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1 Nutzen der kompetenzorientierten Menschenkenntnis

1.1 Die Sprachen der Persönlichkeitstypen

Menschenkenntnis ist, historisch gesehen, das, was die Menschen von der Psychologie erwarten. Denn jeder macht die Erfahrung, dass Menschen verschieden sind und es nicht immer einfach ist, mit den anderen oder mit sich selbst zurechtzukommen. Die praktische Psychologie, also Pädagogik, Psychotherapie und Coaching, aber auch Mitarbeiter-Führung, Kunden-Betreuung, Psychosomatik und Sozialarbeit, haben ein besonderes Interesse an diesem Thema.

Praxisorientierte Menschenkenntnis ist das Wissen von den Persönlichkeitstypen.1 Unterschiedliche Modelle, die unabhängig voneinander entwickelt wurden, weisen eine recht hohe Übereinstimmung auf2. Das gilt besonders für triadische Konzepte. Die Ähnlichkeiten in der Beschreibung der Persönlichkeitstypen sind ein starker Hinweis darauf, dass sie Realitäten sind. Doch die Zugangsvoraussetzung für dieses Wissen ist die Bereitschaft, sich erkennend darauf einzulassen und es praktizierend anzuwenden.3

Die Psychographie liefert typspezifische Sprachen, um die Persönlichkeitstypen zu verstehen, das, was sie ausdrücken, was sie wollen und wie sie ihr Beziehungserleben realisieren. Wenn man diese Sprachen beherrscht, versteht man die anderen und ihre Art, ihr Leben zu gestalten. Und das gilt auch für Selbsterkenntnis und Selbsterfahrung. Denn auch wir selbst sind uns oft ein Rätsel.

Solange man die typgemäßen Sprachen nicht beherrscht, bleibt von dem, was man wahrnimmt, vieles unverständlich oder missverständlich. Und vieles wird einfach übersehen. Stattdessen projiziert man Eigenes auf den anderen und schließt von sich auf ihn. Das ist eine ständige Quelle sinnloser und unnötiger Missverständnisse und Konflikte. Und statt den Reichtum unterschiedlicher Persönlichkeiten zu schätzen, wird Druck ausgeübt, sich anzupassen und anzugleichen.

Ein Beispiel: Ein Ehepaar namens Meck, beide machen einen sympathischen Eindruck. Sie wirkt lebendig und dynamisch, er ruhig und nachdenklich. Eigentlich würden sie sich gut ergänzen, doch sie ist unzufrieden mit ihm. Sie vermisst bei ihm sowohl Power als auch Gefühle. Er tut auf eine bescheidene Weise alles für sie, doch das ist ihr eher lästig. In Konfliktsituationen argumentiert er vernünftig, was sie noch wütender macht. Jeder ist in seiner Welt gefangen. Das, was sie einmal anziehend fanden, löst nun Stress aus. Das muss nicht sein.

Persönlichkeitstypen sind eine alte Einrichtung des Lebens. Es sind zweckmäßige Spezialisierungen auf die unterschiedlichen Bedingungen des Lebens. Sie sind nützlich, doch sie können auch einengen. Diese von der Natur vorgegebenen sinnvollen Beschränkungen4 kann man nicht dadurch vermeiden, dass man Typologien als Schubladendenken ablehnt und sich weigert, in den Spiegel zu schauen, den sie einem vorhalten. Man löst Probleme nicht dadurch, dass man sie leugnet und den Kopf in den Sand steckt. Die Antwort ist Persönlichkeitsentwicklung, die mit dem psychographischen Wissen kein Geheimnis mehr bleibt.

1.2 Nutzen für den Alltag

Welche Argumente könnten Skeptiker dazu bewegen, sich mit der Praxis der Menschenkenntnis zu befassen? Denn nur so kann man überzeugende Erkenntnisse gewinnen. Es ist wie bei allem Können, Schwimmen lernt man im Wasser, Klavierspielen am Klavier und Menschenkenntnis im wissenden beobachtenden und erlebten Umgang mit Menschen.

Es geht um die Spezialisierung auf grundlegende Lebenskompetenzen, die Beziehungskompetenz, die Erkenntniskompetenz oder die Handlungskompetenz. Sie charakterisiert die drei Grundtypen, umgangssprachlich formuliert den Gefühlsmenschen, den Denker und den Macher. Und bei jedem Grundtyp zeigen sich nochmals drei charakteristische Ausprägungen, also drei mal drei Untertypen.

Negativ kann man die Untertypen am Fallenverhalten festmachen: Neigt jemand dazu, sich eher abhängig zu fühlen, sich Sorgen zu machen oder an sich selbst zu zweifeln? Oder positiv betrachtet: Ist ein Gefühlsmensch eher auf das Wir, das Du oder das Ich ausgerichtet, ein Denker eher auf Gegenwärtiges, Vergangenes oder Zukünftiges und lässt sich ein Macher im Handeln eher vom Denken, von seinen Erfahrungen oder von Gefühlen leiten?

Wenn die Persönlichkeitstypen die Gesetzmäßigkeiten des Lebens spiegeln, und, ihnen entsprechend, zweckmäßig organisiert sind, wird Menschenkenntnis zu einer praktischen Lebensphilosophie. Sie überwindet den isolierenden Blick auf die Psychologie des Menschen und sieht ihn eingebettet in die Interaktion mit dem Leben. Was dabei auffällt, sind die Einfachheit, Symmetrie und Schönheit dieser Interaktions- und Kompetenzprozesse.

Menschenkenntnis kann einfach, kann anspruchsvoll und kann praxistauglich sein, je nachdem, was man von ihr erwartet und aus ihr macht. Um sich mit ihr vertraut zu machen, wählt man am besten zuerst den pragmatischen Zugang, also das, was direkt beobachtet und erfahren werden kann. Später kann man sich die psychologischen und ontologischen Gesetzmäßigkeiten zugänglich machen und entdecken, welchen zusätzlichen Wert sie für die praktische Anwendung darstellen.

So sind Teilnehmer an Kursen zur typologischen Menschenkenntnis über die Treffsicherheit der Typbeschreibungen verblüfft und erkennen sich und ihre Angehörigen meist rasch wieder. Eine typische Aussage: „Du beschreibst meinen Mann so, als ob du ihn kennen würdest.“ Manche sind betroffen, andere erleichtert. Ich erinnere mich an eine Frau, die nach ihrer Einschätzung nicht dem gängigen Bild von Weiblichkeit entsprach. Sie sagte: „Ich dachte immer, bei mir stimmt etwas nicht. Jetzt weiß ich, dass ich ein Handlungstyp (Macher) bin und mit mir alles in Ordnung ist.“

Zum obigen Beispiel: Als Herr Meck verstand, dass es ihm und seiner Beziehung guttut, wenn er lernt, in eine kraftvolle Haltung zu gehen und mehr Verantwortung in der Beziehung zu übernehmen, entspannte sich die Beziehungssituation. Die Frau konnte Kontrolle abgeben. Sie nahm sich vor, weniger streng mit sich selbst zu sein und liebevoller mit sich umzugehen. Das gab beiden mehr Frei- und Bewegungsräume in der Beziehung.

1.3 Ein Paradigmenwechsel

Ich verfolgte von Anfang an das Ziel, mit dem typgerechten Vorgehen die Wirksamkeit von Psychotherapie und Coaching zu verbessern. Ich entdeckte, dass es darum geht, jeden Persönlichkeitstypen in seine Schlüsselfähigkeiten zu lenken, den Gefühlsmenschen ins Erkennen, den Denker ins Handeln und den Macher ins Fühlen. Das war zugleich der Anfang eines erkenntnisgeleiteten Arbeitens.5

Ohne typologisches Wissen geht man in der lösungsorientierten und systemischen Arbeit pragmatisch vor. Man macht das, was sich bewährt hat, und verzichtet weitgehend auf psychologische Erklärungen. Das ist typisch für die neu entwickelten Psychotherapie- und Coaching-Verfahren in den letzten drei Jahrzehnten.6 Das Fehlen einer anleitenden und kontrollierenden Theorie hat jedoch auch Nachteile für die praktische Arbeit.

Man verfügt zwar über einen Koffer wirksamer Werkzeuge, doch es fehlen die Gebrauchsanweisungen. Es fehlt das psychologische Knowhow, welche dieser Methoden bei wem, wann und wozu angewandt werden sollte. Wenn jemand als Therapeut oder Coach nicht über eine ausgeprägte Intuition verfügt7, bleibt ihm dann nichts übrig, als nach der Methode ‚trail and error‘ zu arbeiten.

Aus dem Wissen über die typspezifischen Kompetenz-Prozesse ergibt sich etwas Neues für Psychotherapie und Coaching. Die Persönlichkeitstypen werden hier nicht mehr nur ‚von außen‘, von ihren beobachtbaren Eigenschaften und Verhaltensweisen her beschrieben, sondern auch ‚von innen‘, von ihrer ‚Funktionsweise‘ her. Die zur Verfügung stehenden Interventionen können dann passgenau eingesetzt werden.8

Das hier vorgestellte Modell der Menschenkenntnis leitet einen weiteren Paradigmenwechsel9 ein. Es ist eine Theorie, die die innere und äußere Wirklichkeit des Menschen abbildet. Sie ist nicht spekulativ, sondern bewegt sich ganz nah an praktischen Erfahrungen. Bei jedem Schritt ist überprüfbar, ob sie mit den Lebenserfahrungen übereinstimmt und sich in der Anwendung bewährt.

Was bringt eine prozessorientierte Persönlichkeitstypologie im Vergleich zu den herkömmlichen Modellen der Menschenkenntnis? Sie ist genauer und anwendungsrelevanter als die bisherigen, beschreibenden Typologien. Sie kann feiner und trennschärfer unterscheiden. Und sie kann den gemeinsamen Nenner unterschiedlicher Typologien ebenso deutlich machen wie ihren speziellen Beitrag zum Thema Menschenkenntnis. Sie ist darüber hinaus geeignet als Integrationsmodell für lösungsorientierte und systemische Therapie- und Coaching-Methoden zu dienen.

Mit den pragmatisch vorgehenden lösungs- und kompetenzorientierten Verfahren werden schon jetzt gute Ergebnisse erzielt. Doch zusammen mit einem psychologischen Orientierungswissen, wie es die Psychographie zur Verfügung stellt, kann sie noch mehr leisten. Und meine Hoffnung ist, dass dieses Wissen dazu beitragen wird, dass diese wirksamen Verfahren mehr beachtet und gesundheitspolitisch anerkannt werden und dass sie dadurch vielen Menschen zugutekommen.

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