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|31|IRRTUM 4: Römer trugen immer eine Toga

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Die Toga gehört zum Römer wie der Lorbeerkranz zu Caesar, möchte man meinen. Romanos, rerum dominos gentemque togatam – „die Römer, die Herren der Welt, das Volk, das die Toga trägt”, so proklamierte es auch Vergil (Aeneis 1.282). Doch wer beispielsweise zur mittleren Kaiserzeit in Rom durch die Straßen lief, wird nicht viele Togen gesehen haben. Und traf man eine Frau, die mit einer Toga bekleidet war, so handelte es sich mit ziemlicher Sicherheit um eine Prostituierte. Die Welt der römischen Bekleidung war vielfältig, folgte aber dennoch, wie so viele andere Bereiche, einer Reihe mehr oder weniger strengen Regeln.

Natürlich gab es die Toga in großer Zahl, und sie wurde auch getragen. Aber es gab starke Einschränkungen – bei keinem anderen Kleidungsstück war so streng geregelt, wer es wann in welcher Form tragen durfte. Spätestens ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. stand die Toga ausschließlich Menschen zu, die das römische Bürgerrecht besaßen. Es gab für verschiedene Altersstufen, verschiedene Anlässe und Stände unterschiedliche Versionen der Toga: Die Basisversion war die toga virilis, die „Männer-Toga”, in schlichtem gedecktem Weiß ohne Verzierung. Hohe Beamte trugen die toga praetexta, die mit einem etwa 7 cm breiten Purpurstreifen versehen war, Ritter eine |32|Toga mit etwas schmaleren Purpurstreifen, und dem Kaiser war die komplett purpurne Toga vorbehalten. Knaben, die noch nicht das Mannesalter (in der Regel 16 Jahre) erreicht hatten, sowie noch nicht verheiratete Mädchen trugen eine kürzere Version der toga praetexta. Wer sich erst um ein öffentliches Amt bewarb, der ließ sich eine Toga in strahlendem Weiß umlegen, wie Isidor in seinen „Etymologien” schreibt (19.24.6): „Die mit Kreide geweißte toga candida trägt einer, der ein Magistratenamt anstrebt; die Kreide dient dazu, sie heller und auffälliger zu machen. Cicero betitelte eine Rede, die er gegen Mitbewerber hielt: ‚in der toga candida’.” Von dieser Bezeichnung stammt übrigens das Wort „Kandidat”. Eine dunkle Toga trug man bei Trauer oder als Angeklagter vor Gericht. Die Trauer-Toga war die toga pulla; es ist überliefert, dass anlässlich der Verbannung Ciceros der Senat beschloss, kollektiv die toga pulla zu tragen und so sein Missfallen gegen diese Entscheidung zur Schau zu stellen.

Die Toga war das Kleidungsstück, das man zu öffentlichen Anlässen anzog, sie diente dem Träger in erster Linie der Repräsentation. Das war auch insofern kein Wunder, bestand sie doch aus einem 4 bis 6 m langen und über 2 m breiten Stück Stoff – das warf man sich nicht einfach so über, sondern es bedurfte einiger Vorbereitung und Hilfe, die Toga anzulegen. In der Regel half ein Sklave dabei, und das Prozedere konnte gut und gerne eine halbe Stunde dauern, bis alles perfekt saß.

Die Stoffbahnen der Toga wurden im Laufe der römischen Geschichte immer länger, ihre Bedeutung aber sank. Ursprünglich hatten die Römer sie von den Etruskern übernommen, bei denen einiges darauf hindeutet, dass es dort in erster Linie die Matronen waren, die die Toga trugen, und erst in zweiter die Männer. Bis zur Herrschaft des Augustus um die Zeitenwende spielte die Toga in der Frauenmode keine Rolle mehr. Und auch das Interesse der Männer an diesem Kleidungsstück hatte stark nachgelassen. Augustus, der alles daran setzte, die „gute alte Zeit” wiederzubeleben und alle neuen Moden verdammte, war das ein echter Dorn im Auge. Er ordnete |33|an, dass jeder römische Bürger die Toga tragen musste, wenn er das Forum oder den Circus Maximus betrat – die Notwendigkeit eines solchen Dekrets beweist im Umkehrschluss, wie sehr die Toga bereits an Bedeutung verloren hatte, als er an die Macht kam. Und für die Jahrhunderte nach ihm wissen wir, dass diese forcierte Renaissance der Toga auch nur vorübergehender Natur war. Spätestens als alle Bewohner des Imperiums im 3. Jahrhundert n. Chr. das römische Bürgerrecht erhielten, konnte man sich nicht mehr mit der Toga vom Nicht-Römer abheben, und es machte sich kaum noch jemand die Mühe, sich das unpraktische Tuch umzulegen. Wenn man eine Analogie zu unserer modernen Herrenoberbekleidung sucht, könnte man sagen: Die Tunika war Jeans und T-Shirt und die Toga der schicke Anzug, der immer mehr in Richtung Smoking tendierte – auch was die Häufigkeit seiner Verwendung anging. Die Toga nicht tragen zu dürfen, galt indes auch in der mittleren Kaiserzeit als Strafe, wie wir aus einer Bemerkung bei Plinius d. J. schließen (4.11.3): „Selbiger hätte auch in einem griechischen Mantel eintreten können – schließlich ist die Toga denjenigen verwehrt, denen Wasser und Feuer verboten sind.” Dass jemandem der Zugang zu Wasser und Feuer verwehrt war, war ein Synonym dafür, dass jemand per Gerichtsbeschluss aus Rom verbannt worden war.

Auch Soldaten trugen keine Toga – sie galt als Zeichen des Friedens –, sondern eine Tunika und einen Militärumhang, die chlamys, sowie einen speziellen Gürtel. Nur Unterarmschoner, wie in den meisten Sandalenfilmen zu sehen, trugen die römischen Soldaten nicht (siehe Kap. 7). Ab der Regierungszeit des Kaisers Diokletian, Ende des 3. Jahrhunderts, ging die Zahl derer, die in der Öffentlichkeit die Toga trugen, noch einmal zurück: Diokletian machte die Soldatenkleidung für alle Bediensteten des Kaisers bei öffentlichen Auftritten obligatorisch. Übrigens war die römische Militärkleidung, anders als man vielleicht annehmen mag, erstaunlich farbenfroh.

Ansonsten trug ein Mann, der keine Toga anzog, lediglich die Tunika. Das war ein einfaches Unterkleid mit zusammengenähten Seiten und Löchern für Kopf und Arme oder mit Ärmeln, das am |34|Bauch gegürtet wurde und im Grunde genommen eine Kopie des griechischen Chiton darstellte. So bekleidet lief der gemeine Römer normalerweise in den eigenen vier Wänden herum. Die Tuniken unterschieden sich, wie auch die Togen, in der Güte des Stoffs, der zu ihrer Herstellung verwendet wurde – das war vor allem eine Frage der finanziellen Mittel. Für Sklaven, Nicht-Bürger und eben auch römische Bürger, vor allem Plebejer, die gerade keiner offiziellen Funktion nachgingen, war die Tunika die ganz normale Straßenkleidung. Übrigens gab es auch hier wieder verschiedene Versionen: Beamte trugen die tunica augusticlavia (wie der Name schon sagt: mit schmalen Purpurstreifen) und Senatoren die tunica laticlavia (mit breiten Purpurstreifen).

Dabei war das Praktische an der Tunika natürlich genau das, was sie von der Toga unterschied, aber eben auch unterscheiden sollte: In der Tunika konnte man nämlich körperliche Arbeit verrichten – in der Toga war man nicht einmal in der Lage, sich schnell fortzubewegen. Sehr bezeichnend ist in diesem Zusammenhang eine Anekdote aus der Frühzeit der römischen Republik, die Livius über Lucius Quinctius Cincinnatus erzählt, der 458 v. Chr. vom Senat zum Diktator ernannt wurde. Darin besucht ihn die Abordnung des Senats, die ihm mitteilt, für welches wichtige Amt er auserkoren wurde (3.26.7ff.): „Lucius Quinctius, die einzige Hoffnung des römischen Volkes, bewirtschaftete einen Bauernhof … Ob er sich nun gerade auf eine Harke stützte oder einen Graben aushub, auf jeden Fall war er mit einer ländlichen Arbeit beschäftigt, als es an die gegenseitigen Begrüßungen ging. Die Boten wiesen ihn daraufhin an, sich ordentlich anzuziehen, um die Order des Senats entgegenzunehmen … Er befahl seiner Frau Racilia, schnell seine Toga aus dem Haus zu holen. Erst als er diese angezogen hatte und sich Staub und Schweiß abgewischt hatte, gratulierten ihm die Boten und erklärten ihn gemeinsam zum Diktator und teilten ihm mit, er solle nach Rom kommen.” Man sieht: Zu einer Zeit, als in der Politik noch Menschen tätig waren, die tatsächlich körperliche Arbeit verrichteten, wurde die Toga umgelegt, und sofort verwandelte sich der Bauer in einen |35|Staatsmann. Und nur Letzterem durften die Boten ihre Nachricht überbringen. So diente die Toga von vornherein dazu, klarzustellen: du unten, ich oben.

Die einzigen Frauen, die in der Kaiserzeit die Toga trugen, waren, wie eingangs erwähnt, Prostituierte. Es gibt auch Hinweise darauf, dass wegen Ehebruchs verurteilte Frauen die Toga tragen durften oder mussten – offenbar aber, wie die Prostituierten, keine weiße Toga, sondern eine ein- oder mehrfarbige, vielleicht auch einfach nur eine dunkle; die entsprechende Bemerkung bei Seneca ist nicht ganz eindeutig. Bei den Ehebrecherinnen wird dieses Gesetz zum Ziel gehabt haben, sie auf eine Stufe mit den Prostituierten zu stellen. Dass aber ausgerechnet jene in der Kaiserzeit (eventuell auch schon früher) das männlichste aller Kleidungsstücke trugen, hat zu vielen Spekulationen Anlass gegeben, auch im Hinblick auf die Genderfrage. Denn es ist gut belegt, dass es parallel auch diverse andere Kleidungsstücke gab, die Prostituierte trugen, mitunter boten sie ihre Dienste in den dunklen Gassen des römischen Rotlichtviertels auch ganz nackt an.

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