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NICHT WEGEN EINER FRAU

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Als am nächsten Morgen der Wecker klingelte, fühlte Pat so etwas wie Energie. Blieb aber liegen, bis sie zur Arbeit gegangen war. Sie hatte ihn nicht geweckt. War einfach arbeiten gegangen, und ließ ihm sein Glück. Ein Meilenstein in unserer Partnerschaft, sagte Pat zu seinem Spiegelbild, als er zum Pinkeln ging.

Pat sollte in drei Monaten wieder in die Arbeitswelt eingegliedert werden. Stark reduzierte Arbeitszeit in den ersten vier bis sechs Wochen. Dann irgendwann Rückkehr zur Normalität. Schritt für Schritt raus aus dem beschaulichen Burn-Out-Tal, zurück auf den Leistungsgipfel.

Pat war inzwischen ganz gerne in seinem Tal. Es war zwar ein sehr enges, tiefes Tal, jedoch schien in den Mittagsstunden gelegentlich die Sonne hinein. Erleuchtete den Grund und spendete Wärme. Zwei, drei gute Stunden. Wenn keine Wolken den Himmel bedeckten.

Den angeberischen Gipfel konnte er nicht leiden. Das Gipfelkreuz machte aus dem Berg ein Grab. Da oben war es kalt und der Wind wehte rücksichtslos. Der Aufstieg war anstrengend und sinnlos. Kaum erreichte ein Bergsteiger den ersehnten Gipfel, musste er schon über den Abstieg nachdenken. Vertändelte er dort oben zu viel Zeit, würde ewr auf dem Abstieg von der Dunkelheit überrascht werden. Und von der Kälte. Er würde sich verlaufen und dann jämmerlich erfrieren. Pat war schon mal auf dem Gipfel. Er wollte nicht noch einmal hinauf. Es hatte ihm nicht gefallen.

Drei Monate Galgenfrist, dachte Pat. Sollte er bis dahin ein anständiges Leben führen? Oder die Zeit genießen. Das anständige Leben käme ja in drei Monaten von alleine zu ihm. Warum also nicht die Zeit genießen.

Bilder malen, rauchen und Kaffee trinken. Viel schlafen, selten duschen. Häufig Pizza, kaum Obst. Und dann wieder Bilder malen, Bilder malen, Bilder malen. Seine Acrylfarben spendeten ihm Trost. Eine Art Trost, die Menschen nicht zu spenden verstehen. Bedingungsloser Trost. Seine Farben waren rein und selbstlos. Er liebte seine Farben sehr.

Am liebsten würde er seiner Freundin die Wahrheit sagen. Einmal hatte er es versucht. Hatte ihr gesagt, dass er nicht mehr arbeiten möchte.

Sie hatte ihm daraufhin einen Vortrag gehalten. Mit keinem Wort ging sie auf seinen Zustand oder seine Ängste ein. Pat erinnerte sich noch an einige Passage der wütend vorgetragenen Ansprache.

Glaubst Du, dass die anderen alle jubilierend aufstehen und begeistert zur Arbeit gehen? Glaubst Du das wirklich? (Er glaubte es nicht. Die anderen spielten für seinen Zustand keine Rolle. Er kam allerdings nicht zu Wort. Seine Sichtweise war nicht gefragt.) Man arbeitet, weil man arbeiten muss, um Geld zu verdienen. Man muss arbeiten, um zu leben. Das ist ganz einfach. Jedes Schulkind kapiert das. Nur Du nicht. Man muss eben arbeiten. (Er wusste, dass sie log. Sie hatte nicht nur die Wohnung gekauft, sondern das ganze Haus. Drei Parteien überwiesen ihr am Monatsersten reichlich Miete. Das Haus war bezahlt, und noch immer war Bares von Opas Erbe auf dem Konto übrig. Sechsstellig. Alleine die Mieteinnahmen überstiegen das Durchschnittseinkommen eines Durchschnittshaushaltes.

Er wusste es, sie wusste es. Es wäre problemlos möglich, dass er sich Arbeitslos meldete. Er könnte mit den Mieteinnahmen einer halben Wohnung auskommen, wenn er bei ihr kostenlos wohnen dürfte. Er wusste, dass sie ihn ganz einfach retten könnte. Ihm ein Leben in Freiheit schenken könnte. Im Handumdrehen. Aber sie brachte es nicht fertig. Sie war es, die ihn zwang, wieder arbeiten zu gehen. Trotz Depression. Sie würde niemals, niemals, niemals von ihrem Standpunkt abrücken. Aber Pat hatte sonst niemanden, auf den er hoffen konnte. Er klammerte sich an seine Hoffnung, wie ein Spielsüchtiger an seinen Lottoschein.)

Ihr Vortrag ging noch eine Weile so weiter, und wurde dabei immer langweiliger. Gesellschaft, Gemeinwohl, Solidarität. Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder…warum solltest ausgerechnet Du auf Kosten anderer…wie stellst Du Dir das eigentlich vor…Egoismus, Rücksichtslosigkeit, Selbstmitleid…

Es hatte keinen Sinn. Er konnte ihr nicht begreiflich machen, dass seine Seele sich vor Fremdbestimmung grauste. Dass ein Büro eine Gefängniszelle sein konnte. Dass Excel-Tabellen wie Daumenschrauben wirkten. Dass er Angst hatte. Dass ihm die Tränen kamen, wenn er an Outlook-Aufgaben dachte. Dass er es nicht schaffen konnte, nicht schaffen würde, nicht schaffen kann, nicht schaffen wird, nicht schafft. Dass er nicht mehr kann.

Aber versprich mir, dass Du Dich nicht wegen einer Frau vor die Straßenbahn wirfst!

Nicht wegen einer Frau.

Aber wenn die Frau ihn nicht verließ, sondern zur Arbeit zwang? Könnte man in diesem Fall eine Ausnahme machen?

Und was ist mit dem Regionalexpress oder ICE?

Pat dachte an Selbstmord, wie andere ans Essen dachten. Täglich mehrfach, teilweise begeistert, manchmal lustlos, mitunter voller Überdruss.

Ein Freund von ihm hatte es versucht. Mit Tabletten. Sie fanden ihn, pumpten ihm den Magen aus und warfen ihn zurück ins Leben.

An einer Bushaltestelle im Morgengrauen hatte sein Freund es ihm erzählt. Er beendete seine Schilderung mit dem Satz: „Ich wünschte, sie hätten mich gehen lassen - ich habe das Licht schon gesehen.“

Das Licht.


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