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Erste Stunde

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Die Schule ist schon von weitem zu sehen. Sie steht direkt am Altonaer Platz, der weit über die Stadt hinaus für die Vielzahl der zu ihm führenden Wege bekannt sein soll, ein roter trutzburgartiger Bau, der alles verdunkelnde Schatten wirft, sobald sich nur ein wenig Sonne am Horizont zeigt.

Wie immer sieht Koops mich zuerst:

„Na, auch wieder hier?“ So beginnen Montage.

„Klar, konntest du's auch nicht erwarten?“

„Hör bloß auf, ich hab' das ganze Wochenende Geschichte korrigiert, fünfundzwanzig Mal derselbe schlechte Text, der mich bereits bei der ersten Klausur unendlich gelangweilt hat. Und selbst? Wie war dein Nostalgiebesuch an den Stätten vergangener Tage?“

„Sagen wir, er war beschaulich.“

„Sag bloß, du hast jemanden dabei gehabt?“

„Niemanden, bloß meine zwei Dutzend Ichs und die Geister der Vergangenheit. Und bevor du fragst: Ich hatte keinen Sex, nicht mal mit mir allein.“

Koops Gesicht weiß noch nicht, ob es sich für ein Lächeln oder für Nachdenklichkeit entscheiden soll, wählt aber schließlich das Letztere. Vielleicht kennt er mich besser, als ich dachte. Er war quasi der Erste, der mir damals an meinem ersten Tag hier über den Weg lief und dabei ist es dann schließlich geblieben. Wie ich unterrichtet er Deutsch und Geschichte, allerdings mit wesentlich mehr Enthusiasmus, als es mir möglich ist. Würde ich nach dem überzeugendsten und überzeugtesten Lehrer gefragt, den unser Gymnasium zu bieten hat, käme ich auf ihn. Es spricht nicht gegen Koops, dass er das ganz anders sieht.

Nach ihm treffe ich unvermeidlich auf die anderen, das Lehrerzimmer flirrt in der Hektik des Wochenanfangs, die Wiederholung des ewig Gleichen. Papenow, sicher auch heute der erste, sitzt an seinem Platz und durchblättert die „Frankfurter Allgemeine“ mit altgedienter Souveränität, Zeller klappert bereits im benachbarten Chemiesaal und auch der übliche Papierstau im Kopierer wird bereits fluchend kommentiert. Heute hat es Schönberg erwischt. Wie immer bin ich knapp in der Zeit und gehe gleich und ohne auf Vertretungsplan und Mitteilungsbuch geachtet zu haben in den Klassenraum der 10b, in dem mich Tonio Kröger und 25 müde Schüler erwarten. Falls ich etwas vorbereitet habe, habe ich es vergessen, der Unterricht schleppt sich dahin und ich mich mit ihm, trotzdem geht es irgendwie, eine Erfahrung, die wohl maßgeblich mit dafür verantwortlich ist, dass Unterrichtsvorbereitungen in meinem Lehrerleben mittlerweile eine eher untergeordnete Rolle spielen.

So hat das Drama an diesem Vormittag noch mehrere Aufzüge, ohne den Tod des Helden zu erleben, dann ist der offizielle Teil des Tages auch schon beendet. Zusammen mit Koops lasse ich die Schule für heute hinter mir, im „Maybach“ gibt es montags meist Fisch und der soll nicht an uns vorüber ziehen.

„Sag mal, wie oft hast du eigentlich schon daran gedacht, deine Lebensstellung hier an den Nagel zu hängen?“, frage ich ihn.

Wir kennen beide die Antwort und sie kommt sofort.

„Nie, jedenfalls nicht wirklich. Klar denke ich manchmal, vor allem an Wochenenden wie diesem, dass ich mir das alles nicht mehr antue, aber ich tu's dann doch. Denn abgesehen davon, dass ich irgendwo tatsächlich einen Sinn in dem zu erkennen glaube, was ich hier tue, ist es doch so: Ich kann nichts anderes. Wenn ich so etwas wie ein Talent habe, dann liegt es hier. An mir ist kein Germanist verloren gegangen, und ein verkappter Künstler schon gar nicht.“

Darauf fällt mir nichts mehr ein.

Es ist selten ein gutes Zeichen, wenn die Nacht schon am Nachmittag beginnt. Gleich nachdem mich Koops im „Maybach“ verlassen hat, wechsele ich von Wasser und Kaffee zu Bier und Schnaps. Nicht, dass ich wirklich in Trinklaune wäre: Ich bin vielmehr gar keiner Laune und halte es für eine gute Idee, herauszufinden, welche mich als erstes erwischen wird, wenn ich ein bisschen nachhelfe. Alles, was folgt, kommt so vorhersehbar wie überraschend.

Hättest du das je gedacht, dass ich einmal die Lehrerrolle übernehmen würde? Ich weiß noch, wie beschämt ich jedes Mal war, wenn dein Großvater mich „Professor“ nannte, und wie sehr ich jedes Mal vergeblich hoffte, er würde es einmal nicht tun, wenn es uns aus Langeweile in den Garten oder in die Küche deiner Großeltern verschlug. Aber mir war nicht klar, wieviel Wahrheit in diesem Wort steckte. Oder wurde erst mit diesem Wort eine Wahrheit draus?

Am Ende des Ganges

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