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Prolog

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Es gab noch keine Schnurlostelefone. Lediglich Behörden, wohlhabende Haushalte und einige größere Unternehmen verfügten über einen leitungsgebundenen Telefonapparat, der über Nummernschaltern zu bedienen war. Die analogen Geräte kamen klobig daher, nicht selten diente der robuste Hörer als Mordwaffe. Rauschen und Leitungsunterbrechungen gehörten zur Tagesordnung. Für die sichere Übertragung von Botschaften nutzte man lieber den eigenen Bewegungsdrang oder getrocknete Tinte und die gelbbraunen Blechkästen mit Schlitz zum Einwerfen. Brieftauben sah man selten, ihre Exkremente dagegen häufiger.

Es gab auch noch keine Fernsehgeräte. Flächendeckende Rundfunkempfänger fluteten erst nach und nach die Haushalte, die sich an den kurzweiligen Unterhaltungssendungen oder den politischen und wirtschaftlichen Neuigkeiten auf der Kurzwelle erfreuen konnten. Beschaffungskosten und Hörlizenzen strapazierten allerdings die gebeutelte Mittelschicht, die zur prosperierenden Oberschicht aufschließen wollte. Den meisten Menschen blieb deshalb der Zugang zu diesem Medium verwehrt. Wieder sollte getrocknete Tinte die erste Anlaufstelle für tagesaktuelle Informationen sein. Zu erwerben an vielen Straßenecken, meistens von laut schreienden, aufdringlichen Kindern, die sich und ihrer Familie ein Zubrot verdienen mussten. Oftmals kaufte man die Ausgabe vom Vortag. In Kaffeestuben fand man dann die neueste Zeitung, durch eine Schnur am Inventar gesichert, mit abgegriffenen, teils verklebten Seiten.

Abhörsysteme beschränkten sich auf den menschlichen Gehörgang, der zwischen Tür und Angel Wortfetzen zu einem Ganzen formen wollte, wodurch Anschuldigungen und Geständnisse zum Vorschein kamen, die unbescholtene Leute in Bedrängnis brachten. Einzig um der Presse einen Sündenbock zu liefern.

Kameraüberwachung im öffentlichen Raum war undenkbar. Nicht weil ein moralisch-ethischer Grundsatz den Einsatz verweigerte oder Bürgerprotest das Glasauge dämonisierte. Sondern weil die Filmkamera einzig für stumme Darbietungen vor dem rasant wachsenden Publikum herhielt, niemand aber die Endlosaufzeichnung vom Stadtleben und, im Zuge dessen, die mögliche Aufklärung von Straftaten im Sinn hatte. Die Euphorie der bewegten, stummen Kunst in Schwarzweiß blieb den Besuchern der Filmtheater vorbehalten. Eine Installation von Kameras beschränkte sich auf die Stative der Filmschaffenden, die nur sehr selten außerhalb ihrer Produktionsstudios drehten, da die unhandlichen Konstruktionen einiges an Gewicht auf die Waage brachten. Ersatz kostete Unsummen, gefährdete sogar die Existenz einiger Visualisierungskünstler.

Erdumrundende Satelliten, anhand derer Daten man Standorte bestimmen und Bewegungsprofile erstellen konnte, kamen einzig in den abwegigen Fantasien belächelter Pioniere vor, die im Stillen selbst an ihren abstrusen Gedanken zweifelten und im selben Atemzug die nahende Apokalypse prophezeiten.

Professionelle Obduktionen im Leichenhaus klinischer Fakultäten suchte man vergeblich. Ein Bereitschaftsarzt verdiente sich etwas dazu, wenn er der Polizei eine Leiche sezierte. Den vollständigen Bericht konnte ohnehin kein Nichtmediziner entschlüsseln. Einige wenige ambitionierte Karrierekonstabler rühmten sich damit, aus den akademischen Hieroglyphen herauszulesen, was der Pathologe gemeint habe, aber letztlich schaute jeder nur auf die Bemerkung über die allgemeine Todesursache: natürlich oder unnatürlich. Kreislauf des Lebens oder mögliches Verbrechen. Auch kannte man Fingerabdrücke, Speichelproben oder zielgerichtete Bluttests noch nicht. DNA war für den Großteil der Bevölkerung das Akronym für Deutscher Normenausschuß und nicht das englische Kürzel für Desoxyribonukleinsäure: die Trägerin der Erbinformation und der genetische Fingerabdruck, der einige Dekaden später tausende Verbrechen aufklären sollte.

Statt digitalisierter Datenbanken, die dank hochkomplexer Algorithmen das nächste Delikt vorausberechnen konnten, mussten hartnäckige Ermittler mit, dem Verfall ausgesetzten, Karteikarten vorliebnehmen, die im besten Falle Name, Adresse, bekannte Vorstrafen und Foto des Verdächtigen beinhalteten. Die Qualität der Polizeifotos war zumeist schlechter als das gezeichnete Fahndungsbild, das oft als Ersatz herhalten musste. Wenn man Glück hatte, stimmten Adresse und Foto noch. Das Vorstrafenregister glänzte selten mit Vollständigkeit.

Zeugen meldeten sich nur spärlich bei den Behörden, weil man Angst vor Verleumdung seitens der Nachbarschaft hatte. Die Polypen genossen nicht den besten Ruf. Die wenigen Zeugenaussagen waren meist kaum verwertbar, da es zu Übertreibungen und Ausschmückungen kam, die geisterhafte Erscheinungen oder sonstige übernatürliche Phänomene in ein lückenhaftes Lügengebilde integrierten. Viele Verbrechen blieben auch unaufgeklärt, weil es weder Opfer, noch Tatort, noch Anzeige gab. Die daraus resultierende Dunkelziffer versetzte Statistiker in blankes Entsetzen.

Die Beweissicherung steckte in den Kinderschuhen. Der Ort der Straftat war oftmals schnell verwüstet. Schaulustige, die sich am Leid anderer ergötzten. Journalisten, die für jeden Zeitungsartikel Geld abstauben konnten - je kruder und detailreicher, desto erträglicher. Schutzpolizisten, die vorgenannte hinter die gedachte Absperrung drängten, um daraufhin selbst erst einmal die Umgebung zu erkunden.

Auf frischer Tat lautete die Devise. Schüsse und Schreie hallten ab und zu durch die Straßen. Wurde die Tat von exekutiven Trillerpfeifen angekündigt, bejubelt oder verurteilt, konnte man damit rechnen, dass präsente Polizeipatrouillen den oder die Täter festzusetzen gedachten. Ansonsten glich die Stadt einem löchrigen Pulverfass. Die einzelnen Schwarzpulververluste entzündeten sich energisch, verpufften jedoch genauso schnell wieder. Hier dämmte die Schutzpolizei ein, uniformiert unterwegs. Dort kämpfte die Kriminalpolizei gegen die Austrittslöcher, mit weniger Kollektiv, sondern eher kognitiv. Es musste verhindert werden, dass die einzelnen Schwarzpulverspuren in brennendem Zustand zurück zu ihrem explosiven Mutterschiff wanderten.

Tötungsdelikte mit geräuschlosen Utensilien erforderten die lauten Rufe von Umstehenden, um das flotte Eingreifen der Schutzmänner zu gewährleisten, was dem Ermittlungserfolg zuträglich war. Andernfalls fischten die Beamten des Öfteren im Trüben. Dann verfolgten sie die Methodik von Köder und Streuung. So viel Appetithäppchen wie möglich auf den größtmöglichen Radius verteilen und warten, bis der nervöseste Fisch anbeißt.

Angesichts der Untätigkeit der Kriminalisten bestanden nicht unerhebliche Unterschiede zur Schutztruppe, die präventiv und aktiv agierte, bei Wind und Wetter, gegen zuschlagende Diebe und räuberische Gewalttäter. Die Kriminalisten, dagegen, konnten nur herumsitzen und warten, bis der getretene Hund bellte oder der morgendliche Hahn krähte, ferner das Telefon klingelte. Ein regelrechter Graben entfaltete sich zwischen den beiden Polizeigattungen. Die uniformierten Männer der Schutzpolizei, der Schupo, hatten nicht selten Vorbehalte gegen die im feinen Zwirn auf ihren Ärschen hockenden Schaumschläger der Kriminalpolizei, der Kripo.

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