Читать книгу Nachtdienste oder Steezer und die Welt bei Nacht - Gerd Ruttka - Страница 3

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1. Kapitel

"61-62-63" zählte Hanna Schneider halblaut vor sich hin. Routiniert nahm sie die Tabletten auf, sortierte diese in die große Wochendosette ein.

"Unglaublich, welche Mengen Tabletten unsere Leute so brauchen, 3x3 pro Tag. Kein Wunder, daß sie dazu auch noch Magentabletten benötigen. Aber die Tabletten helfen den Menschen eine höhere Lebensqualität zu erreichen."

Sie sah auf ihre Armbanduhr. In 5 Minuten musste sie ihren Rundgang anfangen. Sie nahm die Wochendosette, zog aus dem Medikamentenschrank eine Schublade, legte die Dosette hinein, drückte auf der Seite auf einer Alphabetanzeige einen Buchstaben. Ein leises Summen zeigte an, daß der Medikamentenschrank , etwas mehr war als ein gewöhnlicher Schrank .Man konnte deutlich hören, wie eine Automatik die Schublade verschloss, den Inhalt irgendwohin führte, diese dann irgendwo einrastete, und zurücklief an den Ausgangspunkt. Als sie das Einrasten hörte, verschloss sie die beiden Türflügel an der Frontseite des Schrankes, so, dass der Schrank nun aussah wie ein gewöhnlicher Büroschrank aus Metall

Sie nahm ihre große, unhandliche Taschenlampe vom Tisch um ihren Rundgang zu machen."Gott sei Dank," dachte sie, "daß wir jetzt die gläserne Brücke haben, die die Häuser verbindet."

Früher, als sie hier angefangen hatte, mußte der Nachtdienst noch über den offenen, nahezu ungesicherten Hof von Haus zu Haus gehen. Die Anlage, sie war aus einer Schule entstanden, die als Mittelpunktschule zwischen 5 Dörfern an einem Waldrand stand, war damals in der Nacht durch ein 3 m hohes Gitter verschlossen über das jeder klettern konnte, sofern er es nur wollte.

Oft hatte sie sich gefragt, was wohl passieren würde, wenn das Wissen, dass hier eine Menge Menschen zusammen wohnten, die Psychopharmaka erhielten, von irgendeinem Junkie falsch aufgenommen wurde. Dabei wusste eigentlich jeder der in solchen Wohnanlagen arbeitete, dass die Wirkstoffmengen so fein abgestimmt waren, dass man schon einige hunderter Packungen in sich hineinkippen musste, um auch nur annähernd an die Dosis zu kommen, die ein Drogenabhängiger benötigte.

Dann war es trotzdem geschehen: Eines Nachts versteckten sich zwei Männer im Gebüsch des Hofes, standen vor dem Nachtdienst. Sie hielten der Kollegin eine Pistole an den Kopf, forderten die Herausgabe aller Medikamente und der Geldkassette. Zwar waren die Täter schnell gefunden: Zwei Bufdis hatten sich über ihre Arbeit unterhalten, und die beiden Täter gehörten zum weiteren Bekanntenkreis der Bufdis.

Dennoch war in kürzester Zeit eine eiserne, verglaste Brücke zwischen den Häusern vom Obergeschoss zum Obergeschoss gebaut worden, so, dass der Nachdienst nicht mehr angreifbar war.

Zudem wurde der Medikamentenschrank durch einen Safe ersetzt, der fest im Boden verankert war. Er hatte ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem. Auch die Türe zum Nachdienstzimmer wurde durch eine doppelte Metalltüre mit 3 fach Verriegelung ersetzt.

*

Für Hanna waren die Nachtdienste seither entspannter. Zwar war noch immer stündlich ein Rundgang zu machen, aber da sie praktisch nie den ins Freie gehen musste, hatte sie im Laufe der Zeit gelernt an den Geräuschen zu erkennen, ob alles seinen rechten Gang ging. Zudem konnte sie recht entspannt mit den Medikamenten hantieren- der Safe verschloss sich selbstständig, irgendwann in der Nacht zeigte ein leises Summen an, dass der Schrank verschlossen war. Keiner konnte ihn mehr öffnen, bis am Morgen der Frühdienst mit mehreren Schlüsseln die Sperre entriegelte.

Hatte der Safe sich einmal geschlossen, fing für den Nachtdienst die Küchenarbeit an. In drei Häusern mit je 2 Gruppen die Spülmaschine ausräumen, für das Frühstück die Tische decken, Müsli vorbereiten, Kaffeemaschine befüllen.

Danach kam die Zeit im Fernsehsessel. Das Fernsehgerät war leise gestellt, zumeist hatte sie den Kopfhörer in einem Ohr, sass sie in dem zentral gelegenen Aufenthaltsraum, das Alarmhandy in der Brusttasche, die Schlagstock ähnliche Taschenlampe neben sich. Gelegentlich im Halbwachzustand vor sich hindösend, wartete sie darauf, dass es Zeit für den nächsten Rundgang würde.

*

Gerade als sie ihren Mitternachtsrundgang beendet hatte, hörte sie das leise Summen, das ihr anzeigte, dass der Safe nicht mehr geöffnet werden konnte. Nach der Küchenarbeit sass sie im Fernsehsessel. Die Beine hochgelegt, den Kopf zurückgelegt, die Augen geschlossen sah sie aus, als schliefe sie. Ihr Geist jedoch war hellwach. Sie nahm alles wahr was sich in den drei Häusern bewegte: Im Dachgeschoss von Haus 3 holte Hedwig sich ein Getränk aus dem Kühlschrank im Hausflur. In Haus 1 geisterte Heinrich durch den Souterrainflur, weil er nicht schlafen konnte.

Heinrich, der älteste Bewohner des Hauses, er war in seiner Kindheit in einem Dorf aufgewachsen, war ein einfacher Geist. Weil er ein guter und fleissiger Arbeiter war, hatten ihn die Bauern nicht dem Staat ausgeliefert.

Nach dem 2. Weltkrieg - er war inzwischen über die Pubertät hinaus, fiel er auf . Weil er an sich "herumfummelte" , auch in der Öffentlich entkleidete, brachte man ihn in die Psychiatrie.

Seine Odyssee war die vieler solcher Menschen, die man als Handicaped bezeichnete. Als er dann das Glück hatte in das Haus am Walde zu kommen, fing für ihn ein neues Leben an .

Hatte zuvor sein Leben aus Abschottung und viel schlimmerem bestanden, war er jetzt im Alter in offenen aber ruhigeren entspannteren Verhältnissen gelandet: Seine Eigenheiten wurden akzeptiert.

Eine dieser Eigenheiten war, wenn er Nachts nicht schlafen konnte: vor seinem Zimmer ein paar Schritte hin und her zu gehen, bis der Nachdienst kam. Der bot im Schokolade an. Er brach sich dann sorgfältig 2 Rippen ab, nahm eine sofort in den Mund, sagte Gute Nacht, ging in sein Zimmer, legte sich zu Bett, nahm dann die zweite Rippe Schokolade in den Mund. So schlief er ein. Die Tafel Schokolade und den angefangenen Riegel kontrollierte er am nächsten Morgen im Kühlschrank. Er war zufrieden, wenn er sah, dass keiner seine Schokolade angerührt hatte.

Haus 2 war ruhig. Betty und Hella hatten schon lange aufgehört zu kichern.Plötzlich schreckte sie auf. Aufrecht saß sie da und lauschte.

Ein leises, sehr leises Geräusch war aus Haus 3 gekommen. Ein ungewöhnliches Geräusch, wie das öffnen und schließen einer Tür, von der sie nicht am Geräusch erkannte, welche der Türen es war. Das Schleichen und Flüstern von Menschen, aber auch hier konnte sie nicht erkennen, woher und wohin diese Menschen sich bewegten.

Sie tastete nach dem Pfefferspray in ihrer Tasche, nahm die lange Stablampe in die Hand, da man diese im Notfall als Schlagstock benutzen konnte. Sorgfältig überprüfte sie alle Aussentüren, Zimmertüren, Stockwerkstüren, ja, selbst die Türen zu den Vorratsräumen, aber diese waren alle ordnungsgemäß geschlossen und verschlossen.

'Halluzinationen', dachte sie,' gut, dass dieser Nachdienstblock für mich zu Ende ist. Der letzte Nachdienst, dann 2 Wochen frei. Ich werde die Ruhe brauchen können.'

Sie drehte den Fernseher leiser, hörte jetzt nur noch auf einem Ohr, mit Hilfe eines Ohrstöpsels, den Ton. So kann es weitergehen bis morgen früh, dachte sie. Wieder fiel sie in eine Art Halbschlaf, die Augen geschlossen, der Körper entspannt, aber alle anderen Sinne waren geschärft. Einzig der leise Ton des Fernsehers hielt sie wach. Sie hörte wie Gesa aus der 3 aus ihrem Zimmer kam, in das gegenüberliegende Bad ging. Wie jede Nacht würde sie hinter der Badezimmertüre warten, bis der Nachtdienst beim Kontrollgang vorbeikam. Sie würde aus dem Badezimmer herauskommen, ein kurzes Schwätzchen halten, danach wieder zufrieden in ihr Zimmer gehen, weiterschlafen bis zur Frühstückszeit.

Hanna entschloss sich ihren 2 Uhr Rundgang etwas früher anzufangen. Alles war ruhig in Haus 1. Über die Brücke der 1 zur 2 beschlich sie eine gewisse Unruhe- sie sah schon von der Brücke aus, dass Gesa vor ihrer Türe hin und her ging.

Kaum hatte Gesa sie gesehen, kam sie auf Hanna zugeeilt. Noch im Gehen fing sie hastig an zu sprechen: " Da waren zwei Leute, die sind bei mir vorbeigegangen dort in die Küche von der Zwei."

"Bleib hier," Hanna drehte sich um, "ich gehe in die Küche der 2." Aber Gesa folgte ihr in kurzem Abstand. Hanna schloss die Tür auf, bereit ihre Schlagstocklampe und das Pfefferspray zu benutzen." Doch die Küche war leer. Auch im Speisezimmer war niemand zu finden. Erneut prüfte sie alle Türen, schaltete Licht in den Zimmern an um zu sehen, ob jeder in seinem eigenen Bett war. Sie überprüfte ob ein Fenster offen war, ob die Feuertüren fest verschlossen waren. Sie ging dieses mal in den Vorratsraum, ob dort jemand versteckt war, sah in der Wäscherei nach, ebenso in den Werkräumen, im grossen Gemeinschaftsraum. Nirgendwo war etwas ungewöhnliches zu entdecken. Schliesslich gab sie auf, trug jedoch den Vorfall in einem ausführlichen Bericht im Dienstbuch ein.

Jetzt wollte sie hellwach sein, setzte sich auf einen Stuhl am Tisch. Sie suchte im Fernsehen ein Programm von dem sie wusste, dass sie bestimmt nicht gelangweilt würde. Es würde sie wach halten. Der 3Uhr Rundgang war unauffällig. Danach machte sie es sich wieder im Fernsehsessel bequem.

Sie sass etwa 10 Minuten immer hellwach, immer bereit sofort aufzuspringen, wenn etwas ungewöhnliches geschehen würde, als sie von einem entfernten aber schrillen Schrei einer Frauenstimme aus ihrem Sitz hochgerissen wurde. In den Schrei der Frau hinein war ein entsetzter Schrei einer Männerstimme zu hören.

Sie hörte hastende Schritte auf einer Treppe, eine Tür fiel zu, jetzt rannte die Person, riss deutlich hörbar eine andere Türe auf, die Tür schloss sich wieder, man hörte ein trampelndes Geräusch. Hanna konnte nicht sagen woher diese Geräusche kamen, sie hörte sie, konnte sie nicht zuordnen. Dann war Ruhe. Das Rennen, Treppauf oder Treppab, hatte aufgehört.

Jetzt rannte Hannah förmlich durch das Haus. Treppauf im Haus 1, um an die Brücke zum Haus 2 zu kommen.

Benni stand im Gang, der zur Brücke führte, er hielt sie am Arm fest, legte seine andere Hand an ihre Wange. Benni war einer der zwei Autisten die in der Wohnanlage zu Hause waren. Diese Gesten waren ein Zeichen, dass er ihr etwas mitzuteilen hatte.

Vorsichtig nahm sie seine Hand von Ihrer Wange, atmete derweilen tief durch, um ihrer Stimme einen normalen Klang zu geben." Was ist geschehen, Bennie?" fragte sie freundlich. "Rita hat geschrien, laut geschrien!" "Bennie, Rita.......", ist doch nicht da," wollte sie sagen. Aber das würde Bennie völlig aus der Ruhe bringen. So vollendete sie den Satz," Rita hat geschrien, aber jetzt ist sie wieder ruhig. Du kannst wieder schlafen"

Wieder legte er seine Hand an ihre Wange " Gut schlafen? "fragte er. " Ja, Bennie, Rita wird nicht mehr schreien, du kannst jetzt ruhig schlafen." Bennie drehte sich um, ging ruhigen Schrittes über die gläserne Brücke zurück in sein Zimmer.

In Haus 2 war "Schlossbeleuchtung"- die Gänge waren hell beleuchtet, in allen Zimmern brannten die Lichter.

Wo sie auch nachschaute, alle waren wach. Die Einen sassen in ihren Betten, die Anderen waren dabei ihre Hausschuhe anzuziehen. Aber alle hatten eines gemeinsam : Alle Bewohner sprachen von dem Schrei. Die Unruhe bei den Bewohnern war so deutlich, dass sie sicher war, der Schrei war hier von dem Haus 2 ausgegangen. Sonderbar war nur, jeder Bewohner behauptete, dass der Schrei vom Gang her kam, dass das Rennen und Türe schlagen irgendwo anders herkam.

Wieder ging sie systematisch daran, alle Türen und Fenster zu überprüfen.

In den Vorräumen zu den Bädern öffnete sie die grossen Pflege- und Wäscheschränke, um sicher festzustellen, ob sich nicht darinnen einer versteckt hatte. Sie untersuchte die Aktenschränke in den Abteilungsbüros, öffnete die verschlossene Tür zum Speicher in dem sich die Koffer der Bewohner befanden. Leuchtete den Speicher mit ihrer Taschenlampe aus. Danach sah sie unter Tischen, Schreibtischen und Betten nach. Alles was sie fand, waren eine einzelne Socke und ein Duschschuh unter einem Bett.

Doch nirgendwo entdeckte sie irgendeinen Anhaltspunkt der auf die Anwesenheit einer fremden Person hindeutete, oder auf die Ursache oder den Urheber des Schreis. Soweit es die Bewohner betraf, waren diese zwar aufgeregt, aber jeder war in seinem Bett.

Zwar behaupteten Benni und Gesa absolut sicher, dass Rita geschrien hätte. Zwei weitere Bewohner - Rollstuhlfahrer, die geistig nicht gehandicapt waren, unterstützten diese Aussage, aber Hanna konnte nicht herausfinden, was wirklich geschehen war. Ihre einzige Erklärung war, dass irgendjemand ein elektronisches Medium installiert hatte, um den Nachtdienst "aufzumischen ". Schliesslich war Rita Retsch, eine allseits beliebte Kollegin, schon seit Tagen in Urlaub. Sie wollte erst in 3 Wochen aus Korfu zurück sein.

Wieder trug Hanna den gesamten Ablauf in das Nachtdienstbuch ein, wobei sie unterstreichend erwähnte, dass mehrere Bewohner behaupteten, Rita habe geschrieen. Bei der Übergabe an den Frühdienst erzählte sie noch einmal ausführlich von den Ereignissen der Nacht. Die Kolleginnen und Kollegen kamen überein, den Leiter der Wohnanlage zu informieren, sobald dieser in seinem Büro war. Der konnte dann entscheiden, welche weiteren Schritte man unternehmen wolle.

*

Es war Nachmittag, Hanna hatte ausgeschlafen, jetzt hatte sie sich gerade zu Hause mit einer Tasse Kaffee gemütlich auf die Couch gesetzt, als der Wohnheimleiter anrief.

Höflich fragte er, ob sie gut geruht habe, um dann mit seinem eigentlichen Anliegen herauszukommen. Er fragte, ob sie jetzt Zeit erübrigen könne, um über die Vorkommnisse der letzten Nacht zu sprechen.

"In drei Stunden kommen meine Kinder mit dem Bus von der Tagesstätte." "Das bekommen wir in den Griff," antwortete der Chef. Es war klar, dass dem Leiter ihre Anwesenheit wichtig war, "wenn es nötig sein sollte, soll einer ihrer Kollegen die Kinder mit unserem Bus abholen, und hierherbringen." Sie einigten sich, dass Hanna baldmöglich an ihrer Arbeitsstelle sein sollte.

Seufzend band sie ihr Haar hoch, zog ihre Leggins und das gutsitzende Shirt aus, zog ihre Arbeitskleidung an, um dann zur Wohnanlage am Wald zu fahren. Sie parkte wie üblich ausserhalb der Anlage.

Als sie durch das Tor vom Parkplatz zum Heim wollte, war dies verschlossen. Sie lief den Zaun entlang bis zum Haupttor, wo ein uniformierter Polizeibeamter ihr den Weg versperrte. Ein zweiter Beamter begleitete sie zum Verwaltungstrakt, brachte sie hinauf zum Büro des Chefs.

Dieser war nicht alleine, der Geschäftsführer sowie zwei ihr unbekannte Männer sassen mit ihm zusammen in der Sitzgruppe die zwischen dem Schreibtisch und einigen Aktenschränken im Büro des Heimleiters aufgebaut war.

Der Heimleiter, der ihr direkter Chef war, bot ihr einen Sessel an, fragte dann ob sie einen Kaffe wollte. Während sie auf den Kaffee warteten stellte der Geschäftsführer die beiden Herren vor .

"Die beiden Herren sind Polizeibeamte. Das ist Kommisar Steezer, oder, "wandte er sich an den Polizeibeamten, "hast Du einen anderen Dienstgrad, Steezer?" Der Beamte winkte ab."Nicht wichtig " sagte er kurz. "Gut, also nochmal, das ist Steezer, der leitende Beamte, und das ist Carlo Maretto, sein Assistent." Beide Männer deuteten im Sitzen eine leichte Verbeugung an.

Fast gleichzeitig kam die Sekretärin herein, stellte vor ihr ein Tablett mit einem Kännchen Kaffee, Milch und einer Tasse hin. 'Wie wird sich Alva wohl fühlen, dass sie mir Kaffee reichen muss, Alva, die sich immer als etwas Besseres fühlt als alle Anderen hier im Haus, die auf den Gruppen arbeiten, weil sie Chefsekretärin ist.' Dass Hanna sich selbst den Kaffee in die Tasse goss, gab Hanna Zeit sich die beiden Polizeibeamten zu betrachten.

Der eine war ein nicht so breiter, nicht sonderlich grosser Mann so Mitte 30 mit schwarzem Lockenhaar, eher ein südländischer Typ.

Der andere, der Steezer genannt worden war, war eher der Typ Spiessbürger, in der obligatorischen Jeans zeigte sich ein deutlicher Bauchansatz, dazu ein Hemd im modischen Karo. Das Gesicht war so kantig, dass es schon fast unangenehm hart wirkte. Nicht einmal der erste Ansatz eines Doppelkinns nahm diesem Gesicht die Kantigkeit, das Haar war schon sehr licht und grau, aber nicht sehr kurz geschnitten. Hätte sie aus einer Gruppe von Männern einen Polizeibeamten aussuchen müssen, sie hätte diesen Mann sicher nicht ausgesucht, er war eher der Typ des Kleingärtners als der des Beamten.

Erst als sie vom Kaffe getrunken hatte, sprach der Chef sie an. "Bitte schildern sie uns doch noch einmal, mit eigenen Worten, die sonderbaren Ereignisse während ihres letzten Nachtdienstes."

"Ich hoffe , ich bekomme noch alles zusammen, das war der letzte Tag im Nachtdienstblock, der Schrei war gegen 3:00 morgens, da war ich schon nicht mehr so ganz bei hundert." Trotz dieser Erklärung brachte sie es fertig, die Geschehnisse richtig und in richtiger Reihenfolge zu schildern.

"Gutt," Carlo wusste, dass Steezer dies Wort:' Gutt' stets dann benutzte, wenn er aussagen wollte, dass er verstanden hatte und zufrieden mit den Inhalten war."Ihre Angaben decken sich mit den Aussagen ihrer Bewohner," stellte der Kommisar nüchtern fest, jetzt wissen über den Ablauf dieser seltsamen Begebenheit Bescheid, aber nicht das warum. Hätten sie eine Vorstellung, warum ihre Kollegin dagewesen sein sollte?"

"Wahrhaftig nicht," Hanna schüttelte den Kopf ,"warum hätte sie in Haus 2 gehen sollen? Sie arbeitet auf der 3 , dort steht auch ihr Schrank, falls sie etwas Wichtiges vergessen haben sollte. Ausserdem ist sie auf Korfu in Urlaub. Die einzige Möglichkeit, denke ich, wäre irgendein technisches Gerät das die Stimme von Rita abgespult hat."

Carlo Maretto sah kurz seinen Chef an, dann setzte er zu sprechen an.

"Das ist es ja, sie ist eben nicht nach Korfu geflogen- sie hat nicht einmal gebucht. Viel interessanter ist aber, dass wir an der Feuertreppe zum Haus 3 Fingerabdrücke gefunden haben, die da nicht hingehören. Einmal von ihrer Kollegin Rita Retsch, dazu einen von einem Mann den wir nicht kennen. Damit gewinnen die Aussagen ihrer Bewohner, dass der Schrei von Rita Retsch kam, an Bedeutung."

"Wir haben sie gebeten zu kommen, mit uns zu reden, weil wir keine Stelle gefunden haben, an der ihre Kollegin verweilt haben könnte. Bitte überlegen Sie genau, ob sie nicht irgendeine Idee haben, wo die beiden Leute hingegangen sein könnten ."

Hanna schüttelte den Kopf:"Tut mir leid. Darüber habe ich mir schon zu Hause den Kopf zerbrochen. Bedauerlicherweise kann ich nur die Geräusche, die ich häufiger höre, einordnen und zuordnen.

Die Geräusche letzte Nacht waren so leise, dass ich sie zuerst für Halluzinationen hielt. Später habe ich mich dann gefragt, ob irgendjemand mir einen Streich spielen wollte und eine DVD abgespielt hat, oder sonst etwas."

"Daran haben wir auch schon gedacht", Steezer sprach freundlich zu ihr," unsere Beamten haben sämtliche CD's, DVD's und sonstige Tonträger konfisziert, aber bisher nichts gefunden. Könnten sie sich vorstellen, was ihre Kollegin hier gesucht haben könnte?"

"Ich weiss es nicht," antwortete Hanna. "Auf jeden Fall kommt mir das alles unwirklich vor. Unwirklich und geheimnisvoll. Ich kann mir keinen Reim darauf machen. Das alles ist einfach unverständlich für mich!" Sie überlegte ein wenig. "Vielleicht weiss ihre Schwester Bescheid, die beiden wohnen doch zusammen!"

Zurückhaltend fragte der Geschäftsführer, ob sie wisse, wo die Schwester arbeitete. Hanna verneinte. So konnte sie wieder nach Hause gehen.

Sie war sehr beunruhigt. In 14 Tagen würde sie wieder Nachtdienst haben. Was dann? Gab es Veränderungen, vielleicht mehr Kontrollen? Eine zweite Person im Dienst? Bauliche Veränderungen?

Doch es kam alles anders.

*

Drei Tage später wurde sie mitten in der Nacht angerufen. Ihr Teamchef war am Apparat : "Können sie vorbeikommen, Frau Schneider? Das Dachgeschoss im Haus drei ist komplett ausgebrannt. Die Bewohner sind unversehrt, aber wir brauchen jede Hand. Daher bitten wir jeden, den wir erreichen können, zu kommen."

Hanna hatte ihre Mieterin geweckt, damit diese bei Ihren Kindern bleiben konnte. Dann war sie, wie nahezu alle Kollegen, zum Wohnheim gekommen um sich um die Bewohner zu kümmern. Selbst die Hauswirtschafts- Mitarbeiter waren anwesend, kochten Tee, verteilten Kekse und Schokolade. Das zeigte sich schliesslich als ausschlaggebend, es hatte die Bewohner beruhigt.

Dann hatten alle gemeinsam die Betten in der Gruppe drei abgebaut, diese wieder in dem grossen Festsaal aufgestellt. Danach waren die Bewohner wieder zu Bett gebracht worden. Es hatte noch ettliches an Zeit und Ideen gebraucht, bis die Bewohner wieder eingeschlafen waren.

*

Hanna war gerade rechtzeitig zurück in ihrem Hause, um ihren Kindern das Frühstück zuzubereiten, damit diese zur Schule gehen konnten.

Sie versuchte zu schlafen, stand aber bald wieder auf, weil die unerklärlichen Probleme sie immer wieder einholten. Fragen, die sie nicht beantworten konnte, die einfach nicht aus ihrem Kopf gehen wollten. Von denen das Gehirn zumindest einen Zipfel zu finden suchte, der dann zu einer Antwort führen konnte, die schliesslich eine mögliche Lösung darstellen gekonnt hätte.

*

Schon am nächsten frühen Vormittag kam der Sachverständige von der Brandschutzversicherung. Die Feuerwehr des kleinen Ortes hatte sich in der nächsten Grosstadt mehrere grosse Strahler geliehen um sie unter dem Dach aufzustellen, so, dass der zuvor immer dämmerige Raum nun voll ausgeleuchtet war.

Der Sachverständige sieht sich kurz um, geht dann gezielt zur Giebelseite, die gesamte Wand an dieser Seite ist mit rabenschwarz verkohlten Holzplanken verkleidet. An dem letzten der Balken läuft ein Kabel entlang in die Höhe, wo eine einsame Birne in einer Fassung wohl früher Licht spenden sollte, jetzt war diese geplatzt. Man sah nur noch die Glühdrähte in der Fassung, das schützende Glas war weg.

"Kabelbrand" äussert der Mann, zieht dann eine kleine Box aus der Brusttasche seiner Arbeitsjacke, öffnete diese, und holt eine Lupe heraus, um damit die Leitung zu untersuchen. Er kriecht förmlich an dem Kabel entlang. Schon kniet er, da hält er an.

"So,so," murmelt er vor sich hin, kramt dann sein Handy aus der Tasche und fotographiert ein Stelle, von rechts, von links , von direkt davor.

"Tyischer Fall," sagt er so laut, dass es auch der an der Treppe stehende Heimleiter hört, "ganz eindeutig ein glatter Schnitt mit einem Messer, kein Tierverbiss, keine Schere - ein Messer, glatt durch, dann etwas weggebogen, aber das Kabel hat sich wieder zurückbewegt. Kommt oft vor, zumeist, wenn Laien an den Kabeln herumbasteln."

Er will aufstehen, stützt sich dabei mit einer Hand an der verkohlten Holzwand am Giebel ab, um besser hochzukommen. Er hat sich schon fast ganz erhoben, als die verkohlten Wandbretter nachgeben. Er kippt in den dahinterliegenden schmalen Raum, fällt auf etwas.

"Verflixt," flucht er, "ausgerechnet so etwas muss passieren, ausgerechnet heute und bei mir." Zwei Feuerwehrleute , die dazu getreten sind, starren in den Hohlraum.

"Du lieber Himmel," der eine greift sich an den Kopf. Der Andere hilft dem Sachverständigen beim Aufstehen. Kaum dass er steht, wendet er sich an den Heimleiter."Da ist ein sehr schmaler Verschlag, mit einer verkokelten Matratze einem Tisch und einem Stuhl, auf der einen Seite liegt auf dem Boden eine völlig verkohlte Leiche."

*

Die Kriminalpolzei war gekommen. Die Beamten hatten versucht Spuren zu sichern, soweit dies nach dem Brand möglich war. Wie immer dauerte es fast 3 Wochen, bis die DNA der Leiche analysiert war. Es war eindeutig, die verbrannte Person war diejenige deren Haare in einer Bürste im Schrank von Rita Retsch gefunden wurden.

*

Der Geschäftsführer hatte kurzfristig eine Betriebsversammlung angesetzt, um dem Personal die Fakten bekanntzugeben. Zwar war diese Betriebsversammlung nur für das Wohnheim und die dort tätigen Betreuer gedacht, aber auch aus den anderen Abteilungen waren Kollegen und Kolleginnen zur dieser Versammlung gekommen.

"Die verkohlte Leiche aus dem Dachgeschoss ist ohne Zweifel, die Person, die den Schrank in der Gruppe 3 als Rita Retsch belegt hatte. "Er machte eine Kunstpause "Allerdings," erklärte er sodann den Mitarbeitern, "haben wir ein grosses und echtes Problem. Ihre Kollegin Rita Retsch ist namentlich nicht existent.

Was heissen soll, dass es den Namen Rita Retsch so nicht gibt. Die sogenannte Schwester mit der sie zusammengelebt hatte ist auch verschwunden. Auch diese gibt es namentlich nicht. Alle Papiere, die wir gefunden haben sind echte Papiere mit falschen Daten. Die gesamte Vita der beiden Frauen ist erfunden, aber durch Computer-Manipulationen als richtig und real belegt. Wir stehen vor einem Rätsel.

Deshalb benötigen wir ihre Hilfe. Bitte teilen sie uns alles mit, was Ihnen einmal sonderbar vorgekommen oder aufgefallen ist. Was hat Rita Retsch Ihnen erzählt, was bei Ihnen anders gemacht wurde, was hat sie getragen, was gar nicht ins Bild passte. Eben jede Besonderheit, alles Ungewöhnliche was Ihnen einfällt." Er schwieg.

Die Mitarbeiterinnen uns Mitarbeiter des Wohnheimes starrten ihn an, verständnislos, verblüfft. Dann sahen sie einander an, mit fragenden Blicken, die doch nur wieder den Fragen in den Blicken des Kollegen begegneten.

"Das gibt's doch nicht," stiess Carina Müller, die Hauswirtschafterin, hervor. "Du hast recht, sowas gibt's doch nur im Fernsehen." Kaum hatte Kirsten Meiheimer- mit zwei Eiern, wie sie immer ihren Namen beschrieb - dies ausgesprochen, als im Saal eine Woge von Stimmen einen undurchdringlichen Lärmpegel aufstaute, der nur langsam abebbte "....denkt denn an so etwas?" hörte man zuletzt die Teamchefin von Team 3.

Steezer ergriff wieder das Wort. "Wir haben für jeden von Ihnen immer Zeit, sie brauchen uns nur anrufen und ein Beamter ist für sie da, oder er kommt zu Ihnen, oder sie können zu uns kommen. Mehr können wir momentan nicht sagen." Er legte eine Pause ein. "Zuletzt erneut die dringende Bitte. Wenden Sie sich an uns, wenn Ihnen etwas einfällt, das im Zusammenhang mit Rita Retsch steht und ungewöhnlich war- bitte, melden sie sich bei uns, wir haben immer ein offenes Ohr für sie. Wir sind in diesem Fall an allem interessiert, und sei es nur, dass sie eine Stricknadel anders gehalten hat, als sie das kennen." er machte eine Pause "Ich danke Ihnen für ihr Kommen."

Steezer ging zum Geschäftsführer, sie sprachen ein paar Worte mit einander, dann schien er sich zu verabschieden, ging weg, eine ratlose Gruppe von Mitarbeitern hinterlassend, die zu verblüfft waren, um erneut zu diskutieren.

"Also, liebe Leute, das muss ich erst einmal verdauen. Ich denke, wir machen für heute am Besten Schluss." beendete der Geschäftsführer die Versammlung. Die Mitarbeiter standen auf, aber nur um sich überall im Haus und Garten erneut in kleinen Grüppchen zusammenzutun, damit sie die Informationen erneut diskutieren konnten."Ausgerechnet Rita!" "Die war doch so freundlich zu jedem." "Also, wenn ich von jemandem angenommen hätte, dass der völlig offen ist, dann wäre das Rita gewesen." "Wer hätte das gedacht, dass Rita eine Lügnerin ist." "Sie wäre die letzte gewesen, von der ich so etwas angenommen hätte." "Wer weiss was sie sonst noch gelogen hat." "Wisst ihr noch damals, als die 200€ in der Kasse gefehlt haben- ob sie das auch war?"

So wurde diskutiert, spekuliert, vermutet, aber jedes Wort war nur ein Ausdruck des hilflosen Unverständnisses gepaart mit, hier wenig dort mehr, Enttäuschung über die Tatsache, dass alle von Rita Retsch, die all die Jahre so systematisch und freundlich gewesen war, so extrem hinters Licht geführt worden waren.

*

An diesem Abend sass Hanna Schneider wie jeden Abend an ihrem Tagebuch. Wie jeden Abend schrieb sie die Ereignisse des Tages auf, egal ob an der Arbeitsstelle, zu Hause, beim Einkauf , oder wo sonst auch immer, am Abend legte sie es in Ihrem Tagebuch ab.

"Ob ich der Polizei erzähle, dass ich jeden Abend in ein Tagebuch schreibe. Dass ich seit Jahren alle Dienste mit allen Besonderheiten und Vorkommnissen aufgeführt habe. Da kommen ja meine geheimsten Gedanken an den Tag."

Drei Tage lang überlegte sie, dann rief sie Steezer an.

"Tagebücher?" fragte er nur," Für jeden Tag Einträge? Seit Jahren?..... Wo wohnen Sie?.......... Gut, in einer halben Stunde bin ich bei Ihnen."

Eilig füllte sie die Kaffeemaschine auf, schaltete sie an. Sie richtete einen Teller mit Gebäck an, deckte den Esstisch für 2 Personen.

Als Steezer klingelte hatte sie gerade etwas anderes angezogen, und ihre Haare hinten mit einem Gummi zusammengezogen.

Sie bot ihm einen Kaffee an, den er dankend annahm. "Geben sie mir doch bitte 'mal ihr neuestes Tagebuch, damit ich vorher sehen kann, in welchem Masse die Eintragungen dem realen Ablauf entsprechen."

Er las, griff während des Lesens automatisch in den Keksteller.

"Gut, und verständlich geschrieben," urteilte er, "wenn sie arbeitslos werden, melden sie sich bei uns- wir brauchen jemanden der unsere Berichte so einfach und klar formuliert."

Er besah sich den Stapel Tagebücher, die Hanna vor ihn hingelegt hatte. "Da werden die Kollegen sich aber freuen. Wieviel sind denn das?" fragte er. "Pro Jahr 3 Kladden, mit 200 Seiten. 12 Jahre lang. Plus 2 von diesem Jahr. Ich hoffe, sie bringen etwas. Wird mein Chef von dem Inhalt erfahren?" fragte Hanna besorgt.

"Nein, nein " beruhigte Stelzer sie, "nur was fallrelevant ist wird von uns kopiert- ausserdem unterliegt sowieso alles der Schweigepflicht. " "Das ist gut, " Hanna war erleichtert.

Wieder vergingen ein paar Tage, ohne dass man irgendetwas Neues gehört hätte.

Der Dachstuhl war schon erneuert, die Bewohner hatten wieder ihre gewohnte Umgebung, die Tage in der Wohnanlage hatten wieder ihren gewohnten Ablauf. Einzig die Feuertreppen waren jetzt mit Kameras ausgestattet, die jeden zeigten, der die Treppen betrat und die Aussentüren waren generell mit Alarmanlagen versehen, die vom Nachtdienst abgeschaltet werden mussten, wenn der erste Kollege zum Frühdienst kam. In der ersten Zeit hatte es gelegentlich Fehlalarm gegeben, aber alles in allem hatte man sich schnell an die neuen Gegebenheiten gewöhnt. Nur selten dachte man noch an die Ereignisse. Kein Mensch sprach mehr über die sonderbaren Geschehnisse. Allenfalls sprach man über den Brand, aber auch diese Gespräche hielten sich in Grenzen. Es gab einfach andere, wesentlichere Probleme zu bewältigen.

Eines Tages rief Steezer bei Hanna an. Er fragte sie, wann sie einmal frei hätte. Er würde dann vorbeikommen, mit einem Kollegen. Dieser war einer der Kollegen, der ihre Tagebücher gesichtet hatten.

"Wir haben überall herumgefragt, in allen Dienststellen, wer mithelfen wolle die Tagebücher zu lesen. Der Junge hat vorher in unserem Team mitgearbeitet. Er ist so gut, dass er von uns aus ins LKA versetzt wurde. Er hätte gerne mit ihnen über den Inhalt eines der Tagebücher geplaudert, die er gelesen hat," formulierte Steezer die Bitte.

Hanna war sofort bereit, ein Gespräch mit den beiden Männern zu führen. "Trifft sich gut, seit vorgestern ist mein Nachtdienstblock zu Ende, und ich suche eine dringende Ausrede um nicht mit dem Wände - Streichen oben im zweiten Stockwerkes anzufangen, jetzt wo ich ausgeschlafen habe."

Sie verabredeten sich auf den Nachmittag des gleichen Tages

Der Kollege erwies sich als smarter junger Mann, der eher wie ein Börsenmakler, denn wie ein Polizeibeamter gekleidet war. Die Aktentasche die er unter seinem Arm trug vervollständigte den Eindruck.

"Muss ich jetzt Angst haben, weil sie zu zweien kommen? "fragte Hanna, als sie im Wohnzimmer sassen. "Nein wie bereits erklärt: Herr Keller ist nur dabei, weil er diesen Teil in ihrem Tagebuch entdeckt hat. Normalerweise arbeitet er nicht mehr bei uns, aber ihre vielen Tagebücher haben es notwendig gemacht, jeden der mitlesen wollte einzuspannen."

Sie setzten sich an den Kaffeetisch, jeder nahm einen Schluck Kaffee. Dann holte der junge Beamte das Tagebuch aus seiner Aktentasche. Er schlug eine Seite auf, die mit einem Blatt Papier gekennzeichnet war, legte das Tagebuch vor Hanna hin, deutete auf eine Stelle und fragte: " Was haben Sie damit gemeint?" Hanna las: ".................sagte sie sei aus Sachsen, aber irgendwie hört sich die Aussprache gelegentlich für mich ganz anders an. Ach, was, ich bin ja keine Phonetikerin. Es geht mich nichts an, woher sie kommt........."

"Was ich damit gemeint habe? Naja, in Sachsen und sächsisch kenne ich mich nicht aus.

Aber als Kinder sind mein Bruder und ich häufig mit unserer Mutter, die schwäbische Dialekte untersuchte, im Schwabenland gewesen. Wobei unsere Mama uns die Unterschiede bei der Aussprache von Lauten erklärte. Das ist ja von Dorf zu Dorf verschieden."Der junge Beamte nickte, verstehend und zusagend zugleich, mit dem Kopf.

"Mama konnte genau sagen von welchem Ort oder sogar von welchem Weiler derjenige kam, wenn sie jemand sprechen hörte. Irgendwie kam es mir immer vor, als hätte bei Rita irgendwie die schwäbische Sprache durchgeschienen."

Keller blickte Steezer triumphierend an: "Siehst du, Steezer, ich habe richtig gelegen, dass sich das "anders anhören" sicher auf einen schwäbischen Dialekt bezieht." "Oh,sie sind auch Phonetiker ?"fragte Hanna, "was ist ihr Schwerpunkt? Schwaben oder Sachsen? "

"Nein, nein antwortete Keller, "ich mache so nebenher vergleichende Phonetik, Schwerpunkt Süddeutschland.!" "Und da haben sie auf schwäbisch getippt?" Hanna war interessiert, "Warum denn das?"

"Das wäre zuviel für die kurze Zeitspanne, wenn man es eingehend schildern wollte. Ausserdem wäre es zu umständlich das genau zu erklären, aber mit ein paar wenigen Worten: In Sachsen gibt es Regionen mit verschiedenen schwäbischen Einschlägen, im südl. Sachsen gibt es einen schwäbischen Einschlag."

"Sonderbar! " überlegte Hanna laut,"jetzt weiss ich auch wieder an was mich die Aussprache erinnert hat : die Gegend um Gomaringen."

Steezer war interessiert: "Dies Hobby; können sie auch herausfinden woher ich bin?"

"Eindeutig Frankfurter Raum," warf Hanna hin. "Da können sie noch so wunderschön Hochdeutsch sprechen, das Frankfurter "A" bekommen sie nie aus ihrer Sprache weg. Und zu Herrn Keller, Karlsruhe- Bruchsal mit pfälzischem Einschlag, kann Rheinhafen sein oder vielleicht Richtung Schwetzingen."

"Richtig," lachte Keller," jetzt glaube ich Ihnen auch das Gomaringen."

Die Männer standen auf, "Wir werden sie wieder belästigen, wenn wir noch Infos benötigen." Mit diesen Worten verabschiedeten sich die beiden Beamten.

*

Wieder vergingen ein paar Tage. Im Nachtdienst war an diesem Tag der Medikamentenschrank von Anfang an nicht zu öffnen. So hatte Hanna genügend Zeit, sich dem Fernsehprogramm zu widmen.

Noch während sie den Frühstückstisch zu Ende deckte, hörte sie mit einem halben Ohr, wie der Moderator von einer geheimnisvollen Fall mit einer unheimlich anmutenden Geschichte über ein unbekanntes Brandopfer sprach. Sie war fertig, betrat den Fernsehraum, als der Moderator fragte: Wer kennt diese Frau? . Hanna sah das Bild. "Rita" entfuhr es ihr, sie hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Doch schon ratterte der Moderator die Daten herunter: Grösse, Haarfarbe......... rufen sie uns an, unter der Nummer.

Sie hörte nicht mehr weiter zu. Ihr fiel eine Begebenheit ein, die sich genau in diesem Frühstücksraum zugetragen hatte. Eine Begebenheit, von der sie sich sicher war, dass sie diese nicht im Tagebuch vermerkt hatte: Rita, die angeblich Krankenschwester in den neuen Bundesländern gewesen war, hatte bei der Diabetes einer Bewohnerin erstaunliche Aktionen gestartet, die so gar nicht mit den ihr selbst bekannten Empfehlungen und Aktionen in Einklang zu bringen waren. Als sie diese in einer ruhigen Stunde darauf ansprach, lachte Rita "Ach, das liegt wohl daran, dass ich für die Karies-Prophylaxe zuständig war."Sie selbst hatte über diese Antwort nicht wirklich nachgedacht, sondern sie als gegeben hingenommen. Erst später, viel später war ihr aufgefallen, dass Kariesprophylaxe eigentlich wohl kaum eine Arbeit für eine Krankenschwester war, sondern eher in den Arbeitsbereich einer Zahnarthelferin fiel.

Sie rief bei Steezer an. "Was mir gestern bei der XY Sendung noch eingefallen ist."Sie schilderte die Begebenheit.

"Das trifft sich gut," Steezer war weder schlecht gelaunt noch unfreundlich. Sachlich und kurz wirkte er manchesmal bei Menschen die ihn nicht kannten unhöflich. Er wusste das selbst, deshalb fügte er hinzu: "Wir haben einen ernst zu nehmenden Hinweis, der in die Gleiche Richtung geht, aber nur ein ' Könnte sein' beinhaltet. Auf jeden Fall, 'Danke', dass sie uns informiert haben."

Nachtdienste oder Steezer und die Welt bei Nacht

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