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Der Pastor von Düwelsdorf

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Der kleine Ort Düwelsdorf lag irgendwo zwischen den beiden Meeren, hoch oben im Norden des Landes, eingebettet in die Hügel der letzten Eiszeit. Der Krieg war vorbei, das Dorf hatte keine nennenswerten Schäden davongetragen.

»Es hat auch seine Vorteile, nur ein unbedeutender Klecks auf der Landkarte zu sein«, pflegte Karl Brammer, der Bürgermeister des Dorfes, oft zu sagen. Damit nahm er seinen politischen Feinden, die sich oft genug über den mangelnden Fortschritt im Ort beschwerten, nur allzu gern den Wind aus den Segeln.

In Düwelsdorf waren wieder Ruhe und Frieden eingekehrt, seine Bewohner gingen ihrer täglichen Arbeit nach. Einer von Ihnen war Pastor Jan Heinrich Klaaspedder. Wie jeden Sonntag stand er vor dem Schrank und legte sein Ornat an, denn in einer halben Stunde würde er den sonntäglichen Gottesdienst abhalten. Er schätzte eine geordnete und saubere Amtstracht. Im Namen des Herrn konnte er schließlich nicht in einem schmutzigen Talar die Kanzel besteigen.

Mit einem letzten Blick in den Spiegel stellte er befriedigt fest, dass alles in bester Ordnung war. Der Faltenwurf des schwarzen Umhangs war perfekt, die Schuhe glänzten wie Speck. So durfte er sich vor seiner Gemeinde sehen lassen. Er trat vor die Tür des Häuschens, das unweit der Kirche dem Pastor dieser Gemeinde als Amtswohnung diente, sein Blick streifte die Bank neben der Haustür und erblasste. Da, natürlich, da lag er wieder, fein säuberlich auf einer alten Zeitung! Ein dicker, prächtiger Fisch, diesmal ein Karpfen.

Klaaspedder zog seine buschigen Augenbrauen zusammen, und über seiner Nase bildete sich eine steile Falte. Im Allgemeinen war das ein sicheres Zeichen dafür, dass den Herrn Pastor eine üble Laune angekommen war, und man ihm besser aus dem Weg ging. Auch Pastoren waren nur Menschen, die sich durchaus ärgern konnten und durften. Klaaspedder war klar, dass ein Pastor eigentlich Nachsicht mit seinen Schäfchen üben sollte, doch dieses eine Schaf, nämlich ein schwarzes, ärgerte ihn, seit er vor drei Jahren diese Gemeinde übernommen hatte.

»Pott!«, brüllte Klaaspedder. Der Küster Tobias Pott schlenderte um die Ecke des Häuschens. Schon am Tonfall hatte er erkannt, dass der Herr Pastor heute wieder in bester Stimmung und dazu aufgelegt war, der Gemeinde eine besonders gepfefferte Predigt zu halten. Darum blieb er in sicherem Abstand zu dem Geistlichen stehen.

»In der Kirche alles klar, Chef. Gibt es heute wieder Fisch?«

Klaaspedder seufzte.

»Pott, Sie sollen nicht immer Chef zu mir sagen. Jetzt nehmen Sie bitte den Karpfen von der Bank und tragen ihn in die Küche.«

»Klar, Chef!«, griente der Küster. »Oh, ein besonders prächtiger Spiegelkarpfen. Ich werde ihn „blau“ zubereiten lassen.«

Er nahm den prächtigen Fisch um ihn Klara, seiner Frau und Haushälterin im Pastorat, zu bringen.


Klaaspedder machte sich auf den Weg zur Kirche. Er seufzte erneut tief. Seine Gedanken wanderten zu »seinem schwarzen Schaf«. Wieder und wieder hatte er es angesprochen und gebeten, sich doch sonntags, wie alle anderen Gemeindemitglieder, zum Gottesdienst in der Kirche einzufinden. Erst vorgestern hatte Peter Petersen zu diesem Ansinnen wieder einmal nur den Kopf geschüttelt.

»Herr Pastor, auch Ihre Vorgänger im Amt haben es nicht fertig bekommen, mich in die Kirche zu lotsen«, hatte er geantwortet. »Warum sollte ich dann bei Ihnen eine Ausnahme machen?«

»Aber Petersen, ich kann mir nicht vorstellen, warum Sie Ihren Glauben leugnen. Oder glauben Sie nicht an Gott?«

»Oh doch, Herr Pastor!«, hatte Petersen versichert. »Aber wissen Sie, mir ist in der Kirche der liebe Gott noch nicht begegnet. Dafür treffe ich ihn draußen in der Natur ständig.«

»Am Angelteich, wollten Sie wohl sagen«, hatte Klaaspedder ihn gerügt.

»Ja, denn dort ist die Natur in ihrer ganzen Pracht und Vielfalt, Herr Pastor. Und wenn der Liebe Gott mir einen guten Fang beschert hat, so erinnere ich mich seiner Gebote und teile mit denen, die weniger haben als ich. Damit Sie mir deshalb nicht so Gram sind, Herr Pastor, erlaube ich mir, Ihnen hin und wieder auch mal einen schönen Fisch vorbeizubringen. Oder mögen Sie am Ende gar keinen Fisch?«

»Ähem, doch, schon! Aber trotzdem, Petersen, ich kann Sie nicht recht verstehen. Allerdings bin ich mir sicher, dass Sie eines Tages zu mir in den Gottesdienst kommen werden. Das schwöre ich bei der Bibel!«

»Bevor das passiert, Herr Pastor, werden Sie mich zum Angeln begleiten!«

»Niemals, Petersen! Niemals!«

»Herr Pastor, man soll nie „nie“ sagen.«

Mit diesen Worten hatte Petersen lächelnd seinen grünen Filz vom Kopf gelupft und war davongegangen.


Klaaspedders Gemüt brodelte vor sich hin, als er die Sakristei betrat. Er und angeln, pah! Solch frevelhaftes Tun lag ihm nicht, und er dachte gar nicht daran, sich selbst zu einem mordlüsternen Wesen zu machen, dass dem lieben Gott den Tag stahl, nur um seine niederen Instinkte zu befriedigen. Ungeduldig erwartete er das Ende des Glockengeläuts, das die Gläubigen in die Kirche rief. Mit gesenktem Haupt schritt er an seiner Gemeinde vorbei zum Altar und sprach das Gebet. Die Begrüßung fiel ein wenig knapp und frostig aus, was ihm die ungeteilte Aufmerksamkeit der Anwesenden sicherte. Der Herr Pastor überging heute das gewohnte Sonntagssingen, und kam stattdessen gleich zur Sache. Nachdem er die Kanzel erklommen hatte, ließ er seinen Blick grimmig über die vollzählig versammelte Gemeinde schweifen. Vollzählig? Nein! Einer fehlte natürlich, und das war Peter Petersen. Vergessen war die Predigt, die er gestern fein säuberlich zu Papier gebracht hatte. Die Seiten lagen vor ihm. Doch nein, heute brauchte er kein Papier, heute würde er frei sprechen. Er erhob seine kräftige Stimme, und sie hallte wider im Kirchenschiff wie Donner, als er seiner Gemeinde im Allgemeinen und den Anglern im Besonderen den Kopf wusch.

Die Häupter vieler gestandener Mannsbilder sanken beschämt herab, die Köpfe einiger Ehefrauen wandten sich einander zu und nickten bekräftigend.

»Siehste, der Herr Pastor sagt das auch«, meinten einige der braven Damen und fühlten sich in ihrer ganzen Abneigung in Sachen Angelei bestätigt. Für sie stand fest, dass es nunmehr angebracht sei, ganz andere Saiten ihren Männern gegenüber aufzuziehen. Es war an der Zeit, ihnen ordentlich den Marsch zu blasen, so wie es hier der Herr Pastor gerade tat. Die so lautstark gescholtenen Petrijünger wagten kaum ihren Seelsorger anzuschauen, und aus den Augenwinkeln erkannten sie die zufriedenen Mienen Ihrer besseren Hälften. Hilfe suchend irrte ihr Blick umher, um an den Mitgliedern des Vorstands hängen zu bleiben. Warum schritt von denen keiner ein?

Petri Heil, Herr Pastor

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