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Vorwort des Herausgebers

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Warum sollte sich jemand aktuell mit dem Thema „Cholera“ beschäftigen? Das stimmt - es ist auch nicht die Cholera selbst, um die es hier im eigentlichen Sinne gehen soll, sondern vielmehr um die Menschen, ihr innerer Zustand und was die so plötzlich hereinbrechende Pandemie-Situation in ihnen auslöst. Das Auftreten einer weltweiten Pandemie gehört ja nicht gerade zu den Dingen, die eine Menschengeneration mehrfach durchlebt und deshalb innerlich gut darauf vorbereitet ist. Auch wenn der Corona-Ausbruch im Jahr 2020 nicht die erste Pandemie auf dieser Erde war, wurden die Menschen doch von Furcht ergriffen und auch wir Christen waren nicht frei davon. Ängstlich und beinahe sprachlos tasteten sich die Menschen durch jeden neuen Tag in der Krise.

Etwas ungewöhnlich ist auch das Zeitintervall in dem solche Pandemien die Menschheit heimsuchen: Im Jahr 1720 die Pest, 1820 die Cholera, 1920 die Spanische Grippe - und nun 2020 das Coronavirus ...

„Eine ansteckende Krankheit breitet sich aus, eingeschleppt von Reisenden aus Asien. Als eine der ersten ist die Hafenstadt Venedig in Norditalien betroffen. Schon bald erlassen die Stadtoberen Quarantäne-Maßnahmen und riegeln den Zustrom von Fremden und Händlern ab.“ Was womöglich klingen mag wie ein Szenario aus der aktuellen Corona-Pandemie, ist tatsächlich aber ein Rückblick auf die Pest im 14. Jahrhundert.

Und ähnliches galt auch für die Cholera-Pandemiewellen im 19. Jahrhundert, die sich ebenfalls aus Asien bzw. dem Orient kommend über das europäische Festland und Russland weiter über England und Irland und am Ende sogar bis auf den nord- und südamerikanischen Kontinent ausbreiteten.

Beinahe symptomatisch für den Zustand der damaligen Gesellschaft(en), auf die diese Wellen in Europa zurollten, stehen die Menschen in Paris, als mitten in der vorösterlichen Fastenzeit 1832 die Cholera-Pandemie auf eine Gesellschaft traf, die sich gerade auf dem Weg eines politischen und wirtschaftlichen Aufbruchs mit anschwellendem Wohlstand der Reichen und sprudelnden Steuereinnahmen befand. Begleitet von dem zynischen Motto „Enrichissez-vous!“ [Bereichert euch!]. Anlässlich der Mitte der Fastenzeit (am Demi Carême) streiften die Menschen die lästigen Fesseln der katholischen Verhaltensregeln noch einmal erleichtert ab, ließen den Karneval erneut kurz auferstehen und gaben sich den Freuden des Lebens ungeniert hin.

Heinrich Heine beschreibt den Beginn der Cholera in Paris sehr treffend wie folgt:1

„Bei dem großen Elende, das hier herrscht, bei der kolossalen Unsauberkeit, die nicht blos bei den ärmern Klassen zu finden ist, bei der Reizbarkeit des Volks überhaupt, bei seinem grenzenlosen Leichsinne, bei dem gänzlichen Mangel an Vorkehrungen und Vorsichtsmaaßregeln, mußte die Cholera hier rascher und furchtbarer als anderswo um sich greifen. Ihre Ankunft war den 29. März offiziell bekannt gemacht worden, und da dieses der Tag des Demi Carême [Fastenmitte in der Passionszeit] und das Wetter sonnig und lieblich war, so tummelten sich die Pariser um so lustiger, auf den Boulevards, wo man sogar Masken erblickte, die in karrikirter Mißfarbigkeit und Ungestalt, die Furcht vor der Cholera und die Krankheit selbst verspotteten.

Desselben Abends waren die Redouten besuchter als jemals; übermüthiges Gelächter überjauchzte fast die lauteste Musik, man erhitzte sich beim Chahût [Vorläufer des Cancan], einem nicht sehr zweideutigen Tanze, man schluckte dabei allerlei Eis und sonstig kaltes Getrinke: als plötzlich der lustigste der Arlequine eine allzu große Kühle in den Beinen verspürte, und die Maske abnahm, und zu aller Welt Verwunderung ein veilchenblaues Gesicht zum Vorscheine kam. Man merkte bald, daß solches kein Spaß sey, und das Gelächter verstummte, und mehrere Wagen voll Menschen fuhr man von der Redoute gleich nach dem Hotel-Dieu, dem Centralhospitale, wo sie, in ihren abenteuerlichen Maskenkleidern anlangend, gleich verschieden. Da man in der ersten Bestürzung an Ansteckung glaubte, und die altern Gäste des Hotel-Dieu ein gräßliches Angstgeschrei erhoben, so sind jene Todten, wie man sagt, so schnell beerdigt worden, daß man ihnen nicht einmal die buntscheckigen Narrenkleider auszog, und lustig, wie sie gelebt haben, liegen sie auch lustig im Grabe.

Nichts gleicht der Verwirrung, womit jetzt plötzlich Sicherungsanstalten getroffen wurden. Es bildete sich eine Commission sanitaire, es wurden überall Bureaux de secour [Rettungsdienste] eingerichtet, und die Verordnung in Betreff der Salubrité publique [Gesundheitswesen] sollte schleunigst in Wirksamkeit treten.“

Diese und ähnliche Ereignisse sorgten für Angst und Entsetzen auf dem europäischen Festland. Und so war es nicht verwunderlich, dass auch in London und im ganzen britischen Königreich die Sorge und Angst vor vergleichbaren Entwicklungen wuchs. Die staatlichen Stellen waren oft rat- und hilflos. Die Beseitigung der katastrophalen hygienischen Zustände und die Abschottung von Dörfern und die Unterbrechung von Handelswegen waren die bevorzugten Maßnahmen gewesen, ohne dass die Ausbreitung der Pandemie nachhaltig gestoppt werden konnte.

Der Verlauf dieser Pandemiewellen, die äußeren und inneren Umstände, in denen sich die Menschen zum Zeitpunkt des Auftretens befanden, und das Verhalten, das es auslöste, weisen einige Paralleln zu der aktuellen Corona-Situation auf. Aus diesem Grund kann es sicher hilfreich sein, einen so alten Text noch einmal ganz neu zu lesen und sich wie einen Spiegel prüfend vorzuhalten. Denn auch wenn sich unsere Welt äußerlich weiterentwickelt haben mag, das menschliche Herz ist doch gleich geblieben - es fühlt, denkt und bewegt den Menschen auf die gleiche alte Weise. Die innersten Fragen und Befürchtungen des modernen Menschen unterscheiden sich nur wenig von denen damals. Unser Wohlstand, unsere Geschäftigkeit und das Tempo, mit dem wir unseren Alltag durchtakten, haben die Auseinandersetzung mit diesen Fragen nur wirksam verhindert. Wie ein Credo wiederholen und betonen wir, dass die Gesundheit das Allerwichtigste sei. Doch verstecken wir hinter diesen Floskeln nicht unbewusst die gleichen Ängste vor dem Tod und dem Gedanken an unsere Endlichkeit wie die Menschen damals? Wir achten auf Reinlichkeit, Abstand und tragen Masken und spüren doch tief in uns, dass die Angst nicht weichen will. Man hört hier und da den sehnsuchtsvollen Wunsch, dass es doch hoffentlich bald wieder so sein möge wie vorher ... in der tiefen Hoffnung, dass so die unruhigen Gedanken in uns wieder zum Schweigen gebracht würden.

Doch woher kommt ein Wort des Trostes? Woher ein Wort der Wegweisung?

Allen, die danach fragen und eine geistliche Ermutigung suchen, sei deshalb diese Schrift ans Herz gelegt.

im Juli 2020,

Thomas Schrader

Die beste Vorbereitung auf die Cholera

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