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Hey, Pippi Langstrumpf... - Astrid Lindgren

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Wonach hat sie denn gerochen? War das nur ihr Parfum? Oder war das wirklich sie? Ich habe es immer noch in der Nase. Kann das sein? Ich glaube nicht. Oh Gott, der erste Gedanke am Morgen geht an sie. Entspann’ dich mal. Du verliebst dich sicher nicht in eine Frau, die einen Freund hat. Wer ist sie denn? Gestern kennen gelernt und heute? Keine Ahnung. Sie roch gut. Sie hat eine Stimme, die gemacht ist für meine Ohren. Ich kann ihr zuhören und zwar richtig. Ich glaube, ich könnte jeden Satz von gestern wiederholen. Vielleicht nicht die ganze Silberhochzeits-Geschichte, aber den Rest wahrscheinlich schon. Sie ist wunderschön. Als sie im Café vor mir stand, habe ich das zuerst gar nicht wahrgenommen. Aber ihre Mimik, wenn sie redet...

Was ist denn mit mir eigentlich los? Gerade hat der Wecker geklingelt und meine Gedanken rasen. Normalerweise brauche ich zwei Kaffee und mindestens eine Stunde, bis mein Gehirn so langsam in Gang kommt. Immerhin habe ich Hunger. Das beweist auf jeden Fall, dass ich noch nicht völlig durchdrehe. Also jetzt mal was essen und dann Nina abholen.

Da steht sie. Sie steht pünktlich vor ihrem Hotel und wartet auf mich. Und sie sieht mich nicht. Sehr gut, die Ampel ist rot und ich kann sie ganz in Ruhe und ganz legitim anstarren. An wen erinnert sie mich? Shakira ohne Lockenmähne? Und ohne Rollerblades und sich nicht im Schlamm suhlend? Nein, nicht ganz Shakira. Aber wer? Und wieso lächle ich so debil? Reiß’ dich mal zusammen. Sie muss ja nicht gleich wissen, dass sie mir gefällt. Und sie gefällt mir. Und zwar so richtig.

Und was ist jetzt eigentlich das Problem? Warum fühle ich mich gerade so seltsam? Mir ist übel. Wahrscheinlich das schlechte Frühstück und der noch fehlende Kaffee. Oder ist sie schuld? Macht sie das Gefühl in meinem Magen? Nur weil sie da vorne steht, sich suchend umschaut und einfach so... so... so... süß?... bezaubernd?... richtig?... sexy aussieht?

Mir ist richtig schlecht! Ich glaube, ich habe Angst. Angst vor ihr. Bin ich nicht langsam alt genug, um keine Angst mehr vor Frauen haben zu müssen? Ich werde jetzt einfach ein bisschen Small Talk mit ihr machen, dann fahre ich sie zum Strand, gebe sie in der Kitesurfschule ab und ich gehe auf’s Wasser. Ich gehe einfach Kite surfen, so wie jeden Tag. Was soll da schon schief gehen. Grün. Mann, ich bin nervös. Ist sie nervös? Sie tritt ein bisschen unruhig von einem Fuß auf den anderen. Wahrscheinlich ganz normal, wenn man wartet. Sie hat mich gesehen. Sie winkt. Sie lächelt. Sie ist sicher nicht nervös. Sie lacht. Mein Gott. Das muss das bezauberndste Lachen sein, dass ich je gesehen habe. Wink einfach zurück! Und schön locker bleiben!

»Hi!«

»Hi! Steig ein.«

»Danke für’s Abholen.«

Noch ein bisschen rauchiger, ihre Stimme. Vielleicht ihre Ich-bin-noch-verschlafen-Stimme. Genauso sensationell, wie ihre Ausgeschlafen-Stimme. Oder noch sensationeller?

»Gern geschehen. Hast du lange gewartet?«

»Nein. Zwei Minuten vielleicht. Cooles Auto. Deins?«

»Ja.«

»Schöne Familienkutsche, so ein VW-Bus. Hast du mir doch etwas verschwiegen gestern?«

»Das ist doch keine Familienkutsche! Das ist ein Surfmobil!«

»Wofür braucht man denn einen Bus beim Surfen?«

»Na, dreh dich mal um. Der Kofferraum ist voll.«

»Sind in den Rücksäcken deine Kiteschirme?«

»Ja.«

»Aber die paar Rucksäcke und das Surfbrett passen doch auch in meinen Golf. Dafür braucht man doch keinen Bus. Ich glaube, du hast in Wirklichkeit eine Frau und vier Kinder zu Hause.«

Sehe ich etwa so aus? Und wenn sie noch einmal mein Surfmobil als Familienkutsche beschimpft, dann werde ich sauer.

»Nein. Wirklich keine Kinder. Hast du mir irgendetwas verschwiegen gestern.«

»Na, so einiges.«

»Was denn so?«

»Na, das habe ich dir natürlich mit Absicht verschwiegen. Ich kann doch nicht jedem dahergelaufenen Surfertypen mit Familienkutsche mein Herz ausschütten.«

»Das ist keine Familienkutsche. Man kann die Rückbank umklappen und dann wird ein richtiges Bett daraus.«

»Ein Bett?«

»Ein Doppelbett!«

»Oh! Der Hobby-Macho. Muss ich jetzt Angst haben, nur weil ich in dein Auto gestiegen bin?«

»Höchstens ein bisschen.«

Oh Gott, jetzt habe ich Bilder in meinem Kopf... Sie und ich auf meiner umgeklappten Rückbank... Jetzt versau es nicht, du notgeiler Bock.

»Hmm. Ein bisschen Sorgen machen, finde ich eigentlich schon ein bisschen zu viel.«

Idiot. Reiß’ dich mal zusammen. Sei doch einfach normal. Ganz einfach normal. Und vor allem keine schlüpfrigen Witzversuche mehr.

»Ich schlafe manchmal in dem Bus. Ganz alleine!«

Gut vorgetragen! Keine Unsicherheit und keine Notgeilheit in der Stimme. Jetzt einfach weiter reden.

»Wenn ich abends noch irgendwo hinfahre, um am nächsten Morgen surfen zu gehen, dann schlafe ich manchmal im Bus. Oder als ich hier runter nach Spanien gefahren bin. Ich schlafe lieber im Bus, als in irgendeinem teuren und hässlichen Hotel an der Autobahn.«

»Wie lange fährt man denn von Berlin?«

»Weiß nicht. Es sind 3000 km, glaube ich. Ich habe mir noch ein paar Strände in Frankreich und im Norden von Spanien angeschaut. Hat fast eine Woche gedauert, bis ich hier war.«

»Cool.«

Sie findet es cool. Ich würde die Tour gerne mal mit ihr machen.

»Wo fahren wir eigentlich noch mal hin?«

»Wir sind schon fast da. Da vorne. Das ist mein Lieblingsspot.«

»Spot?«

»Der beste Ort zum Kitesurfen und der schönste obendrein. Zumindest in meinem Leben.«

Sie lächelt. Sie lächelt aus meinem VW-Bus-Fenster auf’s Meer und auf meinen schönsten Ort in meinem Leben. Und sie sieht glücklich aus.

»Ich freue mich. Aber ich bin nervös.«

»Gut.«

»Dass ich nervös bin?«

»Nein, dass du dich freust. Die Nervosität vergeht sicher.«

»Meinst du?«

»Sicher. Kitesurfen kann man, glaube ich, nicht nichtmögen.«

»Nicht auch ein bisschen gefährlich?«

»Wie gesagt, die Jungs von der Kiteschule passen schon auf. Du fängst erstmal mit einem ganz kleinen Schirm am Strand an. Und das ist wie Drachen steigen lassen. Da kann nichts passieren.«

»Sicher?«

»Ganz sicher.«

»Drachen steigen lassen mag ich.«

Das wird was mit ihr.

»Na dann aussteigen.«

» Ich bin aufgeregt!!!!! «

Sie schreit. Cool! Wieso finde ich denn eine Frau cool, die auf der Parkplatzwiese vor meinem Lieblingsstrand schreit, dass sie aufgeregt ist? Die Stimme? Die fehlende piepsende Mädchenhysterie in der Stimme? Ein lässig vorgetragener Schrei. Und sie strahlt Freude dabei aus. Und Ruhe. Eine innere Ruhe, trotz Schrei? Ja, ich glaube. Irgendwie strahlt sie trotz Aufregung Ruhe aus. Sie ist einfach entspannt. Kein hysterisches `Holger, kümmere dich um mich, ich habe Angst, ich brauche Aufmerksamkeit`. Das war ein ganz entspanntes `Ich bin aufgeregt und ich fühle mich wohl dabei und schreie das einfach mal raus`. Gut. Sehr gut.

»Komm. Aufgeregt hin oder her. Jetzt gibt es kein zurück mehr. Einmal hier durch die Strandbar und dahinter ist die Kiteschule und der schönste Strand der Welt.«

»Na dann... Und Danke!«

Wofür Danke? Ich könnte mir gerade nichts schöneres vorstellen, als dich hierhin mitzunehmen. Aber das musst du ja jetzt noch nicht wissen.

»So gern.«

Sooooooo gern.

»Kann ich dir einen von deinen Schirmen abnehmen?«

»Nur wenn du unbedingt willst.«

»Klar. Dann sehe ich wenigstes aus wie ein Profi.«

»Danke. Und los. Ich stell dich bei der Kiteschule vor.«

»Juhu.«

»Guck mal, da kommt Nassar.«

»Wer ist das?«

»Das ist einer der Kitesurflehrer. Cooler Typ. Kommt aus Marokko und hat mal in Deutschland irgendwas studiert und spricht ziemlich fließend deutsch. Jetzt ist er seit ein paar Jahren hier und macht nur Kitesurflehrer und genießt das Leben.«

»Holger, Altaa!«

»Nassar! Wie geht`s?«

»Wen bringst du denn da mit?«

»Nina.«

»Jawoll, ich bin Nina.«

»Nina, Nassar – Nassar, Nina.«

»Bist du hier zum Kiten?«

»Ja. Ich kann es aber nicht.«

»Na dann wird es Zeit.«

»Ich will ja.«

»Nimmst du Unterricht bei uns?«

»Wollte mich gerade anmelden.«

»Und du hattest noch nie Unterricht?«

»Nein, noch nie.«

»Sehr gut. In einer halben Stunde wollte ich nämlich mit einer Schwedischen Anfängerin einen Kurs anfangen. Ihr sind aber Einzelstunden zu teuer. Willst du gleich mitmachen?«

»Klar. Bin dabei.«

»Sehr gut. Dann suchen wir dir gleich das passende Material raus. Dann eine halbe Stunde Theorieunterricht und schon kann es losgehen. Hast du alles dabei? Ist das dein Schirm? Hast du eigenes Material?«

»Nein, der gehört Holger.«

»Der Holger. Lässt die Frauen seine Schirme zum Strand tragen. So wird das nie etwas mit dir und den Frauen. Kein Anstand in dieser deutschen emanzipierten Kultur. Hier nimm du mal wieder zurück. Sehen wir uns für einen sundowner an der Bar?«

»Klar.«

»Na dann, bis später.«

»Bis später, Holger.«

Was für ein Lächeln.

»Viel Spaß euch.«

Und weg sind sie. Erst mich als manierenlosen Mitteleuropäer dissen und dann lachend, scherzend und baggernd mit meiner Nina abhauen. Arsch. Allerdings ein ziemlich lässiger Arsch. Ich gehe jetzt einfach noch einen Kaffee trinken, schaue den beiden noch ein bisschen von weitem zu und dann gehe ich ein paar Stunden kiten. Und mir meinen wirren Kopf mal ordentlich mit Salzwasser durchspülen.

»Ey Holger, Altaa! Wie geht`s???«

»Nassar! Gut geht’s! Dir?«

Shake hands wie unter besten Freunden von früher, als würde ich Nassar schon seit Jahren und nicht seit ein paar Wochen kennen.

»Oh, ich habe so einen Kopf. War gestern in der Stadt. Und jetzt hier den ganzen Tag in der Sonne am Strand stehen und den Anfängern hinterherbrüllen, wie es richtig geht. Mein Schädel dröhnt.«

»War viel los in der Stadt gestern?«

»Altaa, Freitag! Es war der Wahnsinn. Langsam geht die Hauptsaison so richtig los. Die Gassen in der Altstadt waren bis nachts um drei voll mit hübschen Frauen. Habe eine superschöne Deutsche kennen gelernt und dann schööööön shaka-shaka die ganze Nacht.«

»Saubere Sache. Aber hast du mir nicht gestern erzählt, dass du in Marokko einer Frau versprochen bist und sie nächstes Jahr heiraten wirst?«

»Nächstes Jahr, Altaa, nächstes Jahr!«

Nächstes Jahr also. Und bis dahin schön Shaka-shaka die ganze Nacht und dann am nächsten Tag mit Kater am Strand stehen und dafür bezahlt werden. Nicht ganz zu verachten, sein Lebenskonzept. »Warst du schon auf dem Wasser?«

»Ja. Super der Wind heute. Und du passt jetzt auf die Mädels auf?«

»Ja, die machen es beide super, sind beide nach drei Stunden schon mit Kiteschirm im Wasser.«

»Wo denn?«

»Da vorne, die beiden blauen Schirme.«

»Die im Wasser?«

»Ja.«

»Sind die verheddert?«

»Ja. Keine Ahnung wie das passiert ist, habe gerade nicht hingeschaut.«

Guter Mann.

»Und jetzt?«

»Na, jetzt treibt der Wind sie zum Strand und ich ziehe sie gleich raus und dann werden die Mädels, Schirme und die Leinen entheddert und sortiert und dann geht es weiter.«

»Na, viel Spaß beim Frauen entheddern.«

»SüSS die beiden. Ist Nina deine Freundin?«

»Ne, ne!«

»Geile Frau.«

Finger weg, Kumpel.

»Ja, geile Frau.«

»Shaka-shaka?«

»Nein, nein. Sie hat einen Freund in Deutschland.«

»Aber du magst sie.«

»Vielleicht ein bisschen.«

»Ah, also doch shaka-shaka, Deutschland ist weit weg.«

Das geht vielleicht als verlobter Marokkaner, aber das geht sicher nicht mit Nina.

»Ich glaube nicht.«

»Na, ich glaube doch. Ihr passt zusammen.«

»Na gut, abgemacht. Wenn du meinst, schaue ich mir die Sache mal an.«

»Na, geht doch. Und jetzt zieh ich sie dir mal aus dem Wasser. Bis später.«

»Bis nachher.«

Und woher willst du denn wissen, dass Nina und ich zusammen passen? Kleiner notgeiler, verlobter, Shaka-shaka-Marokkaner. Du kennst doch weder mich, noch sie. Aber kenne ich sie? Kenne ich mich? Und recht hat er ja. Wir passen zusammen. Glaube ich. Hoffe ich. Hoffe ich? Bin ich eigentlich völlig bekloppt?

Da ist sie. Sicher zurück am Strand. Nassar dreht ihren Schirm ein paar Mal um die Leinen von der Schwedin und ihr Schirm fliegt wieder. Hat sie mich gesehen? Ich glaube nicht. Und schon ist sie auch wieder im Wasser und macht ihre Anfänger-Flugübungen. Und gar nicht schlecht... macht mich irgendwie stolz. Macht keinen Sinn, stolz auf eine Frau zu sein, die mit einem anderen liiert ist. Stolz sein auf eine Frau, der man das Kitesurfen nicht selbst beigebracht hat und bei der Shaka-shaka nicht zur Diskussion steht. Aber ich bin stolz auf sie.

Und jetzt ist Schluss mit dem Quatsch. Ich gehe jetzt einfach noch einmal selber auf’s Wasser und jetzt spüle ich mir mein krankes Hirn aber mal so richtig mit Salzwasser durch.

»Holger! Wo warst du? Ich hab dich gar nicht gesehen?«

Nina!

»Hi Nina. Ich war weiter draußen, weit weg von den gefährlichen Anfängern.«

»Es war soooooo geil.«

Shaka-shaka???

»Ich hab’ dich gesehen. Du warst schon im Wasser!«

»Ja, aber ohne Brett. Der Kitelehrer, also Nassar, meinte, dann tut es nicht so weh bei den ersten Stürzen.«

»Und tat’s weh«

»Höchstens ein bisschen. Aber es war sooooo geil. Der Schirm hat mich einmal einen Meter aus dem Wasser gehoben, ohne dass ich was gemacht hätte. Der hat so viel Kraft. Es war soooooooo geil.« Sie spricht doppelt so schnell wie sonst, ein bisschen rot im Gesicht und ein bisschen außer Atem. Ich glaube, sie ist nervöser, als vor ihrer ersten Kitestunde.

»Und dann hat sich mein Schirm mit dem der Schwedin verheddert und ich hatte echt Angst. Aber Nassar hatte alles voll unter Kontrolle, stand ganz lässig am Strand, hat auf uns gewartet bis wir an Land getrieben sind und hat dann einfach unsere Schirme wieder gestartet. So lässig. Völlig entspannt steht der am Strand, gibt ein paar Tipps. Aber eigentlich muss ich alles machen. Ich wollte gerade eigentlich weitermachen, aber der Wind hat aufgehört. Nassar sagt, der kommt erst morgen wieder... Mann, und es ist so schön hier. Guck mal, wie die Sonne da über’s Wasser funkelt.«

Sie erzählt wie ein kleines Kind von ihren Weihnachtsgeschenken. Nicht ganz zurechnungsfähig, leicht wirr, aber unglaublich anziehend.

»Holger, ich geb nur kurz meinen Neoprenanzug oben bei der Kiteschule ab. Kommst du mit hoch zur Bar? Nassar wollte noch einen Mojito mit uns trinken, auf unseren ersten Tag.«

Shaka-shaka, der Arsch.

»Klar, ich packe nur kurz meinen Schirm zusammen und dann komme ich hoch.«

Gestern und die letzten Tage mochte ich Nassar noch. Da habe ich auch noch gerne Sundowner-Mojitos mit ihm getrunken. Da fand ich ihn auch noch lustig. Aber jetzt nervt er mich. Soll mal schön seine Shaka-shaka-Finger von ihr lassen. Ich hab’ sie doch hergebracht. Der Arsch, zwei Köpfe kleiner als ich und wiegt vielleicht 50 Kilo; aber irgendwie ist er deutlich lässiger als ich. Und nicht nur wegen seines komplett durchtrainierten Sixpack-Bauches. Der ist einfach unglaublich entspannt und dazu auch noch nett. Er war wohl schon ein paar Monate länger hier am Strand als ich. Scheiße, ich bin einfach eifersüchtig.

Also einfach locker bleiben, hoch zur Bar gehen und einfach einen Mojito bestellen.

»Ey, Holger! Trinkst du einen mit uns?«

Shaka-shaka-Nassar! Mit der Schwedin an der Bar. Aber wo ist Nina?

»Klar.«

»Geiler Wind heute oder?«

»Der Wind war der Hammer. Weißt du, wie er morgen wird?«

»So wie heute.«

»Sehr gut.«

»Wenn es so weiter geht, können die Mädels in drei Tagen einigermaßen Kiten und du kannst mit den Mädels rausfahren und denen mal zeigen, wie es SO RICHTIG geht. Und ich muss mit den anderen Anfängern am Strand bleiben.«

Hoffentlich versteht die Schwedin kein Deutsch. Superpeinlich das marokkanische, taktlose Geradeaus-Geflirte. Wäre ich nach fünf Wochen Spanien nicht schon so braun gebrannt, würde ich wahrscheinlich rot werden.

Oh, da kommt Nina. Sie hat sich umgezogen. Surfer-T-Shirt und Shorts über ihrem Bikini und das T-Shirt ist von ihren Haaren und ihrem Bikini schon ein bisschen nass. Junge, Junge. Die anderen Surftouristen und Einheimischen in der Bar tun alle so, als wäre nichts. Bin ich der einzige, dessen Welt gerade stehen bleibt bei dem Auftritt von Nina? Und jetzt nicht hinstarren. Tu’ einfach so, als würdest du dich brillant mit Nassar und der namenlosen Schwedin unterhalten. Hauptsache nicht auf ihr nasses T-Shirt starren. Und sowieso nicht starren. Einfach mit den beiden unterhalten und nicht rübergucken. Was macht sie denn? Sie geht an uns vorbei. Sieht sie uns nicht? Soll ich was sagen? Sieht sie uns wirklich nicht? Also offiziell sehe ich sie auf jeden Fall mal nicht. Einfach weiter unterhalten. Am besten noch ein kleiner Witz, damit es so aussieht als hätten wir hier richtig Spaß. Ah, sie geht zur Bar und bestellt sich etwas. Nicht starren. Hat sie uns denn nun gesehen? So schwer ist das ja wohl nicht. Hier sind ja nicht mehr als 50 Menschen auf der Wiese und an der Bar zusammen. Holger, nicht starren. Sie hat sich umgedreht. Sie hat einen Mojito. Sie kommt zu uns. Einfach weiterreden. Nicht starren!

Und sie kommt genau richtig. Nassar steht mit dem Rücken zu ihr und flirtet mit der Schwedin. Sie muss also gleich mit mir reden. Nicht so debil lächeln jetzt. Immer locker bleiben.

»Hi.«

»Hi und Prost.«

»Prost.«

»Du, entschuldige wegen eben.«

»Entschuldige was?«

»Na, wie ich mich gerade am Strand benommen habe.«

»Häh? Wie denn?«

»Na wie so ein kleines Kind zu Weihnachten oder wie so eine Schickse, die sich gerade ihr vierzehntes Gucci-Handtäschchen gekauft hat. Ich hasse es, wenn ich so überdreht bin.«

»Ich fand es süß.«

»Ich bin nicht süß, du Macho. Ich bin eine lässige Kiterbraut.«

»Na, das ging schnell.«

»Was ging schnell?«

»Na die Transformation zur Kiterbraut.«

»Na klar. Und es war sooooo geil... Aber ich sage nichts mehr.«

»Nun hab’ dich mal nicht so. Es ist geil. Das darf auch mal ausgesprochen werden.«

»Wie war er denn, dein Tag?«

»Sensationell. Superwind. Ich war richtig lange auf dem Wasser. Habe stundenlang den gleichen Trick geübt und einfach nicht hinbekommen. Aber trotzdem ein sensationeller Tag.«

»Hast du jeden Tag noch Spaß?«

»Wenn der Wind so ist wie heute, dann könnte ich den Rest meines Lebens nichts anderes machen.«

»Und wenn der Wind nicht so ist wie heute.«

»Dann macht es meistens auch noch Spaß.«

»Aber nur noch meistens.«

»Na wenn gar kein Wind mehr ist, kann man ja immer noch hier rumhängen. Ist ja nicht so hässlich hier.«

»Ich glaube, das ist einer der schönsten Orte, an dem ich je war.«

»Bei mir das gleiche.«

»Kommst du morgen wieder mit mir hier her?«

Ich gehe mit dir überall hin.

»Ich bin jeden Tag hier. Hast du morgen Kiteschule gebucht?«

»Klar, die ganze Woche!«

»Na dann, auf eine gemeinsame Woche am Strand.«

»Prost. Was für ein poetischer Trinkspruch.«

»Nicht schlecht oder? Und das bei dieser kitschigen Kulisse.«

»Ja, genau. Prost.«

»Auch ein schöner Trinkspruch.«

»Kitebräute, brauchen keine coolen Trinksprüche, wir sind einfach cool.«

»Seit wann seid ihr Bräute noch mal Kitebräute.«

»Seit heute. Und nur, weil du ein paar Tage früher diesen Ort entdeckt hast, brauchst du nicht denken, du wärst etwas besseres. Wir sind hier so eine Kitesurferfamilie weißt du. Wir... «

»Du Nina, sag’ mal, was hältst du davon, wenn wir morgen gegen 11:00 mit dem Kurs weitermachen und heute Abend...«

Nassar... Verschwinde!

»Hey Holger, are you coming to town with us tonight?«

Die Schwedin. Was will sie denn von mir? Verdammt, eine Doppelintervention. Erst quatscht Nassar Nina an und stiehlt mir meine Gesprächspartnerin. Und jetzt muss ich auch noch Small Talk mit der namenlosen Schwedin machen. Woher weiß sie eigentlich meinen Namen. Und warum will sie unbedingt jetzt mit mir reden, es lief doch gerade mit Nina. Wie heißt sie denn? Eigentlich interessiert es mich null. Aber ich kann sie ja mal fragen. Dann sieht es wenigstens so aus, als wäre ich ein geselliger Typ...

Eigentlich ja ganz nett, die Schwedin. Verdammt, den Namen habe ich direkt wieder vergessen. Sie ist sogar einigermaßen lustig, aber jetzt hätte ich gerne mal Nina zurück. Ich hole einfach mal vier neue Mojitos und dann wird sich das Small Talk-Karussell schon wieder drehen.

»Oh, neue Drinks.«

»Danke, Holger!«

»Thanks and Cheers.

»Prost.«

»Prost.«

»Prost.«

Scheiße, schlechter hätte es nicht laufen können. Die Gesprächskonstellation ist genau die selbe. Jetzt einfach nicht anmerken lassen, dass ich enttäuscht bin. Ist doch die normalste Sache der Welt. Einfach weiter mit der namenlosen Schwedin reden. Mann, bin ich ein geselliger und lustiger Typ. Ich bin völlig entspannt... ich kann zumindest so tun. Jetzt einfach nur nicht ständig zu ihr rüberstarren. Einfach so tun, als würde ich mich ganz hervorragend mit der Schwedin unterhalten. Ganz einfach. Schaut Nina denn mal zu mir? Nicht rüberstarren! Nicht rüberstarren. Einfach nicht rüberstarren. Alles wird gut.

Gut, dann eben der nächste Versuch.

»Bin gleich wieder da.«

Ich gehe auf’s Klo und danach muss ich die Schwedin einfach loswerden.

»Ha! Dich kenn’ ich.«

Nina! Sie kommt von der Frauentoilette. Nach mir losgegangen, aber gleichzeitig fertig. Keine Ahnung, wie Frauen das machen. Wahrscheinlich die fehlende Prostata. Aber muss ja kein Nachteil sein.

»Setzen wir uns an den Strand?«

»Und die anderen?«

»Die Schwedin langweilt mich.«

»Ja, ich weiß. Bei der ist nicht viel zu holen, außer dass sie eben Schwedin ist.«

»Nein, nein. Es ist mir völlig egal, dass sie nicht gut aussieht. Sie ist einfach langweilig.«

Ein bisschen hart das Urteil. Nicht gelogen, aber hart. Aber in der Not und zum Wohle der Gesprächspartnerwahl ist ein bisschen Übertreibung durchaus vertretbar, finde ich.

»Und du denkst, ein Gespräch mit mir allein am Strand wäre spannender?«

»Vielleicht. Lass’ es uns mal ausprobieren.«

»Du Charmeur. Na dann los.«

Sie nimmt den Weg, der hinter der Bar zum Strand geht, da kann uns keiner sehen. Hat sie entschieden, dass wir hier lang gehen, oder war ich das? Schwer zu sagen, wenn man nebeneinander läuft. Eigentlich kann sie den Weg ja nicht kennen. Egal. Es fühlt sich gut an neben ihr. Irgendwie vertraut. Irgendwie richtig. Und trotzdem weiß ich nicht, was ich sagen soll.

»Recht hast du übrigens. Das ist ein wahnsinnig schöner Ort.«

»Ja, ich kenne keinen besseren.«

»Wann geht die Sonne unter?«

»So in einer halben Stunde oder so.«

»Dann aber hinter der Sanddüne oder?«

»Ja, das einzige, was an diesem Ort nicht ganz perfekt ist.«

»Was jetzt?«

»Na, es wäre noch perfekter, wenn sie da vorne ein bisschen weiter links über dem Wasser untergehen würde.«

»Weil?«

»Ich finde es so cool, wenn die Sonne so auf den Wellen glitzert.«

»Aber das tut sie doch gerade.«

»Aber das würde sie kurz vor’m Untergehen noch mehr, wenn sie da hinten untergehen würde.«

»Also ich bin so schon ganz zufrieden mit der Sonne.«

»Einverstanden.«

»Und ganz links da hinten ist Tarifa?«

»Ja. Und da vorne Marokko.«

»Sieht aus, als ob man rüberschwimmen könnte oder?«

»Ja. Geht aber wahrscheinlich nicht. Schätze, könnte anstrengend werden.«

»Und dahinten irgendwo Amerika?«

»Wahrscheinlich auch schwer zum Schwimmen.«

»Sooooooo schön!«

Ihr gefällt es. Ihr gefällt der schönste Ort in meinem Leben. Sie sitzt neben mir an meinem Strand und ihr angewinkeltes Knie hat gerade für eine Sekunde meinen Oberschenkel berührt. Ich habe es erst gar nicht wahrgenommen. Aber jetzt kribbelt es genau an der Stelle, wo gerade noch ihr Knie war. Und jetzt zupft sie auch noch an ihrer Shorts und macht genau das Knie nackig. Aber bevor ich rot werde, spreche ich das doch lieber an.

»Versuchst du, mich zu beeindrucken?«

»Was?«

»Ob du versuchst, mich zu beeindrucken? Du zeigst Haut.«

»Quatsch, ich will dich nicht beeindrucken. Mir ist heiß.«

»Ja, genau.«

»Jetzt überschätze dich mal nicht.«

»Dann keine billigen Tricks mehr.«

»Du spinnst.«

»Du zeigst Haut.«

»Wir sind am Strand.«

»Du willst mich beeindrucken. Das ist doch die gleiche Nummer wie gestern auf dem Weg zum Strand, als mein unschuldig eingehakter Arm als Versuchskaninchen diente und deine Brust berühren musste.«

»Erstens hat dein ach so unschuldiger Arm das wahrscheinlich genossen. Und zweitens will ich dich nicht beeindrucken. Wieso sollte ich? Ich glaube, ich hab’ es doch schon erwähnt: Ich bin Zuhause in einer glücklichen Beziehung. Du bist nur mein Urlaubskumpel.«

»Den du mit ein bisschen nackter Haut beeindrucken willst.«

»Jetzt reicht es aber, wenn ich dich beeindrucken wollen würde, sähe das ganz anders aus.«

«Mach’ mal.«

»Mache ich nicht.«

»Mach’ mal.«

Was für ein Lächeln. Und so unschuldig. Als wüsste sie gar nicht, was nackte Haut überhaupt ist. Oder wieso sich Jungs oder Männer dafür interessieren könnten. Sie lächelt. Und schiebt ihre Shorts einen halben Zentimeter höher und zeigt diesmal noch nicht mal ihr Knie.

»Siehste.«

»Siehste, siehste, siehste. Siehste gar nichts, du notgeiler Bock.«

»Notgeiler Bock? Ich? Ich entblöße mich hier nicht vor wildfremden Menschen des anderen Geschlechts, während in der Heimat meine Liebste auf mich wartet.«

»Entblößen? In was für einem katholischen Spießerinternat bist du denn groß geworden?«

»Und mit welchen billigen Tricks versuchst du denn, deine Männer rumzukriegen?«

»Keine Ahnung. Hab’ ich lange nicht gemacht. Aber scheinbar sollte ich mir den Shorts-Hochschiebe-Trick für die Zukunft merken. Wirkt ja Wunder bei dir.«

Hör auf zu grinsen, Holger. Das ist zwar eins der schönsten Streitgespräche, dass ich je vom Zaun gebrochen habe, aber das wirkt einfach nicht mit einem Lachen im Gesicht. Einfach einen halbernsten Gesichtsausdruck aufsetzen und weiter.

»Der Hautzeigetrick wird aber bald nicht mehr so wirken, wenn der Zahn der Zeit...«

»Vorsicht, alter Mann. Wer die 30 überschritten hat, sollte ganz vorsichtig sein.«

»Abgemacht. Ich habe nichts gesagt. Wie alt bist du eigentlich?«

»Fast 29.«

»Und Torschlusspanik?«

»Was? Null!«

»Erzähl’ nichts. Torschlusspanik haben alle Frauen kurz vor der 30.«

Oh, oh! Jetzt wird es gefährlich. Aber solange sie so lächelt, bin ich wohl noch nicht zu weit gegangen.

»Und Herr Frauenversteher kennt sie alle, die Frauen?«

»Na ein paar Frauen kenne ich schon.«

»Ein paar Frauen. Und mit den Schlampen willst du mich in eine Schublade stecken?«

»Na, na.«

»Na, na. Hat die Dame etwa Schlampe gesagt?«

»Welche Dame?«

»Spießer!«

»Aua.«

Und was für ein süßer Schmerz. Mit so einem Lächeln als Spießer beschimpft zu werden... könnte mir gerade nichts Schöneres vorstellen.

»Wie geht’s denn dem Herrn Gentleman so mit über 30? Wie viel, 33?«

»Ja, 33. Geht so!«

Na komm, gib mir noch einen.

»Geht so? Wieso?«

»Na geht so. Wäre gern ein bisschen jünger. Oder würde gerne wenigstens nicht älter werden.«

»Wo ist denn dein Problem?«

Aktuell habe ich überhaupt kein Problem. Aber ich kann dir ja mein Problem von vorgestern erklären, als ich dich noch nicht kannte.

»Ich benehme mich wie ein 25-Jähriger. Bin am Kiten. Gehe abends mit der Jugend saufen. Versuche, kleine Mädchen rumzukriegen...«

»Und?«

»Ja, noch komme ich damit gerade so durch. Aber in ein paar Jahren wird es peinlich.«

»Wieso?«

»Na, weil es peinlich ist, wenn ein alter Sack versucht, jung zu bleiben, und so tut, als würde er dazu gehören.«

»Aber du gehörst dazu.«

»Ja, ja. Noch geht’s. Aber es geht los mit den Falten und bald wird es peinlich.«

»Du spinnst, du bist doch ein Mann.«

»Ja, und um mich rum sind meine alten Freunde bald alle unter der Haube. Die ersten Kinder sind da und ich hüpfe abends über die Tanzflächen von Spanien und versuche, so lässig zu sein wie früher.«

»Ich finde dich lässig.«

»Noch bin ich vielleicht ein bisschen lässig.«

Was erzähle ich denn da eigentlich. Gerade war noch alles lustig und jetzt wird das Thema auf einmal ernst. War sie das? War ich das? Und wieso muss ich mich schon wieder als der depressive Depp darstellen?

» Du hast Torschlusspanik.«

Was? Ja, vielleicht ein bisschen. Aber das ganze Thema nur, weil sie ihre Shorts ein Stück nach oben geschoben hat, ein bisschen Haut gezeigt hat und ich lustig sein wollte. Mach’ nie Witze über das Alter der Frauen. Und schon gar nicht über schrumpelnde Frauenhaut.

»Vielleicht habe ich manchmal ein ganz kleines bisschen Panik.«

»Du kannst doch noch mit 50 Kinder zeugen.«

»Aber will ich das?«

»Aber jetzt anfangen zu heulen, bringt ja auch nichts.«

Jetzt reicht es aber. Wechsel einfach irgendwie das Thema.

»Richtig. Ich wollte auch gar nicht heulen. Zumindest noch nicht.«

Das ist doch kein Themenwechsel, du Depp!

»Na dann ist ja gut. Ich kann heulende Männer auch nicht ausstehen.«

»Wie ist es denn bei dir? Zweifest du nie? Solltest du nicht langsam mal seriös werden? Heiraten? Kinder kriegen?«

«Ich bin seriös. Ich habe seit sieben Jahren einen Freund. Wir wohnen zusammen. Meine Familie mag ihn. Seine Familie vergöttert mich. Er hat einen guten Job. Ich hab’ einen guten Job. Und heiraten werden wir schon irgendwann. Und für’s Kinder kriegen bin ich noch viel zu jung.«

»Mit 29?«

»Ich bin doch selber noch ein Kind. Außerdem bin ich noch 28. Fühlst du dich erwachsen?«

»Weiß nicht, ein bisschen wahrscheinlich.«

»Und wo stehst du im Leben?«

»Wie meinst du das?«

»Na, in welcher Phase des Lebens steckst du gerade?«

»Hmm. Wahrscheinlich irgendwo zwischen gerade erwachsen geworden sein und verfrühter Mid Life-crisis.«

»Ein bisschen früh für Mid Life mit 33.«

»Dann bin ich vielleicht irgendwo zwischen erwachsen werden und verfrühter Sinn-Krise.«

»Auch nicht schön.«

»Hört sich auf jeden Fall nicht schön an. Aber so schlimm ist es auch wirklich nicht. Bin gerade eigentlich ganz glücklich.«

Außer, dass die Stimmung zwischen uns von lustig auf ernst kippt, bin ich sogar ausgesprochen glücklich, mit dir hier zu sitzen.

»Aber?«

»Nichts aber. Warum bist du hier in Tarifa?«

»Ich wollte Kitesurfen lernen?«

»Kurz vor’m Kinder kriegen?«

»Wie gesagt, da bin ich noch viel zu jung dafür.«

»Und warum allein.«

»Er ist auf Geschäftsreise.«

»Auf unbestimmte Zeit?«

»Nein, für drei Wochen. Ich hab’ das nur als Anlass genommen, mal rauszukommen.«

»Und wie lange bleibst du?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wie? Du weißt es nicht? Lässt dich dein Chef spontan und unbegrenzt Urlaub machen?«

»Der liebt mich. Er meinte, ich soll mir die Zeit nehmen, die ich brauche.«

»Und wofür brauchst du Zeit?«

»Werden wir da gerade ein bisschen indiskret?«

»Na wenn dein Leben so seriös und intakt ist. Wofür braucht es dann Zeit? Unbestimmt viel Zeit?«

»Indiskret?«

Oh, jetzt Achtung. Versau’ es nicht.

»Entschuldigung, wollte nur...«

»Schon gut. Ich... ich wollte mal nachdenken. Ich musste mal raus.«

Lass’ sie einfach reden.

»Weg vom Alltag. Weg von der Routine. Weg von einer Zukunft, die so trist vorhersehbar ist. Ich wollte weg von der Gefühllosigkeit. Ich wollte einfach, dass wieder etwas passiert. Irgendetwas. Wieder irgendetwas spüren.«

Das glaube ich jetzt nicht. Wir sitzen hier nebeneinander in Spanien aus fast genau den gleichen Gründen? Aber das erzähle ich dir ein anderes Mal, hoffe ich.

»Beim Kitesurfen spürt man auf jeden Fall das Leben.«

»Ja genau. Das war heute so krass. Es fühlt sich an, als wäre alles, die ganze Welt und das ganze Leben, in bester Ordnung. Nur weil ein riesiger Kiteschirm an meiner Hüfte zieht, fühle ich mich wie neu.«

»Ich glaube es ist der Adrenalinkick. Der bringt das Kind in einem wieder zum Vorschein. Auf einmal ist das Leben nicht mehr alltagsgrau, sondern gefährlich und bunt.«

»Oder vielleicht steckt in uns allen auch noch ein Kind, das aber nur noch herauskommt, wenn wir etwas völlig Neues entdecken. Was mit zunehmendem Alter und im Alltag generell ja nicht mehr so oft vorkommt.«

»Oder so.«

»Ich finde, allein der Wind ist schon der Wahnsinn. Er bläst einem den Verstand raus«

»Kleiner Freud’scher Versprecher?«

» Was? Nein! Notgeiler Bock. So kriegst du nie eine rum mit dem plumpen Gelaber.«

»Aua.«

»Versuche nur, zu helfen.«

»Danke.«

»Bitte, und viel Erfolg bei den 18-Jährigen.«

Holger, jetzt einfach mal ein bisschen aufpassen. Du willst sie doch beeindrucken. Also ihr einfach nicht gleich die dunklen Abgründe der Männerwelt auftischen. Keine Witze über schrumpelnde Frauenhaut und keine Anspielungen auf Oralverkehr. Kann doch nicht so schwer sein. Und jetzt einfach wieder das Thema wechseln.

»Und was sagt dein Freund zu deinem Trip?«

Nicht gut, Idiot. Erst nachdenken. Jetzt bloß nicht den Eindruck machen, dass du eifersüchtig auf ihren Freund bist.

»Der weiß noch gar nicht, dass ich weg bin.«

Oh, vielleicht doch ein gutes Thema.

»Wie? Ihr wohnt doch zusammen?«

»Ja, aber er ist noch bis übernächste Woche auf Geschäftsreise.«

»Telefoniert ihr nicht?«

»Doch.«

»Und was sagst du, wo du bist?«

»Nichts.«

»Nichts?«

»Nein. Er hat aber auch noch nicht gefragt.«

»Er denkt, du wärst zu Hause?«

»Ja.«

»Schöne Beziehung. Und worüber redet ihr so am Telefon?«

»Wie immer. So über dies und das. Hauptsächlich erzählt er von seiner Arbeit. Er denkt bei mir wäre ja sowieso alles wie immer.«

»Und wenn er dich jetzt anruft und fragt, was du gerade machst?«

»Das tut er nicht. Er schläft gerade. Er ist in Australien.«

»Jetzt nehmen wir mal an, er träumt schlecht, wacht mitten in der Nacht auf und möchte mit seiner Liebsten reden.«

»Sehr unwahrscheinlich.«

»Nehmen wir es mal an.«

»Dann würde ich sagen, ich wäre mit einem Kollegen was trinken.«

»Du lügst?«

»Ich versuche, es zu vermeiden.«

»Du lügst!«

»Du bist doch mein Kollege. Mein Kitesurfkollege. Und wir trinken was.«

»Du lügst.«

»Ich interpretiere die Tatsachen.«

»Du lügst. Und er und ich, wir sollen das schlucken?«

»Ein Freud’scher? Stehst du auf Männer?«

Aha, die dunkle Seite der Weiblichkeit steckt auch in ihr. Aber sie lenkt ab. Nicht mit mir! Und schon gar nicht bei diesem Thema!

»Sehr lustig. Er glaubt dir?«

»Er schläft.«

»Na hoffentlich wacht er nicht auf.«

»Bist du auf seiner Seite?«

»Das nicht. Aber er tut mir leid.«

»Er schläft. Und ich lerne Kitesurfen.«

»Zwei mal drei macht vier - widdewiddewitt und drei macht neune - Ich mach' mir die Welt - widdewidde wie sie mir gefällt - Ich hab’ ein Hauuuuus ein Äffchen und ein Pferd, la la la la la la laaa, die schauen dann zum Fenster raus...«

»Jetzt ist aber gut.«

»Ich hab’ ein Hauuuuus...«

»Es ist gut.«

»...ein kunterbuntes Hauuuuuus...«

» Es ist gut! «

»Gut, ich bin kein guter Sänger, trotzdem kein Grund, mich zu unterbrechen. Das Pippi Langstrumpf-Lied kann ich, wenn auch nicht ganz textsicher. Und wer sich die Welt macht, wie sie ihm gefällt, der hat das Lied verdient.«

»Du kannst nicht singen.«

»Du kannst der Wahrheit nicht in die Augen schauen.«

»Wer bist du denn? Mein Moralapostel?«

»Ähh... ja.«

»Ich brauche keinen.«

»Was brauchst du denn?«

»Meine Ruhe.«

Oh, Zeit den Mund zu halten.

»Wollen wir zu den anderen? Deine Moralapostelpredigt mit Alkohol bekämpfen?«

Zu spät. Das Lächeln ist weg. Vollidiot!

»Entschuldige, wollte nur den Small Talk ein bisschen aufpeppen.«

»Auf meine Kosten?«

»Nun sei doch nicht so. Ich habe mich entschuldigt...«

»Also Alkohol?«

»Hilft immer.«

»Na dann los.«

Gut, sie lächelt wieder.

»Das schönste am Alkohol ist ja, dass ein Abend mit Alkohol die Gedanken so schön einfach macht. Es gibt nichts Wichtigeres als Reden um des Redens Willen. Tanzen, weil es sich gut anfühlt. Wildfremde Menschen ansprechen, weil man gerade so lustig ist. Rumknutschen, weil ist doch egal... wenn der nächste Morgen nicht wär’, ich wär’ immer voll.«

Na hoppla. War das jetzt Ironie, Sarkasmus, die Wahrheit oder ihr Wunschdenken? Ich sage mal lieber nichts mit Inhalt.

»Schöner Trinkspruch!«

»Genau. Ich nehme noch einen Mojito. Was willst du?«

»Ich auch.«

»Ich lade dich ein.«

Vier Tage

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