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II. Erste kirchliche Reaktionen

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1.

Der lang vorbereitete und im Gang befindliche Auflösungsprozess der christlichen Auffassung von Moral hat, wie ich zu zeigen versuchte, in den 60er Jahren eine Radikalität erlebt, wie es sie vorher nicht gegeben hat. Diese Auflösung der moralischen Lehrautorität der Kirche musste sich notwendig auch auf ihre verschiedenen Lebensräume auswirken. In dem Zusammenhang des Treffens der Vorsitzenden der Bischofskonferenzen aus aller Welt mit Papst Franziskus, interessiert vor allem die Frage des priesterlichen Lebens, zudem die der Priesterseminare. Bei dem Problem der Vorbereitung zum priesterlichen Dienst in den Seminaren ist in der Tat ein weitgehender Zusammenbruch der bisherigen Form dieser Vorbereitung festzustellen.

In verschiedenen Priesterseminaren bildeten sich homosexuelle Clubs, die mehr oder weniger offen agierten und das Klima in den Seminaren deutlich veränderten. In einem Seminar in Süddeutschland lebten Priesteramtskandidaten und Kandidaten für das Laienamt des Pastoralreferenten zusammen. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten waren Seminaristen, verheiratete Pastoralreferenten zum Teil mit Frau und Kind und vereinzelt Pastoralreferenten mit ihren Freundinnen zusammen. Das Klima im Seminar konnte die Vorbereitung auf den Priesterberuf nicht unterstützen. Der Heilige Stuhl wusste um solche Probleme, ohne genau darüber informiert zu sein. Als ein erster Schritt wurde eine Apostolische Visitation in den Seminaren der U.S.A. angeordnet.

Da nach dem II. Vaticanum auch die Kriterien für Auswahl und Ernennung der Bischöfe geändert worden waren, war auch das Verhältnis der Bischöfe zu ihren Seminaren sehr unterschiedlich. Als Kriterium für die Ernennung neuer Bischöfe wurde nun vor allen Dingen ihre »Konziliarität« angesehen, worunter freilich sehr Verschiedenes verstanden werden konnte. In der Tat wurde konziliare Gesinnung in vielen Teilen der Kirche als eine der bisherigen Tradition gegenüber kritische oder negative Haltung verstanden, die nun durch ein neues, radikal offenes Verhältnis zur Welt ersetzt werden sollte. Ein Bischof, der vorher Regens gewesen war, hatte den Seminaristen Pornofilme vorführen lassen, angeblich mit der Absicht, sie so widerstandsfähig gegen ein glaubenswidriges Verhalten zu machen. Es gab – nicht nur in den Vereinigten Staaten von Amerika – einzelne Bischöfe, die die katholische Tradition insgesamt ablehnten und in ihren Bistümern eine Art von neuer moderner »Katholizität« auszubilden trachteten. Vielleicht ist es erwähnenswert, dass in nicht wenigen Seminaren Studenten, die beim Lesen meiner Bücher ertappt wurden, als nicht geeignet zum Priestertum angesehen wurden. Meine Bücher wurden wie schlechte Literatur verborgen und nur gleichsam unter der Bank gelesen.

Die Visitation, die nun erfolgte, brachte keine neuen Erkenntnisse, weil sich offenbar verschiedene Kräfte zusammengetan hatten, um die wirkliche Situation zu verbergen. Eine zweite Visitation wurde angeordnet und brachte erheblich mehr Erkenntnisse, blieb aber im Ganzen doch folgenlos. Dennoch hat sich seit den 70er Jahren die Situation in den Seminaren allgemein konsolidiert. Trotzdem kam es nur vereinzelt zu einer neuen Erstarkung der Priesterberufe, weil die Situation im Ganzen sich anders entwickelt hatte.


2.

Die Frage der Pädophilie ist, soweit ich mich erinnere, erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre brennend geworden. Sie war in den U.S.A. inzwischen bereits zu einem öffentlichen Problem angewachsen, so dass die Bischöfe in Rom Hilfe suchten, weil das Kirchenrecht, so wie es im neuen Kodex verfasst ist, nicht ausreichend schien, um die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Rom und die römischen Kanonisten taten sich zunächst schwer mit diesen Anliegen; ihrer Meinung nach musste die zeitweilige Suspension vom priesterlichen Amt ausreichen, um Reinigung und Klärung zu bewirken. Dies konnte von den amerikanischen Bischöfen nicht angenommen werden, weil die Priester damit im Dienst des Bischofs verblieben und so als direkt mit ihm verbundene Figuren beurteilt wurden. Eine Erneuerung und Vertiefung des bewusst locker gebauten Strafrechts des neuen Kodex musste sich erst langsam Bahn schaffen.

Dazu kam aber ein grundsätzliches Problem in der Auffassung des Strafrechts. Als »konziliar« galt nur noch der sogenannte Garantismus. Das heißt, es mussten vor allen Dingen die Rechte der Angeklagten garantiert werden und dies bis zu einem Punkt hin, der faktisch überhaupt eine Verurteilung ausschloss. Als Gegengewicht gegen die häufig ungenügende Verteidigungs­möglichkeit von angeklagten Theologen wurde nun deren Recht auf Verteidigung im Sinn des Garantismus so weit ausgedehnt, dass Verurteilungen kaum noch möglich waren.

An dieser Stelle sei mir ein kleiner Exkurs erlaubt. Angesichts des Umfangs der Pädophilie-Verfehlungen ist ein Wort Jesu neu ins Gedächtnis gedrungen, welches sagt: »Wer einen von diesen Kleinen, die an mich glauben, zum Bösen verführt, für den wäre es besser, wenn er mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer geworfen würde« (Mk 9, 42). Dieses Wort spricht in seinem ursprünglichen Sinn nicht von sexueller Verführung von Kindern. Das Wort »die Kleinen« bezeichnet in der Sprache Jesu die einfachen Glaubenden, die durch den intellektuellen Hochmut der sich gescheit Dünkenden in ihrem Glauben zu Fall gebracht werden können. Jesus schützt also hier das Gut des Glaubens mit einer nachdrücklichen Strafdrohung an diejenigen, die daran Schaden tun. Die moderne Verwendung des Satzes ist in sich nicht falsch, aber sie darf nicht den Ursinn verdecken lassen. Darin kommt gegen jeden Garantismus deutlich zum Vorschein, dass nicht nur das Recht des Angeklagten wichtig ist und der Garantie bedarf. Ebenso wichtig sind hohe Güter wie der Glaube. Ein ausgewogenes Kirchenrecht, das dem Ganzen der Botschaft Jesu entspricht, muss also nicht nur garantistisch für den Angeklagten sein, dessen Achtung ein Rechtsgut ist. Es muss auch den Glauben schützen, der ebenfalls ein wichtiges Rechtsgut ist. Ein recht gebautes Kirchenrecht muss also eine doppelte Garantie – Rechtsschutz des Angeklagten, Rechtsschutz des im Spiel stehenden Gutes – beinhalten. Wenn man heute diese in sich klare Auffassung vorträgt, trifft man im allgemeinen bei der Frage des Schutzes des Rechtsgutes Glaube auf taube Ohren. Der Glaube erscheint im allgemeinen Rechtsbewusstsein nicht mehr den Rang eines zu schützenden Gutes zu haben. Dies ist eine bedenkliche Situation, die von den Hirten der Kirche bedacht und ernst genommen werden muss.

Den kurzen Notizen über die Situation der Priesterausbildung zum Zeitpunkt des öffentlichen Ausbrechens der Krise möchte ich nun noch ein paar Hinweise zur Entwicklung des Kirchenrechts in dieser Frage anfügen. An sich ist für Delikte von Priestern die Kleruskongregation zuständig. Da aber damals in ihr der Garantismus weithin die Situation beherrschte, bin ich mit Papst Johannes Paul II. einig geworden, dass es angemessen sei, die Kompetenz über diese Delikte der Glaubenskongregation zuzuweisen, und zwar unter dem Titel »Delicta maiora contra fidem«. Mit dieser Zuweisung war auch die Möglichkeit zur Höchststrafe, das heißt zum Ausschluss aus dem Klerus möglich, die unter anderen Rechtstiteln nicht zu verhängen gewesen wäre. Dies war nicht etwa ein Trick, um die Höchststrafe vergeben zu können, sondern folgt aus dem Gewicht des Glaubens für die Kirche. In der Tat ist es wichtig zu sehen, dass bei solchen Verfehlungen von Klerikern letztlich der Glaube beschädigt wird: Nur wo der Glaube nicht mehr das Handeln des Menschen bestimmt, sind solche Vergehen möglich. Die Schwere der Strafe setzt allerdings auch einen klaren Beweis für das Vergehen voraus - der in Geltung bleibende Inhalt des Garantismus. Mit anderen Worten: Um die Höchststrafe rechtmäßig verhängen zu können, ist ein wirklicher Strafprozess notwendig. Damit waren aber sowohl die Diözesen wie der Heilige Stuhl überfordert. Wir haben so eine Mindestform des Strafprozesses formuliert und den Fall offen gelassen, dass der Heilige Stuhl selbst den Prozess übernimmt, wo die Diözese oder die Metropolie nicht dazu in der Lage ist. In jedem Fall sollte der Prozess durch die Glaubenskongregation überprüft werden, um die Rechte des Angeklagten zu garantieren. Schließlich aber haben wir in der Feria IV (d.h. der Versammlung der Mitglieder der Kongregation) eine Appellations­instanz geschaffen, um auch die Möglichkeit einer Berufung gegen den Prozess zu haben. Weil dies alles eigentlich über die Kräfte der Glaubens­kongregation hinausreichte und so zeitliche Verzögerungen entstanden sind, die von der Sache her verhindert werden mussten, hat Papst Franziskus weitere Reformen vorgenommen.


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