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Return, Viktoria

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Return, Viktoria!














Roman von G. J. Wolff

Jugendbuchreihe Aufbruch



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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutsche Nationalbibliographie,

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© 2017

Gerhard Wolff,

pege.wolff@t-online.de


Herstellung und Verlag: epubli.de



Titelfoto: Franz Metelec







1


„Was für ein Talent, was für ein Talent!“, rief Jim Fisher, einer der Jugendtrainer des renommierten Tennisclubs von Los Angeles, den Eltern von Viktoria Taft zu, die ihrer Tochter dabei zusahen, wie diese gerade die letzten Minuten ihres ersten Tennistrainings hinter sich brachte. Sie hatte das Training zusammen mit einem anderen Mädchen, mit dem sie nun noch ein Abschlussspiel machte. „Sehen Sie doch nur, sehen Sie doch nur!“

Sofia und Frank Taft, Inhaber einer florierenden Wurstfabrik und stolze Eltern zweier Töchter, von denen eine gerade ihren Tennistrainer verzauberte, standen mit offenem Mund auf der Tribüne eines Nebenplatzes des Tennisvereins und starrten, wie Jim Fisher, der neben ihnen stand, zum Platz, auf dem Viktoria hin- und herflitzte. Sie hatten selbst kein Tennis gespielt -Sofia war unsportlich und Frank neigte zum American Football und zum Boxen- und wussten daher nicht, wie sie die Worte des Trainers einschätzen sollten.

„Sehen Sie nur, wie Vicky diesen Ball noch geholt hat, wie schnell sie ist, wirklich schnell!“, rief Fisher aus.

„Sie soll Tennis spielen und nicht die 100 Meter gewinnen!“, spöttelte Frank, der grundsätzlich misstrauisch gegen alles und jeden eingestellt war.

„Natürlich, da haben Sie Recht!“, bestätigte der Trainer. „Schnelligkeit allein genügt nicht!“ Er nickte. „Aber Schnelligkeit ist auch sehr wichtig im Spitzentennis.“

„Spitzentennis?“, fragte Sofia und runzelte die Stirn.

„Aber ihre Tochter ist ja nicht nur schnell!“, fuhr der Trainer fort. „Vicky hat instinktiv gefühlt, wohin der Schlag kommt, sie hat richtig antizipiert, ist fast im selben Moment losgelaufen, wie ihre Gegnerin geschlagen hat, hat den Ball noch in tiefster Position erreicht und sehen Sie doch nur, sehen Sie doch nur, jetzt schon wieder, sehen Sie doch nur, mit wieviel Gefühl sie den Ball „cross“, also quer, an ihrer Gegnerin vorbeizirkelt, unerreichbar, tödlich, genial!“ Jim Fisher kam aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus.

Sofia und Frank sahen einmal zu Fisher, dann zu Vicky, dann sahen sie sich gegenseitig an.

„Einfach genial!“, meinte Fisher nochmals. „So ein Talent habe ich schon lange nicht mehr gesehen, vielleicht noch nie!“

„Sind Sie sicher, dass Sie von unserer Tochter reden?“, fragte Sofia, die Ballspiele hasste, weil sie überhaupt kein Ballgefühl besessen hatte, und die ihre Tochter eigentlich nur zum Tennis angemeldet hatte, weil man einfach Tennis spielen musste in den Kreisen, in denen Vicky später verkehren sollte.

„Eigentlich müsste sie Golf lernen!“, hatte Frank gespöttelt. „Die wirkliche society ist schon zum Golf abgewandert.“

Aber Vicky hatte sich für Tennis entschieden.

„Was für ein Talent!“, murmelte Fisher vor sich hin.

Frank schwieg skeptisch, seine Miene verriet, dass er dem Trainer nicht traute. Er vermutete, dass jeder Neuling mit solchen Worten geködert wurde. „Keine Angst!“, knurrte er ironisch. „Wir melden unsere Tochter auch an, wenn sie der größte Trampel wäre, den sie je trainierten. Es geht uns eher um das Gesellschaftliche, als um das Sportliche.“

„Schauen Sie doch nur genau hin!“, meinte der Trainer nun schon fast beleidigt, weil man sein Urteil anzweifelte.

Nun sahen die Drei eine Weile dem Spiel zu. Und tatsächlich, Viktorias Gegnerin, deren Bewegungen und Handlungen man ansah, dass sie wusste, was sie tat, schien zu verzweifeln. Wenn sie den Ball lang in die Ecken schlug, erlief Viktoria ihn und schlug ihn hart, sicher und unerreichbar in eine Spielfeldecke des gegnerischen Feldes. Schlug die Gegnerin einen Stoppball, dann spurtete Vicky hin, erreichte ihn und konnte ihn wieder in eine Ecke schlagen. Versuchte es Vickys Gegnerin mit einem „Serve-und-Volley“, dann wurde sie jedes Mal von ihr passiert, einmal „longline“, einmal „cross“.

„Und das ist nicht irgendwer, gegen den sie spielt!“, meinte Jim Fisher schließlich. „Das ist Sylvie Jackson, die Nummer Eins unseres Clubs in ihrer Altersstufe. Selbst sehr talentiert, sehr talentiert. Aber kein Vergleich zu ihrer Tochter. Sehen Sie nur! Sie hat erst eine Trainingsstunde hinter sich und die Schlägerhaltung ist perfekt und die Schlagausführung göttlich!“

Wieder betrachteten die Eltern verwundert ihre Tochter.

„Ganz klar eine Grundlinienspielerin!“, murmelte der Trainer mehr zu sich, als zu den Eltern. Keine „Serve-und-Volley“-Spielerin! Aber ich mag eh lieber Grundlinienspielerinnen, das ist doch irgendwie eher Tennis, als das Draufgehaue!“

Viktorias Eltern bemerkten, wie Sylvie mehr und mehr die Lust am Spiel verlor, erst wurde sie wütend und schimpfte, auch auf Vicky, die es verwundert zur Kenntnis nahm. „Dann warf sie plötzlich den Schläger weg und rannte weinend zu ihrer Mutter, die sie tröstete und Viktoria böse Blicke zuwarf.

„Das tut weh!“, meinte Mr. Fisher mit bedauernder Miene. „Aber das kriege ich schon wieder hin.“

Vickys Eltern sahen ihn nur verwundert an.

Der Trainer ging zu Vicky und schickte sie unter die Dusche und zum Umkleiden.

Dann ging er zu Sylvie und ihre Mutter und munterte beide wieder auf. Dann ging er wieder zu den Tafts, die auf ihre Tochter warteten.

„Ganz ohne Zweifel!“, meinte Fisher, als er wieder auf der Tribüne bei ihnen war. „Ihr Kind ist ein richtiges Talent. Sie müssen sie auf jeden Fall wieder kommen lassen!“

„Keine Angst, sie kommt wieder. Und mit ihr der Mitgliederbeitrag!“, grinste Frank.

„Sie ist ein Genie, Mr. Taft!“, versuchte es der Trainer nochmals. „Sicher ist neben dem Talent auch die Haltung wichtig. Sie wissen schon, zehn Prozent Inspiration und 90 Prozent Transpiration!“ Er grinste, aber Frank verstand ihn nicht.

„Wenn es ihr gefallen hat, wird sie wiederkommen!“, versprach Sofia.

Der Trainer beachtete Frank nun nicht weiter. Er sah Sofia kurz in die Augen. „Dann werden wir uns noch oft sehen, Mrs. Taft, noch sehr oft!“



2


„Was ist denn hier los?“, rief Elisabeth, die um ein Jahr ältere Schwester Viktorias, als sie das Spielzimmer der Taftkinder betrat, aus. Sie blieb vor Überraschung stehen. Das Spielzimmer enthielt die Spiele und Geräte, die zu groß für die Kinderzimmer waren oder die die Kinder gemeinsam spielen konnten. Sie hatte eine Weile bei Musik auf ihrem Minitrampolin herumhüpfen wollen, musste aber feststellen, dass dieses an der Wand in der Ecke verstaut war.

Vicky war ihr so vehement hinterhergelaufen, dass sie auf Beth, wie Elisabeth genannt wurde, auflief. Die beiden mussten kurz kichern, dann sahen sie sich wieder interessiert um.

Nun war auch Sofia bei ihnen, die sie ins Spielzimmer begleitete.

„Was ist denn hier los?“, wiederholte Beth ihre Frage.

Alle Spielgeräte waren an den Rand des Zimmers geräumt, so dass sich in der Mitte ein großer Raum ergab. Dieser war jedoch durch ein niedrig aufgestelltes Badmintonnetz geteilt und an den Rändern standen Hütchen, die ein Spielfeld markierten.

„Das ist eine Art Tennisfeld!“, erklärte Sofia.

„Oh, Tennis, ich liebe Tennis!“, rief Vicky begeistert aus.

„Aber ich hasse Tennis!“, konterte die elfjährige Beth. „Ich will Trampolinspringen und zwar jetzt. Das Tennisfeld muss weg!“

„Kommt nicht in Frage!“, meinte Sofia streng zu ihr. „Du wirst dich damit abfinden müssen, dass hier Tennis geübt wird.“

Vicky sah sie fragend an. „Aber das Feld ist viel zu klein. Wie soll man denn da Aufschläge machen?“

Sofia legte die Hand auf ihre Schultern. „Du hast natürlich Recht, Liebes!“, nickte sie. „Aber dein Trainer hat gesagt, es sei auch sinnvoll, etwas für das Ballgefühl zu tun. Und das kannst du prima mit Softbällen üben, die du von unten über so ein Netz spielst. Man muss immer von unten spielen und die Bälle immer „volley“ nehmen!“

„Oh, klasse!“, rief Vicky begeistert aus.

„Wenn dir das Spiel wirklich Spaß macht, werden wir am Ende des Grundstücks, ganz hinten, hinter den Büschen einen Tennisplatz hin bauen, wo du dann alles richtig üben kannst!“, ergänzte sie nun.

„Oh, Mama, das ist ja wunderbar, das ist ja wunderbar!“ Vicky fiel ihr um den Hals und küsste sie.

„Und wo kann ich spielen?“, meinte Beth beleidigt.

„Du spielst auch hier, und zwar Tennis!“ Sofia sah Beth in die Augen. „Du bist von jetzt an Vickys Trainingspartnerin zuhause. Du bekommst natürlich auch ein paar Trainingsstunden. Aber das hier kannst du schon probieren.“

„Aber, aber ich hasse Tennis!“, rief nun Beth. „Erinnere dich doch, wie schrecklich es für mich war, als ihr mich letztes Jahr zum Tennis geschleppt habt. Ich habe keinen Ball getroffen und es hat mir auch keinen Spaß gemacht, mit einem Schläger auf so einen blöden Ball zu schlagen. Und dann das Getue von diesen eingebildeten, dummen Zicken, die da rumlaufen.“

„Beth!“, fuhr Sofia sie da an. „Benimm dich!“ Sie holte Luft, um ihre Fassung wieder zu gewinnen. „Ein bisschen Übung und du wirst es schon können. Natürlich nicht so gut, wie Vicky, aber vielleicht so gut, dass es dir auch Spaß macht.“

„Ich, ich will nicht!“, rief Beth aus.

„Bitte, versuch es doch mal, mir zu Liebe!“, versuchte es nun Sofia im Guten.

„Ich kann nicht!“

„Bitte, Beth, für mich!“, flehte nun Vicky.

Da begab sich Beth auf das Spielfeld und Vicky folgte ihr.

„Immer nur von unten und nur „volley“!“, erläuterte Sofia nochmals.

Obwohl man Beth ansah, dass sie sich Mühe gab, wurde allen schnell klar, dass sie überhaupt kein Ballgefühl und keine Begabung für diesen Sport hatte.

„Ich kann das nicht, Mama!“, flüsterte Beth schließlich den Tränen nahe.

Auch Vicky hatte das eingesehen und stand ratlos da.

„Es ist gut!“, meinte Sofia enttäuscht.

Beth ließ den Schläger fallen und rannte weinend hinaus.

„Willst du mal?“, fragte Vicky ihre Mutter.

Diese winkte ab und dachte nach. „Isabella!“, rief sie dann das Dienstmädchen. „Isabella, komm doch mal!“

Tatsächlich erklärte sich Isabella bereit, mit Vicky zu spielen, und sie konnte es zur Überraschung Sofias ganz gut.

„Gut genug für zuhause. Im Club bekommst du von jetzt an neben dem Gruppentraining und Partnertraining auch Einzeltraining. Und hier zuhause trainiert Isabella täglich eine Stunde mit dir Ballgefühl!“, entschied die Mutter.

„Oh, oh danke!“, rief Viktoria aus und sie begannen zu spielen.

„Und ich muss mich jetzt um Beth kümmern und versuchen, das wieder hinzukriegen!“ Damit eilte sie ihrer Tochter hinterher.



3


Die Tafts saßen bei Kaffee und Kuchen auf der Veranda ihres Hauses und unterhielten sich über Vickys ersten Spieltag.

Das Haus lag im Süden von Los Angeles. Ein Bankier hatte es im letzten Jahrhundert erbaut und den Plantagenvillen der Südstaaten nachempfunden, weil er aus Atlanta in den Westen gekommen war. Es hatte 12 Zimmer mit riesigen Fenstern. Der breite und lange Balkon wurde von fünf dicken, hohen und schneeweißen Marmorsäulen getragen. Davor lag die Terrasse, die so lang war wie das Haus selbst und ebenfalls mit Marmorplatten bedeckt war. Sofias Vater hatte es erstanden, nachdem er mit seiner Firma vermögend geworden war. Das Haus war uMr.ingt von einem parkähnlichen Grundstück. Wenn man die von einem Marmorgeländer eingefasste Treppe ein paar Stufen hinunterstieg, so konnte man auf einem das riesige Grundstück uMr.undenden und zerschneidenden Kiesweg durch herrlichen Rasen und unter alten Eichen spazieren gehen oder sich auf eine der Holzbänke setzen und sich an einigen Springbrunnen mit Messingfiguren erfrischen. Sofia hatte sich den Garten so gewünscht. Frank hielt das für übertrieben, aber er wollte seiner Frau und seiner Tochter jeden Wunsch erfüllen, den er mit Geld bezahlen konnte. Ihm selbst war es gleich, wo er wohnte. Er erinnerte sich noch gut an seine Jugendzeit, als er mit seiner Mutter in einer kleinen, stickigen Wohnung in der Bronx von New York gelebt hatte. Seinen Vater hatte er nie gekannt. Er erinnerte sich umso besser an seine Mutter, sah immer, wenn er an sie dachte, ihr von der schweren Arbeit ausgemergeltes Gesicht vor sich und hörte ihre feste und entschlossene Stimme, mit der sie ihn angetrieben hatte, etwas aus sich zu machen. Die Arbeit hatte sie kaputt gemacht, und ehe er so richtig erwachsen war, starb sie vor Schwäche und er begann eine Lehre als Kaufmann. Er arbeitete sich schnell nach oben und heiratete schließlich die Tochter des Chefs, Vickys Mutter Sofia. So war er selbst Herr einer großen Firma geworden.

Vicky war schon nach wenigen Wochen im Club in die Ligamannschaft ihrer Altersstufe berufen worden und so verbrachte sie die folgenden Wochenenden auf den Tennisplätzen der umliegenden Vereine. Mr.s Taft hatte sie zum Spielort gefahren, hatte ihre Spiele von der Tribüne aus beobachtet, hatte sich über Vickys Siege über Spielerinnen, die schon seit sie laufen konnten Tennistraining erhielten, gewundert und war dann beim gemeinsamen Mittagessen oder beim Abschlussessen der beiden Mannschaften zu ihrer Überraschung mehrfach auf Vickys Talent angesprochen worden. Genauso stolz wie nachdenklich fuhr sie schweigend nach Hause. Sie überlegte, was da gerade mit ihnen geschah. Und das tat auch ihr Mann, der auch am Wochenende für die Firma arbeitete, wenn sie ihm davon erzählte. Und das tat auch Beth, die ihr Wochenende lieber mit ihren Freundinnen verbrachte, als ihre Schwester zu bewundern.

Nachdem sie irgendwann am späten Nachmittag alle wieder zuhause angekommen waren, trafen sie sich auf der Veranda zum Kaffee oder zum Abendessen. Dann war aber nur noch Vicky das Gesprächsthema.

„Du warst einfach spitze!“, meinte Sofia voller Bewunderung. „Wie leicht du deine Spiele gewonnen hast, unfassbar!“

„Ist das wahr?“, fragte Frank stolz.

„Und wie du dich bewegt hast, wie du die Bälle getroffen hast, wie du die Gegnerinnen ausgespielt hast!“, schwärmte Sofia weiter. „Ich bin kein Tennisfachmann, bei Gott nicht, aber das konnte jeder sehen.“

„Unglaublich!“, kommentierte Frank.

Beth saß nur schweigend da und verzog die Miene.

„Und die Leute, die saßen mit offenem Mund da und staunten über dein Spiel!“, ergänzte Sofia. „Ständig wurde ich gefragt, ob du meine Tochter bist.“

Frank nickte stolz. „Das muss ein schönes Gefühl gewesen sein, ich muss schon sagen.“ Er dachte nach. „Ich glaube, da muss man aufpassen, dass man nicht größenwahnsinnig wird, wenn man so eine Tochter hat!“

In diesem Moment sprang Elisabeth so heftig auf, dass ihr Stuhl nach hinten fiel, und stürzte schluchzend davon.

„Was, was hat sie denn?“, fragte Frank nichts ahnend.

Sofia sah ihn kurz nachdenklich an. „Ich glaube, ich weiß es!“, versicherte sie und stürmte hinter Elisabeth her. Gleich darauf war sie vor ihrem Zimmer, sie klopfte an, öffnete die Tür, obwohl sie nicht herein gebeten worden war, die Tatsache, dass die Tür nicht verschlossen war, zeigte ihr, dass Elisabeth wollte, dass sie herein kam. Sie ging ohne Umschweife zu ihrer Tochter, die weinend auf dem Bett saß, setzte sich neben sie und nahm sie in den Arm.

Elisabeth stürzte sich auch gleich in ihre Arme, genoss die Umarmung, weinte jedoch bitterlich weiter.

Sofia schwieg, ließ sie sich ausweinen, schließlich war es totenstill im Raum. „Schon schwer, wenn man so ein Wunderkind als Schwester hat!“, meinte die Mutter.

„Furchtbar schwer!“, bestätigte Elisabeth. „Ihr seht ja nur noch sie. Vicky hier, Vicky da! Ich glaube, ich könnte entführt werden oder sterben und ihr würdet es nicht merken!“ Sie sah ihre Mutter vorwurfsvoll an.

„Mach dir keine Sorgen, Beth!“, beruhigte sie Sofia. „Wir haben dich genauso lieb, wie Vicky.“

„Leicht gesagt, Mama. Ich empfinde es ganz anders.“ Sie sah ihre Mutter mit einer Mischung aus Trauer und Verzweiflung an.

„Keine Angst!“, tröstete sie die Mutter. „Es ist halt jetzt erst mal auch für uns neu. Wir müssen das auch erst mal alles verarbeiten. Du wirst sehen, das legt sich bald, bald haben wir uns daran gewöhnt und dann ist alles so wie früher.“

„Versprochen?“, wollte Elisabeth mit flehendem Blick wissen.

„Versprochen, Beth!“, meinte die Mutter und drückte die Tochter nochmals fest in den Arm. „Weißt du, ich glaube, man kann leicht überschnappen, wenn man so ein Wunderkind hat, jemanden, der in irgendeinem Bereich einzigartig ist und der von allen deswegen hochgejubelt wird. Man muss in so einer Lage versuchen, sich normal zu verhalten!“ Sie dachte nach. „Es sind schon viele übergeschnappt, die das nicht wussten. Das wird uns nicht passieren!“

Beth atmete auf.

„Ich werde gleich mit Vater darüber reden, damit ihm das auch bewusst wird.“

Nun war Elisabeth völlig beruhigt und lächelte ihre Mutter wieder an.



4


Einige Monate waren vergangen, alles war für Vicky eingerichtet und zur Routine geworden und so trainierte sie fleißig, entweder in der Gruppe mit den anderen Spielerinnen, oder mit einer Sparringspartnerin oder im Einzeltraining mit ihrem Trainer Tom.

„Was, was ist denn nun los?“, rief Frank fragend über den Trainingsplatz, sprang von seinem Tribünenplatz auf, von wo aus er Vickys Training mit kritischem Blick beobachtete, stützte sich auf den Vordersitz und beugte sich hinüber, so als wolle er auf das Spielfeld springen. „Warum, warum hört ihr denn schon auf zu trainieren?“

Tatsächlich hatten sich Vicky und ihr Trainer Tom zu der Bank begeben auf der ihre Tasche und ihr Schläger lagen und Vicky hatte begonnen, ihre Sachen einzupacken. Da sie ihren Vater akustisch nicht ganz verstanden hatte, winkte sie ihm lächelnd zu.

Frank lächelte jedoch nicht zurück, sondern hastete durch die Tribünenreihen und dann nach unten zu den Beiden. „Was soll das? Warum hört ihr denn schon mit dem Training auf?“

Tom schwieg vorsichtig, aber Vicky sah ihren Vater fragend an. „Aber hat dir denn Mutti nicht gesagt, dass ich zum Kindergeburtstag eingeladen bin. Und der beginnt in einer halben Stunde.“ Sie hob den Zeigefinger. „Da ich noch schnell duschen will und wir sicher fünfzehn Minuten Fahrt haben, ist es jetzt höchste Zeit, aufzuhören.“ Damit wandte sie sich wieder dem Einpacken zu.

Allerdings hatte sie nicht mit ihrem Vater gerechnet. Dieser packte ihre Tennisschlägertasche und holte den Schläger heraus. „Nichts da!“, brüllte er die Beiden an. „Dein Training dauert bis vier Uhr und so lange wirst du auch trainieren!“

Vicky sah ihn überrascht und ratlos an. „Aber, dann komme ich zu spät zur Eröffnung des Kindergeburtstages. Da gibt es immer lustige Vorstellungsspiele. Und wenn man nicht von Anfang an dabei ist, dann gehört man irgendwie den ganzen Tag nicht dazu. Da kann man gleich wegbleiben.“ Sie schüttelte den Kopf und wollte den Schläger wieder wegpacken, weil sie nicht mit der Beharrlichkeit ihres Vaters gerechnet hatte und seinen Willen auch noch nicht begriff.

„Gut!“, antwortete dieser. „Dann gehst du eben gar nicht. Jetzt jedenfalls trainierst du noch!“ Damit packte er den Schläger wieder aus und drückte ihn ihr in die Hand.

Vicky sah ihn unsicher an, verstand noch immer nicht, dass er es ernst meinte.

Da packte er ihren Arm so fest, dass sie leise aufschrie und zog sie in Richtung Trainingsplatz.

Tom begriff, dass mit Mr. Taft nicht gut Kirschen essen war, wenn dieser etwas durchsetzen wollte. Er wollte aber auch Vicky beistehen. „Wir haben heute wirklich schon genug geübt, Mr. Taft. Ich denke eine halbe Stunde mehr oder weniger macht den Kohl da auch nicht fett.“ Er lächelte verbindlich.

Frank ließ sich jedoch davon nicht beeindrucken. „Erstens hat Sie niemand nach Ihrer Meinung gefragt, Tom. Zweitens geht Sie die Sache auch nichts an. Und drittens werden Sie bis vier Uhr bezahlt, also erfüllen Sie Ihre Arbeitszeit!“ Er sah ihn wütend an.

Tom war klar, dass mit Frank nicht zu reden war, er bemerkte jedoch das traurige Gesicht Vickys, die den Tränen nahe war. Da versuchte er es nochmals gegen besseres Wissen. „Ich glaube, Vicky wünscht sich sehr, pünktlich beim Geburtstag zu sein. Und wir haben heute wirklich schon so viel geübt, dass Vicky kräftemäßig am Ende zu sein scheint. Wir wollen sie doch nicht verheizen oder riskieren, dass sie die Lust verliert. Sie übt ja eh am meisten von allen Spielerinnen.“ Er hoffte, Frank mit der Aufzählung der Risiken beeindruckt zu haben, irrte sich jedoch.

„Das lassen Sie mal meine Sorge sein!“, meinte dieser nur leise und jeder, der ihn kannte, wusste, dass das ein sicheres Zeichen war, dass er sehr zornig war. „Und jetzt gehen Sie bitte an Ihre Arbeit. Sonst müsste ich mich vielleicht nach einem anderen Trainer umsehen.“

Tom warf Vicky einen bedauernden Blick zu und begab sich auf das Spielfeld.

„Bitte, Vater!“, flehte Vicky. „Ich muss jetzt gehen!“

„Wenn du jetzt nicht noch eine halbe Stunde trainierst, wirst du heute nirgendwo mehr hingehen!“, drohte der Vater.

Da trottete auch sie verzweifelt auf das Trainingsfeld.

„Ihr Aufschlag ist noch nicht stark genug!“, rief Frank den Beiden zu. „Ich habe genau aufgepasst. Das Messgerät zeigte einen viel zu schwachen Wert.“

„Aber sie ist eine Grundlinienspielerin!“, warf Tom ein. „Dafür ist er ganz gut! Sie wissen doch selbst, dass Grundlinienspielerinnen nicht so einen harten und schnellen Aufschlag haben.“

„Eben deshalb müssen wir ihn trainieren!“, bellte Frank die Beiden an.

Sie sahen ihn noch kurz hilflos an, dann begannen sie mit der Fortsetzung des Trainings.



5


„Geh doch ans Netz, verdammt noch mal!“, rief Jim Brower, Vickys neuer Trainer, der auf ihrer Bank saß und fuchtelte wie wild mit den Armen.

Die Tafts hatten Tom gegen Brower ausgetauscht, weil dieser ihnen zu lasch gewesen war und nachdem sie viele Leute von dem Talent ihrer Tochter überzeugt hatten, aber gemeint hatten, dass sie mehr gefordert und gefördert werden sollte.

„Brower macht aus jeder eine Spitzenspielerin!“, wurde behauptet.

Brower war auch einer der Clubtrainer. Er galt als harter Hund und so musste Vicky viel trainieren. Allerdings hatte ihr das Training mit ihm von Anfang an keinen Spaß gemacht. Nun coachte er sie das erste Mal bei einem Nachwuchsturnier.

„Du musst Gas geben! Du musst dich schon voll reinhauen!“ Er sah seinem Schützling skeptisch zu, schüttelte den Kopf und raufte sich die Haare. „Na, los! Ran ans Netz, verdammt noch mal! Aber schneller! Man schläft ja ein, wenn man dir zusieht. Wenn du noch langsamer läufst, dann denkt man, du rennst rückwärts!“ Er brach in Gelächter über seinen Witz aus.

Viktoria war den Tränen nahe. Sie gab alles, schlug ihren Aufschlag so hart sie konnte, aber für ihren Trainer und für jeden, der objektiv urteilte und auch für sie gefühlt, kam er nicht hart genug. Sie stürmte so schnell sie konnte zum Netz, aber für ihren Trainer und für jeden, der objektiv urteilte und auch für sie selbst, war sie zu langsam. So kam es, dass sie stets zu spät kam und ihre Gegnerin sie gnadenlos und mit spielerischer Leichtigkeit auskonterte. Dann stand sie mit gespreizten Beinen hilflos am Netz, der Ball hatte sie längst passiert, sie blickte in das hämisch grinsende Gesicht ihrer Gegnerin, hörte den Spott und das Gelächter des Publikums und die wütenden Schreie ihres Trainers.

Dann gingen sie auch noch ihre Eltern an. „Was ist denn los mit dir, Vicky?“, schrie sie ihr Vater an. „Zeig doch mal, was du kannst!“

Die Bemerkung des Vaters spornte Vicky an, denn sie wollte ihm gefallen. Aber alles wiederholte sich, der zu schwache Aufschlag, das Zu-langsam-ans-Netz-Vorrücken-, das Locker-ausgespielt-Werden, das Entgeistert-am-Netz-Stehen und die Häme der Zuschauer.

Brower tobte. Er beschimpfte sie, rannte wie ein wild gewordener Stier auf seinem Platz hin und her und rief ihr Kommandos zu.

Da brach Viktoria tatsächlich in Tränen aus. Langsam schlich sie zur Grundlinie zurück und versuchte, sich zu fangen.

„Was, was ist denn nur mit unserer Kleinen los?“, murmelte Sofia fassungslos. „Ich dachte, sie sei so ein Talent!“

„Sie ist einfach keine „Serve-und-Volley-Spielerin“!“, meinte plötzlich jemand neben ihr. „Sie ist eine Grundlinienspielerin!“

Vickys Eltern drehten sich um. Neben ihnen saß ein braungebrannter Sonnyboy und lächelte sie an.

Er bemerkte ihre Blicke. „Marc Tanner“, stellte er sich vor und reichte den Beiden die Hand. „Ich bin ebenfalls Trainer im Club.“ Er zeigte auf Brower. „Er hat ihre Kleine völlig falsch eingestellt! Und jetzt will er nicht zugeben, dass er einen Fehler gemacht hat. Das ist immer so bei ihm. Wahrscheinlich kann er auch nicht anders.“ Er dachte nach. „Ein hervorragender Trainer für „Serve-und-Volley-Spielerinnen“, keine Frage. Vielleicht der Beste des Clubs. Aber ihre Tochter ist keine „Serve-und-Volley-Spielerin“. Für sie ist er der Falsche, eigentlich eine Katastrophe.“

Die Tafts sahen ihn überrascht an.

„Und man muss mit seiner harten Art auskommen. Ich fürchte, ihre Tochter ist dafür zu sensibel!“

Vickys Eltern sahen den Mann schweigend an und versuchten zu verarbeiten, was er ihnen erklärt hatte. Dann drehten sie ihre Köpfe fast gleichzeitig hinunter auf das Spielfeld, wo Brower mit Vicky schimpfte.

„Was müsste Vicky machen, um zu gewinnen?“, wollte Frank wissen.

„Einfach von der Grundlinie spielen und die Gegnerin ausspielen. Die kann doch nichts außer Aufschlag!“

Frank sah Tanner kurz an. „Würden Sie meine Tochter trainieren?“, fragte er dann.

„Liebend gern!“, meinte dieser. „So ein Talent hatte ich schon lange nicht mehr unter meinen Fittichen!“

„Abgemacht!“ Frank reichte ihm die Hand und Marc schlug ein.

Dann erhob sich Frank, ging langsam die Stufen der Tribüne hinunter aufs Spielfeld, ungeachtet der Tatsache, dass das Spiel in vollem Gange war und stiefelte hinüber zu Brower.

Der Schiedsrichter traute seinen Augen nicht, dann ermahnte er Frank, der sich jedoch nicht darum scherte. Vielmehr baute er sich vor dem erstaunten Brower auf.

„Verschwinden Sie und lassen Sie meine Tochter in Ruhe!“, meinte Frank. „Sie sind gefeuert. Sie sind nicht der Richtige für meine Tochter. Und sehen Sie zu, dass Sie mir aus dem Weg gehen, sonst kann es sein, dass ich mich vergesse!“

Brower war für einen Augenblick sprachlos, da ihm so etwas noch nie passiert war. „Sind Sie verrückt?“, brüllte er Frank an. „Noch nie hat mich irgendjemand gefeuert. Man feuert einen Tom Brower nicht!“ Er sah Frank mit blitzenden Augen und geballten Fäusten an. „Ich bin der beste Trainer des Clubs!“

Der Schiedsrichter tobte auf seinem Stuhl und das Publikum raste. Die einen schrien Frank verärgert an, die anderen genossen jauchzend das Spektakel.

Da packte Frank Brower am Kragen und zog ihn zu sich hoch. „Wenn du nicht sofort verschwindest, verprügele ich dich hier vor dem ganzen Publikum.“

Brower begriff, dass es ernst war und taumelte rückwärts aus der Arena. „Das, das vergesse ich Ihnen nicht!“, schrie er außer sich. „Niemand behandelt mich so. Sie haben sich einen Feind erworben, einen Todfeind!“ Gleich darauf war er draußen.

Nun kehrte plötzlich Stille ein. Alle harrten der Dinge, die nun geschehen würden.

„Sie müssen das Spielfeld verlassen!“, rief der Schiedsrichter Frank zu.

„Ich habe nicht vor, hier zu blieben!“, konterte dieser.

„Und ihre Tochter bekommt einen Punkt Abzug! Es steht dann 5:0 im zweiten Satz.“

„Ist in Ordnung! Ich bin gleich weg.“

Dann wandte er sich an Vicky. „Hör zu! Geh jetzt nicht mehr ans Netz! Spiel nur noch von der Grundlinie, hörst du? Spiel das Mädchen einfach aus!“ Er nickte Vicky lächelnd zu.

Vicky nickte zurück.

Frank ging zurück auf seinen Platz und sah mit zunehmender Freude, wie Vicky ihre Gegnerin nach Belieben ausspielte. Am Ende stürmte eine überglückliche Tochter hinauf zu ihrem Vater und fiel ihm vor Freude weinend in die Arme. Das Publikum, das zunächst ungläubig die Wende des Spieles wahrgenommen hatte, empfand mit zunehmendem Spielverlauf Sympathie für Vicky und dankte ihr nun mit stehenden Ovationen für dieses Spektakel, ja zeigte Begeisterung und Rührung für die Szenen, die sich nun zwischen Eltern und Tochter abspielten.

Als sich alles ein bisschen beruhigt hatte, zeigte Frank auf Marc Tanner. „Sag „Hallo“ zu deinem neuen Trainer!“

Vicky sah in das strahlende Gesicht des Sonnyboys. „Hallo!“, sagte sie, ohne zu begreifen, was geschehen war.



6


Wieder waren einige Monate vergangen, in denen Viktoria fleißig und auch mit Freude trainiert hatte, was vor allem an Marcs abwechslungsreichem Training lag. Sie gewann auch alle ihre Ligaspiele und einige Nachwuchsturniere, bei denen er sie auch coachte, weil er auch der Trainer der Ligamannschaft ihrer Altersgruppe war. Er verstand es auch, hervorragend mit ihr umzugehen. Und so sammelten sich in einer extra eingerichteten Vitrine in ihrem Zimmer schon Pokale und andere Siegestrophäen.

Umso überraschender war es dann, als Vicky eines Tages nicht aufzufinden war, als sie zum Training sollte.

„Wo verdammt noch mal ist Vicky?“, rief Frank durch das Haus, rannte wie ein wilder Stier herum und suchte sie.

Er stürmte in die Küche, wo Sofia noch zusammen mit Isabella den Kaffeetisch aufräumte.

Die beiden Frauen sahen ihn fragend an. „Steht sie denn nicht wie jeden Tag, an dem sie Training hat, in der Diele mit ihren Sachen bereit?“, fragte Sofia überrascht.

„Wie Roboter!“, bemerkte Isabella grinsend mit leiser Ironie, duckte sich aber im nächsten Moment unter den bösen Blicken Franks, beschloss sofort, von nun an lieber zu schweigen.

„Fehlt es dir an Arbeit?“, fuhr sie Sofia nun an. „Klar, dass jemand wie du nicht begreift, wenn Menschen höhere Ziele haben, als nur den Fußboden sauber zu machen!“

Frank kümmerte sich nicht um die Angestellte. „Wo ist Vicky, verdammt noch mal! Wir kommen eh schon zu spät zum Training und ich kann sie nicht finden!“

„Lass uns in ihrem Zimmer nachsehen!“, beschloss Sofia mit dem praktischen Wesen einer Frau, nahm ihren Mann bei der Hand und zog ihn die Treppe nach oben.

Gleich darauf standen sie in Viktorias Zimmer und sahen diese für einige Sekunden sprachlos an.

Vicky saß an ihrer Puppenstube und spielte damit. Sie sah nicht auf, als ihre Eltern herein kamen, spielte mit trotzigem Gesichtsausdruck einfach weiter.

„Was, was soll das?“, rief Frank verärgert aus, als er sich von seinem Staunen erholt hatte. „Du hast jetzt Training, komm schon, wir kommen eh schon zu spät!“

Viktoria rührte sich nicht von der Stelle. „Ich habe heute keine Lust!“

Die Eltern schwiegen wieder überrascht.

„Du hast jetzt Training. Also hör mit der blöden Spielerei auf und komm jetzt, aber dalli!“, schrie der Vater laut. „Sollen wir das Geld umsonst ausgeben?“

Sofia legte die Hand auf seinen Arm, damit er sich beruhigte, da sie sah, dass man mit Vicky anders umgehen musste. „Viktoria, bitte, komm jetzt! Du weißt, dass du zum Training musst. Du bist zwar unglaublich begabt, aber ohne Training kannst du nichts erreichen. Und du willst doch etwas erreichen?“

„Heute will ich nur meine Ruhe, ich will nur meine Ruhe!“, meinte Viktoria leise.

„Aber du wirst den Anschluss verpassen, wenn du nicht trainierst. Im Moment bist du ganz weit vorne und hast die Chance, Erste zu sein. Aber wenn du nicht trainierst, wirst du bald nur noch eine von vielen sein. Das willst du doch nicht, oder?“, fragte nun auch der Vater vorsichtiger.

„Ich will gar nichts sein, ich will nur meine Ruhe!“, antwortete sie, ohne die Eltern anzusehen.

Einen Augenblick standen diese ratlos da.

„Du darfst dir etwas wünschen, wenn du kommst, ich kaufe dir, was du willst!“, rief der Vater hilflos.

„Ich bin müde, mir tut alles weh und deswegen habe ich keine Lust. Ich will heute nicht trainieren und morgen auch nicht. Ich will meine Ruhe!“, rief nun Viktoria aus und warf ein Möbelstück aus der Puppenstube ins Eck.

Der Vater wollte wieder etwas sagen, aber Sofia drückte noch fester seinen Arm, um ihm zu zeigen, dass er schweigen solle. Sie dachte angestrengt nach. „Wenn du schön brav jeden Tag zum Training gehst, dann spiele ich mit dir, und wenn Beth Lust hat, dann darf die auch mit dir spielen, jeden Abend mit dir und deinem Puppenhaus, was meinst du, ist das ein Angebot?“

Viktoria sah sie skeptisch an. „Versprochen?“ Sie blickte ihre Mutter misstrauisch an.

„Versprochen! Großes Ehrenwort!“ Sofia machte das Schwurzeichen.

Da stand Viktoria auf, packte schnell ihre Sachen und ging zum Auto.

„Weiber!“, murmelte Frank kopfschüttelnd und folgte ihr.



7


„Was für ein Ballgefühl? Was für ein Talent?“, rief Kent Jefferson, der Leiter des kalifornischen Tennisverbands aus, als er Viktoria beim Training mit den anderen Mädchen sah, die zu einem Auswahltrainingswochenende nach Santa Monica eingeladen worden waren. Vickys Club hatte sie mit Susan Andrews, der Nummer Eins des kalifornischen Mädchentennis in Vickys Altersstufe, zum Auswahltraining geschickt. Wer für gut genug befunden wurde, sollte in das amerikanische Nationalteam in Vickys Altersstufe berufen werden.

Die Trainerin Mr.s Jennings war noch mit dem Aufwärmtraining beschäftigt, sie ließ die Mädchen Bälle jonglieren, danach mussten sie den Ball an den Linien entlang topsen und aneinander vorbeikommen, ohne ihren Ball zu verlieren, wenn sie sich auf der Linie begegneten.

Vickys Trainer Marc und ihre Eltern saßen so wie viele andere Eltern, die das Training zu einem Wochenendausflug genutzt hatten, auf der Tribüne und lauschten gierig auf die Worte des allseits bekannten Jefferson. Er genoss über die Grenzen Kaliforniens hinaus den Ruf eines Tennisgurus. Was er sich ausdachte, wurde Mode und Prinzip, wen er entdeckte, der würde es schaffen.

„Das Mädchen mit der Nummer sieben …“ -Allen Mädchen wurde eine Nummer auf ihre Trikots gebügelt, so dass man sie kannte-. Er blätterte in seinen Unterlagen. „Viktoria Taft“, las er. Dann sah er auf. „Das ist ein Talent.“

Marc und Vickys Eltern sahen sich freudestrahlend an.

Inzwischen standen sich die Mädchen in einem Spalier aus Paaren gegenüber und mussten ihrem Partner den Ball „volley“ zuspielen und ihn dann ebenfalls „volley“ zurückspielen. Jeder konnte sehen, dass Viktoria die einzige war, die hier keine Fehler machte.

„Die Kleine ist ja genial!“, rief Jefferson nun aus.

Vickys Eltern sahen ihn unsicher an, obwohl Marc ihnen gesagt hatte, wie zuverlässig sein Urteil war.

Jefferson bemerkte ihre ungläubigen Blicke. „Was?“ Er schüttelte den Kopf. „Wenn ich das sage, dann ist es so!“ Er sah sie grimmig an.

„Das, das ist unsere Tochter!“, meinte Frank dann vorsichtig.

Da hellte sich die Miene des Mannes auf. „Verstehe!“, grinste er nun. „Herzlichen Glückwunsch!“

Die Trainerin spielte den Mädchen inzwischen Bälle zu und diese mussten zunächst auf die Trainerin „returnen“ und beim zweiten Ball diesen einmal „longline“ und dann „cross“ spielen. Vicky beherrschte alle Übungen hervorragend. Man konnte im Gesicht der Trainerin ein Staunen erkennen.

„Grandios!“, meinte Jefferson nun. „Die Kleine hat eine natürliche Begabung für den Sport.“

„Meinen Sie wirklich?“, fragte Frank stolz.

„Wenn ich es sage!“, erwiderte der Mann erstaunt, dass jemand an seinen Worten zweifelte.

„Na, wir wollen mal nicht übertreiben!“, konnte man da plötzlich von der Seite hören.

Alle drehten sich um. Dort saß der Vater eines anderen Mädchens. „Der Aufschlag ist ja nicht gerade umwerfend. Wenn Sie das mit dem Aufschlag meiner Tochter, es ist die Nummer fünf, vergleichen.“

Tatsächlich übten die Mädchen inzwischen Aufschläge und man konnte sehen, dass der Aufschlag der Tochter des Mannes wirklich härter, schneller und auch platzierter kam, als der von Viktoria.

Jefferson verzog die Miene. „Aufschlag ist nicht alles!“, knurrte er.

„Aber ohne einen guten Aufschlag ist alles nichts!“, konterte der Mann.

Frank und Sofia warfen ihm ängstliche Blicke zu.

„Wir werden besonderes Augenmerk auf den Aufschlag legen!“, versprach Marc.

Die Eltern dankten ihm durch ein freundliches Nicken.

„Das ist sicher richtig!“, meinte auch Jefferson. „Aber versuchen Sie nicht, das Mädchen zu einer „Serve-and-Volley-Spielerin“ zu machen. Das ist sie nicht und sie würde schnell den Spaß am Sport verlieren.“ Er zeigte auf Vicky. „Das ist eine Ausdauerspielerin und eine Technikerin. Und ich habe in den ganzen letzten Jahren nicht ein Mädchen gesehen, dass für diese Art des Spiels so geeignet ist, wie Ihre Tochter. Versprechen Sie mir das!“

„Versprochen!“, meinten die Tafts schnell im Chor.

„Versprochen!“, lachte auch Marc.

„Ihre Tochter wird eine große Zukunft haben!“, versicherte er den Eltern. Dann warf er dem Vater des anderen Mädchens noch einen verächtlichen Blick zu und ging hinunter zum Spielfeld, um das Training und die Mädchen noch aus der Nähe zu betrachten.



8


Es folgten nun eine Reihe von Nachwuchsturnieren, die Viktoria alle für sich gewinnen konnte. Auch in der Liga gewann sie meistens. So vergingen die Monate und Jahr, ihr Name wurde durch die Medien und ihre Erfolge bekannt und sie wurde von vielen schon als das kommende Nachwuchstalent gehandelt. Vicky war inzwischen zwölf geworden.

Nachdem sie an einem Samstag wieder ein Turnier in Santa Monica gewonnen hatte, legte Frank wie immer am nächsten Tag auf dem Frühstückstisch die Sonntagszeitungen aus, die über ihren Sieg berichteten. Er wusste inzwischen, welche Zeitungen und Zeitschriften das waren, holte sie gleich am Morgen vom Kiosk und abonnierte sie bald, sah sie durch und legte sie mit den aufgeschlagenen Sportseiten auf Vickys Platz. Wenn Vicky dann zum Frühstück kam, konnte sie über ihre Erfolge lesen und sich die Bilder von ihr ansehen. Zum einen waren die Eltern natürlich sehr stolz auf sie, zum anderen hoffte Frank, dass dies Vicky motivierte, was es auch tat, obwohl sie sich auf den Bildern hasste.

„Ihh! Da sieht man meine Zahnspange!“, rief sie einmal aus. „Nein, nein, ich spiele nicht mehr, so lange ich eine Zahnspange brauche!“ Das meinte sie natürlich nicht ernst und deshalb lachten alle.

Eines Tages jedoch kam es zu ernstem Streit zwischen Mutter und Tochter, Frank war kurz zu seinem sonntäglichen Kontrollbesuch in die Firma gefahren.

„Vicky, wenn du willst, dann helfe ich dir bei den Hausaufgaben!“, meinte Sofia ehrlich, während sie das Geschirr wegräumte.

„Oh, nein!“ Vicky schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Nicht auch das noch!“

„Ich komme gleich hoch zu dir und dann fangen wir an.“

Vicky sah ihre Mutter trotzig an. „Heute ist Sonntag. Niemand arbeitet am Sonntag.“

„Ja, heute ist Sonntag!“, bestätigte die Mutter. „Aber die Hausaufgaben kennen keinen Sonntag und sie müssen doch gemacht werden!“, entschied sie dann.

„Keine meiner Freundinnen macht am Sonntag Hausaufgaben!“, rief Vicky ärgerlich aus.

„Keine deiner Freundinnen hatte am Samstag vom Morgen bis zum Abend ein Turnier! Die hatten Zeit, die Hausaufgaben da zu erledigen!“

„Dann werde ich also noch dafür bestraft, dass ich Tennis spiele!“, steigerte sich Viktoria in den Konflikt hinein.

Die Mutter versuchte, sie zu beruhigen. „Aber Kind! Das ist doch dein Hobby. Wenn man sein Hobby liebt, dann macht man es und dann muss man seine Pflichten, also die Hausaufgaben, eben zu einer anderen Zeit machen!“

Vicky begriff, dass gegen die Argumentation ihrer Mutter kein Kraut gewachsen war. „Aber ich bin müde, ich will mich heute ausruhen, ich will chillen, ich will ausruhen!“, jammerte sie.

„Du hast dich gestern körperlich verausgabt!“, erklärte die Mutter. „Das ist die ideale Voraussetzung, um sich geistig zu beschäftigen. Also ist jetzt die richtige Zeit, die Hausaufgaben zu machen!“

„Ich will vielleicht zu einer Freundin!“, warf Vicky ein.

„Das kannst du ja, aber heute Morgen erledigen wir die Hausaufgaben!“, bestand die Mutter auf ihrem Wunsch.

„Ich habe keine Lust!“, rief Vicky wütend aus.

„Und ich habe einen Brief von der Schule bekommen, der sagt, dass deine Leistungen sich sehr verschlechtert haben. Da ist es höchste Zeit, dass wir etwas dagegen tun.“

„Aber, aber ich habe das Recht, mich mal zu erholen. Und heute will ich mich erholen!“ Viktoria stampfte zornig mit dem Fuß auf den Boden. „Ich streike, ich streike!“, rief sie den Tränen nahe aus.

Sofia bemerkte, wie sehr ihre Tochter aufgewühlt war. „Also gut!“, beschloss sie dann. „Dann überlasse ich dir, wann wir heute deine Hausaufgaben machen. Morgen musst du sie auf jeden Fall haben! Das verlangt die Schule!“

„Aber ich möchte heute Nachmittag zu einer Freundin!“

„Ich überlasse den Zeitpunkt dir, habe ich gesagt!“, sagte die Mutter listig. „Wenn du sie nicht heute Morgen machst, dann kannst du eben nicht zur Freundin oder du kannst nicht so lange bleiben!“ Sie wusste, dass das wirkte.

„Also gut!“, antwortete Vicky zerknirscht. „Dann lege ich alles bereit und du kommst gleich nach oben und wir erledigen den Quatsch!“ Damit trollte sie sich davon.

Die Mutter sah ihr nachdenklich nach. „Da kommt noch etwas auf uns zu!“, begriff sie.




9


Einige Jahre waren vergangen und aus Vicky war ein Teenager geworden, sie war inzwischen vierzehn Jahre alt.

„Verdammt, ich kriege einen Busen!“, hatte sie entsetzt bemerkt. „Hoffentlich behindert der mich nicht beim Spielen.“

Sofia und Frank hatten entsetzt auf ihre Oberweite geblickt, aber Marc hatte nur gelacht. „Glaub mir, daran wird es nicht scheitern!“

Und wirklich gewann Viktoria auch mit Busen ihre Spiele weiter souverän. Sie hatte sich an das Siegen gewöhnt und sich einen Namen im Nachwuchstennis gemacht, der Stolz und die Hoffnung der Eltern kannten keine Grenzen und sie winkten überheblich ab, wenn man ihnen sagte, dass nur aus wenigen der Talente schließlich auch große Spielerinnen wurden. Eines Tages geschah auf einem der Turniere dann folgendes.

„Ich, ich verliere!“, meinte Vicky, als sie sich zwischen zwei Spielen auf die Bank setzte zu Marc, der neben ihr saß. „Ich, ich verstehe das nicht!“, rief sie fassungslos aus. „Ich, ich …!“ Sie war den Tränen nahe.

„Ja, ich glaube, heute verlierst du!“, antwortete Marc ruhig.

„Wie bitte?“ Sie sah ihn mit blitzenden Augen an. „Wie kannst du, als mein Trainer, so etwas sagen? Du musst mir Mut zusprechen, mich aufbauen. Das kann ja nichts werden, wenn mein eigener Trainer gegen mich ist!“, fuhr sie ihn empört an.

„Es ist immer gut, wenn man jemanden ermutigt“, erwiderte er ruhig. „Aber nur dann, wenn es sinnvoll ist. Und heute ist es sinnlos!“ Er zeigte auf Vickys Gegnerin. „Angela ist heute einfach besser als du!“

„Du, du, ich kann es nicht glauben!“, rief sie ihm wieder empört zu. „Natürlich verliere ich, wenn du mich entmutigst und nicht an mich glaubst.“ Sie schnaubte. „Wenn man ermutigt wird, dann gewinnt man und wenn man entmutigt wird, dann verliert man, das ist doch klar!“

„So ein Unsinn! Man gewinnt nicht, weil man will, sondern weil man besser ist. Und man verliert nicht, weil das Schicksal es so vorbestimmt, sondern weil die Gegnerin in besserer Form ist und sich den Sieg erkämpft.“ Marc schüttelte den Kopf. „Du verlierst heute, weil Angela besser ist, als du. Und das hat seinen Grund!“ Er sah sie streng an.

„Was, was soll das nun wieder heißen?“ Sie blickte ihn böse an.

„Das heißt, dass du so viele Spiele und Turniere gewonnen hast, dass du in letzter Zeit das Training vernachlässigt hast.“ Er hob den Zeigefinger. „Ständig musste ich dich ermahnen, dich zu konzentrieren und mehr zu trainieren. Wenn ich mich umgedreht habe, hast du hinter meinem Rücken Pause gemacht oder mit den Spielerinnen auf den anderen Tennisplätzen Späße gemacht oder dich gar lustig über mich gemacht.“

„Also, hör mal, das stimmt doch nicht!“, rief sie empört, aber wenig glaubwürdig aus, da sie wusste, dass er Recht hatte und sich wunderte, dass er es bemerkt hatte.

„Du wirst heute nicht verlieren, weil ich nicht an dich glaube, sondern weil du nicht in der besten Form, ja in Wirklichkeit ein ganzes Stück davon entfernt bist.“

„Aber, aber ..!“, stammelte sie hilflos.

„Angela ist wie du eine Grundlinienspielerin. Sie ist lange nicht so begabt wie du, aber sie ist fit.“ Er sah sie nachdenklich an. „Wobei ich nicht weiß, ob man dir das sagen sollte, dass du so begabt bist. Ich finde, es steigt dir in letzter Zeit zu Kopfe!“ Er sah sie mit gespielt skeptischer Miene an.

„Du Scheusal!“, rief sie erregt aus und schwang ihren Schläger so, als wolle sie ihn damit verprügeln.

Er zeigte auf Angela. „Egal, was du auch tust, sie erläuft den Ball so lange, bis du aus Unkonzentriertheit einen Fehler machst. So arbeitet sie sich langsam zum Sieg. Und du hast nichts entgegenzusetzen. Und ohne Kondition und Konzentration kannst du deine Begabung nicht ausspielen. Dazu fehlt dir die Präzision.“

„Na warte! Dir zeige ich es!“, knurrte sie ihn an und stürmte zurück auf den Tenniscourt.

„Schön wär´s!“, rief er ihr grinsend hinterher. „Es genügt mir, wenn du es mir beim Training wieder zeigst, dann kommt das andere von alleine!“

Das Match verlief genauso, wie es Marc vorausgesagt hatte und am Ende hieß die Siegerin Angela.

Viktoria stürmte mit Tränen in den Augen an Marc vorbei. „Wenn nicht mal du an mich glaubst!“, rief sie ihm zu.

„Rede keinen Quatsch und trainiere lieber ordentlich! Dann wird es gleich wieder besser!“, rief er ihr hinterher. „Und höre gefälligst auf die Leute, die es gut mit dir meinen!“ Er blickte ihr nach, solange er sie sah. „Dummes Gör!“, murmelte er dann.



10


„Na, was habe ich gesagt!“, schmunzelte Marc, der inzwischen immer bei den Nachwuchsturnieren und Ligaspielen auf Vickys Bank saß, -Jane Simmons, die Mannschaftstrainerin und Managerin hatte nichts dagegen, wenn während des Spiels der persönliche Trainer coachte, sondern begrüßte es sogar-, als sie sich zwischen zwei Sätzen zu ihm setzte, etwas trank und eine Banane aß, um ihre Konzentration aufrecht zu erhalten. „Ein bisschen Training und du bist wieder oben auf!“ Er grinste sie über beide Backen an.

„Besserwisser!“, zischte sie ihn an, aber in Wirklichkeit war sie froh, dass er ihr Trainer war und wieder einmal Recht gehabt hatte.

Sie hatte wütend über die Niederlage gegen Angela wie wild trainiert, mit der Ausdauer kamen Kraft, Konzentration und Präzision zurück und mit der Übung die Sicherheit. Nun konnte sie auch wieder ihre geniale Balltechnik ausspielen.

Genau zu diesem Zeitpunkt traf sie nach einigen Wochen wieder bei einem der Turniere auf Angela. Diese behandelte sie verächtlich von oben herab, glaubte allen Ernstes, dass sie leichtes Spiel mit Viktoria hätte, da sie sie ja besiegt hatte, was diese spürte und sie zusätzlich antrieb, ihr Bestes zu geben.

„Rache wird kalt serviert, Vicky, nicht so aufgeregt, wie du bist!“, erklärte ihr Marc. „Also komm runter, beruhige dich, konzentriere dich auf das Spiel und lass sie von einem Eck zum anderen laufen, wie ein Hase! So rächt man sich richtig.“

„Besserwisser!“, wiederholte sie, aber dann befolgte sie Marcs Rat.

Und was dann geschah verstanden weder die Zuschauer, noch die Pressevertreter und schon gar nicht Angela. Diejenige, die noch vor wenigen Wochen mit Vicky Katz-und-Maus gespielt hatte, wurde von dieser vorgeführt, wie eine Anfängerin.

„Nimm das, du eingebildete Kuh!“, knurrte Vicky und spielte sie mit einem genialen Lob aus.

Angela bremste und blieb wie erstarrt und blöde glotzend am Netz stehen und begriff nicht, wie ihr geschah.

Vicky hatte nun wieder genug Ausdauer, um jeden Ballwechsel durchzustehen. Sie erlief locker die wenig platzierten Bälle Angelas. Da diese ja ebenfalls eine Grundlinienspielerin war, musste Vicky keine knallharten Aufschläge oder sonstige Bälle erahnen oder parieren und Angela hatte an technischen Raffinessen so gut wie nichts zu bieten. Ihr Spiel war das endlose Returnen von Bällen, weswegen sie den Spitznamen „Die Wand“ hatte. Gegen schnelle Aufschläge war sie ebenso hilflos, wie gegen technisch hervorragend gespielte „Longline“-Bälle oder stark überrissene „Cross“-Bälle, die ja Vickys Spezialität waren. Und so besiegte Vicky ihre Gegnerin nicht nur, sie bestrafte sie. Am Ende stand es 6:0, 6:0 und Angela weinte.

Vicky kam euphorisch zur Bank gestürmt und sah Marc triumphierend an. „Siehst du, was ich kann!“, sollte ihr Blick sagen.

„Wenn du richtig trainierst, bist du die beste Spielerin der Welt!“, meinte dieser aber nur ruhig. „Aber nur, wenn du trainierst!“

„Besserwisser!“, knurrte sie ihn an, aber dann musste sie ebenfalls grinsen.



11


Vicky tänzelte konzentriert an der Grundlinie und erwartete den Aufschlag ihrer Gegnerin. Sie hatte am jährlichen Nachwuchsturnier in Atlanta teilgenommen und zur Überraschung der Zuschauer, aber nicht der der Experten und Marcs, hatte sie es ins Endspiel geschafft, noch dazu ohne Satzverlust. Die Fachleute und die Presse hatten aufgehorcht. Nun war sie auch national bekannt, hatte sich im ganzen Land einen Namen gemacht.

Im Endspiel traf sie auf Mary Piece, einer riesigen Blondine, nicht nur der besten Spielerin Georgias, sondern der im Moment absoluten Favoritin der amerikanischen Nachwuchsszene, seit vielen Spielen ungeschlagen, ein Tenniswunder – wie Viktoria.

Marc hatte vor dem Spiel eine gehörige Portion Nervosität bei seinem Schützling bemerkt, hatte kurz nachgedacht, was er tun sollte, um sie zu beruhigen und zu lockern und hatte sich dann für die Strategie des Schlechtredens der Gegnerin entschieden, ohne Viktoria direkt auf ihre Nervosität anzusprechen.

„Findest du nicht, dass Mary ziemlich viele Fehler während des Turniers gemacht hat?“, fragte er eher beiläufig. „Sie ist einfach nicht perfekt!“

„Mary und nicht perfekt?“ Viktoria schüttelte verwirrt den Kopf. „Sie ist die zurzeit weltweit beste Tennisspielerin im Nachwuchsbereich, sie ist das Tennisgenie schlechthin.“

„Ach, Beste im Nachwuchsbereich, was heißt das schon?“ Er checkte scheinbar gleichgültig ihre Schläger. „Was meinst du, wie viele hoffnungsvolle Talente ich schon im Nachwuchsbereich gesehen habe und wie viele ich schon gesehen habe, die ebenso schnell, wie sie da waren, wieder für alle Zeiten in der Versenkung verschwunden sind.“

Viktoria sah ihn fragend an. „Aber Mary ist ein Genie! Sie ist unschlagbar!“

„Genie? Die?“ Nun lachte er. „Die macht doch einen Fehler nach dem anderen.“ Er nickte grinsend. „Die wird nur nicht richtig gefordert, weil sich schon alle vor Respekt in die Hosen machen, entschuldige den Ausdruck, aber was wahr ist, muss wahr bleiben.“

Vicky packte ihre Tasche und lauschte gespannt seinen Worten.

„Ich kenne das Mädchen, glaube mir!“, fuhr er fort. „Vor allem ist sie ziemlich labil!“

„Labil, Mary?“ Viktoria schüttelte wieder den Kopf. „Sprechen wir von der gleichen Person?“

„Wenn du die ein paar Mal ausspielst, „cross“ oder „longline“, dann verliert die jedes Selbstvertrauen, dann ist es schnell aus mit der überlegenen, gelassenen und stets lächelnden Mary, glaube mir.“

„Meinst du wirklich?“

„Und wenn sie ihre Krise hat, dann heißt es schnell spielen, schnell punkten, bevor sie zum Nachdenken kommt und sich erholt!“

So hatte er sie ins Spiel geschickt.

Viktoria hatte ihre Nervosität vergessen, denn sie wollte herausfinden, ob Marc Recht hatte. Tatsächlich war es ihr schnell gelungen, sie auszuspielen und tatsächlich hatte Mary zu schimpfen begonnen. Und so wurde sie von Spiel zu Spiel schlechter.

Das hatte Viktoria ausgenutzt. So schnell es ging zog sie ihr Aufschlagsspiel, ihre Schwäche, durch, schneller, als sich Mary von ihren Wutausbrüchen erholte, um diese dann ganz sicher mit ihrem Grundlinienspiel auszukontern. So hatte sie zur Überraschung aller den ersten Satz in kürzester Zeit mit 6:2 gewonnen.

„Weiter so, Vicky! Zeig es dem angeblichen Genie!“, meinte Marc grinsend zwischen den Sätzen zu seinem Schützling, bei dem er auf der Bank Platz genommen hatte, was im Jugendbereich noch üblich war. „Und gib dir wirklich Mühe! Die Leute von Coke sind heute hier und suchen nach jemandem, den sie unter Vertrag nehmen wollen.“ Er zeigte hinauf auf die Tribüne.

Vicky bemerkte zwei Männer in Anzügen, die neben Marys Eltern saßen und mit ihnen sprachen. Dann sah sie zu Marc und winkte verärgert ab. „Ich bin hier, um mein Hobby so gut ich kann, auszuüben. Was interessieren mich diese Leute.“

„Richtig, Vicky!“ Marc tätschelte sie auf die Schulter. „Du hast die richtige Einstellung. Geh hinaus und übe dein Hobby so gut aus, wie du kannst!“ Auf seinem Gesicht erschien das breiteste Grinsen, das sie je von ihm gesehen hatte.

Der zweite Satz begann zunächst schlecht für Vicky. Marys Trainer hatte diese gut eingestellt, hatte ihr Vickys Taktik erklärt, ihr Gegenmittel empfohlen und ihr vor allem klar gemacht, dass sie die Nummer Eins sei und nicht Vicky. Schnell lag sie mit 3:0 vorne.

„Du musst sie ausspielen!“, zischte Marc ihr in der Pause zu, als sie bei ihm auf ihrer Bank saß.

Sie nickte und nahm sich vor, es umzusetzen. Ihr kam entgegen, dass Mary Aufschlag hatte, tatsächlich gelang es ihr mehrmals diese unter dem anerkennenden Raunen des Publikums auszuspielen und das Spiel zu machen. Sie erkannte auch, dass Mary wieder verunsichert war, schimpfte, mit dem Schläger auf den Boden schlug. Schnell zog sie ihr Aufschlagspiel durch, an dem Mary kaum Interesse zeigte und es fast kampflos hergab. Marys Trainer stand von der Bank auf, trat nahe an das Spielfeld und wollte ihr Ratschläge geben, wurde ermahnt, es kam zu einer kleinen Auseinandersetzung, die Mary ablenkte, dann zu Kopfschütteln zwischen ihr und dem Trainer, sie war nicht bei der Sache.

Wieder nutzte dies Vicky. Es gelang ihr wieder, Mary spektakulär auszuspielen, die Menge tobte, Mary verzweifelte, Vicky gewann das Spiel. Schnell zog sie ihr Aufschlagspiel durch, spielte die Gegnerin bei deren Aufschlagspiel gekonnt aus, dies wiederholte sich mehrmals bis es 5:2 stand und Mary Aufschlag hatte. Man konnte sehen, dass sie nicht nur verärgert, sondern auch unsicher war. Der erste Aufschlag landete im Netz.

„Ein Vorteil für mich, der zweite Aufschlag wird nicht so hart kommen, weil sie mit Vorsicht aufschlagen wird“, dachte Vicky und tat ein paar Schritte nach vorne. „Ich werde ihr den Ball um die Ohren schlagen!“

Auch Mary bemerkte Vickys Bewegung, ahnte was sie vorhatte, wusste, dass sie beide sich in Vickys Lieblingsposition befanden. Da entschloss sie sich zu einem zweiten harten Aufschlag – und beging einen Doppelfehler. Der Ball landete im Netz, Vicky hatte gewonnen, Jubel brach los, Vicky begriff noch gar nicht, was geschehen war, sie sah, wie Mary zusammenbrach und auf dem Boden schluchzend liegen blieb. Gleich darauf stürzten sich die Fotografen auf sie, Musik ertönte, die Vorbereitungen zur Siegerehrung begannen in Sekundenschnelle. Sie selbst stand immer noch fassungslos da.

„Du hast gewonnen!“, rief ihr Marc plötzlich zu und riss sie aus ihrer Erstarrung und ihrem Staunen.

Sie lächelte ihm ungläubig zu.

„Und schau mal, wo die Colatypen jetzt sind!“ Er zeigte hinauf auf die Tribüne, aber nun dahin, wo Vickys Eltern saßen.

Tatsächlich hatten die beiden Herren in den Anzügen neben ihren Eltern Platz genommen und redeten wie wild auf diese ein.

„Das bedeutet Geld, meine Kleine, viel Geld!“, wusste Marc.

Vicky stand nur fassungslos da und versuchte zu verstehen, was geschehen war.



12


Viktoria war inzwischen 15 Jahre alt geworden, sie hatte in den vergangenen Jahren immer wieder von sich Reden gemacht, hatte Turniere und ihre Ligaspiele gewonnen, war dann wieder in das Nationalteam in ihrer Altersklasse berufen worden, gewann selbst dort gegen internationale Konkurrent und war in den Medien als neuer Shootingstar gefeiert worden. Immer wieder wurde von der Presse die Frage aufgeworfen worden, wann Vicky im Tennis der Seniorinnen auftauchen würde, wann sie in den Tenniszirkus aufgenommen werden würde.

Nun stand sie im Finale des Nachwuchsturniers von Los Angeles, das jährlich im März ausgetragen wurde und kämpfte wie ihre Gegnerin gegen den Smog der Großstadt. Trotzdem zeigte sie, wie das ganze Turnier über, bestes Tennis, es gelang ihr alles. Auch in diesem Finale klappte alles, wie am Schnürchen.

„Geraldine Anderson sitzt bei deinem Vater!“, hatte ihr Marc noch vor dem Spiel mitgeteilt.

Viktoria wusste, was das bedeutete. Geraldine war die Organisatorin der Liga-Tour der Seniorinnen. Die Teilnehmerinnen dieser Verbandsspiele wurden zwar von den Vereinen geschickt, aber Geraldine nahm gerne unter dem Gesichtspunkt der Attraktivität der Mannschaften und damit zum Wohle des Tennissports auch einmal Einfluss auf deren Aufstellung und die Vereine hörten auf sie. Ihr Urteil und ihre Erfahrung zahlten sich für alle aus. Sie suchte nicht nur nach den besten, sondern auch nach interessanteren Spielerinnen, vor allem auch im Nachwuchsbereich, legte aber Wert darauf, dass die Mädchen mindestens sechzehn Jahre alt waren. „Besser ist 18, aber 16 geht schon“, meinte sie. „Ich gehe gerne auf Nummer Sicher!“, war ihr Dauerargument, das sie bei jeder Gelegenheit mit ihrer tiefen, fast männlichen Stimme und ihrer derben Art anbrachte. „Das vermeidet rechtlichen Ärger. Wenn die Mädchen Mist bauen, dann ist es ihr Problem und nicht mehr meins!“ Sie grinste dabei stets über das ganze Gesicht. Ihre Gesprächsbeiträge bestanden aus einer Ansammlung von Weisheiten, die sie ihr Leben gelehrt hatte.

„Der Sport zeigt den wahren Charakter eines Menschen“, meinte sie zu Frank, während Vicky ihrer Gegnerin die Bälle um die Ohren schlug und sie ein ums andere Mal ins Leere laufen ließ. „Und Vicky zeigt sehr gute Eigenschaften.“ Sie zeigte auf das Feld. „Sieh nur ihren Kampfgeist, Frank, ihre Ausdauer und ihren Willen.“

Frank nickte stolz. „Ganz die Mutter!“, scherzte er.

„Erfolg ist 1 Prozent Talent und 99 Prozent Schweiß!“, wusste Geraldine. Dann zeigte sie wieder aufs Feld, wo Vicky ihrer Gegnerin gerade den Aufschlag abgenommen hatte. „Der Sport gibt auch dem Menschen die Chance, sich zu erkennen. Und nur wer sich erkannt hat, kann sich schämen und sich ändern und verbessern.“

Frank nickte und überlegte, wo er das schon einmal gehört hatte. Dann brach er jedoch in Jubel aus, weil Vicky ihre Gegnerin ans Netz gelockt hatte und dann nicht, wie diese annahm, passierte, sondern sie mit einem gefühlvollen Lob ins Eck ausspielte.

Die Menge raunte, ob der technischen Fertigkeiten Vickys.

„Unglaublich, unglaublich!“, rief Geraldine begeistert aus.

Auf dem Spielfeld begegneten sich zwei völlig unterschiedliche Charaktere. Auf der einen Seite Viktorias Gegnerin, deren Spiel das Ergebnis aus Kraft, Temperament, Impulsivität, aber auch schneller Frustration und Verzweiflung war und auf der anderen Seite Viktoria, das sichtbare Konglomerat aus Ausdauer, Kampfgeist, überragender Technik, Rationalität, Planung und exakter Ausführung sowie Unnachgiebigkeit und Unbeeindruckbarkeit.

„Ihre Tochter ist nicht nur ein Tennisgenie, das ist ihre Gegnerin auch“, wandte sie sich wieder an Frank. „Sie ist ein Charakter, sie ist schon jetzt, in ihrer Jugend ein echter Charakter. Wenn in ihrer Entwicklung nichts dazwischenkommt, dann kann sie eine ganz Große werden.“

„Da passe ich schon auf!“, versicherte Frank.

„Viel Glück dabei!“, grinste Geraldine.

Frank sah sie fragend an.

Geraldine erklärte nichts, grinste nur.

Da beendete Vicky das Spiel mit einem stark überrissenen Crossschlag, der Ball flog in einer extremen Kurve über das Netz, so dass ihre Gegnerin sich vergeblich nach ihm streckte, obwohl sie Vickys Schlag vorausgesehen und frühzeitig in die richtige Ecke gestartet war.

Die Zuschauer sprangen auf, tobten, jubelten, das Stadion war zum Hexenkessel geworden.

„Was für ein Talent und was für ein Charakter!“, wiederholte Geraldine.

Frank sah stolz und glücklich seiner Tochter zu, dankte Gott für dieses Talent und fühlte in sich ein tiefes Gefühl des Friedens, aber auch der Demut.

Geraldine erhob sich und verabschiedete sich von Frank. „Ich hätte Vicky gerne auf der Liga-Tour dabei, sobald sie 16 ist. Ich werde mit den Leuten in ihrem Verein reden. Wenn es nicht klappt, nehme ich sie auf jeden Fall auf die Showturniertour der Sponsoren mit. Sie kann uns viel Freude bereiten.“

„Danke!“, meinte Frank.

„Passen Sie aber gut auf unseren Schatz auf!“, wiederholte Geraldine und grinste ihr breites, undurchsichtiges Grinsen. Dann verschwand sie.





Return, Viktoria

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