Читать книгу Kindheit am Rande der Verzweiflung - Bernd Siggelkow, Marcus Mockler, Wolfgang Büscher - Страница 5

Vorwort

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Schon mein ganzes Leben hatte ich mit herausfordernden Situationen zu tun. Selbst meine eigene Kindheit, die von Armut und Beziehungslosigkeit geprägt war, wurde zum ständigen Überlebenskampf. Danach begleiteten mich jahrzehntelang Kinder mit ähnlichen Schicksalsschlägen, und das alles ließ 1995 das christliche Kinder- und Jugendwerk „Die Arche“ entstehen. Mit der Gründung dieser Hilfsorganisation startete auch der Kampf gegen Kinderarmut und für mehr Chancengleichheit. Im Jahr 2001 wurde der erste Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesrepublik veröffentlicht und es wurde bekannt, dass 1,2 Mio. Minderjährige in finanzieller Armut aufwachsen müssen. Ich dachte, dass jetzt, nach diesem Bericht, etwas passieren wird.

Heute, 20 Jahre später, haben sich diese Zahlen verdreifacht und unser Kampf umso mehr vervielfacht. Die Bildung unserer Kinder ist abhängig vom Einkommen der Eltern und Hunderttausende Kids machen so eine abgehängte Generation aus, die niemals eine Chance haben wird, dem Kreislauf der Bildungsferne zu entkommen.

Als ich am 16. März 2020 die Archen in Deutschland, aufgrund des verordneten Shut-downs, schließen musste, öffnete sich mir ein düsteres Bild. Über Nacht durfte kein Kind mehr in unser „Rettungsboot“ kommen. In den Schulen fehlten die Konzepte für Home-schooling und das Voranbringen der Digitalisierung. Bedingt durch den verordneten Lock-down stieg die Gefahr von häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch. Die finanziellen Herausforderungen durch Hamsterkäufe und Verteuerungen der Lebensmittel würden besonders benachteiligte Familien treffen. Über Nacht würden wichtige Ansprechpartner und einige Hilfsorganisationen im Nirwana verschwinden.

In mir wuchs stetig die Frage: „Wer ist jetzt noch da? Wer steht den gefährdeten Kindern zur Seite? Wer sorgt dafür, dass diese abgehängte Generation nicht ganz verloren geht? Wer versorgt jetzt die bedürftigen Familien und steht ihnen moralisch bei?“

Die Arche wurde für Tausende Menschen zum Krisenbewältiger, musste aber dennoch zusehen, wie ein Sozialsystem versagt, das eine große Gruppe von Menschen scheinbar nicht auf dem Schirm hat.

Monatelang zogen sich Lockdown und Einschränkungen hin, die nicht ohne Folge für die junge Generation blieben. Sie wurde nicht einmal gefragt, was sie beschäftigt oder was sie sogar ändern würden.

In dieser Zeit erlebte ich „Kindheit am Rande der Verzweiflung“ und häufig stieg in mir die Wut. Ich stand einer ohnmächtigen Politik gegenüber.

Im Mai 2021 setzte die Kriminalstatistik all dem noch die Krone auf. Die Befürchtungen von Sozialverbänden und auch von mir wurden leider bestätigt. Misshandelte, geschlagene und geschundene Kinder, selbst ein Anstieg der Tötungszahlen an Kindern war nur die Spitze des Eisbergs. Psychologen, die nur noch Kinder behandeln können, die stark suizidgefährdet sind, weil der Andrang gewaltig ist und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht.

In Hunderten von Medienberichten und eigenen Pressemitteilungen versuchte ich an Gesellschaft und Politik zu appellieren, unsere Kinder nicht zu vergessen und mit politischen Hilfspaketen nicht bis nach Corona zu warten. Scheinbar wurde alles überhört, selbst konstruktive Vorschläge.

Ja, wir haben Kinder auf dem Gewissen und müssen mit vielen Spätfolgen rechnen, weil wir scheinbar aus all dem wenig gelernt haben.

All das hat mich bewegt, dieses kleine Buch zu schreiben. Auf der einen Seite als Hilfeschrei, auf der anderen Seite, um niemals zu vergessen, wie unsere Kinder gefühlt haben und fühlen. Aber auch um deutlich zu machen, welchen Stellenwert Kinder haben, die immer wieder mit Entbehrungen fertig werden müssen.

Ein Kind ist ein schützenswertes Geschöpf, für das wir alle Verantwortung tragen. Und jetzt müssen wir alle Hebel in Bewegung setzen, dass die Zukunfts- und Entwicklungschancen dieser Kinder nicht schon wieder übersehen werden.

Es geht in diesem Buch nicht um Schuldzuweisung, aber es geht darum, endlich zu erkennen, dass wir in der Bringschuld für unsere nachwachsende Generation sind.

Kindheit am Rande der Verzweiflung

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