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H wie Hamster

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»Da kraul mir doch wer meinen kleinen pelzigen Popo«, rief Admiral von Schneider und rümpfte die Nase. »Schon wieder Salat?«

»Was?«

Nico hatte bisher an ihrem Schreibtisch gesessen und war in ihre Mathehausaufgaben vertieft gewesen. Ruckartig wandte sie sich jetzt um. Sah zu ihrem Bett. Sah in den Käfig, der dort stand. Und sah den Hamster an, der darin hockte und ein ärgerliches Gesicht machte.

»Was?«, wiederholte sie, weil ihr nichts anderes einfiel.

Das lag allerdings nicht am ärgerlichen Gesicht des Admirals und auch nicht an dessen unhöflichem Tonfall. Vielmehr hatte es damit zu tun, dass der Hamster zum ersten Mal gesprochen, oder damit, dass sie ihn zum ersten Mal verstanden hatte. Denn bisher war die Beziehung zwischen der elfjährigen Nico und ihrem anderthalbjährigen Hamster Admiral von Schneider, den sie sich zum Geburtstag in einer Tierhandlung hatte aussuchen dürfen, wie die meisten Beziehungen zwischen einem elfjährigen Mädchen und einem anderthalbjährigen Hamster: größtenteils stumm. Von der tierischen Seite aus war kaum mehr als ein Schmatzen und Murmeln und manchmal Rascheln zu hören gewesen. Abgesehen vom Quietschen des Laufrads, wenn Admiral von Schneider darin seine Runden drehte, was er selten tat.

Aber dass der Hamster jemals gesprochen oder dass Nico ihn jemals verstanden hätte – das hatte es noch nie gegeben!

»Wie was was?«, fragte Admiral von Schneider zurück und wandte den Kopf von seinem Futternapf ab und Nico zu.

Er war klein und dick, hatte goldbraunes, flauschiges Fell, runde Ohren und Augen wie schwarze Knöpfe. Seine spitze Nase wackelte unaufhörlich, und meist sah er aus, als würde er diese abschätzig rümpfen, obwohl Nico diesen Eindruck bisher als unwissenschaftlich abgetan hatte.

»Du … du kannst … sprechen?«, stotterte Nico, stand von ihrem Stuhl auf und kam näher zum Käfig.

Sie kniete sich vor die Gitterstäbe, blickte hinein und musterte ihren Hamster, als würde sie ihn zum ersten Mal sehen. Nico war kein Kind, das seinen Tagträumen nachhing. Schon immer hatte sie lieber Mensch ärgere Dich nicht, Memory oder Mühle gespielt als irgendwelche Fantasiespiele. Sie hatte nie eine imaginäre Freundin gehabt und einen Hamster hatte sie sich nicht zum Kuscheln gewünscht, sondern um seine Verhaltensweisen zu studieren und gewissenhaft über jede Kleinigkeit Buch zu führen. Mit Admiral von Schneiders Gewohnheiten und Abneigungen hatte Nico mittlerweile mehrere Schulhefte gefüllt, die sorgfältig aufgereiht in ihrem Regal standen, zwischen dem großen Buch der Biologie, einer Enzyklopädie der Pflanzen, Tiere und Mineralien und einem Bildband über die wilde Natur des Amazonas.

Nico war sich sicher, für Einbildungen jeglicher Art unempfänglich zu sein. Soweit sie wusste, hatte es in ihrer Familie keine Formen von Geistesstörungen und Halluzinationen gegeben. Und bisher hatte sie ihren Augen und Ohren immer vertrauen können. Sie kniff sich deshalb heimlich in den Unterarm, um sicher zu sein, dass sie nicht träumte. Aber nein, sie war hellwach. Und der Admiral hatte gesprochen. Ganz eindeutig. Oder vielleicht doch nicht …?

»Du kannst doch sprechen, oder?«, fragte sie misstrauisch.

»Erst einmal fände ich es geschmeidiger, wenn du beim Sie bleiben würdest«, fuhr der Hamster sie an. »Immerhin bin ich Admiral. Ein echter Admiral.« Er hob die Pfote in die Höhe. »Und dann …« Er machte eine kurze Pause. »Natürlich kann ich sprechen. Was soll die blöde Frage? Sehe ich aus, als könnte ich nicht sprechen?«

»Aber … ich habe Sie vorher nie verstanden.«

»Ist das mein Problem?«

»Wie kann das sein?«

»Woher soll ich das wissen? Vielleicht hast du nicht richtig zugehört. Oder du hast dir zum ersten Mal in anderthalb Jahren die Ohren gründlich genug gewaschen. Was mir bezüglich deiner Körperhygiene zu denken gibt«, fügte er hinzu.

Nicos Mund klappte auf und zu, auf und wieder zu.

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wusste gar nichts. Ihr Hamster hatte gesprochen. Admiral von Schneider konnte tatsächlich reden. Dabei war das ausgeschlossen. Vollkommen ausgeschlossen. Nico wusste das. In Bio hatte sie eine Eins und wollte später in die Forschung gehen. Sie hatte sich bisher nur nicht entschieden, ob sie lieber Biologin oder Chemikerin werden wollte. Vielleicht würde sie auch Maschinenbau studieren. Immerhin hatte sie beim Seifenkistenrennen am Raffelberg drei Jahre in Folge mit ihrer Seifenkiste den Sieg eingefahren.

So oder so: Sprechende Tiere gab es nicht. Das sagten die Bücher. Das sagte die Wissenschaft. Und beide logen nicht.

Aber wie ließ sich dann erklären, dass …?

»Du siehst aus, als wäre Raumschiff Enterprise durch dein Fenster geflogen und auf deinem Bett gelandet«, sagte der Admiral. Nico zuckte zusammen, was der Hamster ebenfalls kommentierte: »Das macht es nicht besser«, fügte er hinzu. »Aber da du mich gerade verstehst, und ich nicht weiß, wie lange dieser Zustand anhält: Ich hasse Salat!«

»Wie bitte?«

»Ich hasse ihn. ICH … HASSE … IHN!«, wiederholte der Hamster und sprach besonders deutlich.

»Okaaaay.«

»Er ist eklig. Ich meine, so schlabberig und geschmacklos.« Der Admiral streckte eine Pfote aus, tippte gegen eines der grünen Blätter und verzog angewidert das Gesicht. »Und dann diese Farbe. Bäh! Wer bitte soll so etwas essen?«

»Na ja … ähm … du …?« Der Hamster räusperte sich. »Sie?«, verbesserte sich Nico eilig.

»Und wieso ich?«, fragte Admiral von Schneider.

»Weil … Ich dachte, Hamster mögen Salat«, stammelte Nico.

»Ich kann nicht für alle Hamster dieser Erde sprechen«, erwiderte das Tier in würdevollem Tonfall. »Aber für diesen einen«, er legte eine Pfote auf seine Brust, »kann ich sagen: Nein! Absolut nicht! Ein definitives No-No.«

»Ein No-No?«, wiederholte Nico. »Woher haben Sie das denn?«

»Aus deinen Youtube-Videos.« Der Hamster wies unbeeindruckt in Richtung des Computers, der auf Nicos Schreibtisch stand. »Woher sonst? So reden die coolen Kids heute.«

»Die coolen Kids?«

»Und da wir gerade dabei sind: Du solltest die Wahl deiner Freizeitgestaltung dringend überdenken. Manche von diesen Leuten sind wirklich nur am Skylern. ORAV.«

»ORAV?«

»Ohne Rücksicht auf Verluste«, erklärte Admiral von Schneider und rollte die Augen. »Das ist Jugendsprache.«

»So redet niemand, den ich kenne.«

»Wie alt bist du? Hundert?«

»Ähm … okay«, sagte sie gedehnt. »Also keinen Salat für Sie. Das werde ich mir notieren.«

Sie griff nach dem Heft, in dem sie fein säuberlich die Beobachtungsergebnisse der letzten zwei Wochen notiert hatte, und schrieb: »Hamster mag keinen Salat.« Sie zögerte und ergänzte: »Kann sprechen. Weitere Untersuchungen notwendig.« Dahinter setzte sie gleich mehrere Ausrufezeichen.

»Und da wir gerade dabei sind«, sagte Admiral von Schneider.

»Ja?«

»Ich würde dich bitten, dieses dämliche Laufrad zu entfernen. Das ist so was von unchillig.«

»Ihr Laufrad? Was ist damit?«

»Es ist entwürdigend.«

»Entwürdigend?«

»Das sagte ich. Ja. Und damit ist es ebenfalls ein absolutes No-No.«

»In meinem Hamsterbuch steht«, sie wies ungenau in Richtung Regal, »dass Hamster gerne darin laufen. So haben sie Bewegung. Es ist gut für sie.« Leicht entschuldigend hob sie die Schultern.

»Man kommt aber nie ans Ziel«, antwortete der Hamster missbilligend. Er trat ein Stück vor und versetzte dem Rad einen Stoß, dass es sich leise quietschend um sich selbst zu drehen begann.

»Da haben Sie natürlich recht. Es ist eben … na ja … ein Laufrad.«

»Warum sollte ich darin laufen, wenn ich nirgendwo ankomme?«, fragte Admiral von Schneider. »Das finde ich demütigend. Richtig abtörnend. Denkst du, ich würde das nicht merken? Denkst du, Hamster sind zu hirndurchweicht, um zu kapieren, dass sie laufen und laufen und niemals ans Ziel kommen?«

»Was? Nein«, antwortete Nico. »Natürlich denke ich das nicht.«

»Aber es stimmt! Die meisten von uns sind tatsächlich dumm wie zehn Meter Feldweg. Ich kannte mal einen, der ist von morgens bis abends durch dieses Rad gehetzt, weil er nach Australien wollte.«

»Nach Australien?«

»Frag nicht«, antwortete Admiral von Schneider. »Jedenfalls mögen die meisten Hamster tatsächlich eher intelligenzbefreit sein, und es mag ihnen nichts ausmachen, dass sie laufen und nie irgendwo hinkommen. Aber ich halte davon nichts. Gar nichts!«, sagte der Hamster entschieden. »Wenn es dir also nicht zu viele Umstände macht.« Er klopfte mit der Pfote gegen das Plastikrad, das sich erneut drehte.

»Ist gut«, erwiderte Nico. »Ich nehme es raus. Ist kein Problem.«

»Fett.« Der Admiral machte ein zufriedenes Gesicht.

Einige Momente lang schwiegen Nico und der Hamster, und sie betrachtete ihn nachdenklich.

Das alles war absurd. Vollkommen absurd. Sie konnte nicht wirklich in ihrem Zimmer sitzen und mit ihrem Hamster sprechen. Eben hatte sie sich noch mit Bruchrechnen und Dezimalzahlen beschäftigt und über Prozentwerten gebrütet. Sie hatte an ihr Roller-Derby-Training gedacht, zu dem sie in einer halben Stunde aufbrechen musste, und an ihre beste Freundin Suana, mit der sie anschließend nach Hause fahren würde. Und sie hatte überlegt, wann sie endlich Zeit hatte, um an ihrem Kettcar zu basteln. Sie hätte gerne neue Reifen. Die alten waren bereits abgefahren. Vielleicht konnte sie einen kleinen Zuschuss aus ihrer Mutter oder Gregor herausleiern. Räder waren teuer. Das alles war vergessen.

Denn Nico saß in ihrem Zimmer und sprach mit ihrem Hamster. Das war eigentlich absolut unmöglich. Und trotzdem …

»Ich kann es nicht fassen«, sagte sie.

»Was kannst du nicht fassen?«

»Dass Sie reden können. Ich meine … dass ich mich tatsächlich mit Ihnen unterhalte.«

»Glaub es lieber«, gab der Hamster unbeeindruckt zurück.

»Aber … Wie kommt das? Sie sagen, dass Sie die ganze Zeit sprechen konnten und ich Sie nur nie verstanden habe.«

»So ist es.«

»Wieso kann ich es jetzt? Wie …? Warum …?«

»Ist das so wichtig?«, fragte er.

»Ja.«

»Reicht es nicht, dass du es kannst? Mir reicht es. Der Rest ist mir ziemlich latte.«

Nico zögerte.

Sie sah zu ihrem Regal und den vielen Forschungsheften, die darin standen, den dicken Büchern über Tiere und Pflanzen. Sie betrachtete die Urkunden, die daneben an der Wand hingen, und die Pokale, die sie bei Wettbewerben gewonnen hatte. Seit sie denken konnte, interessierte sie sich für die Gesetzmäßigkeiten der Natur und versuchte, herauszufinden, wie alles zusammenhing. Sie glaubte nicht an Zufälle. Sie glaubte daran, dass sich alles erklären ließ.

Jedes Jahr beteiligte sie sich an der bundesweiten Zählaktion Stunde der Wintervögel des NABU. Sie wünschte sich stets die aktuellste Version ihres Chemiebaukastens. Mit vier hatte sie ihr erstes Mikroskop bekommen, um die Erde im Vorgarten zu untersuchen. Mit acht Jahren kannte sie das Periodensystem auswendig. Jeden Dienstag besuchte sie die AG Wir und unsere Umwelt und jeden Freitag einen speziellen Chemiekurs für Fortgeschrittene. Sie sammelte Steine auf ihrer Fensterbank, hatte ihren Vater mit einer exakten Berechnung der Ersparnis zu Energiesparbirnen überredet, alle Mieter im Haus überzeugt, gemeinsam einen Kompost anzulegen, und führte gerade eine Studie dazu durch, ob Gregors Balkonpflanzen besser wuchsen, wenn man mit ihnen sprach.

Sollte es Nico da reichen, dass sie plötzlich mit ihrem Hamster sprechen konnte, ohne zu wissen, warum? Einfach so?

»Nein«, sagte sie. »Nein, das reicht mir nicht. Ich bin Forscherin, verstehen Sie? Ich gehe den Dingen auf den Grund. Ich habe beim letzten Jugend-forscht-Landeswettbewerb den dritten Platz gemacht. Mein Referat über die Zecke wurde während der Projektwoche in der Schule ausgestellt, und schon in der Grundschule habe ich im Sachunterricht einen Vulkan aus Vanillepudding und Roter Grütze gebaut. Der wurde beim Naturwissenschaftstreffen aller Grundschulen in unserer Gegend mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Er hat nicht nur einwandfrei funktioniert und die Vorgänge während eines Ausbruchs perfekt simuliert. Er war auch noch essbar und damit vollständig biologisch abbaubar.«

»Was willst du mir damit sagen?«, fragte der Hamster.

»Ich will sagen, dass ich mal eine bedeutende Wissenschaftlerin werden will. Deshalb muss ich wissen, warum ich Sie plötzlich verstehen kann.«

Admiral von Schneider musterte sie durch zusammengekniffene Augen. »Also gut«, sagte er. »Dann lass uns überlegen.« Er setzte sich auf seinen Hintern, lehnte sich gegen die Gitterstäbe seines Käfigs und streckte seine Hamsterbeine von sich. »Wurdest du vom Blitz getroffen?«

»Vom Blitz? Wieso sollte ich vom Blitz getroffen worden sein?«

»Die krassesten Dinge passieren, wenn die Leute vom Blitz getroffen werden.«

»Zum Beispiel?«

»Zum Beispiel«, erwiderte er hochmütig, »können sie plötzlich durch die Zeit reisen, wie bei diesen alten Filmen, die du gerne guckst. Mit diesem verrückten Professor, dem die Haare zu Berge stehen.«

»Zurück in die Zukunft«, erwiderte Nico.

»Da muss das Auto von einem Blitz getroffen werden, damit sie in die Vergangenheit oder die Zukunft reisen können. Oder nicht?«

»Stimmt.«

»Siehst du«, sagte Admiral von Schneider. »Also? Wurdest du von einem Blitz getroffen?«

»Nein.«

»Auch sonst kein elektrischer Schlag in irgendeiner Form?«

»Nicht, dass ich wüsste.«

»Ist dir etwas Schweres auf den Kopf gefallen? Oder hast du was Komisches gegessen?«

»Etwas Komisches?«

»Vielleicht etwas Radioaktives?«

Sie grinste. »Ich denke, das kann ich ausschließen.«

»Hm«, machte der Admiral, dann noch einmal: »Hm. Wurdest du von einer mutierten Spinne gebissen? Wie bei Spider Man?«

»Sehe ich für Sie wie Spider Man aus?«, gab Nico zurück.

Admiral von Schneider ließ sich nach vorne auf die Füße fallen, kam die wenigen Schritte zur Wand seines Käfigs und streckte sein Maul durch die Gitterstäbe. »Du könntest ein bisschen dankbarer sein«, sagte er vorwurfsvoll. »Ich versuche, dir zu helfen. Mir ist es so was von whateverest, warum du mich verstehen kannst. Aber du hast gesagt«, er streckte die Pfote aus, deutete auf Nico, »dass du Forscherin bist und den Sachen auf den Grund gehst. Ich«, der Hamster machte eine bedeutungsvolle Pause, »müsste mir darüber keinen Kopf machen. Das tue ich für dich.«

»Ich weiß«, antwortete Nico und machte ein reumütiges Gesicht. »Sie haben recht. Es tut mir leid.«

»Das sollte es auch. Ich hab Besseres zu tun …«

»Zum Beispiel?«, unterbrach sie ihn. »Was haben Sie Besseres zu tun?«

»Rumchillen. Abhängen. Besseres eben. Soll ich dir jetzt helfen, oder nicht?«, wollte er wissen.

»Tut mir leid.« Nico hob abwehrend die Hände. Manchmal war ihr Mund schneller als ihr Kopf. »Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Ich wollte nur …« Sie zögerte. »Ja, bitte, Herr Admiral«, sagte sie. »Es wäre toll, wenn Sie mir helfen könnten.«

»Also gut«, erwiderte der Hamster nach kurzem Schweigen, trat von den Gitterstäben zurück und begann, nachdenklich im Kreis zu gehen. »Du wurdest nicht vom Blitz getroffen, du hattest keinen elektrischen Schlag«, zählte er auf, »dir ist nichts Schweres auf den Kopf gefallen, du hast nichts Radioaktives gegessen und wurdest nicht von einer mutierten Spinne gebissen. Was noch?«, murmelte er. »Was noch? Bist du in den Topf mit Zaubertrank gefallen? Wie dieser dicke Kerl.«

»Obelix?«

»Nein, ich glaube, so hieß der nicht.«

»Ich glaube aber schon.«

»Ist ja auch schnurz. Bist du?«

»Ich könnte nicht sagen, dass ich mich daran erinnern würde, in einen Topf mit Zaubertrank gefallen zu sein. Nicht in letzter Zeit«, fügte Nico amüsiert hinzu.

»Ist bei einem deiner Experimente etwas schief gegangen?«, fragte Admiral von Schneider. »Du machst ständig irgendwelche ultra-strangen Versuche. Ich sehe das. Du bist ständig irgendetwas am Tun.«

»Sie sehen das? Sie sehen mir zu?«

»Logobibobo. Denkst du, ich beobachte dich nicht? Natürlich tue ich das. Ich sehe alles.« Er verengte den Blick, wies mit ausgestreckter Pfote erst auf seine Augen, dann auf Nico.

»Okay«, sagte die gedehnt. »Das ist gruselig und war mir bisher nicht bewusst.«

»Jetzt bist du informiert.«

»Jetzt bin ich informiert. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Nein, bei keinem meiner Experimente ist etwas schief gegangen. Ich habe für den Biounterricht eine Zelle unter dem Mikroskop beobachtet.«

»Hat sie dich gebissen?«

»Zellen beißen nicht. Sie sind Zellen. Sie haben nicht einmal einen Mund. Sie haben gar nichts.«

»Vielleicht waren es mutierte und radioaktiv veränderte Zellen.«

»Es waren normale Zwiebelzellen. Ich habe sie abgezeichnet. Sie sahen aus wie in unserem Buch.«

»Hm«, gab der Hamster von sich.

»Für die Chemie-AG habe ich in der Küche die verschiedenen Schmelzpunkte von Stoffen getestet.«

»Hast du dich verbrannt?«

»Habe ich«, antwortete Nico und hob ihren Zeigefinger, um den ein hellgrünes Pflaster gewickelt war. »Aber das war nicht der Rede wert.«

Schließlich gab Admiral von Schneider ein tiefes Seufzen von sich. »Dann bin raus. Ich habe alle Möglichkeiten zur Erlangung von Superkräften aus allen Superheldenfilmen aufgezählt, die mir einfallen. Mehr weiß ich nicht. No-Way.«

»Sie glauben, dass es Superkräfte sind?«, fragte Nico. »Sie haben gesagt, dass …«

»Das war ein Beispiel«, entgegnete Admiral von Schneider.

»Sie halten mich für eine Superheldin?«

»Das hab ich nicht gesagt.«

»Für mich klang es so.«

»Du musst dich verhört haben.«

»Ich glaube nicht.«

»Ich glaube aber doch.«

Nico dachte nach. Sie hatte Admiral von Schneiders Vorschläge nicht ernst genommen. Aber wenn sie ehrlich war, fielen ihr keine besseren Gründe ein. Wie ließ sich erklären, dass sie ihren Hamster plötzlich hören konnte? Irgendetwas musste es geben.

»Wenn es keine Superkräfte sind und ich keine Superheldin bin, liegt es vielleicht doch an Ihnen«, schlug sie vor. »Vielleicht wurden ja Sie von einem Blitz oder einem elektrischen Schlag getroffen. Vielleicht ist Ihnen etwas Schweres auf den Kopf gefallen. Vielleicht haben Sie was Radioaktives gegessen, wurden von einer mutierten Spinne gebissen oder sind in einen Topf mit Zauber…«

»Bin ich nicht«, gab Admiral von Schneider scharf zurück. »Mit mir ist alles premium. Ich hab schon immer gesprochen. Du hast mich nur nie verstanden. So ist das! Außerdem bin ich ein Hamster.«

»Was soll das heißen?«

»Dass ich einfach königlich bin. Galoxomäßig. Perfekt von der Nase«, der Admiral tippt sich auf die Spitze seines Mauls, »bis zum Schwänzchen«, er wies nach hinten. »Kingstyle, Alter. Es kann nicht an mir liegen, dass du Tiere sprechen hörst. Das muss allein …«

»Moment«, unterbrach Nico ihn. »Tiere?«

Daran hatte sie bisher gar nicht gedacht. War es möglich, dass sie nicht nur ihren Hamster sprechen hörte? Konnte es sein, dass es andere Tiere gab, die sie verstand?

»Häh?«

»Sie sagten, dass ich Tiere sprechen höre. Das ist Mehrzahl. Glauben Sie, ich kann nicht nur Sie verstehen, sondern auch andere Tiere? Vielleicht sogar … alle?«

»Woher soll ich das wissen? Das war nur so gesagt. Und aus.«

»Das lässt sich herausfinden.« Nico stand auf.

»Was?«

»Ich mag keine Ahnung haben, warum ich Sie plötzlich verstehen kann, Herr Admiral. Aber ich kann herausfinden, ob Sie das einzige Tier sind oder ob es noch andere gibt.«

»Noch andere. Wie das klingt. Als wäre ein Hamster nur ein Tier unter vielen und nicht das mit Abstand schönste und klügste und … Hey!«, rief Admiral von Schneider und blickte Nico an, die Richtung Tür gegangen war. »Wo gehst du hin?«

Nico hielt inne, wandte sich um. »Nach nebenan.«

»Nach nebenan«, äffte er sie nach. »Was soll nebenan sein?«

»Das Wohnzimmer.«

»Weißt du eigentlich, wie unhöflich das ist? Ich labere noch mit dir, und du gehst weg, um irgendein anderes«, er gab ein abschätziges Geräusch von sich, »Tier zu suchen. Bin ich dir nicht mehr gut genug, oder was? Ich bin ein Hamster. Ein hypertonischer Goldhamster sogar. Jawohl! Mit einem erstklassigen Goldhamsterstammbaum. Meine Vorfahrinnen und Vorfahren sind bis in die zehnte Generation reinrassige Goldhamster. Meine Familie ist sozusagen der Goldstandard unter den Hamstern. Damit du das mal klar kriegst. Du tust so, als wäre ich ein x-beliebiges Tier, das du zufällig verstehst. Und jetzt gehst du einfach los und suchst dir ein anderes?«, fügte er in gekränktem Tonfall hinzu. Er senkte den Kopf und gab ein leises Schluchzen von sich. Seine Schnauze zuckte.

Zerknirscht sah Nico ihn an, kam langsam zum Käfig zurück. Sie hatte den Hamster nicht verletzen wollen, im Gegenteil. Sie war nur so aufgeregt gewesen, endlich einem neuen Forschungsprojekt nachgehen zu können, da hatte sie nicht weiter darüber nachgedacht. Das kannte sie von sich. Wenn sie sich mit einem ihrer Experimente beschäftigte, konnte sie alles und jeden vergessen. Schon als kleines Kind hatte sie Stunden still am Schreibtisch sitzen und einen Käfer in einem Glas beobachten können, und wenn sie im Biounterricht eine spannende Aufgabe lösen sollten, kam es vor, dass sie die Klingel nicht hörte oder ihre Lehrerin Frau Hagel anbettelte, in der Pause weiter arbeiten zu dürfen. Aber das machte sie nicht mit Absicht. Verletzen wollte sie damit niemanden. Und Admiral von Schneider schon gar nicht.

»So ist das nicht«, sagte Nico vorsichtig. »So habe ich das nicht gemeint. Ich … wollte nicht … Ich wollte bestimmt nicht Ihre Gefühle verletzen, Herr Admiral.«

»Du hast es getan«, erwiderte der Hamster, ohne aufzusehen.

Nico hockte sich vor ihn. »Das war gedankenlos von mir.«

»Allerdings.«

»Es tut mir leid. Sie sind für mich kein x-beliebiges Tier. Sie sind mein Admiral von Schneider. Ich habe Sie unter allen Hamstern in der Tierhandlung ausgesucht.«

»Weil ich der schönste und klügste war?!« Der Admiral hob langsam den Kopf, schniefte.

»Und weil Sie so dick und rund und niedlich …«

»What?«

»Nicht so wichtig«, antwortete Nico eilig. »Sie sind mein Admiral von Schneider. Daran wird sich nie etwas ändern.«

»Niemals?«

»Niemals.«

»Versprochen?«

»Fest versprochen.«

»Dann ist ja gut. Mit deiner Wahl liegst du übrigens genau richtig. Ich bin wirklich nicht irgendein Tier. Ich bin Admiral von Schneider. Ein echter Admiral. Mit allerhöchsten Auszeichnungen und erprobt in den gefährlichsten Abenteuern auf allen sieben Weltmeeren. Und das bedeutet …« Er reckte die Pfote in die Luft, als würde er einen Eid schwören wollen.

»Das bedeutet?«

»Es bedeutet, dass es latte ist, wohin du gehst, um das Rätsel des plötzlich auftretenden Tiereverstehens zu lösen. Ich komme mit. Aber so was von. Also merkel nicht rum, sondern öffne mir die Käfigtür.« Gebieterisch wies er vor sich. »Und mach mir dabei nicht den Ulf.«

Nico konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Als sie den Käfig öffnete, kletterte der Hamster nach draußen, ihren Arm hinauf und kroch in den Ärmel ihres Pullovers. Hier drehte er sich um, machte es sich bequem und lugte vorne aus dem Bündchen.

»Alles wolke«, sagte er. »Kann losgehen.«

Ein letztes Mal zögerte Nico und blickte zu ihrem Schreibtisch zurück, an dem sie keine Viertelstunde zuvor gesessen und nicht geahnt hatte, was passieren würde. Was sollte sie von all dem halten? Sie hatte keine Ahnung. Aber es war viel zu spannend, um der Sache nicht nachzugehen. So viel war sicher.

NICO

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