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Sommerferien

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Die Zeit verging quälend langsam. Es schien so, als bräuchte der Zeiger auf der Uhr über der Tafel doppelt so lang wie sonst. Mir entwich ein Seufzen, als ich mich auf mein Matheheft sinken ließ. Eigentlich hatte meine Klasse vorgehabt, zu frühstücken, doch unser Lehrer war richtig übermotiviert. Herr Gregorie hatte erst vor wenigen Wochen sein Staatsexamen in dieser Klasse bestanden und die Freude am Unterrichten sprühte förmlich aus ihm heraus. Es war schrecklich.

„Wann klingelt es denn endlich? Ich hab keinen Bock mehr auf Mathe-Mist“, flüsterte Celina zu mir herüber und so öffnete ich die Augen.

„Noch fünfzehn lange Minuten. Ich brauch dringend Ferien!“, bestätigte ich und blätterte resigniert eine Seite in meinem Mathebuch um, um die nächste Aufgabe zu rechnen, die Herr Gregorie, ein leider sehr attraktiver Lehrer, zum Üben gestellt hatte. Es kam nicht selten vor, dass ihm die Mädchen einen schmachtenden Blick zuwarfen.

„Da bist du nicht die einzige“, Oliver stupste mich auf der anderen Seite an und sah überhaupt nicht ein, Abstand zu halten. Ich verdrehte die Augen und konzentrierte mich ein letztes Mal auf die Matheaufgabe, bevor der langersehnte Gong erklang und alle innerhalb von Lichtgeschwindigkeit ihre Sachen eingepackt und den Raum verlassen hatten.

„Schöne Ferien“, rief Herr Gregorie uns noch hinterher.

„Schöne Ferien“, kam von einigen zurück, dann verließen wir das Schulgebäude.

Nach der Pause bekamen wir endlich unsere Zeugnisse. Amelie war zufrieden, was eher selten vorkam. Auch ich freute mich über meine außerordentlich schönen Noten auf dem Papier. Als ich mit Amelie, Celina und Olli im Schlepptau aus dem Gebäude kam, stand jemand an der Haustür lehnend und wartete in der hell scheinenden Sonne auf mich.

„Wer ist denn das da?“, fragte Celina und deutete Richtung Privathaus.

Ich kniff die Augen zusammen. Und als ich die Person erkannte, blieb ich fassungslos stehen. „Das ist Phil!“ Ein Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus. Ich ließ meinen Rucksack fallen und rannte los. So schnell ich konnte, sprang ich die Treppen hoch und landete in seinen Armen. „Was machst du denn hier?“ Ich sah ihn an.

Bevor er mir antwortete, küsste er mich liebevoll auf den Mund. „Ich komme dich besuchen“, sagte er leise.

„Wonach sieht’s denn aus?“ Olli verzog das Gesicht.

„Olli, sei nicht so fies“, forderte Celina ihn auf, aber ich ignorierte Ollis dummen Spruch und gab Phil demonstrativ einen Kuss.

„Und was … wie …?“ Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte.

„Ich hab das mit deinen Eltern abgesprochen. Ich bleib für drei Tage und mit nach Dänemark darf ich auch“, er zwinkerte mir zu und ich stand auf einmal mit offenem Mund da.

„Das … du veräppelst mich doch, oder?“

„Nein. Würde ich nie tun“, Phil gab mir einen Kuss auf die Wange und nahm seine Reisetasche. „Bis Montag bleib ich. Und deine Eltern warten schon auf uns“, er zwinkerte mir zu.

„Was ist mit unserem Waldsee-Ausritt?“, wollte Amelie wissen, als sie mir meinen Schulrucksack in die Hand drückte.

„Wir packen unsere Sachen und dann reiten wir los, ja?“, schlug ich vor. „Phil kann Allegra nehmen.“

„Find‘ ich gut“, Oliver zeigte seine Daumen hoch.

Wir verabschiedeten die anderen, die in der Küche bei Iris ein kleines Mittagessen erhaschen wollten, dann schloss ich die Tür auf und Phil und ich traten ein.

„Ich bin so froh, dass du da bist“, ich kickte die Haustür mit dem Fuß zu und schlang meine Arme um Phils Hals. Endlich hatten wir Zeit für uns; wenn auch nur kurz.

„Ach, nee. Anja und ihr Freund“, Cedric tauchte im Hausflur auf und begrüßte Phil mit kumpelhaftem Handschlag.

Am Anfang war mein Bruder nicht besonders begeistert gewesen, als ich Phil mit nach Hause gebracht hatte. Aber dann hatte er ihn reiten sehen und seine Meinung hatte sich schlagartig verändert. Ein guter zukünftiger Internatsleiter , hatte er irgendwann gesagt und aus den beiden waren … nun ja, Freunde geworden zu sagen, wäre übertrieben, aber immerhin hatten die beiden ein freundschaftliches Verhältnis.

„Was habt ihr jetzt noch vor?“, wollte Cedric wissen. Im nächsten Moment ertönte eine Mädchenstimme aus seinem Zimmer.

„Ach, nee“, ich grinste meinen Bruder an. „Ist das Luna, Sophia oder eine ganz andere?“ Ich zog die Augenbrauen hoch.

„Frag nicht so doof, Anja!“, zischte mein Bruder und ich konnte meinen innerlichen Triumpf nicht unterdrücken.

„Wir wollten mit Amelie, Oliver und Celina zum Waldsee reiten und die Ferien einläuten“, erklärte Phil, um die angespannte Stimmung etwas aufzulockern.

„Dann wünsch ich euch viel Spaß“, mein Bruder zuckte die Schultern.

„Wir dir auch“, kicherte ich und machte mich davon, bevor er mich schnappen konnte.

„Blöde Kuh“, hörte ich meinen Bruder noch zischen, dann war er in seinem Zimmer verschwunden.

Phil und ich packten in meinem Zimmer zwei Satteltaschenpaare zusammen und schnappten uns dann den Rest unserer Sachen. Während Phil sich in Reitklamotten schmiss, suchte ich in der Küche Wasserflaschen zusammen. Danach liefen wir nach unten in den Stall. Ich holte Boreo von der Koppel und Phil Allegra.

„Weißt du, wie oft ich mir vorstelle, dass das hier gerade Alltag wird?“, fragte ich meinen Freund, als ich Boreo den Sattel festschnallte und die Satteltaschen sicherte. Ich schnappte mir seine Gamaschen.

„Wahrscheinlich mindestens so oft wie ich“, entgegnete Phil leise und zog Allgeras Trense von der Halterung.

„Mindestens“, murmelte ich, doch Phil hatte es gehört.

„Ich liebe dich, Anja. Und ich verspreche dir, dass ich eines Tages nicht mehr gehen werde“, er schlang seine Arme um mich, als mich meine Emotionen einzuholen drohten.

„Ich liebe dich auch, Phil“, flüsterte ich, dann küssten wir uns.

Tatsächlich war Phil bis Montag geblieben und es waren drei wundervolle Tage geworden. Der Abschied war tränenreich gewesen und am liebsten hätte ich ihn nie gehen lassen. Beinahe hätte Phil seinen Zug verpasst. Das hatte ich natürlich auch nicht beabsichtigt.

Bereits eine Woche später sahen wir uns jedoch wieder. Phil hatte seine Eltern wirklich überzeugen können, mich mit Baltic Sea zur Dänemark-Freizeit begleiten zu dürfen. Ein Mal im Jahr fand eine große Reise statt, denn für mich und meine Familie gab es eigentlich keinen Urlaub. Da das Interesse aber sehr zugenommen hatte, fuhren mittlerweile viele Schüler, Pferde und Familien mit, sodass es sich richtig lohnte, ein Programm aufzustellen und jedes Jahr einen Bericht zu verfassen. Mit Sack und Pack fuhren wir aus der Mitte Deutschlands los zur Nordspitze Europas. Von dort aus setzten wir mit einer Fähre über auf die dänische Trauminsel Læsø und blieben für zwei Wochen; Reiten am Strand, Sonnenuntergänge und Urlaub mit den Pferden und den Freunden inklusive. Meine Mutter hatte vor ein paar Jahren die Idee bekommen und gemeinsam mit meinem Papa und ein paar weiteren Lehrern ins Leben gerufen. Mittlerweile war es mein Highlight. Umso schöner, dass Phil diesmal auch mitfahren durfte.

Mitten in der Nacht ging es los. Draußen war es noch dunkel. Der Bewegungsmelder an den Ställen löste ständig das Licht aus. Bereits am Abend hatten wir alles in die Hänger, Autos und LKWs gepackt. Jetzt fehlten nur noch die Pferde.

Ich war todmüde und hätte am liebsten einfach weitergeschlafen, doch Phil hatte mich irgendwann aus dem Bett geschmissen und sich meine Sachen geschnappt. Jetzt stand ich mit Boreo und Sky am Zügel vor dem LKW und wartete darauf, dass wir verladen konnten.

Als wir allesamt vom Hof rollten und sowohl Schule als auch zuhause für zwei Wochen hinter uns ließen, war ich erleichtert. Ich kuschelte mich zu Phil, der neben mir saß und mir liebevoll einen Arm um die Schulter gelegt hatte. Cedric saß auf der anderen Seite. Er schlief bereits wieder.

Mama und Papa wechselten sich stundenweise mit dem Fahren ab. Irgendwann machten wir eine Pause. Ich bekam von alle dem nicht viel mit. Ich war innerhalb der ersten Autobahnkilometer wieder eingeschlafen und wachte erst auf, als mich Phil liebevoll weckte, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass man schon das Meer sehen konnte. Mein Herz raste los und ich freute mich tierisch. Endlich waren wir wieder hier. Im Paradies der Pferde. Mein zweites Paradies. Denn das andere war auf dem Internat.

„Anja, also ich finde das wahnsinnig riskant“, wollte mich Phil aufhalten, als wir durch die Dunkelheit Richtung Stall schlichen. Die Schlüssel für das Tor klirrten leise in meiner Jackentasche.

„Ach, quatsch. Sei nicht so ein Schisser!“ Ich zwickte ihm grinsend in die Seite. „Weißt du, wie oft ich das schon gemacht habe?“

„Zu oft“, entgegnete mein Freund und drängte darauf, das Tor schnell hinter uns zu schließen.

Die Rede war von meinen heimlichen Mitternachtsausritten, die ich regelmäßig mit Boreo veranstaltete. Manchmal waren Amelie und Starbux dabei, aber oft waren wir beide auch einfach ganz alleine in der Dunkelheit unterwegs. Es reizte mich, mit Boreo ohne Sattel über die Felder zu fliegen und dem Nichts entgegen zu galoppieren.

„Komm, wir nehmen den Hinterausgang“, flüsterte ich Phil zu und schnappte mir Boreos Zügel. Mein Freund folgte mir. Baltic Sea fand die ganze Aktion nicht besonders lustig. Die braune Trakehnerstute weigerte sich, in die Dunkelheit hinauszuschreiten. Phil brauchte ein paar Minuten, um sie zu überzeugen, in denen er ebenfalls versuchte, mich davon zu überzeugen, diese leichtsinnige Aktion abzubrechen. Doch das kam für mich gar nicht in Frage. Ich wollte an den Strand, ans Meer. Zu dieser Uhrzeit, wenn der Mond voll und hoch und rund am Himmel über dem schwarzen Wasser stand, war es dort besonders schön. Ich mochte es, wenn die dunklen Wellen an den glitzernden Strand rollten und es leise plätscherte. Der Mond versetzte alles in ein unrealistisches Licht. Es war traumhaft romantisch.

„Eines Tages werde ich dir hier in genau so einer Situation einen Heiratsantrag machen“, schwor Phil, als ihn das Majestätische dieses Augenblicks überwältigte.

„Was habe ich dir gesagt? Zu viel versprochen?“ Ich musste in mich hinein grinsen.

„Nein, auf keinen Fall. Es ist wunderschön“, erwiderte Phil und beugte sich zu mir herüber, um mich zu küssen.

Boreo und Baltic Sea wollten rennen. Deshalb fassten wir die Zügel kürzer und veranstalteten ein Wettrennen bis zum Weg zurück, der vom Strand in die Heidelandschaften führte. Mein Pony flitzte und eigentlich hatte er gegen Baltic, die locker zehn Zentimeter größer war als mein Wallach, keine Chance, doch er hielt sich lange auf gleicher Höhe. Am Ende schnaubte er zufrieden ab und ich lockerte meinen Griff in seiner Mähne. Auf seinem bloßen Rücken war es rutschig und seine Bewegungen eindeutig zu spüren gewesen. So oft ich das schon erlebt hatte, es war dennoch jedes Mal etwas anderes.

„Danke, dass du mich überredet hast“, Phil gab mir einen dankbaren Kuss, als wir die Pferde zurück in die Boxen gebracht hatten.

„Gerne“, ich erwiderte den Kuss. „Aber jetzt beginnt der zweite gefährliche Teil der Meisterleistung: unentdeckt zurück in die Betten zu kommen“, ich zwinkerte ihm im Schein der schwachen Lichtröhre zu. Dann machten wir uns leise zurück auf den Weg in unser Zimmer …

Am Wochenende nach meinem fünfzehnten Geburtstag starteten Sky und ich bei einem A-Springen in Hanau. In Dänemark hatte Papa uns intensiv trainiert und jetzt stand die Prüfung an. Ich war aufgeregt, obwohl ein A-Springen für mich mittlerweile kein Problem mehr war. Allerdings war es etwas anderes, mit einem dänischen Warmblut zu springen als mit einem Welsh-Pony. Dennoch freute ich mich.

„Reite ihn mal über das Kreuz hier?“, rief mich Papa zu einem der Probesprünge auf dem Abreiteplatz. Sky war fünfjährig und in ihm steckte Papas ganze Hoffnung. Mittlerweile war Skys erstes Fohlen auf die Welt gekommen – ein Hengstfohlen mit dem Namen Skyfall – und in wenigen Wochen sollte die nächste von ihm tragende Stute abfohlen. Ich hoffte auf ein Stutfohlen. Außerdem hatte Papa dieses Jahr seine beste Dressurstute von ihm decken lassen. Nächsten Sommer sollte das Fohlen auf die Welt kommen.

„Als nächstes am Start: Die Nummer 780, Sky, im Sattel Anja Klein vom Reitinternat Schloss Rosenthal“, wurden wir aufgerufen und ich fasste Skys Zügel kürzer. Jetzt wurde es ernst!

Ich ritt in die Bahn und grüßte die Richter. Im Publikum saßen zum Großteil Eltern oder Jugendliche vom gastgebenden Verein. Einige von ihnen starteten selbst. Sky schaute sich neugierig um und ich verschaffte mir einen letzten Überblick über den Parcours. Als die Glocke ertönte, startete die Springpferdeprüfung. Mein Pferd war spritzig und motiviert. Sky fokussierte die Hindernisse und zog stark an. Ich musste ihm ordentliche Paraden geben, damit er nicht zu schnell wurde. In der Kombination hingegen nahm er sich von alleine etwas zurück und ließ sich flüssig hindurchreiten. Es fühlte sich traumhaft an und ich sprach ihm ein paar lobende Worte zu. Auf der Zielgeraden versammelte ich den Hengst nur noch halbherzig. Über den letzten Sprung flog er in einem weiten Bogen. Die Zuschauer klatschten und ich klopfte Sky freudestrahlend den Hals. Der Schimmel schnaubte und schüttelte seinen muskulösen Hals. Vor der Einreitschneise ließ er sich wieder zurücknehmen und parierte zufrieden durch in den Schritt. Mein Herz raste.

„Das sah gut aus“, fand Mama und packte Skys Zügel, als ich an ihr vorbeiritt.

„Es war richtig aufregend. Er hat viel gelernt in den letzten Wochen und ließ sich viel besser reiten als noch beim letzten Turnier“, bestätigte ich Papas Training und der freute sich.

Als die Reiterin nach mir den Parcours beendet hatte, wurde unsere Stilnote verkündet. Mit einer 8,9 setzten wir uns an die Spitze der Wertung. Bis zum Ende konnte uns keiner mehr einholen, sodass Sky und ich die Springpferde-A gewannen. Zufrieden, stolz und mit einem fetten Pokal machten wir uns auf die Heimreise zurück zum Internat.

Anja und das Reitinternat - Himmel und Hölle

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