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2 Geeks und Nerds 1962–1966

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Dorothy Lucas war im Haus und hörte die quietschenden Reifen und das fürchterliche Geräusch des sich überschlagenden Bianchina, das Krachen, als er gegen den Walnussbaum prallte. „Für meine Eltern war es entsetzlich; es passierte ja direkt an der Einfahrt und meine Mutter bekam alles mit“, erinnerte sich die ältere Schwester Kate. „Sie ging hin, um zu sehen, was passiert war … und dann sah sie ihren Sohn.“137

Das Autowrack bot einen schrecklichen Anblick. Ein Foto davon war am nächsten Morgen auf der Titelseite des Modesto Bee zu sehen. Aber wie durch ein Wunder hatte Lucas nicht mehr im Wagen gesessen, als der gegen den Baum schleuderte. Der Renngurt war gerissen, als der Bianchina sich zum dritten Mal überschlagen hatte; der Gurt, den Lucas sorgfältig selbst eingebaut und mit einer dicken Metallplatte am Boden vernietet hatte. Unmittelbar vor dem Aufprall des Wagens wurde Lucas herausgeschleudert und landete mit so einer Wucht auf Brust und Bauch, dass er sofort das Bewusstsein verlor. Mit dem Aufprall brach sein linkes Schulterblatt und seine Lunge wurde gequetscht; er erlitt einen Schock. George Lucas war schwer verletzt, aber hätte sein Renngurt gehalten, wäre er im Bianchina eingequetscht worden und vermutlich gestorben. Der Wagen hatte den Walnussbaum teilweise entwurzelt. Der Stamm stand in einem Winkel von 45 Grad schief.

Mit heulendem Martinshorn traf der Rettungswagen ein und Lucas wurde den kurzen Weg ins Modesto City Hospital gebracht. Auf dem Weg dorthin lief er blau an und erbrach Blut. Eine klaffende Wunde auf seiner Stirn blutete immer weiter und färbte sein Gesicht und seinen Hemdkragen scharlachrot. Es sah nicht gut aus, und als Lucas im Krankenhaus eintraf, wurde Dr. Paul Carlsen geholt, der beste Diagnostiker im Haus, um die Schwere der Verletzungen festzustellen. Carlsen war überrascht, denn Lucas war nicht so stark verletzt, wie es aussah; er blutete wegen der Quetschungen leicht in der Lunge, Carlsen konnte aber keine weiteren inneren Blutungen feststellen. Abgesehen von einigen kleineren Brüchen war Lucas unversehrt.

Als Lucas einige Stunden später erwachte, fand er sich mit Sauerstoffschlauch in der Nase und Bluttransfusion im Arm in einem Krankenhausbett wieder. Seine Mutter, die angesichts ihres verletzten Sohnes der Ohnmacht nahe gewesen war, stand nun mit seiner Schwester Wendy am Bett. Lucas fragte matt: „Mom, hab ich was falsch gemacht?“ Dorothy Lucas brach in Tränen aus.138

Der zerstörte Fiat wurde auf einen Schrottplatz geschleppt. „Die meisten Kids in der Schule dachten, ich sei gestorben“, erzählte Lucas später. „Das Auto war nur noch ein völlig zerquetschter Haufen Blech. Es wurde über die Hauptstraße abgeschleppt, auf der ich immer herumgefahren war … Alle dachten, ich sei dem Tod geweiht.“139 Die Lehrer hatten Mitleid mit dem vermeintlichen Todeskandidaten. „Wer mich eigentlich hätte durchfallen lassen, gab mir jetzt ein Ausreichend“, resümierte Lucas rückblickend. „Und so habe ich meinen Abschluss nur bestanden, weil jeder dachte, dass ich drei Wochen später sowieso tot sein würde.“140

Die nächsten vier Monate verbrachte Lucas im Bett und erholte sich von seinen Verletzungen. Er dachte nach – über den Unfall, das Leben und die Frage, wohin er gehörte. Es entging ihm nicht, dass er nur deshalb noch lebte, weil der Gurt versagt hatte, der doch eigentlich seinem Schutz dienen sollte. „Vor allem wurde mir klar, an welch seidenem Faden unser Leben hängt“, sagte Lucas, „und dass ich etwas aus meinem Leben machen wollte.“ Die existenzielle Krise ähnelte der, die er mit sechs gehabt hatte – Wer bin ich? Was ist meine Aufgabe und was geht hier vor sich? –, aber jetzt schien er immerhin Antworten auf seine Fragen zu finden. „Ich hatte einen Unfall, den eigentlich niemand überlebt“, stellte er fest. „Also dachte ich: Okay, ich bin noch da, und jeder Tag ist ab jetzt eine Zugabe. Und wenn ich einen Tag als Zugabe erhalte, dann muss ich ihn bestmöglich nutzen. Am nächsten Tag waren es bereits zwei Tage … In so einer Lage nimmt man automatisch diese Perspektive ein … Man hat ein Geschenk erhalten, jeder Tag ist ein Geschenk. Und ich wollte das Beste daraus machen.“141 Später sagte er, es sei fast gewesen, als hätte er „ein zweites Leben“ begonnen.142

Doch die Frage, was er mit seinem neuen Leben anfangen wollte, war nicht so leicht zu beantworten. Eine Karriere als Rennfahrer stand nicht mehr zur Debatte. „Vor dem Unfall war ich mir der Gefahr überhaupt nicht bewusst, weil man nicht begreift, wie nah man an der Grenze zwischen Leben und Tod steht“, erklärte Lucas. „Aber wenn du sie einmal überschritten und gesehen hast, was auf der anderen Seite liegt, verändert sich deine Perspektive … Du wirfst einen Blick in deine Zukunft (als Rennfahrer) und dir wird klar, dass du wahrscheinlich tödlich verunglücken wirst. Und da habe ich entschieden, dass es nicht das Richtige für mich ist.“ 143 Lucas blieb Autofan, aber die Zeit des Motorsports war für ihn vorbei. „Also musste ich mir etwas anderes überlegen, wenn ich nicht als Automechaniker enden wollte.“144

Und so beschloss der Junge, der kaum jemals über seine Schullaufbahn nachgedacht hatte, im Herbst 1962, sich am Modesto Junior College einzuschreiben. „Dort bekam man recht leicht einen Platz“, erklärte Lucas.145 Er hatte nun eine Perspektive und schwor, sich in der Schule „anzustrengen“, ein Wort, das seinem Vater sicherlich gefiel, auch wenn er fand, dass der Sohn seine Zeit mit Kunst und Geisteswissenschaften verplemperte.146 Lucas hatte seine Ausbildung nun selbst in der Hand und musste nicht mehr den Anforderungen des kalifornischen Schulsystems genügen; entsprechend konnte er die Kurse wählen, die ihn wirklich interessierten: Soziologie, Anthropologie, Psychologie. „Sachen, die man in der Highschool nicht lernte“, so Lucas.147 „Für diese Dinge interessierte ich mich wirklich und das beflügelte mich“, sagte er, gab dann aber zu: „Es war sehr schwer und ich hatte nicht die nötigen Vorkenntnisse – ich beherrschte nicht einmal die Rechtschreibung.“148

Zum ersten Mal zeigte Lucas ehrliches Interesse am Unterricht. John Plummer fiel die Veränderung seines Freundes sofort auf: „Man merkte direkt, dass er das Studium jetzt ernst nahm und dass ihm diese Dinge (Soziologie und Anthropologie) wirklich etwas bedeuteten.“149 Lucas lernte fleißig und war stolz darauf. „Die Sache war mir wichtig und meine Noten wurden deutlich besser“, erinnerte er sich. „Ich hatte mich immer für einen miserablen Schüler gehalten und plötzlich war ich richtig gut.“150 „Richtig gut“ ist relativ zu sehen; er hatte eine Eins in Astronomie und Zweien in Rhetorik, Soziologie und Kunstgeschichte, in den übrigen Fächern aber fast nur Dreien. Nichtsdestotrotz handelte es sich um eine bemerkenswerte Kehrtwende.

Am 9. Juni 1964 schloss Lucas das Modesto Junior College mit einem „Associate in Arts Degree“ ab. Er hatte sich in den zwei Jahren nicht nur auf Anthropologie konzentriert, sondern sich auch eingehender mit Illustration und Fotografie beschäftigt und wollte nun unbedingt auf die Kunsthochschule gehen, am liebsten am Art Center College of Design in Pasadena. Aber es gab jemanden, der diesen Plan nicht hinnehmen wollte: George Sr. Er machte Lucas unmissverständlich klar, dass es in seiner Familie keine Künstler geben werde – schon gar nicht, wenn er deren Ausbildung bezahlen sollte. „Auf gar keinen Fall“, teilte er seinem Sohn mit. „Das bezahle ich nicht. Finanziere es dir selbst, wenn du unbedingt willst. Als Künstler wirst du nie über die Runden kommen.“151

Lucas war klar, dass sein Vater ihm, mit dem Scheckbuch als Waffe, überlegen war: „Mein Vater wusste, dass ich eigentlich zu faul war, um mir die Kunsthochschule selbst zu finanzieren.“152 Derart in die Enge getrieben, bewarb sich Lucas an der San Francisco State University, die keine Studiengebühren erhob – wie zu dieser Zeit üblich in den staatlichen Einrichtungen in Kalifornien. Er strebte einen Abschluss in Anthropologie an – das einzige akademische Fach, für das er eine echte Leidenschaft hegte. Immerhin stimmte sein Vater diesem Plan zu und seine Noten reichten aus, um einen Studienplatz zu ergattern. Sein Weg schien nun vorgezeichnet – doch alles kam anders.

Das war zum Teil John Plummers Schuld. Plummer wollte sich für Betriebswirtschaft an der University of Southern California in Los Angeles einschreiben und lud Lucas ein, zusammen mit ihm nach Stockton zu fahren und an der Aufnahmeprüfung teilzunehmen. Lucas hatte keine Lust dazu. „Was soll ich denn da?“ Plummer wies ihn darauf hin, dass es an der USC auch eine Filmhochschule gab, was nach Plummers Ansicht nah genug am Thema Fotografie war, um Lucas zu interessieren.153 Und tatsächlich interessierte es Lucas; zudem klang Cinematography deutlich seriöser als Art School, sodass er möglicherweise damit sogar die Zustimmung seines Vaters finden würde, hoffte er. „Also fuhren wir nach Stockton und machten die Aufnahmeprüfung. Und ich bewarb mich“, erzählte Lucas. Plummer beteuerte, dass die Prüfung sehr einfach und der Filmstudiengang sogar noch einfacher sei, aber Lucas war skeptisch. „Ich glaubte nicht, dass ich angenommen werden würde. Meine Noten waren im Junior College zwar deutlich besser geworden, aber ich nahm nicht an, dass es reichte.“154

Alles, was Lucas nun tun konnte, war abzuwarten und sich die Zeit zu vertreiben, bis er wusste, ob er in San Francisco oder in Los Angeles landen würde. Auch wenn er dem Rennsport abgeschworen hatte, galt das noch lange nicht für Autos im Allgemeinen. Manchmal traf er sich mit Allen Grant, drückte sich in der Box herum und half ihm bei der Vorbereitung der Rennwagen.155 Doch jetzt begann er, die Rennen zu fotografieren oder besser noch, die Sportwagen und ihre Fahrer mit einer 8-mm-Kamera zu filmen, die er von seinem Vater bekommen hatte. Und auf den Fersen Grants lernte er einen anderen filmenden Motorsport-Fan kennen: den Kameramann Haskell Wexler.

Wexler, zweiundvierzig Jahre alt, hatte soeben ein politisches Drama abgedreht, Der Kandidat mit Henry Fonda. Seine Dokumentation über Bürgerrechte war in Vorbereitung und sollte im kommenden Jahr erscheinen. Zwischen diesen beiden Projekten leitete Wexler ein eigenes Rennteam und er stand in der Box, als ein Crewmitglied Lucas zu ihm brachte. Die beiden unterhielten sich über Autos und Fotografie und schlossen schnell Freundschaft. Wieder hatte Lucas eine ältere Bruderfigur gefunden, der er sich anschließen und von der er etwas lernen konnte. Als Lucas erwähnte, dass er sich kürzlich an der USC beworben habe und fürchte, nicht angenommen zu werden, versprach Wexler, einen Freund an der Universität anzurufen, der vielleicht ein gutes Wort für den Jungen aus Modesto einlegen konnte. „Ich spürte, dass der Kerl brennendes Interesse an Visuellem, Filmischem hatte“, sagte Wexler rückblickend.156

Kurze Zeit danach erhielt Lucas tatsächlich seine Zulassung. Dass diese Zusage, wie später behauptet wurde, auf Wexlers Beziehungen zurückzuführen war, ist eher unwahrscheinlich, da sich die Ereignisse überschnitten. Wexler erklärte später, er habe Lucas lediglich „zum Filmstudium ermutigt“.157 Und Lucas war selbst überrascht und stolz, dass er es aus eigener Kraft durch die Aufnahmeprüfung und bis zur Zulassung geschafft hatte. Dennoch würde er sich später an Wexlers Unterstützung erinnern und sich dafür revanchieren.

Seine Entscheidung für die USC wurde von George Sr. gebilligt. Die Universität hatte einen guten Ruf und obwohl sie für seinen Geschmack etwas zu liberal war, handelte es sich immerhin um eine private Universität. Entsprechend erhob die USC Studiengebühren, die George Sr. aber zu zahlen bereit war, ebenso wie die Bücher und sonstige Unkosten, sogar ein monatliches Taschengeld – gegen das Versprechen, dass George Jr. sein Studium so ernsthaft betrieb wie einen richtigen Beruf. Scheitern bedeutete Modesto und L. M. Morris, das machte er seinem Sohn unmissverständlich klar. George Sr. entging bei diesem Deal offenbar, welchen Abschluss sein Sohn da eigentlich anstrebte, genau wie dieser gehofft hatte. „Ein Abschluss in Kunst wäre unmöglich gewesen, das hätte mein Vater unterbunden. Aber Cinema, das war ausreichend schwammig. Er wusste nicht, was damit gemeint war und es war ihm egal, Hauptsache, es gehörte nicht zum Fachbereich Kunst.“158 Jedenfalls solange man sich nicht zu genau darüber informierte: Lucas schrieb sich ein an der USC Division of Cinema, an der School of Performing Arts.159

Mitte der Sechzigerjahre gab es in den USA nicht viele Filmhochschulen; die drei größten und besten gehörten zur University of Southern California (USC), zum Rivalen der USC am anderen Ende der Stadt, der University of California, Los Angeles (UCLA), und zur New York University in Manhattan. Der Studiengang an der USC war der älteste und umfangreichste; 1929 gegründet von der Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Die Academy wiederum war von großen Hollywoodpersönlichkeiten ins Leben gerufen worden, darunter der Schauspieler Douglas Fairbanks Sr. und der Produzent Irving Thalberg. Man nahm den Lehrplan sehr ernst und öffnete sich auch ohne Vorurteile neuen Medien – schon 1947 wurden Kurse zum Thema Fernsehen angeboten. Ab den späten Fünfzigern war die Hochschule landesweit die einzige, an der man im Filmfach promovieren konnte. Sie genoss hohes Ansehen für ihre Lehrfilme und Dokumentationen. 1956 erhielt der Dozent Wilber T. Blume als Produzent sogar einen Oscar in der Kategorie bester Kurzfilm („Two Reel“) für The Face of Lincoln.160 Ohne es zu wissen, hatte Lucas eine gute Wahl getroffen. Aber was ihn richtig anspornte, waren weniger die Professoren als vielmehr die anderen Studenten und der Zugang zum Filmequipment.

Im Hochsommer packte Lucas seinen Camaro und fuhr nach Los Angeles. Er zog zu John Plummer, der in Malibu eine kleine Wohnung gemietet hatte. Lucas plante, vor Semesterbeginn in einem Restaurant in Strandnähe zu jobben, Mädchen zu zeichnen und dabei etwas Geld zu verdienen und mit etwas Glück sogar einen Flirt zu erleben, außerdem wollte er sich nach einem Sommerjob in der Filmbranche umsehen. Doch diese Bemühungen blieben ergebnislos. Egal, an welche Tür er bei den Filmgesellschaften auf dem Ventura Boulevard klopfte, sie wurde ihm vor der Nase zugeschlagen. Die Filmbranche war eine Seilschaft alter Männer, ein Metier für Insider, und wer keine Beziehungen hatte, dem war sie versperrt. „Ich sagte jedem, den ich traf,, dass ich irgendeinen Job suchte und wirklich alles machen würde“, erinnerte sich Lucas. „Aber ich hatte kein Glück.“161

Besonders frustrierend war die Tatsache, dass er ja sogar Beziehungen zu jemandem in der Filmbranche hatte: Haskell Wexler. Der erfahrene Kameramann hatte Lucas von Anfang an gemocht und es ihm gestattet, den Sommer über in seiner Werbefilmproduktion Dove Films zu hospitieren; aber Wexler konnte Lucas keinen festen Job geben, solange dieser nicht in der Gewerkschaft war. Das machte Lucas wütend; er war kein Gruppentyp und zudem geprägt von seinem konservativen Vater, der ihm eine Abneigung gegen Gewerkschaften eingeimpft hatte. Noch eine Lehre, die er nicht so schnell vergessen würde: Wenn man in die Filmindustrie will, muss man Teil des Systems sein. Und er wusste schon jetzt, dass er das System nicht mochte. „Ich war schon voreingenommen, weil ich einen Job bei Haskell bekommen hatte und ihn nicht antreten konnte“, sagte Lucas 1971 immer noch gekränkt. „So ausgeschlossen zu werden … Das fand ich sehr unfair.“162

Auch die Filmhochschule bot offenbar keinen Zugang zum System. Zu dieser Zeit „hatte noch kein Filmhochschüler in den USA einen Job in der Filmbranche bekommen“, ärgerte sich Lucas. „Es war völlig dämlich, auf die Filmhochschule zu gehen, weil man mit dem Abschluss sowieso keinen Job bekam. Da endeten nur die, die Filme liebten. Es gab also diese Untergrundbewegung von Filmnerds, die es nie zu etwas bringen würden. Soweit ich weiß, wussten die Studios nicht einmal, dass es uns gab.“163 Das stimmte vermutlich; zu jener Zeit war ein Abschluss an der Filmhochschule in der Industrie nichts wert. Es war schwer genug, irgendeinen Job zu finden; an einer Spielfilmproduktion mitzuarbeiten war nahezu unmöglich. Die meisten Studenten gingen davon aus, dass sie später Dokumentationen, Werbe- oder Industriefilme drehen würden – falls sie es überhaupt in der Filmbranche schafften. Sogar der damals einundvierzigjährige Regisseur Irving Kershner, einer der seinerzeit bekanntesten Absolventen, hatte sich durchbeißen müssen. Über Regierungsdokumentationen kam er zum Fernsehen und von dort schließlich zum Schundproduzenten Roger Corman, für den er 1958 bei Stakeout on Dope Street Regie führte. 1963 erlangte er mit A Face in the Rain einiges Ansehen. Es war ein weiter Weg bis zum Erfolg. Lucas’ Kommilitone Walter Murch, der später mit einem Oscar ausgezeichnete Cutter und Sounddesigner, erinnerte sich, wie ihm schon an seinem ersten Tag an der USC die Aussichtslosigkeit der Lage unterbreitet wurde: „Das Erste, was uns unser Filmdozent sagte, war: ,Lasst die Finger von dem Geschäft. Es hat keine Zukunft. Es gibt für niemanden von euch Jobs. Tut es nicht.’“164

Auch Lucas blieben das Murren und die Schwarzseherei nicht verborgen. „Aber das hat mich nicht beeindruckt“, sagte er später. „Mein Ziel war, das Filmstudium zu absolvieren, und nur darauf habe ich mich konzentriert … Was danach kommen und wohin ich gehen würde, daran dachte ich nicht.“ Er wusste aber, dass ihn deshalb „alle für dämlich hielten“.165 Lucas’ Vater, der dem Studium nach wie vor skeptisch gegenüberstand, befürchtete, dass er nie einen richtigen Job finden würde. Die Türen der Lucas Company standen dem verlorenen Sohn natürlich weiterhin offen, falls er nach Modesto zurückkehren wollte. Sogar die Jungs in der Box an der Rennstrecke zogen ihn auf. „Vor denen habe ich mein Gesicht verloren“, sagte Lucas, „denn solchen Autofrisierern kam eine Filmkarriere wirklich albern vor.“166

Im Herbst 1964 trat Lucas in die Filmhochschule ein. Falls er erwartet hatte, dass der Campus zumindest einen Hauch von Hollywoodflair böte, wurde er enttäuscht. Trotz ihrer langen Tradition an der USC schien die Filmhochschule wie nachträglich an den Rand des Campus geklebt, zugänglich durch ein verschnörkeltes Metalltor, eingequetscht zwischen dem Hauptcampus und einem Mädchenwohnheim. Die Unterrichtsgebäude waren berühmt-berüchtigt: Eine Handvoll Wellblechhütten und einige Bungalows, deren Holz von Armeebaracken aus dem Ersten Weltkrieg stammte. In gewisser Weise, so ein früherer Leiter der Filmhochschule, sah es hier aus „wie in vielen Filmstudios. Die Atmosphäre erinnerte daran, die vielen kleinen Flure und Flügel und das Zusammengewürfelte. Die Drehbuchabteilung war hier, die Schnittabteilung da, die Soundstage um die Ecke und so weiter.“ Das machte die Sache nicht zwangsläufig schöner. Sogar Steven Spielberg, der vierzig Kilometer entfernt an der Long Beach State University studierte, wusste sehr genau über den fehlenden Charme der Filmhochschule Bescheid. „Ein Filmghetto“, nannte Spielberg es schaudernd, „wie in der südlichen Bronx.“167

Doch das heruntergekommene und chaotische Erscheinungsbild der Hochschule erzeugte eine gewisse Kameradschaft, einen Gemeinschaftssinn unter den Studenten. Die meisten waren, wie Lucas sagte, „die Geeks und Nerds unserer Zeit.“168 Viele fanden sich zum ersten Mal in einer Clique wieder; an diesem Ort konnten sie sich über ihre Interessen – Filme – austauschen, ohne von den coolen Kids ausgelacht zu werden oder gelangweilte Blicke zu ernten. Die Gebäude waren heruntergekommen, aber sie gehörten ihnen. Sie waren vollgestopft mit den lauten, ratternden Geräten – Kameras, Projektoren, Moviolas –, mit denen sie ihre Visionen zum Leben erweckten. „Die Realität endet hier“, hatte jemand über eine Tür zu einem Kursraum gekritzelt, und in kreativer Hinsicht traf das sicher zu. Doch für viele begann die Realität mit dem Eintritt in die Filmhochschule. Lucas jedenfalls wusste, dass er das Richtige gefunden hatte. „Ich war irgendwie herumgeirrt, auf der Suche gewesen“, sagte er rückblickend. „Und als ich schließlich das Thema Film entdeckte, habe ich mich so verliebt, dass ich nur noch dafür existiert habe, vierundzwanzig Stunden am Tag. Es gab kein Zurück.“169

Das Gleiche galt wohl für Lucas‘ Kommilitonen; auch sie waren ihrer Berufung gefolgt. Die Zeit von Mitte der Sechziger bis in die frühen Siebziger war eine außergewöhnliche Phase für die wichtigsten amerikanischen Filmschulen – ein schmales Zeitfenster, das einige der produktivsten und leidenschaftlichsten Regisseure, Cutter, Autoren, Produzenten und Ausstatter hervorgebracht hat. An den Filmhochschulen in New York schlossen Künstler ab, die eine härtere und kompromisslosere Herangehensweise an den Film hatten, wie Martin Scorsese und Oliver Stone an der NYU oder Brian de Palma an der Columbia. In Kalifornien machte der vielseitige Francis Ford Coppola langsam seinen Weg an der UCLA – während er Low-Budget-Horrorfilme für Roger Corman schrieb und für diese auch Regie führte. Steven Spielberg hingegen lernte an der Long Beach State University, improvisierte seinen eigenen Studienplan, brach aber kurz vor seinem Abschluss 1968 das Studium ab. Doch es war die USC, die fast ein Jahrzehnt lang einen bemerkenswerten Jahrgang nach dem anderen hervorbrachte.

„Ich nenne meinen Jahrgang immer den, auf den die Sterne fielen“, bemerkte später Lucas’ Kommilitone John Milius. Das ist eine Anspielung auf die Abschlussklasse der Militärakademie von West Point von 1915, die eine ungewöhnlich große Anzahl von Sternegenerälen hervorbrachte sowie einen US-Präsidenten.170 An der USC gehörte Lucas zu einem Freundeskreis hoch motivierter und talentierter Filmemacher, die dauerhaften Einfluss auf den Film und die Kultur haben sollten – und wenn man tatsächlich eine Parallele zu den berühmten Absolventen von West Point ziehen möchte, dann nimmt Lucas die Präsidentenrolle ein, als reichster und erfolgreichster Filmemacher der Gruppe, umgeben von einer Truppe fähiger, cleverer Oscar-Generäle. Sie selbst würden sich schließlich „das dreckige Dutzend“ nennen, nach dem 1967 erschienenen Film über eine heterogene und leicht gefährliche Gruppe amerikanischer Soldaten, die die Nazis bekämpften. Lucas hingegen sprach häufig von der „USC- Mafia“171. Diese Umschreibung scheint insofern treffender, als sie sich alle über die nächsten fünf Jahrzehnte hinweg gegenseitig beauftragen, sich diese Aufträge wieder entziehen und in unzähligen Projekten miteinander kollaborieren würden. Sie bildeten ihr eigenes System.

„George fand ein paar Freunde an der USC und beschloss, dass das für den Rest seines Lebens reicht“, fasste sein ehemaliger Kommilitone und Freund Willard Huyck zusammen, Lucas’ Drehbuchautor für American Graffiti und Indiana Jones und der Tempel des Todes172. Da war außerdem noch Randal Kleiser, ein gut aussehender Junge aus dem Pennsylvania Dutch Country, der seine Studiengebühren teilweise als Model für Werbeanzeigen und Plakate finanzierte, die überall in Südkalifornien zu sehen waren. Nach dem Abschluss führte er Regie für Fernsehserien wie Marcus Welby, M.D. und Starsky & Hutch. Der Durchbruch als Filmregisseur gelang ihm 1978 mit dem erfolgreichsten Filmmusical aller Zeiten, Grease.

Nicht zu vergessen John Milius, mit dem Lucas ebenfalls bis heute befreundet ist, einer der buntesten Hunde an der USC. Schon in seinen frühen Zwanzigern war Milius eine starke Persönlichkeit, laut und mit tonnenförmiger Brust. So wie Lucas sich früher für den Motorsport begeisterte, war Milius für das Surfen entbrannt. Er schwärmte für Revolverhelden und Samurai, lebte in einem Bunker, kleidete sich wie ein kubanischer Freiheitskämpfer und nach der Filmhochschule wollte er zu den Marines gehen und als Held in Vietnam fallen. Aber wegen seines Asthmas wurde er ausgemustert und ging weder zu den Marines noch nach Vietnam. Stattdessen schrieb, bearbeitete oder drehte er einen Filmhit nach dem anderen, von Apocalypse Now über Dirty Harry bis hin zu Conan der Barbar und Die rote Flut.

Etwas älter als Lucas war Walter Murch, der zusammen mit Caleb Deschanel und Matthew Robbins für einen Aufbaustudiengang von der Johns Hopkins Universität an die USC gewechselt war. Murch war ein Getriebener und ein Spaßvogel. Das Thema Sound faszinierte ihn. Schon als Kind hatte er Mikrofone aus dem Fenster baumeln lassen, auf Metallskulpturen herumgetrommelt und Tonbänder zerschnitten und wieder zusammengestückelt. Später würde er die Kunst des Filmtons sozusagen neu erfinden. Für Apocalypse Now und Der englische Patient erhielt er den Oscar. Deschanel wiederum wurde fünfmal für den Kamera-Oscar nominiert und Robbins schrieb und drehte mehr als ein Dutzend Filme, darunter Der Drachtentöter und Das Wunder in der 8. Straße.

Die erste Begegnung zwischen Lucas und Murch verlief ein wenig schroff. Murch entwickelte Fotos in der Dunkelkammer, als Lucas hereinkam, ihm einen Augenblick lang zuschaute und ihm dann nüchtern beschied: „Du machst das falsch.“ Murch verscheuchte ihn unfreundlich, aber die Unverfrorenheit des Jungspunts beeindruckte ihn. „Das war damals sehr typisch für George“, bemerkte Murch amüsiert. „Er wusste alles und er ließ alle wissen, dass er alles wusste.“173 Es war der Beginn einer bis heute andauernden Freundschaft.

Die Studentengruppe um Lucas hielt fest zusammen. Sie waren alle etwa im gleichen Alter und hegten alle die gleiche Leidenschaft für Filme. Von Anfang an unterstützten sie sich gegenseitig – halfen einander beim Schneiden, Drehen, als Nebendarsteller oder einfach als Träger aus – egal, welches Genre oder Thema. Und die Interessen gingen weit auseinander. Lucas mochte die esoterischen Kunstfilme, die er im Canyon Cinema gesehen hatte. Murch bewunderte die französische Nouvelle Vague, während sein Kommilitone Don Glut nicht genug von Monstern und Superhelden bekommen konnte. „Obwohl ich selbst sehr abstrakte Filme machen wollte, habe ich an allen möglichen Arten von Filmen mitgewirkt“, erzählte Lucas. „Und das Tolle an der Filmhochschule war, dass es Leute gab, die sich für Comics interessierten, andere für Godard, für John Ford oder für Werbespots und Surfer-Filme. Und wir kamen alle miteinander aus.“174 Caleb Deschanel drückte es so aus: „Wir fühlten uns als Teil einer Gruppe von Auserwählten, die später Filme machen würden.“175

Sie hielten sich außerdem für bessere Filmemacher als ihre Konkurrenten an der UCLA. Diese gutmütige Rivalität besteht bis heute. Francis Ford Coppola, Absolvent der UCLA, erklärte später, dass die USCler als gute Dokumentarfilmer galten, kompetente Techniker, wohingegen die Studenten der UCLA besser für klassische Mainstream-Spielfilme qualifiziert waren.176 „Das“, schnaubte Walter Murch in spöttischer Entrüstung, „war natürlich Blödsinn. Wir kannten uns alle“, sagte er. „Die an der UCLA warfen uns vor, seelenlose Technikkapitalisten zu sein, und wir hielten sie für zugedröhnte Narzissten, die nicht mal fähig waren, eine Geschichte zu erzählen oder eine Kamera zu führen.“177 Es war Ehrensache, an Filmvorführungen teilzunehmen und die Filme der rivalisierenden Hochschule mit Johlen oder Buhrufen zu kommentieren.

Wie alle Erstsemester musste Lucas auf dem Campus wohnen und wurde im Hochhaus Touton Hall untergebracht, einem heruntergekommenen Männerwohnheim mitten auf dem Gelände; nicht einmal eine Cafeteria gab es. Noch schlimmer für Lucas, der immer sein eigenes Zimmer gehabt hatte: Er musste den schuhkartongroßen Raum teilen, mit Randy Epstein, einem netten Jungen aus Los Angeles. Die beiden verstanden sich gut, aber Lucas schwor sich, dass er so schnell wie möglich aus dem Wohnheim verschwinden würde. Bis dahin wollte er sowieso nicht viel Zeit dort verbringen, kaufte sein Essen lieber an den Süßwarenautomaten in der Studentenverbindung Delta Kappa Alpha und traf sich mit anderen auf dem zentralen Hof der Filmhochschule, auf dem einige Picknicktische einen schlappen Bananenbaum umringten. Hier, beschrieb Milius, saß er mit Lucas im Gras. „Wir versuchten, die vorbeigehenden Mädchen anzusprechen.“178 Sie hatten kaum Glück. „Die Mädchen machten einen großen Bogen um uns Filmstudenten, denn wir galten als seltsam“179, erklärte Lucas.

Und Lucas war seltsam, sogar für einen Filmstudenten. Er kleidete sich zwar nicht mehr wie ein Rock ’n’ Roller und verzichtete auf seine Entenschwanzfrisur, dafür sah er jetzt einfach nur klein aus und ein wenig armselig; seine Sportjacke mit Silberfäden wirkte zwei Nummern zu groß. Wenn er dazu noch seine dicke Hornbrille trug, hielten ihn einige für einen zwergenhaften Buddy Holly. Don Glut fand sogar, dass er „konservativ aussah … wie ein junger Geschäftsmann.“180 Andere fanden, dass Lucas wie eine Mischung aus Prolet und Bohemien wirkte, die misslungene Version eines coolen Jungen aus Los Angeles. Und er klang auch seltsam, mit seiner hohen, etwas näselnden Stimme, die sogar noch schriller wurde, wenn er aufgeregt war oder sich ärgerte. „Wie Kermit der Frosch“, erinnerte sich Epstein kichernd.181

Insofern ist es verständlich, dass Lucas versuchte, im Hintergrund zu bleiben. Er war zum Arbeiten hier, nicht um sich Gedanken über seine Garderobe zu machen. Wie viele Studenten, die vom Junior College kamen, musste Lucas Pflichtfächer belegen, die er für den Abschluss brauchte. Also besuchte er Kurse in Englisch, Geschichte und Astronomie. Die einzigen Filmkurse in seinem ersten Semester waren Filmgeschichte und Geschichte des Animationsfilms. Aber das reichte. „Schon nach einem Semester war ich der Sache verfallen“182, sagte Lucas – später gab er zu, dass er nicht genau gewusst hatte, was er eigentlich im Studium lernen würde, bevor er seine ersten Kurse besuchte. „Mir wurde klar, dass es an der Filmhochschule wirklich ums Filmemachen ging. Das kam mir völlig verrückt vor. Ich hätte nie gedacht, dass man auf die Universität geht, um das zu lernen.“183

Anders als an der UCLA, wo die Studenten fast sofort eine Kamera in die Hand bekamen und mit dem Filmen loslegen durften, mussten sie sich an der USC zunächst in sämtliche technischen Grundlagen des Filmemachens vertiefen. „Man lernte nicht nur ein Handwerk, sondern alle“, erinnerte sich Bob Dalva, ein Kommilitone und späterer Cutter, der für einen Oscar nominiert wurde. „Wir lernten, mit der Kamera umzugehen, wie man den Film belichtet und das Schneiden sowieso.“184 In anderen Kursen schauten sich die Studenten Filme an und besprachen sie. Der Dozent Arthur Knight, der gute Kontakte zur Filmbranche hatte, lud zu seinen Kursen renommierte Regisseure ein, zum Beispiel David Lean, der über seinen Film Doktor Schiwago sprach. Lucas würde viele Kurse an der Filmhochschule später damit vergleichen, eine DVD mit Audiokommentaren zu schauen. Kein Wunder, dass die Filmschüler von den anderen Studenten so verachtet wurden. „Damals hielt man das Filmstudium für so etwas wie akademisches Korbflechten“, sagte Randal Kleiser. „Alle auf dem Campus dachten, dass wir einfach nur locker unsere Einsen holen, indem wir uns Filme ansehen.“185

Für Lucas hingegen war das gar nicht so locker: „Ich musste Drehbuchkurse belegen und habe nur gelitten. Und ich musste in der Theaterabteilung mitmachen und die Schauspielerei habe ich echt gehasst. Was ich wirklich wollte, war mit der Kamera auf meiner Schulter das Geschehen verfolgen. Das fand ich aufregend.“186 Wie seine Kommilitonen wollte Lucas so schnell wie möglich einen Film drehen – aber sie alle mussten zunächst die vorbereitenden Kurse absolvieren, sie mussten schreiben lernen, schneiden, Fertigkeiten in Filmton, Beleuchtung und sogar Filmkritik erwerben, bevor sie endlich loslegen durften. Doch irgendwann war es dann soweit und sie erreichten ihr Mekka: den Produktionsworkshop unter der Kursnummer 480. Endlich durften sie drehen, allerdings gab es sehr strenge Vorgaben bezüglich des Budgets, des Drehplans, der Location und des Genres. Der 480er war und ist bis heute das Ziel aller Filmstudenten an der USC.

Lucas bewies sein Können jedoch schon weit früher – und wurde, obwohl er sich sehr bemühte, unter dem Radar zu bleiben, fast augenblicklich zu einem der Shootingstars an der USC. „Die anderen liefen immer herum und jammertem: ,Oh, ich wünschte, ich könnte einen Film drehen, ich wünschte, ich könnte einen Produktionskurs machen’“, erzählte Lucas.187 Aber er wollte nicht warten; er würde einen Film drehen, sobald ihm jemand eine Filmrolle überließ, egal, wie der Auftrag lautete.

In seiner Trickfilmklasse im ersten Jahr – der Kurs hieß Animation 448 – ergab sich die Gelegenheit. Der Dozent Herb Kosower händigte jedem Studenten Filmmaterial für eine Minute aus. Sie sollten einen Kurzfilm mit der Trickfilmkamera drehen und damit beweisen, dass sie die Technik grundsätzlich verstanden hatten. „Das war ein Test“, erinnerte sich Lukas. „Es gab bestimmte Vorgaben. Die Kamera sollte sich nach oben bewegen und dann nach unten und dann würde der Lehrer sich das ansehen und sagen: ,Oh, ja, du hast das Gerät dazu gebracht, das zu tun.’“188 Die meisten Studenten fügten eifrig kurze Stop-Motion-Sequenzen zusammen oder kurze handgezeichnete Cartoons. Aber Lucas hatte etwas ganz anderes vor.

In der kurzen Zeit, seit er an der USC studierte, war Lukas zum Fan des serbischen Regisseurs Slavko Vorkapić geworden. Vorkapić war von 1949 bis 1951 Leiter der Filmhochschule gewesen und ein Kollege des wegweisenden russischen Regisseurs Sergei Eisenstein. Wie Eisenstein interessierte Vorkapić sich für die psychologische Wirkung eines Films, weniger für geradliniges Erzählen. Er schuf komplexe Montagen aus scheinbar zufälligen und unzusammenhängenden Bildern und Geräuschen. Manche fügten sich zu einer Story, manchmal ging es nur darum, eine Stimmung zu erzeugen. Lucas war von diesen Filmen völlig eingenommen und schaute sie sich wieder und wieder an. „Sein [Vorkapićs] Einfluss war überall an der Filmhochschule zu spüren“, meinte Lucas. „Wir konzentrierten uns sehr auf die Form, die Filmgrammatik. Das Geschichtenerzählen interessierte mich kaum.“189

Auch auf Lucas’ Studentenfilme übten Vorkapićs Arbeiten einen starken Einfluss aus. Der Serbe hatte glänzende „Bildfantasien“ geschaffen, zum Beispiel mit Moods of the Sea von 1941. Darin zeigt er zur Musik von Felix Mendelssohn-Bartholdy gegen Felsen schlagende Wellen, kreisende Möwen und tauchende, springende Robben. Im gleichen Jahr erschien Forest Murmurs, acht Minuten lang. Bären, Bäume, Berge, Seen, Streifenhörnchen bewegen sich darin seltsam synchron zur Musik Richard Wagners, scheinen in ihrem Rhythmus zu springen, zu fließen und sich zu schlängeln. Auch Vorkapićs eher erzählerische Werke sind einzigartig; in Life and Death of 9413: A Hollywood Extra schnitt er Aufnahmen von echten Schauspielern in Miniaturkulissen hinein, vornehmlich aus Pappe, und ließ sie wie in Schattenspielen agieren. Er erzählte die Geschichte eines aufstrebenden Schauspielers, der es nur zu Nebenrollen bringt, und stempelte als Zeichen für die gleichgültige Hollywoodmaschinerie eine Nummer auf dessen Stirn.

Nicht nur Vorkapićs filmische Mittel, auch seine Botschaft sprachen Lucas stark an: Er teilte bereits jetzt die Verachtung des Regisseurs für das System Hollywood und der Kampf des Helden, der statt eines Namens nur eine Nummer trägt, gegen eine leidenschaftslose Gesellschaft beeindruckte Lucas so stark, dass er das Thema später bei THX 1138 aufgriff. Doch zunächst ließ er sich von Vorkapić für seinen Einminüter inspirieren, durchsuchte Magazine wie Look und Life nach Bildern, die er dann mit der Trickfilmkamera mit unruhigen Auf- und Abbewegungen filmte. Er entsprach damit den Vorgaben seines Dozenten Herb Kosower, übertraf aber im Ergebnis alle Erwartungen.

Nach Einblendung des Titels Look at LIFE stellte Lucas direkt klar: Das hier war keine Studentenarbeit; das war ein Kurzfilm von George Lucas. Er hatte seinen Film mit Musik unterlegt und dafür Antônio Carlos Jobims furioses Percussion-Stück A Felicidade-Batucada aus dem Film Black Orpheus von 1959 ausgewählt. In den nächsten fünfundfünfzig Sekunden konfrontierte er den Zuschauer mit einem Feuerwerk aus Fotos, perfekt synchron geschnitten zum explodierenden Rhythmus der Trommeln und anderer Schlaginstrumente. Die Bilder zeigen vornehmlich Aufruhr und Chaos: Rassenunruhen. Polizeihunde, die Demonstranten angreifen. Gestikulierende Politiker. Leichen.

Dann verschwindet der hektische Strom aus Demonstranten und Aufständen für einen Augenblick – das Wort LOVE erscheint, gefolgt von Aufnahmen von küssenden Paaren und tanzenden jungen Frauen. Die Bilder scheinen im Rhythmus der Trommeln zu pulsieren – ein direkter Einfluss Vorkapićs –, bis das Foto eines jungen Mannes eingeblendet wird. Der Mann hat die Hände erhoben, Blut läuft ihm aus der Nase und ein Prediger zitiert laut aus einem Spruch Salomons: „Hate stirreth up strife/While love covereth all sins.“ (Hass erregt Hader; aber Liebe deckt alle Übertretungen zu.) Der Film endet zweideutig: Ein Zeitungsausschnitt mit der Zeile ANYONE FOR SURVIVAL erscheint, gefolgt von dem Wort END, das von einem einsamen Fragezeichen abgelöst wird. Es beginnt langsam zu verschwimmen. Finis.

Sogar fünfzig Jahre später ist Look at LIFE ein beeindruckendes Debüt: aggressiv, politisch und extrem selbstbewusst. Lucas selbst sagte: „Sobald ich meinen ersten Film gemacht hatte, dachte ich: ,Hey, ich bin gut. Ich weiß, wie das geht’. Seitdem hatte ich nie mehr Selbstzweifel.“190 Schon in diesen ersten sechzig Filmsekunden zeigt sich sein Talent für Schnitt in vollem Umfang: Lucas schneidet von einem erhobenen Zeigefinger direkt zu einer winkenden Hand; Sekunden später lässt er dem Foto eines küssenden Paares ein Bild von Dracula folgen, der seine Zähne im Hals einer Frau versenkt. An anderer Stelle erzeugt er die Illusion von Bewegung, indem er die Kamera über Fotos von fliehenden Demonstranten oder einer tanzenden jungen Frau schwenkt. „Dieser Film war meine Einführung in den Filmschnitt – das gesamte Prinzip des Filmschnitts. Und ich glaube, dass Schneiden letztlich genau das ist, wofür ich begabt bin.“191

Seine Kommilitonen im Trickfilmkurs waren sprachlos. „Der ganze Kurs war in Aufruhr, nachdem er den Film gesehen hatte“, erinnerte sich Murch. „Niemand hatte so etwas erwartet … Alle fragten sich: ,Von wem ist das?’“192 Plötzlich war George das Wunderkind. „Nicht einmal die Lehrer hatten so etwas schon mal gesehen“, ergänzte Lucas. „Damit fiel ich auf. Plötzlich hatte ich sehr viele Freunde und der Dozent sagte: ,Ah, den muss man im Auge behalten.’“193 Murch fügte hinzu, dass sie damals zum ersten Mal „dieses Feuer bemerkten, das George hatte und das niemand sonst im gleichen Maße besaß.“194

Lucas beendete also sein erstes Studienjahr mit einem Triumph, doch die Arbeit hatte ihm gesundheitlich zugesetzt. Er erkrankte an Pfeifferschem Drüsenfieber. Dass er sich nach wie vor hauptsächlich von Süßigkeiten aus dem Automaten und vom Kiosk ernährte, machte die Sache bestimmt nicht besser. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass er sich auf dem gleichen Weg angesteckt hatte wie die meisten Studenten. „George stellte den Mädchen nach“, machte sich Milius lustig. „Er hat sie nicht gekriegt, aber versucht hat er’s.“195 Die USC-Mafia mag darüber gespöttelt haben, dass Lucas jetzt mit der sogenannten „Kusskrankheit“ darniederlag, aber alle wussten, dass das eine Folge von Stress und nicht von einer Knutscherei war.

Nach dem ersten Jahr durfte Lucas das Wohnheim endlich verlassen. Er zog in die Berge, wo er ein dreistöckiges Holzhaus mit zwei Schlafzimmern am Portola Drive 9803 im Benedict Canyon mietete, etwa eine halbe Autostunde von der USC entfernt. Das Haus war in jeder Hinsicht bescheiden – hingeduckt am Hang, erreichbar über eine steile Betontreppe, mit Schlafzimmern und einem Badezimmer so winzig wie Kleiderschränke. Das oberste Schlafzimmer konnte man nur über eine Leiter an der Außenseite des Hauses erreichen. Murrend zahlte Lucas’ Vater die achtzig Dollar Monatsmiete – und Lucas, der ein schlechtes Gewissen hatte, nahm sich Randal Kleiser zum Mitbewohner, um die Kosten zu halbieren. So lag er seinem Vater weniger auf der Tasche.

Kleiser übte einen positiven Einfluss auf Lucas aus. Er war adrett gekleidet, bescheiden, kontaktfreudig und brachte Lucas, ob er wollte oder nicht, in Kontakt mit anderen. So holte Kleiser Lucas mit ins Gründungsteam des sogenannten Clean Cut Cinema Club. Mit dabei waren außerdem Don Glut, Lucas’ ehemaliger Zimmergenosse Randy Epstein sowie ein junger Mann namens Chris Lewis, Sohn der Schauspielerin und Oscar- und Emmy-Gewinnerin Loretta Young. Die Gruppe war hauptsächlich zum Austausch und für die gemeinsame Arbeit an Filmprojekten ins Leben gerufen worden, aber so gesellig war Lucas wohl nie wieder. Seine erste Frau würde später sagen: „Georges Freundschaften basierten vor allem auf dem Filmemachen.“196

Bei allen Bemühungen: Grundlegend ändern konnte Kleiser Lucas natürlich nicht. Kleiser stellte fest, dass Lucas sich lieber in seinem Schlafzimmer im obersten Stockwerk verschanzte und am Zeichenbrett saß, seine Filme plante und Ideen skizzierte. „Ich wollte immer auf Partys gehen und in Clubs und so“, erzählte Kleiser rückblickend, „aber George blieb meistens in seinem Zimmer und zeichnete Science-Fiction-Fantasien.“ Für Lucas war dies viel attraktiver als auszugehen. „Ich arbeitete Tag und Nacht und lebte von Schokoriegeln und Kaffee. Es war ein tolles Leben.“197

Inzwischen waren Drogen auf dem Campus recht weit verbreitet, aber etwas Härteres als Schokoriegel, Kaffee, Chocolate Chip Cookies und Coca-Cola mutete Lucas seinem Körper nicht zu. „Ich war voller jugendlicher Begeisterung und viel zu beschäftigt, um Drogen zu nehmen“, entsann er sich. „Und nach einer gewissen Zeit wurde mir sowieso klar, dass das keine gute Sache war.“198 Lucas war süchtig nach Filmen, nicht nach Marihuana, und wenn er einmal einen Augenblick Freizeit hatte, dann berauschte er sich eher an Filmen von Akira Kurosawa oder George Cukor. Die meisten seiner Kommilitonen hielten es ebenso. „Wir liebten Filme leidenschaftlich, es war wie eine Sucht“, erklärte er. „Wir waren immer auf der Suche nach dem nächsten Kick: einen Film in die Kamera einlegen und etwas aufnehmen.“199

Lucas arbeitete sogar in mehr Projekten mit, als es für sein Studium notwendig gewesen wäre. Im letzten Studienjahr gründete er mit Kleiser und Lewis eine eigene Produktionsfirma, Sunrise Productions. „Unser Büro hatten wir auf dem Sunset Boulevard“, berichtete Kleiser. Für einen intellektuellen Anstrich gaben sich Kleiser und Lucas Künstlernamen. „Ich war Randal Jon“, so Kleiser, „und er war Lucas Beaumont.“200 Sunrise Productions produzierte genau einen Kurzfilm: Five, Four, Three – der Titel bezog sich auf den Countdown am Anfang der Filmrolle – eine Mockumentary über die Dreharbeiten zu einem satirischen Teenie-Film mit dem Titel Orgy Beach Party. Lucas drehte ihn im Stil eines Dokumentarfilms, indem er Kleiser mit der Kamera folgte. Der verteidigte seine Freundin gegen ein Monster, dargestellt von Don Glut. Buhrufe von Studiobossen untermalten den Soundtrack. Der Film war selbstreferentiell und selbstironisch und wurde nie fertiggestellt.

Im Herbst 1965 begann Lucas’ letztes Studienjahr. Die meisten vorbereitenden Pflichtveranstaltungen hatte er hinter sich gebracht, sodass er sich nun den Filmkursen widmen konnte, zum Beispiel der Produktionsklasse Cinema 310. Sie firmierte unter dem hochtrabenden Namen „Filmsprache“. Hier durfte er endlich echte Filme drehen, mit entsprechendem Equipment, anders als bei Look at LIFE. Die Studenten sollten kleine Crews bilden und Lucas suchte nicht lange. Er war entschlossen, soweit wie möglich alles selbst zu machen. Dazu holte er einfach den Clean Cut Cinema Club mit ins Boot. Kleiser und Lewis sollten die meisten Rollen spielen und waren zudem für das Equipment zuständig.

Lucas’ Film für Cinema 310 war ein dreiminütiger Thriller samt politischem Statement zum Thema Kalter Krieg, der Originaltitel lautete Freiheit. Er wurde im Malibu Canyon gedreht. Kleiser spielt darin einen jungen Mann in Hemd und Hose, mit schief sitzender Krawatte und Brille, der panisch vor unsichtbaren Verfolgern flieht. Er rennt auf den Zaun zu, der die Grenze zwischen DDR und BRD markiert. Mit der Freiheit vor Augen, hastet er über eine freie Fläche und wird dann wenige Meter vor seinem Ziel brutal von Maschinengewehrfeuer niedergestreckt. Im Voiceover erklingen Plattitüden: „Freiheit muss man sich erarbeiten.“ Der junge Mann macht einen letzten Versuch vorwärts zu robben und stirbt dann durch eine letzte Gewehrsalve. Im Abspann steht Chris Lewis in der Uniform eines sowjetischen Soldaten, die Waffe in der Hand, über dem toten Kleiser. „Es lohnt sich, für die Freiheit zu sterben“, heißt es nun im Voiceover. „Denn ohne Freiheit sind wir tot.“

„Ich habe in den Sechzigern mitdemonstriert“, erinnerte sich Lucas. „Aber ich habe selbst nichts initiiert.“201 Und dennoch bezog er mit Freiheit sehr eindeutig und aggressiv Stellung. Es war der Film eines jungen Mannes, der als Künstler und Rebell ernstgenommen werden wollte. „Was er schuf, war künstlerisch und kommerziell zugleich“, bemerkte Kleiser. „Sein Stil war sehr glatt.“202 Freiheit erzählt im Gegensatz zu Look at LIFE eine Geschichte. Der Film ist in leicht bläulichem Schwarz-Weiß gehalten, was ihm einen surrealen, leicht unheimlichen Touch verleiht. Und wieder einmal funktioniert der Film vor allem wegen Lucas’ Talent für den Schnitt. Kleiser sitzt in einem Busch und wartet auf den richtigen Moment zur Flucht. Wir schauen dem keuchenden Jungen fast zu lange zu, was seinen vergeblichen Versuch umso qualvoller für uns macht. Als er schließlich loshastet, wählt Lucas eine subjektive Einstellung, die den Zuschauer selbst zum Flüchtling und Opfer macht.

Das politische Kunstwerk des jungen Lucas ist absichtlich provokativ, wenn auch etwas dick aufgetragen, von der Zeitlupe, in der Kleiser auf den Zaun zuläuft, bis hin zum pathetischen Vorspann „ein Film von LUCAS“. Lucas bestätigte: „In den Fünfzigern bekam ich nicht viel von den Ereignissen mit. Erst als Kennedy ermordet wurde, beschäftigte ich mich mit Dingen, die mich vorher nicht sonderlich interessiert hatten.“203 Kleiser erinnerte sich, dass Lucas sich über Studenten aufregte, die den Tod der Soldaten in Vietnam als Freiheitskampf romantisierten. „George wollte die Diskrepanz zeigen zwischen der Einfachheit, mit der sich so etwas sagt, und der Wirklichkeit, in der die Leute getötet werden.“204 Die dahinter stehende Frage – Was kostet die Freiheit? – würde Lucas auch in den folgenden Jahrzehnten als Künstler und Geschäftsmann beschäftigen.

An der USC und privat engagierte sich Lucas in vielen verschiedenen Projekten der unterschiedlichsten Filmemacher. Die Hochschule war perfekt für ihn, denn dort hatte er Zugang zu „den verschiedenartigsten Filmen“. In einer Zeit, in der es noch keine DVDs oder Streaming-Dienste gab, lief ein kleiner Kunstfilm oder ein ausländischer Film höchstens in „irgendeinem Arthaus-Kino“. Ansonsten sah man ihn mit etwas Glück „um zwei Uhr morgens im Fernsehen – oder eben an der Filmhochschule.“205 Unter den amerikanischen Regisseuren interessierte sich Lucas vor allem für John Ford und William Wyler. Wyler war ein einflussreicher Regisseur und Kameramann, der drei Oscars gewonnen hatte. Aber er war auch für seine Unfähigkeit bekannt, mit Schauspielern umzugehen – ein Vorwurf, der später auch Lucas treffen sollte. Jean-Luc Godard und Federico Fellini waren weiterhin Lucas’ europäische Idole. Besonders begeistert war er von Godards neuestem Film Alphaville, einem dystopischen Science-Fiction-Thriller im Stil des Film noir. Godard macht darin das moderne Paris zur titelgebenden futuristischen Stadt. Später entdeckte Lucas ein neues Vorbild: den japanischen Regisseur Akira Kurosawa.

Auf John Milius’ Anregung hin sah Lucas sich mehrere Kurosawa-Filme im La Brea Cinema in Los Angeles an. Er erinnerte sich, dass ihn Die sieben Samurai von 1954 „schlichtweg umhauten“. „Dieser Film hatte wirklich einen großen Einfluss auf mich, er war großartig, sehr bewegend und gleichzeitig so exotisch.“206 Er liebte Kurosawas Stil, „so eindringlich und einzigartig“207, mit den horizontalen Übergängen zwischen den Szenen, dem actionreichen Schnitt und den staubigen, leicht abgetragen wirkenden Kulissen und Kostümen. Alles in Kurosawas Filmen wirkte abgenutzt, repariert, dann wieder verwendet – eine Ästhetik, die Lucas später in Star Wars aufgriff. Er bewunderte außerdem, dass Kurosawa so selbstsicher war: Der Regisseur warf das Publikum mitten hinein ins japanische Mittelalter oder ins 19. Jahrhundert, ohne eine Backstory anzubieten. Gibt man dem Publikum ein wenig Zeit, sich auf die Mythologie einzulassen, so Kurosawas Gedanke, dann wird es sich an die fremde Welt gewöhnen. Auch diese Haltung übernahm Lucas bei Star Wars.

Obwohl er sein filmisches Vokabular derart erweitert hatte, kehrte Lucas für seinen dritten Film zur vertrauten Filmsprache Vorkapićs zurück: Mit Herbie beendete er seinen Kurs Cinema 405. Diesmal sorgte der Dozent Sherwood Omens dafür, dass der im Studium schon fortgeschrittene Lucas ein Team mit dem Anfänger Paul Golding bildete. Vermutlich nahm Lucas das nur murrend hin; seine Vorliebe, alles selbst zu machen, wurde stärker, er arbeitete zunehmend ungern mit anderen. Wenn Mitglieder seiner Crew nicht mit ihm Schritt hielten, war er sehr schnell gereizt. „Demokratie beim Filmemachen, wobei man immer denen half, die es nicht hinbekamen, habe ich gehasst“, sagte Lucas später. „Mir ging es um den Wettbewerb, wer zuerst fertig war und wer es am besten machte. Und wer es nicht bringt, ist eben fehl am Platz.“208

Aber Golding genügte Lucas’ Qualitätskriterien; er war ein enthusiastischer Partner, der zufällig auch die Schlüssel zum Geräteraum der Hochschule besaß. Auf diese Weise hatten er und Lucas Zugriff auf die heiß begehrte Arriflex-Kamera.209 Das war genau die tollkühne, zupackende Art, mit der Lucas sich identifizierte, und so realisierten er und Golding – der sich ebenfalls seiner Schnittkünste rühmen konnte – gemeinsam noch einige Filme an der USC.

Im Kontrast zu den politischen Themen in Look at LIFE und Freiheit kommt Herbie eher leicht daher: wunderschöne Schwarz-Weiß-Aufnahmen nächtlicher Lichter, die sich in Autokarosserien (endlich!) spiegeln, dazu spielt das Miles Davis Quintett lässigen Jazz: Basin Street Blues. Der Titel Herbie bezieht sich auf den Pianisten Herbie Hancock, von dem Lucas und Golding fälschlicherweise annahmen, er habe in dem Stück Klavier gespielt. (Tatsächlich war es Hancocks Vorgänger im Quintett, Victor Feldman.) Wie Vorkapićs „Bildfantasien“ verbindet Herbie Bilder und Musik zu einer ganz neuen, aber zusammenhängenden Einheit. Das Ergebnis ist in jeder Hinsicht Film-Jazz. Und als der letzte Ton verklingt, erscheint der schlichte Abspann: Diese Reflexionen wurden ihnen präsentiert von Paul Golding und George Lucas.

Nachdem er nun drei Filme realisiert hatte, fiel er notgedrungen auf – trotz größter Anstrengungen, eben das nicht zu tun. „George war immer ein stiller Mensch“, bekräftigte Walter Murch. „Er war keiner von denen, die in den Kursen ständig etwas sagten. Er behielt das meiste für sich und drückte sich in seinen Filmen aus.“210 Aber jetzt, nach seinen ersten Kurzfilmen, „war er der Star“.211 Matthew Robbins erinnert sich, dass Lucas „von allen Studenten bewundert wurde und den meisten Lehrkräften ein Rätsel war“.212

Egal, was die Dozenten von dem schweigsamen jungen Mann gehalten haben mochten, seine Filme erweckten ihre Aufmerksamkeit. Außerdem entwickelte er sich zu einem der versiertesten Cutter an der USC. Viele andere Studenten beschwerten sich über die schlechten Schauspieler, unzuverlässige Crewmitglieder und Geräte oder darüber, dass sie zu wenig Zeit hatten. Lucas aber arbeitete schnell und beschwerte sich nie; alle Fehler, Engpässe und Versäumnisse beim Shooting bügelte er im Schneideraum aus.

Es wundert kaum, dass sich Lucas dort wie zu Hause fühlte. Der Schneideraum an der USC sah aus wie eine Autowerkstatt: hohe Decken, summende Deckenlampen, Graffiti an den Wänden und fast der gesamte Boden war mit Geräten vollgestellt. Die Moviolas waren perfekt für Lucas, die Arbeit damit so selbstverständlich für ihn, wie hinter das Lenkrad eines Autos zu schlüpfen. Es gab Pedale zur Regulierung der Geschwindigkeit, eine Handbremse, einen variablen Motorschalter und einen Monitor in der Größe eines Rückspiegels. Die kleinen Motoren sirrten beim Vor- und Zurückspulen; Bandstücke warf man einfach auf den Boden und räumte sie später weg. Das Schneiden wurde Lucas so vertraut wie die Bastelei an seinem eigenen Auto beim Foreign Auto Service. Und da er sich gut mit Maschinen auskannte, hatte er auch bald herausgefunden, wie man die unzuverlässigen Moviolas reparieren konnte, die mit frustrierender Regelmäßigkeit streikten.

Es gab einige Neider in der Studentenverbindung Delta Kappa Pi, die Lucas für wenig mehr als einen Aufschneider und Dilettanten hielten. Aber der Vorsitzende Howard Kazanjian hielt zu ihm. Er hatte sogar mit Rücktritt gedroht, sollte Lucas nicht aufgenommen werden. Diesen Freundschaftsbeweis und diese Treue würde ihm Lucas Jahre später vergelten, indem er ihn zum Vizepräsidenten seiner Produktionsfirma machte. Außerdem war Kazanjian der Produzent seiner Wahl bei Jäger des verlorenen Schatzes und Die Rückkehr der Jedi-Ritter. Trotz seiner offiziellen Mitgliedschaft diente die Studentenverbindung Lucas eigentlich nur als Futterstelle: Er plünderte ständig die Automaten und den Kiosk, um sich während seiner Arbeitsmarathons mit Keksen und Cola zu versorgen.

Im letzten Semester belegte Lucas den Kurs Cinema 480. Der Dozent Douglas Cox stellte kleine Gruppen zusammen, die über einen Zeitraum von zehn Wochen einen zehnminütigen Film realisieren sollten, sogar mit drei Tonspuren. Das Problem dabei, einer Crew zugeordnet zu werden, war, wie es Lucas’ Kommilitone Don Glut gereizt formulierte: „Nicht alle von uns kamen in den Genuss des Privilegs, Regie zu führen.“213 Lucas schrieb und leitete sein Abschlussprojekt selbst. Er führte eine Crew an, die schließlich auf vierzehn Personen anwuchs. Manche von ihnen sind in den Credits genannt, manche nicht. Sie arbeiteten alle eng zusammen, doch am Ende wurde es so gemacht, wie Lucas wollte.

Cox stellte einige Bedingungen, die Lucas aber häufig nicht ernst nahm oder komplett missachtete. So durften die Teams zwar in Farbe oder Schwarz-Weiß drehen, aber wenn sie sich für Farbe entschieden, erhielten sie nur halb so viel Filmmaterial. „Sie wollten uns vom Farbfilm abhalten“, meinte Lucas, „weil die Entwicklung so lange dauert.“214 Das war eine Kampfansage für ihn: Er entschied sich für Farbe. Cox forderte außerdem, dass die Teams in der Nähe des Campus drehten; das ignorierte Lucas vollständig und fuhr mit seinem Team zu einer Location in hundertdreißig Kilometern Entfernung. Regeln bereiteten ihm keine Sorgen. „Ich hab sie sämtlich gebrochen – wir alle haben das getan“, resümierte Lucas. „Immer, wenn ich die Regeln brach, machte ich einen guten Film. Die Lehrkräfte konnten also gar nicht viel dagegen tun.“215

Die Verstöße gegen Regeln beinhalteten sogar kleinere Diebstähle sowie Einbrüche. Da nur wenig Zeit und Equipment zur Verfügung stand, war die Konkurrenz um die besten Kameras und Schnittgeräte groß. Matthew Robbins berichtete, dass Lucas „sehr findig war. Er schaffte es immer irgendwie, die Gerätschaften und Leute zu bekommen, die er brauchte.“216 Paul Golding hatte für Herbie die Arriflex organisiert, jetzt half Lucas John Milius, der für alle Schandtaten zu haben war. Er verschaffte sich Einlass in den Geräteraum und „borgte“ die Éclair NPR. „Lucas wollte unbedingt mit dieser Kamera arbeiten“, sagte Milius, „und ich habe sie geklaut, versteckte sie in meinem Auto und schlief eine Woche in der Karre, während wir die Kamera verwendeten.“217 Und als es um den Schnitt ging, wollte Lucas sich nicht von den Öffnungszeiten der Hochschule einengen lassen. „Wir kletterten die Regenrinne hoch, liefen übers Dach, sprangen in den Hof und brachen in die Schnitträume ein, damit wir das ganze Wochenende arbeiten konnten“ sagte Lucas zurückblickend.218

Im Film vereinte Lucas zwei seiner Leidenschaften, eine bewährte – Motorsport – und eine neue. „Das Cinéma vérité kam gerade auf“, erzählte Lucas. „Damit haben wir uns viel beschäftigt.“219 Cinéma vérité (französisch für „Kino der Wahrheit“) war eine neue Strömung im Dokumentarfilm, in der die Kamera echte Menschen in ungeplanten Situationen begleitete, es gab keine vorgefassten Ideen und keine Erwartungen. In seiner Reinform verwendete Cinéma vérité kaum mehr als eine Kamera und ein Mikrofon und zeigte dann rohes, fast ungeschnittenes Material. Die meisten Filme aber hatten schon ein wenig mehr zu bieten als das und Lucas wurde sehr stark von denen beeinflusst, die aus der französischen Abteilung des National Filmboard of Canada stammten. Die Filmemacher schufen Cinéma vérité mit Schwung und Ehrgeiz.

Lucas schwärmte besonders für den Film 60 Cycles von 1965. Regisseur Jean-Claude Labrecque folgt darin den Fahrern des Radrennens der Tour de St. Laurent, die 2400 Kilometer durch die kanadische Landschaft radeln. Dazu erklingt die Musik von Booker T. & the MGs. „Lucas flippte aus“, erinnerte sich Kommilitone Charley Lippincott, der den Film aus dem kanadischen Konsulat beschafft hatte.220 Der Film war eine Mischung aus Dokumentation, Alltagsbeschreibung und Experimentalfilm und zeigte in sechzehn Minuten all das, was Lucas mit seinem Film für den Kurs 480 vorhatte: lange Einstellungen, Luftaufnahmen, Massenszenen und – am allerbesten, im Geiste des Cinéma verité – keine Schauspieler. Lucas bekam nicht genug von dem Film und lieh ihn sich von Lippincott aus. Er schaute ihn wieder und wieder an, bis ihn Lippincott viel zu spät den inzwischen ungeduldigen Kanadiern zurückgab.

Für sein eigenes Vorzeigestück des Cinéma vérité fuhr Lucas mit seiner Crew zur Rennstrecke Willow Springs in Rosamond. Er wollte den Rennfahrer Peter Brock in seinem gelben Lotus 23 filmen. Lucas fing alles aus sorgfältig gewählten Perspektiven ein; manchmal wie zufällig, sodass man den vorbeirasenden Rennwagen hinter einer Schilderfront nur erahnen kann, manchmal aus der Luft, aus der Distanz, wo das Vogelgezwitscher fast das Röhren des Motors übertönt. Lucas installierte die Kamera im Wagen hinter dem Lenkrad und filmte den Geschwindigkeitsmesser, zeigte Brock beim Betätigen der Gangschaltung oder wie er in einem großartigen ungeplanten Augenblick eine Grimasse zieht und den Motor hochdreht, nachdem der Lotus ins Schleudern geraten und stehen geblieben ist. Der Film endet mit der Einstellung auf die Stoppuhr, die ein Mitglied der Boxencrew mit einem hörbaren mechanischen Klicken anhält. Die Zeiger frieren auf der besten Rundenzeit Brocks ein: 1:42:08. So lautete auch der Titel des Films.

Lucas bezeichnete den Film später selbst als „visuelles Tongedicht“221, das sein Interesse an Autos genauso widerspiegelte wie „die visuelle Wirkung eines Spiels gegen die Zeit“. Dieses Thema würde er auch wieder bei THX 1138 aufgreifen.222 Im Kern geht es um Mensch und Technik – ein typisches Lucas-Thema – und unsere Bemühungen, die Technik zu beherrschen, bevor sie uns beherrscht, auch wenn wir dabei ein paar Mal ins Schleudern geraten. Lucas stellte überrascht fest, dass ihm die Arbeit mit dem Team Freude gemacht hatte, und er war stolz darauf, dass sie das Projekt zeitgerecht abschließen konnten. „Wir hatten nur zehn Wochen Zeit, von der Erstellung des Drehbuchs bis zu dem Punkt, an dem das Filmmaterial fertig ist“, sagte er, „für Studenten ist das eine ganz schöne Leistung.“223 Und nicht nur das geschah in Willow Springs. Lucas war dort auf eine andere Filmcrew gestoßen, die sich zur Vorbereitung des Motorsportfilms Grand Prix an die Fersen des Stars James Garner gehängt hatte, der mit einem Stuntman trainierte. Lucas ergatterte ohne große Anstrengung einen Job als Kameramann der Second Unit. Er brauchte also nur einige Arbeitstage an sein Projekt anzuhängen, um ein paar Dollar zu verdienen und zum ersten Mal in den Credits eines professionellen Hollywoodfilms aufzutauchen.

1:42:08 mochte das Ergebnis von Teamarbeit sein, doch Lucas konnte für sich beanspruchen, die Regeln gebrochen und es so gemacht zu haben, wie er wollte. Wieder einmal. Der Film beeindruckte seine Dozenten nicht in dem Maße wie seine vorherigen Projekte, aber er war gut. Der Dozent Douglas Cox mochte Kunstfilme (mit Glut stritt er sich über Schundfilme wie Wrath of the Sun Demon) und wusste Lucas’ Versuch zu schätzen.224 Abgesehen vom Einfluss des Cinéma vérité zeigt 1:42:08, wie Lucas seinen eigenen Regiestil entwickelte. Fast beiläufig fängt eine gut platzierte Kamera das Geschehen ein. Für pures Cinéma vérité war Lucas schon immer ein zu kreativer Cutter. Er konnte einfach nicht widerstehen, Brocks Lotus mit einer schnellen Folge flackernder Schnitte noch eine Spur schneller vorbeirasen zu lassen. An anderer Stelle fügte er eine kurze Einstellung eines Restaurantschilds mit der Aufschrift „George & Aggie’s“ ein – ein so verschämter Cameo-Auftritt, dass man ihn mit einem Augenblinzeln übersehen kann. In seinem ersten echten Tonfilm hat Lucas zudem bereits großes Vergnügen am lauten Kreischen des Lotus, der wieder und wieder vorbeilärmt wie ein TIE-Jäger aus Star Wars.

Am 6. August 1966 schloss Lucas sein Studium an der University of Southern California mit dem Bachelor ab. Er denkt bis heute mit Zuneigung an die Hochschule zurück. „Ich habe dort mein Talent entdeckt“, sagte er bei einem Festakt an der Universität im Jahr 2006.225 Nichtsdestotrotz war seine Zukunft erst einmal ungewiss. „Ich ging davon aus, dass ich erst einmal Avantgardefilme machen würde, wie sie damals in San Francisco entstanden“, erinnerte er sich. „Da man davon nicht leben kann, stellte ich mir vor, dass ich zusätzlich als Kameramann für Dokumentarfilme arbeiten würde. Darauf hatte ich ohnehin Lust. Kameramann für den Lebensunterhalt und Spielfilmregisseur nebenbei. So würde es laufen.“226 Das stellte er sich jedenfalls vor.

Wie den meisten Absolventen der Filmhochschule waren Lucas die Türen der Mainstream-Filmstudios verschlossen. „Es war unmöglich, in die Gilden oder Gewerkschaften und damit in die Branche hineinzukommen“, berichtete Gary Kurtz, der sein Studium 1962 abgeschlossen hatte und 1966 immer noch in Low-Budget-Projekten wie dem Film Beach Ball arbeitete. „Viele Absolventen waren die Sache irgendwann leid und machten etwas anderes … Sie drehten Schulungsfilme oder Dokumentationen, diese Bereiche waren nicht so strikt gewerkschaftlich organisiert.“227

Und die Armee wartete. Als arbeitsloser College-Absolvent konnte Lucas jederzeit eingezogen werden und es bestand eine sehr realistische Gefahr, dass man ihn nach Vietnam schicken würde. Lucas verstand sich als politischer Aktivist und war gegen den Krieg: „Ich war wütend damals, setzte mich für alles Mögliche ein.“ Aber seine Freunde erklärten ihm, dass er mit seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten bestimmt als Offizier in der Fotoabteilung der Air Force eingesetzt werden konnte. Diese Idee fand Lucas in kreativer Hinsicht bestechend. Anders als sein Kommilitone John Milius konnte Lucas dem Militär und dem Krieg nichts Romantisches abgewinnen, aber er musste zugeben, dass Vietnam interessante filmische Möglichkeiten bot; falls er in den Krieg zog und überlebte, würden seine dort gewonnenen Eindrücke und Erlebnisse einen großartigen Film abgeben. „Ich würde also zwei Jahre im Schlamm herumkriechen, in der Hoffnung, eine sinnvolle Tätigkeit übertragen zu bekommen, und dann später meine Erfahrungen aufschreiben.“ Dennoch sagte er: „Ich war wirklich nicht scharf darauf, zu gehen. Die Verzweiflung trieb mich.“228

Begeisterung oder Verzweiflung: Es kam ohnehin nicht dazu. Lucas wurde zu seinem großen Erstaunen mit „4-F“ für untauglich erklärt. Die Ärzte diagnostizierten Diabetes; eine Erkrankung, an der schon sein Großvater George Walton gestorben war. Sie verschrieben ihm das Medikament Orinase. Für den Rest seines Lebens muss Lucas die Erkrankung mit Medikamenten unter Kontrolle halten. Auf Alkohol und Drogen musste er ab sofort auch verzichten (was ihm leicht fiel). Sein ohnehin sauberes Image war nun eine Notwendigkeit. Aber Diabetes bedeutete auch den Verzicht auf Schokoladenkekse, Schokoriegel und Coca-Cola, mehr oder weniger seine Hauptnahrungsmittel in den letzten zehn Jahren. Diese Umstellung würde ihm schwerer fallen.

Da eine Karriere beim Militär nun vom Tisch war, ließ Lucas seine Haare wachsen. Sie türmten sich allerdings eher höher auf seinem Kopf, als dass sie ihm lang über den Rücken fielen. Zudem ließ er sich einen kurzen dunklen Bart um Kinn und Mund stehen. Er sah mehr nach Beatnik als nach Hippie aus, aber er wirkte jetzt auch cool – obwohl seine Ohren nach wie vor stark abstanden. So langsam fand er seinen Stil.

Die Ausmusterung bedeutete auch, dass er ein Graduiertenstudium an der USC belegen konnte, doch noch das musste noch warten, denn er hatte die Anmeldung für das Herbstsemester 1966 versäumt. Plötzlich war Lucas ziellos, ohne Job und ohne echte Perspektive. In dieser Situation gelang es ihm endlich, einen seiner Kontakte in die Filmbranche zu nutzen. Er wandte sich an den Grafikdesigner Saul Bass, den er während der Dreharbeiten für Grand Prix kennengelernt hatte. Bass war verantwortlich für die atemberaubenden Titelsequenzen im Hitchcock-Film Der unsichtbare Dritte sowie in Otto Premingers Der Mann mit dem goldenen Arm und Regisseur John Frankenheimer hatte ihn beauftragt, etwas vergleichbar Aufregendes für Grand Prix zu schaffen, der im Dezember anlaufen sollte. Lucas liebte Montagen und half Bass beim Schnitt des Materials für die ersten aufregenden, lärmenden Filmsekunden. Bass arbeitete gleichzeitig an einer eigenen Dokumentation mit dem Titel Why Man Creates (die 1968 einen Oscar gewann) und verließ sich dabei ebenfalls auf Lucas, der die Kamera führte und außerdem als Mädchen für alles fungierte.

Im frühen Herbst endete Lucas’ Zusammenarbeit mit Bass und er suchte nach einem neuen Job. Nach wie vor wohnte er in dem Mietshaus in Portola und verzog sich immer noch am liebsten in sein Zimmer, auch wenn er sich ab und zu überreden ließ, auf eine Party von Filmstudenten oder Absolventen zu gehen. Bei einer dieser Partys im Herbst jenes Jahres standen Lucas und Matthew Robbins in der Küche und unterhielten sich über Filme. Lucas erwähnte, dass er „einen Film über jemanden machen wollte, der auf der Flucht vor der Polizei ist“, erinnerte sich Robbins. „Gefilmt aus einer allgegenwärtigen, Big-Brother-artigen Perspektive, wie mit einem fliegenden Auge.“229 Robbins fand die Idee aufregend und schlug vor, sich an der Geschichte zu versuchen. Er holte Walter Murch dazu und gemeinsam stellten sie im Oktober ein zweiseitiges Treatment mit dem Titel Breakout fertig. Es bestand hauptsächlich aus einer ausgedehnten Verfolgungsjagd und die Schlussszene zeigt, wie der Held durch eine Falltür in der Wüste auftaucht und vor Freude jubelnd auf den Sonnenuntergang zu in die Freiheit rennt – das Happy End, das Lucas’ jungem Helden in Freiheit versagt geblieben war. Im Treatment hieß es: „Der Mann entschwindet. Währenddessen: eine Hand erscheint aus der Tiefe, greift nach dem Hebel der Falltür und zieht sie langsam zu.“230 Dieses Bild ließ Lucas nicht los. Er wollte den Film sehen. Sobald er konnte, würde er ihn machen.

Doch zunächst brauchte er einen Job. Nachdem er sich erfolglos bei den Hanna-Barbera Animation Studios beworben hatte, klappte es schließlich bei der U.S. Information Agency, einer für die Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Regierungsbehörde, die Informations- und Propagandafilme produzierte. Er arbeitete als Grip, was bedeutete, dass er für die Wartung und den Transport der Kameraausrüstung verantwortlich war. Nichts Tolles, aber es war immer noch eine Chance, für die andere Filmschulabsolventen über Leichen gegangen wären.

George Lucas, der einen Schreibwarenhandel erben würde, einen Autounfall knapp überlebt hatte und Filme und Fotografie liebte, war jetzt offiziell in der Filmbranche angekommen. Jedenfalls fast.

George Lucas

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