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Es war an einem Januartage des Jahres 2109. Im Verwaltungsgebäude des Marspreises zu Paris saß der erste Direktor des Kuratoriums in seinem Arbeitszimmer. Die Arbeiten dieses Kuratoriums hatten im Laufe der vergangenen zweihundert Jahre auch manche Wandlung erfahren. Während der ersten hundert Jahre seines Bestehens war der Preis häufig von Leuten beansprucht worden, die allerlei mehr oder weniger unbrauchbare Projekte zur Erschließung des Marses vorbrachten. Gemäß den Statuten durfte der Preis jedoch nur verteilt werden, wenn die Verbindung wirklich hergestellt war, und so waren alle diese Projektenmacher abgeblitzt. Damals hatte das Kuratorium hauptsächlich solche Ablehnungsbriefe zu schreiben, während das Geld des Preises selbst in sicheren Staatspapieren angelegt war. In den folgenden hundert Jahren hatte sich das Bild geändert. Projektenmacher kamen kaum noch, weil sie ein für allemal wußten, daß ihre Bestrebungen aussichtslos waren. Dafür aber war das Kuratorium immer kaufmännischer geworden, denn ein Vermögen, welches in die Milliarden geht, kann man nicht mehr einfach in mündelsicheren Papieren festlegen, sondern muß es durch Handelsherren in größtem Stile verwalten lassen.

So saß denn auch jetzt Monsieur Charles Durand, der Vorsitzende des Kuratoriums, in seinem Bureau und überdachte soeben eine Hundertmillionenbeteiligung der Marsstiftung an einer chemischen Eiweißfabrik in Tiflis, als der Diener ihm einen Besucher meldete. Alfred Müller, Doctor rerum phys. et. chem., las Monsieur Durand auf der Karte und hatte nicht übel Lust, den Besucher abzuweisen. Mißmutig wollte er die Visitenkarte des Fremden auf den Tisch werfen. Dieser Versuch gelang ihm indessen nicht. Freilich flog die Karte bis auf die Tischplatte. Dort blieb sie jedoch nicht liegen, sondern stieg langsam im Raum empor. Einen Augenblick stand Monsieur Durand verdutzt da. Dann erhaschte er die Karte mit schnellem Griff und drückte sie abermals auf die Tischplatte nieder. Sowie er jedoch die Hand wieder zurückzog, begann die Karte von neuem zu steigen. Erst als er einen Briefbeschwerer darüber stellte, behielt sie ihren Platz auf der Schreibtischplatte.

Höchst verwundert, betrachtete Monsieur Durand dieses eigenartige Kartenblatt und sagte dann kurz entschlossen zum Diener: „Ich lasse Herrn Doktor Müller bitten.“ Nach wenigen Sekunden stand ein junger Gelehrter, der Typus des blonden blauäugigen Deutschen vor ihm und begann nach wenigen einleitenden Worten die folgenden Erklärungen und Ausführungen vorzubringen:

„Es ist mir bekannt, Monsieur Durand, daß der Marspreis statutenmäßig nicht für vorbereitende Arbeiten, sondern nur für die endgültige Herstellung einer Verbindung zwischen Erde und Mars verliehen werden darf. Mit Recht hat Ihr Kuratorium Jahrhunderte hindurch das große Heer der Projektenmacher abgewiesen und ich würde nicht zu Ihnen gekommen sein, wenn ich Ihnen nicht etwas Besonderes zu bieten hätte. Sie werden nun vielleicht bereits das eigentümliche Verhalten meiner Visitenkarte bemerkt haben. Während alle anderen Dinge in diesem Zimmer unter dem Einflusse der Schwerkraft stehen und dementsprechend ihren Platz auf der Erdoberfläche unveränderlich beibehalten, ist diese Karte der Schwerkraft zum allergrößten Teile entzogen. Sie steht lediglich unter dem Einfluß der allgemeinen Massenträgheit. Infolgedessen wird sie zu irgend einem Zeitpunkt sich selbst überlassen, nicht mehr den üblichen Kreis mitmachen, den jeder Punkt der Erdoberfläche beschreibt, sondern sich tangential von der Erdoberfläche entfernen. Wir werden sie praktisch in die Höhe steigen sehen.“

„Das habe ich bemerkt,“ unterbrach ihn Monsieur Durand.

„Ich will Sie, sehr verehrter Herr Durand, nun nicht weiter mit den bekannten wissenschaftlichen Tatsachen langweilen,“ fuhr Doktor Müller fort. „Ich möchte nur daran anknüpfen. Wir alle stehen wohl heute auf dem Standpunkt, daß die Schwerkraft ein rein mechanisches Druckphänomen ist und durch das fortwährende Bombardement des Lichtäthers zustande kommt, dessen Atome die Poren der Materie durchsetzen, wie Wasser die Poren eines Schwammes. Obwohl wir diese Tatsache für wahrscheinlich, ja für wahrscheinlich bis zur Sicherheit halten, ist irgend ein experimenteller Nachweis, der zur Bekräftigung dieser Theorie hätte dienen können, bis jetzt noch nicht gelungen.

Ich selbst bin nun im Verfolg langwieriger Forschung dazu gekommen, die Moleküle eines Körpers derart zu schichten, daß die Stöße des Lichtäthers zum allergrößten Teile glatt hindurchgehen und die Erscheinung der Schwerkraft infolgedessen nicht mehr oder doch nur in so geringem Maße zustande kommt, daß sie durch die Zentrifugalkraft bequem überwunden werden kann. Ich will das Geheimnis meiner Erfindung vorläufig noch nicht bekannt geben, überzeugende Experimente, die ich Ihnen vorführen kann, sprechen überdies deutlicher als alle Theorien. Ich habe hier einen goldenen Ring am Finger. Äußerlich mag Ihnen vielleicht ein gewisser opalisierender Glanz des Goldes auffallen. Dieser Ring nun ist polarisiert abarisch gemacht, das heißt er ist in einer bestimmten Richtung für die Schwerkraftstrahlen unfaßbar. Ich nehme den Ring jetzt vom Finger und stelle ihn hochkantig auf den Tisch. Sie sehen, er bleibt ruhig liegen. Die Schwerkraftstrahlen drücken ihn auf die Tischkante. Jetzt lege ich den Ring flach auf den Tisch und sofort beginnt er zu steigen. Im Gegensatz zu dieser polarisierten Abarie war meine Visitenkarte überhaupt und in jeder Richtung für die Schwerkraftstrahlen durchdringlich und daher in jedem Falle geneigt, emporzusteigen. Um es nun kurz zu machen. Ich kann eine große Anzahl irdischer Stoffe der Schwerkraft entziehen und damit bin ich ohne weiteres in der Lage, ein Fahrzeug zu bauen, mit dem sich der Mars erreichen läßt. Wenn ich in einem Augenblick mit einem derartigen abarischen Raumschiff die Erdoberfläche verlasse, in welchem die Tangente in diesem Punkte genau auf den Mars gerichtet ist, so muß ich diesem geradeswegs in die Arme laufen.“

Monsieur Durand hatte schweigend zugehört.

„Theoretisch haben Sie zweifelsohne recht,“ begann er jetzt, „aber überlegen wir uns einmal, wie lange die Reise dauern wird. Gesetzt den Fall, Sie nehmen den Augenblick großer Marsnähe zum Zeitpunkt der Abreise, so müssen Sie immerhin sieben Millionen Meilen durchfahren. Gesetzt weiter den Fall, Sie reisen vom Äquator ab, woselbst die Tangentialgeschwindigkeit der Erde etwa vier geographische Meilen in der Sekunde beträgt, so brauchen Sie immerhin noch rund eine Million achthunderttausend Sekunden oder zwanzig Tage und zwanzig Stunden. Das würde zeitlich nicht zu lange sein. Nicht länger, als noch vor zweihundert Jahren die Dampfschiffahrt über den Stillen Ozean dauerte. Aber weitere Einwände sind zu machen. Zunächst finden Sie keinen Punkt der Erdoberfläche, dessen Tangentialbewegung für die Zeit der Marsnähe genau auf den Mars gerichtet wäre. Dazu sind die Ebenen beider Planetenbahnen und die Achsen beider Planeten zu sehr gegeneinander geneigt. Die Punkte, welche für solche Abreise allenfalls in Betracht kommen würden, haben die drei- bis vierfache Entfernung der Marsnähe zur Voraussetzung. Ferner aber: wie wollen Sie mit Ihrem abarischen Fahrzeug, das nun in der Sekunde dreißig Kilometer zurücklegt, auf dem Mars landen, ohne zu Grunde zu gehen. Entweder Sie verfehlen die Marsscheibe und treiben dann verloren in die Unendlichkeit hinein, wenn Sie nicht vorher nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeit in der Region der Planetoiden von irgend einem Boliden, oder irgendwelchem im Weltraum treibenden Felsgetrümmer zerschmettert werden. Diese Aussicht ist wenig erbaulich. Aber auch die zweite ist nicht schön. Treffen Sie wirklich die Marsscheibe, so muß Ihr Fahrzeug durch den Aufprall gleichfalls zerschmettert werden und Ihre Expedition findet ein ruhmloses Ende.“

Die Reise zum Mars

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