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Öyvind hieß er, und er weinte, als er geboren wurde. Als er aber erst aufrecht auf dem Schoße der Mutter saß, lachte er, und wenn sie des Abends Licht anzündeten, lachte er so, daß es sang, weinte aber, als er nicht daran durfte. – „Aus dem Jungen muß etwas Besondres werden,“ sagte die Mutter.

Dort, wo er geboren war, ragte eine kahle Felswand empor, aber sie war nicht sehr hoch; Föhren und Birken sahen von oben herunter, der Faulbaum streute Blüten auf das Dach. Aber oben auf dem Dache lief ein kleiner Bock herum, den Öyvind fütterte; er sollte dort oben bleiben, daß er sich nicht verliefe, und Öyvind trug ihm Laub und Gras hinauf. Eines schönen Tages sprang der Bock herunter und lief auf den Berg hinauf; er kletterte geradeswegs in die Höhe und kam an einen Ort, wo er noch nie zuvor gewesen war. Öyvind sah den Bock nicht mehr, als er nach dem Abendbrot hinauskam, und dachte gleich an den Fuchs. Es lief ihm heiß über den ganzen Körper; er sah sich um und lockte: „Kille – kille – kille – Böckchen!“ – „Bä – ä – ä – ä!“ sagte der Bock oben am Bergesrand, legte den Kopf auf die Seite und sah herab.

Aber neben dem Bock lag ein kleines Mädchen auf den Knien. – „Gehört dir der Bock?“ fragte sie. Öyvind stand da, sperrte Mund und Augen auf und steckte beide Hände in die Kittelhose, die er trug. – „Wer bist du?“ fragte er. – „Ich bin Marit, Mutters Töchterchen, Vaters Fiedel, der Kobold im Hause, Ole Nordistuens Enkelin auf den Heidehöfen. Vier Jahre im Herbst, zwei Tage nach den Frostnächten, ich!“ – „Bist du die?“ sagte er und schöpfte Atem, denn er hatte nicht zu atmen gewagt, solange sie sprach.

„Gehört der Bock dir?“ fragte das Mädchen noch einmal. – „Jawohl,“ sagte er und sah hinauf. – „Ich möchte den Bock so gern haben – willst du ihn mir nicht schenken?“ – „Nein, das will ich nicht.“

Sie lag da und wackelte mit den Beinen und sah zu ihm hinunter, und dann sagte sie: „Aber wenn du einen Butterkringel für den Bock bekommst, kann ich ihn dann bekommen?“ Öyvind war armer Leute Kind, er hatte nur einmal in seinem Leben einen Butterkringel gegessen; das war, als der Großvater zu Besuch gekommen war, und etwas Ähnliches hatte er nie, weder früher noch später, gegessen. Er sah zu dem Mädchen hinauf: „Laß mich den Kringel erst einmal sehen,“ sagte er. Das ließ sie sich nicht zweimal sagen, sie zeigte ihm einen großen Kringel, den sie in der Hand hielt. – „Hier ist er,“ sagte sie und warf ihn hinab. „Ach! er ist zerbrochen,“ sagte der Junge; sorgfältig sammelte er jeden Bissen auf; den allerkleinsten mußte er schmecken, und der war so gut, daß er noch einen schmecken mußte, und ehe er sichs versah, hatte er den ganzen Kringel verputzt.

„Jetzt gehört der Bock mir,“ sagte das Mädchen. Dem Knaben blieb der letzte Bissen im Munde stecken, das Mädchen lag da und lachte, der Bock stand daneben mit weißer Brust und braunschwarzem Haar, legte den Kopf auf die Seite und sah herüber.

„Könntest du nicht ein wenig warten?“ bat der Knabe; das Herz fing ihm an zu klopfen. Da lachte das Mädchen noch mehr und richtete sich schnell auf den Knien auf. – „Nein, der Bock gehört mir,“ sagte sie und schlang die Arme um seinen Hals, löste eins ihrer Strumpfbänder und band es ihm um. Öyvind sah ihr zu. Sie erhob sich und fing an, den Bock mit sich fortzuziehen; er wollte nicht mitgehn und reckte den Hals zu Öyvind herunter. „Bä – ä – ä – ä!“ sagte er. Sie aber griff ihm mit der einen Hand ins Haar, zog mit der andern Hand am Bande und sagte schmeichelnd: „Komm nur, Böckchen, bei mir darfst du in der Stube laufen und aus Mutters Schüsseln essen und meine Schürze fressen.“ Und dann sang sie:

„Komm Böckchen zum Jungen,

Komm Kälbchen zur Kuh,

Komm Kätzchen gesprungen

In schneeweißem Schuh,

Kommt aus dem Versteck

Ihr Entlein nur keck,

Kommt Täubchen mein

Mit Federchen fein,

Kommt Küchlein in Haufen,

Ihr könnt doch schon laufen,

Naß wirds im Gras bald sein,

Warm ists im Sonnenschein.

Wie schön ists im Sommer und lind,

Im Herbst weht der Wind, kommt geschwind!“


Und da stand nun der Junge!

Seit dem Winter, wo der Bock geboren war, hatte er ihn gehütet, und er hatte nie daran gedacht, daß er ihn verlieren könnte; aber nun war das im Handumdrehen geschehen, und er sollte ihn nie wiedersehen.

Die Mutter kam trällernd mit Kübeln, die sie gescheuert hatte, vom Strande herauf; sie sah den Jungen, die Beine unter sich gezogen, im Grase sitzen und weinen und kam zu ihm heran. – „Weshalb weinst du?“ – „Ach, der Bock, der Bock!“ – „Ja, wo ist der Bock?“ fragte die Mutter und sah nach dem Dache hinauf. – „Der kommt nie wieder,“ sagte der Junge. – „Aber Kind, wie ist denn das zugegangen?“ – Er wollte es nicht gleich gestehen. – „Hat ihn der Fuchs geholt?“ – „Ja, wollte Gott, es wäre der Fuchs!“ – „Bist du von Sinnen?“ sagte die Mutter, „was ist aus dem Bock geworden?“ – „Ach, ach, ach – ich bin zu Schaden gekommen, ich habe ihn für einen Kringel verkauft!“

In dem Augenblick, wo er das Wort heraus hatte, begriff er wohl, was es bedeute, den Bock für einen Kringel verkauft zu haben; bisher hatte er noch gar nicht darüber nachgedacht. Die Mutter sagte: „Was glaubst du wohl, was der kleine Bock von dir denken muß, daß du ihn für einen Kringel hast verkaufen können?“

Und der Junge dachte es selbst und begriff sehr wohl, daß er auf dieser Welt nie wieder froh werden könne – und auch wohl nicht einmal bei Gott, dachte er dann.

So tiefen Kummer fühlte er, daß er sich selber gelobte, nie wieder etwas Böses zu tun, weder den Faden des Spinnrockens durchzuschneiden, noch die Schafe hinauszulassen, noch allein an die See hinabzugehn. Er schlief ein, dort, wo er lag, und er träumte von dem Bock, und daß der in den Himmel gekommen sei; der liebe Gott saß da mit einem großen Bart, gerade so wie im Katechismus, und der Bock stand neben ihm und fraß Laub von einem schimmernden Baume; Öyvind aber saß allein auf dem Dach und konnte nicht hinaufkommen.

Da fühlte er plötzlich etwas Nasses in seinem Ohr, er fuhr in die Höhe: „Bä – ä – ä – ä!“ sagte es, und das war der Bock, der wieder zurückgekommen war!

„Nein, bist du wiedergekommen!“ – Er sprang auf, faßte ihn bei den Vorderbeinen und tanzte mit ihm herum, als sei er sein Bruder; er zupfte ihn am Bart, und er wollte gerade mit ihm zur Mutter hinein, als er etwas hinter sich hörte und das Mädchen dicht neben sich auf dem Rasen sitzen sah. Jetzt begriff er alles. Er ließ den Bock los: „Bist du mit ihm hergekommen?“ – Sie saß da und zupfte Gras mit der Hand aus und sagte: „Ich durfte ihn nicht behalten; Großvater sitzt da oben und wartet.“ – Während der Junge dastand und sie anstarrte, hörte er eine scharfe Stimme oben vom Wege her rufen: „Nun?“ Da fiel ihr ein, was sie tun sollte; sie stand auf, ging zu Öyvind hin, steckte ihre mit Erde beschmutzte Hand in die seine, wandte sich ab und sagte: „Verzeih mir!“ Aber dann war es auch aus mit ihrem Mut, sie warf sich über den Bock und weinte.

„Ich meine, du solltest den Bock doch behalten,“ sagte Öyvind und sah weg.

„Beeile dich jetzt!“ sagte der Großvater oben auf dem Berge. Und Marit stand auf und ging schleppenden Schrittes den Berg hinan. – „Du vergißt ja dein Strumpfband,“ rief ihr Öyvind nach. Da wandte sie sich um und sah erst das Strumpfband an und dann ihn. Endlich faßte sie einen großen Entschluß und sagte mit erstickter Stimme weinend: „Das kannst du behalten.“ – Er lief ihr nach und ergriff ihre Hand. – „Ich bedanke mich vielmals!“ sagte er. – „Ach, keine Ursache zu danken!“ entgegnete sie, seufzte tief auf und ging weiter.

Er setzte sich wieder ins Gras nieder, der Bock graste neben ihm, aber er hatte ihn nicht mehr so lieb wie vorher.

Ein fröhlicher Bursch: Eine Erzählung

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