Читать книгу Mein Leben mit dir hat bereits begonnen - Christine Schöpf - Страница 3

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„Hören Sie mir noch zu- Frau Lange…?“

Nelly drehte langsam den Kopf vom Fenster zu Herrn Dr. Schumacher, und so langsam wie sie den Kopf bewegte, so langsam tauchte sie auch wieder im hier und jetzt ein.

„Ja, nein, es tut mir leid, Herr Doktor. Könnten sie das bitte noch einmal wiederholen?“.

Der Arzt sah sie mitfühlend an, kam um den Schreibtisch auf sie zu und hockte sich vor sie, um ihre zusammen gepressten Hände in seine zu nehmen.

„Frau Lange, wie viele Stunden haben sie heute geschlafen?“

Die warmen Hände taten gut, aber die Nähe des Arztes und seine Fürsorge waren Nelly zu viel. Sie drückte ihren Rücken durch, setzte sich aufrecht auf ihren Stuhl und entzog ihm langsam ihre Hände.

„Wir haben alle nicht viel Schlaf bekommen…ich weiß es nicht, aber ich habe geschlafen…“

Sie versuchte ein Lächeln, aber sie merkte selber, dass es eher eine Grimasse wurde.

„Könnten Sie bitte Ihre letzten Sätze noch einmal wiederholen?“

Dr. Schumacher stand auf und lies sich mit einem Stöhnen in seinen Sessel fallen.

„Frau Lange, die Krankheit ist bereits schneller fortgeschritten als wir anfänglich für möglich gehalten haben. Es tut mir leid, aber wir rechnen leider mittlerweile nur noch mit einer Lebenserwartung von max. 3-4 Monaten. Ich weiß, dass sie nicht verheiratet sind und ich würde Ihnen deshalb empfehlen sehr zeitnah die notwendigen Unterlagen fertigzustellen.“

Herr Dr. Schumacher beugte sich über dem Schreibtisch zu Nelly hinüber.

„Ich hatte Ihnen die Unterlagen für die Patientenverfügung und die Anschrift des Spitals aus der Schweiz gegeben- sind Sie da schon weitergekommen, oder darf ich Ihnen hierbei helfen?“

Nelly nickte langsam mit dem Kopf, sie hatte bereits Kontakt mit dem Spital aufgenommen und man hatte ihnen einen Platz in Aussicht gestellt. Alle waren dort sehr freundlich gewesen und sie hatte nun weniger Angst dort hinzufahren.

„Ja, ich habe alles auf den Weg gebracht. Die Patientenverfügung ist nicht so einfach zu formulieren, aber in dem Spital haben sie geschultes Personal was uns helfen möchte. Die Sterbehilfe in der Schweiz ist gut organisiert. Trotzdem Danke für Ihr Hilfe.“

Nelly stand auf, „Kann ich das Rezept jetzt mitnehmen?“

Herr Dr. Schumacher reichte ihr das Rezept über den Schreibtisch.

„Sie können es unten in der Apotheke direkt einlösen. Ich hatte bereits heute Morgen, nach ihrem Anruf, in der Apotheke nebenan Bescheid gegeben, und es ist mit der 9 Uhr Lieferung mitgekommen. Sparen Sie damit nicht, er kann so viel davon nehmen wie er glaubt zu brauchen.“

Der Dr. hielt inne, er war sich nicht sicher, ob sein Gegenüber ihm überhaupt noch zuhörte.

„Frau Lange, ich werde morgen Mittag bei ihnen vorbeischauen.“

Er stand nun auch auf und reichte ihr die Hand.

„Ich sagte es Ihnen schon einmal, scheuen sie sich nicht mich auch nachts anzurufen, wenn sie Hilfe brauchen. Wie sie wissen, wohne ich nicht weit von ihnen entfernt und könnte innerhalb von 15 Minuten bei Ihnen sein.“

Er lächelte sie aufmunternd an und drückte fest ihre Hand zum Abschied.

„Danke Herr Doktor, vielleicht komme ich darauf zurück.“

„Frau Lange...,“ sie hatte bereits die Türklinke in der Hand und drehte sich noch einmal um,

„Frau Lange, bitte tun sie uns allen den Gefallen, und denken sie in dieser schweren Zeit auch mal an sich.“

Nelly schaute den Doktor etwas irritiert an: „Danke Herr Dr. Schumacher, das mache ich.“

Als sie vor die Tür trat fegte ihr ein kalter Wind ins Gesicht und sie hielt ihre Jacke fester zusammen. Die Apotheke lag direkt neben dem Ärztehaus und hätte sie die Medikamente für Benno nicht so dringend benötigt, wäre sie einfach die Straße immer weiter entlang gegangen ohne anzuhalten.

Sie liebte den Wind in ihren langen Haaren, wie er an ihrem Körper zog und schubste, ihre Wangen massierte und sie versuchte, wie ein Blatt über die Straße zu wehen.

,Mal an sich denken,‘ die Worte von dem Doktor gingen ihr durch den Kopf. Wann hatte sie das letzte Mal an sich gedacht? Nelly schüttelte den Kopf und blieb vor dem Schaufenster der Apotheke stehen und betrachtete ihr Spiegelbild, ohne sich aber wirklich wahrzunehmen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie das letzte Mal an sich gedachte hatte.

,Noch nie,‘ dachte Nelly und schalte sich sofort selbst in Gedanken.

,Herrgott noch mal, du Dramaqueen! Jetzt übertreib doch nicht wieder so maßlos.‘ Nelly schlang ihre Arme um sich, nicht nur weil sie in ihrem zu dünnen Mantel fror, sondern auch, weil sie sich so einsam und verloren fühlte.

,Was wäre passiert,‘ dachte Nelly, wenn ich mal an mich gedacht hätte, wenn ich mir mal nicht egal gewesen wäre?‘

Ihre Gedanken schweiften zu Benno.

Sie hatte Benno in der Oberstufe kennengelernt. Er war neu nach Düsseldorf gezogen und der Vertrauenslehrer hatte sie damals gebeten, Benno ein wenig in der Schule rumzuführen. Benno hatte ihr vom ersten Tag an den Hof gemacht und Nelly musste sich eingestehen, dass ihr das gefiel. Sie wurde noch nie zuvor umworben und ohne weiter darüber nachzudenken, was sie wirklich wollte und was das Leben noch für sie bereit hielt, wurde Benno ihr erster fester Freund. Nelly hatte sich nicht Hals über Kopf in Benno verliebt, so wie sie es aus Erzählungen von Freundinnen her kannte. Nelly war streng erzogen worden, und hatte sich nie für allzu wichtig gehalten oder gar etwas nur für sich gewollt, aber Benno gab ihr das Gefühl geliebt zu werden und das war ihr genug. Mehr hatte Nelly nicht gebraucht und gewollt.

Das war bereits 7 Jahren her. Beide hatten ihr Abi gemacht und Nelly hatte ihr Architekturstudium begonnen und Benno seine Bank Karriere gestartet. Sie hatten sich die Wohnung gekauft und sie waren zufrieden, eine Beziehung ohne Höhen und Tiefen. Benno hatte einen guten Job bei der Bank und Nelly hatte den Bachelor bereits in der Tasche und war jetzt im letzten Jahr zum Master.

Nelly hatte glaubt, dass es ihnen gut ginge.

Sie zog ihre Jacke noch fester an sich. Doch kurz vor Bennos Diagnose, hatte er sie mit seiner Arbeitskollegin Sandy aus der Bank betrogen.

,Der Name alleine, sagt doch schon alles,‘ dachte Nelly und spürte wie sich ihr Magen umdrehte und ihr Wasser im Munde zusammenlief, als würde sie sich jeden Moment übergeben müssen. Nelly schluckte die Flüssigkeit in ihrem Mund immer wieder runter.

,Entspann dich,‘ ermahnte sie sich selbst.

Das war jetzt knapp 3 Monate her, und damals hatte sie wirklich 2 tagelang gekotzt. Sie hatte geweint, geschrien und Benno in die Hölle gewünscht, sie hatte ihn wirklich verlassen wollen- sie war sowas von fertig mit ihm gewesen.

Benno versicherte ihr damals, dass dies ein Ausrutscher gewesen sei und bekniete sie, ihm zu verzeihen und ihn nicht zu verlassen- und in dieser Phase bekam er die Diagnose Krebs, Stadium IV, was so schön hieß wie Tumoren jeder Größe mit Metastasen in 1-4 Lymphknoten in der Umgebung mit Fern-Metastasen.

Danach war es gar keine Frage mehr für sie gewesen, ob sie ihn wirklich verlassen wollte. Sie hatten nie wieder über Sandy gesprochen und Nelly hatte niemanden von dem Seitensprung erzählt, das war plötzlich alles so unwichtig geworden, nun, wo sie wusste, das Benno sterben würde.

,Wo bitte schön, hätte ich denn da an mich denken sollen?‘, Nelly umfasste ihre Oberarme so stark, dass sie morgen bestimmt blaue Flecken dort haben würde. Sie hatte in den letzten Monaten abgenommen, was an sich nicht wirklich schlimm war, von Kleidergröße 44 auf 38 ist nicht lebensbedrohlich, aber durch die Gewichtsabnahme fühlte Nelly sich noch verletzlicher, verwundbarer und in ihren zu groß gewordenen Sachen noch verlorener.

Die Apothekerin kannte sie mittlerweile so gut, dass sie, ohne zu fragen das Medikament aus dem Hinterzimmer holte und wortlos die Tüte auf den Tresen stellte. Sie fragte Nelly schon lange nicht mehr wie es ihr ginge, und auch das Wetter war schon lange kein Thema mehr zwischen den beiden. Sie nahm das Rezept entgegen und reichte Nelly wortlos die Tüte mit dem Morphium. Die Apothekerin versuchte dennoch ein Lächeln - ein trauriges Lächeln, aber Nelly konnte es nicht erwidern.

„Danke“, sagte Nelly und verließ raschen Schrittes die Apotheke

Zuhause schloss sie leise die Wohnungstüre auf und lauschte. Es war still und sie konnte das Sauerstoffgerät monoton schnarren hören. Fast geräuschlos zog sie Schuhe und Mantel aus und steckte erst dann ihren Kopf durch die Schlafzimmertür.

Benno lag bleich, aber ruhig schlafend im Bett. Danach schaute sie ins Gästezimmer, Lina die Pflegerin lag quer und komplett bekleidet ebenfalls schlafend im Bett. Nelly musste lächeln, sie kannte Lina seit der Diagnose von Bennos Krankheit und sie war eine von drei Pflegekräften, die Benno und sie sich ausgesucht hatten.

Das Zimmer in dem Lina erschöpft schlief, war früher mal ihr Arbeitszimmer gewesen. Eigentlich hatte es nur Benno wirklich genutzt, aber er hatte darauf bestanden, dass auch sie dort einen Schreibtisch aufstellte. Beim Kauf der Wohnung hatte Nelly gehofft, dass dies einmal das Kinderzimmer werden würde, deshalb hatte sie auch über den fehlenden Balkon hinweggesehen. Doch nun war das angedachte Kinderzimmer, das Gästezimmer für das Pflegepersonal, Nelly schluckte.

Die Maklerin hatte ihnen damals auch die Hoffnung gemacht, dass über eine Balkonanlage im Hinterhof nachgedacht werden würden, aber tatsächlich wurde damals bei der Eigentümerversammlung gegen eine Balkonanlage und für eine Feuertreppe gestimmt. In dem Haus wohnten viele ältere Leute und die Fluchttreppe gab ihnen wohl das Gefühl der Sicherheit, sich bei Brand selbst retten zu können. Nelly hatte diese Logik nie verstanden, aber Sicherheit war ihren Nachbarn insgesamt sehr wichtig, deshalb hatten sie auch euphorisch eine Nachbarschaftswache gegründet.

Jede Wohneinheit hatte einen Pieper bekommen, den man, wenn man ihn nicht bei sich trug, neben seiner Wohnungseingangstür deponieren sollte. Sie hatte ihn noch nie benutzt, und hoffte, dass wenn sie ihn tatsächlich mal bräuchte, nicht die Batterie leer war.

Das wäre allerdings so typisch für sie.

Nelly stellte das Medikament aus der Tüte auf die Küchenanrichte zu all den anderen Medikamenten, und als sie die Tüte zusammenfalten wollte, spürte sie etwas kleines rundes hartes darin. In der Tüte befand sich ein kleiner Marienkäfer aus Holz, der auf einem vierblättrigen Kleeblatt geklebt war. Daran war ein Post-it befestigt mit der handgeschriebenen Nachricht: Ich wünsche Ihnen viel Kraft.

Nelly traten die Tränen in die Augen.

„Nelly?“, hörte sie Benno leise rufen.

Sie rieb sich die Augen trocken, während sie schon auf dem Weg zum Schlafzimmer war.

„Ich komme.“ Nelly ging zu dem Pflegebett und strich Benno das feuchte Haar von der Stirn und küsste ihn vorsichtig auf die Wange.

„Hast du geweint?“ fragte er und schaute ihr in die Augen.

„Habe ich dich geweckt?“, fragte Nelly statt einer Antwort.

„Nein, eigentlich nicht. Ich denke, es waren wohl eher die Schmerzen,“ Benno stöhnte auf.

„Könnte ich bitte etwas gegen diese Schmerzen bekommen?“

Nun musste Nelly tatsächlich lächeln, er war trotz der starken Schmerzen noch so höflich danach zu fragen. Sie würde wahrscheinlich schreiend und tobend die Medikamente einfordern und jeden zum Teufel wünschen, der ihr diese nicht binnen Sekunden verabreichte.

„Natürlich, du kannst so viel haben, wie du möchtest- auf Anweisung deines Arztes. Er kommt übrigens morgen Mittag vorbei, um nach dir zu schauen“.

Nelly ging in die Küche und packte die Infusion aus, warf einen kurzen Blick auf den Marienkäfer und brachte dann Benno das Morphium ins Schlafzimmer. Benno lag, mit vor Schmerzen zusammengekniffenen Augen, im Bett und sie beeilte sich die Infusion anzulegen. Zum Glück hatte Benno seinen neuen Port, so musste Nelly die Infusion nur an den Ständer hängen und ein paar Schläuche umstecken. Benno konnte sich anhand einer Handpumpe das Morphium normalerweise selbst dosieren, das aber übernahm Nelly jetzt für ihn und hörte erst auf zu drücken, als sich sein Gesicht entspannte.

Er murmelte noch ein „Danke...“ und glitt dann- wie Nelly wusste- in einen betäubenden Schlaf, der ihm die Schmerzen für kurze Zeit fast vollständig nehmen würde.

,Noch‘, dachte Nelly, den die Ärzte hatten ihnen bereits angekündigt, dass sie die Schmerzen irgendwann auch nicht mehr mit Schmerzmitteln in den Griff bekommen würden.

Nelly legte ihm die Handpumpe griffbereit an das Bett und legte sich dann auf ihre Liege, die mit in dem Schlafzimmer stand. Schon lange teilten sie sich nicht mehr ein Bett. Nach dem Seitensprung von Benno hatte Nelly angefangen im Wohnzimmer zu schlafen und danach, als Benno nachts Hilfe brauchte, hatte Nelly sich die Liege im Schlafzimmer aufgestellt und das Doppelbett war einem Pflegebett gewichen. Nellys Kopf berührte noch nicht das Kopfkissen, da war sie auch schon eingeschlafen.

Nelly wurde durch das Klingeln des Telefons wach und hörte dann Lina mit jemanden telefonieren. Sie reckte sich, und bemerkte, dass ihr ganzer Körper schmerzte.

,Ich hätte vielleicht doch nicht die preisgünstigste Liege nehmen sollen,‘ dachte Nelly und streckte sich erneut.

Nelly schaute auf die Uhr, und stellte verwundert fest, dass sie fast 5 Stunden geschlafen hatte. Sie reckte sich erneut und schaute zu Benno rüber, er hielt die Handpumpe in der Hand.

,Er hat sich wohl noch mal einen Nachschlag gegönnt‘, dachte Nelly müde. Dann stieg sie leise aus dem Bett und ging zu Lina rüber ins Wohnzimmer, die mittlerweile das Telefonat beendet hatte.

„Tut mir leid, dass ich erst so spät am Telefon war. Es war Herr Dr. Schumacher und er wollte nur an seinen morgigen Hausbesuch erinnern.“

Nelly runzelte die Stirn, es waren gerade mal ein paar Stunden her, das er ihr diesen Termin mitgeteilt hatte, sie hatte wohl einen noch verstören deren Eindruck hinterlassen als sie befürchtet hatte.

„Ich mache uns jetzt mal einen starken Kaffee und du gehst währenddessen duschen“. Lina drückte Nelly in Richtung Bad und zog selbst Richtung Küche ab.

Als Nelly wieder aus dem Bad kam roch sie bereits den Kaffeeduft. Benno schlief noch, jedoch wälzte er sich jetzt unruhig im Bett hin und her. Nelly zog sich leise einen Jogginganzug an und ging dann zu Lina in die Küche. Als sie sich gerade eine Tasse aus dem Schrank nahm klingelte es an der Türe. Sie erwartete niemanden und hatte auch keine Lust auf Besucher, aber Lina drückte bereits den Türöffner.

„Egal wer das ist, wimmle ihn ab. Benno schläft und ich bin nicht auf Besucher eingestellt“, Nelly zeigte mit der freien Hand an sich herab.

Lina nickte und ging bereits zur Tür.

„Oh, die Hanna!“, Lina stand an im Türrahmen und zog das Türblatt weiter zu.

„Heute ist kein besonders guter Tag für einen deiner spontan Besuche. Du hättest besser vorher mal anrufen sollen, denn du hast den Weg umsonst auf dich genommen“, hörte Nelly Lina sagen.

Ihre Stimme war nicht besonders freundlich, und man konnte die Genugtuung in ihrer Stimme hören. Lina konnte Hanna mit ihrer sehr, sagen wir mal, offenen und direkten Art nicht leiden. Hanna mochte man oder hasste sie, dachte Nelly und bei Lina war es definitiv das Zweite.

„Ich wusste nicht, dass es einen guten Zeitpunkt gibt um einen todkranken zu besuchen- und jetzt mach dich zur Seite.“

Nelly hörte noch Lina protestieren, aber da stand Hanna auch schon im Wohnzimmer- natürlich zog sie sich nicht die Schuhe vorher aus- das war Hanna- nie machte sie das, was man von ihr erwartete.

„Hallo meine Süße. Dein Wachhündchen wollte mich nicht reinlassen, und wenn ich mich dich so anschauen tut sie auch gut daran. Du siehst erschreckend aus- gibt es kein Makeup mehr in diesem Haushalt?“

Hanna nahm Nelly die Kaffeetasse aus der Hand, trank einen Schluck daraus und gab ihr diese mit einem angeekelten Gesichtsausdruck wieder zurück.

„Ich freue mich auch dich zu sehen“, sagte Nelly, grinste und holte aus der Küche eine weitere Tasse Kaffee.

Diesmal schwarz- und reichte sie Hanna.

„Was führt dich hierher und das auch noch so gut gelaunt“, fragte sie Hanna.

Diese ließ sich in den Sessel fallen und sah Nelly an. Lina setzte sich ebenfalls auf das Sofa und starte abwechselnd Hanna und Nelly an, man spürte förmlich, dass Lina sich nicht wohl fühlte. Hanna stellte ihren Kaffeebecher ab und stand wieder auf und nahm Nelly in den Arm.

„Du musst mal wieder unter Menschen! Du siehst wirklich scheiße aus. Ich weiß, dass du nicht möchtest und du müde bist und das Benno dich braucht, aber heute Abend gehst du mit mir aus, wir zwei hübschen,“ Hanna stockte, „also ich Hübsche und naja-du.“

Hanna grinste sie frech an und stand wieder auf. Hanna konnte nie lange sitzen bleiben.

„Wir sind eingeladen. Wir lassen uns volllaufen und vergessen alles um uns herum und sind einfach nur Nelly und Hanna.“

Hanna klopfte wie zur Motivation Nelly auf den Rücken: „Komm schon Nelly, wir lassen für ein paar Stunden einfach mal alles zurück und denken nur an uns“, und dann nahm sie Nelly in den Arm.

Nelly erwiderte die Umarmung, denn Hanna war eine der wenigen Personen, deren Nähe sie ertragen konnte. Hanna war kein gefühlsdusseliger Mensch, und es kam selten genug vor, dass sie mal jemanden in den Arm nahm.

Nelly erinnerte sich an die Worte von Bennos Arzt, und der Gedanken daran einfach mal Nelly zu sein und an sich zu denken, gefiel ihr aufrichtig. Sie nickte und befreite sich aus der Umarmung.

„Du hast recht- wo gehen wir hin?“.

Hanna blickte sie fassungslos an.

„Fuck, was hast du mit meiner Freundin Nelly gemacht?“

Hanna schaute Nelly ungläubig an,

„Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit dieser Antwort! Ich hatte mir schon Drohungen und Beleidigungen überlegt, wenn du wieder mit all dem Scheiß kommst, warum du nicht kannst.“

Hanna legte den Kopf zur Seite und schaute Nelly fragend an. „Was ist passiert, dass du so kampflos mitkommst?“.

Nelly zuckte mit den Schultern.

„Mein Akku ist komplett leer- ob ich hier todmüde zusammenbreche oder in irgendeinem Club- das ist mir gerade pups egal.“

Nelly drehte sich zu Lina um, die wohl auch nicht mit Nellys Antwort gerechnet hatte, denn sie sah Nelly überrascht an.

„Lina, bist du so lieb und wartest auf die Nachtschicht? Du müsstest mit Patrik nur die Übergabe machen. Du weißt, Telefonnummern und Medikamente – alles in der Küche.“

Plötzlich fühlte sich Nelly wieder hellwach.

„Natürlich bleibe ich noch so lange- hätte ich doch sowieso getan,“ murmelte Lina fast beleidigt.

„Aber meinst du nicht, etwas schlaf könnte dein Akku auch auffüllen?“, Lina schaute Nelly besorgt an.

So kannte sie Nelly nicht, sie konnte an einer Hand abzählen, wie Häufig Nelly ausgegangen war, seitdem sie sie kannte. Und dann auch nur zu Familienfeiern, aber nicht zu ihrem eigenen Spaß.

Unsicher schaute Nelly Hanna an, aber diese wischte mit der Hand durch die Luft, als würde sie diesen Unsinn wegwischen.

„So eine gequirlte Kacke! Nelly muss ihren Akku mit positiven Aktionen füllen. Es geht nicht nur darum den körperlichen Akku wieder aufzuladen, sondern vor allem auch den seelischen- und das Machen wir beide heute Abend. Los zieh dir was Heißes an, klatsch dir Makeup ins Gesicht und davon besser eine krasse Menge. Ich mache eine Flasche Sekt auf und quatsche solange mit Benno, bist du fertig bist“.

Ohne auf eine Antwort zu warten, ging sie in die Küche, öffnete den Kühlschrank und zauberte eine Flasche Sekt hervor. Nelly konnte sich gar nicht daran erinnern, dass sie noch eine Flasche Sekt im Kühlschrank gehabt hatte. Eigentlich trank sie viel lieber einen guten Osbourne 103 mit Eiswürfel, aber da war sie sich jetzt ganz sicher, dass sie den nicht im Hause hatte.

Sie ging ins Schlafzimmer und stand unentschlossen vor ihrem Kleiderschrank. Was sollte sie anziehen? Sie war solange nicht mehr aus gewesen, geschweige denn shoppen, sodass sie wirklich nicht wusste was sie anziehen sollte.

Benno bewegte sich und schlug die Augen auf.

„Hi, ist es okay für dich, wenn ich heute mit Hanna ausgehe?“, Nelly zögerte, „nur wenn das für dich wirklich okay geht, ich sage ihr sonst auch ab -kein Problem. Ehrlich. Ist vielleicht sowieso eine blöde Idee, ich habe eh Nichts zum Anziehen…“.

Noch ehe Benno antworten konnte, flog die Türe auf und Hanna stand, in beiden Händen mit einem Sektglas bewaffnete, im Türrahmen.

„Hallo mein todkranker Freund -wie ich sehe, lässt du dir mit dem Sterben echt Zeit“, sie ging einen Schritt auf ihn zu und küsste in seine Richtung.

Benno lächelte „Meine Freundin Hanna, wie man sie kennt und liebt. Nein, ich bin noch am Leben -mehr oder weniger- aber definitiv noch nicht tot“.

Er warf ihr eine Kusshand zurück.

„Siehst du Nelly, heute wird noch nicht gestorben, du kannst also aufhören nach Gründen zu suchen, um nicht mitzukommen“, sagte Hanna und hielt ihr eins der Sektgläser hin und prostete ihr zu.

„Dir muss ich wohl keinen Sekt anbieten, wie ich in der Küche gesehen habe, bevorzugst du die härteren Sachen“, Hanna lächelte Benno an und es war das erste echte Lächeln, dass sie am heutigen Tag zu sehen bekam.

Wie jedes Mal, wenn Benno und Hanna aufeinandertrafen, foppten sie sich so wie früher und man vergas, dass Benno wirklich todkrank war und seine Tage gezählt waren.

Bevor Nelly noch was sagen konnte, zum Beispiel dass sie tatsächlich nichts zum Anziehen hatte, saß Hanna bereits auf ihrer Liege und scherzte mit Benno über dies und das.

Nelly griff eine schwarze Hose, ein langes schwarzes Top und ein schwarzes Spitzen-Oberteil aus ihrem Schrank und ging sich im Bad umziehen. Im Bad konnte sie Benno lachen hören -fast so wie früher. Nelly musste sich zusammenreißen, um nicht laut los zu weinen. Sie riss sich zusammen, zog sich an und föhnte ihre Haare über der Rundbürste trocken. Danach legte sie etwas Makeup auf -aber kein Makeup der Welt könnte diese schwarzen Augenringe retuschieren -warum also erst den Versuch starten.

Nelly schaute in den Spiegel und was sie sah, gefiel ihr nicht wirklich -aber das Gesicht was sie jetzt im Spiegel anschaute, gefiel ihr besser als das fahle traurige Gesicht von vorhin und das musste für heute Abend reichen. Nelly stellte fest, dass ihr auch diese Hose etwas weit geworden war, sie musste wohl durch den ganzen Stress noch ein paar Kilo verloren haben. Nelly zuckte die Schultern, mit Gürtel wird es schon gehen‘, dachte sie.

Als sie aus dem Bad kam, hörte sie die beiden im Schlafzimmer immer noch miteinander lachen und da sie die beiden noch nicht stören wollte, ging sie in die Küche und sah Lina die Kaffeetassen spülen.

„Warum stellst du sie nicht einfach in die Geschirrspülmaschine?“.

„Ich wollte nicht im Wohnzimmer allein und nutzlos sitzen bleiben, außerdem kann ich beim Spülen besser denken“, antwortet Lina.

„Über was denkst du nach?“ fragte Nelly interessiert.

Lina schaute vom Spülen auf, sie hatte Tränen in den Augen: „Eigentlich hätte ich dir sagen sollen, dass du mal an dich denken sollst und dich mal wieder unter Leuten zeigst. Ich frage mich, warum ich es nicht getan habe“.

Nelly schüttelte leicht den Kopf: „Du hättest es mir sagen können, aber ich wäre nicht gegangen. Ich verstehe selbst nicht, warum ich ausgerechnet heute ausgehe. Mach dir keinen Kopf -es ist nicht deine Aufgabe auf mich aufzupassen -Benno ist dein Patient und das machst du klasse mit ihm. Danke dafür.“

Lina schaute wieder in ihr Spülwasser und spülte die Tasse zum gefühlten 10 Mal. Sie sagte nichts mehr und Nelly ging wieder ins Schlafzimmer.

„Du siehst klasse aus“, sagte Benno und versuchte ein Pfeifen als Nelly mit dem Sektglas in der Hand wieder im Schlafzimmer auftauchte. Sie ließ sich neben Hanna auf die Liege plumpsen und lächelte dankbar.

„Ich wünsche dir viel Spaß und mach dir keine Gedanken um mich. Patrick wird sich gut um mich kümmern.“

Benno zwinkerte ihr zu.

„Na dann los“, Hanna sprang auf und hielt Nelly beide Hände hin, um auch sie hochzuziehen.

Nelly trank ihr Glas schnell aus, stellte es auf ihr Nachttischchen, ergriff Hannas warme Hände und ließ sich von Hanna hochziehen. Nelly war wieder einmal über Hannas Kraft verwundert, mit welcher Leichtigkeit sie sie hochzog war verblüffend.

Nelly verabschiedete sich von Benno mit einem Kuss auf die Stirn und flüsterte in sein Ohr: „Wenn was ist, lässt du Patrick anrufen. Alle Nummern…“

„Ja, ja ich weiß –alle Nummern und Medikamente inklusive Einnahmeliste liegen in der Küche und hängen an der Pinnwand und liegen bei den Krankenunterlagen in der Schublade. Geh jetzt! Und Hanna, bring sie mir betrunken, gut gelaunt und gesund wieder.“

„Darauf kannst du einen lassen“, Hanna warf Benno zum Abschied einen Luftkuss zu und schob dabei Nelly vor sich aus dem Schlafzimmer.

„Und nicht vergessen -heute wird nicht gestorben“, Hanna zwinkerte Benno zu und kurz darauf waren die Beiden schon aus der Wohnung und zogen die Türe hinter sich zu.

Mein Leben mit dir hat bereits begonnen

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