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3 Fachperspektivität und Integration in NMG

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Spielarten des Zusammenwirkens von fachlichen Perspektiven

In Abbildung 2a werden, ausgehend vom Stichwort «Wasser», drei Möglichkeiten dargestellt, in welchem Verhältnis fachliche Perspektivität und fachliche Integration stehen können. Zwei weitere Möglichkeiten werden am Ende dieses Unterkapitels beschrieben.

Das erste «perspektivische» Unterrichtsbeispiel geht von der Frage bzw. vom Unterrichtsthema «Warum schwimmen Schiffe?» aus. Zur Beantwortung dieser Frage ist ausschliesslich Wissen und Können aus der naturwissenschaftlich-technischen Perspektive angesprochen. Im Lehrplan 21 zum Fachbereich NMG deckt dieses Unterrichtsthema innerhalb des Kompetenzbereichs 3 («Stoffe, Energie und Bewegungen beschreiben, untersuchen und nutzen») die Kompetenz 3 («Die Schülerinnen und Schüler können Stoffe im Alltag und in natürlicher Umgebung wahrnehmen, untersuchen und ordnen») mit der Kompetenzstufe 3d («Die Schülerinnen und Schüler können mit Objekten und Stoffen laborieren und ihre Erkenntnisse festhalten») und den vorgeschlagenen Inhalt «Verhalten im Wasser: schwimmen, sinken» ab. Der Fokus der genannten Kompetenzstufe liegt, neben dem inhaltlichen Aspekt, das physikalische Phänomen zu verstehen, auf den Handlungsaspekten des «Laborierens» und «Dokumentierens».

Das zweite Beispiel in Abbildung 2a thematisiert den perspektivenaddierenden Unterricht. Diesmal steht nicht eine Frage, sondern das Stichwort «Wasser» im Zentrum der Unterrichtseinheit (siehe auch das Beispiel zum «Apfel» in Abb. 1). Zu diesem Stichwort kommt einem vieles in den Sinn, wie das Beispiel eines Themenhefts für die dritte/vierte Klasse zu «Wasser» zeigt.[26] Dort werden Inhalte genannt, die vom Wasservorkommen auf der Erde, von den unterschiedlichen Aggregatszuständen von Wasser, von der Oberflächenspannung und davon, wie Pflanzen ‹trinken›, über den Kreislauf des Wassers, Trinkwasserversorgung, Kläranlagen, Meeresschutz, Flossbau und Wassertiere bis hin zu Händels Wassermusik reichen. In der Art eines Brainstormings werden hier Wissensbestände bzw. dazugehörige fachliche Perspektiven zu einem Stichwort addierend aneinandergereiht. Die Folge davon ist, dass kaum ersichtlich wird, was zum Beispiel das Herstellen eines Wasserflosses mit dem Wasserkreislauf und Händels Wassermusik mit der örtlichen Wasserversorgung zu tun hat. Viele Materialien des Themenhefts beziehen sich auch auf sprachliche, mathematische und musische Inhalte, ohne einen ersichtlichen Zusammenhang zum eigentlichen Sachthema. Zudem dienen die musischen Fächer oft nur der Abwechslung, Rhythmisierung oder Dekoration. Kinder erwerben auf diese Weise unverbundene, oft belanglose Wissens­inseln und keine Gesamtsicht zu einem Gegenstand. Sie werden nicht dazu ­angeregt, sich in einem komplexen Themenfeld eine eigene fundierte Meinung zu bilden und sich mit verschiedenen (fachlichen) Perspektiven bewusst auseinanderzusetzen. Ein Bezug zu den Kompetenzen des Lehrplans ist deshalb nur in Form einer beliebigen Aneinanderreihung denkbar. Als Ausgangspunkt für eine Studien- oder Projektwoche ­könnte ein Stichwort wie «Wasser» unter Umständen sinnvoll sein, wenn den Schülerinnen und Schülern eine möglichst hohe inhaltliche ­Wahlfreiheit angeboten werden soll. Aber die Auseinandersetzung beschränkt sich dann auf einen spezifischen und isolierten Aspekt, der aufgrund des Eigen­interesses vertieft behandelt wird.


Beim dritten Beispiel in Abbildung 2a zum perspektivenübergreifenden Unterricht geht es immer noch ums Wasser, aber diesmal eingebettet in die übergeordnete Fragestellung «Ist Wasser kostbar?». Was ändert sich dadurch in Bezug auf den NMG-Unterricht? Zunächst wird durch die übergeordnete Fragestellung eine inhaltliche Präzisierung und Fokussierung vorgenommen: Ausgehend vom alles umfassenden Stichwort «Wasser» wird von der Lehrerin, vom Lehrer überlegt, was daran für das Lernen der Kinder, für ihre Auseinandersetzung mit der Welt relevant, grundlegend und exemplarisch sein könnte (z. B. im Sinne von Heymanns Teilaufgaben von Bildung, siehe Tab. 3). Die Formulierung der vorliegenden übergeordneten Fragestellung führt auch dazu, dass es zu einer bewussten Auswahl und Reduzierung der fachlichen Perspektiven und ihrer entsprechenden Wissensbestände kommt. Denn im Gegensatz zum perspektivenaddierenden Beispiel schränkt die übergeordnete Fragestellung die Anzahl der infrage kommenden fachlichen Perspektiven ein. Zur Beantwortung dieser Frage benötigen wir Wissen hauptsächlich aus Kompetenzbereichen des Lehrplans, die sich an der sozialen (Zugang zu Trinkwasser), wirtschaftlichen (Wasser als Wirtschaftsfaktor, Kosten der Wasserversorgung in der Gemeinde) und geografischen Perspektive (Wasservorkommen und deren Nutzung) orientieren. Wissensbestände anderer Perspektiven von NMG oder anderer Fächer sind in diesem Fall nur am Rand oder gar nicht gefragt. Da die zur Beantwortung der Frage hinzugezogenen Wissensbestände und Handlungsaspekte sich alle auf diese zentrale Fragestellung beziehen, ist bei den Kindern eine Vernetzung des erworbenen Wissens, das zu vertieftem Verstehen führen soll, zu erwarten.

Eine vierte Variante, wie die vielperspektivische Ausrichtung von NMG im Unterricht umgesetzt werden kann, lässt sich als «transperspektivisch» bezeichnen (siehe Abb. 2b).


Komplexe gesellschaftliche Fragen, wie sie zum Beispiel von einer «Bildung für eine nachhaltige Entwicklung» (BNE) aufgeworfen werden, lassen sich selten allein durch die inhaltlichen und methodischen Angebote der fachlichen Perspektiven von NMG beantworten. Werden durch pers­pektivenübergreifendes Arbeiten Wissen sowie Denk- und Arbeitsweisen verschiedener fachlicher Perspektiven miteinander verbunden, so geht transperspektivisches Arbeiten darüber hinaus, indem ausserwissenschaftliches Akteurswissen zur Bearbeitung komplexer gesellschaftlicher Fragestellungen miteinbezogen wird.[27] Gemeindemitarbeitende und Angestellte von Wasserwerken könnten durchaus wertvolle Erkenntnisse beitragen, zum Beispiel zu unserem Unterrichtsthema «Ist Wasser kostbar?».


Eine fünfte Variante betrifft schliesslich das fächerübergreifende Arbeiten (siehe Abb. 2c). Während die perspektivenübergreifende Variante in Bezug auf eine übergeordnete Fragestellung Wissensbestände und Handlungsaspekte aus fachlichen Perspektiven von NMG ins Auge fasst, werden im fächerübergreifenden Unterricht neben Wissensbeständen verschiedener fachlicher Perspektiven von NMG auch Wissensbestände anderer Schulfächer zur Beantwortung einer übergeordneten Fragestellung hinzugezogen. Wenn wir wieder von der Fragestellung «Ist Wasser kostbar?» ausgehen, könnten dies die Fächer Mathematik (Wasserkosten oder Wasserverbrauch berechnen) oder Deutsch (Texte aufgrund von Interviews mit Gemeindevertretern entwerfen) sein. Der fächerübergreifende Unterricht in NMG bietet, wie der Lehrplan betont, «die Möglichkeit, die Grenzen der einzelnen Fachbereiche aufzulösen und Themen aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Erst damit werden Komplexität und Zusammenhänge von Phänomenen und Situationen deutlich.»[28] Das, so heisst es weiter, trägt «zu einem bereichernden und vertiefenden Unterricht» bei.[29] Konkret kann fächerübergreifender Unterricht für NMG dann angebracht und sinnvoll sein, wenn die übergeordnete Fragestellung durch das Hinzuziehen von Wissensbeständen anderer Fachbereiche vertiefter und breiter beantwortet werden kann. Entscheidend ist dabei, dass es auch aus der Sicht der hinzugezogenen Fächer sinnvoll ist, sich auf diese Frage einzulassen. Blosse Alibibeiträge, Lückenfüller oder reine Unterhaltungsaktivitäten wären damit ausgeschlossen.

Fassen wir zusammen: Was ist die beste Unterrichtsform in NMG – perspektivisches, perspektivenaddierendes, perspektivenübergreifendes, transperspektivisches oder fächerübergreifendes Arbeiten? Entscheidend ist, dass man als Lehrerin oder Lehrer die Stärken und Schwächen dieser Möglichkeiten kennt und bewusst für die Planung und Umsetzung des eigenen Unterrichts berücksichtigt. Und bei allen dargestellten Varianten müssen sie sich Fragen stellen wie: Warum sollen sich Kinder eine gewisse Zeit lang mit diesem Unterrichtsthema auseinandersetzen bzw. inwiefern ist es bildungsrelevant für sie? Werden sie in der Beschäftigung mit diesem Unterrichtsthema zu «Spezialistinnen und Spezialisten für Zusammenhänge», erwerben sie dadurch vernetztes Wissen? Dient das erworbene Wissen dazu, «grundlegende Fragestellungen, die uns als Menschen oder unsere soziale, kulturelle und natürliche Um- und Mitwelt betreffen»,[30] anzugehen? Die zunehmende Komplexität und Widersprüchlichkeit vieler Probleme und Fragen heutzutage erfordert allerdings immer stärker eine perspektivenübergreifende bzw. transperspektivische Betrachtung. Am Beispiel des Ersatzes fossiler durch erneuerbare Energieträger kann dies gut illustriert werden: Einheimisches Rapsöl oder aus Indonesien importiertes Palmöl wird zunehmend als (sauberer) Biotreibstoff vermarktet. Daneben findet Palmöl auch in der Kosmetik, in Reinigungsmitteln und in Nahrungsmitteln (Margarine, Süsswaren) Verwendung. Durch die Rodung von Regenwäldern für den Plantagenbau ist die CO2-Bilanz von Palmöl jedoch höchst bedenklich: Eine Tonne Biokraftstoff aus Palmöl setzt zwei- bis achtmal mehr CO2 frei als die Verbrennung einer Tonne Erdöl.[31] Naturwissenschaftlich-technische, soziale, ökonomische, politische, ethische, geografische Wissensbestände und unterschiedliche Akteursperspektiven müssen herangezogen und vernetzt werden, will man diesen Sachverhalt gründlich verstehen. Das bedeutet, dass a) fundiertes Wissen aus verschiedenen Wissensdomänen bzw. von unterschiedlichen Akteuren benötigt wird und b) diese unterschiedlichen Wissensbestände sinnvoll miteinander in Verbindung gebracht werden müssen, um zu einem vertieften Verständnis des Problems gelangen zu können. Im folgenden Abschnitt wird der Fokus deshalb auf die Variante «perspektivenübergreifender Unterricht» in NMG gelegt.

Grundlagen und Chancen perspektivenübergreifenden Unterrichts in NMG

Beziehen wir das Biotreibstoff-Beispiel auf den Unterricht in NMG, heisst dies, dass auf der Basis von fachlichem Wissen und Können aus verschiedenen fachlichen Perspektiven von NMG den Lernenden ein vernetztes, perspektivenübergreifendes Verständnis komplexer Phänomene und Sachverhalte unserer Welt ermöglicht werden soll. Ausgehend von der Definition Klaus Moeglings für fächerübergreifenden Unterricht kann perspektivenübergreifender Unterricht wie folgt umschrieben werden:

Fächerübergreifender Unterricht [bzw. perspektivenübergreifender Unterricht] ist der didaktische Oberbegriff für alle Unterrichtsversuche, bei denen verschiedene Fachperspektiven [bzw. fachliche Perspektiven von NMG] systematisch zur Lösung eines Problems [bzw. einer übergeordneten Fragestellung] so miteinander vernetzt werden, dass ein thematisch-­inhaltlicher Zusammenhang erkennbar wird, eine mehrperspektivische Analyse und Beurteilung gefördert werden und eine handlungsorientierte Problemlösung oder handlungsorientierte Problemlösungsalternativen aus verschiedenen Blickwinkeln heraus entwickelt werden können [...].[32]

Es geht demnach darum, «die Leistungsfähigkeit des Fachlichen einschätzen zu lernen, auch in Verbindung damit dessen Grenzen zu erkunden und darüber hinaus das Fachliche zu überschreiten»[33].

Didaktische Begründungen für perspektivenübergreifenden Unterricht

Perspektivenübergreifender Unterricht als Mittel zum Verstehen der Welt lässt sich anhand unterschiedlicher didaktischer Blickwinkel begründen.[34]

Der entwicklungspsychologische Ansatz: Frühkindliches Denken ist schon rudimentär vernetzt, da es Sachverhalte (noch) nicht nach Fächern trennt. Ein perspektivenübergreifendes Vorgehen kann an dieses Denken anknüpfen und es im Sinne eines bewussteren und strukturierteren Denkens weiterentwickeln.

Der konstruktivistische Ansatz: Ein perspektivenübergreifender Unterricht unterstützt die Kompetenz der Schülerinnen und Schüler, verschiedene Perspektiven zu einem Gegenstand kennenzulernen, einzunehmen und zu vertreten (Wie wird beobachtet? Wer beobachtet? Mit welchen Absichten, Interessen?); es geht dabei um Rekonstruktion, Dekonstruktion und Konstruktion fachlicher Blickwinkel durch die Schülerinnen und Schüler. Durch die Beschäftigung mit exemplarischen und aktuellen Themen wird sowohl an das Vorwissen und die Fragen der Kinder als auch an das Wissen der Fachperspektiven von NMG angeknüpft.

Der bildungstheoretische Ansatz: Bildungsprozesse sind nicht auf Fachinhalte zu reduzieren (Klafki).[35] Sie sind Anregungen zur Entwicklung von Selbstkompetenz, Sachkompetenz, Mitbestimmungsfähigkeit und Fähigkeit zur Solidarität. Es geht um die Persönlichkeitsentwicklung zur Mündigkeit und um die Emanzipation von der Fremdbestimmung mittels selbstgesteuerten Lernens, um einen Beitrag zur Bewältigung der Schlüsselprobleme der Gegenwart und der Zukunft leisten zu können. Dies bedeutet, dass sich Bildung in Auseinandersetzung mit fächer- bzw. perspektivenübergreifenden Problemstellungen abspielen muss: «Diese komplexen Themen sind aus einem derart begriffenen Bildungsansatz heraus im Wechselspiel fachlicher Vorgehensweise und fächerübergreifender Mehrperspektivität so zu bearbeiten, dass die Schüler zunehmend zu Akteuren ihres Bildungsprozesses werden.»[36] Es geht um eine Ausweitung des Welthorizonts der Schüler und Schülerinnen, um eine «Komplexitätssteigerung im Sinne vernetzten Denkens»[37].

Der gestalttheoretische Ansatz: Hier geht es darum, den Teil und das Ganze zueinander in Bezug zu setzen (siehe unten den systemischen Ansatz). Ein Phänomen, ein Problem, das aus der fachlichen Perspektive heraus erkannt wird, erfordert in vielen Fällen eine vielperspektivische Problemlösung. Andererseits repräsentiert das Fachliche nur einen Teilaspekt des Ganzen – das Ganze ist mehr als die Addition seiner Teile.

Der systemische Ansatz: Alles ist miteinander vernetzt. Aufgrund der anstehenden komplexen Weltprobleme besteht deshalb die Notwendigkeit, systemisch, das heisst in Zusammenhängen, bzw. vernetzt zu denken – «Komplexität hängt mit Vernetzung zusammen und verlangt nach einem Denken in Zusammenhängen»[38].

Der lernpsychologische Ansatz: Wirklichkeit bildet sich im Subjekt nicht fachbezogen ab: «Fächer helfen unterscheiden, differenziert wahrzunehmen, aber begrenzen auch gleichzeitig die Weltsicht. Erst das Zusammenspiel von fachlichen und fächerübergreifenden Perspektiven ermöglicht eine optimale Handlungsfähigkeit des Subjekts. Vernetztes Denken ist mehr als die lehrerzentrierte Addition der Teile eines Ganzen. Erst durch den Bezug auf ein für die Schüler relevantes Problem kann eine vernetzte Sichtweise entstehen.»[39] Durch den Aufbau vernetzten Wissens (und die daraus folgende Chance, solches Wissen vermehrt in Handlungssituationen einsetzen zu können) können den Schülern und Schülerinnen zudem Erfolgserlebnisse verschafft werden, was wiederum ihre Lernmotivation verstärkt.

Der lernbiologische Ansatz: Lernen entsteht, wenn es zur Bildung und Vernetzung von Nervenzellen im Gehirn kommt.

Perspektivenübergreifender Unterricht und Kompetenzorientierung

Durch die Ausrichtung des Unterrichts auf die Entwicklung und Förderung von Kompetenzen stellt sich die Frage, welche Kompetenzen durch einen perspektivenübergreifenden Unterricht speziell entwickelt und gefördert werden. Veronica Boix Mansilla stellt in diesem Zusammenhang das «fächerübergreifende Verstehen» ins Zentrum ihrer Überlegungen:

Fächerübergreifendes Verstehen ist die Fähigkeit, Wissen oder Denkweisen aus zwei oder mehreren Fächern bzw. Wissensgebieten so zusammenzuführen, dass daraus ein Erkenntnisfortschritt resultiert, der die Möglichkeiten eines Einzelfaches übersteigt. Dieser Erkenntnisfortschritt kann darin bestehen, dass ein Phänomen erklärt, ein Problem gelöst, ein Produkt geschaffen oder eine neue Frage aufgeworfen wird.[40]

Vernetztes Denken und Verstehen ist in diesem Verständnis ein zielgerichteter Vorgang, der unter dem Einbezug verschiedener Fächer bzw. fachlicher Perspektiven einen Erkenntnisfortschritt anstrebt. Beim pers­pektivenübergreifenden Verstehen geht es um die Kompetenz, mit dem Fachwissen aus mehreren fachlichen Perspektiven eine überfachliche Fragestellung zu erschliessen und damit Wissen nicht bloss anzuhäufen, sondern es sich intelligent anzueignen und es anzuwenden. Es geht also um die Fähigkeit, kompetent mit Fachperspektiven umzugehen. Sich auf Klakfi beziehend, spricht Detlef Pech im Sinne eines integrativen Entwurfs von Bildung von der Notwendigkeit eines «Zusammenhangsdenkens». Für ihn stellt gerade «das Erschliessen von Zusammenhängen in und mit der Umwelt […] das bildungsrelevante Moment des Sachunterrichts»[41] dar.

Die Kompetenz des fächer- bzw. perspektivenübergreifenden Verstehens lässt sich in drei Teilkompetenzen ausdifferenzieren:[42]

•Fachkompetenz: Die Lernenden wenden fachliches Wissen und Können (Methoden) an.

•Die Fähigkeit, die Fachperspektiven bzw. fachlichen Perspektiven zusammenzuführen: Die Lernenden sind in der Lage, durch Einbezug unterschiedlicher fachlicher Wissensbestände ein Phänomen oder eine übergeordnete Frage zu erklären und zu verstehen.

•Die Reflexion dieses Vorgangs selbst: Die Lernenden besitzen die Fähigkeit, die Möglichkeiten und Grenzen einzelner Fächer in Bezug auf das zu untersuchende Phänomen bzw. in Bezug auf die Fragestellung zu erkennen und einzuschätzen.

«Fachlicher Perspektivenwechsel», «vernetztes Denken» und «komplexes Handeln» bilden dabei zentrale überfachliche didaktische Unterrichts­prinzipien, welche die Grundlage bilden zur Bearbeitung gesellschaftlicher Konflikte und Probleme.[43] Der Lehrplan 21 für NMG seinerseits betont die perspektivenübergreifenden Ziele des Unterrichts mit dem Ins­trument der vier «Handlungsaspekte in der Begegnung und Auseinandersetzung mit der Welt in NMG»[44]: In allen fachlichen Perspektiven bzw. Kompetenzbereichen von NMG sollen Schülerinnen und Schüler die Gelegenheit erhalten, die Welt wahrzunehmen, sie zu erschliessen, sich in ihr zu orientieren und in ihr zu handeln. Die Bedeutung der Förderung und Entwicklung vernetzten Denkens als Ziel perspektivenübergreifenden Unterrichts ist besonders hervorzuheben. Vernetzendes Lernen als didaktisches Unterrichtsprinzip geht dabei von zwei Prämissen aus: Erstens muss Lernen vielperspektivisch stattfinden, indem im Unterricht verschiedene Aspekte zu einem Phänomen aufgezeigt werden, und zweitens müssen diese Perspektiven in Bezug auf einen Gegenstand (eine Fragestellung) verknüpft werden.[45]

Fazit: Wann ist es sinnvoll, einen perspektivenübergreifenden Unterricht durchzuführen?

Den Unterricht in NMG perspektivenübergreifend oder transperspektivisch durchzuführen ist dann sinnvoll, wenn das ausgewählte Unterrichtsthema vielperspektivisch und vielschichtig ist und sich die zentralen Fragen dazu deshalb auch nicht einfach mit «Ja» oder «Nein» beantworten lassen.

So können Fragen wie zum Beispiel «Gehören Wölfe in unsere Wälder?» oder «Was ist ein guter Apfel?» nur dann sinnvoll beantwortet werden, wenn viele verschiedene sich gegenseitig beeinflussende Faktoren (Fakten, Annahmen, Thesen) berücksichtigt werden, die wiederum nur durch das Beiziehen von Wissensbeständen und methodischen Zugangsweisen unterschiedlicher fachlicher Perspektiven und/oder von Wissen betroffener Akteure befriedigend beleuchtet werden können.[46]

Um zu einem sinnvollen perspektivenübergreifenden oder transperspektivischen Unterrichtsthema zu gelangen, ist es nützlich, einen inhaltlichen Fokus in Form einer übergeordneten Fragestellung zu formulieren, der die Beiträge der fachlichen Perspektiven bzw. der Beiträge betroffener Akteure filtert, zusammenführt und sinnvoll vernetzt. Für Lehrerinnen und Lehrer, die einen solchen Unterricht gestalten wollen, besteht die Herausforderung in einem ersten Schritt deshalb darin, eine solche komplexe und bildungsrelevante Fragestellung zu finden. Erst im zweiten Schritt stellt sich dann die Frage, welche fachlichen Perspektiven von NMG bzw. welche Akteure einen Beitrag zur Beantwortung dieser übergeordneten Fragestellung leisten können. Durch die Formulierung einer übergeordneten Fragestellung wird der Unterrichtsgegenstand zudem eingegrenzt und die Vielzahl der möglichen fachlichen Perspektiven und deren inhaltliche und methodische Angebote reduziert.

Nachdenken und vernetzen in Natur, Mensch, Gesellschaft (E-Book)

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