schönen Frau zu sehen und das was er zu sagen hatte würde wohl zu Tränen führen, das wusste er. Aber da er ansonsten die Situation nicht zu klären wusste, musste er diesen Schritt gehen.

„Ähm Schatz...“ begann er als er in die Küche kam, wo sie schon alles für das gemeinsame Frühstück verbreitete „...ähm ich habe da ein Problem...“

weiter kam er nicht

„Ja, ja ich weiß, du hast einen kompletten black out und kannst dich an nichts von dem erinnern was am Wochenende passiert ist. Du willst nichts mehr von deinem Eheversprechen wissen, willst deinen Wohnungsschlüssel wiederhaben und ich soll mich jetzt zum Teufel scheren.“

Bei ihren letzten Worten wich ihr Lächeln aus dem Gesicht und es war nur noch ein künstliches Lächeln um den Mund herum zu sehen.

Derart überrumpelt brachte Fuhr nur noch ein gestammeltes „Nein, nein ...“ heraus und wie in einem Reflex küsste er sie auf den Mund als wolle er sagen sei still und rede dir so was nicht ein.

Als er sich wieder leicht von ihr löste strahlte sie ihn schon wieder mit erwartungsvollem Blick wieder an.

„Also hör´ mal, es sieht folgendermaßen aus: Es stimmt ich erinnere mich an kaum etwas das am Wochenende abgelaufen ist...“ eröffnete er ihr, um verlegen fortzufahren „...noch nicht mal an deinen Namen...“ dabei sah er wie das Lächeln aus ihren bezaubernden Gesicht zu weichen schien, sodass er schnell fortfuhr „...aber was gestern und heute passiert ist habe ich durchaus genossen und... eigentlich gefällst du mir auch sehr gut. Wir sollten es vielleicht mal miteinander versuchen, wenn du nichts dagegen hast. Dann könntest du natürlich auch meinen Wohnungsschlüssel behalten, aber die Sache mit der Hochzeit....“

„Ja, ja schon gut“ unterbrach sie ihn und küsste ihn auf die Wange „das muss ja nicht so überstürzt sein“

Wieder strahlte das ganze Gesicht und er spürte so einen inneren Drang sie einfach wieder zu küssen. Irgendwie fühlte sich die ganze Situation jetzt wieder gut an und Fuhr vergaß alles was er sonst noch wissen wollte, bis sie begann: „Alexandra Seibel“

„Äh.... wie bitte?“

„Na du wolltest doch meinen Namen wissen und der ist nun mal Alexandra Seibel. Die meisten nennen mich Alex, also wie du willst, Alex , Alexandra, eine Kollegin auf dem Seminar hatte mich sogar Ali genannt, das fand ich aber nicht so prickelnd“

Er lachte laut auf bei dem Namen Ali. Irgendwie verband er damit nicht unbedingt eine strohblonde, schöne, junge Frau

„Nein, nein, Alex ist schon okay. Ich vermute mal wie ich heiße weißt du?“

„Ich weiß alles über dich bis hin zu deiner Konfektionsgröße“ gab sie lächelnd zurück und irgendwie hatte er das Gefühl dass sie immer dabei strahlte, er konnte es nicht erklären, aber diese junge Frau hatte wirklich etwas Besonderes. Er wusste nicht ob es ihn erschreckte, oder beruhigte, als ihm der Gedanke durch den Kopf schoss, dass das wohl wirklich eine Frau zum Heiraten war.

„So jetzt haben wir genug in der Küche rumgestanden, lass uns ins Esszimmer gehen und frühstücken. Die Eier dürften jetzt auch richtig sein“ Dabei wies sei auf den Topf kochenden Wassers und schob ihn gleichzeitig mit sanfter Gewalt in Richtung Essecke. Sie drückte ihn auf den erstbesten Stuhl, wo sie eingedeckt hatte und er ließ es sich gefallen. Etwas in ihm rebellierte, dass er doch eigentlich gar nicht so umfangreich frühstückte, wenn er überhaupt etwas morgens zu sich nahm, außer einem Pot heißen Kaffees im Präsidium. Aber er ließ es widerstandslos geschehen. Als sie alles abgestellt hatte und ihm gegenüber Platz genommen hatte, realisierte er, dass noch nie jemand in der Essecke Platz genommen hatte, um mit ihm eine geregelte Mahlzeit einzunehmen. Er besaß die Wohnung schon seit fast vier Jahren. Die Küche hatte er vom Vorbesitzer übernommen, obwohl sie schon in die Jahre gekommen waren hatte sie alle Ausstattungsdetails die er brauchte, auch wenn das eintönige weiß etwas langweilig wirkte hatte er nie einen Mangel darin erkannt. Da der Vorbesitzer bei Verlassen der Wohnung jeden Raum Raufaser weiß gestrichen hatte sah er keine Grund das zu ändern und er stellte einfach seine wenigen Möbel in die drei Zimmer, die zum Teil deplatziert, zum Teil unpassend wirkten, aber das störte ihn nicht. Es war nun mal eine Junggesellenbude in der er meistens nur übernachtete und sonst nichts. Eigentlich hätte es ein Ein-Zimmer Apartment auch getan dachte er, aber es war eine Gelegenheit die nicht so schnell wiederkam. Eine Dreizimmer, Küche, Bad – Wohnung im eigentlich teuren Ettlingen mit 78 qm für 110.000,- € in gutem Zustand. Zugegeben es war ein von außen recht unansehnlicher Klotz, genau genommen waren es drei Klötze – eine Bausünde der Siebziger Jahre. Innen war die Unterteilung in kleine Einheiten mit gerade mal zwei Appartements auf dem Flur sehr schön und der Ausblick aus dem 8. OG, wo er wohnte war atemberaubend. So überblickte er die gesamte Rheinebene bis zu den Pfälzer Bergen im Westen und im Südwesten waren die ersten Ausläufer der Vogesen zu erkennen. Es war dieser Ausblick, der ihn spontan zusagen ließ, als er die Wohnung sah. Auch heute noch war er oft auf dem Balkon wenn er zu Hause war um den Ausblick zu genießen. In einer heißen Sommernacht schlief er sogar die Nacht über auf seinem Balkon.

„Du wirkst so nachdenklich.“ Sprach Alex ihn an und riss ihn aus seinen Gedanken.

Er erzählte ihr seine Gedanken zur Essecke, woraufhin sie ihn strafend ansah.

„Deine Wohnung ist so schön und du nutzt sie kaum, es ist eine Schande.“ Meinte sie in strafendem Ton.

Dabei fiel Fuhr wieder das geschmackvoll eingerichtete Haus der Familie Vogtländer ein und in der Tat kam ihm im Vergleich dazu seine Wohnung schäbig vor. Wieder riss Alex ihn aus seinen Gedanken.

„Was würdest du davon halten wenn ich deine Wohnung ein bisschen schön herrichte, ich habe Spaß an so was?“ Alex sah ihn erwartungsvoll an.

„Na ja wenn du willst, kannst du das schon tun, aber nur unter der Bedingung, das du mir alle Rechnungen vorlegst, damit ich dir das dann erstatte.“

„Ach brauchst du das für deinen Vermieter?“ meinte Alex.

„Nein, nein die Wohnung gehört mir, aber genau deswegen will ich schon auch die Kosten der Verschönerungsaktion tragen, immerhin investierst du deinen Geschmack und deine Arbeitskraft, wenn ich dann mein Geld beisteure ist das doch nur fair.“

Kaum dass Fuhr zugestimmt hatte stand sie noch ihr Brötchen kauend auf und rannte begeistert in der Wohnung umher, um im Geist die Möbel und Accessoires einzuräumen und Fuhr immer wieder unter anzeigen der Größen anzudeuten welches Möbelstück an welche Stelle kommt.

„Nun komm mal her und iss dein Ei und den Rest deines opulenten Frühstücks, eingerichtet wird erst nach dem Frühstück.“ Meinte Fuhr laut lachend. „Ach übrigens, wo wohnst du eigentlich?“

„Im Schwesternwohnheim, derzeit. Eigentlich suche ich eine Wohnung, aber als Krankenschwester verdient man sich keine goldene Nase und die Mietpreise sind hier in der Gegend hoch.“

Plötzlich hörte er sich sagen „Na ja dann komm doch ganz zu mir, hier ist Platz genug für uns beide.“

Im ersten Moment zweifelte er, ober er das wirklich gesagt hatte, aber ihre Reaktion war eindeutig.

„Das wäre ja riesig – bist du dir sicher, dass du das wirklich willst?“ Fragte sie dann doch etwas ängstlich zurück.

„Warum so skeptisch?“ wieder erwachte der Kriminalist in ihm „Wie bist du überhaupt eben so schnell drauf gekommen, dass ich nichts mehr von dir wissen wollte?“ „Na ja...“ sie zögerte wurde sichtlich verlegen „...ich hatte gestern ein langes Telefonat mit Frank Geyer. Der hatte gemeint, dass du dich möglicherweise an nichts mehr erinnerst und ein eingefleischter Junggeselle seist. Ich sollte mir lieber nicht allzu weit gehende Hoffnungen machen. Du habest auch schon Freundinnen nach einer Nacht weggejagt!“

Fuhr schwankte zwischen Wut und Verlegenheit. Immerhin war Frank einer seiner ältesten Freunde. Sie kannten sich schon aus Grundschulzeiten an der Schillerschule in Ettlingen, besuchten gemeinsam erst das Eichendorff Gymnasium und dann das technische Albert-Einstein- Gymnasium und der erzählt einer für ihn wildfremden Frau solche Sachen über ihn. Zwar musste er zu seiner Schande eingestehen, dass es die reine Wahrheit war, aber das musste man doch nicht gleich als erstes erzählen. Im Übrigen ist das schon einige Jahre her und er war ja auch nichtmehr der, der er damals war, wie er ja jetzt selbst feststellte.

„Das waren Jugendsünden“ begann Fuhr „so bin ich nicht... zu mindest nicht mehr. Und wenn ich dir das anbiete dann meine ich das auch so.“

Er wusste, nun hatte er sich festgelegt. Ein bisschen unwohl war ihm zwar schon, da er ahnte dass er jetzt eventuell in der Falle saß. Aber irgend etwas sagte ihm, dass dieses hübsche Geschöpf vor ihm irgendwie etwas in ihm berührte, das er so noch nicht gekannt hatte. Als er nun ihr neuerliches Strahlen, ob seiner Eröffnungen sah war er sichtlich mit seiner Entscheidung zufrieden.

Gut gelaunt verabschiedete er sich nachdem er ein ausführliches Frühstück eingenommen hatte und machte sich auf den Weg ins Präsidium. Was er früher als Kleinbürgeridyll abgetan hatte, stellte er nun fest war irgendwie angenehm. Er versuchte seine eigenen Gefühle zu hinterfragen, wie er nur zu dieser Meinungs-änderung kommen konnte. Hatte es am Ende mit Alex zu tun. War die im Suff getroffene Entscheidung diese Frau zu heiraten instinktiv die Richtige? Nein das konnte nicht sein.

In dieser, doch heiteren und beschwingten Gemütslage betrat er das Präsidium, als ihm Kaiser begegnete, der eigentlich eher bedrückt schien.

„Hallo Reinhard, na, wie ist die Lage?“

„Na ja, es muss halt.“

Zwar war Kaiser nicht der Typ der über seine Befindlichkeiten sprach, aber Fuhr bemerkte instinktiv, dass etwas nicht stimmte. Kein flapsiger Spruch, dass er heute aber spät dran sei - immerhin hatte ein Frühstück seine Ankunftszeit gegenüber den üblichen Zeiten um eine halbe Stunde verschoben.

„Reinhard, kann ich dir helfen? Irgend was stimmt doch nicht!“ beharrte Fuhr

„Ach es ist nur wegen meiner Frau, Marlene, es geht ihr nicht gut“

„Was ernstes?“ wollte Fuhr besorgt wissen

„Na ja man weiß es eben nicht genau. Sie soll morgen zu einer Gewebeprobenentnahme -Biopsie, oder wie sich das nennt ins Krankenhaus. Irgendwie ist mir nicht wohl bei der Sache, obwohl sie das immer wieder herunterspielt.“

Kaiser wirkte auf einmal sehr viel älter als er tatsächlich war, dass die Ungewissheit an ihm nagte war ihm deutlich anzusehen.

„Du, wenn ich dir irgendwie helfen kann, gib einfach Bescheid, ich bin jederzeit bereit.“

„Vielen Dank Olli, ich weiß das zu schätzen, leider bleibt im Moment nur abzuwarten, aber das macht einen mürbe.“ Gab er zu und wirkte dabei eigenartig müde. Fuhr´s gute Laune war mit einem mal verflogen. War Kaiser doch so etwas wie sein Förderer und bester Freund. Er hatte ihm unendlich viel zu verdanken, nicht zuletzt, die Tatsache, dass er bereits zum Kriminalkommissar aufgestiegen war, was in seinem Alter nicht selbstverständlich war. Natürlich kannte er seine Frau Marlene, die er als Kollegin kennen gelernt hatte und mit der er nun auch schon bald 25 Jahre verheiratet war. Zusammen hatten sie einen Sohn, Robert der im Moment an der Uni Karlsruhe Physik studierte. Sie ist eine patente und sehr charmante Frau, Fuhr hatte immer Kaiser gegenüber gewitzelt:

„Sei froh, dass ich Marlene noch nicht kannte als sie noch zu haben war, sonst wärst du heute noch Junggeselle.“

Aber wenn es so etwas gab wie für einander bestimmt zu sein, dann waren es Marlene und Reinhard und irgendwie hatte er seinen Freund und Kollegen darum beneidet. Ob das nun mit Alex auch so etwas geben würde überlegte er als er entgegen seiner Gewohnheit langsam die Treppe hochlief. Apropos Alex. Er nahm sein Handy aus der Tasche und rief bei sich zu Hause an.

„Seibel bei Fuhr“ meldete sie sich

„Hallo Schatz, ich bin´s, Olli. Wie ist das eigentlich wenn jemandem eine Gewebeprobe entnommen wird, eine Biopsie, oder so ähnlich, auf was wird da untersucht?“ „Das ist eine typische Untersuchung auf eine krankhafte Zellneubildung, aber warum willst du das wissen?“ „Meines Kollegen Frau wird daraufhin morgen unter-sucht bzw. operiert, aber was heißt das denn krankhafte Zellneubildung?“

„Krebs“ antwortete sie kurz.

„Ach du große Scheiße!“ Entfuhr es ihm.

„Nur keine Panik, es kann sein, dass gar nichts festgestellt wird. Es kann auch eine gutartige Wucherung sein und selbst wenn es eine bösartige Geschwulst ist sind die Prognosen je nach dessen Lage sehr gut. Krebs ist heute längst kein Todesurteil mehr.“

„Danke Schatz du hast mir sehr geholfen, ist doch gut eine Medizinerin in der Familie zu haben.“

Alex lachte zufrieden auf „Tja manchmal bin ich schon für was gut!“

„Du bist für alles was mir guttut gut“ Witzelte er und bekam am anderen Ende der Leitung wieder dieses zufriedene Lachen zu hören. Vor seinem geistigen Auge konnte er sie wieder strahlen sehen.

„Sag´ mal mit wem raspelst du denn da wieder in aller Frühe Süßholz?“

Fuhr drehte sich um und sah Jessy vor sich stehen

„Mit meiner Freundin Alex, wenn du es genau wissen willst.“

„Ach hat die Angebetete einen Namen bekommen, oder ist es schon wieder eine Neue?“

„Nein, es ist immer noch die selbe Frau - und was für eine Frau!“

„ Du wirst dich doch wohl nicht am Ende wirklich verliebt haben?“

„Doch, ich glaub´ mich hat´s voll erwischt!“ Gab Fuhr in unerwarteter Ehrlichkeit zurück

„Und welches Verfallsdatum steht jetzt drauf?“ Wollte Jessy schnippisch wissen. Doch bevor Fuhr darauf reagieren konnte kam Kaiser aus seinem Zimmer und rief ihnen zu:

„So, genug herumgealbert, es wird Zeit mal wieder was zu arbeiten. In Zwanzig Minuten kommt unser Zeuge der Vogtländer auf dem Rastplatz südlich Karlsruhe zweimal mit der jungen Frau gesehen hatte. Olli, bitte bereite dich auf die Befragung vor und lies dir mal das Protokoll des Telefonates durch, bitte vergegenwärtige dir genauestens die Fakten.“

„Alles klar, Reinhard wird gemacht.“ Geflissentlich die Schärfe in Kaisers Stimme überhörend.

„Wie ist der denn drauf?“ Maulte Jessy

„Komm lass gut sein. Seiner Frau geht´s nicht gut und er ist einfach etwas angespannt. Nimm´s dir einfach nicht so zu Herzen wenn er dich heute vielleicht mal anblafft. Du weißt ja Reinhard ist eigentlich ein herzensguter Kerl.“

Irgendwie komisch, dachte Fuhr fast das gleiche hat gestern jeder über Vogtländer gesagt und jetzt kommt gleich jemand der vielleicht genau das Gegenteil behauptet.

Um genau 8.00 Uhr stand der Zeuge vor ihm. Ein Herr Joachim Keller, seines Zeichens Vertreter für Baumaschinen. Ein langer hagerer Mann mit grau/schwarz melierten Haaren und warmen braunen Augen 1,90m groß, aber durch seine hagere Gestalt wirkte er größer als er tatsächlich war. Wie sich bei der Befragung herausstellte 45 Jahre alt, steckte er in schwarzen Schnürschuhen, die sicherlich gut über 300,-€ gekostet hatten taxierte Fuhr, der ein Auge für diese Dinge hatte. Dazu trug er einem gut sitzenden dunkelblauen Anzug und ein hellblaues Hemd. Die Krawatte wiederum war gestreift und nahm die beiden Blautöne auf, am unteren Ende mit einem sehr dezenten Firmenlogo versehen, machte er einen sehr gepflegten Eindruck auf Fuhr. Allein seine, vom exzessiven Zigarettenkonsum stark gelblich verfärbten Zähne passten nicht ins Bild. Nachdem die ersten Formalitäten ins Audioprotokoll aufgenommen waren kam Fuhr schnell zur Sache.

„Also Herr Keller, wie war das mit Herrn Vogtländer und seinen Treffen mit der jungen Dame.“

„Na ja, wie ich ihrem Kollegen schon sagte. Beim ersten Mal ist der Herr Vogtländer an mir vorbeispaziert und hat mich wohl gar nicht gesehen. Er schien mir sehr in Gedanken vertieft, da er auch nicht auf meine Ansprache reagierte, was eigentlich nicht seine Art ist. Ich vermute dass er wirklich so mit sich beschäftigt war, dass er seine Umgebung nicht wahrnahm. Wie schon gesagt, konnte ich ihn nicht verfolgen, da ich selbst einen Anruf erhielt und mich dann um meine Sache kümmern musste.“

Fuhr wippte ungeduldig mit dem Stuhl, als er fragte: „Wirklich interessant ist eigentlich die von ihnen beobachteten Treffen mit der jungen Dame. Was können sie mir dazu sagen?“

„Es war wohl in der darauffolgenden Woche und muss wohl insgesamt nun fünf, oder sechs Wochen zurück liegen, als ich ihn wieder auf den Rastplatz einfahren sah, sein toller Jaguar XF ist ja auch kein alltägliches Auto, das fällt auf. So was nimmt man wahr und nachdem sein Kfz- Kennzeichen DV, also seine Initialen auch sehr verräterisch waren, wusste ich gleich wen ich vor mir hatte. Da es wie aus Eimern regnete verzichtete ich darauf auszusteigen und ihn anzusprechen. Er hielt auf der gegenüberliegenden Seite des Rastplatzes nur wenige Meter vor mir, als aus dem zwei Fahrzeuge vor meinem abgestellten KFZ eine junge Frau in ein blaues, fast bodenlanges Regencape gekleidet zu ihm her-überrannte und in sein Fahrzeug einstieg. Erst dachte ich, dass ich wohl noch nie so lange Capes gesehen hatte. Das schien jedoch daran zu liegen, dass sie recht klein gewachsen war und das Cape wohl eher für eine Person meiner Körpergröße gedacht war....“

„Konnten sie sehen was sich dann im Fahrzeug abspielte, oder mindestens erahnen?“ Unterbrach ihn Fuhr.

„Zuerst konnte ich mir keinen Reim auf die Sache machen. Natürlich kam mir in den Sinn, dass er da vielleicht eine Dame des horizontalen Gewerbes trifft und was dann im Fahrzeug passiert brauche ich wohl nicht weiter ausführen...“

Fuhr bestätigte lächelnd, dass er wohl an das gleiche dachte

„...aber zum einen hatte ich Vogtländer so nie eingeschätzt, zum Anderen kenne ich seine Frau und die Klasse hatte die Kleine nicht, dass er derentwegen seine Frau betrog. Aber selbst wenn das nichts zu sagen hatte, kam mir die Kleine irgendwie bekannt vor und da ich nicht die Dienste dieser Damen nutzte konnte ich sie nicht in diesem Zusammenhang kennen. Was sich jeweils im Auto abgespielt hatte kann ich allerdings nicht sagen, da im ersten Fall der dichte Regen eine Sicht ins Fahrzeug verwehrte und es im Übrigen nicht meine Art ist den Leuten derart nachzustellen und im zweiten Fall war heller Sonnenschein, dabei sah ich auch das Gesicht der Dame. Dabei reflektierte die Autoscheibe das Licht derart, dass ich auch da von meinem Standort aus nicht ins Fahrzeug sehen konnte.“

„Sie sagten eben, dass ihnen die Person, die sich mit Herrn Vogtländer traf bekannt vorkommt. Es wäre von äußerster Wichtigkeit, dass sie sich erinnern woher sie die Frau kennen.“ Insistierte Fuhr.

Keller begann angestrengt nachzudenken „Irgendwas mit einem Arztbesuch, glaube ich...“ begann er „ ...irgendwie habe ich sie in weißer Kleidung in Erinnerung....“

„Bei welchen Ärzten waren sie denn in letzter Zeit?“ Versuchte Fuhr zu helfen „...Na ja beim Hausarzt, aber daher kann ich sie nicht kennen. Die beiden Damen dort kenne ich namentlich und von denen war es keine, .... aber sonst?“

Fuhr sah ihn durchdringend an, als ob er in seinen Augen den Namen der jungen Dame ablesen könne. „Das war der einzige Arzt, bei dem sie waren in letzter Zeit?“

„Nein, ich war noch beim Internisten, aber von den Damen dort, war es auch keine. Aber .... warten sie ich glaube die arbeitet bei einem Orthopäden ... ja genau in der Praxis Meyer / Müllerschön in Ettlingen. Ich hatte nie selbst mit ihr zu tun, sie lief dort immer herum, wenn ich dort war – da wuseln viele Arzthelferinnen herum, ich habe mich schon oft gefragt was die wohl alle tun?“ Keller´s Gesicht entspannte sich wieder. Fuhr war auch schon froh so weit gekommen zu sein, aber auch die Tatsache, dass der Zeuge nicht von einer intimen Beziehung zwischen Vogtländer und der Arzthelferin ausging bestätigte ihn in seiner Einschätzung. Nun versuchte er noch das Letzte aus der Erinnerung des Zeugen herauszubekommen:

„An einen Namen vermute ich könne sie sich nicht erinnern, aber könnten sie die Damen näher beschreiben?“

Wieder legte Keller seine Stirn in Falten und vergegenwärtigte sich abwechselnd die Bilder von der, auf den Fluren der Arztpraxis umher rennenden Mitarbeiterin und der von ihrem Auto zum Fahrzeug Vogtländers laufenden Person.

„Richtig, den Namen weiß ich nicht. Aber ich würde sagen so zwischen 1,45m und 1,50m groß, mittelschlank, dunkles Haar.“

Fuhr nickte zufrieden „Na das ist doch eine gute Beschreibung, insbesondere wenn man weiß, wo man zu suchen hat.“ Bestätigte der Kriminalbeamte dem Zeugen, der auch zufrieden nickte.

Nachdem Fuhr Keller das Band noch einmal vorgespielt hatte, bestätigte dieser die Richtigkeit, sodass man sich mit besten Wünschen verabschiedete und Fuhr, wie mit einer Trophäe in der Hand zu Kaisers Zimmer ging um ihm das Ergebnis seiner Befragung vorzuspielen. Kaiser rief noch Jessy dazu, sodass diese sich ebenfalls aus erster Hand ein Bild von der Sachlage machen konnte. „Ist eigentlich Frau Hutt schon da?“ Wollte Fuhr wissen. „Ja, ja die ist schon da und geht fleißig mit Bauer und mir die Akten die Bauer und einige Streifenbeamten aus der Agentur Vogtländer sichergestellt haben durch.“

Bei dem Namen Bauer verzog Fuhr schmerzhaft das Gesicht. Valentin Bauer war inzwischen 61 Jahre alt und immer noch Kriminalkommissar. Aufgrund seiner mangelnden Teamfähigkeit und einem gewissen Eigenbrötlertum, wobei er tunlichst jedem Fest und jeder Teambuilding – Veranstaltung fernblieb sowie seines abweisenden Wesens schon viele Dezernate des Hauses durchlaufen, ohne wirklich irgendwo anzukommen. Irgendwie wollte niemand etwas mit ihm zu tun haben. Kaiser nahm sich seiner an und so war er nun schon seit acht Jahren in seinem Dezernat, jedoch ohne auch hier irgendwie hineinzufinden. Auch war er Kaiser und seinem duldsamen Wesen keineswegs dankbar, dass seine Wanderschaft durchs Haus nun beendet war. Mindestens zeigte er es nicht. Er war eingefleischter Junggeselle, Jessy hielt Fuhr immer vor so auch zu werden, wenn er sich nicht bald an ein weibliches Wesen band. Seine 1,75 m Größe und die Hornbrille, wie aus den fünfziger Jahren steckten jeden Tag in einer graue Hose an und einige der Kollegen ätzten, dass es wohl auch immer die selbe sei. Dazu immer ein weißes Hemd. Je nach Jahreszeit ein Kurzärmeliges, oder ein Langärmliges. Dabei trug er immer Krawatten, von denen anzunehmen war, dass er wohl Anfang der siebziger Jahre einen großen Posten von hunderten Krawatten angekauft haben musste, die bis in heutige Tage reichten. Bis heute hatte er noch kein privates Wort geäußert und wenn er sich mit den Kollegen über fachliche Fragen unterhielt kamen seine Äußerungen auf eine ruppige, fast beleidigende Art.

Und dieser Mensch saß nun mit der überaus freundlichen Frau Hutt zusammen? Fuhr befürchtete schon Schlimmeres.

Als das kurze Briefing der Drei beendet war schloss sich Fuhr Jessy an, um die hilfsbereite, nette Frau zu begrüßen. Als sie die Tür zum Besprechungsraum öffneten, wo Jessy und Bauer die Aktenberge abgelegt hatten, glaubte Fuhr seinen Augen nicht trauen zu können. Da saßen doch Tatsächlich Hutt und Bauer scherzend und lachend beieinander als hätten sich älteste Freunde nach länger-er Zeit wiedergetroffen. Fuhr begann zu Lächeln und als Hutt ihn wahrnahm erwiderte sie dieses Lächeln und sie begrüßten sich mit einem herzlichen Händedruck.

„Na, ich sehe, sie sind schon fleißig“ stellte Fuhr mit einem Blick auf die bereits bewältigten Akten fest, auch wenn es erst ein kleiner Stapel war im Verhältnis zu den riesigen Mengen, die auf sie warteten.

„Ja klar. Irgendwie muss man ja anfangen. Aber mit der charmanten Hilfe...“ dabei nickte sie mit einem aufmunternden Lächeln Bauer zu, der das Lächeln erwiderte „... kann eigentlich gar nichts schiefgehen“. “Frau Hutt sie sind einfach die Beste“ bestätigte Fuhr mit einem noch breiteren Lachen.

Dabei bewunderte er Bauers Mimik. War ihm bis dahin noch nie aufgefallen dass sich der zu einem Lächeln durchringen konnte. Nicht nur das war eine Premiere, sondern auch die Tatsache, dass er sich einem anderen Menschen nicht unerträglich, ja sogar freundlich nähern konnte. Fuhr drehte sich zu Jessy um, welche die Szene wohl mit nicht weniger Verwunderung zur Kenntnis nahm. Als sich ihre Blicke trafen zog Jessy mit einem irritierten Gesichtsausdruck die Schultern hoch und bedeutete, dass ihr die Situation auch mehr als merkwürdig vorkam, da aber alles in Ordnung schien wollte keiner der Beiden daran rühren.

„Herr Bauer, ich leih mir mal Jessy aus. Wir müssen zu einer Befragung nach Ettlingen. Sie kommen ja beide hier gut zurecht!“

Bauer lächelte abermals, dieses mal Fuhr zu und meinte in jovialem Tonfall: „Ja, schon in Ordnung wir beide haben das schon im Griff.“

Kaum zur Tür draußen sprach Fuhr Jessy an: “Kannst du mich mal zwicken, war das unser Bauer, ich meine unser, lass mich grad in Ruh´ Bauer, unser ist mir scheißegal Bauer, unser das steht nicht in meiner Stellenbeschreibung Bauer, oder wurde der über Nacht von Aliens entführt und hat eine Gehirnwäsche mitgemacht?“

„Also über Nacht kann das nicht gewesen sein...“ gab Jessy lachend zurück. „...heute Morgen war er noch immer das Ekelpaket das wir alle kannten und hassten.“ „Also ich glaube wir sollten der Frau Hutt bei uns einen Job anbieten und die beiden in ein Zimmer setzen, dann hätten wir eine Kraft mehr und einen umgänglichen Kollegen Bauer. Als Sie das Dienstfahrzeug erreicht hatten und noch einige launige Kommentare über Bauer ausgetauscht hatten wechselte Jessy unvermittelt das Thema:

„Und, was macht die Liebe?“

„Der geht´s gut, danke.“ Antwortete Fuhr kurz.

„Na, nun erzähl schon und lass´ dir nicht die Brocken einzeln aus dem Mund ziehen, weißt du jetzt wie deine bald Ehefrau heißt, oder ist sie immer noch Schatzi?“ „Alexandra Seibel, von Heirat keine Rede, aber sie wohnt jetzt bei mir, spart Putzfrau, Köchin und Fremdwaschen.“

„Also das ist ja das dämlichste was ich bisher von dir gehört hatte.“ Empörte sich Jessy, ob der etwas verzerrten Telegramm Mitteilung

„Mehr gib´s nicht zu sagen, ob´s so funktioniert werden wir sehen, Ende des Themas.“

Fuhr delektierte sich an der Empörung der Kollegin deren Sommersprossen auf der Nase einmal mehr zu tanzen begannen.

„Na das ist aber wirklich sehr dürftig. Wenn wieder Katastrophe angesagt ist dann bekomme ich einen minutiösen Bericht und darf dir die Besten Tipps zum Umgang mit dieser Situation geben und wenn´s läuft werde ich mit Diätkost abgespeist – aber immerhin es scheint gut zu laufen – und übrigens, wie ist sie denn im Bett?“ Bei diesen Worten lächelte sie ihn mit einem Augenzwinkern frech an.

„Nur gut dass du keine intimen Fragen stellst...“ Gab Fuhr mit gespielter Empörung zurück „...aber ich kann dir ehrlich sagen, dass ich es nicht weiß. Ans Wochenende habe ich sowieso keine Erinnerung, gestern kam sie erst am späten Abend nach Hause, als ich schon schlief und heute morgen habe ich mich geduscht, wir haben gefrühstückt und dann bin ich hierher gekommen. Das schwöre ich bei allem was mir heilig ist!“

Jessy sah ihn aus den Augenwinkeln an und meinte mit kaum verhohlener Skepsis in der Stimme:

„Da ist doch noch irgend was. Immerhin ist das die erste deiner Freundinnen die bei dir einzieht und das einfach so?“

„Naja, die Wohnung habe ich ja auch erst seit drei - vier Jahren und seither hatte ich ja auch keine feste Beziehung mehr, also hatte ich folgerichtig zuvor auch niemanden in meine Wohnung einziehen lassen können. Schließlich willst du wohl das Loch wo ich zuvor gehaust habe nicht mit meiner jetzigen Wohnung vergleichen. Dieses Loch will ja keine Frau der Welt mit einem Mann teilen müssen. Das war ja bei Weitem zu klein. Aber die Wohnung ist ja alles andere als klein und ich glaube halt, dass der eine weibliche Hand da etwas mehr Lebensqualität einbringen könnte.“

„Schau, schau, der Herr Fuhr wird häuslich!“ Gab Jessy spöttisch zurück.

Als sie schließlich an der Praxis Meyer/Müllerschön in Ettlingen angekommen waren war das Thema dann erschöpft, nicht zuletzt, da Fuhr einfach mauerte. Sie fuhren mit dem Aufzug ins dritte OG des Ärztehauses. Zur Rechten erstreckte sich ein zum Bersten volles Wartezimmer, vor dem in geschmackvollem Vogelaugenahorn gehaltenen Tresen ebenfalls eine Menschenmenge und dazwischen emsig einher wuselnde Arzthelferinnen. Fuhr hatte keine Lust sich an das Ende der Schlange anzustellen und artig zu warten bis er dran war. Stattdessen griff er sich eine der vorbei huschenden Damen heraus, hielt ihr seinen Dienstausweis unter die Nase und fragte nach den Doktores.

„Welchen meinen sie, fragte sie hilflos“

„Mir völlig egal einen mit dem ich eine Befragung aller Kräfte hier organisieren kann.“ Gab Fuhr in barschem, autoritären Tonfall zurück.

„Wie stellen sie sich das vor? Sie sehen doch was hier los ist!“ Meinte die Frau hilflos.

„Hören sie mal meine Gute, wir führen hier eine Mordermittlung durch und im Übrigen muss ich mir das nicht vorstellen, sondern sie, ihre Kolleginnen und vor allem die Ärzte und jetzt soll sich einer der Herren hierher bequemen, sonst werden hier Ladungen ins Polizei-präsidium ausgesprochen und dann sind die Fehlzeiten länger, darauf können sie sich verlassen!“

Sichtlich eingeschüchtert gab die ca. 1,70m große, sehr schmal gebaute Frau mit ihren groben Gesichtszügen nur noch ein: „Ich seh mal was sich machen lässt“ von sich und verschwand.

Keine zwei Minuten später sahen die beiden Kriminalbeamten einen gut durchtrainierten, braungebrannten Mann in typischer Arztkleidung, weißes Poloshirt, weiße Hose, weißer Arztkittel in Birkenstocksandalen steckend auf sich zukommen. Sein Gesichtsausdruck verriet nichts Gutes und die stahlblauen Augen drohten Fuhr zu durchbohren.

„Was glauben sie denn wohl wer sie sind? Hier steppt der Bär und sie wollen alle meine Mitarbeiterinnen und auch noch uns Ärzte verhören. Wir werden ihnen gerne Rede und Antwort stehen, aber bitte nach Praxisschluss!“

„Guten Tag Herr Doktor...?“

„Müllerschön“ ergänzte er mit entnervter Stimme.

„Ich glaube sie verkennen die Rechtslage und die staatsbürgerlichen Pflichten etwas. Sollten wir jetzt nicht die drei Fragen, die wir an sie und ihre Leute haben stellen können, werden wir diese zu uns genehmen Zeiten ins Polizeipräsidium einbestellen, im Weigerungsfalle auch mit polizeilichen Zwangsmaßnahmen. Was wir hier tun ist bereits ein entgegenkommen und nun würde ich empfehlen vergeuden sie nicht teure Zeit und beantworten sie uns die paar Fragen die wir an sie haben.“

„Das ist doch unmöglich, wie sie sich hier aufführen. Am Sonntag werde ich mit ihrem Polizeipräsidenten Golf spielen und ihm von ihrem unmöglichen Verhalten berichten!“ Blaffte der Arzt.

„Oliver Fuhr, hier ist meine Dienstausweisnummer, ich wünsche viel Vergnügen und gut Holz, oder wie man beim Golf sagt“

Müllerschön sah Fuhr vor Wut kochend an und bellte ihn an „Also, was wollen sie wissen?“

Fuhr entgegnete gelassen und mit ausgesuchter Freundlichkeit: „Vielen Dank Herr Doktor für ihr Entgegenkommen, wir wissen das zu schätzen. Also erste Frage kennen sie diesen Mann?“ Dabei zeigte er ihm das vergrößerte Passbild von Vogtländer

„Kann sein, kommt mir jedenfalls bekannt vor, aber bei der Menge von Menschen, die ich jeden Tag sehe.“

„Das ist Herr Vogtländer – sagt ihnen der Name etwas?“ Wieder überlegte der Arzt kurz und antwortete in gleicher Weise ausweichend.

„Letzte Frage...“ begann Fuhr „...sie haben oder hatten eine Angestellte, ich habe sie bisher noch nicht gesehen, 1,45m bis 1,50m groß, mittelschlank, dunkles Haar, wo finden wir die?“

„Keine Ahnung ich hatte nie eine solche Kraft, das muss eine Verwechslung sein.“

Fuhr´s Blick auf den Arzt wurde immer skeptischer

„Gut das war´s jetzt werden wir ihren Mitarbeitern die gleichen Fragen stellen. Sie sehen ja geht ganz schnell und vielen Dank für Ihre Kooperation“

Ohne ein Wort zu sagen und ohne die Polizisten anzusehen entferne sich Müllerschön.

„Ach Herr Doktor...“ rief Fuhr ihm nach. Der drehte sich um und schleuderte ihm ein entnervtes „Was, denn noch?“ entgegen.

„...Grüßen sie doch unseren Herrn Polizeipräsidenten schön von mir!“

Der Arzt drehte sich auf dem Absatz herum und entschwand um die Ecke. Fuhr konnte ein in seinen nicht vorhanden Bart gemurmeltes „Arschloch“ nicht verkneifen.

Jessy hatte dieses gockelhafte Gehabe der beiden Männer höchst amüsiert mitverfolgt. Ähnlich schien es der direkt hinter dem Tresen stehenden, fast dunkelhäutigen, gut 1,85 m großen ausgesprochen attraktiven Arzthelferin zu ergehen, welche die Augen himmelwärts verdrehte und nur ein abschätziges „Männer!“ herausbrachte, was wiederum Jessy amüsierte, Fuhr jedoch weniger.

Dann ging Jessy auf die Arzthelferin zu „Könnten wir bei ihnen weitermachen, mein Name ist Jessica Baumann“ Dabei hielt sie ihr ihren Dienstausweis vor „und sie heißen?“ „Mein Name ist Gabriele Scholz und ja den Mann auf dem Foto kenne ich, der war vor ca. 1 oder 2 Jahren hier, genaues, da müsste ich mal in die Krankenakte sehen, aber das darf ich natürlich nicht Schweigepflicht – sie verstehen!“ Jessy quittierte mit dankbarem Lächeln Scholzens zuvorkommende Art und entgegnete.

„Der Mann ist ermordet worden die Schweigepflicht können sie vergessen. Wie ist das eigentlich mit der Kollegin, sagt ihnen die Beschreibung auch nichts?“ „Also Moment mal, da habe ich den Herrn Vogtländer. Der war hier zu einer ambulanten Operation, einer Meniskusglättung, aber da ist alles glatt gelaufen, keine Komplikationen, ein paar Rezepte, eine Privatabrechnung alles innerhalb der Zahlungsziele bezahlt worden, seither nichts mehr. Was die Kollegin betrifft glaube ich, dass sich Dr. Müllerschön nur nicht mehr an die Kollegin erinnert, da sie eigentlich rotblonde Haare hatte und erst nach ihrem Ausscheiden hier diese braun färbte. Wir haben uns bei einem Fachvortrag zufällig getroffen und da sah ich dass sie die Haare gefärbt hatte. Sie heißt Verena Berger, aber fragen sie mich nicht wo sie wohnt.“

„Erinnern sie sich warum die Kollegin gegangen ist?“ wollte nun Fuhr wissen

„Nein, keine Ahnung, aber ich bin im Team von Herrn Dr. Meier, da müssten sie schon jemand aus dem Team Müllerschön fragen die hatten untereinander eher Kontakt.“

„Können sie mir sagen, wer da etwas mehr weiß?“ Fragte nun Jessy.

„Natürlich da drüben ist Frau Voigt, die gehört zum Team Müllerschön“ dabei wies sie auf eine ältere, ca. 1,60 m große, schon grauhaarige Frau, die gerade in irgendwelchen Unterlagen wühlte.

Als Jessy und Fuhr sich näherten blickte sie auf und Jessy ließ einen Freudenschrei hören

„Maria, du hier?“ Sofort sah man ein breites Lachen auf dem Gesicht der Angesprochenen

„Ja mein Gott, bist du das, die kleine Jessica – na ja jetzt nun nicht mehr so klein, wie ich sehe.“

Die beiden Frauen umarmten sich herzlich.

„Aber Voigt, ich hatte dich noch als Maria Willmann im Gedächtnis.“ Bemerkte Jessy

„Tja das ist seit ca. fünf Jahren Geschichte – naja eine andere Frau usw. du kennst ja derlei Geschichten und nun habe ich meinen Mädchennamen wieder angenommen und verdiene mir hier ein paar Euro dazu, da sich mein geschätzter Exmann aus dem Staub gemacht hat und keiner weiß wo er ist.“

„Das tut mir leid“ entgegnete Jessy mit Bedauern in der Stimme.

„Aber du hast dich rausgemacht, Gratulation ist ja eine echt taffe Frau aus dir geworden. Was führt dich hierher?“

„Na ja, Maria ich bin dienstlich hier...“

„Dienstlich...?“

„Ja, ich bin bei der Kripo Karlsruhe und wir sind in dem Mordfall Vogtländer unterwegs.“

Die ältere Frau stand da wie vom Donner gerührt.

„Was, du bist bei der Kripo, na Respekt. Ja ich habe von der Sache gehört, da kam ja über Radio auch ein Aufruf wegen Zeugen und so...“

Jessy nickte bestätigend. „Genau das ist diese Sache. Jetzt könntest du mir helfen. Es geht um deine Ex-Kollegin Verena Berger wir müssten ihr ein paar Fragen stellen und dachten schon wir würden sie hier finden, jetzt sagte mir eine deiner Kolleginnen, das sie schon seit einiger Zeit nicht mehr bei euch arbeitet. Weist du genaueres, oder gar ihre Adresse?“

„Also die genaue Adresse weiß ich nicht, aber das müsste aus der Personalakte zu entnehmen sein, ich weiß eigentlich nur das sie in Malsch – Sulzbach gewohnt hatte, nichts genaueres. Aber sie hatte gesagt, sie wolle vielleicht ins Ausland gehen, eventuell Australien, oder so.“

„Na das wird eine schöne Dienstreise meinte Jessy lächelnd“

„Bin sofort dabei!“ Bestätigte Fuhr grinsend.

„Ach ja entschuldige, Maria, das ist mein Kollege Oliver Fuhr, Olli, das ist meine frühere Flurnachbarin Maria Voigt.“

Die beiden schüttelten sich die Hände und Fuhr sah in ihren Augen, dass ihr die Erinnerung an die Zeit als Jessy noch in ihrer Nachbarschaft wohnte guttat. Damals war wohl noch die Welt in Ordnung, bevor sie durch die Eskapaden ihres Mannes nachhaltig erschüttert wurde.

„Sagen sie Frau Voigt...“ begann nun Fuhr „...kamen diese Pläne für sie überraschend, oder hatte sie schon lange von diesen Dingen geredet?“

„Eigentlich hatte sie schon länger diese Ideen gehabt, es war nicht leicht hier für sie. Mit Müllerschön kam sie gar nicht klar, aber in ein anderes Team wollte er sie auch nicht ziehen lassen, so war der Schritt die Praxis zu verlassen wohl unumgänglich. Schade eigentlich, war ein nettes Ding und sehr fleißig.“

Voigt machte den Eindruck, als habe sie die Kollegin sehr lebhaft vor ihrem geistigen Auge und habe diese sehr gemocht.

„War das Verhältnis zwischen Müllerschön und Berger gleich so schlecht, oder hatte es sich so erst innerhalb der letzte Zeit so entwickelt.“ Wollte Fuhr weiter wissen. „Jetzt wo sie es sagen,... tatsächlich pflegten sie ein zunächst ganz normales Chef zu Angestellten Verhältnis, aufgrund ihres Fleißes und ihrer jederzeitigen Bereitschaft Überstunden zu machen hatte ich sogar zeitweilig den Eindruck dass er sie ganz besonders schätzte. Aber, es muss wohl ein knappes Jahr gewesen sein bevor sie uns verließ kühlte das Verhältnis deutlich ab und dann kam nach einiger Zeit wohl ihre Kündigung. Aber wir sollten nicht hier über das Ganze reden, na ja manchmal haben die Wände Ohren. Hier ist meine Karte. Ich weiß sieht ein wenig provisorisch aus, aber die hat mein Neffe am neuen Computer entworfen. Ruft mich doch einfach an und wir machen einen Termin.“ Fuhr verstand gleich und wenn er sich an diesen aufgeblasenen Wichtigtuer von Arzt erinnerte schwoll ihm der Kamm. Ohne weitere Mitarbeiter der Praxis zu befragen verließen die beiden Kriminalpolizisten die Praxis.

Im Fahrzeug angekommen meinte Fuhr: „Na, da scheint ja wohl einiges im Argen zu liegen bei dem lieben Herrn Doktor.“

„Na ja, jetzt übertreib´s mal nicht, nur weil das ein arroganter Typ ist und ihr euch gleich liebgewonnen habt, muss er nicht für die ganze Schlechtigkeit der Welt verantwortlich sein.“ Entgegnete Jessy beschwichtigend. „Also mein Bauchgefühl sagt mir, dass da irgend was vorgefallen sein muss, wenn sich das Verhalten des Docs so deutlich von heute auf morgen verändert. Vielleicht wollte er was von ihr und sie hat nicht mitgemacht. Verletzte Eitelkeit erzeugt so manche Feindschaft...“

„Du weißt wovon du sprichst!“ Unterbrach ihn Jessy, jedoch Fuhr spekulierte ungerührt weiter

„... die Sache stinkt zum Himmel. Ich mache jede Wette der hat ´ne Leiche im Keller. Du solltest so schnell wie möglich diese Maria anrufen und um ein Gespräch bitten. Bitte nimm mich dabei mit, ich habe auch noch einige spezifische Fragen an sie.“

„Okay, okay, ich dachte es mir, dass wir uns nicht nur um der alten Zeiten willen treffen sollen.“

Er bemerkte ihren skeptischen Blick „Bitte glaub´ mir, das hat nichts mit der Auseinandersetzung eben zu tun. Aber es ist doch seltsam, wenn ein zunächst gutes Verhältnis sich innerhalb so kurzer Zeit derart dramatisch verschlechtert. Dazu wird die Person vielleicht eine der Schlüsselfiguren in einem Mordfall. Da stimmt doch was nicht!“

„Bitte verrenne dich nicht in irgend was, Olli, das Ganze kann auch eine ganz einfache Erklärung haben.“ Gab Jessy zu bedenken, um gleich wieder ein anderes Thema anzuschneiden.

„Hast du eigentlich schon den Bericht der SpuSi zu sehen bekommen? Würde mich interessieren was drinsteht. Vielleicht ergeben sich noch weitere Hin-weise.“

„Machst du Witze, seit Ohmer den Job hat sind die nur noch halb so schnell, das waren noch Zeiten als Kessler das Ganze leitete.“

„Dafür sind die Berichte wesentlich gründlicher recherchiert finde ich.“ Entgegnete Jessy, die Fuhr´s Aversion gegen Ohmer kannte, jedoch nicht genau wusste woher sie rührte. Ohmer hatte zwar mal erwähnt dass er und Fuhr früher Klassenkameraden in der Grundschule waren und dort eigentlich befreundet waren, warum Fuhr aber so schlecht auf Ohmer zu sprechen war konnte Jessy nicht nachvollziehen.

Als sie wieder im Polizeipräsidium eintrafen lag auf Fuhr´s Schreibtisch tatsächlich der gesamte Bericht sowohl der Gerichtsmedizin als auch der Spurensicherung. Das einzig wirklich neue war, dass Vogtländer wohl aus einer Entfernung von 1,3 m mit einer Waffe mit 38 er Kaliber und Schalldämpfer erschossen wurde. Die Verformung und die Spuren am Geschoß waren nicht mit bereits bekannten Waffen in Übereinstimmung zu bringen. Im weiteren Umfeld des Tatortes, an einem angrenzenden Feldweg war eine PKW- Reifenspur festgestellt worden, welche einem GoodYear Eagle F1 zuzuordnen war und eine Dimension zwischen 285 und 325 hatte. Exakt war das aufgrund des trockenen und lockeren Bodens, am Feststellungsort nicht mehr zu ermitteln. Ob und inwieweit diese Spur vom Täter stammte war unklar.

Kaiser rief Fuhr und Jessy zusammen, um sowohl die Ergebnisse der Spurensicherung, als auch des Obduktionsberichts sowie der Befragung der Mitarbeiter der Arztpraxis sowie des Arztes selbst zu besprechen. Schnell war man sich einig, dass die ersten beiden Punkte nicht viel hergaben.

Als Fuhr dann über die Vorkommnisse in der Arztpraxis berichtete, wobei er nicht verschwieg, dass ihm eine Beschwerde bei Polizeipräsidenten angedroht wurde, wusste Kaiser wie sehr Fuhr diesen Arzt wohl gefressen hatte.

„Also Olli, bei diesem Arztschnösel musst du dich zurückhalten, versuch´ ein bisschen Distanz aufzubauen, sonst verstellt dir diese Aversion den Blick für die Realitäten.“ Ermahnte er seinen jungen Kollegen. „Was deine Schlussfolgerungen betrifft bin ich bei dir. Da ist irgend etwas nicht ganz koscher. Mich wundert auch, dass er vorgab diese Verena Berger nicht zu kennen, obwohl sie durch ihre geringe Körpergröße schon etwas auffällt. Nur wegen der anderen Haarfarbe hätte man auch sagen können – ich hatte mal eine Mitarbeiterin, aber die war blond, oder so irgendwas, aber wenn wir schon den Zuordnungshinweis bekommen und dezidiert nach ihr fragen so zu tun als kenne er sie nicht ist schon merkwürdig.“

„Aber Chef....“ schaltete sich nun Jessy ein „...könnte es nicht auch sein, dass er einfach nicht mit uns kooperieren wollte, nachdem Olli quasi seine Platzhoheit in Frage gestellt hatte?“

„Mag schon sein...“ räumte Kaiser ein „...aber wir sollten die Faktenlage sich vielleicht noch etwas verdichten lassen bevor wir Schlüsse ziehen. Da wird sicherlich die Befragung dieser Frau Voigt sehr wichtig werden. Sie sollten unbedingt gleich nachdem diese Feierabend hat dort anrufen und einen Termin, so bald wie möglich vereinbaren, Jessy.“

Diese nickte zustimmend. „Hab´ ich mit Olli schon so vereinbart.“

„Was machen eigentlich unsere Turteltäubchen?“ Fragte nun Fuhr mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

„Wen meinst Du?“ Wollte Kaiser irritiert wissen.

Fuhr erzählte ihm von Bauers aufblühen in der Gegenwart von Hutt und auch der konnte sich ein lächeln nicht verkneifen, als er bemerkte:

„Noch nichts gehört, aber ich schätze die sind fleißig“. „Komm Jessy da gehen wir mal rüber, aber anklopfen, nicht dass wir die beiden in einer verfänglichen Situation ertappen.“ Meinte nun Fuhr mit gespielt korrekter Stimme, wie Bauer oft sprach. Nun mussten alle drei lachen.

Im Besprechungsraum angekommen war die heitere Atmosphäre zwischen Bauer und Hutt wieder zu spüren. Der Aktenstapel der bereits bearbeiteten Akten war schon erheblich angewachsen.

„Hallo, ihr beiden...“ begann Fuhr „...na schon eine heiße Spur gefunden?“

„Nein, das nicht, aber es ist interessant zu sehen wie in der Agentur gearbeitet wird.“ Während er das sagte bedeutete Bauer Fuhr, ,von Hutt abgewandt dass er gerne mit ihm unter vier Augen reden wolle.

„Ähm, Jessy willst du nicht mal mit Frau Hutt Pause machen, ich glaube die Gute hat sich auch einen heißen Kaffee in der Kantine verdient?“

Jessy verstand sofort worum es ging, hakte Hutt unter und verschwand mit ihr aus dem Besprechungsraum. „Nun, Herr Fuhr, wir sollten uns einmal ein Muster ansehen, das ich an einigen Akten gefunden habe. Ich habe diese mit einem bestimmten Klebezettel gekennzeichnet. Sehen sie mal...“ er zog ein paar Akten, die mit blauen Klebezetteln versehen waren. Es mochten aus dem Stapel von vielleicht fünfzig in graue Aktendeckel gekleideten Akten insgesamt sechs Akten mit einem solchen Zettel sein.

„Sehen sie mal hier, in all diesen Fällen hatte ein Herr Mangold einen sehr lukrativen Vertrag abgeschlossen, den kurz darauf Vogtländer wieder stornieren ließ.“ Dabei zeigte Bauer auf die internen Aktenvermerke, die wohl von Vogtländer gefertigt wurden und den Vermerk trugen „nicht bezahlbar“.

„Das ist wirklich sehr interessant...“ Fuhr beugte sich über die Akten, legte diese nebeneinander und prüfte die Vertragsschlüsse, soweit sein laienhaftes Wissen darüber dies zuließ. „...woher wissen sie dass diese Verträge so lukrativ sind?“

„Frau Hutt hat mich in die Berechnungsmethode eingewiesen. Demnach sind das allesamt Verträge mit einem Provisionsvolumen von mindestens 5.000,- € und mehr, bei Monatsbeiträgen ab 900,- €.“

Fuhr pfiff durch die Zähne. „Also allein die sechs Vorgänge bedeuten ein Provisionsverlust von ca. 30.000,- € für diesen Mangold.“ Vergewisserte sich Fuhr. Bauer warf noch einmal einen Blick auf die sechs Vorgänge und meinte in belehrendem Ton:

„Ich sagte ja mindestens 5.000,- € je Fall. Insgesamt handelt es sich um Storni im Wert von 41.345,67 € und das ist nur die direkte Provision!“

„Gibt´s denn noch eine indirekte?“ Fragte Fuhr ungläubig.

„Das ist etwas komplizierter...“ gab Bauer zurück, wobei er sich über´s Kinn strich „... also, wie soll ich sagen.. ähem jeder Vertreter bekommt zu Anfang des Jahres ein so genanntes Geschäftsziel. Das heißt es wird in den unterschiedlichen Sparten ein Umsatz definiert den der Vertreter jeweils erreichen muss. Gelingt ihm das, dann bekommt er einen bestimmten vereinbarten Betrag. Das kann je nach Sparte und Anspruch an das Geschäftsziel im Maximum bis zu 30.000,- € Geschäftszielvergütung ausmachen. Zusätzlich wird für das Geschäft, das über das Geschäftsziel hinausgeht eine Erhöhung des Provisionssatzes vereinbart, oder, auch möglich, eine Stückpauschale je abgeschlossenen Vertrag....“

„Das heißt also jede Menge Geld, die da diesem Mangold entgangen ist. Haben sie Hutt schon auf diese Vorgänge und die Hintergründe angesprochen?“ Wollte nun Fuhr wissen.

„Nein, noch nicht. Ich wollte noch warten bis wir alle Akten durchhaben. Vielleicht ergibt sich noch anderes bzw. mehr und dann wollte ich in ihrem Beisein, oder wenn sie das machen wollen, sie dazu befragen.“

„Ja, das ist gut, klasse Arbeit Herr Bauer, das eröffnet ganz neue Perspektiven. Morgen kommen die beiden Agenturmitarbeiter zurück. Da haben wir ja schon etwas zu besprechen – ach apropos, was ist eigentlich mit dem anderen .. wie heißt der noch gleich...“ Wollte Fuhr noch wissen und wunderte sich gleichzeitig wie sehr sich Bauer zurücknahm, das war er so nicht gewohnt

„Der trägt den seltenen Namen Maier...“ schmunzelte Bauer „...aber der ist nicht auffällig geworden. Ich sehe ab und an ein paar Abschlüsse von ihm, aber längst nicht in dem Umfang und der Häufigkeit wie von diesem Mangold. Ist wohl auch einige Jahre älter und schon recht lange in der Agentur Vogtländer tätig. Mangold arbeitet dort erst seit drei Jahren.“

Fuhr nickte. „Da ist wohl dieser Mangold so was wie der Hecht im Karpfenteich. Okay- nochmal vielen Dank für die wichtigen Infos – kann ich ihnen jetzt wieder Frau Hutt reinschicken?“

„Ja, das ist ja eine ganz reizende Frau. Mit ihr ist das ein wirklich sehr angenehmes Arbeiten.“ Entgegnete Bauer mit einem lächeln auf den Lippen.

„Das freut mich ehrlich dass sie das so sehen. Angesichts der Erfolge die ihre Tätigkeit zeitigen, lasse ich sie besonders gerne hier zusammenarbeiten.“

Und diesmal meinte es Fuhr ernst. Da er nun erst sah was für ein fähiger Kriminalbeamter Bauer war, den er bislang nur als unangenehm empfunden hatte und irgendwie nie richtig ins Team gehörte. Aber unter dem Einfluss von Hutt schien er sich massiv zu verändern und bei diesem vertrackten Fall, mit der dünnen Spurenlage, konnten sie jeden hochmotivierten Mitarbeiter brauchen, ganz gleich was zu dieser Motivation führte.

In diesem Moment kam Fuhr eine Idee und anstatt in sein Büro zurückzukehren ging er gleich direkt zu Kaiser. Als er nach kurzem Klopfen eintrat, sah er dass er gerade in ein Telefonat vertieft war. Er wollte schon wieder umkehren, sah dann aber, dass Kaiser ihn zu ihm winkte. Er trat ein und hörte Kaiser noch sagen: „...Ja, ist in Ordnung das werde ich so weitergeben, Wiederhören Herr Dr. Wolf.“

„Du hast mit Wolf gesprochen“ wunderte sich Fuhr über das Gespräch zwischen Kaiser und dem Polizeipräsidenten.

„Ja, es ging dabei um dich.“ Fuhr durchzuckte ein Ahnung um was es ging und tatsächlich begann Kaiser: „Rate mal wer sich bei Wolf über dich beschwert hat!“ „Na wenn du schon so anfängst, dann kann ich mir alles weitere denken, natürlich mein besonderer Freund Müllerschön. Da hat er es aber eilig gehabt.“

Kaiser grinste: „Gut geraten. Erst mal habe ich Wolf auf den Stand der Ermittlungen gebracht, dann hat er eigentlich auch schon eingesehen, dass du in gewisser Weise auf die Vernehmung bestehen musstest. Dennoch gilt, wie immer dass der Ton die Musik macht und dein Ton war wohl schon etwas anmaßend....“

„Wie bitte?...“ begann Fuhr, Kaiser unterbrechend „...wer ist denn gleich aufgetreten wie Graf Koks. Wenn ich da gleich klein beigegeben hätte, dann wüssten wir bis jetzt noch nichts, angefangen beim Namen der bis dahin unbekannten Frau die zu Vogtländer ins Auto gestiegen ist, bis hin zu Jessy´s Bekannten, von der ich mir noch wichtige Hinweise verspreche. Du weißt ja wie dünn derzeit die Faktenlage ist.“

„Ich habe zu keinem Zeitpunkt gesagt dass du klein beigeben hättest müssen, aber es gibt da noch einige Zwischentöne zwischen deinem Auftreten und dem klein Beigeben. Die hättest du nutzen sollen und nicht die Staatsmacht heraushängen lassen.“

Fuhr brummelte etwas, wobei ihm schon klar war, dass sein älterer Kollege recht hatte. Schließlich begann er:

„Ach ich weiß auch nicht was in mich gefahren ist, aber der Typ ist mir irgendwie so was von blöd reingelaufen, dass ich nicht mehr an mich halten konnte.“

Kaiser schmunzelte. Das war genau das Temperament das er in Fuhr´s Alter auch hatte, das aber in solch einem Zusammenhang heute so kontraproduktiv ist wie es das früher war. Nachsichtig begann er.

„Ja, verstehe schon. Ich erwarte nur, dass du das nächste mal deinen Verstand einschaltest, bevor du den Mund aufmachst. Ach übrigens ich konnte Wolf noch einige interessante Infos über Müllerschön entlocken. Der kennt ihn wirklich gut und hat nicht nur mit ihm Golf gespielt, sondern war auch schon bei einigen Party´s der Müllerschöns eingeladen. Eigentlich müsstet ihr euch prima verstehen. Der hat unter anderem das gleiche Hobby wie du!“

„Was soll das denn sein? Ich habe doch gar keine so ausgeprägten Hobbys.“ Gab Fuhr verständnislos zurück „Natürlich – Frauen. Müllerschön scheint so ziemlich jedem Rock nachzusteigen, wenn die Trägerin nur weiblich und einigermaßen gutaussehend ist.“

Fuhr lachte: „Na dann passen wir ja gerade nicht zusammen und die Aversion ist begründbar, oder hast du schon mal zwei Platzhirsche in einem Rudel gesehen?“

Nun musste auch Kaiser herzlich lachen und hieb Fuhr kräftig auf die Schulter: „ Du weißt ja was ich von dir erwarte. Solltest du im Übrigen recht haben und Müllerschön hat tatsächlich irgendwie Dreck am Stecken, dann darfst du ihn auch verhören, wenn wir eine belastbare Beweislage haben. Aber vorher Vorsicht. Wir brauchen seine Kooperation und sei es auch nur um ihn in seinem eigenen Netz zu fangen.“

„Na gut...“ Willigte Fuhr schweren Herzens ein. „...dann geb´ ich halt dem Affen Zucker.“

„So ist ´s Recht“ Stimmte Kaiser zu. Aber wenn du mit Jessy´s Bekannter sprichst kannst du ja darauf besonders abheben. Vielleicht hatte er ja was mit dieser Verena Berger, oder er wollte was anfangen, oder sonst irgend was.“

„Ja schon, ...“ stimmte Fuhr zu „....nur wie kommt da Vogtländer ins Spiel, das sitzt mir nicht glatt“ Gab Fuhr zu bedenken und runzelte die Stirn.

„Nun, das wirst du mit etwas Glück bald erfahren...“ beschwichtigte Kaiser „... weshalb wolltest du mich eigentlich sprechen ?“

„Ach stimmt...“ fiel Fuhr wieder ein, dass er ja zunächst Kaiser aufgesucht hatte. „....es geht um Bauer und diese Frau Hutt.“

„Was ist mit denen, wollte nun Kaiser interessiert wissen.

„Na seit die Hutt mit Bauer die Akten aus der Agentur Vogtländer sichtet ist Bauer wie ausgewechselt, ich habe es dir ja schon gesagt, aber, nicht nur dass er ungewohnt umgänglich ist, seine Arbeitsqualität steigt auch erheblich...“

Im Folgenden erzählte Fuhr einem erstaunten Kaiser vom Ergebnis von Bauer´s Arbeit und wie geschickt er, noch unter Umgehung von Hutt zum Zweck einer besseren Abstimmung mit dem Team seine Erkenntnisse präsentiert hatte.

„Ich wusste es doch, in Bauer steckt ein ganz passabler Kriminaler“ Meinte Kaiser zufrieden.

„Ja, das habe ich auch festgestellt, aber ich habe den Eindruck, dass er insbesondere durch die Zusammenarbeit mit Hutt so geworden ist.“

„Okay, aber was willst du mir damit sagen?“

„Na wir haben doch noch diese unbesetzte Stelle in der Telefonstelle. Die Hutt hat ja jetzt ihren Job verloren. Schließlich hat die Agentur Vogtländer mit dessen Tod aufgehört zu existieren und ob sie für einen Nachfolger arbeiten will bzw. dieser sie überhaupt als Mitarbeiterin will ist eher fraglich. Ihre Sprechstimme am Telefon ist wirklich der Hit. Sowas habe ich noch nie gehört.“

„Na, das hast du dir ja schön zurechtgelegt. Aber die Stelle ist soweit mir bekannt nur eine Dreiviertel Stelle und eine gewisse kriminalistische Grundausbildung sollte sie schon haben.“

„Die musst du erst mal finden. Die wollen die Eier legende Wollmilchsau und dazu soll sie am Besten nichts kosten. Immerhin ist die Stelle jetzt schon seit Monaten unbesetzt.“

„Du hast ja Recht...“ Räumte Kaiser ein „...aber erst sollten wir mal genau sehen, ob das wirklich für sie in Frage kommt, oder ob sie nicht doch lieber in der Versicherungsbranche bleibt und nur die Agentur wechselt.“ Gab Kaiser zu bedenken.

„Naja, war ja nur so ´ne Idee, aber am Telefon ist die echt spitze“ bekräftigte Fuhr.

In diesem Moment klopfte es an der Tür und Jessy trat ein.

„Ich habe einen Termin für heute Abend gegen 20.30 Uhr bei Maria Voigt, kannst du da mitkommen, Olli?“ „Klar, kein Problem, Alex kommt ohnehin erst um Mitternacht vom Dienst.“

Da die beiden Umstehenden noch nie erlebt hatten, dass sich Fuhr nach dem Zeitplan irgend eines anderen Menschen kümmerte sahen sich mit verwunderten Blicken an.

„Wer ist nun das?“ Wollte Kaiser wissen. Noch bevor Fuhr antworten konnte, berichtete Jessy einem verwunderten Kaiser:

„Das ist Olli´s Zukünftige, sie hat jetzt auch einen Namen bekommen und ist schon bei ihm eingezogen. Scheinbar verwandelt sie gerade seine Wohnhöhle in eine Wohnung.“

Noch bevor Fuhr widersprechen konnte meinte Kaiser verschlagen grinsend:

„ Wie will sie denn diese Titanen Arbeit stemmen und aus Olli einen normalen, zivilisierten Menschen machen. Das verdient jedenfalls allen Respekt.“

„Jetzt hört aber auf....“ Protestierte Fuhr. „... sie ist nur bei mir eingezogen, da sie es im Schwesternwohnheim nichtmehr aushält. Außerdem ist sie nicht meine Braut. Das Thema Hochzeit ist ad acta gelegt. Gut wir sind jetzt zusammen, aber für wie lange und wie sich die Sache entwickelt steht noch in den Sternen!“

„Zu früh gefreut, doch kein kooperatives Mitglied der zivilisierten Menschheit“ Gab Kaiser halb resignierend, halb belustigt zurück.

„Sagt mal, habt ihr keinen Hunger, es ist schon 13.30 Uhr. Wir sollten in die Kantine bevor wir nichts mehr bekommen.“ Beeilte sich nun Fuhr das Thema zu wechseln. Als die anderen zugestimmt hatten begaben sie sich auf den Weg in die Kantine.

Dort angekommen sahen sie gerade noch wie Bauer zusammen mit Hutt das Tablett mit dem benutzen Geschirr auf das Transportband stellten und fröhlich scherzend die Kantine verließ. Kaiser und Fuhr betrachteten die beiden kopfschüttelnd aus der Entfernung.

„Kaum zu glauben, wie die richtige Frau im Stande ist einen Mann zu verändern. Wenn ich es nicht selbst sehen würde, ich würde es nicht glauben.“ Meinte Fuhr.

„Na dann bin ich ja gespannt wie du in ein paar Tagen aussiehst!“ Stellte Jessy mit einem schelmischen Blick auf Fuhr, lachend fest.“

„Ha, ha sehr witzig, na du wirst schon sehen – gar nichts wird sich ändern, weil alles so wie es ist perfekt ist und das lasse ich mir von niemandem schlechtreden.“ Gab Fuhr patzig zurück.

Nach dem Mittagessen kehrten die Beamten in die Büros zurück, um die Mails, Memos und sonstigen Informationen zu checken. Fuhr musste feststellen, dass außer einer Mail von Alex alles nur nebensächlich war. Neugierig hatte er die Mail geöffnet und las:

„Habe Dein Abendessen in die Mikrowelle gesteckt. Einfach auf 600 Watt für 6.30 Minuten stellen und die Grillfunktion (Schalter rechts unten) dazuschalten. Guten Appetit. Bitte sei mir nicht böse, dass ich einige Möbel verstellt habe, aber ich will einige Wände noch bearbeiten und die Sachen würden stören. Alles Liebe Alex“

Er musste zugeben so eine Mail hatte er noch nicht bekommen, aber es vermittelte ihm ein gutes Gefühl – warum wusste er auch nicht und es hing nicht unbedingt nur damit zusammen, dass, sollte er erst spät nach Hause gekommen sein, er oft hungrig zu Bett ging, da er einfach zu müde war noch einmal aufwändig etwas zu kochen.

Nun war die Zeit gekommen sich mit den weniger geschätzten Tätigkeiten zu beschäftigen, nämlich Protokolle und Berichte zu den Ermittlungen und deren Ergebnisse anzufertigen.

Es war zwischenzeitlich bereits 17.00 Uhr geworden als alles festgehalten war und er sich aufmachte im Besprechungsraum nach Bauer und Hutt zu sehen. Immerhin deutete sich hier eine sehr interessante Spur an.

Als er kurz geklopft hatte und eingetreten war sah er, dass die beiden bester Laune noch immer fleißig an den Aktenbergen arbeiteten. Dabei erklärte Hutt, Bauer etwas, wobei er konzentriert zuhörte. Als Fuhr den Raum betrat unterbrachen die beiden ihr Gespräch und begrüßten ihn gleichzeitig mit den genau gleichen Worten. Sie sahen sich an und mussten beide Lachen. Fuhr stimmte in das Lachen mit ein. Meinte aber dann:

„Ich freue mich sehr zu sehen, dass ihnen die Arbeit wohl gut von der Hand geht. Aber, Frau Hutt, es ist schon 17.00 Uhr und sie sind schon neun Stunden bei uns. Wenn es ihnen zu viel wird, wäre das schon okay. Ich würde sie dann von einem Kollegen nach Hause bringen lassen.“

„Ach was, Herr Fuhr, das ist doch gar kein Problem. Ich habe mich selten so wohl gefühlt wie hier und glauben sie mir, ich habe weder nach einer leeren Wohnung, noch meinem nicht minder leeren Kühlschrank besondere Sehnsucht. Wenn es sie nicht stört würde ich gerne mit Val hier weiterarbeiten.“ Gab sie in aufgeräumter Stimmung zurück.

„Nun, von mir aus gerne, aber sagen sie mir, wie geht es denn Frau Vogtländer? Gestern haben wir sie ja nur kurz gesehen, als wir ihr die traurige Nachricht überbringen mussten.“

Hutt wurde sofort wieder ernst und meinte Achselzuckend: „Ja, ich weiß nicht so recht. Als ich gestern gleich mit dem Bus von Ettlingen zu ihr hoch nach Spessart gefahren war, war das Haus abgeschlossen und ihre Nachbarin, Frau Krause meinte, dass sie gleich nachdem sie bei ihr gewesen seien, wäre sie mit ihrem Auto weggefahren. Erst als die Kinder aus der Schule kamen erreichte sie das Haus kurz zuvor, um diese nach dem Mittagessen zu Freunden zu bringen und dann hatte sie Christine nicht mehr gesehen. So richtig kann ich mir darauf keinen Reim machen.“

„Wo leben eigentlich Herrn Vogtländers Eltern bzw. die von Frau Vogtländer?“

„Seine Eltern sind schon lange tot, Autounfall, in den 60er Jahren, da war Dieter gerade mal 16, wie er mir mal erzählt hat. Christine´s Eltern leben in der Nähe von Hamburg. Aber da ist der Kontakt schon seit vielen Jahren weitestgehend abgebrochen. Sie waren schon bei der Hochzeit nicht anwesend und ebenso wenig bei der Taufe der Kinder.“ Antwortete Hutt mit angewidertem Gesichtsausdruck, da es ihr unverständlich war, wie sich ein so tiefer Graben zwischen Eltern und Kindern auftun konnte.

„Wir werden nochmal mit Frau Vogtländer sprechen müssen. Wenn sie vielleicht noch einmal versuchen mit ihr Kontakt aufzunehmen und ihr unser Kommen avisieren könnten, vielleicht kann sie ihnen einen Zeitpunkt nennen, wann sie auf jeden Fall anzutreffen ist, wäre das sehr hilfreich. Selbstverständlich werden wir uns vorher anmelden, aber da sollte sie auch zu erreichen sein. Oder hat sie vielleicht ein Handy, wo sie immer zu erreichen ist?“ Wollte Fuhr wissen.

„Ja, das hat sie, aber die Nummer hielt sie geheim, sie wollte nur selbst anrufen können. Allenfalls wenn wir in Dieter´s Unterlagen was finden würden. Bis jetzt war das jedoch noch nicht der Fall. Aber ich werde sie heute Abend anrufen. Wenn sie die Jungs von ihren Freunden abholt, sollte sie ja anschließend mit ihnen nach Hause kommen. Dann werde ich alles mit ihr besprechen.“

Fuhr schien für den Moment zufrieden und bemerkte abschließend:

„Wenn sie sonst irgend etwas brauchen, oder wir sonst irgendwie helfen können, lassen sie es mich wissen. Glauben sie mir, wir wissen es sehr zu schätzen wie sehr sie uns helfen.“

An Bauer gewandt meinte er „Herr Bauer, können sie nochmal rüberkommen zu mir, ich habe noch ein paar Fragen.“

Die beiden Männer verließen das Zimmer während Hutt sich wieder an einer Akte zu schaffen machte. In Fuhr´s Dienstzimmer angekommen, einem schmucklosen Raum mit einem am Fenster stehenden, abgewetzten Schreibtisch, der aus den achtziger Jahren stammen mochte und dessen Tischplatte von den darauf befindlichen Akten vollständig abgedeckt war sowie einem halbhohen Aktenschränkchen, dessen Farbe wohl einmal weiß gewesen sein mochte , inzwischen ein schmutziges Grau zeigte. Fuhr´s Zimmer bedurfte dringend einer Renovierung und für Ende des Jahres war diese vorgesehen, solange hatte er es darin auszuhalten.

„Nun, Herr Bauer, was haben sie in Bezug auf diese Stornovorgänge bei diesem Mangold herausbekommen?“

„Tja, diese Vorgänge mehren sich. Wir haben jetzt so ungefähr 20% aller Akten, also Versicherungsnehmer durch und die Quote der Stornovorgänge ist gleichgeblieben. Ein Phänomen, das sich über die gesamten 3 Jahre der Zusammenarbeit mit Vogtländer hinzieht, aber insbesondere in diesem Jahr gehäufter auftrat.“ Dozierte Bauer mit konzentrierter Miene.

„Hat sich Frau Hutt jemals dazu geäußert, oder haben sie angesichts der Fülle an Vorkommnissen dieser Art Frau Hutt befragt?“

„Na ja, Sandra ist nicht blöd und als sie sah wie ich eine um die andere Akte kennzeichnete in der ein solcher Vorgang zu sehen war sprach sie mich an. Als ich ihr dann erklärte, dass das ja nun mal in Summe große Mengen Geldes waren die Mangold zurückzugeben hatte und der doch wohl sicherlich nicht erfreut war, dass er auf das Geschäft verzichten musste, räumte sie ein, dass es da wohl öfters Streitigkeiten zwischen Vogtländer und Mangold gegeben hätte. Als ich dann fragte wie es denn überhaupt dazu kommen konnte, wurde es erst richtig interessant. So werden diese, so genannten Kundenbetreuer vom Unternehmen selbst bezahlt - sind also keine Angestellten der Agentur und bekommen Kundenlisten vom Unternehmen über die in Frage kommenden Kunden der Agentur zu einem bestimmten Produkt, das dieses in besonderer Menge verkauft wissen will. Dabei wird lediglich auf die äußeren Zusammenhänge geachtet, wie etwa Familien mit Kindern, oder alle über 65- jährigen usw., nicht aber auf die individuelle Situation des Kunden. Diese sollen die Kundenberater eruieren und dann das Produkt verkaufen. Dabei bekommt der, der besonders viel, oder besonders hohe Summen erzielt, neben Ruhm und Ehre eine Sondervergütung, oft in vierstelliger Höhe. Einige besonders ehrgeizige - man könnte vielleicht auch sagen gierige Kundenberater, schauen gar nicht darauf, ob und inwieweit der jeweilige Kunde das Produkt überhaupt braucht, oder bezahlen kann, sondern machen sich unter Ausnutzung ihrer verkäuferischen Fähigkeiten daran den Kram jedem anzudrehen. So auch Mangold, der mit seinen Abschlusszahlen jeweils den ersten Platz in der Region, oder wie die das nennen Gebiet der Filialdirektion erreichen würde, wenn er nicht so viele Storni hätte, die er einerseits Vogtländer zu verdanken hat, andererseits eigentlich selbst verursacht. So wenden sich Vogtländer´s Kunden oft an diesen, wenn Mangold bei ihnen gewesen ist und diese nach seinem Besuch festgestellt haben, dass sie das Produkt eigentlich gar nicht wollen bzw. sich überhaupt nicht leisten können. Da sie sich nicht trauen Mangold direkt anzusprechen, nachdem der eine Art hat, die Widerspruch irgendwie nicht zulässt – fragen sie mich nicht wie er das macht – wenden sie sich an Vogtländer, der als ehrlicher Mann geschätzt wird und um die Mangold´ schen Tricks weiß, damit der das wieder in Ordnung bringt....“

„...und das Storno auslöst.“ Ergänzte Fuhr, Bauers Satz.

„Ganz genauso...“ bestätigte Bauer und fuhr fort „...Vogtländer hielt wohl öfters Mangold vor genauer hin-zusehen zu wem er da geht, um solche Vorkommnisse von vorneherein zu vermeiden. Der aber ist da wohl in ganz anderer Art drauf, da er der Meinung ist, dass er ja nicht wissen könne wer das nun wirklich nicht wollte, wenn der schon „Ja“ sagt, es wird einfach dem, der sich nicht wehrt das Ding auch verkauft, auch wenn der gar kein Geld hat das zu bezahlen, dann soll er sich eben was anderes verkneifen, er Mangold habe auch nichts zu verschenken, schließlich wisse er ja auch nicht im Vorhinein, wer das wieder zurückgehen lasse. Ob es für den jeweiligen Kunden sinnvoll und leistbar ist in seiner individuellen Situation ist für ihn kein Kriterium, schließlich ist hier Geld zu gewinnen. Manchmal sind damit auch Incentive Reisen verbunden und da wolle er besonders dabei sein.“ Berichtete Bauer

„Also ein richtiges Versicherungsvertreterarschloch“ Stellte Fuhr bitter fest.

Bauer nickte beifällig und ergänzte: „Und da wundern sich die Versicherungen warum sie ein so schlechtes Image haben, wenn sie so Typen nicht nur anziehen, wie das Licht die Motten, sondern diese Typen dann hätscheln und mit Geld überschütten. Im Prinzip steht und fällt der Ruf eines Unternehmens mit den Vertretern und deren Fähigkeiten den Verlockungen, die gerade das Unternehmen auslobt, und dem nahegelegten Missbrauch der in der Mehrvergütung als Verlockung dient, den dieses System mit sich bringt widerstehen zu können. Hier war das Korrektiv der Agenturinhaber in Person von Herrn Vogtländer. Wenn dieser aber selbst der Missbrauchende wäre, sind die Kunden die Angeschmierten. Und irgendwie habe ich den Eindruck den Unternehmen ist das Ganze nicht nur egal, sie fördern sogar noch den Missbrauch, indem sie immer ausgeklügeltere Verlockungen ausgesetzt werden.“

Fuhr sah Bauer bestürzt an und meinte: „Es braucht ja auch einen besonderen Charakter auf vierstellige Beträge je Monat zu verzichten, nur um sauber beraten zu haben. Die Frage ist ja, ob man da wirklich dem einzelnen Vertreter den Vorwurf machen kann. Aber sagen sie, Herr Bauer ist das überall die Praxis, oder nur bei der Berlinischen Internationale?“

Bauer überlegte: „So genau weiß ich das nicht. Da müssten wir Sandra fragen, aber sie hatte erzählt, dass wohl zu Zeiten bevor die Berlinische Internationale den Vorgängerversicherer geschluckt hatte, für den damals Vogtländer tätig war, sie diese Praxis gar nicht kannte. Wobei sich die Frage stellt, ob die das zwischenzeitlich nicht auch so handhaben würden wenn es sie noch gäbe. Aber wie gesagt, da kann uns Sandra mehr sagen.“

Fuhr nickte beifällig. Und betonte: „ Wir müssen uns unbedingt diesen Mangold zur Brust nehmen! Aber da will ich noch warten bis sie ihre Arbeiten abgeschlossen haben und wir die Provisionsausfälle beziffern können. Mal sehen, wo dieser Mangold am Montag Morgen war. Wenn er da kein hieb- und stichfestes Alibi hat, hätte ich ein schönes Motiv für ihn.“

Fuhr kehrte in sein Zimmer zurück und dachte nach, wie die ganze Geschichte in den Fall zu integrieren war. Oft entwickelten sich die Dinge nicht so wie es den offensichtlichen Anschein hatte.

Es war zwischenzeitlich 20.00 Uhr geworden und Jessy klopfte und streckte den Kopf in Fuhr´s Zimmer um ihn an den Termin mit Frau Voigt zu erinnern. Auf dem Weg nach Malsch, erzählte er Jessy von seinem Gespräch mit Bauer und dessen Erkenntnisse, die sich nach Durchsicht von einem Fünftel der Akten nun verfestigt. Auch Jessy war mit ihm der Meinung, dass da ein Hauptverdächtiger ins Blickfeld kommt. Aber sie stimmte auch zu, dass das Verhalten von Frau Vogtländer merkwürdig ist.

Das Haus in dem Frau Voigt lebte, war ein Hochhaus im Bereich des Ortskerns von Malsch Die Wohnung war zwar nach Fuhr´s Meinung etwas altmodisch eingerichtet, da er mit Ornamenttapete, Teppichboden, mit Brücken und Teppichen belegt nichts anfangen konnte und erst die Eiche rustikal gab ihm den Rest. Dennoch erzeugte die Konsequenz des Stils, auch wenn er ihm nicht zusagte wiederum ein gutes Gefühl, er strahlte eine gewisse Behaglichkeit aus. Frau Voigt hatte sich nun eine bordeauxrot/hellrot/weiß gestreifte Kittelschürze umgebunden, unter der sie eine Jeans und eine rot- weiß gestreifte Bluse trug. Die Füße steckten in bequemen Birkenstock Sandaletten.

„Wohl ein muss bei Menschen die in der Gesundheitsbranche tätig sind“ dachte sich Fuhr.

„Hallo ihr beiden!“ Begrüßte Voigt die Kriminalpolizisten. Gerade so, als ob sie ein junges Pärchen begrüßen würde, das nach der Hochzeit zum Bedanken für die schönen Geschenke vorbeikommen würde. Aber Fuhr machte gute Mine zum bösen Spiel und begrüßte Voigt mit ebensolcher Herzlichkeit.

„Schön hast du´s hier, Maria“ Log Jessy, der dieser Stil eigentlich auch nicht zusagte.

„Na ja, was man sich von einem schmalen Arzthelferinnen Gehalt so leisten kann.“ Die beiden Frauen schwelgten dann in Erinnerungen und Fuhr kam sich relativ überflüssig vor. Zwar verstand er, dass sich Jessy zunächst wieder Voigt´s vollen Vertrauens versichern wollte, aber Fuhr glaubte, dass ihr Mitteilungsbedürfnis ohnehin so stark ausgeprägt ist, das es dessen nicht erst bedurfte.

Als eine kurze Pause eintrat Fragte Fuhr: „So, jetzt erzählen sie doch mal, Frau Voigt, wie war das denn mit Dr. Müllerschön und Verena Berger?“

Wie Fuhr schon erwartet hatte, ging Voigt den Themenwechsel problemlos mit und begann sofort mit der Antwort: „Naja, der schöne Müller, wie wir ihn untereinander immer nennen ist ja ein übler Schürzenjäger. Keine Frau die einigermaßen gut aussieht wird von seinen Anbaggerversuchen verschont. Nur mit seinen Mitarbeiterinnen tut sich gar nichts. Da ist er sehr korrekt, manchmal sehr zum Leidwesen einiger dieser Kolleginnen. Aber Verry, wie wir sie nannten hatte weder Ambitionen, noch sonstige Interessen in dieser Hinsicht. Sie machte ihren Job nur gut und tat ihn gerne. Wie ich schon heute Morgen sagte war sie eine der Eifrigsten und war bald für die Abrechnungen mit der KV und den Privatkunden zuständig...“

„Tschuldigung, wenn ich unterbreche, aber wer ist KV?“ wollte Fuhr wissen.

„Das ist die kassenärztliche Vereinigung. Ach stimmt sie kennen den ganzen Apparat, als Kripobeamte gar nicht zumal sie in Baden Württemberg ja nicht nur Beamtenstatus haben, sondern, wie Bundeswehr und Grenzschutz freie Heilfürsorge genießen.“

Fuhr sah nach dieser Erklärung noch verwirrter aus und Voigt die diese Verwirrung in seinen Augen sah erklärte: „Nun, es ist so, in Deutschland sind drei Versorgungsformen bekannt. Erstens die Kassenversorgung für ca. 90% der Bevölkerung, also AOK, DAK, Techniker Krankenkasse usw...“

Fuhr nickte zustimmend soweit konnte er folgen.

„...Beamte und Selbständige bzw. besser verdienende Angestellte können sich auch Privat versichern. Bei den Beamten werden die Hälfte der Heilkosten von der staatlichen Beihilfestelle übernommen, für deren nicht, oder nur geringfügig beschäftigte Frau zu ca. 70% und für die Kinder zu 80%. Die Restkosten sind privat zu versichern. Die Selbständigen versichern bei der privaten Krankenversicherung fast die gesamten Heilkosten. Sie haben nichts mehr mit AOK und Konsorten zu tun. Diese Patienten bekommen eine Rechnung geschickt, die sie dann bezahlen und danach mit ihrer privaten Kasse abrechnen bzw. mit der Bundesbeihilfestelle. Ihre Kosten, Herr Fuhr als Berechtigter der freie Heilfürsorge, werden direkt über das Amt abgerechnet.....“

„Ach und diese KV leitet dann die Rechnungen an die Krankenkassen weiter“ Meinte Fuhr zu verstehen.

„Nein...“

„Wieso nein?“ wollte Fuhr nun völlig verwirrt wissen.

„Nun weil wir direkt mit der KV abrechnen. Die Kassen erfahren nur was sie insgesamt für ihre Patienten in dem jeweiligen Quartal zahlen müssen. Die erfahren weder etwas über die Diagnosen, noch etwas über die Therapien, noch sonst was...“

Fuhr unterbrach wieder: „Wie bitte, die bezahlen einfach so Geld, ohne zu wissen für was und bei wem?“

„Ja genau...“ bestätigte Voigt „ ...erst bei Direktabrechnungen, wie Krankenhausrechnungen, oder Physio-therapeuten u.ä. bekommen die Kassen Einzelkosten-rechnungen zu sehen.“

„Ist ja unglaublich, das öffnet ja Betrug Tür und Tor!“ Rief Fuhr erstaunt aus.

„Ja, da gab es auch schon einige Fälle in der Vergangenheit.“ Bestätigte Voigt.

„Und diese Abrechnung durfte Berger vornehmen?“ Wollte Jessy wissen.

„Ja, genau und sie war dabei sehr gewissenhaft. Das war es auch was Müllerschön so sehr an ihr schätzte.“ Versicherte Voigt.

„Aber irgendwann änderte sich dies?“ Ergänzte Fuhr. „Ja, so richtig haben wir das zunächst gar nicht realisiert. Verry kam und ging wie eh und je. Erst einige Zeit später, als irgendeine Abrechnungsfrage auftauchte ließ sie ein Bemerkung fallen, wonach sie nicht mehr wisse wie das gehandhabt wird, da sie doch auch schon lange raus sei. Wir sahen sie groß an und sie meinte, dass sie seit zwei, drei Monaten die Arbeit nichtmehr ausführe. Wir waren total erstaunt, zumal keine aus unserem Team diese Arbeit von Verry übernommen hatte.“

„Wie war das Verhältnis zu diesem Zeitpunkt zwischen Berger und Müllerschön?“ Wollte nun Jessy wissen.

„Es war schon ziemlich abgekühlt, aber die wirklichen Boshaftigkeiten und das Mobbing begannen erst später.“ Stellte Voigt nach einigem Nachdenken zu ihrem eigenen Erstaunen fest. Fuhr, der diesen Ausführungen mit immer mehr Unruhe gefolgt war wollte nun wissen:

„Wäre es möglich, dass Müllerschön irgendwelche kleineren Kassenbetrügereien begann, Bauer ihm auf die Schliche kam und er daraufhin die Sache selbst über-nahm, um lästige Mitwisser zu vermeiden?“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Dann hätte er alles in der Zeit ohne Verry beginnen müssen. Welchen Sinn macht es sie erst in seine Machenschaften Einblick nehmen zu lassen und sie dann rauszumobben?“ Gab Voigt zu bedenken.

„Außerdem macht sich doch Müllerschön erpressbar.“ Wandte auch Jessy ein.

„Ja, ja stimmt schon, aber irgendwie hat das alles keinen Sinn. Wir müssen einfach Berger finden und sie fragen. Dieses Herumspekulieren bringt uns nicht weiter...“ Gab Fuhr in Gedanken versunken zu, um dann fortzufahren: „...Vor allem stellt sich für mich die Frage, wie da Vogtländer und sein Tod hineinpasst. Wissen sie irgendwas über Vogtländer zu berichten, Frau Voigt?“

„Na ja, ich habe diese Frage schon erwartet, da sie ja sagten, dass das der eigentliche Grund ihres Besuches ist. Also ich habe mir die gesamten Unterlagen die noch vorhanden waren angesehen und daraus geht hervor, dass er ein Meniskus - Glättungs OP hatte. Diese ist problemlos gelaufen. Er hatte eine Rechnung bekommen, welche er wohl zunächst monierte. Dann wurde eine weitere Rechnung ausgestellt, aber in gleicher Art, die er dann bezahlte. Mehr weiß ich auch nicht, zumal die Sache schon zwei Jahre her ist und ich den Mann vorher und nachher nie mehr gesehen habe, erinnere ich mich auch nicht mehr an ihn, wie auch die anderen Kolleginnen ebenfalls, da habe ich schon rumgefragt.“

Fuhr hatte bei einigen der Voigt´ schen Ausführungen aufgehorcht und vergewisserte sich nun: „Sie sagten eben was sie noch fanden an Unterlagen und erwähnten zwei Rechnungen. Was wollten sie damit sagen?“

„Naja, da fehlte eine Aktennotiz, oder ein Schreiben, oder irgendetwas warum Vogtländer das wollte. Ich meine wir fertigen nicht aus Jux und Dollerei zweimal die gleiche Rechnung. Da hätte ein Anruf sein können, dass er die erste Rechnung verlegt hatte, dann gäbe es eine entsprechende Aktennotiz. Er hätte auch einen Brief schicken können, dann wäre der abgelegen, aber so ist es merkwürdig.“ Erklärte Voigt.

Fuhr dachte einen Moment nach: „Könnten sie vielleicht noch einmal kontrollieren, ob beide Rechnungen wirklich exakt gleich sind, auf Punkt und Komma?“

„Klar das ist kein Problem, aber die Beträge waren beide auf den letzten Cent gleich. Das habe ich ganz bewusst kontrolliert.“ Beharrte Voigt.

„Ich will ihnen da auch nichts unterstellen, aber es ist einfach so, dass der Teufel manchmal im Detail steckt. Darum wäre es mir lieb, wenn sie das morgen nochmal kontrollieren könnten.“ Beharrte Fuhr.

„Warum morgen? Das können wir gleich tun!“ Verkündete Voigt mit triumphierender Miene und zog aus ihrer Tasche ein paar gefaltete Seiten hervor. Dazu erklärte sie den verblüfften Beamten

„Ich dachte mir dass das die Situation vereinfachen könnte und da habe ich das ganze einfach ausgedruckt. Aber ich denke es dürfte ihnen nicht unbedingt helfen, wenn sie wollen sehen wir uns einfach Position für Position an dann wissen sie was ich meine.“

Voigt stülpte sich ihre Lesebrille über und die Drei beugten sich über die beiden mehrseitigen Schriftstücke und tatsächlich jede Kostenposition war exakt gleich, gleichgültig ob GO- Ziffer, welche die Leistung bezeichnete, oder die Grundvergütung, der Steigerungsfaktor mit dem die Grundvergütung multipliziert wird und dann den Endbetrag für die Leistung ergab. Die Daten der Leistungserbringung und natürlich das Endsaldo - alles gleich. Da fiel Fuhr etwas auf:

„Ich weiß nicht, ob das was zu bedeuten hat, aber da sind in dem Feld Diagnosen im einen Fall der älteren Rechnung andere Diagnosen gespeichert als auf der neuen Rechnung. Hat das was zu bedeuten?“

Voigt sah sich das Ganze an und meinte nachdenklich „Stimmt, da ist sind Hypertonie, Senk- Spreiz- und Knickfüße und eine Skoliose vermerkt und dort lediglich die behandelte Meniskusläsion.“

Fuhr sah Voigt fragend an „Und was heißt das alles?“

Voigt nahm ihre Brille ab und begann: „Also eine Meniskusläsion ist ein Meniskusschaden. Deswegen ist Vogtländer bei uns in Behandlung gewesen. Hypertonie heißt Bluthochdruck und eine Skoliose ist eine Wirbelsäulenverkrümmung, welche oft durch eine Beinlängendifferenz und einem daraus resultierenden Beckenschiefstand resultiert. Senk- Spreiz- und Knickfüße ist eine typischen Fußdeformation, die sehr verbreitet ist und zu so genannten X- Beinen führt. Das kann im frühen Kindesalter mit Schuheinlagen korrigiert werden. Manchmal resultieren draus Knie- und Hüftgelenksschäden. “

Fuhr sah immer noch etwas verwirrt aus, meinte dann aber: „ Wie schlimm ist das bzw. warum möchte man das aus der Rechnung raushaben?“

„Keine Ahnung, aber wie immer in der Medizin kann das ganz gravierend, aber auch eher marginal ausgeprägt sein. Da es zu keinen weiteren Beschwerden und auch Behandlungen führte würde ich sagen dass es vernachlässigbar war.“

Fuhr überlegte kurz „Aber wenn es so harmlos war, warum dann diese zweite Rechnung in der diese Diagnosen nicht enthalten waren?“

Voigt zuckte ratlos mit den Schultern. Als die beiden Kriminalpolizisten nach vielen Geschichten über die gute alte Zeit Voigt wieder verließen war es bereits halb zwölf geworden.

Im Dienstwagen angekommen sah Jessy zu Fuhr hin-über, den etwas beschäftigte. Das war ihm ins Gesicht geschrieben

„Na, lass es raus!“ forderte Jessy ihn auf.

„Die Sache stinkt gewaltig und bitte tu es nicht mit meiner Aversion gegen Müllerschön ab. Da ist irgendwas und ich komme nicht dahinter. Wir müssen dringend diese Berger ausfindig machen. Vielleicht kann sie ja Licht in die Sache bringen – halt ich korrigiere mich, sie wird Licht in die Sache bringen. Dann werden wir auch wissen wie Vogtländer in die Sache passt.“

„Und, ganz wichtig, ob die Sache überhaupt was mit Vogtländers Tod zu tun hat!“ Ergänzte Jessy.

Fuhr brummelte etwas, das Jessy nicht verstand, aber sie konnte sich schon denken, dass es um ihren Einwand ging.

„Na ja, Olli, du must doch zugeben, dass da zwar vielleicht wirklich was nicht ganz koscher ist, aber das gar nichts mit der Tötung Vogtländers zu tun hat und sich eine eher zufällige Kreuzung dieser Sachverhalte ergibt. Denk doch nur mal daran, dass dieser Ehrgeizling in seiner Agentur Vogtländer umgebracht hat, da er ihn einfach zu viel Geld gekostet hatte und noch kosten würde. Parallel dazu läuft vielleicht tatsächlich eine krumme Sache bei Müllerschön, aber die hat nichts mit dem Tötungsdelikt zu tun.“

„Schon möglich...“ gab Fuhr missmutig zu „...aber selbst wenn ich diesen arroganten Idioten wegen einer anderen Sache an den Eiern bekommen kann werde ich es tun.“

„Solange deine Ermittlungsarbeit darunter nicht leidet, okay“ Entgegnete Jessy.

„Zu Befehl Frau Kriminalhauptkommissarin in spe Baumann!“ Schnarrte Fuhr.

Bis Fuhr Jessy im Präsidium abgeliefert hatte, in sein Privatfahrzeug umgestiegen und nach Hause gekommen war schlug es Mitternacht. Er entledigte sich seiner Kleidung und stand in der Unterhose vor der Mikrowelle, die Bedienungsanleitung studierend, die er ausgedruckt hatte als die Türe aufging.

„Hallo! wo bist du? Schläfst du schon?“ Hörte er Alex von der Garderobe her. Da erst fiel ihm auf, dass er ja noch gar nicht in den Zimmern war um sich umzusehen was sie alles gewerkelt hatte.

Als sie ihn verzweifelt vor der Mikrowelle stehen sah lachte sie laut auf, umfasste ihn in Hüfthöhe mit den Armen und küsste ihn auf den Hals.

„Na, lass da mal die Großen ran“

Meinte sie. Er drehte sich zu ihr um und sie küssten sich. Als sie ihn wieder freigab meinte er:

„Die Großen waren eben dran und kriegen´s nicht hin, vielleicht probieren´s mal die Kleinen“

„Du Frechdachs nicht mal die Mikrowelle bedienen können, aber ´ne dicke Lippe riskieren“ Schalt sie ihn scherzhaft.

„Aber sag´ mal kommst du jetzt erst nach Hause?“ Wunderte sie sich

„Ja klar, du doch auch“ Entgegnete er lachend

„Aber du hast heute morgen um 7.00 Uhr das Haus verlassen?“ Stellte sie ungläubig fest.

„Wie ich schon sagte, ein Mord, bei frischer Spurenlage, da darf man nicht so sehr auf die Uhr sehen. Außerdem, was tätest du denn wenn ich schon schliefe – ach ich vergaß, als du eben hereingekommen bist wäre ich spätestens bei deinen Rufen wieder aufgewacht.“ Augenzwinkernd meinte sie

„Es hätte sich aber auch gelohnt, oder glaubst du nicht?“ dann küsste sie ihn wieder am Hals und deutete kleine Bisse an.

„Du kannst manchmal so überzeugend sein“ gab Fuhr zärtlich zurück, seinerseits ihre Küsse auf den Hals erwidernd, während er ihre Bluse aufknöpfte und ihre BH Schließe öffnete. Sie fragte noch:

„Noch vor dem Essen?“ aber er antwortete ihr nicht mehr verbal.

Tod eines Versicherungsvertreters

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