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VI

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Noch immer am Tage der Ankunft des jungen Paares in Großstetten.

Die Kammerjungfer trat ungerufen in Evas Sitzzimmer.

»Frau Gräfin, es wäre Zeit zum Toilettenmachen – in einer halben Stunde wird gespeist.«

Eva fuhr aus ihren Träumereien empor. Sie hatte die ganze Zeit beim offenen Fenster gesessen, die Blicke nach dem Park gerichtet, die Gedanken mit allerlei Vergangenheits- und Zukunftsbildern beschäftigt. Alle die vorhin erzählten Begebenheiten hatte sie in ihrem Gedächtniß vorbeiziehen lassen und sich die Frage daran geknüpft: »Was nun – was nun?« Denn jetzt erst stand sie eigentlich an der Schwelle ihres verheiratheten Lebens: sie war zu Hause. Die Hochzeitsreise war doch nur ein Interim gewesen, so zu sagen eine Vorrede – noch dazu eine ziemlich undeutlich abgefaßte Vorrede – zu dem Buche ihrer Zukunft. Im Grunde genommen konnte sie die nächste Zeit auch noch als eine Art von Interim betrachten, denn noch sollte sie ja nicht ihrem eigenen Haushalt vorstehen, sondern hier, sammt ihrem Mann – als Gast bleiben, bis Robert genug von der Wirtschaft erlernt hätte, um die selbstständige Verwaltung eines der Herrschaft Großstetten einverleibten Gutes zu übernehmen. Dieses Gut – Roßdorf mit Namen – sollte ihm dann als Eigenthum überlassen werden und dem jungen Paar als Aufenthalt dienen. Das darauf befindliche – seit Langem verwahrloste – Schlößchen mußte übrigens erst ganz her- und eingerichtet werden; eine Arbeit, deren Inangriffnahme für das kommende Frühjahr bestimmt worden war. Aber einerlei: wenn sie hier auch nicht des Hauses Herrin war, so war sie darum nicht minder daheim. Sie befand sich nunmehr im Kreise ihrer neuen Familie, und es lag ihr die Aufgabe ob, die Glieder dieser Familie liebzugewinnen und sich bei ihnen beliebt zu machen. Ersteres würde ihr nicht schwer fallen – ein paar liebenswürdigere Menschen als die alte Gräfin Siebeck und deren Sohn konnte man sich kaum vorstellen – wäre Robert nur halb so!

Bei diesen Gedanken war sie angekommen, als die Mahnung der Kammerjungfer sie herausriß. Sie stand auf:

»Schon, so spät?«

Jetzt steckte auch Irene den Kopf zur Thüre herein:

»Eva, mache Dich recht schön!« rief sie. »Wir haben Besuch bekommen, die Dürenbergs aus Dornegg … Natürlich bleiben sie zum Speisen, und da muß man Staat machen… Beeile Dich, ich muß, wieder fort, der Großmama helfen, mit den Gästen liebenswürdig zu sein.«

Nachdem Eva ihre Toilette beendet, ging sie zur Thüre von Roberts Zimmer. Sie wollte nicht allein hinaufgehen.

Sie klopfte. »Robert, bist Du da, und bist Du fertig?«

Als Antwort ertönte ein mächtiges Aahh, wie ein Gähnen im Löwenkäfig.

Da öffnete Eva die Thür. Robert erhob sich eben von seinem Sopha, hie Arme, streckend:

»Aahh«– gähnte er noch einmal, »die Landluft macht müde … ich hab‘ famos geschlafen… Wie spät ist‘s denn?«

»Gleich sechs —Du mußt dich anziehen.«

»Ah, warum nicht gar! Wozu wird man denn en famille solche Geschichten machen? Du hast, Dich auch viel zu sehr aufgedonnert… aber steht Dir gut, das weiße Spitzenkleid und die gelben Rosen… Bist doch ein hübsches Weiberl. Komm – laß Dir ein Bussel geben.«

»Keine Zeit – Du mußt Dich schnell anziehen. Dürenbergs sind da.«

»Was? Hol‘ sie der Kukuk! Gar zu dumm – am ersten Tag, wenn man nach Haus kommt, gleich solcher Ueberfall … Wer ist denn alles da – die Alten oder die Jungen?«

»Ich weiß nicht – ich habe niemand gesehen. Irene sagte mir nur: Dürenbergs aus Dornegg seien da – da heißt es Staat machen!«

»Natürlich – die größten Thiere aus der Gegend – nochmals: Hol sie der Kukuk! Geh voraus – sie läuten schon – ich komme in ein paar Minuten nach.«

»Ich werde warten; ich möchte lieber mit Dir zugleich—«

»Ach was, wir werden doch nicht Arm in Arm aufziehen sollen. Du weißt, ich kann solche Sachen nicht leiden. Geh nur.«

Den erbetenen Kuß hatte er wieder vergessen.

Eva gehorchte und begab sich, obwohl ihr dies einigermaßen peinlich war, allein in den Salon.

Hier fand sie – außer den Hausgenossen – drei fremde Personen, mit welchen sie jedoch gleich bekannt gemacht wurde:

Fürst Dürenberg – ein äußerst vornehm aussehender Herr von etwa 66 Jahren; die Fürstin, seine Frau, um acht Jahre jünger, mit Spuren großer Schönheit; Gräfin Liuba Dürenberg, geborene Gräfin Barenkow 28 Jahre, unregelmäßiges, aber pikantes Gesicht, schlanke, anmuthige Gestalt deren verwittwete Schwiegertochter.

Nachdem die Vorstellung vorüber, und einige Phrasen über die stattgehabte Italienreise, über die hiesige Gegend und dergleichen getauscht worden waren, fand Ralph Siebeck Gelegenheit, indem er mit seiner Schwiegertochter auf den Balkon hinaustrat, ihr über die Familie Dürenberg nähere Auskunft zu geben.

»Der alte Herr war ein Freund meines Vaters,« berichtete er. »Mich hat er als kleinen Buben gekannt und flößte mir damals große Furcht ein. Noch immer habe ich eine gewisse Scheu vor ihm, und nur selten nehme ich mir heraus, ihm zu widersprechen, obwohl alle seine Ansichten so grundverschieden von den meinen sind und er jede Gelegenheit wahrnimmt, dieselben herauszukehren. Er hält sich für unfehlbar. Natürlich ward er in dieser Meinung durch den Respekt bestärkt, der ihm allseitig gezeigt wird. Er ist ein gar großer Herr – weiß es, daß er es ist, und ist stolz darauf. Seine Besitzthümer erstrecken sich über viele Quadratmeilen und übertreffen an Größe so manches souveräne Fürstenthum. Erbliches Mitglied des Herrenhauses – also Mitlenker der österreichischen Geschicke; einstiger Minister – daher in politischen Dingen noch immer einflußreich; gern gesehen bei Hofe: Geheimer Rath, Devotionsritter des Malteser-Ordens, Oberst-Erblandmarschall in Krain und der Windischen Mark, Ritter des Ordens vom goldenen Vließ – mit regierenden Häusern verschwägert – was willst Du noch mehr? In seiner, Gesinnung von feudalster, klerikalster Richtung – aber das verstehst Du nicht … von Politik hast Du keine Ahnung, nicht wahr, Du Glückliche? Mir ist, als ob ich die Hände aufs Haupt Dir legen sollte und beten, daß Gott, Dich erhalte u. s. w. denn Politik ist schon das Allerlebensverbitterndste und Seelenverkleinerndste, was es giebt … Und, die Fürstin? Die war eine große Schönheit. Ganz Wien lag auf den Knien vor ihr. Führte großes Haus – Tonangeberin der Mode – hat sich ziemlich viel den Hof machen lassen. Du mußt wissen, wenn man einer unauffallenden, in bescheidenen Verhältnissen lebenden Frau einen Liebhaber nachweisen kann, so giebt das der Gesellschaft willkommenen Anlaß, ihre strengen Tugendgrundssätze zu betätigen und die Schuldige herauszuwerfen; sind aber die Liebschaften einer hochstehenden, »in der Mode seienden« Frau so mannigfaltig, daß sie sich gar nicht mehr aufzählen lassen, dann wird mit verständnißvoll-nachsichtigem Lächeln die Phrase in Umlauf gebracht, »die So und So läßt sich viel den Hof machen« – und das hat weiter nichts Ehrenrühriges an sich. Auch der Gatte erscheint in keinem schiefen Lichte. Einen beglückten Nebenbuhler müßte er allerdings umbringen – das forderte die »Welt« – aber Hekatomben? Dazu hat er nicht Zeit, zumal wenn er Minister und Reichsrath und Parteiführer und Besitzer großer Ländereien ist. Er vertritt die höchsten Staatsinteressen – sie amüsirt sich, es ist alles in der Ordnung. Nun – jetzt ist das vorbei; Fürstin Dürenberg hat weiße Haare, das Hofmachenlassen gehört der Vergangenheit an, und wer davon erzählt hat nicht das Bewußtsein »böse Zunge« zu sein – ich auch nicht in diesem Augenblick, sondern bekundet nur zeitgeschichtlichen Sinn. Und nun die Schwiegertochter – die interessante Liuba? Eine Russin. Dürenbergs ältester Sohn, Graf Hugo, welcher der Botschaft in Petersburg zugetheilt war, vermählte sich dort mit einem Ehrenfräulein der Zarin – der hier anwesenden Liuba Mikaelowna. Vor sechs Jahren ist Graf Hugo gestorben, und die junge Wittwe bringt alljährlich ein paar Monate bei ihren Schwiegereltern zu. Die übrige Zeit fliegt sie – in Begleitung einer alten russischen Verwandten – in Paris und Petersburg, Nizza und Livadia herum. Vergnügungssüchtig und romanhaft ist sie, höchst launenhaft; bald von schwarzer Melancholie, bald von ausgelassener Lustigkeit. Ein gutes Ding, im Grunde genommen; große Thierfreundin; besitzt unzählige Hunde und Pferde, mit welchen allen sie auf freundschaftlichem Fuße verkehrt; Menschenfreundin ist sie dabei auch – leidenschaftliche Krankenpflegerin; wo es etwas zu warten, zu mediziniren, zu verbinden giebt, da ist sie gleich zur Hand. Für jedes Elend hat sie Herz und Beutel offen. Sie ist auch Künstlerin in manchen, Stunden – nicht ausdauernd. Wenn sie der Raptus erfaßt, so macht sie sich ein oder zwei Wochen lang fieberhaft an die Arbeit und malt und meißelt ohne Rast – jedoch nur Thierstücke, Hunde und Pferde in allen erdenklichen Stellungen. Wenn Du nach Dornegg, kommst, wird sie Dich ihre Studien wohl sehen lassen. Sie ist nicht ohne Talent; nur haben alle ihre Hunde einen Gesichtsausdruck, so weise und nachdenklich, wie Minervas Eule, während ihre Pferde sämmtlich schalkhaft zu lächeln scheinen. Sie liest viel, aber ohne Auswahl – am liebsten französische Romane gewagten Inhalts, und wenn man ihr ein Buch empfiehlt, so fragt sie: »Ist Liebe drin?« Abergläubisch ist sie wie eine Steppenbäuerin; den heiligen Alexander Newsky betrachtet sie als ihren untrüglichen Schutzpatron; das hinderte aber nicht, daß sie in Paris den Umgang des Ketzers Renan aufsuchte und ganz entzückt ist von diesem »reizenden« Akademiker. Nicht viel Folge in den Ideen, mit einem Wort, aber sehr empfänglichen, lebhaften – nur zu lebhaften Geistes. Kein so ruhiges, klares, gleichgewichtiges Wesen, wie das Deine mir zu sein scheint, Evinka.«

Eva Siebeck

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