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Kapitel 2 Das Heil der Tugend

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In seiner Unterhaltung mit den Mönchen fragte der Buddha als Nächstes, ob ein Mönch zu finden wäre, der das Heil der Tugend vollkommen in sich entwickelt hat und so auch lehrt.

Wir können den Weg zum Heil in vier Schritten gehen, wobei als erster Schritt der Wille zu nennen ist, sich innerlich so zu läutern, dass keinerlei Befleckung mehr besteht. Der Wille zur Läuterung zeigt sich im praktizieren der vier großen Anstrengungen, die von Willenskraft und Achtsamkeit abhängig sind.

Die vier großen Anstrengungen

• Einen unheilsamen Gedanken, der noch nicht aufgekommen ist, nicht aufkommen lassen.

• Einen unheilsamen Gedanken, der schon aufgekommen ist, nicht weiterführen.

• Einen heilsamen Gedanken, der noch nicht aufgekommen ist, aufkommen lassen.

• Einen heilsamen Gedanken, der schon aufgekommen ist, weiterführen.

Wenn wir in der Meditation gelernt haben, unsere Gedanken zu benennen, so merken wir ganz schnell, dass wir ihnen nicht zu glauben brauchen, denn sie sind voller Fantasie und beziehen sich nicht auf die momentane Gegenwart, in der wir leben. Daraus können wir Schlussfolgerungen für das tägliche Leben ziehen. In dem Moment, in dem wir wissen, dass wir unseren Gedanken nicht zu glauben brauchen, wissen wir auch, dass wir einen unheilsamen Gedanken nicht beibehalten müssen, denn er verbreitet nur Unglück um sich. Diese Erklärung des Buddha ist so einfach, klar und logisch, dass wir uns fragen können, warum wir nicht selbst darauf gekommen sind. Die meisten Menschen kommen leider überhaupt nie darauf, und diejenigen, die durch die Lehre des Buddha darauf hingewiesen werden, haben gewiss Schwierigkeiten damit. Erst wenn wir zu praktizieren beginnen, merken wir, um was es hier eigentlich geht. Es gibt doch wirklich nichts Vernünftigeres als sich einmal klarzumachen, dass wir unheilsame, negative, unglücklich machende Gedanken nicht mit uns herumzutragen brauchen, weil sie weder glaubwürdig und glückspendend noch erhebend oder belehrend sind. Sie ziehen uns nur in die Tiefe.

In der Meditation macht es weniger Schwierigkeiten, die eigenen Gedanken zu etikettieren, als im täglichen Leben, denn wir wissen genau, dass uns die Meditation Ruhe, Frieden und Glück bringen soll. Es wird uns schnell klar, dass dies beim Denken nicht geschieht und dass ein Etikett uns helfen kann, die Gedanken abzuschalten.

Im täglichen Leben hingegen, wenn Situationen und Menschen schnell an uns vorbeiziehen, wird dies leicht vergessen. Wenn wir jedoch geduldig weiterüben, wird uns das Etikettieren eines Tages zur Gewohnheit, und wir erlauben uns die unheilsamen Gedanken nicht mehr, weil sie effektiv nur schlechte Resultate bringen.

Den Unterschied zwischen „heilsam“ und „unheilsam“ können wir alle erkennen, wenn wir uns daran erinnern, dass das Heilsame beglückend, aufmunternd und belehrend ist. Wenn diese Eigenschaften fehlen, erleben wir das Unheilsame, das negativ, niederziehend und schmerzhaft ist. Wenn ein unheilsamer Gedanke schon hochgekommen und etikettiert worden ist und wir den festen Willen haben, diesen Gedanken nicht weiterzuführen, so können wir im täglichen Leben dieselbe Methode anwenden, die wir auch in der Meditation gelernt haben, nämlich das Ersetzen des unheilsamen Gedankens durch einen heilsamen. In der Meditation ist der Ersatz die Achtsamkeit auf den Atem.

Es ist schwieriger, den unheilsamen Gedanken zu erkennen, bevor er hochgekommen ist, als wenn er sich schon ausgebreitet hat. Es ist jedoch viel hilfreicher und glücksspendender, wenn wir lernen, die Beschmutzung überhaupt nicht erst zuzulassen. Jeder Gedanke schickt ein Gefühl als Vorboten. Ein unheilsamer Gedanke wird durch ein unangenehmes Gefühl der Schwere, der Unruhe, der Dumpfheit oder Vernebelung angekündigt. Wenn wir eines dieser Gefühle in uns erkennen, können wir schnellstens einen heilsamen Gedanken hervorbringen und damit den unheilsamen völlig vermeiden. Wenn eines Tages alle unheilsamen Gedanken vermieden und nur die heilsamen entfaltet werden, werden wir keine Sekunde lang mehr unglücklich sein. Einem Erleuchteten ist dies ohne Weiteres möglich. Wir sind natürlich nicht immer dazu in der Lage. Wenn wir aber die Absicht haben, innerlich zu wachsen, dann müssen wir es zumindest so oft wie möglich üben. Je öfter wir etwas praktizieren, desto leichter fällt es uns.

Die Meditation ist unser wichtigstes Hilfsmittel, aber die Achtsamkeit im täglichen Leben wird genauso dringend benötigt. Wir können vielleicht schon jetzt erkennen, dass die Meditation nichts weiter ist als ein Mittel zum Zweck, und nicht der Zweck an sich. Dies wird oft nicht klar erkannt, besonders im Westen, wo Meditation ja noch Neuland ist. Meditation ist in der Tat ein unersetzbares Mittel, ohne das spirituelles Wachstum nicht möglich ist, aber wir müssen es durch tägliche Achtsamkeit unterstützen und vervollkommnen.

In der Abgeschiedenheit fällt uns die Achtsamkeit leichter als im geschäftigen Leben der Welt. In der Zurückgezogenheit passiert nicht viel, und wir haben Gelegenheit, einmal auf uns selbst aufzupassen. Die Heilsamkeit eines Gedankens wird uns klar, wenn wir ihn auf seine Egobezogenheit hin untersuchen. Je weniger der Gedanke sich um unsere eigenen Interessen dreht, desto wahrscheinlicher ist seine Lauterkeit. Wenn wir an uns selbst denken, so ist dies meist mit Wünschen oder Ablehnung verbunden. Beispiele für heilsame Gedanken sind solche der Hilfsbereitschaft, der Liebe, des Mitgefühls, der Mitfreude und des Gebens. All diese Gedanken beziehen sich auf andere Menschen. Ein heilsamer Gedanke für uns selbst wäre der Wille und die Absicht, den inneren Weg des spirituellen Wachstums zu fördern. Je mehr wir uns darüber klar werden, dass an andere denken für uns selbst das größte Glück und Heil bedeutet, desto leichter wird es uns fallen, solche Gedanken in uns zu entfalten. Nicht allein um Gutes zu tun, sondern um der eigenen Läuterung willen. Diese vier großen Anstrengungen gehören zu den 37 Erleuchtungsfaktoren, ohne die es keinen spirituellen Pfad gibt. Wenn wir das „Ersetzen mit dem Heilsamen“ nicht praktizieren, können wir keine Läuterung erwarten. Damit wir uns besser an diese Anweisungen erinnern, können wir sie in vier Worten zusammenfassen: Vermeiden, Überwinden, Entfalten, Erhalten.

Der Wille ist der erste Schritt zur Tugend, weil es ohne ihn unmöglich ist, überhaupt etwas zu tun. Ob wir ein Haus bauen oder frühmorgens aufstehen wollen, alles braucht die Kraft des Willens. Er ist es, der uns überhaupt aktionsfähig macht. Wenn uns der Wille verloren geht und wir uns treiben lassen, ist keine innere Entwicklung mehr möglich. Sich treiben lassen ist eine Art von Faulheit, nämlich Gedankenfaulheit, die jeder Mensch latent in sich trägt. Wenn wir aber praktizieren wollen, müssen wir in dieser Beziehung auf der Hut sein und dem Geist immer wieder die Möglichkeit geben, sich zu läutern.

Wir können den Geist mit einem sehr kostbaren Juwel vergleichen, dem kostbarsten im ganzen Universum, denn er trägt den Samen der Erleuchtung in sich, an dem wir alle Anteil haben. Wenn wir dieses Juwel nicht fürsorglich behandeln, wird es schmutzig, zerkratzt und unscheinbar und hat am Ende überhaupt keine Leuchtkraft mehr. Jeder von uns kann dieses Juwel nur selbst vor Verunreinigung schützen und davor, dass es in Verstecke gerät, wo es nicht strahlen kann. Wir müssen immer wieder darauf achten, dass wir die Reinheit, die Klarheit und die Schönheit dieses Juwels zur Geltung bringen. Es muss uns auch klar sein, dass es nichts Wichtigeres im Leben gibt. Alles was wir sonst noch tun, ist Nebensache. Wenn unser Geist die menschliche Problematik einmal abgelegt hat und transzendental denkt, haben wir das Juwel richtig behandelt.

Im Allgemeinen ist alles, was wir im Leben tun, darauf ausgerichtet, unseren Körper in Ordnung zu halten. Die meisten von uns vergessen völlig, das Juwel des Geistes in Ordnung zu halten. Die vier großen Anstrengungen ermöglichen uns dies, und die Energie, die wir aus der Meditation schöpfen, gibt uns die Kraft dazu. Es ist auch noch zu bedenken, dass unser Geist die Eigenschaft des Anhaftens hat. Weil er an unheilsamen Gedanken anhaftet, glaubt er, dass sie berechtigt seien. Erst haftet er an, und dann rechtfertigt er sich. Wenn wir das nicht in uns erkennen, können wir den Willen, etwas zu ändern, nicht aufbringen. Die Formel heißt: „Erkennen, nicht tadeln, ändern.“ Eine ganz einfache Formel, die leicht zu behalten ist, wir müssen sie nur in die Tat umsetzen.

Es wird oft gefragt, ob der Buddhismus eine Religion, eine Philosophie, eine Art von Psychologie oder eine Wissenschaft sei. Es kommt wohl ganz darauf an, von welcher Warte aus wir dies betrachten. Im Prinzip ist der Buddhismus nichts weiter als eine Lehre der Praxis, die aus allem Leid herausführt. Um diese Lehre aber erfolgreich praktizieren zu können, müssen wir sie kennen und dürfen sie nicht mit unseren eigenen Meinungen vermischen. Wir sollten versuchen, die Lehre so zu verstehen, wie sie uns überliefert wurde, denn sie basiert auf einer Wahrheit, die wir erst einsehen können, wenn wir genügend praktiziert haben. Es ist also nicht zweckmäßig, zu hoffen, dass unsere eigenen Ideen uns behilflich sein werden. Das Einzige, was uns hilft, ist, den Richtlinien zu folgen und selbst zu sehen, ob wir Resultate dabei erzielen.

Allein der Wille zur Tugend und zur Meditation bewirkt bereits gutes Karma. Der Buddha hat gesagt, Karma ist die Absicht. Ob diese Absicht dann auch die Früchte trägt, die wir uns erhoffen, ist erst der nächste Schritt. Wenn wir uns vornehmen, die unheilsamen Gedanken loszulassen und die heilsamen in uns zu fördern, bewirken wir durch diese Absicht gutes Karma. Je mehr gutes Karma wir bewirken, desto mehr Unterstützung wird uns in praktischer, materieller und geistiger Hinsicht zuteil.

Wir müssen natürlich immer wieder unser eigener Beobachter sein und dürfen nicht versuchen, uns vor uns selbst zu rechtfertigen. Wenn zum Beispiel ein unheilsamer Gedanke aufgekommen ist, etwa: „Ich kann diesen Menschen nicht leiden“, sollten wir ihn nicht damit rechtfertigen wollen, dass diese Person wirklich ekelhaft ist. Das macht nämlich jeder, dazu brauchen wir keinen spirituellen Pfad. Stattdessen erkennen wir den Gedanken als unheilsam, beschmutzend, verhärtend, wehtuend, lieblos und weder für uns noch für andere hilfreich und versuchen ihn so schnell wie möglich zu ersetzen. Je schneller wir das Unheilsame aus unserem Geist entfernen, desto weniger Unheil und Beschmutzung findet im Geist statt. Je länger es dauert, desto mehr Schmutz haben wir dann wegzuräumen.

Der zweite Schritt zum Heil der Tugend wird Geistesverfassung genannt. Damit sind unsere Reaktionen auf unsere Emotionen gemeint, mit denen wir ja ständig zu tun haben. Der erste Schritt betrifft also unsere Gedanken, der zweite unsere Emotionen. Tugend ist viel mehr als nur Sittlichkeit, denn vollkommen tugendhaft zu sein, bedeutet, vollkommen geläutert zu sein, was gleichbedeutend mit Erleuchtung ist. Für uns gibt es den Pfad der Praxis. Man kann sagen, dass das größte Gut, das der Buddha uns hinterlassen hat, seine Erklärungen und Richtlinien sind, nach denen wir üben können. Wir brauchen nicht zu warten, zu hoffen oder zu bitten, es ist ganz deutlich überliefert, was zu tun ist.

Unsere Geistesverfassung baut auf unseren Reaktionen auf. Wenn wir mit unseren Sinnen etwas wahrnehmen, was uns schön oder angenehm erscheint, so ist unsere natürliche, instinktive Reaktion, dass wir uns ihm nähern, es behalten und besitzen wollen. Wir verstärken also unser Anhaften. Wir können aber nun einmal anfangen, uns ein bisschen davon zu lösen. Wir sind mit Geist und Körper der Ich-Illusion verhaftet: „Das bin ich, das gehört mir, das will ich haben, das will ich sein, das will ich werden.“ Alles dreht sich um „mich“. Wenn also die Sinne, die wir ja ständig in Gebrauch haben, uns etwas zeigen, was wir als wünschenswert empfinden, verbinden wir ein angenehmes Gefühl damit, laufen dem hinterher und suchen dadurch etwas Neues zum anhaften. Es genügt uns anscheinend nicht, dass wir schon an so vielen Dingen anhaften.

Die Kehrseite der Medaille handelt davon, dass wir mit den Sinnen etwas Unangenehmes, Hässliches, Schmerzliches berühren und sich sofort Widerstand zeigt: „Ich will das nicht, ich kann das nicht leiden, ich muss weg davon.“ Gleich zeigt sich unsere Negativität, die allein dadurch hochkommt, dass ein Sinneskontakt stattgefunden hat und wir dem glauben, was da vor sich geht, als ob es die einzige Realität wäre. In Wirklichkeit können diese Vorgänge höchstens zeitweiliges Vergnügen oder Missvergnügen bereiten, aber niemals inneren Frieden und innere Harmonie erzeugen. Darum ist es nötig, Innenschau zu halten, um zu erkennen, was hier in uns selbst vorgeht.

Vielleicht hören wir Worte, die uns nicht gefallen, und sofort kommt eine Reaktion: „Dieser Mensch ist bei mir im Haus nicht erwünscht.“ Dabei ist nichts weiter geschehen, als dass wir Worte gehört haben, von denen der Sprecher sogar überzeugt ist. Die Reaktion darauf entsteht in uns selbst, was schwer zu erkennen ist. Die meisten Menschen glauben, alles hinge von dem ab, was von außen auf sie zukommt.

Vielleicht können wir uns einmal Folgendes vorstellen: Eine kleine Teufelspuppe, mit der Kinder spielen, sitzt in ihrem Kasten auf einer Spirale. Wenn das Kind den Deckel nur ganz leicht berührt, springt die Teufelspuppe zum größten Vergnügen des Kindes heraus. Nun entfernt jemand die Teufelspuppe aus dem Kasten und wirft sie weg. Das Kind drückt und drückt auf den Deckel – ohne Ergebnis. Es holt einen Hammer und haut auf den Deckel, aber nichts springt heraus. Das ist ein Gleichnis für unsere Reaktionen. Sie springen jedes Mal heraus, wenn jemand auf den Deckel drückt, weil sie in uns sitzen. Wenn wir einmal festgestellt haben, dass bei uns immer das gleiche Programm abläuft, werden wir vielleicht versuchen, uns von allem fernzuhalten, was auf unseren Deckel drücken könnte. Das ist aber nicht möglich. Die Welt ist voll von diesen „Kindern“, die auf unsere Deckel drücken, selbst wenn wir uns in eine einsame Höhle zurückziehen. Auch da wird es kalt und regnet, gibt es Ungeziefer, kommen Leute vorbei, die uns auslachen, und andere Unannehmlichkeiten. Es hat keinen Sinn, den Deckeldrücker zu tadeln oder ihm auszuweichen. Es gibt nur einen Weg, nämlich endlich einmal die eigene Teufelspuppe kennen zu lernen und sich vorzunehmen, nicht mehr dasselbe Programm ablaufen zu lassen. Wir können uns klarmachen, dass ja nichts weiter stattfindet als ein Sinneskontakt.

Wenn wir zum Beispiel mit Knieschmerzen dasitzen, kann es sein, dass unser Geist sich empört: „Das ist ja schrecklich, wirklich furchtbar. Ich hätte nie so etwas anfangen sollen. Erleuchtet werde ich ja ohnehin nicht. Ich mache das nicht länger mit. Ich gehe einfach.“ Und was hat wirklich stattgefunden? Nichts weiter als ein Berührungskontakt, der unangenehme Gefühle hervorgerufen hat. Der Geist kann aber ein ganzes Drehbuch aus der einfachen Tatsache machen, dass das Knie das Kissen berührt und ein unangenehmes Gefühl hervorruft. Wenn wir das Knie streicheln, findet auch ein Berührungskontakt statt, der jedoch mit einem angenehmen Gefühl verbunden ist. Der Geist reagiert dann wohlwollend: „Wie schön, mach doch weiter, herrlich.“ Die äußeren Anlässe und unsere Reaktionen vermitteln uns den Eindruck, als sei das die Welt. Der Buddha hat wiederholt gesagt: „Die Welt, das sind unsere Sinne und die Sinnesobjekte, die wir mit dem Sinnesbewusstsein wahrnehmen und daher sehen, hören, riechen, schmecken, berühren und denken, und weiter gar nichts.“

Der erste Schritt auf dem Weg zur inneren Reinheit besteht also darin, dass wir unsere Gedanken in heilsame Bahnen lenken, der zweite darin, dass wir unsere Gefühlsreaktionen beachten und versuchen, uns vom Haben- und Loswerdenwollen zu befreien. Beide verursachen Leid, denn sie bedeuten ja, dass wir nicht zufrieden sind mit den Dingen, so wie sie sind. Leider ist das der Gram aller Lebewesen. Wir brauchen uns nur die Kühe anzuschauen; sie stecken immer ihren Kopf durch den Zaun, um das Gras auf der anderen Seite zu fressen. Dabei ist es genau dasselbe Gras wie auf ihrer Seite. Bei uns sieht es auch nicht anders aus; wir sind selten zufrieden mit dem, was wir haben, erleben, wissen und sind. Es sollte immer besser, schöner und vollständiger sein. Was werden wir also ändern können, damit endlich einmal diese Unzufriedenheit in uns aufhört? Wir können wohl etwas ändern, aber nicht von außen. Wir haben die Anweisungen des Buddha, wie wir innerlich etwas ändern können.

Unser Hauptanliegen ist die Läuterung von Herz und Geist mit den entsprechenden Methoden, diese zu erreichen. Die Meditation ist eine Methode der Läuterung; jeder Moment der Konzentration ist ein Moment der Läuterung. Wenn der Geist nur eine Sekunde lang konzentriert ist, kann er nicht unheilsam denken oder reagieren. Wir wissen auch, dass die Zeit sehr schnell verfließt, wenn wir konzentriert sind, was daran liegt, dass der Geist zu der Zeit nichts Unlauteres in sich birgt. Diese Art der Läuterung funktioniert wie eine automatische Waschmaschine. Wir brauchen uns nicht vorzunehmen, nichts Böses zu denken oder alle Menschen zu lieben. Konzentration allein genügt. Um unser Innenleben zu läutern und tugendhaft zu gestalten, brauchen wir keine grandiosen, spirituellen Fähigkeiten. Nur Verständnis und gute Absicht sind nötig.

Der dritte Schritt zum Heil der Tugend besteht darin, dass wir unsere Sinnestore schützen. Wir tun das, indem wir uns zurücknehmen, was uns auch hilft, unsere Reaktionen zu vermindern. Wenn wir unsere Sinnestore schützen, sind wir nicht an allem interessiert, was um uns herum vorgeht. Das Wort „Neugierde“ macht deutlich, worum es dabei geht, nämlich um die „Gier nach dem Neuen“. Diese Gier wird durch unsere Rastlosigkeit, unsere Unzufriedenheit und unser Nicht-erfüllt-Sein hervorgerufen. Wir wollen noch etwas Neues sehen, hören, schmecken, riechen, berühren oder eventuell denken. Also schaffen wir uns noch einige Bücher an oder belegen etliche neue Kurse. Die Gier nach dem Neuen hat zur Folge, dass unsere Sinne ständig beschäftigt sind, was uns jedoch nie befriedigen kann.

Nicht das Auge sieht eine hübsche Frau oder einen gut aussehenden Mann. Das Auge kann nichts weiter erkennen als Farbe und Form, der Geist muss es dann erklären. Das Ohr hört nicht, dass jemand hämmert, es kann nur Geräusch hören. Das Geräusch erzeugt Gefühle, dann kommt die Erklärung „hämmern“ und daraufhin die Reaktion: „Das kann ich nicht leiden; wie soll ich hier meditieren; ich gehe nach Hause.“ So spielt sich unser ganzes Leben ab. Immer wieder sind wir den fünf Sinnen und unseren Reaktionen ausgesetzt. Dass uns dabei auf die Dauer langweilig wird, ist nicht verwunderlich, und so suchen wir ständig nach etwas Neuem. Im Prinzip aber bleibt es immer beim Alten, es ändert sich nichts. Wir hören, sehen, schmecken, riechen, berühren oder denken etwas, und nichts weiter geschieht als Gehörtes, Gesehenes, Geschmecktes, Gerochenes, Berührtes und Gedachtes, daraufhin ein Gefühl, die Erklärung und dann die Reaktion: „Dies habe ich gern, jenes kann ich nicht leiden. Dieses soll näherkommen, ich will es behalten, jenes soll fort.“

Wir können also unsere Sinne schützen und dadurch etwas beruhigen, dass wir sie nicht mit ewiger Neugierde in die Welt hinausschicken, sondern dass wir mit dem zufrieden sind, was wir schon haben und erleben. Wir werden in dem Moment bereit sein, unsere Sinneskontakte allmählich zu reduzieren, indem wir erkennen, dass unser ganzes Leben von unseren Reaktionen abhängig ist und daher nie vollkommen befriedigend sein kann. Im Prinzip suchen wir doch alle Glück und Frieden. Unsere Sinneskontakte sprechen dagegen, denn sie bringen uns niemals das Gewünschte – nur etwas Neues, das wir entweder haben wollen oder nicht, und daraus erwächst sicherlich kein Glück und kein Frieden.

Wenn wir uns klar darüber sind, dass wir inneren Frieden suchen, müssen wir auch gewillt sein, etwas dafür aufzugeben. Es handelt sich dabei nicht um Familie, Heim oder Arbeitsstelle, sondern darum, dass wir aufgeben, das Glück dort zu suchen, wo es nicht zu finden ist. Wir alle haben lange genug, nämlich seit wir auf der Welt sind, versucht, durch unsere Sinneskontakte volle Befriedigung zu finden, und es ist uns niemals gelungen. Wir haben immer nur momentanes Vergnügen erreicht. Wenn wir also wirklich einmal Frieden haben wollen, müssen wir bereit sein, das aufzugeben, was uns keine Befriedigung gebracht hat.

Das bedeutet jedoch nicht, mit geschlossenen Augen, Ohren, Nase und Mund durch die Welt zu gehen. Das ist unmöglich und wäre auch sinnlos. Der Buddha war ein pragmatischer Lehrer und hat alles aus der Sicht der Praxis gelehrt. Unsere Erwartungshaltung, dass aus den Sinneskontakten eines Tages das wirkliche Glück entsprießen wird, können wir aufgeben. Wir denken, wenn wir es nur richtig anpacken, das Beste kaufen, das Gesündeste essen, den richtigen Partner haben, die neuesten YogaÜbungen machen, dann wird es schon klappen. Wir denken, bis jetzt haben wir es eben sicher noch nicht ganz richtig gemacht. Leider wird sich das aber bis zum Ende unseres Lebens nicht ändern. Wir können natürlich immer wieder probieren.

Gesundes Essen und Yoga-Übungen sind wichtig, aber zu erwarten, dass sie uns Glück und Frieden verschaffen, ist Utopie. Diese Erwartungshaltung bringt innere Unruhe. Wir denken: „Habe ich es nun richtig gemacht? Wird sich mir keiner in den Weg stellen? Werden alle, die ich liebe, bei mir bleiben? Wird jetzt und zukünftig alles in Ordnung sein?“ Mit dieser Erwartungshaltung kommt sofort die Enttäuschung, weil es natürlich nicht funktioniert. Also glauben wir, es muss wohl doch der falsche Partner sein, die falsche Yoga-Übung, die falsche Ernährung oder was immer wir uns ausdenken mögen. Es könnte auch das falsche Buch, der falsche Kurs oder der falsche Lehrer sein. Statt aufzuhören, das Glück mit unseren Sinnen in der Außenwelt zu suchen, fangen wir unweigerlich wieder von vorn an, nach neuen Objekten zu suchen, die uns Erfüllung bringen sollen.

Wir brauchen unsere Sinne zum Überleben, denn sie warnen uns vor Gefahren. Stattdessen missbrauchen wir sie als Mittel auf der Suche nach Vergnügen. Die Vorstellung, dass sie uns eines Tages Glück und Frieden bringen werden, müssen wir ein für allemal aufgeben. Wenn wir dies als Kontemplation betrachten, nachprüfen und klar erkennen, so heißt das nicht, dass wir uns nie mehr an angenehmen Sinneskontakten erfreuen werden. Es bedeutet lediglich, dass wir kein bleibendes Glück und keinen inneren Frieden von ihnen erwarten. Wir akzeptieren jeden angenehmen Sinneskontakt mit großer Dankbarkeit, und wenn wir einen unangenehmen erleben, wissen wir, dass er das Erbe unseres eigenen Karmas ist. Wir benutzen die Situation als Lehre, und daher kommt auch keine Abneigung hoch, sondern Dankbarkeit für diese Möglichkeit des Praktizierens. Haben wir eine solche Lernsituation richtig genutzt, so bringt sie weder Anhaftung an das Angenehme noch Ablehnung des Unangenehmen mit sich, sondern Dankbarkeit für beides – einerseits für das gute Karma, das uns das Angenehme beschert, und anderseits für die Lernsituation, die uns mit dem Unangenehmen konfrontiert.

Wenn wir unsere Sinne in dieser Weise benutzen, sind sie uns gute Freunde. Im Allgemeinen aber sind sie den Menschen ein Feind. Wir sehen etwas, wollen es besitzen, und schon stürzen wir uns in Schulden, um es zu erwerben. Wir sehen einen Menschen, den wir begehren, und öffnen die Tore für Eifersucht und Neid. Vielleicht gibt es etwas, das wir unbedingt ändern wollen, und müssen uns in Schwierigkeiten begeben, um dies zu erreichen. Wenn wir unsere Sinne als Lehrer und Freunde benutzen, werden wir immer wieder dankbar sein, dass wir sie alle in gutem Zustand besitzen, und uns daran erinnern, dass es Menschen gibt, denen nicht alle fünf Sinne zur Verfügung stehen, was uns wiederum hilft, Mitgefühl zu empfinden.

Dankbarkeit ist eine wichtige Eigenschaft, weil darin Demut enthalten ist. Die Überzeugung, es besser zu wissen oder besser zu können, hat keinen Platz mehr in unserem Geist, wenn wir dankbar sind. Auch Freude steigt hoch, denn wir können ja nur dankbar für etwas sein, das uns erfreut. Dankbarkeit und Freude sind zwei wichtige Bestandteile des inneren Friedens.

Wir haben nun drei Schritte kennen gelernt, die zur Tugend führen: erstens unsere unheilsamen Gedanken durch heilsame zu ersetzen; zweitens auf unsere emotionellen Reaktionen zu achten und loszulassen; drittens unsere Sinne zu beschützen und sie richtig zu bewerten, nicht als Weg zum Glück, sondern als Lehrer. Der vierte Schritt ist die Nicht-Ausschreitung. Körper und Sprache sollen beobachtet und behütet werden aus Rücksicht auf andere und uns selbst. Unser eigenes Gewissen weiß, was heilsam und was unheilsam ist. Gewissen und Scham (hiriottappa) hat der Buddha die zwei Hüter der Welt genannt, ohne die wir im Chaos leben würden. Teilweise herrschen Schamlosigkeit und Gewissenlosigkeit in der Welt, aber von Natur aus schämen wir uns, Schlechtes zu tun, und die beiden Hüter warnen uns davor, Körper und Sprache unheilsam zu verwenden.

Der Buddha hat gesagt, dass diese Anweisungen für gewöhnliche Menschen genügen, aber nicht für diejenigen, die einen spirituellen Pfad eingeschlagen haben und innerlich wachsen wollen. Für solche ist es absolut nötig, dass sie tugendhaftes Benehmen pflegen, um zur Erlösung, zur vollkommenen Freiheit, zum Nibbāna zu gelangen. Das wäre dann eine viel stärkere Motivation. Unser Gewissen können wir immer beruhigen. Wir sind sehr geschickt darin und können gut erklären, wieso etwas berechtigt ist. Häufig sind wir auch von anderen beeindruckt und lassen uns von ihnen beeinflussen. Wir haben auch gerade Jahrzehnte hinter uns (glücklicherweise sind sie vorbei), in denen Tugend nicht sehr hoch angesehen war. Wenn wir aber wissen, dass Tugend unumgänglich ist für den spirituellen Pfad, das innere Wachstum und die volle Erlösung, dann gibt es keinerlei Beschwichtigungen mehr.

Die rechte Dringlichkeit kommt erst auf, wenn uns klar geworden ist, dass vollkommene Erlösung und Freiheit, ein komplettes Transzendieren der menschlichen Problematik möglich ist und dass der Buddha uns den Weg dahin gezeigt hat, auf dem Tugend das Fundament bildet. Dann haben wir eine Motivation, die stark genug ist, uns nicht mehr vom Pfad abirren zu lassen.

Fragen und Antworten

F: Ich habe eine Frage zu heilsamen und unheilsamen Gedanken. Wie ist das mit Sorgen, die man sich um einen Menschen oder um Angehörige macht, wenn man denkt, es könnte etwas im Krankenhaus passiert sein. Es ist mir letztes Wochenende so gegangen, und ich habe versucht loszulassen, aber es ging recht schlecht. Als ich dann losgelassen hatte, kamen andere Gedanken, wie zum Beispiel „Vielleicht bist du gleichgültig, wenn du dir diese Gedanken und Sorgen nicht machst.“ Ich kann schlecht unterscheiden, wann es gleichgültig und wann heilsam ist, weil dann Angst und Misstrauen auch eine Rolle spielen.

A: Die heilsamen Gedanken sind auf liebender Güte, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut aufgebaut. In diesem Fall, wenn ein Mensch krank ist, können wir Mitgefühl praktizieren. Wenn wir uns erkundigen wollen, ob es einem Menschen gut oder schlecht geht, können wir dies aus Mitgefühl tun. Sich Sorgen zu machen, hat keinen Sinn, es ändert nichts an der Situation. Mitgefühl hingegen verändert etwas im eigenen Herzen, es zeigt sich in der Sprache und kann dem anderen eine Hilfe sein. Wir können uns selbst prüfen, ob wir eigennützig denken und empfinden oder ob wir dem anderen helfen wollen. Mitgefühl ist immer auf den anderen gerichtet. Sich Sorgen zu machen, ist im Allgemeinen eigennützig. Daher sind diese Gedanken fallen zu lassen und zu ersetzen.

F: Wie kann ich das denn in diesem Fall ersetzen?

A: Genau wie wir unsere Gedanken während der Meditation durch die Betrachtung des Atems ersetzen, so tun wir das auch im täglichen Leben. Je besser das in der Meditation geht, desto leichter geht es im Leben. Genau wie wir in der Meditation immer wieder die Gedanken fallen lassen und stattdessen den Atem betrachten, so ersetzen wir auch im Alltag das Unheilsame durch das Heilsame.

F: In der Meditation ist es wohl egal, ob ein Gedanke heilsam oder unheilsam ist. Man etikettiert ihn und tut etwas anderes. Da kümmern wir uns nicht darum, ob er heilsam ist. Stimmt das?

A: Das stimmt, es ist aber dieselbe Handlung des Ersetzens.

F: Aber wir brauchen ihn nicht erst in etwas Heilsames umzuwandeln?

A: Nein, man wandelt den Gedanken in die Atembetrachtung um.

F: Im Alltag würde man den Gedanken in einen heilsamen umwandeln?

A: Richtig. Es bleibt dieselbe Handlung des Ersetzens. Durch das Etikettieren lernen wir auch, dass die meisten Gedanken unheilsam sind, weil sie uns ablenken.

F: In der Meditation ist ein schöner Gedanke also gar nicht heilsam? Das Heilsame nützt uns dabei nichts?

A: In der Meditation nicht. Wenn am Anfang heilsame Gedanken hochkommen, kann uns das helfen, den Geist zu beruhigen, aber während des Meditierens sind alle Gedanken zu ersetzen, und im Leben handelt es sich um alle unheilsamen.

F: Ich habe den Unterschied zwischen Kontemplation und Meditation noch nicht verstanden.

A: In der Meditation versuchen wir, den Geist vom Denken abzubringen und stattdessen zu erleben. Am Anfang benutzen wir den Atem als Methode dazu. Wenn die Meditation konzentriert genug geworden ist, brauchen wir keine Methode mehr. Um den Geist vom Denken abzubringen, müssen wir den Atem erleben. Wir hören also auf, all dem Aufmerksamkeit zu schenken, was wir im Allgemeinen denken.

Bei der Kontemplation hingegen wählen wir ein Thema, wie zum Beispiel den eigenen Tod, und bleiben bei diesem Thema. Es geht nicht darum, heilsam oder unheilsam zu reagieren, sondern darum, die eigenen Reaktionen kennen zu lernen. Wir können dadurch erfahren, was uns bewegt und motiviert, wie wir im Leben stehen und wie wir uns eventuell hilfreich ändern können. Gewählt wird immer ein Thema von universeller Wahrheit, das wir auf uns persönlich beziehen. Das bedeutet, den Mikrokosmos im Makrokosmos zu sehen und sich selbst als Teil des Ganzen wahrzunehmen.

Ohne mich ist das Leben ganz einfach

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