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Kapitel 2.

Es dämmerte bereits, als sie das Dörfchen Pons-sûr-bleu erreichten. Pierre hielt an einem einladenden, mehrstöckigen Haus, welches zusammen mit zwei schmalen und niedrigen Gebäuden einen Hof umschloss. Am Eingang hing ein Schild mit der Aufschrift »Dr. Aubuchon - Arzt«.

»So, absitzen. Wir sind da. Mein Vater wird sich freuen, dich kennenzulernen.«

Mathéo brummte etwas Undefinierbares und sprang von der Kutsche. Der Boden war nass und matschig, er versank sofort bis zu den Knöcheln darin. »Na klasse! Meine Schuhe!«

Er sah auf und stellte fest, dass Pierre wieder angefahren war und den Wagen um das Haus herum auf den Hof gesteuert hatte. Sein Koffer lag noch auf der Ladefläche.

Unschlüssig verharrte er, während der Regen auf ihn einprasselte. Sollte er Pierre folgen? Schließlich entschied er sich, am Eingang zu klopfen. Warmes Licht fiel durch die Fenster auf die Straße.

Kaum hatte er an die mit Schnitzereien verzierte Eingangstür geklopft, da wurde sie geöffnet. Ein großer Mann mit grauen Haaren und Vollbart stand freundlich lächelnd im Türrahmen. In der Hand hielt er eine flackernde Öllampe.

»Ah, Mathéo Leclerc, nehme ich an?«

»Ähm ... ja, der bin ich.«

»Ich bin Dr. Aubuchon, ein guter Freund des leider verstorbenen Alain Leclerc und deines Vaters. Ich freue mich außerordentlich, dich kennenzulernen. Komm herein!«

Das ließ sich Mathéo nicht zweimal sagen. Dr. Aubuchon führte ihn in eine holzgetäfelte Diele. Auf einer Kommode brannte eine Kerze in einem Windlicht.

»Ich erkläre dir zunächst, was du über das Chateau wissen musst«, informierte ihn der Arzt. »Anschließend bringen wir dich ins Gasthaus. Dort kannst du essen und schlafen. Morgen haben wir dann oben im Chateau Leclerc einen Termin mit dem Notar.«

Chateau Leclerc, der Klang des Namens gefiel Mathéo. Neugierig folgte er Pierres Vater. Dieser führte ihn in ein schummrig beleuchtetes Zimmer. Eine klapprige Liege und ein roher Schreibtisch sowie einige Regale an den weißen Wänden ließen vermuten, dass es sich um Dr. Aubuchons Praxiszimmer handelte.

Der Arzt setzte sich hinter den Schreibtisch und bedeutete Mathéo, ihm gegenüber auf einem Stuhl platz zu nehmen. Der junge Mann leistete Folge und sah den Freund seines Vaters erwartungsvoll an.

»Was hat dir dein Vater schon verraten?«, wollte Aubuchon wissen.

»Wenig. Nur, dass mein Onkel Alain verstorben ist und mir ein Chateau hier in den Ardennen vermacht hat, weil ich der derzeit jüngste lebende Nachfahre bin. Allerdings habe ich Onkel Alain nie kennengelernt. Soviel ich weiß, ist er nicht ein einziges Mal in Paris gewesen.«

»In der Tat.« Der Arzt nickte. »Zusätzlich zum Chateau hat er dir auch 10000 Franc hinterlassen.«

Mathéo hob überrascht die Augenbrauen. Das war ihm neu. »Interessant.«

»Ja. Das Vermögen soll überwiegend genutzt werden, um die Angestellten weiter zu beschäftigten. Damit sind der Butler Gerard Mérd, der Gärtner Jaques Bon und das Hausmädchen Gerde Ouzi gemeint.«

»Aha. Das heißt, ich darf die Drei nicht entlassen?«

»Nein. Soviel ich weiß, haben sie ein Anstellungsrecht auf Lebenszeit, aber das wird dir der Notar noch genauer erläutern.«

»Verstehe. Wie ist Onkel Alain denn eigentlich gestorben?«

Ein seltsamer Zug glitt über Aubuchons Gesicht. »Ah, da kommen wir zum Kern der Sache.«

»Was soll das heißen?«

»Er wurde vermutlich ermordet.«

Mathéo fuhr auf. »Ermordet? Von wem?«

»Das weiß man nicht.«

»Hier, abseits von allem und inmitten schöner Landschaft, ermorden sich die Leute gegenseitig?«

»Nein, das ist nicht an der Tagesordnung. Genau genommen ist dies der erste Mord in der Umgebung seit 20 Jahren. Die Leiche wurde unweit des Chateaus gefunden, am Loup Cliff. Der Körper war schrecklich entstellt und verwüstet.«

»Dann war es ein wildes Tier gewesen, oder?«

Der Arzt schüttelte den Kopf. »Die Gendarmerie ist anderer Meinung und bat um meinen ärztlichen Rat. Einige seiner Verletzungen waren eindeutig von Menschen verursacht. Zum Beispiel die tiefen Messerstiche.«

»So? Und wer hatte hier etwas gegen meinen Onkel?«

Aubuchon schnaubte. »So ziemlich die gesamte Dorfbevölkerung. Man traute seinem Reichtum nicht und verdächtigte ihn, mit dunklen Mächten im Bund zu stehen. Du weißt schon, Geisterbeschwörungen und sowas. Dass er ein zurückgezogener Eigenbrötler war, verbesserte die Situation nicht. Angeblich war er sogar im Besitz eines Grimoire.«

»Eines was?«

Als habe ihn der Arzt nicht gehört, fuhr er fort. »Die Leute hätten nach seinem Tod beinahe das Chateau gestürmt, um den Grimoire zu finden. Ich konnte es gerade noch verhindern.«

»Du liebe Zeit! Und jetzt? Gegen mich dürfte ja keiner was haben. Die kennen mich doch gar nicht!«

»Und eben das ist der Punkt.« Aubuchon sah ihn ernst an.

Der Regen hatte die Straße in eine Schlammpiste verwandelt. Vor dem Gasthaus blieb Pierre abrupt stehen und inspizierte die Eingangstür des zweistöckigen Gebäudes. Dann öffnete er sie schwungvoll und trat ein. Mathéo folgte ihm mit einem mulmigen Gefühl.

Sie kamen in einen geräumigen und behaglich beleuchteten Schankraum, welcher von einem massiven Holztresen dominiert wurde. Vereinzelte Tische standen wahllos im Raum verteilt, Gäste sah er jedoch keine. Die einzige anwesende Person war ein junges Mädchen hinter dem Tresen. Sie hatte lange blonde Haare und trug ein einfaches weißes Kleid mit einer blauen Schürze darüber. Im Moment hatte sie den Besuchern den Rücken zugewandt.

Pierre räusperte sich vernehmlich, woraufhin sie herumfuhr und die beiden anlächelte. Inmitten ihres blassen Gesichts sah Mathéo zwei blaue Augen, die ihn geradezu einzusaugen schienen. Es war kein reines Hellblau, sondern erinnerte eher an das Stahlblau eines Gewitterhimmels. Sie bildeten förmlich einen Kontrast zu der bleichen Haut. Auch die Haare waren sehr hell, sie wirkten fast wie ausgebleicht. Fasziniert konnte Mathéo den Blick kaum abwenden. Pierres Stimme riss ihn jedoch aus seiner Trance.

»Das ist Mathéo Leclerc. Monsieur Leclercs Neffe.«

Das Mädchen schaute ihn verständnislos an.

»Der, für den ich das Zimmer reserviert habe!«, sagte Pierre mit einem genervten Unterton.

Jetzt schien sie zu begreifen, denn sie nickte. »Ja richtig, das Zimmer! Leclercs Neffe!« Ihre Stimme war glockenhell und passte irgendwie zu ihrem seltsamen Gesicht. Trotz der anfänglichen Begriffsstutzigkeit umspielte ein merkwürdiges Lächeln ihre Lippen, was besagte, dass sie genau Bescheid wusste. Pierre bemerkte offenbar nichts. »Das ist Lene. Sie arbeitet hier. Lass dir was zu essen und ein Zimmer geben. Ich hole dich morgen früh 8:30 Uhr ab. Gute Nacht.« Damit verließ er das Gasthaus. Mathéo blickte ihm verwirrt hinterher.

Unterdessen hatte Lene einen großen Teller mit Suppe und einem Kanten Brot aufgetischt. Er murmelte ein leises »Danke« und ließ sich am Tisch nieder. Die Suppe enthielt riesige Gemüse- und Fleischstücke und schmeckte entgegen seinen Erwartungen sogar ganz gut. Das Brot war jedoch hart und überforderte seine Zähne bei weiten.

Irritiert bemerkte er, dass Lene ihn vom Tresen aus beim Essen beobachtete. »Was ist?«

»Schmeckt es?«

»Ja, danke. Hast du nichts zu tun?«

»Entdeckst du hier jemanden außer dir, der bedient werden möchte?«

»Nein.«

»Na siehst du.« Schelmisch grinste sie ihn an. Mathéo löffelte missmutig die Suppe. »Gehört dir der Laden?«

Sie ließ ein gluckerndes Lachen ertönen. »Oh nein, das wäre ja ein Ding! Ich verdiene hier nur ein paar Franc. Das Gasthaus gehört der alten Elaine Poulet!«

»Aha. Na sowas. Und du hast die Nachtschicht, oder wie?«

»So in der Art. Elaine ist in letzter Zeit nicht so oft vor Ort. Sie ist gesundheitlich etwas angeschlagen. Meist teile ich mir die Arbeitszeit mit Paulette Curie.«

»Aha.« Der Teller war leer. Mathéo schabte mit dem Löffel langsam über den Boden, um irgendetwas zu tun, außer an diesem scheußlichen Stück Brot zu knabbern. Schließlich konnte er nicht mehr leugnen, dass er fertig war, und schob den Teller von sich. »Das Brot esse ich morgen. Ich bin satt.«

»Wie du willst. Komm mit.« Lene führte ihn an der Bar vorbei eine steile Holztreppe mit knarrenden Stufen hinauf ins Obergeschoss. Dort kamen sie in einen kurzen Flur, von dem mehrere Türen abgingen. Sie schien willkürlich eine zu öffnen und geleitete ihn hindurch. Schwungvoll entzündete sie eine Öllampe und stellte sie auf eine Kommode. Mathéo erblickte ein kleines Zimmerchen mit Bett, einem Kleiderschrank und der besagten Kommode, über der ein halbblinder Spiegel hing. Das Bett hatte jemand mit mehrfach geflickter, weißer Leinenbettwäsche bezogen. Aber wenigstens war es sauber. Wahrscheinlich Lenes Werk.

Er nickte, einigermaßen zufrieden. Das war ja doch ganz annehmbar. »OK, wo finde ich das Bad?«

»Das was?«

Er rollte mit den Augen und seufzte. Prompt schien das Mädchen zu verstehen. Grinsend sagte sie: »Die Treppe runter und dann rechts.«

»Da ist das Bad?«

»Nein, die Tür nach draußen. Toilette und Wasserpumpe sind gleich neben dem Haus auf dem Hof.«

»Große Klasse.« Mathéo revidierte innerlich seine Meinung und nahm sich vor, so bald wie möglich ins Chateau überzusiedeln.

Mit einem belustigten »Gute Nacht« verschwand Lene aus dem Raum. Mathéo inspizierte die Tür und drehte den Schlüssel herum. Sicher war sicher, nicht dass dieses Mädchen noch hier herumschnüffelte. Dann tauschte er seine Sachen gegen einen schwarzen Schlafanzug aus Seide und kroch in das Bett.

Der Fluch der Wölfe

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