Читать книгу Heimische Heil- und Vitalpilze. Kompakt-Ratgeber - Gerit Fischer - Страница 7

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Faszinierende Lebewesen

Pilze werden landläufig nur nach ihrem Speisewert beurteilt. Dabei ist ihre Bedeutung für unser Leben unermesslich: Ohne Pilze wäre die Welt nicht so, wie wir sie kennen. Experten sind sogar überzeugt, dass die Erde mit Pilzen gerettet und von Umweltschäden geheilt werden kann. Pilze könnten in Zukunft der Schlüssel zu einer lebenswerten Welt sein. Sie wachsen im Verborgenen, denn was wir sehen, sind nur ihre Fruchtkörper; der Pilz selbst lebt unter der Erde. Im Wald wie in unseren Köpfen führen sie ein Schattendasein. Die meisten zählen zu den »forgotten species« und sind das Gegenteil der »showy species« wie Orchideen oder Papageien. Sie können also ein bisschen Propaganda gut gebrauchen.

Pilze enthalten Substanzen, die in keiner Pflanze vorkommen und von unserem Organismus gut »verstanden« werden. Sie wirken z. B. äußerst zuverlässig auf das Immunsystem.

Wie bei Kräutern gibt es auch bei den Pilzen legendäre Heiler und kleine Helferlein. Und nicht immer findet man einen Tausendsassa. Doch besonders in der kalten Jahreszeit freut man sich über jeden brauchbaren Fund, und sei es »nur« als Stärkungsmittel. Und als wären die Freude über einen interessanten Pilz und die Aussicht auf ein Heilmittel nicht schon Antrieb genug, holt uns das Sammeln und das Hantieren mit den Pilzen wieder auf den Boden zurück, lässt es uns die Hektik des Alltags überwinden und verbindet uns mit unseren Wurzeln als Geschöpfe der Natur.

Pilze sind keine Pflanzen

Entwicklungsgeschichtlich stehen Pilze den Tieren (also auch uns Menschen) sogar näher als den Pflanzen. Natürlich sind sie ganz anders als Tiere, dennoch haben sie viel mit uns gemeinsam: Sie bilden kein Chlorophyll, sondern ernähren sich von komplexer Materie, und wie wir auch verbrauchen sie jede Menge Sauerstoff, anstatt ihn zu bilden. Ihre Zellwände bestehen nicht – wie die der Pflanzen – aus Cellulose, sondern aus Chitin, das sonst eigentlich nur in der Tierwelt vorkommt, z. B. im Außenskelett der Insekten.

Pilze scheinen – wie Pflanzen – sesshaft zu sein, doch auch das ist relativ: Ganz nach Bedarf wächst der Pilz mal dahin, mal dorthin – je nachdem, wo das Nährstoff- und Wasserangebot besser ist. Dazu muss man wissen: Pilze sind unsichtbar.

Ein Pilz lebt, vor den Blicken verborgen, im Boden, im Holz, in der Streuschicht oder in sonst einem organischen Substrat. Er besteht aus feinsten Fäden, den Hyphen, die das Substrat als dichtes Geflecht durchziehen. Dieses Geflecht heißt Mycel. Und hier teilt sich die Pilzwelt unserer Wälder in zwei Lager: Die einen wachsen »frei« im Boden, die anderen auf Baumstämmen, Ästen, Zapfen oder Blättern.

Mykorrhiza-Pilze – das Internet der Natur

Die Mykorrhiza ist jener Bereich im Boden, in dem die »frei« wachsenden Pilze leben. Sie heißen Mykorrhiza-Pilze und leben in Symbiose mit Pflanzen. Beide Partner profitieren von der engen Verflechtung von Pilzmycel und Pflanzenwurzel. Der Pilz kann ohne die Pflanze keine Fruchtkörper bilden, und auch die Pflanze zeigt ohne einen Pilzpartner nur kümmerlichen Wuchs. Über 90 Prozent aller Landpflanzen leben mit Pilzen in Symbiose.

Die Hyphen der Pilze dringen sogar in die Wurzelzellen ein. Die Pflanze lässt dies zu, denn der Pilz dient ihr als Erweiterung des Wurzelstocks und versorgt sie mit einem Vielfachen an Wasser, Stickstoff und anderen Elementen. Dafür bekommt der Pilz von der Pflanze einen Teil der Fotosyntheseprodukte ab.


Der größte Teil eines Pilzes ist in der Regel nicht sichtbar

Gerade für Bäume stellen Pilze in Dürrezeiten ein großes Wasserreservoir dar, sie sind somit ein wichtiger Überlebensfaktor für Wälder im Klimawandel. Beispiele für Mykorrhiza-Pilze sind der Herrenpilz, der Edelreizker, der Fliegenpilz und der Pfifferling.

Die Mycelien der Mykorrhiza-Pilze sind eng miteinander verwachsen und verbinden auch die Bäume untereinander, und zwar über Kilometer hinweg. Mittlerweile spricht man vom »Internet der Natur« oder von »wood wide web«: Hier werden nicht nur Wasser und Nährstoffe, sondern auch Signalstoffe und ganz konkrete Informationen transportiert. Wie Glasfaserkabel übermitteln Pilze von einem Baum zum anderen Botschaften wie: Achtung, Schädlinge! Mach dich bitter!

Und nach und nach beginnen die umstehenden Bäume, vermehrt Bitterstoffe in die Blätter einzulagern, und schon sind beispielsweise die Raupen in ihre Grenzen verwiesen.

Die Bäume zahlen dafür einen hohen Preis: Bis zu einem Drittel ihrer Zuckerproduktion aus der Fotosynthese müssen sie den Pilzen überlassen. Doch hat der Wald seine eigene Zeit, und so läuft die Signalübertragung recht gemütlich mit etwa einem Zentimeter pro Sekunde. Und wenn die Bäume vom Frühling über den Sommer bis in den Herbst hinein fortwährend Nährstoffe angesammelt haben, von denen die Pilze reichlich abbekommen, setzen Letztere endlich auch »Früchte« an und bilden ihre meist oberirdisch sichtbaren Fruchtkörper.

Destruenten – die Recycling-Brigade

Zersetzer (Destruenten) heißt die andere Art, denn sie bringt keinem Baum etwas. Ganz im Gegenteil nisten sich diese Pilze in schwächelnden oder abgestorbenen Gehölzen ein und treiben deren Zerfall voran. Damit beschleunigen sie das Recycling, den Stoffkreislauf des Waldes. Das können nur Pilze. Ohne sie würden alle abgestorbenen Bäume und Sträucher einfach im Wald liegen bleiben, sodass irgendwann einfach kein Durchkommen mehr wäre. Die organische Materie würde nie mehr dem Boden zugeführt werden, und die Pflanzen hätten keine weitere Lebensgrundlage. Die Pilze aber machen Bäume zu Humus, um neues Leben zu nähren. Sie bilden so gesehen die Schnittstelle zwischen Leben und Tod.

Um Holz überhaupt verdauen zu können, sind entsprechende Enzyme nötig, die nur von Pilzen produziert werden. Dennoch stehen auch diese Pilze uns Menschen näher als dem Baum, auf dem sie wachsen.

Die »Schwammerl« sind die Früchte, korrekt Fruchtkörper der Pilze. Ihre Aufgabe ist die Erschließung neuer Standorte. Der Pilz kann sich zwar auch mithilfe seiner Hyphen vergrößern und vermehren, doch Sporen können fliegen. Sie sind so winzig klein, dass man schon ein gutes Mikroskop braucht, um sie richtig sehen zu können. Wie der Pollenstaub windbestäubender Pflanzen können sie mit dem Wind auch größere Entfernungen überwinden.

Auch die Entstehung von sogenannten Hexenringen ist schnell erklärt: Die Fruchtkörper erscheinen an den Rändern des Mycels. Breitet sich das Mycel sternförmig aus, entsteht ein – mehr oder weniger runder – Kreis. Der Ring macht also die unterirdische Ausdehnung des Pilzmycels sichtbar.


Hexenring: Der Pilz lebt unter der Erde, an seinen Rändern bildet er die Fruchtkörper.

Die Superorganismen – Hoffnung der Zukunft

Derzeit sind 120 000 Pilzarten bekannt, man nimmt jedoch an, dass es insgesamt 1,5 Millionen Arten gibt. Damit existieren mehr Pilz- als Pflanzenarten auf der Welt. Im Waldboden leben mehr Pilze als Bakterien und Tiere zusammen. Pilze machen vermutlich 25 Prozent der gesamten Biomasse der Erde aus.

Sie verdauen nicht nur organische Materie, d. h. sie sind nicht nur Pflanzenfresser oder Fleischfresser, manche verdauen sogar Plastik. Oder Erdöl, das Böden kontaminiert. Der Fachbegriff ist »Soil Remediation«, Bodenheilung. Wie Algen im großen Stil Wasser entgiften, entgiften Pilze die Erde. In Tschernobyl »fressen« Pilze die radioaktive Strahlung im zerstörten Kernkraftwerk. Derzeit testet man bereits das Verhalten von Pilzen im Weltraum: Es wird untersucht, ob Speisepilze auch im All gedeihen. So könnten sie dereinst helfen, neue Planeten zu besiedeln.

GIGANTISCH!

Der weltgrößte Organismus ist ein Pilz: ein einziger Hallimasch, der in Oregon/USA 965 Hektar Boden – also eine Fläche von 1351 Fußballfeldern! – beherrscht und dort die Vegetation aktiv nach seinen Bedürfnissen gestaltet. Er ist 2400 Jahre alt und 600 Tonnen schwer.

Spezialfall Flechten

Flechten sind die Verschmelzung von Pflanze und Pilz, eine Symbiose mit Einverleibung, eine freundliche Übernahme. Die Pflanze ist in diesem Fall eine Alge, die irgendwann in der Morgendämmerung der Erdgeschichte in die Zellen eines Pilzmycels eingedrungen ist und es sich dort gemütlich gemacht hat. Der Pilz hat sie gern in sich aufgenommen, weil sie mit ihrem Chlorophyll mithilfe der Fotosynthese genug Kohlenhydrate für beide produziert. Mit jeder Zellteilung teilt sich die Alge mit und ist in jeder neu gebildeten Flechtenzelle von vornherein mit angelegt. So leben sie bis heute als kongeniales Duo.

Auch Flechten werden seit ewigen Zeiten zu Heilzwecken verwendet. Die bekannteste Heil-Flechte ist die Bartflechte. Sie ist ungenießbar, hat jedoch immunstärkende und antibiotische Eigenschaften. Schon Sammler und Jäger sollen sie gegen Erkältungen in Räuchermischungen verwendet haben. Heute nützt man sie für Tees, Tinkturen oder Lutschpastillen.


Geotropismus bei Baumpilzen: Pilze richten ihre Hüte immer nach oben und unten aus. Wenn der Wirtsbaum umfällt, entstehen die seltsamsten Formen.

Heimische Heil- und Vitalpilze. Kompakt-Ratgeber

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