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Kapitel 1

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Juni

Xavier tauchte in die feuchte Hitze des Club Eros ein und fühlte sofort den dumpfen Bass der Musik durch seine Beine bis zu seinem Schwanz hoch vibrieren.

Er lief auf Hochtouren und hatte an diesem Abend bereits alle Register gezogen. Denn er hatte es dringend nötig, flachgelegt zu werden. Je schneller, desto besser. So gestresst wie er war, waren seine Schultern selbst jetzt noch angespannt. Er ließ sie kreisen, um sie zu lockern, und schlenderte zur Bar.

Er war sich seines Hüftschwungs sehr wohl bewusst und auch der Blicke, die er auf sich zog, und wollte das möglichst gut nutzen. Wenn er schnell einen Fick finden konnte, würde er sogar noch genug Schlaf bekommen, bevor er am nächsten Morgen um acht zur Arbeit musste. Gefolgt von Unterricht an der Krankenpflegeschule, Laborstunden und familiären Verpflichtungen. Das Böse schlief nie.

Es war immer noch Sommer und Xavier hatte sich entschlossen, seine feminine Seite zu unterstreichen. Die meisten Männer überraschte das, denn Xavier war keinesfalls zierlich. Seine Arme und Schultern waren trainiert, weil er in seinem Job als Landschaftsgärtner Dünger schleppte und Bäume pflanzte. Ganz zu schweigen davon, dass er im Alleingang alle Wartungsarbeiten am Haus seiner Familie durchführte, das um seine Großmutter herum praktisch auseinanderfiel, während sie jeden Sonntag Abendessen machte.

Er trug enge weiße Shorts, die durch den Kontrast zu seiner dunklen Haut geradezu leuchteten. Dazu ein hellblaues ärmelloses Top, das seine Muskeln zur Geltung brachte. Er hatte nur einen Hauch Makeup aufgetragen, nichts Übertriebenes. Sein Haar trug er ausnahmsweise offen. Es fiel auf seine Schultern und streifte seine nackte Haut.

Die Mischung aus Erstaunen und Erregung, mit der er gemustert wurde, ließ ihn grinsen. Die sanften, femininen Details betonten seine natürliche Männlichkeit und die Leute waren manchmal unsicher, was sie mit ihm anfangen sollten. Im Alltag tat er nichts dergleichen, dazu war sein Leben zu gewöhnlich und er war zu sehr in sozialen Normen gefangen, um das auch nur in Betracht zu ziehen. Aber es fühlte sich gut an, sich in Szene zu setzen, wenn er ausging. Eros war ein relativ sicherer Ort dafür. Wobei kein Ort wirklich sicher war. Der schwule Nachtclub war fast eine Autostunde entfernt, aber das war es wert. Anders als in einigen der schäbigeren Bars in seiner Nähe gab es im Eros eine gesunde Mischung aus jung und alt, heiß und durchschnittlich, extrem und alltäglich. Twinks mit Netzshirts und hautengen Hosen tanzten neben kräftigen Typen in normalen Jeans und T-Shirts.

Er hielt an der Bar und bestellte einen Vodka Cranberry. Eigentlich mochte er keine Cocktails. Etwas Hochprozentiges wäre ihm lieber gewesen, aber er musste am nächsten Morgen arbeiten. Außerdem war das Getränk ohnehin mehr ein Requisit, das zu seinem Image für diese Nacht passte. Es war lächerlich einfach, einen Kerl zu finden, der toppen würde. Er musste jemanden nur lange genug anstarren und sie wären sich einig. Umgekehrt war es schon schwieriger. Viele Jungs fanden ihn einschüchternd, manchmal aufgrund seiner Größe, manchmal aufgrund seiner Hautfarbe. Er war mixed race, hatte einen schwarzen und einen weißen Elternteil, aber die meisten Menschen sahen nur eine Seite von ihm und reagierten darauf. Rassismus nahm mitunter die sonderbarsten Formen an, manchmal unabsichtlich, aber er war immer noch da.

An diesem Abend wollte er passiv sein. So gut es sich auch anfühlte, jemanden durchzuficken, nichts entspannte seine Muskeln so wirkungsvoll wie das Eindringen in seine intimsten Orte. Und er brauchte das. Also hatte er seine weibliche Seite betont. Das war immer eine unterhaltsame Ablenkung und hatte den zusätzlichen Vorteil, dass es ihn für Männer, die gerne toppten, zugänglicher machte.

Xavier nippte an seinem Drink und schauderte beinahe, als sich der süße Geschmack auf seiner Zunge verteilte. Er stellte das Glas ab und rührte mit dem Strohhalm um. In dem Spiegel über der Bar konnte er beobachten, wie sich ein Mann näherte. Er war groß und schlank. Seine Jeans und sein T-Shirt brachten Brust und Schenkel genau richtig zur Geltung. Sein Haar war dunkel, was schon immer Xaviers Geschmack gewesen war. Auf den ersten Blick sah er ein bisschen wie Xaviers Mitbewohner aus. Das war etwas seltsam, aber er konnte nicht leugnen, dass Zane verdammt sexy war.

Das sieht vielversprechend aus. Vielleicht bekomme ich heute Nacht sogar noch acht Stunden Schlaf, es sei denn, er ist ein Tier im Bett.

Als der Mann näher kam, senkte Xavier den Blick. Er wollte nicht zu eifrig erscheinen. Er fühlte die Wärme eines anderen Körpers hinter sich und eine Hand, die sich auf seinen Rücken legte. Die Hand des Fremden wanderte seine Wirbelsäule entlang nach oben zu seinem Nacken und verursachte ein Prickeln. Der Typ war ganz schön anmaßend, aber es war erregend.

„Du bist ein verdammtes Juwel, weißt du das?“, flüsterte der Typ und sein Atem streifte Xaviers Ohr.

„Und du trägst ganz schön dick auf.“ Xavier konnte ein schnaubendes Lachen nicht unterdrücken.

Der Mann beugte sich näher zu ihm. „Ich hole mir nur, was ich will, und ich entschuldige mich nicht dafür.“

Die Worte hätten sexy sein sollen. Aber Xavier drehte den Kopf und sah das Gesicht des Kerls, der ihn anbaggerte. „Nein, eindeutig nicht“, antwortete er kalt.

Trent Cavendish erstarrte. Er sah überwältigt aus. Ein Ausdruck, den Xavier seit mehr als zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Genau genommen hatte er gar keinen Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen, seit er ihn vor so vielen Jahren verlassen hatte.

Trents Überraschung legte sich schnell und in seinen Augen schimmerte Lust, während sein Blick Xaviers Körper scannte.

„Fuck, Baby“, flüsterte Trent, seine Stimme rau.

‚Fuck‘ war der richtige Ausdruck. Er zog das Pech wirklich an, dass ihm ausgerechnet sein Exfreund von der Highschool über den Weg laufen musste. Der Typ, der ihm das Herz herausgerissen, darauf herum getrampelt war und dabei noch seine Familie und seine Prinzipien beleidigt hatte. Zwölf Jahre hatten den Schmerz gedämpft, aber nicht den Zorn.

Xavier zuckte zurück und zischte ärgerlich, als Trents Finger sich in seinem Haar verfingen und daran zogen.

„Tut mir leid“, murmelte Trent.

Sein Ex vibrierte vor Spannung, ließ seine Finger aber locker und zog sie vorsichtig zurück. Sie glitten aus Xaviers Haar und tanzten einen Moment länger als nötig über die erhitzte Haut in seinem Nacken, ehe er sie ganz wegnahm.

„Darf ich dich zu einem Drink einladen“, fragte Trent, als gäbe es da keinen Berg von Altlasten zwischen ihnen. Das machte Xavier nur wütender. Warum verhielt sich das Arschloch so, als wäre es ihm egal, dass Xavier wieder in seinem Leben aufgetaucht war? Als hätte er nicht etwas Gutes … Nein, etwas Großartiges weggeworfen, ohne sich noch einmal umzudrehen?

„Jetzt hör mir mal gut zu, du Hurensohn“, knurrte er.

Trent zog die Augenbrauen hoch und Xavier spürte einen Hauch von Schuldgefühlen. Er hatte Trents Mutter kennengelernt. Es war nicht richtig, ihn so zu nennen.

„Okay, dann nicht Hurensohn, das ist nicht wahr. Aber Scheißkerl, Vollidiot, Arschloch … Such dir etwas aus.“

„Arschloch, schätze ich?“

Xavier verdrehte die Augen, weil Trent amüsiert klang.

„Na schön, das eher nicht. Denn unter den richtigen Umständen mag ich Arschlöcher.“

Trent grinste. „Aber heute Nacht willst du keines. Richtig?“

Der Scheißkerl hatte ja sowas von recht.

Noch ehe Xavier sich eine Antwort ausdenken konnte, packte Trent ihn am Handgelenk und zog ihn zur Tanzfläche. Ihre Getränke blieben vergessen an der Bar zurück.

„Was zum Teufel soll das?“

„Tanz einfach mit mir.“

„Du kannst mich mal!“

„Gott, bitte, ja, jederzeit“, antwortete Trent und schob Xavier an den Hüften vorwärts.

So sehr Xaviers Mund auch protestierte, er konnte seinen Körper nicht dazu bringen, ihm zu gehorchen. Er bewegte sich mit Trent mit, ihre Körper verfielen in ein vertrautes Muster und ihre Hüften wiegten sich synchron. Trent war voller Gegensätze. Dunkles Haar fiel in seine Stirn und flatterte um blaue Augen, die von langen Wimpern umrahmt waren. Die Bartstoppeln an seinem markanten Kinn hoben sich von seiner blassen Haut ab. Er war Licht und Schatten und seine Augen und Lippen bildeten Farbtupfer. Xavier konnte nicht leugnen, dass er verdammt sexy war.

In den Jahren seit ihrer Trennung war Trent nur noch attraktiver geworden. In der Highschool war er dünn und schlaksig gewesen, mit einem kindlich runden Gesicht. Schlank war er immer noch, aber er hatte eindeutig an seinem Körper gearbeitet und seine Muskeln bewegten sich beim Tanzen unter seinem Shirt. Auch sein Gesicht war reifer geworden. Es ließ ihn im besten Sinn älter aussehen. Ein heißer Typ in der Blüte seines Lebens.

Sein Ex strahlte Selbstvertrauen aus, wie er es schon immer getan hatte. Selbst als Teenager war er sich seiner Zukunft so sicher gewesen. Inzwischen war er zweifellos der Chirurg, der er hatte werden wollen.

Xavier dagegen blieb zu Hause, um seine Familie zu unterstützen und Bäume zu pflanzen. Vielleicht hatte Trent damals recht gehabt, seine Prioritäten zu hinterfragen. Er war dreißig und erst jetzt in seinem letzten Jahr auf der Krankenpflegeschule.

„Ich kann es nicht glauben“, sagte Trent und deutete Xaviers Körper entlang. „Du bist so heiß.“

Ein Flattern in seinem Bauch warnte Xavier, dass es Zeit für den Rückzug war. Er wollte seinem Ex zeigen, was er verpasst hatte, statt es ihm auf einem Silbertablett zu servieren.

„Zu dumm, dass ich ein Versager ohne Ambitionen bin“, sagte Xavier, auch um sich selbst daran zu erinnern, warum es eine furchtbare Idee wäre, mit Trent ins Bett zu gehen. Es würde das letzte Bisschen Stolz zerstören, das er noch hatte.

„Ach sei doch nicht so“, sagte Trent mit einem verführerischen Lächeln.

Arschloch.

Xavier fand die Kraft, sich loszureißen. Er drehte sich um und drängte sich durch die tanzenden Körper und an den Paaren an der Bar vorbei zum Ausgang. Er war nicht länger in der Stimmung, jemanden abzuschleppen. Sein Ex hatte ihm die ganze Nacht versaut.

Verdammt, ich hätte dringend etwas Stressabbau gebraucht. Jetzt bin ich noch angespannter als vorher.

Beim Ausgang holte Trent ihn ein. „Warte, Xav!“

„Was?“, fragte er zornig und brauchte seine ganze Selbstbeherrschung, um nicht zu schreien. Oder Trent eine zu scheuern. Aber er war knapp davor.

„Komm mit zu mir.“

„Verpiss dich.“

„Dann auf einen Kaffee. Wie wäre es mit Kaffee?“

Trents Stimme klang nicht mehr sexy und seine Augen sahen Xavier fast flehend an. Aber das konnte nicht sein. Er wollte Xavier nur in seine Sexfalle locken.

„Wir können uns austauschen. Ich weiß gar nichts mehr von dir.“

Xavier schnaubte. „Ich bin kein Arzt und ich werde nie einer sein. Das war alles, was dich interessiert hat, als wir achtzehn waren, das ist auch alles, was du jetzt wissen musst.“

„Komm schon, Xav. Sein ein bisschen nachsichtig mit mir.“

Wohl kaum. Trent hatte auch keine Nachsicht mit ihm gehabt, als Xavier seinen Verpflichtungen gegenüber seiner Familie den Vorzug vor einem gemeinsamen Studium mit seinem Freund gegeben hatte. Nein, er war gegangen und genau das hatte Xavier jetzt auch vor.

Er drückte die Tür auf und trat in die frische Abendluft, die sich nach dem stickigen Inneren des Clubs angenehm kühl anfühlte. Er holte tief Luft und der Geruch von Abgasen und Alkohol ersetzte den Dunst aus Schweiß und Pheromonen, die ihm das Gehirn vernebelt hatten. Mit einem freieren Kopf machte er sich auf den Weg zu seinem verbeulten 1998er Honda Accord, mit Rost an den Kotflügeln und einer andersfarbig lackierten Tür auf der Fahrerseite. Kein Zweifel, Trent würde sein Auto ebenso mangelhaft finden wie seinen Lebenslauf. Scheiß auf ihn.

Er stieg ein, steckte den Zündschlüssel ein und zuckte zusammen, als Trent ans Fenster klopfte. Er drehte den Schlüssel so weit, dass er das Fenster gerade ein paar Zentimeter öffnen konnte.

„Entwickelst du dich zum Stalker? Muss ich mir Sorgen machen?“

Trent lächelte. Ein wenig schief und viel zu charmant für einen Typen, den Xavier so viele Jahre gehasst hatte.

„So, wie unsere Beziehung geendet hat, das war …“ Er brach ab, weil er scheinbar nicht die passenden Worte fand. „Ich möchte es wieder gut machen. Besser sogar.“

Xavier startete den Motor. „Du verschwendest deine Zeit.“

„Ich habe einen Job in Ashe angenommen. Was glaubst du, warum ich zurückgekommen bin?“, sprach Trent lauter, um den Motor zu übertönen. „Wegen des Geldes jedenfalls nicht.“

„Du hast eine Familie in Ashe.“

„Meine Eltern sind vor drei Jahren nach Florida gezogen.“

Xavier starrte leer vor sich hin, bis Trent leise fluchte.

„Deinetwegen, Xavier. Ich bin zurückgekommen, um zu sehen, ob wir es noch einmal miteinander versuchen könnten. Oder uns wenigstens versöhnen, weißt du?“

Es war zu viel. Xavier war sauer, traurig, gestresst und so verdammt müde. Die Krankenpflegeschule mit dem Unterricht, den Laborstunden und dem Praktikum an der Klinik war auch ohne einen Teilzeitjob und eine Familie, die seine Unterstützung brauchte, kein Zuckerschlecken. Selbst wenn er Trent hätte zuhören wollen, hätte er nicht die nötige emotionale Energie. Und er wollte nicht.

Die Emotionen zogen seine Brust zusammen und er war entschlossen, es Trent nicht zu zeigen. Er brachte die leise, zweifelnde Stimme in seinem Kopf zum Schweigen, die vielleicht sagte. Vielleicht hatte Trent sich geändert. Vielleicht war er jetzt ein besserer Mensch.

Vielleicht wäre er toll im Bett. Nein, das war kein Vielleicht. Das wusste er aus Erfahrung und damals war Trent eine unerfahrene Jungfrau gewesen.

Nein. Xavier schob diesen Gedanken weg. Wenn Trent wirklich seinetwegen zurückgekommen war, dann gab es keinen Grund, warum sie einander zufällig in einem schwulen Nachtclub über den Weg laufen würden. Trent hatte vielleicht nicht seine Adresse oder Telefonnummer, aber er wusste, wo Xaviers Großmutter lebte. Er war in ihrer Schulzeit oft genug zu Besuch gewesen. Xavier kaufte Trent die Geschichte nicht ab, die er ihm da auftischte.

Er wollte nur einen Fickpartner. Womöglich auch in Erinnerungen schwelgen. Keinesfalls war Trent Cavendish, Doktor Trent Cavendish inzwischen, nach Ashe in Kansas zurückgekehrt, um wieder mit seiner ersten Liebe zusammen zu sein. Sowas passierte nicht.

Xavier legte den Gang ein. „Wie gesagt, verschwende nicht deine Zeit.“

Er drückte das Gaspedal durch, düste aus dem Parkplatz und ließ den ersten Mann, den einzigen Mann, den er je geliebt hatte, zurück.

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