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Der Überfall

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Der Wald war nun dunkel. Dabei handelte es sich nicht nur um die übliche Dunkelheit, sondern er war stockfinster. Dyako und die Frau konnten kaum die Umrisse erkennen. Selbst der Mond schaffte es nicht mit seinem Licht für eine klare Sicht zu sorgen, denn die Bäume verschlangen alles und ließen nur Finsternis übrig. Irgendwann hatte er entschieden mit der Frau in einer langsamen Geschwindigkeit voranzuschreiten. Er konnte ihr am besten helfen, wenn sie daheim bei ihm waren.

Es benötigte einige Zeit bis sie an das Ende des Waldes gelangten. Erstaunlicherweise fanden sie überhaupt dort hin. Dyako schrieb es dem puren Zufall zu. Blind und ohne Orientierung aus diesem tiefdüsteren Wald hinauszugelangen und bisher nicht einmal ein gefährliches Tier, geschwiege denn einen Räuber angetroffen zu haben, grenzte reines Glück. Dieser Umstand hatte nichts mit Logik zu tun.

Dyako wusste nicht einmal mehr wie lange sie unterwegs waren. Er hatte die Zeit völlig vergessen. Es musste Nacht sein, das war klar. Gefunden hatte er einen Ausweg, weil sich an einer Stelle der Mondschein zwischen dem dichten Geäst durchkämpfte.

Als sie den Wald verließen, konnten sie etwas mehr erblicken, da der wolkenfreie Himmel den Mond erstrahlen ließ. Dyako hatte nun Gewissheit, dass die Frau splitternackt im Wald gelegen hatte, denn das Kleidungsstück, welches er ihr gegeben hatte, zeigte einige Lichtblicke.

Sie sah jung aus und war zierlich. Dyako hatte die Vorstellung, dass sie Opfer einer Vergewaltigung gewesen sein musste. Und es widerte ihn an. Wie konnte Menschen, nein Männer Frauen so etwas antun? Wenn er es könnte, würde er für Gerechtigkeit sorgen.

Dyakos Gedanken wurden jäh unterbrochen, da die Fremde anhielt. Er blickte sie an und erkannte, dass sie nach vorne starrte. Schnell ging sein Blick in dieselbe Richtung. Dort standen drei Männer in finsterer Gestalt. In diesem Moment bekam Dyako einen dicken Kloß im Hals, denn er wusste, was das für Typen waren. Und dabei waren sie doch gerade der Finsternis des Waldes entkommen. Dyako hatte sich in Sicherheit gewogen und das war ein Fehler.

„Na, des Nachts noch so spät unterwegs?“ fragte der eine und man hörte, dass er mindestens angetrunken war, so wie er lallte.

„Hat der Opa sein kleines Luder gefunden?“ fragte ein zweiter und auch er wirkte betrunken.

Er machte ein paar Schritte auf Dyako und die Unbekannte zu und blieb dann stehen. Dann zückte er eine Waffe und richtete sie auf Dyako. Es schien eine Pistole zu sein. Er schwankte. Seine beiden Kumpanen gesellten sich zu ihm.

„Ich will, dass die kleine Schlampe zu mir kommt und mir einen bläst“, verlangte er, „Opa, du kannst einfach gehen. Ich habe heute meinen Gnädigen.“

„Wir tun dir nichts und verfolgen dich auch nicht“, ergänzte ein anderer und lachte dreckig.

Dabei war beiden klar, dass dies verlogene und brutale Räuber waren, die nichts Gutes im Schilde führten und Dyako niemals gehen lassen würden, wobei die Flucht auch keine Option für Dyako darstelle.

Die Frau schaute zu ihm. Dyako schüttelte den Kopf, um deutlich zu machen, dass er jetzt nicht verschwinden werde, um seine eigene Haut zu retten. Er würde es sein Leben lang mit sich herumtragen und daran gedanklich zu Grunde gehen. Zumal er nicht daran glaubte, dass er hier lebend herauskam.

Was sollte ein alter Mann und eine junge, nackte Frau ausrichten können? Zwar waren die Halunken angetrunken, aber verfügten immer noch über Pistolen, was sie sehr gefährlich machte. Alkohol machte zudem übermütig. Dyako wusste dies durch seine jahrelange Abhängigkeit.

„Ich werde bleiben“, sagte Dyako und zitterte am ganzen Körper.

Er wusste, dass auch sein Verbleib ein Fehler war, denn die Männer würden ihn töten, um an sie heranzukommen. Aber er wollte lieber als mutiger alter Mann sterben als ein lebender Feigling zu sein. Dann wäre Grund ein ehrenwerter gewesen und eben kein Freitod, der feige war. Auf diese Weise könnte er im Jenseits auf seine geliebte Frau treffen und ihr ins Gesicht schauen.

„Dann wirst du sterben“, verdeutlichte der Typ mit der Waffe in der Hand und bestätigte damit Dyakos Vermutung.

„Das ist mir bewusst“, meinte Dyako und zitterte mehr und mehr.

„Es ändert nichts daran, dass wir drei die kleine Schlampe gleich so richtig hart durchnehmen“, sagte ein weiterer, „du kannst uns nicht aufhalten.“

Dyako war all dies klar und dennoch ging er nicht von der Stelle. Er wollte sie retten, vielleicht als Ersatz dafür, dass er seine Frau nicht retten konnte. Vielleicht auch, weil sie alleine war und hilflos. Er würde sich opfern. Dann schaute er sie an und rief:

„Renn, so schnell du kannst. Ich werde mich um sie kümmern. Los!“

Die Fremde bewegte sich nur keinen Zentimeter von der Stelle. Dyako schaute abwechselnd zu ihr und zu den beiden Gegnern, die sich in seine Richtung begaben. Einer von ihnen verharrte in seiner Position. Dyako verfiel in Panik, da er merkte, dass seine Aktion nichts brachte, wenn sie nicht bereit war zu flüchten.

„Los, lauf, worauf wartest du? Willst du sterben?“ brüllte er und seine Verzweiflung war für jeden laut und deutlich zu hören- dabei schüttelte er sie leicht, um sie irgendwie wach zu rütteln.

Aber sie blieb, als ob sie angewurzelt war. Sie regte sich nicht einmal, als er sie anflehte. Dyako blieb keine andere Wahl, als deutlicher zu werden. Er packte sie am Arm und wiederholte seine Aufforderung, obwohl es schon zu spät war, denn die beiden Männer befanden sich hinter ihm.

Noch bevor Dyako reagieren konnte, verpasste einer der beiden ihm einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf und der alte Mann spürte, wie er um sein Bewusstsein kämpfen musste. Der Angreifer wollte keine Kugel verschwenden, wenn er Dyako auch mit bloßer Hand hätte töten können.

Dyako ging augenblicklich zu Boden und hielt sich am Hinterkopf, denn es schmerzte heftig. Der Attackierende hatte gut getroffen, obwohl er zum Schlag grob angesetzt hatte. Nach einem Fußtritt in den Bauch, krümmte der alte Mann sich reflexartig. In Dyako machte sich das Gefühl breit, dass er die heutige Nacht nicht überleben würde.

Weitere Fußtritte, wie auch Schläge prasselten auf ihn ein und Dyako konnte sich nicht mehr halten, denn ganz gleich, wie er sich auch zur Wehr setzte- es gelang ihm nicht, die vielen Hiebe und Tritte auszuweichen oder zu blockieren. Daher verlor er das Bewusstsein. Sein letzter Gedanke galt der Fremden, für die er hoffte, dass sie entkommen konnte. Vielleicht hatte sie die Gunst der Stunde genutzt und war weggelaufen? Sein allerletzter Gedanke aber galt seiner Frau. Nun war es wohl an der Zeit, zu ihr zu kommen.

Als Dyako seine wieder Augen öffnete, blendete ihn ein einzelner Sonnenstrahl und er musste seine Lider gleich wieder schließen. Rasch kamen die Gedanken an dem Überfall der drei Männer in ihm hoch, auch wenn er es nicht gewollt hatte. Die Sonne gab ihm das kurze Gefühl, im Himmelreich zu sein und jeden Augenblick seine geliebte Frau zu begegnen und in seine Arme zu schließen. Aber war es wirklich so oder spielten ihm seine Sinne einen Streich?

Der nächste Blick enttäuschte diesen Traum. Er spürte, dass er noch immer am Leben war, denn seine Wunde am Hinterkopf, sowie seine Prellungen machten sich auf schmerzhafte Weise bemerkbar und holten ihn in die Realität zurück.

Es brannte, stach und die Wunden quälten ihm am gesamten Körper, denn es gab kaum eine Stelle, die die Halunken ausgelassen hatten. Wenn man wissen will, ob man lebt, war der Schmerz wohl das einzige Zeichen, einen Beweis dafür zu erhalten- so dachte sich Dyako.

Sofort fiel ihm die junge Frau ein und er hoffte, dass auch sie die Nacht überlebt hatte. Die Räuber hatten ihn wohl zum Sterben zurückgelassen. Es gebe keinen anderen Grund, weshalb man Zeugen am Leben lassen sollte. Aber die Fremde? Dyako fürchtete, dass die Männer sie nach der angedrohten Vergewaltigung ermordet hatten.

Dyako versuchte, seinen Kopf anzuheben und spürte mit jedem Millimeter einen stechenden Schmerz, aber er wollte unbedingt wissen, ob sie anwesend war. Möglicherweise hatten die Männer sie auch verschleppt, um sie als Sklavin zu halten. Der kurze Moment aber reichte aus, um zu sehen, dass die Fremde etwa dort auf dem Boden lag, wo sie gestern gestanden hatte. Zudem fiel dem alten Mann auf, dass die drei Männer um sie herum lagen- voller Blut. Als wäre ein Massaker geschehen.

Was aber war wirklich passiert? Dyako war verwirrt und der Schmerz zwang ihn wieder zu Boden, denn er hatte noch viel zu wenig Kraft, um sich aufzustemmen. Es würde Tage, nein Wochen dauern, ehe er wieder einigermaßen normal durch das Leben gehen konnte, wenn überhaupt. Er war halt nicht mehr der Jüngste. Früher hätte er solche Qualen einstecken können.

Nun konzentrierte er sich gedanklich erneut mit der vorgefundenen Situation. War ein Streit der Grund dafür, dass sie sich gegenseitig abgeschlachtet hatten? Waren die Männer sich nicht einig darüber, wer als erster ran durfte? Dyako hatte die leise Hoffnung, dass die Frau überlebt haben könnte.

Obwohl sein Körper ihm riet, liegenzubleiben, entschloss er sich aufzustehen. Er musste wissen, wie es der Frau ging und ob sie überlebt hatte. Dies trieb ihn an. Die Schmerzen waren stark, aber Dyako wusste mit diesen umzugehen. Menschen, die keinen Schmerz gewohnt waren, raffte es vielleicht dahin, aber nicht Dyako. Allein der Gedanke, dass die Frau es tatsächlich geschafft haben könnte, war eine große Motivation für ihn.

Nachdem er beim zweiten Hinsehen sogar gesehen hatte, dass sie sich etwas bewegt hatte, war er sich nun sehr sicher und ihm gelang es, sich aufrecht hinzustellen, sodass ihm das Blutbad um die Frau herum noch einmal deutlicher wurde. Dyako stand wie ein hochbetagter Mann, der fast am Ende seines Lebens war und wie in Häufchen Elend dort. Er zitterte am ganzen Körper.

Für ihn sah es jetzt nicht mehr so aus, als hätten die drei sich getötet, sondern vielmehr erweckte sich bei ihm der Eindruck, dass die Frau es getan haben musste, denn die Männer lagen von ihr weg in gestreckter Haltung. Würden die Männer sich gegenseitig getötet haben, dann lägen sie anders.

„So ein Quatsch“, sprach er mit sich selbst und musste schon fast lachen, wenngleich ihm der Schmerz ereilte und ihm das Lachen im Halse steckenblieb. Es war nicht nur der Grund, dass er ein Schwerverletzter war, nein es war der Moment als die Fremde erwachte, sich kurz umschaute und dann einfach aufstand, als sei nichts gewesen.

Dyako war ziemlich erstaunt, denn jetzt fiel ihm auf, dass die Frau nicht einen einzigen Kratzer davongetragen hatte. Sie hatte noch immer seinen Mantel übergestreift und er konnte daher nicht alles erblicken, aber es war der Gesamteindruck, der Dyako überzeugte.

Im nächsten Augenblick ging alles sehr schnell von statten. Einer der Männer erwachte, holte Luft und die Frau sprang zu ihm, schnappte sich einen langen Ast und rammte diesen in den Hals des Mannes. Dyako war fassungslos. Er erkannte nichts mehr von dieser zierlichen Frau, die er gestern aufgefunden hatte. Dies hier war jemand anderes, etwas anderes.

Die Frau zog ihre Waffe wieder heraus und der Mann schnappte vergebens nach Luft, doch Blut füllte seinen Hals und seine Lungen. Schließlich starb er qualvoll. Die Fremde schaute zu, als wolle sie sicher gehen, dass er auch tatsächlich sterben würde. Dann richtete sie ihren Blick auf Dyako, der sofort zusammenschrak.

Ihr Blick jedoch änderte sich von einen auf den anderen Moment, wieder zu der Frau, die er fand. Während sie zu dem Mann in einer boshaften, grausamen Art dreinschaute, hatte sie für Dyako eine Unschuld im Blick. Dyako machte es jedoch Angst, als dass es ihn beruhigte und er ging instinktiv einige Schritte zurück. Seine Sinne forderten ihn auf, achtsam zu sein. Die Frau aber blieb stehen und versuchte ihre Hände zu heben, als wolle sie sich ergeben.

„Wer bist du?“ fragte Dyako voller Furcht in seiner Stimme, „was bist du?“

Die Frau starrte ihn einfach nur an und gab keine Antwort auf seine Frage. Dyako konnte nicht herausfinden, ob sie ihm gut oder schlecht gesinnt war. Seine Angst spielte einen Streich mit hm und er fürchtete sich. Es hätten beide Möglichkeiten wahrscheinlich sein können oder es gab eine Dritte.

„Lässt du mich gehen?“ wollte er wissen und musste weinen, auch wenn es ihn als Mann peinlich war, vor einer Frau derartig fertig und ängstlich rüberzukommen.

Dyako hielt die Anspannung nicht mehr aus, daher liefen die Tränen. Deshalb und weil er unter seinen Schmerzen litt, was ihn abermals zu Boden sinken ließ. Sie nickte nur und brach erneut zusammen, so wie sie zuvor einfach aufgestanden war. Dyako erschrak wiederholt. Er verstand nicht, was geschehen war. Er erhob sich abermals unter heftigen Schmerzen, die sich in diesem Augenblick zurückmeldeten und begab sich zu ihr. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, ehe er in ihrer Nähe war.

Einerseits hatte er Furcht, dass sie ihn einfach töten würde. Andererseits hätte sie es schon längst tun können und benötigte nicht einen so dummen Trick, um ihn ins Gras beißen zu lassen. Dyako schwankte, aber seine Aktion verriet, dass er momentan eher dazu tendierte, seine Neugierde siegen zu lassen. Zudem wollte er der Fremden helfen. Etwas in ihm sagte, dass sie es dringend nötig hatte.

„Hey, alles in Ordnung?“ fragte er und rüttelte vorsichtig an ihr, denn er wollte nicht riskieren, selbst ein Opfer dieser Fremden zu werden.

Einen kurzen Augenblick lang hatte er die Idee, einfach wegzulaufen und die Frau sich ihrem Schicksal zu überlassen, aber er entschied sich dagegen. So einer war er nicht. Weder einer, der weglief, noch einer, der Frauen auf diese Weise zurückließ. Und mögen sie keine Frauen sein, sondern vielleicht Hexen. Anderseits konnte er weder laufen, noch sich wegbewegen.

Dieser Gedanke, dass sie eine Hexe sein könnte, entstand blitzartig in seinem Kopf. Wie sonst hätte sie die drei Männer töten können? Es würde eine Erklärung dafür geben, weshalb sie nackt in einem gefährlichen Wald gelegen hatte. Möglicherweise wollte man oder besser gesagt die Nocta sie beseitigen. Da Hexen zu den magischen Wesen gehörten, waren sie ein Dorn im Auge der Nocta. Daher begingen sie Jagd auf sie und andere Wesen dieser Art zu machen.

Dyako versicherte sich noch einmal, ob sie zumindest lebte. Eine Weile lag er neben ihr. Es dauerte vielleicht Stunden, ehe er aufstehen konnte. Zwar hatte er weiterhin Schmerzen, aber er konnte sitzen. Wieder vergingen Stunden, ehe die Nacht einbrach. Er schlief ein und wachte am nächsten Tag wieder auf.

Sein Zustand hatte sich entgegen seinen Erwartungen deutlich verbessert. Er richtete sich auf, um Nahrung zu suchen. Er fand Beeren und Nüsse. Er pflückte entsprechend viele, sodass er sie mit der Fremden teilen konnte.

Als er sich wieder zu ihr begeben hatte und sie weiterhin dort lag und schlief, kam ihm der Gedanke, sie mit zu sich zu nehmen, denn dort hätte er Kräuter, ein Dach über den Kopf und würde sich einfach besser fühlen, da er zu Hause war. Er vermisste seine Frau- das Grab seiner Frau.

Es ging ein Ruck durch seinen Körper, als wolle er seinen Gedanken in die Ta umsetzen. Dyako raffte sich auf und packte sie dann, um sie auf dem Rücken nach Hause zu tragen. Zumindest war es der Plan. Er spürte seine Schmerzen und die Belastung, die er nur einige Meter ertragen konnte. Sie war zierlich und deshalb nicht schwer an Gewicht, aber ein alter Mann, wie er einer war, konnte sie nur einen kurzen Weg mit sich schleppen. Dann benötigte er eine Pause.

Er rastete nicht lange, um nicht noch einmal von der Dunkelheit der Nacht überrascht zu werden. Nach einiger Zeit konnte er die körperlichen Leiden aushalten, was daran lag, dass er sie retten musste und sein Körper voll mit Adrenalin füllte. Hauptsächlich gab es ihm das Gefühl, etwas Richtiges zu tun. Die restliche Kraft kam in ihm hoch, als er sein Haus sehen konnte. Nun waren sie nicht mehr weit entfernt von dem Grab seiner Frau.

Dort angekommen, legte er die Fremde ab und packte sich selbst neben ihr auf den Erdboden. Er schaute zum Grab seiner Frau und lächelte ein wenig. Es war eine Mischung aus Erleichterung und Verlegenheit. Er war heilfroh, wieder an dieser Stelle zu sein und er hätte sich niemals, auch nicht in seinen kühnsten Träumen vorstellen können, eine andere Frau mit nach Hause zu nehmen, auch wenn es natürlich andere Umstände sind.

„Sie braucht Hilfe“, sagte er zu seiner Frau.

Die Gutmütigkeit seiner geliebten Frau hätte ihm mitgeteilt, dass es selbstverständlich wäre, Menschen zu helfen, ganz gleich, wo sie herkommen oder wer sie waren. Dyako blickte zu der Fremden rüber und dachte nach. Sie war seltsam, aber dennoch hatte sie es nicht verdient, dass man sie im Stich ließ. Immerhin hatten die drei Männer sie vergewaltigen wollen und bei so einer Sache hätte selbst er diese Widerlinge umgebracht.

Und auch, wenn sie höchstwahrscheinlich alle drei Halunken umgebracht hatte- er musste ihr helfen. Andererseits warn es Räuber, Diebe und Übeltäter, die er wohl verdient hatten, sonst hätten sie die Fremde und ihn getötet.

Dyako raffte sich erneut auf und schleppte die Frau in sein Haus, um sie in seinem Zimmer auf das Bett zu legen. Er deckte sie zu und begab sich ins Wohnzimmer, welches ebenfalls die Küche war, um den Kamin anzufeuern. Es war kalt.

Erst beim Hinsetzen merkte er seine Verletzungen, sowohl diese, die hm die Wache in Ferruma an der Wange zugefügt hatte, als auch die in seiner Magengegend und am Kopf, die in den drei Räubern ihr Ursache fanden. Er hielt sich die Stelle am Bauch. Langsam spürte er die Müdigkeit und ließ sich mehr und mehr von ihr einfangen, bis er schlussendlich eingeschlafen im Sitzen war. Instinktiv legte er seine Hand als Kissenersatz auf den Tisch und ratzte ein.

Am nächsten Morgen weckten ihn wiederholt die Sonnenstrahlen und er merkte, dass es schon Mittag sein musste, denn die Sonne war an ihrem Zenit angekommen. Wie angeknipst schreckte er hoch, denn er wollte wissen, wie es um die Fremde stand. Er stand auf und noch immer spürte er die Wunden des gestrigen Tages. Die Bewegungsabläufe verliefen insgesamt viel langsamer als vorher.

Als er nach einer Weile in seinem Zimmer angekommen war, entdeckte er ein leeres Bett. Sofort schaute er sich um, wenngleich er Zeit dafür brauchte. Zuerst im Raum selbst und dann im Wohnzimmer, denn er könnte sie vor lauter Sorge übersehen haben. Aber dort war sie ebenfalls nicht. Nun begab er sich nach draußen und warf einen raschen Blick auf seinen kleinen beschaulichen Hof, aber auch dort konnte er sie nicht entdecken.

Vielleicht war sie gegangen? Aber wohin? Diese Frau warf immer mehr Rätsel auf und es lief ihm ein Schauer über den Rücken. Er fand es seltsam, dass sie in einem Moment zusammenklappte wie ein Kartenhaus, dass einen leichten Windhauch verspürte und im nächsten Augenblick stand die junge Frau wie durch Magie wieder auf, als wäre nichts geschehen.

Sie musste eine Hexe sein!

Das Problem war nur, dass Hexen ausgerottet sein mussten Die Nocta hatten sie alle gejagt und getötet oder töten lassen. Damalig waren hohe Kopfgelder auf die Zauberfrauen ausgesetzt und durch die gierigen Menschen, die ihnen zahlenmäßig überlegen waren, hatten sie keine Chance. Zudem wurden sie von engsten Freunden verpfiffen, die sich durch die Belohnung ein besseres Leben erhofften und meist selbst getötet wurden, da sie ja im Bunde mit den Hexen gestanden hatten.

In diesem Moment erkannte Dyako ein weiteres Problem- wenn sie eine Hexe war, würden die Nocta nicht aufgeben, sie weiterhin zu jagen und zu töten! Es könnte die minimale Möglichkeit bestehen, dass die Männer von vorgestern gar keine Räuber waren, sondern Söldner der Nocta.

Vielleicht war es besser, wenn sie geflüchtet war, dachte sich Dyako, je öfter er darüber nachdachte. Besser für ihn, aber definitiv nicht besser für die Fremde, denn wenn sie in dem Zustand war, dass sie regungslos auf dem Boden lag, hatte sie keine Chance gegen die Schergen der Nocta und war ihnen ausgeliefert.

Noch in Gedanken sah er eine Person auf seinen Hof zukommen. Zuerst konnte er nicht erkennen, wer sie war- nicht mal, ob männlich oder weiblich. Sofort ging bei ihm die Alarmglocken an, denn er dachte daran, dass es Jäger der Nocta sein könnten, die nun die Spur der Fremden bis hierher verfolgt hatte.

Die Suchenden würden ihn ausquetschen, um herauszufinden, wo die Frau versteckt war. Sie würden ihn foltern, damit er sprach- aber er konnte ihren Aufenthaltsort nicht preisgeben, da er ja tatsächlich nicht kannte. Er wusste schlichtweg einfach nicht, wo sie sich aufhielt. Aber er würde es ihnen auch nicht verraten, selbst wenn er den Ort kennen würde.

Aber es kam anders und Dyako erkannte, dass es die Fremde war, die sich auf dem Weg zu ihm befand, als wäre nichts gewesen. Sie hielt dabei etwas in der Hand, was nach einem Tier aussah. Dyako stand an Ort und Stelle, da er verwundert war. Für ihn war es alles andere als normal, dass Menschen sich so rasch genesen konnten.

Die Fremde kam näher und näher und stand schließlich vor ihm. Sie hielt zwei tote Hasen in der Hand und warf sie ihm vor die Füße und lächelte verkniffen, als wüsste sie nicht wirklich, wie man lächelt. Dyako verstand diese Geste dennoch als Dankbarkeit. Schließlich hatte sie ihnen Frühstück besorgt und was für eines!

Wann hatte der alte Mann zum letzten Mal was anders als Eier, Brot oder Gemüse? Wann hatte er das letzte Mal überhaupt etwas gegessen? Hasen standen schon eine Ewigkeit nicht mehr auf dem Speiseplan. Zuletzt hatte es sie gegeben, als seine Frau noch lebte und seine Kinder auf dem Hof wohnten. Sein Magen knurrte und er nahm die Hasen.

„Komm‘ mit, ich bereite sie für uns zu“, sprach er und ging Richtung Feuerstelle.

Dann häutete Dyako die Tiere, indem er ihnen das Fell über die Ohren zog. Die Fremde setzte sich auf einen Baumstumpf und sah zu. Dyako konnte sehen, dass sie sich Kleidung von ihm genommen hatte, die für sie etwas zu groß geraten war, aber es war in Ordnung für ihn, denn auf die Weise saß sie nicht nackt dort. Es wäre ihm, wie immer, sehr peinlich gewesen.

Bei genauerer Betrachtung erkannte Dyako, dass sie vom Alter her seine Tochter hätte sein können. Sie hat so viel Jugendliches an sich. Sie musste entweder aus einem gut situierten Haus kommen oder tatsächlich eine Hexe sein, denn diese verfügten über Magie, die sie jünger machten, als sie in Wirklichkeit waren.

Nachdem er die Hasen vom Fell befreit hatte, wusch er sie, indem er Wasser aus seinem Brunnen in einen Eimer pumpte und jeden einzelnen Hasen darunter hielt und mit der Hand grob drüber streifte. Würzen konnte er die Tiere nicht, da er keine Gewürze besaß als alter, armer Mann. Dyako zündete hiernach mittels Feuerstein und Holzstäbchen, Zunder und etwas trockenem Gras ein kleines Feuer. Er spießte die Hasen längs auf und hängte sie ein.

„Wir müssen die Hasen ab und zu drehen, damit sie von allen Seiten knusprig werden“, erzählte er, um eine Konversation mit der jungen Dame zu beginnen, denn er wusste nicht, was er sagen sollte und er war nicht gut darin, ein Pläuschen zu halten. Schon gar nicht mit Fremden und überhaupt gar nicht mit jungen Frauen.

Die Frau schaute Dyako die ganze Zeit aufmerksam zu, als wolle sie lernen, wie man Hasen zubereitet. Als Dyako die Worte zu ihr gesagt hatte, blickte sie als hätte niemand mit ihr gesprochen und erwiderte nichts dazu. Dieses Verhalten verunsicherte Dyako ein wenig (mehr).

„Wie ist dein Name?“ fragte der alte Mann auf einmal und beendete damit die Plauderei, denn darauf hatte er ja sowieso keine Lust.

Die Fremde veränderte ihren Blick von neutral zu besorgt und mit etwas Furcht darin. Dyako wusste nichts damit anzufangen, außer dass er sie natürlich nicht verletzen wollte; nicht einmal verbal. Daher ruderte er sofort zurück:

„Ist schon gut, du musst es mir ja nicht sofort verraten. Alles hat seine Zeit.“

Er wandte sich von ihr ab und den Hasen wieder zu, die er nun einmal drehte. Er fragte sich, was mit dieser Frau wohl geschehen sei, dass sie nicht redete. Erst in diesem Moment bemerkte er, das sie tatsächlich noch nicht ein Wort gesprochen hatte. Was war der Grund für ihre Verstummung? Das Erlebte? Ein Fluch? Oder war sie tatsächlich stumm? Dyako wusste es nicht und er konnte es in diesem Moment auch nicht herausfinden.

Es dauerte einige Zeit, ehe die Hasen fertig waren. Dyako kontrollierte dies, indem er sein Messer einmal in den Hasen stach und prüfte, ob es heiß war. Dann nahm er die Tiere ab und zog den Spieß heraus. Danach packte er die Hasen auf eine riesige Holplatte. Er wartete ein paar Minuten, damit sie ein wenig abkühlen konnten und somit eine essbare Temperatur erreicht hatten. In diesem Augenblick wollte der Frau die Speise anbieten.

Sie aber schaute weg, als wäre sie verlegen. Dyako war verdutzt. Sprach sie eventuell eine andere Sprache und konnte ihn deshalb nicht verstehen? Er wusste es nicht. Was er aber wusste war, dass er selbst einen großen Hunger verspürte und sich deshalb bei einen der Hasen ein Stück abriss, um es genüsslich zu verspeisen. Und es schmeckte ihm so gut, sodass er zufrieden ein „Mmh“ von sich gab.

Die Fremde wandte sich ihm in diesem Moment wieder zu. Sie kannte die Reaktion wohl nicht, wenn Menschen zufrieden mit ihrem Essen und der Zubereitung von Speisen waren und derartige Laute von sich gaben. Sie warf ihre Zögerlichkeit ab und nahm sich ebenfalls ein Stück des Hasen und biss vorsichtig hinein. Nach einigen Kauen konnte Dyako sehen, dass es ihr schmeckte, sodass sie dann kräftig zuschlug und sogar noch mehr verschlang als der alte Mann.

Dyako zeigte sich beeindruckt:

„Meine Güte, du frisst ja, als hättest du über Jahre nichts gehabt.“

Er hätte fast lachen können, wenn der Gedanke nicht so traurig gewesen wäre, denn er wusste nicht, was mit ihr über die Jahre geschehen war und er wollte keinen Fehler machen und sie abschrecken oder ihr Angst machen oder sogar dafür sorgen, dass sie wütend würde. Alles würde kein gutes Ende nehmen.

Dyako räumte alles auf, damit des Nachts nicht wilde Tiere von dem Geruch des Fleisches angelockt werden würden. Dann ging er ins Haus. Sie aber saß dort auf dem Baumstumpf und hatte sich in all der Zeit nicht bewegt. Vielleicht kannte sie Haus- und Hofarbeit nicht. Dyako störte nicht, dass sie nicht mit anpackte, sondern er wollte zu gerne wissen, welche Gedanken gerade in ihr kreisten.

„Kommst du rein?“ fragte er rufend, denn die Nacht brach ein und er war von der Fresserei müde geworden und wollte sich hinlegen.

Die Fremde schaute zu ihm, stand auf und ging ins Haus. Dyako konnte nicht sagen, wie es ihr erging, seit er sie gefunden hatte. Insgesamt hatte er jedoch eher das Gefühl, dass es nicht schlecht um sie stand.

Die Tage waren anstrengend und seine Wunden heilten altersbedingt nur langsam. Daher brauchte er dringend Schlaf. Die Frau reagierte und schaute in Richtung Haus. Sie stand auf und machte einige Schritte auf Dyakos Heim zu, ehe sie erneut zusammenbrach.

„Oh, nein, nicht schon wieder“, rief Dyako und eilte zu ihr.

Er hievte sie mit letzter Kraft hoch und schleppte sie zum Haus direkt in sein Zimmer und auf sein Bett. Er legte eine Decke über sie und ging ins Wohnzimmer, wo er selbst erschöpft in einen tiefen Schlaf fiel, denn diese Aufregung, die Anstrengung am Ende eines Tages nach solch aufwühlenden Ereignissen und nach so einem Mahl, waren zu viel für einen alten Mann.

Mimikri

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