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1. Die Verhaftung

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Gegen sieben Uhr wachte Georg v. Mallwitz auf. Neben ihm wurde auch seine Frau Olga unruhig. Er ging in die Küche und stellte die von Olga am Abend vorbereitete Kaffeemaschine an. Dann rasierte er sich trocken im Bad, denn nach dem morgendlichen Joggen, in seiner Jugend Dauerlauf genannt, würde er dazu zu sehr schwitzen. Er zog die Jalousien hoch, schaute in die Dämmerung, auf der Straße standen einige Wagen, einer von der Polizei. Es lag kein Schnee, es regnete nicht, das Thermometer zeigte drei Grad. Er entschied sich für Thermounterwäsche und zog den Trainingsanzug darüber. Um die Laufschuhe anzuziehen und die Schnürsenkel zu binden, setzte er sich auf die Bettkante, seit kurzem vermied er unnötiges Bücken.

Zu einem Schluck Kaffee und zum Frühsport kam es nicht mehr. Es klingelte, durch die Sprechanlage meldete sich die Polizei, auf dem Bildschirm der Videoüberwachung wurde ihm ein Durchsuchungsbefehl gezeigt. Er betätigte den elektrischen Türöffner. Der Druck nimmt zu. Galgenhumor macht sich breit. Umgekehrtes Matrjoschka-Prinzip, Untersuchungen beginnen am Rand, dringen Schritt für Schritt ins Innere des Konzerns, oder wie er sich selber nennt, des Hauses ElteX vor. Eine Flut von Prozessen steigt durch die Hierarchie. Jetzt hat sie mich erreicht, aber ich bin nicht unvorbereitet. Einige Leute drangen in den Flur ein, eine Frau stellte sich mit ihrem Namen und als Oberstaatsanwältin vor. Eine Dame, nein doch wohl eher eine Frau. Den Durchsuchungsbefehl und den Haftbefehl brauchte Georg nur zu überfliegen, nur der Zeitpunkt, nicht der Inhalt war überraschend: Bestechung im ausländischen geschäftlichen Wettbewerb und Untreue. Die vorgeschriebenen Formeln wurden gesagt, dann strömten die Leute durch das Haus, nur Bad und Schlafzimmer blieben unbesetzt bis Olga sich angezogen hatte. Man bat Olga und Georg ins Arbeitszimmer, ein Anführer wies sie auf die bei der Suche unvermeidbar entstehende Unordnung oder gar Beschädigung hin, diese könne aber umso geringer gehalten werden, je besserer Wille gezeigt würde. Zunächst nahmen sie den Computer und sämtliche Disketten. Olga protestierte wegen ihrer Dateien und emails: „Können die meine Manuskripte über Archäologie und Kunstgeschichte mitnehmen?“ Die Staatsanwältin versprach baldige Rückgabe, sobald erst alles für den Fall Wichtige gelesen und kopiert sei, das wurde auch eingehalten. Dann ging es an Papiernes, wobei sich eine gewisse Pedanterie bewährte, es gab separate Ordner für Familie, Haus und Handwerker sowie für das, was Georg das Offizielle nannte, also Berufliches, und das wurde eingepackt.

Im Wohnzimmer interessierte man sich für einen Schrank mit Photoalben und Dias. Es wurde alles mitgenommen, was Bezug auf Aufenthalte im Ausland, auf Reisen dahin und auf Besuche aus dem Ausland hatte. In den übrigen Zimmern und im Keller wurde nichts beschlagnahmt, aber auf dem Dachboden fand man einen Karton mit Taschenkalendern der vergangenen Jahre, er musste auch den aktuellen Kalender, alle Adressbücher und sein Handy abgeben. Dann wurde Mallwitz aufgefordert, für einige Tage zu packen. Selbst wenn es nur Tage dauert, eine kurze Reise wird das nicht. Was braucht man in einer Zelle? Das Sportzeug, Zeit für Gymnastik, Thermounterwäsche anbehalten, falls zu kalt, T-shirt, falls überheizt, Halstabletten, Nasenspray und Hautmilch, Sorgen, Neurodermitis. Zeit zum Nachdenken, dafür was zu lesen, was langes, vorsichtshalber, Tagebücher von Victor Klemperer, der war ja auch unter Druck, schon lange von Olga empfohlen.

Das beschlagnahmte Material wurde in Pappkartons verpackt, ein Beamter fertigte dabei eine Liste an, die Mallwitz prüfte, so gut er konnte. Dann quittierte er und gab das Doppel Olga. Die Kartons wurden in einen Lieferwagen geladen, er küsste Olga, die völlig gefasst blieb. Gut, dass wir vorher von einer solchen Möglichkeit geredet haben. Dann begleitete ihn die Staatsanwältin und ein Polizist in einen Zivilwagen, der sie ins Gefängnis brachte. Dort wurde er dem Haftrichter vorgeführt. Ermittelt würde wegen des dringenden Verdachts auf Bestechung im ausländischen Geschäftsverkehr sowie Untreue zum Nachteil von ElteX, sie verbesserte sich: des Hauses ElteX. Strafandrohung zwischen drei Monaten und drei Jahren Gefängnis und bis auf weiteres Untersuchungshaft wegen Verdunkelungsgefahr. Er dürfe sich einen Anwalt nehmen, wen wolle er? Bin durch Untersuchung und Verhaftung gezeichnet, ElteX hält Abstand , könnte mich sogar fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Aber die haben auch Angst, was weiß ich, wen könnte ich belasten? Also keine der Großkanzleien, die ElteX nahe stehen. Verwandtschaft? Eher geeignet für Ärger mit Handwerkern und ähnliches. Schon im Vorfeld an Christian Husmeyer gedacht, Schulkamerad, hat sich in mehreren Aufsehen erregenden Wirtschaftsstrafverfahren profiliert. Im allgemeinen rate er seinen Mandanten davon ab, zunächst einmal überhaupt etwas auszusagen, sagte er beim letzten Klassentreffen, vierzig Jahre nach dem Abitur. Das klang plausibel. Will weder mich, noch ohne Not andere belasten. Aber: Hatte der Anfänger Husmeyer nicht vor Jahrzehnten gespottet, Angeklagte mit Starverteidigern hätten einen Malus bei den Richtern?

Dann wurden seine Sachen durchsucht, die Nagelschere weggenommen, so etwas dürfe nur unter Aufsicht benutzt werden. Die Zelle erinnerte an ein Zimmer in einem ETAP-Hotel an einer Autobahn, in dem er einmal während eines Schneesturms übernachtet hatte, nur die Toilette war nicht separat, sondern hinter einem Sichtschutz, sodass der Kopf immer durch den Spion in der Tür sichtbar blieb. Auch insofern hatte er es besser als etwa Mandela auf Robben Island. Nimmst du dich nicht zu wichtig? Häftlinge sind teurer als Arbeitslose. Er hatte sich kaum eingerichtet, als er zum ersten Verhör geführt wurde.

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