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Episode 63

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Schön dünn

Dies wird keine Anleitung, Adipositas loszuwerden. Wer sich von (der Gottheit) der Verfettung befreien möchte, sich wortwörtlich dünne machen will, der sollte einfach nach dem bekannten Rezept operieren: Weniger fressen, mehr bewegen!, dann klappt’s auch mit dem Strich in der Landschaft [siehe Episode 41]. Dabei muss wirklich niemand spindeldürr sein – außer Kindfrau will Topmodel werden, dann ist unbedingte Karrierevoraussetzung, dünn wie eine Spindel zu sein und dumm wie Bohnenstroh. Zur Belohnung darf das magere Frischfleisch – solange es mager und frisch ist – aufgedonnert [siehe Episode 58] wie eine Kreuzung aus Pfingstochse und Palmesel [vgl. Episode 57] auf dem Steg vor den Beschauern rumstöckelt. Aus dieser Dünn-doof-Kombination scheint die Idee entsprungen zu sein, eine hagere, hochgewachsene Person abwertend als Bohnenstange zu bezeichnen; die nuttigen Stöckelschuhe verstärken dabei noch den Eindruck, dass die knochige Vorführdame lang/groß/dünn wie eine Bohnenstange ist.

Die nützliche Stange stützt in der botanischen Praxis emporrankende Hülsenfrüchtler und Schmetterlingsblütler. Insbesondere die kletternde Varietät der giftigen Gartenbohne (Phaseolus vulgaris) mit ihrem windenden Stängel wird an (Bohnen-)Stangen gezogen und vermutlich deshalb Stangenbohne genannt.

Seit wann genau lange Bohnenstangen sprachlich alternativ verwendet werden, liegt im Dunkeln. Da die Spanier erst im 16. Jahrhundert die Gartenbohne von ihren Raubzügen aus Amerika mitbrachten, kann diese Betitelung für kränkelnde Hagere – zumindest in Europa – erst anschließend entstanden sein. Dass in der gleichberechtigten Neuzeit nicht nur Mädchen eine hässliche Bohnenstange sein können, zeigt der schweizerische Schriftsteller Heinrich Federer (1866-1928) in „Spitzbube über Spitzbube“ (1921) eindrucksvoll: „Er war lang und steif wie eine Bohnenstange, an der ein gelbes, müdes, häßliches Gesichtlein mit breiter Nase und verschwollenem Munde wie eine kranke Frucht hing. Das Haar klebte in langen, feuchten Fetzen um Stirne und Ohren.“

Dieser unschöne Spross wäre sicherlich obendrein für das Bohnenstroh-Gleichnis brauchbar. Der tatsächlich saudumme Vergleich der Geisteskraft von Bohnenstroh und Mensch ist seit dem 19. Jh. bekannt; das wertlose Stroh stammt von der Saubohne, eine Ackerbohne (Vicia faba), die ferner unter den Namen (Erfurter) Puffbohne, Dicke Bohne, Feldbohne, Große Bohne und Pferdebohne bekannt ist. Die Redewendung hat sich aus der älteren Beanstandung „grob wie Bohnenstroh“ entwickelt, die als Komparation „gröber denn das ponstro“ in einem Gedicht von Hans Sachs (1494-1576) aus dem Jahr 1558 belegt ist. Die Charakterisierung als „bohnenstrohgrob“, die auf einen rohen, ungebildeten Menschen schließen lässt, basiert auf der Schlafstellenunterlage armer Leute, die noch nicht einmal aus richtigem Stroh, sondern nur aus einer Anhäufung getrockneter Saubohnenranken bestand. Materielle Armut wirkte sich schon damals direkt auf die geistigen Fähigkeiten aus: wer herkunftsmäßig arm war, konnte notgedrungen und gottgewollt nicht der Gebildetste sein und wurde bedenkenlos (für) so dumm wie seine Bohnenstroh-Matratze gehalten – ein rustikales Bildungsideal, das in Form von Privat- und Konfessionsschulen, Nachhilfeunterricht und gebührenpflichtigen (Elite-)Universitäten im 21. Jh. wieder auflebt. „In dieser Welt voll von Präkordialangst, Grobheit, Ungeschlachtheit und Bohnenstroh“ muss man, wie schon Wilhelm Raabe (1831-1910) in „Der Lar“ (1889) formulierte, „im Nothfall so grob wie Bohnenstroh sein!“ Und schon im Kindergarten wird der Kapitalistenbrut (in Englisch) beigebracht, dass nicht nur am Bildungsmarkt dieser Notfall chronisch ist.

Jedoch sollte die Herkunft der Redewendung sogar Eliteschüler und -studenten nachdenklich machen, solange es noch geht! Beim übertriebenen Befolgen des rechten Bildungsleitbilds kann es nämlich zu einer schlagenden Verbindungen zwischen der Grobheit – die im kapitalistischen Überlebenskampf unabdingbar ist – und der Dummheit – die im kapitalistischen Überlebenskampf interessanterweise nicht schadet – kommen, wie es der deutsche Dampfflug-Ingenieur und Schriftsteller Max Eyth (1836-1906) in „Der Kampf um die Cheopspyramide“ (1902) beschreibt: „Hubbe hieß der Mann und schöne Arbeit war’s: Geldschränke. Der Meister war einer von altem Schlag: grob wie Bohnenstroh und schon ein wenig dumm.“ (aber immerhin war die Meisterin um so jünger …)

Von der geistigen zur physischen Verdünnung: Das redensartliche Verdünnen bis zum Wegsein ist wohl in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in die deutsche Formulierungskunst eingezogen; so soll z.B. im Jahr 1789 beim Dichter Jean Paul (1763-1825) die Meldung aufgetaucht sein: „Traumulus hat sich dünne jemacht!“

Wer oder was immer das sein mag, die Dünne-machen-Redewendung bezieht sich auf den kompletten menschlichen Körper und nicht nur auf ausgewählte weibliche Problemzonen, hat somit nichts mit der Sofortfettarschweg-Diät aus einer der unzähligen Frauenzeitschriften zu tun, sondern meint verschwinden, abhauen, weggehen, was oft heimlich, unauffällig oder auf einen eindringlichen Vorschlag hin geschieht. Bohnenstrohgrobe sagen dazu „verpissen“ und fordern vom Kontrahenten: Verpisst Dich! Jemand mit abgeschlossener Baumschule würde selbstverständlich gewählter von „verdünnisieren“ sprechen und ferner den Freizusetzenden nicht einfach duzen: Verdünnisieren Sie sich!

Der Rausschmiss hört sich schon wieder wie eine Diätaufforderung an, wie der Ratschlag, sich der ursprünglichen Spindel optisch anzunähern. Das Synonym für rank und zu schlank bezieht sich nämlich auf die Handspindel, ein in Drehung versetzter Stab (Schaft) mit Schwunggewicht (Spinnwirtel), auf den der gesponnene Faden gewickelt wird. „Fossile“ Wirtel gelten als Beweis, dass bereits um 6.000 v.Chr. Früheuropäer der Jungsteinzeit derart gesponnen haben. Die altertümliche Technik wurde sukzessiv von Spinnrad (14./15. Jh.) und Spinnmaschine (18./19. Jh.) verdrängt und seit der industriellen Spinnerei von Garn und Zwirn bezeichnet die Spindel bloß noch ein rotierendes Maschinenbauteil. Allerdings hat in einigen unterentwickelten Regionen, zur Freude der digitalfotografierenden Touristen, die Handspindel als Werkzeug zur Textilherstellung die industriellen Revolutionen überlebt.

Spindelgleiche Lebewesen sind im 19. Jh. und in der deutschsprachigen Literatur häufig anzutreffen: Friedrich Rückert (1788-1866) dichtete orientalisch in „Die Makamen des Hariri“: „Da sahn wir ein altes Weib heranwanken wie im Schwindel, / hinter ihr ein Kindergesindel, / jedes dünn wie eine Spinne und schmächtig wie eine Spindel, / ...“ Nicht aus Bagdad, sondern „Aus Mehemed Ali’s Reich“ (1844) berichtete Hermann Fürst von Pückler-Muskau (1785-1871): „Auch war alles Vieh, was uns in dieser Oase zu Gesicht kam, durchgängig spindeldürr und von der elendesten Beschaffenheit.“ In Karl Leberecht Immermanns (1796-1840) Roman „Münchhausen“ (1839) war es wenigstens „ein spindeldürrer Mensch“, der „auf der Landstraße hin und her wankte, ...“

Fortschritte in der Ernährungslage einiger Franzosen erkannte Heinrich Heine (1797-1856) in „Deutschland. Ein Wintermärchen“ (1844): „Ach Gott! die Ritter sind immer noch hier, / Und manche dieser Gäuche, / Die spindeldürre gekommen ins Land, / Die haben jetzt dicke Bäuche.“

Apropos Ritter und Dickmacher: In Karl Gutzkows (1811-1878) Roman „Die Ritter vom Geiste“ (1850/51) findet sich eine Art Model-Abstammungskunde inklusive Hiobsbotschaft [siehe Episode 7]: „Sie hat’s von der Mutter! Die schlanke Taille ist von mir; ich bin mager, spindeldürr. Aber eine Taille muß sein wie bei einer Wespe. Die Neigung zu compakteren Formen kommt erst in spätern Jahren ...“

Für ein Möchtegern-Mannequin nützt es infolgedessen gar nichts, den Finger in den Hals zu stecken: die dünn gesäte Wespentaille ist genetisch bedingt und Hungerei in Kombination mit Kotzerei einfach nur bedrohlich. Gefährlich wie der Geiz beim Essen ist die übertriebene Sparsamkeit beim Säen, dem Ausstreuen von Samen, damit daraus etwas Gedeihliches erwachse. Das infolge des Dünnsäens dünn stehende Getreide ist das beste Beispiel, dass Geiz mittel- bis langfristig ziemlich ungeil ist!

Im übertragenen Sinn ist dünn gesät, was selten vorkommt, sich nur vereinzelt findet, was rar ist. Oft wird mit der Wendung ein Bedauern ausgedrückt und daher bisweilen ein „leider“ ergänzt. Leider dünn gesät sind die Quellen zur Herkunft der Redensart; mutmaßlich ist sie seit Anfang des 16. Jahrhunderts gebräuchlich; wie so oft soll Martin Luther (1483-1546) ein Vorreiter gewesen sein: überliefert sind seine Klagen, dass Schäflein, die Gottes Wort gerne hören, „gar dünne geseet“ seien und so ein Überangebot an „falschen Christen“ zu verzeichnen sei. In der Literatur der nächsten Jahrhunderte folgten diverse Behauptungen, was alles defizitär sei, welche Charaktereigenschaften und Begabungen akut fehlten: Um 1676 meinte der barocke Samuel von Butschky und Rutinfeld (1612-1678): „frohme Weiber und gutte Freunde, seyn dünne gesäet.“ Und Anfang des 19. Jahrhunderts erkannte Jean Paul in der „Vorschule der Ästhetik“ (1804): „Schon an sich sind Ehemänner dünn gesäet, ...“

Das übergeordnete chronische Problem wurde in Karl Simrocks (1802-1876) „Schildbürger“-Ausgabe angesprochen: „Denn die weisen Leute waren (...) gar dünn gesäet ...“ Und schon in Schilda fiel auf, dass „ein Jeder, und gemeinlich die größten Thoren und Narren, weise sein und für klug gehalten werden will.“ Dabei wusste der Durchschnittsschildbürger wahrscheinlich noch nicht einmal, dass am Vorabend der Revolution „die deutschen Industriebezirke dünn gesät und weit verstreut“ waren, wie Friedrich Engels (1820-1895) in „Revolution und Konterrevolution in Deutschland“ (1851/52) aufklärte.

Lange zuvor hatte Adolph Freiherr Knigge (1752-1796) bereits auf Tugenddefizite bei den Blaublütigen [siehe Episode 47] hingewiesen; in seinem vermeintlichen Benimm-Klassiker „Über den Umgang mit Menschen“ (1788) stellte er bezüglich der Wohltäter fest: „es gibt deren selbst unter Fürsten – aber sie sind dünne gesäet, ...“, und zeigte zugleich auf, dass Ignorantentum und Manipulationen schon im 18. Jh. die Mainstream-Medien kennzeichneten: „und nicht immer macht der allgemeine Ruf sie uns bekannt. Auf diesen und auf die Posaunen der Zeitungsschreiber und Journalisten rate ich, nicht zu sehr zu bauen.“

Auf diese Blechbläser sollte man auch nicht zu sehr bei Revolutionen bauen; es war schon längst wieder Feudalzeit, als Heinrich Seidel (1842-1906) im Gedicht „Die Musik der armen Leute“ ein träumerisches Unterschichtsmädchen, das anscheinend zu viele Frauenromane konsumiert hatte, bei Leierkastenmusik seufzen lässt: „Die edlen Grafen sind dünn gesät!“

Soweit sind wir heute schon wieder (oder immer noch?), tatsächlich steht „Über den Umgang mit den Großen der Erde, mit Fürsten, Vornehmen und Reichen“ erneut (oder immer noch?) auf dem Seminarplan! Wobei nicht nur Unterschichtsmädchen von Modelkarriere, Rotem Teppich, unermesslichem Reichtum, Monarchie und Prinzessinnen-Dasein träumen. Heutzutage ist alles, was Denken (statt Fühlen), Qualität (statt Quantität), Lesen und Schreiben (statt Glotzen und Quatschen), Intellekt (statt Sport) angeht, dünn gesät – und zugegebenermaßen auch völlig überflüssig, um eine profitable Karriere zu verbrechen; Hirn scheint da nur unnötiger Ballast, quasi ein (moralisches) Handikap zu sein, falls man lediglich einen Batzen Geld [siehe Episode 17] heranschaffen will!

Jedoch ist es nicht nur der klassische Lottospieler aus der unteren Mittelschicht, der kontinuierlich davon träumt, sich die/eine Sache ganz leicht zu machen – selbstverständlich bei horrender „Bezahlung“. Sämtliche Ökonomen unter den werktätigen Kleingeistern sagen sich: wenn schon die Hände schmutzig machen, dann das Brett bohren, wo es am dünnsten ist, kurz: Dünne bohren. Im Umkehrschluss mag der geschickte bis verschlagene Heimwerker nicht gern dicke Bretter oder hartes Holz bohren.

Für den gemeinen Dünnbrettbohrer kann das zu bohrende Material gar nicht dünn genug sein; er ist deshalb insbesondere in den Branchen vertreten, deren (Führungs-)Personal praktischerweise die Latte immer bei sich trägt [vgl. Episode 35]. Manch Kommerz-Milieu konstituiert sich gar vollständig aus diesen Bohrspezialisten, wie die trendige Medien- und PR-Branche oder die trendige Berater- und Analystenbranche. Obwohl genauso die Variante bekannt ist, in der das Brett durch „das Holz“ substituiert ist, hat sich der „Dünnholzbohrer“ nie etablieren können – selbst nicht in der trendigen PR-/Medienbranche und der trendigen Analysten-/Beraterbranche.

Entsprechende Defizite in Sachen (Arbeits-)Moral scheinen bei der Holzverarbeitung schon Anfang des 16. Jahrhunderts bekannt gewesen zu sein: So soll sich Martin Luther per überlieferter Tischrede bereits über die Verweigerung, dicke Bretter zu bohren, echauffiert haben und der Sprichwortsammler Sebastian Franck (1499-1542/43) stellte im Jahr 1541 fest: „Er bort nit gerne dicke Bretlin.“ In Gotthold Ephraim Lessings (1729-1781) „Hamburgischen Dramaturgie“ (1767) hört sich das schon wie ein moderner Karrieretipp in Zeiten schleichender Unlust und knapper Kassen an: „... unstreitig lassen sich auch so noch vortreffliche Stücke machen; und das Sprichwort sagt, bohre das Brett, wo es am dünnsten ist.“

Als guter Ökonom handle ich noch effizienter und stelle – nachdem ich ein vortreffliches Stück gemacht habe – das Bohren (für heute) einfach ein ...

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Redewendungen: Episoden 2007

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